Das Konzil von Nicäa
Rund 2.000 Theologen, Bischöfe, Presbyter und Diakone vorwiegend aus dem griechischsprachigen Ostraum der christlichen Kirche folgten der Einladung Kaiser Konstantins zum ersten ökumenischen Konzil der Christenheit seit dem Apostelkonzil in Jerusalem im Jahre 48. Damals waren die Grundsatzentscheidungen für die Mission unter Heiden und die Taufe als ausreichendem Aufnahmekriterium in die christliche Glaubensgemeinschaft gelegt worden – d. h., das Beschneiden war für unnötig erklärt worden.
Knapp 300 Jahre später sollte der fundamentale Streit zwischen Arianern und Trinitariern entschieden werden, der drohte, die Kirche zu spalten und die pax romana, den Frieden im römischen Imperium, zu gefährden.
Konstantin trat vermittelnd auf – und scheiterte.
Konstantin versuchte von Anfang an, vermittelnd einzugreifen: Sein Kurs war klar auf Versöhnung ausgerichtet, obwohl vom Ausgang des theologischen Disputes auch seine eigene Position beeinflusst war. Konstantin galt ja wie alle römischen Kaiser seit 300 Jahren als lebendige Gottheit; wäre also entschieden worden, dass Jesus nur Gott ähnlich sei, hätte man ihn Konstantin unterordnen müssen. Wäre er aber Gott selbst bzw. Gott gleich, hätte Konstantin sich mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügen müssen.
Nach wie vor galt: Politik und Religion waren untrennbar miteinander verwoben. Pragmatischer, realpolitischer formuliert ging es darum, wer aus der Sache als moralischer Sieger aussteigen würde: Jahrhundertelang war die Christenheit von den Römern brutalst unterdrückt worden – und stand jetzt kurz davor, über die bloße Duldung hinaus zur Staatsreligion zu werden. Dieser Umschwung ging so rasch vonstatten, dass am Konzil von Nicäa auch einige verstümmelte Teilnehmer zugegen waren – sie trugen die sichtbaren Spuren der gerade 15 Jahre zurückliegenden staatlichen Verfolgung.
Politik und Religion waren untrennbar miteinander verbunden.
Eine Vereinnahmung des Christentums unter kaiserlicher Oberhoheit (arianischer bzw. nichttrinitarischer Triumph) wäre wohl als totale Niederlage der Christenheit empfunden worden: vom Geprügelten zum Diener; umgekehrt hätte eine trinitarische Entscheidung zwar an der etwas schiefen Optik, dass die noch vor allzu kurzer Zeit Verschmähten plötzlich in Gnade gefallen seien, auch nichts geändert, aber da in diesem Fall Jesus die Nummer 1 geworden wäre, hätten die Stellvertreter Jesu fortan die Regeln bestimmt und damit über kurz oder lang den Sieg in jeder Form für sich beanspruchen können.
Konstantin selbst sah die Sache weitaus pragmatischer, denn obschon ihm an einer proarianischen Entscheidung gelegen haben dürfte, mischte er sich in die theologischen Dispute nicht ein. Er selbst glaubte an Sol Invictus, den unbesiegbaren Sonnengott.
Das Konzil von Nicäa endete am 25. Juli 325 und brachte als Ergebnis das seither – seit beinahe 1.700 (!) Jahren – in den bedeutendsten christlichen Kirchen maßgebende nicäische Glaubensbekenntnis hervor. Darin ist von homo-ousios, Wesensgleichheit, die Rede. Jesus ist (ein) Gott. Glauben Sie daran …
Konstantin präsentiert das Konzilsresultat: das nicäische Glaubensbekenntnis.
Die Trinitarier hatten sich mit einer raffinierten Strategie durchgesetzt: Der arianische Vorwurf, den Eingottglauben zu untergraben, wurde von ihnen in einen Bumerang verwandelt. Wenn Jesus und Gott nur ähnliche Wesen seien, beide aber verehrt würden, seien es gerade die Arianer, die einem Polytheismus huldigten.
Arius’ Schriften wurden verbrannt, seine Lehre als Häresie verworfen, er selbst verbannt und exkommuniziert. Seine dem Konzil zum Trotz immer noch zahlreichen Anhänger und einflussreichen Freunde erreichten aber eine Aufhebung der Verbannung bereits 3 Jahre später. Für die römisch-katholische Kirche mochte eine Entscheidung gefallen seien, in Wahrheit hörten die Streitereien nie mehr auf. Etliche christliche Konfessionen von den historischen Ebioniten bis zur Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (größte Untergruppe der Mormonen), Persönlichkeiten von Constantius II., Kaiser Konstantins Sohn und römischer Kaiser bis 361, über Giordano Bruno, John Locke, Isaac Newton, Leo Tolstoj bis zu Herbert W. Armstrong, dem Begründer der Weltweiten Kirche Gottes, dachten antitrinitarisch. Innerhalb der einheitlichen Ablehnung der Dreieinigkeit existierten und existieren sämtliche Schattierungen an Göttlichkeit Jesu – vom Beinahe-Gott bis zum ganz und gar menschlichen Propheten. Glauben Sie also, was Sie wollen, Sie sind in jedem Fall in – Gesellschaft.
Eusebius von Caesarea, der "Vater der Kirchengeschichte", war glühender Arianer, bevor er das nicäische Glaubensbekenntnis unterzeichnete, ohne je daran zu glauben.
Die entschiedene, aber ungeklärte Grundsatzfrage bildet auch den Kern der über Jahrhunderte unversöhnlichen Haltung zwischen der christlichen Kirche und dem Islam; mehr dazu im Kapitel „Jesus hinterlässt Spuren“.
Kaiser Konstantin war auf der ganzen Linie gescheitert – der erhoffte Kirchenfriede, von dem die so wichtige Stabilität im Reich abhing, trat nicht ein. Seine eigene Gespaltenheit mag dazu beigetragen haben: Er verbannte einige Jahre später Athanasius, einen der wichtigsten Vertreter des Trinitarismus, und ließ sich vom Arianer Eusebius von Nikomedia taufen; sein Sohn setzte diese Linie fort, Trinitarier und Arianer wechselten sich auch in der kaiserlichen Erbfolge ab.
Eine faktisch wirksame Entscheidung fiel erst im nächsten Konzil: 381 in Konstantinopel. Dort wurden die Ergebnisse von Nicäa bestätigt, mit der Rückendeckung des berühmten Ediktes Cunctos Populos des letzten gesamtrömischen Kaisers Theodosius I., mit dem dieser das Christentum im Jahr zuvor de facto zur Staatsreligion erklärt hatte.
Die Christenheit war nun – im schlechtesten Sinn des Wortes – befriedet: Eine Streitfrage des Glaubens war mit politischer Macht beantwortet worden.