Die Religion des Mani

Eine Auflistung der wichtigsten Konkurrenz der entstehenden Großkirche wäre nicht vollständig ohne den Manichäismus. Diese Religion verband Einflüsse der Gnostik, des Buddhismus, des Zoroastrismus und des Christentums zu einer eigenen Botschaft.

Der Perser Mani sah sich in der Nachfolge Christi, Zoroasthras und Buddhas.

Mani wuchs im 3. Jh. in Persien auf, im zoroastrisch geprägten Reich der Sassaniden; das wesentliche Element, das der spätere Religionsstifter diesen Überzeugungen entnehmen sollte, war der Licht-Finsternis-Dualismus. Die Lehre des Mani wird häufig auch als Lehre von den zwei Naturen (Prinzipien, Substanzen) bezeichnet. Der polare Aufbau allen Seins ist eine Vorstellung, die sich ausgezeichnet mit der alltäglichen Lebenserfahrung verbinden lässt; heute ist das Yin-Yang-Symbol populär geworden, das für genau dieses Prinzip steht.

Das Umfeld des jungen Mani war indes judenchristlich geprägt. Bereits mit 12 Jahren erschien ihm erstmals sein von Gott gesandter Gefährte und offenbarte ihm bis zu seinem 24. Lebensjahr „all das, was war und sein wird, all das, was die Augen sehen, die Ohren hören und der Gedanke denkt“.

Mani verband vier Denkweisen von Weltgeltung zu seiner eigenen Religion.

Beseelt von seiner Aufgabe brach Mani nach China auf und ließ sich von den Lehren des Buddhismus inspirieren. Er selbst sah sich als Nachfolger der großen Propheten Jesus, Zarathustra und Siddharta Gautama und interessierte sich sehr für gnostische Ideen. Folgerichtig wurde seine Religion, die sich im 4. Jh. in Persien rasch auszubreiten begann, im Mittelmeerraum als „Kirche des heiligen Geistes“ bezeichnet und Mani selbst als der verheißene Paraklet angesehen, eine Art göttlicher Beistand, der in schwierigen Zeiten als „heiliger Anwalt“ auftritt. (Die biblischen Parakleten-Prophezeiungen wurden im Koran als Hinweise auf Mohammed verstanden. In anderen Weltgegenden wurde Mani als Wiedergeburt des Lao-Tse betrachtet oder auch als neuer Buddha.)

Zwei Seiten aus dem Kölner Mani-Codex, der wichtigsten Quelle für die Vita des Religionsstifters. Es ist der kleinste Codex der Welt (3,5 × 4,5 cm), da zu seinen Gebrauchszeiten im 5. Jh. die Manichäer bereits Verfolgte waren und er leicht zu verstecken sein musste. Universität Köln, Papyrologie.

Manis radikale Sicht der Dinge sah in etwa so aus: Das Leben ist ein ewiger Kampf von Licht und Finsternis, wobei zum gegenwärtigen Zeitpunkt Anteile des einen im anderen eingemischt sind. Das letztliche Ziel, die völlige Trennung der beiden Substanzen, um im reinen Licht aufgehen zu können, kann nur durch strikte und absolute Vermeidung von allem erreicht werden, das Finsternis in sich birgt: Geschlechtsverkehr sowie das Verletzen von Menschen, Tieren und sogar Pflanzen. Das bedeutet, dass die strengen Manichäer (die „Auserwählten“) weder in der Lage waren, sich fortzupflanzen, noch sich zu ernähren – selbst das Pflücken eines Apfels wäre bereits ein Akt der Finsternis gewesen.

Es brauchte daher für die Notwendigkeiten des Überlebens noch die „Hörer“, die die „Siegel“ des Mundes (Verbot von Fleisch, Blut, Wein und Früchten), der Hände (Verbot der Berührung mit der Hand außer zur Begrüßung) und der Enthaltsamkeit, denen sich die „Electi“, die Auserwählten, verschrieben hatten, lediglich an Sonntagen befolgen sollten. Diese „zweitklassigen“ Manichäer mussten darauf warten, in einem späteren Leben zu den Electi zu gehören; woraus ersichtlich wird, dass der erfolgreiche Religionsstifer Mani auch die Seelenwanderung predigte.

Mani hatte enormen Zulauf zu verzeichnen. Frühzeitig hatte er begonnen, seine Lehren aufzuschreiben, um spätere Schismen und Überlieferungsirrtümer zu vermeiden und von Anfang an für eine Verbindlichkeit über die Sprachgrenzen hinweg zu sorgen.

Der Manichäismus war praktisch in der gesamten antiken Welt vertreten: Er gelangte von Spanien bis China – Letzteres auch deshalb, weil das Christentum nach seiner fortschreitenden Etablierung als Staatsreligion im 4. Jh. mit der systematischen Zurückdrängung der manichäischen Konkurrenzreligion begann. Zum Teil schlich sich aber wohl dennoch manichäisches Gedankengut ins Christentum ein: Kirchenvater Augustinus war zehn Jahre lang Hörer der Manichäer gewesen, bevor er über den Umweg des Skeptizismus und des Neuplatonismus zum Christentum gelangte. Seine stark dualistisch geprägte Schrift vom Gottesstaat und seine ausgeprägte Sexual- und Leibfeindlichkeit sollen nach Ansicht mancher Forscher manichäische Wurzeln haben.

Ist Augustinus' Sexualfeindlichkeit manichäischen Ursprungs?

Seinen größten Erfolg konnte die synkretistische (lehrenverbindende) Religion im Jahre 762 verbuchen: Gerade in ihrer absoluten Hochblüte erklärten die Uiguren den Manichäismus zur Staatsreligion. Das heute etwa acht Millionen Menschen umfassende, großteils in China ansässige Turkvolk beherrschte damals ein völlig vergessenes Riesenreich, das sich über die gesamte heutige Mongolei und weiter in den Westen bis zum Aralsee erstreckte, im Süden Tibet einschloss und im Osten bis fast nach Peking reichte.

Manichäische Miniaturmalerei, Kocho, Zentralasien. Vorne die hinduistischen Gottheiten Ganesha, Vishnu, Brahma und Shiva. Dahinter ein hoher manichäischer Geistlicher. Vielleicht eine Darstellung des Jenseitsgerichts. Museum für indische Kunst, Berlin.

Die Gründe für die Anziehungskraft des Manichäismus können aus heutiger Perspektive nicht mehr restlos geklärt werden; sicher hat die Einheitlichkeit in Lehre und Auftreten dazu beigetragen, begleitet von einer großen Anpassungsfähigkeit ihrer Schrift – anders als bei den Christen musste man für das Studium der heiligen Texte nicht Lateinisch oder Griechisch können. Manis Worte wurden erfolgreich in andere Sprachen und Kulturen transferiert, vom westeuropäischen Christentum bis zum fernöstlichen Buddhismus.

Nach der Vertreibung des Manichäismus aus den christlichen Kernlanden, die im Laufe des 5. Jahrhunderts abgeschlossen werden konnte, wurde der Begriff zur abwertenden Bezeichnung umgedeutet: Als ketzerisch eingestufte Gruppen mussten sich „Manichäer“ schimpfen lassen. Meist hatten die Vorstellungen dieser „Manichäer“ wenig bis gar nichts mit Manis Lehre zu tun; darum ging es auch nicht. Es bezeichnete einfach Streiter für einen aus der Sicht der „rechtgläubigen“ Kirche häretischen Standpunkt. Auch Luther wurde als „Manichäist“ verunglimpft.

Aus der Religionsbezeichnung wurde ein Schimpfwort.

Bevor jedoch die Manichäer vertrieben werden konnten und eine ganze Religion zum Schimpfwort verkam, musste die Christenheit erst selbst zu einer institutionalisierten Einheit – einer Kirche – finden, deren äußeres verbindliches Zeichen eine einheitliche Schrift sein würde. Dafür galt es, den schwersten inneren Konflikt in der gesamten christlichen Geschichte zu überstehen, den

Die Un-Heilige Schrift
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