Das Buch Judit

Die Bedeutung des Buches besteht darin, dass sowohl die entartete heidnische Weltmacht als eine übergeschichtliche Wirklichkeit wie auch die Glaubenshaltung des bedrängten Gottesvolkes in Anfechtung und Bewährung deutlich vor Augen gestellt werden. (Kommentar zum Buch Judit, Einheitsübersetzung.)

Ein beachtenswerter Versuch, das Geschehen als besonders erhaben darzustellen – schließlich wurde es sogar in die katholische Bibel aufgenommen. Und Judit beruft sich auch wirklich bei jeder Gelegenheit auf Gott. Dennoch ist das Ganze nicht mehr als ein „Gschichtl“ – mit allerdings sehr beachtlichem Kultpotenzial.

Die Story: König Nebukadnezar erringt einen Sieg gegen ein benachbartes Königreich und wird vom Siegestaumel übermannt. Er beschließt, er sei der Größte überhaupt, und werde alle anderen unterwerfen. Die Drecksarbeit überlässt er natürlich anderen, namentlich Holofernes, seinem Heerführer.

Judit köpft Holofernes. Artemisia Gentileschi, 1612–21

Dieser zieht also los und eilt von Sieg zu Sieg, mit der Zeit unterwerfen sich ihm die nächsten potenziellen Opfer schon in vorauseilendem Gehorsam. Das geht so lange gut, bis er auf das Volk Israel im Lande Juda trifft. Holofernes holt zunächst Erkundigungen ein und erfährt von einem gewissen Achior, welcher Art diese Leute sind: Entweder unbesiegbar oder selbst schon gestraft genug, je nachdem ob sie gerade in ihres Herrn Gnade stehen oder sich an ihm versündigt haben. Er rät dem Holofernes, sich nach dem aktuellen Stand der Dinge zu erkundigen und im Falle, dass die Juden Gottes Wohlwollen genießen, von einem Angriff abzusehen.

Holofernes kann auf solch ein Gerede natürlich nichts geben, da er sich andernfalls der vollkommenen Lächerlichkeit preisgeben würde, und lässt Achior abführen und in jüdischem Gebiet an einen Baum binden. Dort wird er von Juden der Stadt Betulia gefunden, die von ihm mancherlei geheimdienstliche Information erhalten – mit besten Grüßen von Holofernes, der sich in dieser Sache reichlich ungeschickt verhalten hatte.

Nichtsdestotrotz belagert er die Stadt mit „hundertzwanzigtausend Mann Fußtruppen und ein(em) Aufgebot von zwölftausend Pferden und Reitern“, die Wasserzufuhr wird unterbrochen und nach 20 Tagen sind die Einwohner von Betulia so ziemlich am Ende. Auftritt Judit.

Zum Zeitpunkt der Ereignisse ist Judit bereits über drei Jahre Witwe, hält sich aber immer noch streng an die Gebote:

Sie fastete, seit sie Witwe war, alle Tage, außer am Sabbat und am Vortag des Sabbats, am Neumond und am Vortag des Neumonds und an den Festen und Freudentagen des Hauses Israel. Sie hatte eine schöne Gestalt und ein blühendes Aussehen. Ihr Gatte Manasse hatte ihr Gold und Silber, Knechte und Mägde, Vieh und Felder hinterlassen, die sie in ihrem Besitz hielt. Niemand konnte ihr etwas Böses nachsagen; denn sie war sehr gottesfürchtig. (Einheitsübersetzung)

… und war bekleidet mit einem Sack und fastete täglich, außer an den Sabbaten, Neumonden und anderen Festen des Hauses Israel. Und sie war schön und reich und hatte viel Gesinde und Höfe voll Ochsen und Schafe. Und hatte ein gutes Gerücht bei jedermann, dass sie Gott fürchtete; und konnte niemand übel von ihr reden. (Lutheranische Übersetzung)

Judit beschließt, es darauf ankommen zu lassen, und begibt sich in Gottes Hand für einen wagemutigen Plan, der einer Mata Hari würdig gewesen wäre. Sie zieht alle Register in Sachen reich und schön und geht, ausstaffiert wie auf dem Heiratsmarkt, ins feindliche Zeltlager. Berückt von ihrer blendenden Erscheinung wird sie tatsächlich zum Heerführer Holofernes vorgelassen, dem sie sich als gottergebene Überläuferin präsentiert: Ihr Volk sei ohnehin verloren, weil es von Gott abgefallen sei, daher werde sie Holofernes einen Weg zeigen, ohne eigene Verluste die Stadt einzunehmen.

Judit und Holofernes. Jan Massys, 1575

Judit muss wirklich eine geradezu magisch betörende Schönheit gewesen sein, denn Holofernes glaubt ihr nicht nur jedes Wort, sondern gestattet ihr sogar, an ihrem Glauben festzuhalten. Judit isst nur, was ihre mitgebrachte Dienerin ihr zubereitet, und geht die nächsten drei Tage, in der sie erstaunlicherweise von Holofernes in Ruhe gelassen wird, zweimal täglich zu einer rituellen Waschung.

Am vierten Tag schließlich lädt der mächtige Heerführer die schöne Judit zu einem Gastmahl ein; beide sehen ihre Chance gekommen:

Judit legte ihr bestes Kleid und ihren ganzen Schmuck an. (…) Holofernes aber war über sie ganz außer sich vor Entzücken. Seine Leidenschaft entbrannte, und er war begierig danach, mit ihr zusammen zu sein. Denn seit er sie gesehen hatte, lauerte er auf eine günstige Gelegenheit, um sie zu verführen.

An dieser Stelle darf man sich ruhig fragen, warum Holofernes das nicht bereits längst getan hat: Ein Führer einer über hunderttausend Mann starken Armee und eine allein stehende Frau sollten doch für ausreichend klare Machtverhältnisse sorgen.

War er womöglich gar kein durch und durch bösartiger Eroberer, sondern im Herzen ein echter Gentleman, der sich angesichts einer Traumfrau seiner guten Kinderstube besann? Oder scheute man einfach davor zurück, die pikanten Einzelheiten von Judits Verführungskunst den Lesern zuzumuten – im Unterschied zu den Stück für Stück abgehackten Einzelteilen der gemeuchelten Brüder in den Makkabäer-Büchern?

Spekulationen jeder Art sind gestattet – es handelt sich um eine rein fiktive Geschichte. In der nun der Showdown ansteht – und der ist dem unbekannten Autor gründlich misslungen. Was geschieht? Judit ist also beim Gastmahl und macht auf Geheiß auf fröhlich. Alle anderen Anwesenden amüsieren sich ebenfalls prächtig, es wird reichlich gegessen und getrunken. Irgendwann gehen dann alle und Judit sitzt allein mit ihrer Magd im Zelt des Holofernes. Damit auch wirklich niemand Zeuge wird, wie Judit mit Gottes Hand agiert, schickt die schöne Frau ihre Dienerin auch noch hinaus.

Judit mit dem Haupt des Holofernes (zerstört). Gustav Klimt, 1901. Reproduktion © The Yorck Project

Erstaunlich genug, dass Holofernes keinerlei Wachen bei sich hatte – immerhin befand er sich ja im Krieg. Größenwahn? Leichtsinn? Dummheit? Was auch immer, weitaus unverständlicher sein Verhalten während des Festes: Wir erinnern uns, selbst die Bibel spricht von brennender Leidenschaft und Begierde, nachdem er bereits drei Tage und Nächte lang diese so verdammt gut aussehende Judit zum Greifen nahe hatte, aber doch nicht haben konnte oder wollte oder wie auch immer. Jetzt endlich ist es soweit und was macht dieser Tor? Er besäuft sich! Bis zur Besinnungslosigkeit!

So unverständlich das auch sein mag, so steht es geschrieben. Holofernes liegt schnarchend und nach Wein stinkend auf seinem Bett und Judit ergreift die Gelegenheit beim Schopf. Buchstäblich, denn das ist erforderlich, um den Hals des Holofernes schön freizulegen. Dann hackt sie ihm mit einem bereitliegenden Schwert den Schädel ab, steckt diesen in einen Sack, trifft ihre Dienerin und hat – da muss wirklich die Vorsehung die Hand im Spiel gehabt haben – auch noch das perfekte Timing auf ihrer Seite: Gerade ist die Stunde, in der sie die letzten drei Tage stets zu ihrer ersten rituellen Waschung aufgebrochen war. Daher erregt ihr Spaziergang aus dem Lager keinerlei Aufmerksamkeit. Unbehelligt kehrt sie nach Betulia zurück.

Dort präsentiert sie stolz ihre Beute, das Haupt des Holofernes, was Achior dazu veranlasst, spontan zum Judentum zu konvertieren und sich beschneiden zu lassen. Sie überredet ihre Landsleute zu einem Ausfall und prophezeit einen sicheren Sieg: Sobald die Feinde die kopflosen Überreste ihres Anführers entdeckten, würde sie Panik ergreifen. Genauso geschieht es dann auch – ungeachtet der Tatsache, dass das feindliche Heer auch ohne Holofernes mindestens zehnfach überlegen und die Belagerten halb verdurstet und ausgehungert waren.

Waren eben echte Helden bzw. standen sie unter Gottes Schutz. Allen voran Judit, die nach diesen Ereignissen noch unzählige Jahre in Keuschheit lebte, nie wieder einen Mann nahm und bis über ihren Tod hinaus mögliche Feinde davon abhielt, in Israel einzufallen, so sehr strahlte ihre Symbolkraft.

Alles schön und gut, als Handlungsgerüst für einen historischen Roman, ausbaufähig und verbesserungswürdig, sicher auch ein spektakulärer Stoff für eine Verfilmung – weibliche (Action-) Helden sind gerade im Moment besonders gefragt. Aber als Teil einer „Heiligen Schrift“? Das Rabbinertum sah das wie erwähnt anders und dachte nicht daran, die Judit-Erzählung in ihren Kanon aufzunehmen. Der Vulgata-Übersetzer Hieronymus tat es, Luther mochte die Geschichte nicht als gleich inspiriert ansehen wie die von ihm als wirklich kanonisch eingestuften Schriften, gleichwohl übersetzte er sie.

Nicht zu leugnen ist jedenfalls, dass die Story von Judit und Holofernes die Christenheit durch die Jahrhunderte begleitete – was auch nicht weiter verwundert angesichts der gehörigen Portion Sex and Crime, die sie enthält: Die Gelegenheiten, mit katholischem Segen schöne Frauen in anzüglichen Situationen zu malen, waren spärlich gesät. Vor allem im Barock war das Judit-Sujet äußerst beliebt; dramatische Bearbeitungen sind z. B. von Friedrich Hebbel bekannt bzw. von Johann Nestroy, der eben diese Fassung parodierte.

Judit steht für die Gefahren durch die Waffen der Frau.

Aus priesterlicher Sicht mag der Umstand interessant gewesen sein, dass die Geschichte nur zu deutlich auf die Gefahren der „Waffen der Frau“ hinweist: Die von Judit in Holofernes geweckte Geilheit macht ihn zum blinden, wehrlosen Opfer. Mit diesem Geschlechterkampf-Klischee spielt wohl auch Judith Holfelder von der Tann, Leadsängerin der Popgruppe „Wir sind Helden“, die sich als Künstlerin Judith Holofernes nennt. Sie erzählt in einer Selbstdarstellung die Geschichte so: „Der Name Holofernes ist nicht ganz unbelastet. Frau Holofernes hat seinerzeit Judäa belagert, dann ungeschützten Sex mit dem Statthalter gehabt und, nachdem sie gekommen war, ihr Steiftier getötet.“ Eine etwas andere Version, zugegeben – aber da die ganze Sache von Haus aus reine Fiktion ist, spricht auch nichts gegen die fantasievolle Schaffung neuer Fiktion.

Die Un-Heilige Schrift
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