35
Lennon zitterte am Steuer wie Espenlaub. Kaum war er auf die Umgehungsstraße von Sydenham gefahren, bereute er es auch schon. Er atmete schwer, in seiner Brust hämmerte es, seine Hände glitten auf dem lederbezogenen Lenkrad des Audis aus. Er musste ranfahren und erst einmal einen klaren Kopf bekommen.
Alle möglichen Bilder und Gefühle schossen ihm durch den Kopf, aber er konnte sie nicht festhalten. Als zur Rechten die alte Shirocco-Fabrikanlage vorbeizog, inzwischen eine riesige Brache, bog er links ab. Überall prangten republikanische Mauerbilder von gefallenen Märtyrern, sieben Meter hoch, damit die Einheimischen und alle, die sonst vorbeikamen, auch wussten, wem diese Straßen hier gehörten. Lennon kam an der Friedensmauer vorbei, deren Name der denkbar unpassendste war, eine Barriere aus Backstein und Stacheldraht, die das Viertel mitten entzweischnitt. Er folgte ihr, soweit es ging, bis Sackgassen und Kreuzungen ihn auf eine ruhige Straße zwangen, auf der kein Mensch unterwegs war. Er fuhr an den Straßenrand, die Reifen des Audis rollten knirschend über Müll und Glasscherben.
Während der Motor erstarb, schaute er sich um. Zu seiner Rechten, in Richtung Westen, ragte die Friedensmauer auf und ließ die Häuser aussehen wie Baracken in einem Gefangenenlager. Verschiedene Farbschichten in Rot, Weiß und Blau waren teilweise von den Pflastersteinen abgeblättert oder verblichen. Von einem Fahnenmast wehten die zerlumpten Überreste eines Union Jack. An den Fenstern und Türen der roten Backsteingebäude waren die Rollläden heruntergelassen, als seien ihre Augen und Münder mit Eisen verriegelt, blind und stumm gemacht durch … ja, durch was eigentlich?
Lennon schaute die Straße hinauf und hinab, und er begriff. Dies hier war nur wieder eine weitere von den vielen aufgegebenen Straßen, verlassen von ihren geflohenen Bewohnern, die die Straßenschlachten, die herabregnenden Ziegelsteine und Flaschen und die Brandbomben, die Feuer auf ihren Dächern gelegt hatten, einfach nicht mehr ausgehalten hatten. Eine nach der anderen waren zu beiden Seiten der Friedensmauer die Familien ausgezogen und hatten die Matratzen und die wertvollen Tische und die Spiegel, Erbstücke von der Großmutter, hastig auf geborgte Lastwagen oder Anhänger geladen.
Ob hier überhaupt noch jemand wohnte? Lennon suchte nach Anzeichen von Leben. Keine Menschenseele. Etwas mehr als einen Kilometer entfernt wurden Millionen in heruntergekommene Viertel gepumpt, wurden Wohnungen, Einkaufszentren und Technologieparks hochgezogen. Direkt auf der anderen Seite des Flusses wechselte Wohneigentum für ein Geld den Besitzer, das man sich vor ein paar Jahren niemals hätte vorstellen können. Kleine Apartments mit nur einem Schlafzimmer kosteten inzwischen eine viertel Million und wurden dann auch noch von Investoren weggeschnappt, die darauf aus waren, den Boom des Belfaster Friedens nach Kräften auszunutzen und unbedingt reich zu werden, bevor die Blase unweigerlich platzte. Und hier, keine zehn Minuten weit weg, standen zwei Reihen leerer Häuser, in denen zusammen mit dem Mörtel und dem Holz Generationen von Erinnerungen vergammelten. Und das alles nur, weil ein paar bornierte Schurken die Welt unbedingt in wir und die anderen einteilen mussten.
Lennon wurde speiübel. Er stieß die Wagentür auf und beugte sich hinaus. Schwer atmend würgte er pure Galle hinunter. »Mein Gott«, keuchte er. Seine Stimme verhallte in der verlassenen Straße.
Er spuckte auf den Bürgersteig. Die Wärme des Tages war verflogen, die kalte Luft kühlte sein Gesicht. Es roch nach Rauch, irgendwo brannte ein Feuer, Holz und alte Reifen.
Patsy Toner hatte gesagt, dass Marie und Ellen dabei gewesen waren.
Sie hatten die Morde miterlebt, auf einer alten Farm in der Nähe von Middletown. Maria McKenna und Lennons Tochter. Sie hatten zwar überlebt und waren aus dem Land geflohen, aber was hatten sie mit ansehen müssen? Was hatte Ellen mit ansehen müssen? Lennon hustete und spuckte noch einmal aus.
Er versuchte, das Gespräch zu rekapitulieren und das, was er erfahren hatte, im Kopf zu ordnen. Als Toner erst einmal in Fahrt gekommen war, hatte er die Geschichte so monoton heruntergerattert, als hätte er sie sich selbst schon so oft erzählt, dass die Worte inzwischen jede Bedeutung verloren hatten. Ein Irrer, ein Killer, habe Paul McGinty und seine Leute umgelegt, einen nach dem anderen. Manchmal hätte Lennon den Anwalt am liebsten gepackt und durchgeschüttelt und ihm gesagt, er solle aufhören.
Einige der Namen kannte Lennon. Vincie Caffola war nichts anderes als ein gemeiner Schläger, Pater Eammon Coulter ein Fürsprecher von Mördern, Brian Anderson ein korrupter Cop. Nach dem Mord an ihm waren die Zeitungen voll gewesen von all den Schmiergeldern, die er kassiert hatte, und den Kollegen, die er dafür ans Messer geliefert hatte. McGinty war die schlimmste Sorte von Politiker gewesen, einer, der eigentlich aus der Gosse kam. Ein Gangster, der den Staatsmann markiert hatte, den Helden der Arbeiterklasse, doch dahinter hatte sich in Wahrheit nur ein geldgieriger, machthungriger Parasit verborgen. Für McGinty war Politik nichts anderes gewesen als ein Mittel, seine Gier in ein Mäntelchen des Anstands zu kleiden.
Und Toner hatte das alles bestätigt. Angefangen hatte alles mit Michael McKenna, Maries Onkel. Als Lennon und Marie sich das erste Mal getroffen hatten, hatte Marie ihm noch ihre Herkunft verschwiegen, aber lange konnte sie es dann doch nicht verbergen. Sie hatte es ihm beim Essen erzählt und so getan, als spiele das gar keine Rolle, als habe die Vergangenheit ihres Vaters und ihres Onkels mit der Gegenwart nichts zu tun. Dabei wusste sie es selbst besser. Noch während sie sprach, sah Lennon es ihrem Gesicht an. Sie wusste, was es für ihn und seine Karriere bedeuten konnte, wenn er sich mit der Nichte eines bekannten paramilitärischen Paten einließ, der Tochter seines Bruders und Lakaien. Sie wusste, es würde ihn in eine peinliche Lage bringen und dazu führen, dass seine Loyalität angezweifelt wurde, insbesondere in Anbetracht seiner eigenen Herkunft.
Auf ihrem Gesicht las er: Das ist deine Chance, hier rauszukommen. Das ist deine Chance, dich in allen Ehren zu verdrücken. Niemand ist verletzt, niemand fühlt sich schlecht behandelt.
Lennon blieb bei ihr. Im Rückblick fragte er sich manchmal, warum eigentlich, aber eigentlich wusste er es. Er wurde allmählich müde, ging inzwischen auf Mitte dreißig zu, am Horizont dräute schon die magische Vierzig. Wenn er durch die Bars zog, kam er sich alt vor. Die Frauen sahen immer jünger aus, und irgendwann kamen sie ihm vor wie Backfische. Seine Annäherungsversuche wurden von Abend zu Abend peinlicher.
Als sich die Sache mit Marie dann aufzulösen begann, war es sein größter Fehler, Wendy davon zu erzählen. Als sie beide noch Singles gewesen waren, hatte sie ihm nie eine Chance gegeben. Aber als sie ihn dann in einer Partnerschaft mit einer anderen Frau erlebte und erkannte, dass er doch beziehungsfähig war, änderte sich das. Ihr freundschaftliches Interesse an seinem Liebesleben, ihre liebevollen Wünsche, dass er sein Glück finden möge, verwandelten sich in Flirten und neugierige Fragen, die ihm nicht besonders behagten. Als er Wendy schließlich offenbarte, dass Maries Nestbauinstinkt ihm allmählich auf die Nerven ging und er den Eindruck habe, gar nicht mehr Herr seines eigenen Lebens zu sein, blitzte in ihren Augen etwas auf. Von nun an rückte sie dichter an ihn heran, ihre Hüften berührten seine öfter, ihre Hand blieb länger auf seinem Unterarm liegen.
Jede Nacht, wenn er dalag und Maries flachen Atem hörte, kämpfte er dagegen an, an das Gefühl von Wendys Hand auf seiner Haut zu denken und sich ihre weichen Lippen vorzustellen. Stunden um Stunden lag er schlaflos da und zermarterte sich das Hirn. Will ich das wirklich? Will ich wirklich mein Leben mit Marie verbringen? Und jedes Mal kam er auf dieselbe Antwort.
Sonst habe ich doch nichts.
Einmal noch schliefen Lennon und Marie miteinander, bevor es vorbei war. Tagelang hatte er sich treiben lassen, ohne ihr sagen zu können, was ihm den Schlaf raubte, obwohl sie längst wusste, dass da etwas sehr im Argen lag. An diesem Abend lagen sie beieinander. Sein Kopf ruhte auf ihrer Brust, und er hoffte inständig, dass ihr warmer Körper genug sein würde, um ihn zur Besinnung zu bringen. Wie schon Hunderte Male zuvor hatten sie sich langsam und vertraut miteinander bewegt. Als er sie küsste, schob sie das Laken weg und liebkoste ihn. Sie wand sich unter ihm, und er streifte ihr das Nachthemd ab. Dann drang er in sie ein, und sie fanden ihren unruhigen, vertrauten Rhythmus. Als er kurz vor dem Orgasmus war, bemühte er sich krampfhaft, nicht an Wendy zu denken, wie ihr Körper sich so bewegte und ihre geöffneten Lippen sich ihm darboten. Um die Vorstellung loszuwerden, verbarg er sein Gesicht an Maries Schulter.
Danach sprachen sie nicht, sondern lagen einfach nur da und umarmten sich. Als sie sich voneinander lösten, sah er, dass sie weinte. Mit einer Fingerspitze folgte er dem Weg der Tränen.
»Was ist los?«, fragte er.
»Nichts«, sagte sie. »Das haben wir uns doch gerade bewiesen, oder?«
»Was bewiesen?«
Sie stieg aus dem Bett und zog sich einen Morgenmantel über. »Dass wir miteinander vögeln können, wenn wir müssen.«
Er sah ihr nach, wie sie im Badezimmer verschwand. Plötzlich schämte er sich seiner Nacktheit.
Ein grauer Tag, draußen war es kalt, gelegentlich tröpfelte Regen an die Fensterscheiben. Seit sechs Wochen überfällig, erklärte sie ihm. Vielleicht würde das sie ja wieder zusammenbringen, meinte sie. Vielleicht würde sich dadurch der Riss kitten lassen, der zwischen ihnen entstanden war. Er lächelte, nahm sie in die Arme und sagte ihr, es werde sich schon finden. Gleichzeitig drehte sich ihm vor lauter Panik beinahe der Magen um.
Er taugte ebenso wenig zum Vater wie zum Arzt oder Priester. Ganz bestimmt würde er versagen. Er würde sein Kind im Stich lassen, genau wie es sein eigener Vater getan hatte. Trotzdem hielt er Marie umschlungen, und ihm brach das Herz, weil er sie gerade belog.
Lennon fuhr hoch und erinnerte sich wieder, wo er war. Durch die offene Tür des Audis wehte eine Brise herein, kühle Luft, die durch eine verlassene Straße gezogen war. Im Augenwinkel sah er etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Er wandte den Kopf und sah, wie ein alter Peugeot 306 vor ihm an den Straßenrand fuhr. Der Motor heulte auf in dem Bemühen, den Vorstellungen eines halbwüchsigen Rasers gerecht zu werden. Der Wagen war tiefergelegt und mit Leichtmetallfelgen sowie Slicks bestückt. Die Rückscheibe war getönt und die Windschutzscheibe fast zur Hälfte mit einer Folie verdunkelt. Im Inneren konnte Lennon drei Personen ausmachen, die alle Fußballtrikots der Rangers trugen.
Kurz überlegte er, ob er lieber wieder unauffällig sein Bein in den Audi ziehen und die Tür zumachen sollte, aber dazu war er zu wütend. Er sah die drei Gestalten aus dem Peugeot steigen. Sie trugen Turnschuhe und Trainingshosen, genau wie der Junge, dessen Leiche Lennon erst kürzlich, kaum einen Kilometer von hier entfernt, untersucht hatte. Trotzdem hätte es ebenso gut auf einem anderen Planeten sein können, denn in Wahrheit war der tote Junge diesen Halbstarken nicht weniger fremd als einer Spinne ihre Beute. Und das, obwohl sie sich ähnlich kleideten und die gleiche Sprache sprachen. Nur die Oberteile hatten eine andere Farbe, das war alles.
Der Fahrer war auch der Anführer. Auf ihn konzentrierte Lennon sich.
»Du da«, sagte der Fahrer.
Seine Freunde flankierten den Audi und spähten im Vorübergehen hinein. Lennon schwieg.
»Hast du dich verfahren?«, fragte der Fahrer.
»Nein.«
»Was machst du dann hier?«
»Nichts Besonderes«, sagte Lennon.
Die Freunde des Fahrers hatten das Heck des Audis erreicht. Einer von ihnen beugte sich über den Kofferraum und fuhr auf der Suche nach der Entriegelung mit den Händen an der Klappe entlang.
»Wo bist du her?«, fragte der Fahrer.
»Von woanders«, antwortete Lennon. »Sag deinem Freund, er soll die Finger von meinem Wagen lassen, sonst poliere ich ihm die Fresse.«
»Wie bitte?«
Der Fahrer schnaubte verächtlich. »He, Darren. Komm mal her.«
Lennon ließ eine Hand unter sein Jackett gleiten und löste den Druckknopf des Halfters.
Vom Heck des Audis kam Darren angezockelt. Er war groß, vierschrötig und schweinsäugig, hatte rote Backen und trug einen Bürstenhaarschnitt. »Was ist?«
Der Fahrer zeigte auf Lennon. »Der da sagt, der poliert dir die Fresse, wenn du seine Karre nicht in Ruhe lässt.«
Darren legte eine Hand auf das Dach des Audis und beugte sich zu Lennon hinab. Sein Atem roch nach dem billigen, gepanschten Wein. »Noch mal.«
»Nimm deine dreckigen Pfoten von meinem Wagen, sonst poliere ich dir die Fresse«, sagte Lennon. »Dir und deinen Kumpels. Und jetzt verpisst euch.«
»Deinem Wagen?«, fragte Darren. Er zog ein Messer aus der Tasche. »Das ist mein Wagen. Also steig gefälligst sofort aus, du Arsch.«
Blitzschnell umklammerte Lennon mit der linken Hand Darrens Handgelenk, während seine Rechte ihm die Glock 17 ans Kinn drückte. Er hatte sie in dem Moment gezogen, als der Fahrer seinen Freund herbeigerufen hatte.
»Messer fallen lassen, du dämlicher, fetter Hohlkopf«, befahl er.
Eine warme Flüssigkeit spritzte gegen Lennons Fußgelenk, und auf Darrens Trainingshose breitete sich ein dunkler Fleck aus. Das Messer schepperte in den Rinnstein und verschwand unter dem Audi. Der Fahrer rannte in Richtung Peugeot davon. Der dritte Jugendliche rief ihm nach: »Was …? Was ist denn los?«
Stotternd sprang der überforderte Motor des Peugeots an, und mit quietschenden Reifen versuchten die Insassen, seine Leistung auf den Asphalt zu bringen. Der Wagen machte einen Satz vom Rinnstein. Lennon sah ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war.
Darren flennte. Der andere Jungspund kam näher, sah die Pistole und rannte weg, als wäre der Teufel hinter ihm her.
»Tja, jetzt sind wohl nur noch wir zwei übrig«, sagte Lennon.
Darren winselte. Er stank nach altem Schweiß und frischen Urin.
»Du und deine Kumpels«, sagte Lennon, »ihr würdet euch doch als Loyalisten bezeichnen, oder?«
Darren antwortete nicht. Lennon drückte die Mündung der Glock noch fester in die schwammige Haut unter dem Kinn des Jungen.
»Rede.«
»Ja«, fiepte Darren.
»Komisch«, sagte Lennon. »So loyal scheinen deine Kumpels aber gar nicht zu sein. Jetzt erzähl mir mal, wem gegenüber du loyal bist.«
Aus Darrens Nase tropfte Rotz auf Lennons Ärmel. Lennon versenkte die Pistolenmündung so tief in das Fleisch, dass sie gegen die Luftröhre drückte und der stämmige Halbstarke husten musste.
»Rede.«
»Weiß nicht«, antwortete Darren krächzend.
»Bist du loyal deinen Freunden gegenüber? Oder deiner Familie? Deinen Nachbarn?«
»Weiß nicht«, krächzte Darren erneut.
»Arschlöchern, wie du selbst eins bist. Ihr beklaut eure eigenen Leute, ihr macht ihnen Angst und sorgt mit euren ganzen beschissenen Drohungen und Einschüchterungen dafür, dass sie die Klappe halten. Euch ist doch alles scheißegal. Hauptsache, ihr könnt die großen Macker markieren, euch die Taschen vollstopfen und eure eigenen Leute schröpfen. Und ihr könnt euch nur deshalb noch Loyalisten nennen, weil die Pisser, die euch eigentlich unter Kontrolle halten sollten, weder den Verstand noch den Mumm dazu haben. Und dann fragen sich die Leute doch tatsächlich noch, warum die Republikaner euch die ganzen Jahre über das Wasser abgegraben haben.«
»Bitte«, wimmerte Darren.
»Bitte was?«
»Bitte erschießen Sie mich nicht.«
In Lennons niedersten Instinkten fochten Mitleid, Abscheu und Wut miteinander. »Nenn mir auch nur einen guten Grund.«
Darren klappte den Mund auf und wieder zu und versuchte fieberhaft irgendeinen Grund zu finden, egal welchen, der ihm das Leben retten konnte. »Es … es tut mir leid«, winselte er und zog dabei eine Schnute wie ein Kind, das unbedingt seiner Strafe entgehen will.
»Was tut dir leid?«, fragte Lennon
»Weiß ich auch nicht«, sagte Darren.
Lennon lachte kurz und trocken auf. »Nur euch Arschlöchern ist es doch zu verdanken, dass es hier keinen mehr gibt, der zu den Cops laufen und die Wahrheit sagen könnte. Keiner sieht was, keiner hört was. Weißt du, was das bedeutet?«
Darren schüttelte, so gut es ging, den Kopf und zitterte dabei wie Espenlaub. Sein ganzes Gewicht schien inzwischen auf dem Handgelenk zu liegen, das Lennon umklammert hielt. Bald würden ihm die Beine versagen, das spürte Lennon.
»Es heißt, dass ich problemlos dein Spatzenhirn über die Mauer da drüben verteilen könnte, und kein Schwein würde je davon erfahren. Kein Mensch ist noch da, der es sehen oder hören könnte. Und glaubst du wirklich, deine Kumpels würden ihren Hals riskieren und zur Polizei rennen?«
Darren zog einen Rotzfaden hoch. »Nein«, sagte er. Sein Körper kippte nach vorne, und Lennon schob ihn zurück.
»Verschwinde, aber schnell.«
Darren taumelte zurück, bis er an der Mauer war. Japsend und mit weit aufgerissenen Augen starrte er Lennon an.
»Also los, verpiss dich schon«, rief Lennon und steckte die Glock ein.
Darren machte sich davon, erst noch zögerlich, bald aber schon immer schneller. Als er ein paar Meter weit weg war, duckte er den Kopf und rannte so schnell, wie sein massiger Körper es ihm erlaubte. Weit kam er nicht, dann stolperte er schon und schlug mit dem Gesicht voraus auf den Bürgersteig. Lennon verzog das Gesicht, als er sah, wie der Junge sich übergab. Dann rappelte Darren sich wieder hoch und taumelte weiter.
»Du Arschloch«, murmelte Lennon, als der Junge schließlich um die Ecke bog. »Du bescheuertes, dämliches Arschloch.«
Er wusste selbst nicht genau, ob er damit Darren meinte oder sich selbst.