Entstehungsgeschichte der Bibel
Um Christi Geburt befand sich die jüdische
Gesellschaft in einer Zeit des Umbruchs, geprägt von messianischer
Heilserwartung und dem Bestreben, die römische Herrschaft
abzuschütteln.
Die Grundlage der Gesellschaft bildete das Gesetz – die mosaischen
Regeln und zahlreiche weitere (prophetische) Schriften, die seit
rund 800 Jahren aufgezeichnet wurden. Darin wird mehrfach der
Begriff „Messias“ verwendet, und zwar immer in Verbindung mit
entweder den Königen von Israel oder dem Hohepriester. „Messias“
bedeutet nichts anderes als „der Gesalbte“; obligatorisch mit dem
Zusatz „von Gott“. (Die Inthronisation eines Königs war von einer
rituellen Salbung begleitet.) Der Begriff erfuhr allerdings ab dem
1. Jh. v. Chr. einen Bedeutungswandel vom Ehrentitel zur
Bezeichnung einer ersehnten Rettergestalt; Belege dafür finden sich
in einigen Qumran-Schriften und in den Psalmen Salomos.
Zur Zeit Christi war Palästina ein besetztes Land.
Die Rettergestalt war auch bitter nötig: Nach jüdischem Verständnis war die römische Besatzung gleichbedeutend mit Gottlosigkeit, weil sie es verunmöglichte, nach dem Gesetz zu leben. Nach diesem war Gott die oberste und einzige Autorität; das Jesus-Wort: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ wurde nicht anders verstanden als: Nichts für den Kaiser – alles für Gott. Diese Einstellung war freilich nur sehr schwer durchzuhalten: Das Volk war politisch, ökonomisch und religiös massiv unterdrückt.
Während die Priester (die den Römern freundlich gesonnenen Sadduzäer) versuchten, sich mit den Besatzern zu arrangieren und brav ihre Steuern zahlten, gärte es im Volk wie auch in der Sadduzäer-Opposition in allen Schichten. Pharisäer, Zeloten, Essener, Sikarier oder Chassidim hießen philosophische, fromme, nationalistische oder militante Gruppen, die der gemeinsame Feind Rom mehr oder minder auf eine Seite stellte; ihre Uneinigkeit untereinander blieb davon unberührt.
Um 70 n. Chr. hatte sich schließlich eine gewisse jüdische Sekte in ihrer Auslegung des Gesetzes so weit von ihren mosaischen Wurzeln entfernt und dabei eine so große Bedeutung erlangt, dass eine Spaltung unvermeidlich wurde. Die etablierte Priesterschaft suchte nach einem großen gemeinsamen Nenner, nach einem Fundament ihrer Einheitlichkeit. Die Antwort lag in einer Kultur, in der der Schrift eine nicht überschätzbare Bedeutung beigemessen wurde, auf der Hand: Man benötigte einen Schriftenkanon.