77

Die Tür der Red Fox Bar an der Shankhill war verschlossen, aber im Innern brannte Licht. Lennon hämmerte mit der Faust dagegen, bis die Milchglasscheibe im Rahmen klirrte.

»Geschlossen«, kam eine heisere Stimme von drinnen. Eine Silhouette tauchte vor dem Glas auf. »Verschwinden Sie.«

Die Silhouette löste sich wieder auf.

Lennon trat gegen die Tür.

Die Silhouette kehrte zurück. »Ich sagte, Sie sollen verschwinden. Wir haben geschlossen. Entweder Sie hauen ab, oder ich komme raus und trete Ihnen in den Arsch.«

Lennon trat immer weiter gegen die Tür, bis die Scheibe sprang.

»Na schön, du Arschloch«, rief die Stimme.

Oben und unten wurden an der Tür Riegel zurückgeschoben, es hörte sich an wie zwei Gewehrschüsse. Die Tür öffnete sich nach innen, und ein vierschrötiger Mann mit rasiertem Schädel und tätowiertem Hals füllte den gesamten Eingang aus. Er trug eine schief sitzende Brille. Bevor er einen Schritt machen konnte, schlug Lennon ihm eine Faust in den Unterleib und brach ihm mit der anderen die Nase. Der Mann taumelte in die Bar und hielt sich beide Hände vors Gesicht, zwischen den Fingern spritzte Blut hervor. Die zersprungene, verbogene Brille fiel zu Boden. Der Mann stolperte über die eigenen Füße und krachte auf den Rücken.

Lennon betrat über ihn hinweg die Bar. Drei Männer saßen an einem Tisch, der übersät war mit Spielkarten, Geldscheinen, Flaschen und Gläsern. Zwei waren aufgesprungen und hatten kampfbereit die Fäuste geballt.

Lennon zog seine Glock und zielte damit auf Roscoe Pattersons Stirn; wie bei einem Einsatz hatte er die eine Hand stützend unter die andere gelegt. Roscoe stand am anderen Ende des Tisches und starrte Lennon mit ausdruckslosem Gesicht an. Die beiden anderen Männer zogen Pistolen, beides kleinkalibrige Spielzeuge von der Art, wie großkotzige Ganoven sie manchmal bei sich trugen, um den starken Mann zu markieren.

»Steckt die weg, Jungs«, sagte Roscoe. »Wir wollen doch hier keinen Scheiß bauen, stimmt’s, Jack?«

Die beiden Männer gehorchten.

»Sie sollen verschwinden.«

»Mensch, du hast Slant ja ordentlich eine verpasst«, sagte Roscoe. Er warf den Kopf zurück und lachte. »Hast ihm richtig die Fresse poliert.« Er grinste Lennon an. »Weißt du, warum wir ihn Slant nennen?«

»Ist mir egal, sieh einfach nur zu, dass die Kerle verschwinden.«

Roscoe fuhr unbeirrt fort. »Wir nennen ihn Slant, weil immer, wenn er besoffen ist, seine Brille schief sitzt, wie ein Schrägstrich. Urkomisch. Und so, wie du ihm gerade die Nase ramponiert hast, kriegt er sie aber jetzt überhaupt nicht mehr gerade auf.«

Lennon trat einen Schritt näher und zielte noch genauer. »Sag ihnen, sie sollen verschwinden. Sofort.«

Roscoes Grinsen wurde noch breiter, aber seine Augen verdunkelten sich. »Ihr habt den Burschen gehört«, sagte er zu seinen Kumpanen. »Zischt ab, und nehmt Slant mit.«

»Bist du dir sicher?«, fragte einer von Roscoes Leuten.

»Ich bin mir sicher«, antwortete Roscoe. »Jack ist ein schlauer Junge. Er macht bestimmt nichts Unüberlegtes. Hab ich recht, Jack?«

»Sie sollen endlich verschwinden«, sagte Lennon.

»Also los, Jungs.« Roscoe verabschiedete sie mit einem Wedeln der Hand.

Betont lässig schlenderten sie an Lennon vorbei, rollten dabei die Schultern und starrten ihm in die Augen, was heißen sollte, dass sie sich von einem Fremden mit einer Waffe nicht beeindrucken ließen.

Lennon behielt Roscoe im Auge. Er hörte Slant stöhnen und fluchen, als seine Freunde ihn aufsammelten. Dann ging die Tür zu, und Lennon hörte nur noch seinen eigenen Atem. Schweiß tropfte ihm aus den Augenbrauen.

»Das war nicht gerade nett, Jack.«

Lennon antwortete nicht. Er trat noch einen Schritt näher und richtete dabei die Pistole weiter auf Roscoes Stirn.

»Mich hier so zum Affen zu machen«, fuhr Roscoe fort. Seine Hand auf dem Tisch fing an zu zittern. Er zog die Lippen über die Zähne. »Wenn irgendein anderer Scheißkerl das versuchen würde, würde ich ihm das Genick brechen. Ich würde die Waffe nehmen und sie ihm so weit in den Arsch schieben, dass er daran ersticken würde. Ich würde ihm meinen Stiefel in …«

»Ich bin nicht zum Spaß hier, Roscoe«, unterbrach Lennon ihn. »Ich weiß, was du getan hast. Es macht mir nicht das Geringste aus, dir eine Kugel in dein borniertes Spatzenhirn zu jagen. Hast du mich verstanden? Also keine Drohungen und keine Spielchen. Sonst erschieße ich dich.«

Roscoe stand auf. Er lehnte sich vor und stützte sich mit den Fingerknöcheln auf der Tischplatte ab, unter seinem Bauch gerieten die Spielkarten durcheinander. »Pass besser auf, was du sagst, Jack. Ich habe dir geholfen, du hast mir geholfen. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass wir Freunde sind, aber für einen Taig warst du eigentlich immer in Ordnung. Doch ich lasse mir von niemandem drohen. Niemand macht mich vor meinen eigenen Jungs zum Idioten. Du spielst gerade mit deinem Leben, Jack. Mach nicht noch …«

Lennon zielte auf das herzförmige Tattoo auf Roscoes linkem Handrücken. Er drückte ab. Einen Zentimeter von Roscoes Fingern durchschlug die Kugel die Tischplatte. Roscoe riss seine Hände weg, gab aber keinen Laut von sich. Er trat nur vom Tisch zurück und schüttelte den Kopf.

»Zu wem bist du gegangen?«, fragte Lennon. »Wem hast du es verraten?«

Roscoe hob die Hände und ging noch ein Stück zurück. »Wovon redest du überhaupt, Jack? Ich habe niemandem irgendwas gesagt. Du machst gerade einen schweren Fehler, Kumpel.«

Lennon folgte ihm. Ohne auf die zerspringenden Flaschen zu achten, stieß er den Tisch beiseite und warf ihn dabei um. Unter seinen Schuhen knirschte zwischen den Geldscheinen das Glas. Er schob die Waffe zurück ins Halfter und ballte ein paarmal die Hände zu Fäusten. »Du hast jemandem verraten, wo Marie und Ellen waren. Du hast jemandem verraten, wo meine Tochter war. Und jetzt haben sie die beiden entführt.«

Roscoe ging noch weiter zurück, bis er an der Bar war. »Verflucht, Jack, was redest du da eigentlich für einen Scheiß. Ich habe es dir schon mal erklärt, ich bin kein Informant. Ich habe niemandem ein Sterbenswört…«

Lennon erwischte Roscoe mit dem Ellbogen am Kinn. Roscoe fiel um wie ein nasser Sack. Er rollte auf die Seite und presste sich beide Hände ans Kinn.

»Er hat meine Tochter«, sagte Lennon.

Roscoe krümmte sich am Boden. Er spuckte Blut auf die schmutzfarbenen Fliesen.

»Er hat meine Tochter«, wiederholte Lennon. »Hast du mich verstanden?«

»Meine Zunge«, jammerte Roscoe undeutlich. »Jetzt habe ich mir in die Zunge gebissen, du verdammter katholischer Bastard.«

Lennon stellte sich über Roscoe und stützte sich mit einer Hand auf der Theke ab. »Rede endlich, oder ich bringe dich um, ich schwöre bei Gott.«

»Das kannst du dir in deinen verdammten Katholen-Arsch schieben«, keuchte Roscoe. Er spuckte noch einmal aus und sprenkelte dabei den Boden rot.

Lennon trat ihm in den Unterleib. Roscoe krümmte sich und rollte sich mit dem Rücken zu Lennon zusammen. Lennon zielte mit dem Fuß auf Roscoes Niere und spürte, wie das Fleisch unter dem Tritt nachgab.

Als die Schreie aufhörten, hockte Lennon sich hin und sagte: »Du hast es verraten. Und jetzt erzählst du mir, mit wem du geredet hast. Mit ist das nämlich scheißegal, verstehst du. Ellen ist das einzige Gute, was die Welt mir zu verdanken hat. Heute habe ich mit ihr gesprochen. Zum ersten Mal nach fünf Jahren habe ich mit meiner eigenen Tochter gesprochen. Sie hat zwar keine Ahnung, wer ich bin, aber das spielt keine Rolle. Ich habe die Chance, alles wiedergutzumachen. Ich habe die Chance, sie zurückzugewinnen. Und dann verkaufst du sie für ein Stück Scheiße.«

Roscoe streckte die Beine aus, und versuchte davonzukriechen, aber man sah ihm die Schmerzen an. »Du liegst falsch. Ich habe nie …«

»Du hast sie an die andere Seite verkauft. Du, der große Loyalist, hast ein Kind an die Republikaner verkauft. Es ist genau so, wie Patsy Toner gesagt hat. Absprachen gibt es auf allen Ebenen und in alle Richtungen. Alles, was Typen wie dich je interessiert hat, war doch nur, sich die Taschen vollzustopfen. Die sogenannte Sache war euch doch scheißegal. Hauptsache, ihr konntet Kohle machen.«

»Du tickst nicht mehr ganz sauber«, stöhnte Roscoe. »Du bist komplett …«

Lennon zog seine Glock und drückte Roscoe die Mündung an die Stirn. »Ich gebe dir noch eine letzte Chance«, sagte er. »Irgendjemand hat bestimmt schon gemeldet, dass hier geschossen wurde. Sobald ich Sirenen höre, drücke ich ab und blase dir dein Gehirn raus. Klarer Fall von Selbstverteidigung. Hier ein Krimineller mit langem Vorstrafenregister, dort ein Polizist. Die Ombudsstelle wird das nicht jucken. Niemand wird sich einen Dreck um einen Scheißkerl wie dich scheren. Verstehst du mich?«

Roscoe blinzelte ihn an, seine Nasenflügel blähten sich auf.

»Deine einzige Chance, am Leben zu bleiben, ist, mir zu sagen, mit wem du gesprochen hast. Eine andere gibt es nicht. Und jetzt sag es mir.«

Roscoe kniff die Augen zu. »Scheiße«, keuchte er. Sein Gesicht wurde schlaff, die Augenlider zuckten. »Es war Dan Hewitt«, sagt er. »Dieses Arschloch von der Special Branch. An den musst du ran. Er war derjenige, der herumgehorcht hat. Er wollte wissen, was du vorhattest, wer dich wo gesehen hatte, ob du irgendjemanden um einen Gefallen gebeten hattest. Ich habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass du die Wohnung haben wollest.« Roscoe machte die Augen wieder auf. Er grinste »Wie? Hast du etwa geglaubt, du bist der einzige Cop, mit dem ich gut Freund bin? Du hast es doch selbst gesagt: auf allen Ebenen und in alle Richtungen.«

Lennon richtete sich auf und steckte die Glock ins Halfter. »Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen hiervon erzählst, dann sage ich jedem, der es hören will, dass du ein Spitzel bist.«

»Leck mich«, sagte Roscoe.

»Und du weißt ja, was mit Spitzeln passiert«, fügte Lennon hinzu. »Sobald du mir zu nahe kommst oder irgendeinem, den ich kenne, erfährt auch noch der letzte Mistkerl in dieser Stadt, dass du ein Informant bist. Dann kannst du dich mit deiner hässlichen Visage nicht mehr auf die Straße trauen. Hast du mich verstanden?«

»Leck mich«, wiederholte Roscoe.

Lennon trat ihm fest in den Unterleib. Roscoe rollte sich zusammen, Blut tropfte ihm von den Lippen. Er übergab sich auf die Fliesen.

Der Gestank machte Lennon zu schaffen. Auf dem Weg zur Tür kam ihm immer wieder die Galle hoch, bis die Nachtluft ihm kühl über die Haut strich.

Er sah den großen Mann nicht kommen, spürte nur die kräftigen Hände um seine Kehle, dann ging er auch schon zu Boden.

Gerry Fegan Bd. 2 - Blutige Fehde
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