Kapitel 35

 

Punkt 9 Uhr wurde Henrik Jörgensson in Handschellen und Fußfesseln von zwei Polizisten in den Conference Room N° 2 des CID geführt, wo ihn bereits Haftrichter Justin Murphy, Oberstaatsanwalt Jim Collins, Detetive Chief Inspector Paul O’Brien, Detective Sergeant Edward Hastings sowie Pflichtverteidiger Gordon Gray erwarteten. Die Pressefotografen mussten draußen bleiben und die Blitzlichter erhellten nur kurz den dunkel getäfelten Raum, bis sich die Türen hinter dem Untersuchungsgefangenen schlossen. Gleich darauf eröffnete der Haftrichter die Sitzung.

 

Haftrichter Justin Murphy:

»Mr Jörgensson, Sie werden verdächtigt, die Morde an George McCallum, Pit McDuff und Michael Farmer begangen zu haben. Geben Sie diese Taten zu? Dann könnten wir die Verhandlung ganz rasch abschließen.«

 

Pflichtverteidiger Gordon Gray:

»Mr Jörgensson hat mich ermächtigt, in seinem Namen zu sprechen. Er fühlt sich in allen drei Fällen nicht schuldig. Er ist einfacher Lastwagenfahrer, der – aus welchen Gründen auch immer – unter diesen schwerwiegenden Verdacht geriet. Ich beantrage daher, meinen Mandanten unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen und ihm vor allem diese lästigen Handschellen abzunehmen.«

 

Oberstaatsanwalt Jim Collins:

»Das steht jetzt noch nicht zur Debatte, Herr Kollege. Ihre Aussage steht im Widerspruch zu den bisherigen Ermittlungen der Kriminalpolizei. Chief Inspector O’Brien, erklären Sie bitte der Verteidigung, was zu der Festnahme des Beschuldigten führte.«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Es existiert ein Foto dieses Mannes, das jedem von uns inzwischen von den Fahndungsplakaten her bekannt sein dürfte. Es wurde in einem Gasthaus in Inverewe aufgenommen und zeigt den Angeklagten, wie er neben dem kurz darauf ermordeten Pit McDuff sitzt, dem er den ganzen Abend nicht von der Seite gewichen sein soll. McDuffs Leiche wurde am darauffolgenden Morgen erschossen in einem seiner Ruderboote aufgefunden. Er wurde bis zuletzt in Begleitung des Beschuldigten gesehen.«

 

Henrik Jörgensson:

»Alles Lügen, ich war ...«

 

Pflichtverteidiger Gordon Gray:

»Lassen Sie mich das besser erklären, Mr Jörgensson! Also, mein Mandant nahm sich an jenem Tag frei, um die dortige Gegend zu erkunden. Bevor er ins Hotel zurückfuhr, verspürte er großen Durst und wollte noch ein Bier trinken gehen. Dabei geriet er in eine zufällig an diesem Abend stattfindende Bürgerversammlung. Er fand Gefallen an den Argumenten des Pit McDuff, der sich vehement gegen die Errichtung einer Lachsfarm wehrte, und setzte sich neben ihn. Ist das ein hinreichender Grund dafür, meinen Mandanten des Mordes zu bezichtigen?«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Das gleiche Foto legten wir dem Gasthaus The Jacobites Inn in Foyers am Loch Ness, sowie dem Prince Charlie Hotel in Glenfinnan vor, wo ebenfalls Protestversammlungen – wieder in Beisein Mr Jörgenssons – stattfanden. Und stets verließ der Beschuldigte zusammen mit einem der kurz darauf ermordet aufgefundenen Männer das Lokal. Das ist doch merkwürdig, nicht wahr?«

 

Jörgensson berät sich kurz mit seinem Verteidiger

 

Pflichtverteidiger Gordon Gray:

»Was kann mein Mandant dafür, wenn in den von ihm besuchten Gaststätten gerade Versammlungen stattfanden. Es war wirklich reiner Zufall, dass auch er an diesen Abenden dort war. Wenn er sich neben den Referenten setzte, dann nur, um ihm dadurch seine Sympathie zu beweisen.«

 

Detective Sergeant Edward Hastings:

»Die Leiche von Michael Farmer wurde vor einer Mülldeponie am Loch Eil abgelegt. Unweit davon entdeckten wir ein Stück Goldpapier, das von einem Schokoladenbonbon stammt. Das Papier trug die Fingerabdrücke des Beschuldigten.«

 

Pflichtverteidiger Gordon Gray:

»Das ist wieder nichts als Zufall und kein Beweis. Mein Mandant kann das Papier unterwegs aus dem Auto geworfen haben.«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Ausgerechnet neben die Leiche Michael Farmers?«

 

Pflichtverteidiger Gordon Gray:

»Das Papier kann auch von der Mülldeponie dort hingeweht sein oder aus irgendeinem Abfallbehälter stammen. Machen Sie sich doch nicht lächerlich mit derartigen Beweiskonstruktionen.«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

(der den Inhaftierten mit einer kleinen Lüge zu überlisten versucht)

»Mr Jörgensson, Zeugen hatten beobachtet, wie Sie am Schlachthof Perth einen vor dem Tor abgelegten Schlachtschussapparat entwendeten und damit eilig wegfuhren.«

 

Henrik Jörgensson:

»Ich war nie in meinem Leben dort ...«

 

Pflichtverteidiger Gordon Gray:

»Lassen Sie mich mit Mr Jörgensson bitte kurz allein sprechen.«

 

Daraufhin verlassen alle Herren bis auf den Richter den Raum. Nach einigen Minuten wurden sie von den Polizeibeamten wieder eingelassen.

 

Pflichtverteidiger Gordon Gray:

»Wie mir mein Mandant mitteilte, ist er noch nie in Perth gewesen und den Schlachthof dort kennt er schon gar nicht. Es kann sich also nur um eine Verwechslung handeln.«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Und wie erklären Sie es sich dann, dass der vom Beschuldigten gefahrene LKW der Leegaard Society Lillehammer in unmittelbarer Nähe dieses Schlachthofs gesehen wurde? Dazu möchte ich die Vergrößerung eines Fotos vorlegen, das von einem Mitarbeiter des Schlachthofs gemacht wurde.«

Oberstaatsanwalt Jim Collins:

»Ja, auf diesem Foto ist eindeutig der vom Beschuldigten gefahrene Lastwagen zu erkennen.«

 

Der Oberstaatsanwalt reicht des Foto an den Haftrichter weiter, während sich Jörgensson mit seinem Verteidiger berät.

 

Henrik Jörgensson:

»Ach ja, Perth! Wie ich das nur vergessen konnte! Ich hatte den Leuten dort beim Einfangen eines entlaufenen Stiers geholfen. Und aus Dank wollen mir diese Brüder den Diebstahl – eines was? – anhängen.«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Eines Schlachtschussapparats, wie man es zur Betäubung von Großvieh verwendet.«

 

Henrik Jörgensson:

»Nie so ein Ding gesehen. Ihr Zeuge muss mich wohl mit jemand anderem verwechselt haben.«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Dann verraten Sie uns doch bitte, was Sie an dem Morgen, an dem Sie das Regent Hotel Oban verließen, aus Ihrem Ford Siesta in den PKW eines Mannes umluden, mit dem Sie vorher gemeinsam beim Frühstück saßen.«

 

Henrik Jörgensson schweigt.

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Mr Jörgensson, ich warte auf Ihre Antwort.«

 

Henrik Jörgensson:

»Na gut, ich befürchtete, in diese Mordserie hineingezogen zu werden, sollte man dieses Gerät bei mir finden. Ja, ich hatte es damals mitgehen lassen, nur so aus Spaß, wollte es eigentlich dem Metzger in unserem Ort schenken. Aber als ich dem Typ am Frühstückstisch davon erzählte, zeigte der gleich großes Interesse daran. Und ich war froh, es auf diese einfache Weise wieder loszuwerden.«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Und davor hatten Sie die drei Morde begangen. Mr Jörgensson, das Leugnen hat doch keinen Zweck mehr. Die Beweise gegen Sie sind erdrückend und werden durch die bisher von Ihnen aufgetischten Lügen nur bekräftigt.«

 

Jörgensson und der Verteidiger beraten sich im Flüsterton

 

Pflichtverteidiger Gordon Gray:

»Mein Mandant möchte etwas erklären.«

 

Henrik Jörgensson:

»Also gut! Ja, ich war’s! Irgendwann hätten Sie es doch rausbekommen. Ich habe die drei Männer umgebracht. Es waren Auftragsmorde, wenn Sie so wollen. In allen drei Fällen handelte ich im Auftrag des Mannes, dem ich zuletzt den Schussapparat schenkte. Aber für die sonstigen Morde bin ich nicht verantwortlich. Die gehen vermutlich auf dessen Konto.«

 

Detective Sergeant Edward Hastings:

»Demnach töteten Sie aus reiner Geldgier – oder?«

 

Henrik Jörgensson:

»Nein, es ging mir vor allem darum, Arbeitsplätze zu sichern. Denn diese drei Männer waren erbitterte Gegner bereits bestehender oder in Planung befindlicher Lachsfarmen. Wenn es nach denen ginge, gäbe es in ganz Schottland bald keine einzige Lachsfarm mehr und unzählige Arbeitsplätze wären dann verloren.«

 

Detective Sergeant Edward Hastings:

»Und warum mussten diese Männer auf so grausame Weise sterben?«

 

Henrik Jörgensson:

»Ich wollte sie gar nicht töten, sondern ihnen nur eine kleine Abreibung verpassen. Aber mein Auftraggeber bestand auf deren Liquidierung. Der hatte auch die Idee mit dem Bolzenschießer, als er das Ding zufällig bei mir sah. Da habe ich widerwillig zugestimmt.«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Der Mann, dessen Namen Sie uns noch nicht verraten haben, war also ein Freund von Ihnen.«

 

Henrik Jörgensson:

»Ganz und gar nicht. Wir lernten uns zufällig in einer Kneipe in Ullapool kennen. Das war’s!«

 

Detetive Chief Inspector Paul O’Brien:

»Und nach dem Mord am Loch Eil trafen Sie sich mit dem Mann im Regent Hotel Oban, um Ihren Lohn zu kassieren. Ist das richtig?«

 

Henrik Jörgensson:

»Genauso war es. Aber mir war das Mordinstrument zu gefährlich geworden, darum schenkte ich es ihm.«

 

Haftrichter Justin Murphy:

»Mr Jörgensson, wenn Sie uns jetzt bitte den Namen dieses Mannes verraten, will ich mich dafür einsetzen, dass Ihnen eine lebenslange Haftstrafe erspart bleibt.«

 

Jörgensson berät sich erneut mit seinem Verteidiger

 

Henrik Jörgensson:

»Der Mann heißt Charles Foreman. Seine Adresse kenne ich aber nicht. Er muss Rechtsanwalt oder so was sein, besitzt eine Kanzlei irgendwo im Norden Schottlands. Aber ich weiß seine Handy-Nummer.«

 

Haftrichter Justin Murphy:

»Na endlich scheinen Sie uns helfen zu wollen. Bitte verraten Sie uns diese Nummer!«

 

Henrik Jörgensson:

»Dazu müssen Sie mir die Handschellen öffnen.«

 

Ein Polizist nimmt ihm die Handschellen ab, worauf Jörgensson eine Visitenkarte aus seiner Hosentasche hervorzieht und sie dem Haftrichter übergibt. Gleich darauf schnappten die Handschellen wieder zu.

 

Haftrichter Justin Murphy:

»Chief Inspector, sorgen Sie dafür, dass dieser Charles Foreman ausfindig gemacht wird, bevor er weiteres Unheil anrichtet! Damit ist die Befragung des Untersuchungsgefangenen Jörgensson beendet. Die U-Haft bleibt weiterhin bestehen. Die Staatsanwaltschaft wird die Anklageschrift vorbereiten.«

 

Alle erhoben sich von den Plätzen und verlassen den Raum.

 

Die Vernehmung zog sich – unterbrochen von einer zweistündigen Mittagspause – bis 16:45 Uhr hin. Da die Beweislage eindeutig war, konnte bereits ein Termin für die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht festgesetzt werden. Paul O’Brien fühlte sich zwar erleichtert, dass dieser Fall so reibungslos über die Bühne gegangen war. Trotzdem war er höchst unzufrieden, weil der Mord an fünf weiteren Menschen noch immer nicht aufgeklärt werden konnte. Für diese Taten besaß Henrik Jörgensson astreine Alibis.

 

Jenny hatte Paul zum Dinner erwartet. Sie wusste, dass ein schwerer Tag hinter ihm lag und hielt sich mit Fragen nach dem Verlauf der Haftprüfung zurück. Er sah sie müde an aber berichtete ihr dennoch ausführlich über den Verlauf der Haftprüfung. Danach meinte Jenny anerkennend: »Da habt ihr ja einen tollen Fang gemacht!«

   »Das schon, aber ohne deine weibliche Inspiration hätte es vermutlich nicht so gut geklappt. Nun will ich hoffen, dass wir schnellstens auch diesen Charles Foreman erwischen, bevor er wieder zuschlägt. Hier ist übrigens seine Visitenkarte.« Er reichte Jenny das stark abgegriffene Kärtchen:

Charles Foreman

Barrister at Law

Dingwall IV15 9ND

Mobile Phone: 0137-453153

 

   Jenny schüttelte den Kopf. »Ein am Gericht zugelassener Anwalt soll ein Mörder sein? Kaum vorstellbar.«

   »Mörder gibt’s in allen Berufsgruppen, sogar Geistliche der verschiedenen Konfessionen sind gelegentlich darunter. Seltsam ist es allerdings, dass dieser Foreman keine genaue Adresse, sondern nur seine Handy-Nummer angibt. Morgen werden wir weitersehen.«

 

Die Sonderkommission Kopfschussmorde setzte nun alle Hebel in Bewegung, um Charles Foreman ausfindig zu machen. Natürlich war es möglich, dass Henrik Jörgensson log und die Polizei nur in die Irre führen wollte. Trotzdem musste man der Sache nachgehen.

   Unter der angegebenen Mobilfunknummer war Charles Foreman nicht zu erreichen. Mit Hilfe des Funknetzbetreibers wurde versucht, den Standort seines Handys zu lokalisieren, leider vergeblich; vermutlich war es ausgeschaltet. Wie sich schließlich herausstellte, betrieb der Gesuchte sein Handy mit einer Prepaidkarte. Der Netzbetreiber verfügte somit über keine verwertbaren Kundendaten.

   Auch ein Anruf bei der Gemeindeverwaltung Dingwall führte zu keinem Ergebnis. Ein Charles Foreman war dort nicht registriert und nirgendwo existierte eine Anwaltskanzlei dieses Namens. Ebenso führten die im weiten Umkreis durchgeführten Nachforschungen in Einwohnerverzeichnissen ins Leere. Es war wie verhext.

Ein mörderisches Komplott
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