Epilog

 

Den Brief fand Paul O’Brien nach der Mittagspause auf seinem Schreibtisch vor. Er enthielt die Einladung zu einem Vortrag Sir Anthony McKenzies im Saal der Town Hall zum Thema

Verbrechens-Bekämpfung im Wandel der Zeiten.

   Obwohl O’Brien derartige Schreiben meistens gleich in den Papierkorb warf, fühlte er sich aus Höflichkeit Sir Anthony gegenüber zu einer Teilnahme verpflichtet. Nur hatte er keine Lust, allein hinzugehen und bat Jenny, ihn zu begleiten. Doch ausgerechnet an diesem Tag fand eine schon lange geplante Redaktionskonferenz statt, an der sie natürlich teilnehmen musste.

 

Als der Termin gekommen war, machte sich Paul O’Brien ziemlich missmutig auf den Weg zur Town Hall. Bereits im Foyer traf er eine große Menschenmenge an, darunter viele bekannte Gesichter. Vor der Tür des großen Saals in der oberen Etage stockte ihm der Atem: Die rotblonde, hübsche Dame im dunkelblauen Kostüm, die die Gäste empfing, war niemand anderes als Jenny. Wie damals, als die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Inverness an Gordon Bayne verliehen wurde, kam sie wieder auf ihn zu. Doch heute fasste sie ihn lachend an der Hand und führte ihn zu einem Platz in der ersten Reihe und setzte sich neben ihn.

   Paul erinnerte sich an jenen Tag, als genau dort DSupt Gordon Bayne saß und ihm steif und förmlich die Hand reichte. Jetzt nahm Jenny dessen Platz ein. Als sie ihn schalkhaft ansah und fragte, ob ihr die Überraschung gelungen sei, zog er sie an sich und küsste sie, ungeachtet der vielen Leute im Saal.

 

Wie damals ging zuerst ein Murmeln durch die Sitzreihen, dann erfüllten die Klänge von Bagpipes den Festsaal und in prachtvolle Kilts gekleidete Musiker schritten im Gänsemarsch durch den breiten Mittelgang und nahmen auf dem Podium Aufstellung. Auch heute wurden schottische Volksweisen dargeboten und die Zuschauer spendeten reichlichen Beifall, als die Dudelsackpfeifer und Trommler wieder den Saal verließen. Anschließend gab das Polizeimusikkorps Kostproben ihres aus schottischer Tanz- und Marschmusik bestehenden Repertoirs.

   Nun trat Lord Mayor Robert Polson ans Rednerpult und hieß die geladenen Gäste im Namen der Stadt Inverness herzlich willkommen, übergab dann das Wort Sir Anthony McKenzie, dessen kraftvolle Stimme sogleich den riesigen Raum erfüllte. Der oberste Chef des CID sprach zunächst von der bedrohlichen Ausweitung der Kriminalität, die allmählich auch Schottland und den ganzen Norden Europas erreicht hätte und lobte die Leistungen der hiesigen Polizei bei der Verbrechensbekämpfung. Dann zog er eine Bilanz der beachtlichen Erfolge, die das CID Inverness in letzter Zeit vorweisen konnte.

   Nach Beendigung seines eigentlichen Vortrags richtete er seine Blicke auf Paul O’Brien und Jenny Symon. Danach wandte er sich wieder ans Publikum:

 

»Verehrte Anwesende,

unter Ihnen befinden sich eine Frau und ein Mann, deren Mut und Entschlossenheit wir es zu verdanken haben, dass zwei lange gesuchte Mörder endlich dingfest gemacht und ihrer gerechten Strafe zugeführt werden konnten. Sie alle wissen bereits aus den Medien, dass es sich bei einem davon um den ehemaligen Staatsanwalt Henry Forster handelte. Dass dieser Unhold nach seiner schauderhaften Tötungsorgie schließlich gefasst werden konnte, verdanken wir Chief Inspector Paul O’Brien, einem ehemaligen Kriminalbeamten von Scotland Yard, sowie der Journalistin und Lokalredakteurin Jennifer Symon vom Inverness Report. Beide machten sich mit unglaublicher Hartnäckigkeit an die Verfolgung dieser Serienkiller und setzten dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel.

  Ich darf Sie nun bitten, Miss Symon und Mr O’Brien,auf das Podium zu kommen, um als Anerkennung für Ihre Leistungen aus der Hand unseres Lord Mayor Robert Polson die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Inverness, sowie einen Gutschein für einen einwöchigen Urlaub zu zweit in einem 5-Sterne-Hotel auf der Insel Madeira in Empfang zu nehmen.«

 

Die Zeremonie fand unter großem Applaus statt und die so Ausgezeichneten wurden anschließend vom Lord Mayor zu ihren Plätzen zurückbegleitet. Paul O’Brien hatte einen hochroten Kopf, während Jenny Symon schamhaft lächelte, als Mr Polson beiden noch einmal die Hand reichte. Zum Schluss intonierte die Polizeikapelle Amazing Grace und das Publikum summte begeistert mit.

 

Später meinte Jenny: »Es war sehr diplomatisch von Sir Anthony, weder Baynes noch Adams’ Ermordung zu erwähnen. Das hätte möglicherweise Zwischenrufe aus dem Publikum heraufbeschworen.«

   Paul nickte zustimmend. »Ich nehme an, dass Baynes Verwicklung in den mysteriösen Unfall bald in Vergessenheit gerät. Und ich halte es auch für richtig, dass die breite Masse nichts von seiner Veranlagung erfuhr. Das hätte zweifellos dem guten Ruf des CID geschadet, genauso wie Adams’ perverse Machenschaften, an die sich bald kein Mensch mehr erinnern dürfte.«

 

Vor der geplanten Hochzeit wollte Paul endlich Jennys Eltern kennenlernen. Als sie an der Reling der Caledonian McBrayne-Fähre von Uig nach Tarbert standen und den weißen Schaumkronen der Hebridensee zusahen, sagte Jenny:

   »Wundere dich bitte nicht, wenn du feststellst, in welch einfachen Verhältnissen meine Eltern leben. Trotzdem sind wir Symons eine intakte Familie, auch wenn uns kaum Zeit für Sentimentalitäten bleibt. Die ganze Energie meiner Eltern fließt immer noch ausschließlich in die mühsame Erzeugung des Harris Tweed.

 

Ihre Eheschließung fand drei Wochen später vor dem Standesbeamten von Tarbert auf Harris statt. Am Tag darauf wurden sie in der kleinen, aus dem 15. Jahrhundert stammenden und an der Südspitze dieser Insel gelegenen Kirche von Roghadal getraut.

   Paul wurde von den Eltern und Geschwistern Jennys herzlich in die Familie aufgenommen. Er bewunderte die Werkstatt neben dem schlichten Wohnhaus, wo Jennys Eltern auf zwei längst veralteten Webstühlen verschiedenste Kreationen des Harris Tweed produzierten.

   »Das sind hochwertige Stoffe, eigentlich konkurrenzlos wegen ihrer besonderen Strapazierfähigkeit«, erklärte Jennys Vater Samuel. »Leider erzielen wir immer geringere Preise wegen der Billigimporte aus Fernost. Irgendwann wird man die Produktion auf der Insel wohl ganz einstellen müssen.«

   »Immerhin haben Sie es allen Ihren Kindern ermöglicht, ordentliche Berufe zu ergreifen. Jenny ist dafür ein Musterbeispiel.«

   Samuel Symon strahlte. Später erklärte er Paul die Funktion der alten Gerätschaften:

   »Dort am Fenster saß bereits mein Großvater. Sein Webstuhl tut zum Glück auch heute noch seinen Dienst, denn für Neuanschaffungen fehlt uns leider das Geld.«

 

Die Hochzeitsfeier fand gemeinsam mit vielen Freunden und Bekannten im Sgaoth Ard Hotel in Ardhasaig statt, nur einige Meilen nordwestlich von Tarbert gelegen. Auch Jennys ehemalige Kollegin Natalie Grant war eingeladen worden und in Begleitung zweier kleiner Mädchen erschienen.

   »Wirklich reizende Kinder«, befand Paul.

   »Das sind Jessica und Katie Coleman aus Aviemore. Erinnerst du dich nicht mehr?«

   Paul zeigte sich überrascht. »Etwa die Zwillingstöchter von Harry Coleman? Wie kommen die denn auf die Insel?«

   »Mit ihrer Tante Natalie, das ist doch die Witwe des ermordeten Peter McDavid. Sie war meine Kollegin vom Lewis Today in Stornoway, hat die Wohnung in Elgin inzwischen aufgegeben und ist auf ihre Heimatinsel zurückgekehrt. Nach dem Tod ihrer Mutter hat sie das Elternhaus übernommen. Weil sie von der kleinen Witwenrente allein nicht leben kann, verdient sie sich durch Bed&Breakfast ein wenig hinzu.«

   »Ich habe oft an die beiden Mädchen denken müssen und bin wirklich erleichtert, dass sie eine so schöne Heimat gefunden haben. Was haben die armen Kinder durchgemacht! Deren Elternhaus samt Autowerkstatt ist übrigens – wie ich erst kürzlich erfuhr – einem Hotelneubau gewichen.«

 

Später wurde Paul von Jenny an einen Tisch geführt, an dem eine ältere Frau saß. Sie sah Paul nur kurz an und rief dann aus:

   »Sie sind doch der Detective damals in Aviemore – stimmt’s?«

   Paul erkannte die Frau jetzt wieder.

   »Mrs Evelyne Forster, nicht wahr? Sie waren sehr hilfreich gewesen, indem Sie sich um die kleinen Mädchen kümmerten und uns den Wohnort der McDavids verrieten. Ohne Sie wäre vielleicht noch weiteres Unheil geschehen.«

 

Die Eltern Symon hatten dem Hochzeitspaar das kleine Mansardenzimmer hergerichtet, in welchem Jenny ihre Kindheit zusammen mit zwei Brüdern verbrachte. Doch sie wollten die Hochzeitsnacht lieber im Hotel verbringen.

   Nachdem sich die große Gesellschaft aufgelöst hatte, schlug Jenny einen Spaziergang zum West Loch Tarbert vor.

   »Das ist ein bezauberndes Gewässer, ich liebte es früher, von hier aus die Sonnenuntergänge zu beobachten.

 

Noch lange saßen sie am Ufer des dreieckförmigen Atlantikeinschnitts, der das West Loch Tarbert bildet und die Insel Harris von der viel größeren Insel Lewis trennt.

   »Eigentlich der ideale Standort für eine Aquafarm!«, scherzte Paul und beide lachten. Dann deutete Paul nach Südwesten. »Dort irgendwo liegt Madeira. Ich freue mich schon auf unseren ersten gemeinsamen Urlaub!«

   »Ich mich auch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwo schöner sein soll als hier«, sagte Jenny.

   »Ist es auch nicht«, gab Paul zu und strich über Jennys Haar:

   »Tha gràdh agam orti, mo chridhe!«

   (»Ich liebe dich, mein Herz!«)

   »Can a rithiste e!« rief Jenny verwundert.

   (»Sag das noch mal!«)

   »Tha gràdh agam orti, mo chridhe!«

   (»Ich liebe dich, mein Herz!«)

   »Tha fhios agam, a grhràidh! Tha gràdh agad orm. A bheil Ghàidhlig agaibh?«

   (»Ich weiß, Liebling! Du liebst mich. Sprichst Du gälisch?«)

   »Chan eil mòran. Tha mi 'ga h-ionnsachadh.«

   Nicht viel. Ich lerne es noch.«)

 

Noch nie war Jenny so glücklich wie in diesem Augenblick. Paul konnte schon ein paar Worte Gälisch! Das war neben seiner Liebe zu ihr sein schönstes Hochzeitsgeschenk.

 

Es war bereits dunkel geworden, als sie heiter gestimmt wieder im Hotel eintrafen.

Ein mörderisches Komplott
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