Kapitel 1

 

Der Mordfall Thompson und seine rasche Aufklärung war einige Zeit lang das Tagesgespräch in Inverness. Paul O’Brien, der bis dahin eine Art Schattendasein im CID führte, sah sich plötzlich als Gegenstand öffentlichen Interesses. Das war ihm überhaupt nicht angenehm, denn er hasste jede Form übertriebener Publicity. Schließlich hatte er nichts als seinen Job getan. Allerdings brauchte er sich jetzt nicht mehr als Paria unter lauter schottischen Kollegen zu fühlen, die nur ungern einen Engländer unter sich duldeten, selbst wenn dieser nordirischer Abstammung war. Aber allein die Tatsache, dass er aus London nach hier strafversetzt wurde und einen ziemlich barschen Umgangston pflegte – und das noch in einem irisch gefärbten Dialekt – hatte ihm den Einstieg in sein neues Aufgabengebiet zunächst erschwert. Die meisten Invernessians, wie man die Bewohner dieser Stadt bezeichnete, sprechen nämlich ein vorzügliches Englisch. Angeblich hatten sie das von den Truppen Oliver Cromwells übernommen, welche die Stadt von 1652 bis 1662 besetzt hielten.

 

Einige Wochen nach der spektakulären Aufklärung des Mordfalls Thompson erhielt Paul O’Brien die Einladung zu einer Feierstunde im Saal des Rathauses. Anlass hierzu war die Ehrung einiger Persönlichkeiten der Stadt. So wollte das Polizeimusikkorps dem DSupt Gordon Bayne – Abteilungsleiter für Kapitalverbrechen beim CID und O’Briens unmittelbarer Vorgesetzter – mit einem Ständchen zum 50. Geburtstag gratulieren. Wie darüber hinaus gemunkelt wurde, sollte DCI O’Brien die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Inverness für seinen Erfolg im Kampf gegen die Schwerstkriminalität verliehen werden.

   Paul O’Brien war dieses ganze Theater total zuwider, wie er DS Hastings gegenüber äußerte. Er bemerkte außerdem die neidischen Bemerkungen seines Kollegen DI Walter Adams, der gern selber den Mörder Richard Turner überführt hätte. Dann nämlich wäre ihm die Ehrenmedaille zugesprochen worden. Nach seiner Auffassung hatte O’Brien diesen Fall an sich gerissen. Andererseits bestand zwischen DCI Paul O’Brien und DSupt Gordon Bayne kein besonders gutes Verhältnis. Dieser schien seine Verdienste als einstiger Offizier der British Army durch militärisches Auftreten täglich unter Beweis stellen zu müssen. Um seinen damaligen Dienstrang zu demonstrieren, hatte er die Schulterklappen mit den drei Sternen eines Captains in einem Bilderrahmen an der Wand hinter seinem Schreibtisch zur Schau gestellt. Auch rein äußerlich präsentierte er sich durch einen wuchtigen, bereits leicht ergrauten Schnauzbart unter einer schmalen, leicht gebogenen Nase, wie während seiner aktiven Militärzeit.

   Paul O’Brien dagegen hasste alles, was seinem Empfinden für Normalität entgegenstand. Dazu gehörten sowohl Glatzen, lange Haare oder Koteletten, aber auch jeglicher Bartwuchs. Noch nie hatte Paul O’Brien Bärte sowie Zigarrenrauch leiden können, weil ihn das an seinen ungeliebten Vater, den Butcher (Metzger) Alan O’Brien erinnerte, der ihn dazu ausersehen hatte, einmal die elterliche Metzgerei in dem nordirischen Küstenstädtchen Larne zu übernehmen. Er war noch ein kleiner Junge, als er zuschauen musste, wie sein Vater lachend und mit einer unter seinem bauschigen Schnauzbart hervorlugenden Zigarre ein Kälbchen zur Schlachtbank führte. Anschließend drückte er – vor sich hin pfeifend – die Zigarrenglut auf dem Fell des zuckenden und sich vor Schmerzen aufbäumenden Tieres aus, hob die Axt, und mit einer fast belustigten Miene brachte er es durch einen gewaltigen Schlag auf die Stirn zu Fall. Und was danach an blutigem Gemetzel geschah, hatte sich fest in Pauls kindlichem Gemüt eingeprägt. Später wurde diese unmenschliche Art der Betäubung gesetzlich verboten, doch nicht weniger grausam erschien Paul der spitze Eisendorn, den der Vater mit einem wuchtigen Hammerschlag in den Schädel des Schlachttieres hineintrieb. Manchmal rutschte der Dorn ab, das Tier knickte brüllend ein und der Vorgang wiederholte sich an dem am Boden liegenden Opfer. Etwas humaner erschien Paul dann die Tötung mittels eines Bolzenschussgerätes, wobei er sich wegen des scharfen, metallischen Knalls jedesmal die Ohren zuhielt. Als sein Vater das bemerkt hatte, lachte er ihn aus. Doch vor der nächsten Schlachtung umwickelte er den Schussapparat mit einem dicken, feuchten Lappen, so dass nur ein schwächeres ›Klack‹ zu vernehmen war. Mit genau dieser Erfahrung sollte Paul O’Brien eines Tages einen der größten Kriminalfälle des Landes aufklären.

   Aber Pauls Leben verlief völlig anders, als vom alten Alan O’Brien geplant war. Zwar hatte sich der junge Paul bereits den ruppigen und lauten Umgangston seines Vaters angeeignet. Aber gerade dadurch gelang es ihm, sich trotz seiner untersetzten, etwas fülligen Figur in seinem späteren Beruf mit Erfolg zu behaupten.

 

Die Erinnerung an den Vater wurde auch jetzt wieder wach, als er den Festsaal der Town Hall (Rathaus) betrat und von einer rotblonden, vollschlanken jüngeren Dame in dunkelblauem Kostüm an einen Platz in der vordersten Reihe geführt wurde. Etwas verwirrt starrte er auf den Schnauzbart seines Chefs, der ihn mit wohlwollendem Lächeln begrüßte und mit einladender Handbewegung auf den freien Stuhl neben ihm hinwies. Beide waren sich heute noch nicht begegnet und DSupt Gordon Bayne reichte Paul O’Brien lässig die Hand. Dann saßen beide schweigend nebeneinander, bis ein Murmeln durch die Sitzreihen ging und Klänge von Bagpipes (Dudelsacks) den Saal erfüllten, denn jetzt schritten zehn Piper (Pfeifer) und drei Drummer (Trommler) in ihren farbenprächtigen Kilts (Schottenröcke) nacheinander durch den Mittelgang nach vorne. Nachdem sich die Gruppe auf dem Podium aufgestellt hatte, spielte sie einige der bekanntesten schottischen Melodien, wonach die Gäste lang anhaltend applaudierten. Anschließend gab das Polizeimusikkorps eine Kostprobe seines Könnens. Nach flott gespielter, traditioneller Tanz- und Marschmusik trat endlich Lord Mayor (Oberbürgermeister) Robert Polson ans Rednerpult. Das Stadtoberhaupt rief nun einen Namen nach dem anderen auf, lobte jede einzelne auf die Bühne geholte Person für diese oder jene besondere Leistung, überreichte Urkunden und entließ die so geehrten Damen oder Herren mit gönnerhafter Gestik. Dann wandte sich sein Blick auf die erste Reihe, zuerst auf Paul O’Brien, dann aber auf DSupt Gordon Bayne. Der Lord Mayor räusperte sich kurz und begann endlich mit seiner Ansprache:

 

»Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste,

wir haben uns hier versammelt, um einige Frauen und Männer aus unserer Stadt für besondere Leistungen zu ehren. Wie jedes Jahr will ich auch diesmal wieder eine Persönlichkeit besonders würdigen, die in uneigennütziger Weise und für die Sicherheit unserer Stadt ihr Leben aufs Spiel setzte. Sie alle haben von dem scheußlichen Verbrechen erfahren, das an dem Mitglied unseres Stadtrates, dem Juwelier Harold Thompson verübt wurde. Es ist Detective Superintendent Gordon Bayne vom hiesigen CID zu verdanken, dass er Thompsons Mörder so schnell und unter mutigem Einsatz seines Lebens zu fassen bekam. Dies war aber nur durch die effektive und straffe Führung seiner Mitarbeiter möglich gewesen. Die Stadt Inverness verleiht aus diesem Grund Gordon Bayne für besondere Verdienste die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Inverness. Zusätzlich erhält er einen Gutschein für ein Urlaubswochenende zu Zweit im Holiday-Centre Aviemore. Aber ich möchte nicht versäumen, unserem tapferen Gordon Bayne auch zu seinem heutigen 50. Geburtstag zu gratulieren. (Tosender Beifall!) Ich bitte Sie nun, lieber Superintendent, zu mir heraufzukommen, um die Auszeichnungen entgegenzunehmen.«

 

Paul O’Brien fühlte sich zunächst wie vor den Kopf gestoßen und schnaubte innerlich vor Wut. Was oben auf dem Podium ablief, nahm er nur noch mit halbem Interesse wahr. Erst als sich alle Gäste von ihren Plätzen erhoben, wurde ihm bewusst, dass volle Absicht dahintersteckte, seinen persönlichen Erfolg auf derart infame Weise zu konterkarieren. Während sich unzählige Hände Gordon Bayne entgegenstreckten, um ihm zu seiner Ehrung zu gratulieren, rannte O’Brien zum Saalausgang, um den Ort dieser schamlosen Heuchelei zu verlassen.

 

Die gleiche Dame, die ihm anfangs seinen Platz zuwies, trat ihm vor der Tür entgegen, ein Tablett mit gefüllten Sektgläsern balancierend:

   »Darf ich auch Ihnen ein Gläschen anbieten?«, fragte sie mit wohlklingender Stimme.

   Paul O’Brien war gar nicht nach Sekt zu Mute, aber als er in das liebenswürdig fragende Gesicht der attraktiven Frau sah, konnte er das einfach nicht ablehnen.

   »Vielen Dank! Aber nur weil Sie es sind«, gab er zur Antwort und nahm sich ein Glas. »Aha, Sie sind also von der Presse«, meinte er, als er das Schild mit dem Logo des Inverness Report an ihrem Jackenrevers entdeckte. »Netter Name, Jennifer Symon! Aber warum muss die Mitarbeiterin einer Zeitung hier Plätze anweisen und Sektgläser halten? Bestimmt haben Sie etwas Wichtigeres zu tun.« Jetzt lachte er amüsiert.

   »Da haben Sie recht, aber entschuldigen Sie mich bitte einen Moment!« Sie wandte sich von O’Brien ab, um vorbeigehenden Gästen Sekt anzubieten. Auch DSupt Gordon Bayne nahm sich ein Glas, musterte abwägend Paul O’Brien und die Serviererin, um gleich danach in der Menge unterzutauchen.

 

Inzwischen war das Tablett leer geworden und Jenny Symon stellte es auf einem Tischchen ab.

   »Sie sind doch Chief Inspector O’Brien?«, fragte sie, wobei leichte Röte in ihr Gesicht stieg.

   »Ach! Sie  kennen mich?« fragte Paul O’Brien erstaunt.

   »Nun ja, ich bin Lokalredakteurin beim Inverness Report und befasste mich eingehend mit dem Mordfall Thompson. Vielleicht haben Sie meinen Artikel mit der Überschrift ›Der Neue von Scotland Yard schlug zu‹ gelesen?« Sie sah ihn mit schelmischem Augenaufschlag an.

   »Ja, natürlich, jetzt erinnere ich mich«, gab O’Brien nach kurzer Überlegung zu. »Alle Zeitungen berichteten über den Fall. Ich kann mich allerdings nicht mehr an jeden einzelnen Beitrag erinnern. Aber wie kommt denn eine Zeitungsredakteurin auf diesen Empfang, dazu noch als Servierdame und Platzanweiserin?«

   Sie lachte. »Unser Chefredakteur ist ein Parteifreund des Lord Mayors und bat mich, wegen eines Krankheitsfalls bei dieser Veranstaltung auszuhelfen. Da mir ein kleiner Zusatzverdienst winkte, sagte ich gern zu. In dieser Rolle komme ich mir zwar etwas unbeholfen vor, obwohl man durchaus beides miteinander verbinden kann. Daher gleich meine Frage an den erfolgreichen Kriminalisten: Wieso eigentlich hat man nicht Ihnen die Goldene Ehrenmedaille und den Wochenendurlaub zuerkannt? Sie waren es doch, der den Mörder Richard Turner überführte und nicht dieser blasierte Ex-Offizier Bayne. Ich denke, das wird ein Nachspiel haben. Denen werde ich es noch geben!«

   »Nein, lassen Sie das bitte!« O’Briens Augen funkelten und sein soeben noch freundlicher Gesichtausdruck verdüsterte sich. »Irgendwann kriegt auch der eins aufs Maul. Gordon Bayne wird mit dieser zweifelhaften Ehrung nicht auf Dauer glücklich sein. Zwar wünsche ich grundsätzlich niemandem etwas Schlechtes, doch für mich ist dieser Mann ab heute nichts weiter als ein Großmaul, das sich gern mit fremden Federn schmückt. Und ich bin gewiss nicht der Einzige, der so denkt. Ich lege persönlich zwar keinen besonderen Wert auf diesen ganzen Rummel, aber wenn schon, dann sollte es mit rechten Dingen zugehen. Hier werden doch nur privilegierte Personen geehrt, während es eine große Anzahl verdienter Bürger gibt, die – von der Öffentlichkeit völlig unbeachtet – ebenfalls beachtliche Leistungen vollbringen. Aber von denen spricht man nicht, schon gar nicht unser Lord Mayor und seine Parteifreunde, denn hinter allem stecken doch handfeste politische Interessen. Wie ich soeben erfahren musste, trat wieder einmal der jahrhundertealte Hass auf England zutage. Der bezieht sich übrigens auf jeden, der nicht schottischer Abstammung ist und es wagt, hier seinen Job zu machen, ob er nun Engländer ist oder Ire, wie ich zum Beispiel.«

   »Sie sind Ire?«, fragte Jenny erstaunt. »Ich bin nämlich ein leidenschaftlicher Irland-Fan!«

   »Das hört man gern. Allerdings stamme ich aus Nordirland, dem Küstenstädtchen Larne im Nordosten der Insel.«

   »Und ich dachte schon, sie kämen von einer der Hebriden-Inseln. Ihre gälisch gefärbte Aussprache kam mir so vertraut vor, ich bin nämlich auf Harris zu Hause, Dort sprechen die Leute nur gälisch, jedenfalls untereinander.«

   »Wo meine Mutter herstammt, wird ebenfalls nur gälisch gesprochen. Ihre Wiege stand auf der kleinen Insel Coll, die liegt etwa acht Meilen westlich von Mull. Ich wusste gar nicht, dass man mir das noch anmerkt.«

   Jenny schaute kurz auf ihre Armbanduhr. »Oh mein Gott! Ich muss ja noch in die Redaktion. Vielleicht könnten wir ein andermal etwas länger plaudern.« Sie reichte ihm ihre Visitenkarte und eilte davon.

   Paul O’Brien schaute ihr noch eine Weile nach, als Sergeant Hastings auf ihn zukam. »Gehen wir jetzt, Chef?«

   »Na gut, auf was warten wir noch!«, antwortete O’Brien nicht mehr ganz so missmutig.

 

*

 

Von Zeit zu Zeit betrachtete er die schmucke Visitenkarte, die er unter die Klarsichtfolie seiner Schreibunterlage gesteckt hatte. Immer wieder musste er den Aufdruck lesen:

 

Jennifer Symon

Lokalredakteurin

Inverness Report

 

Aber sein Blick richtete sich hauptsächlich auf das kleine Porträt rechts neben dem in zierlichen Buchstaben gesetzten Text. Es zeigte eine junge Frau mit einem viel Wärme, Aufrichtigkeit und Humor ausstrahlenden Gesicht. Das war genau der Frauentyp, nach dem er bislang vergeblich Ausschau hielt. Seit jeher hatte er ein Faible für Mädchen mit rotblonden Haaren und dunkelgrünen Augen. Und diese hier zählte nicht zu den überall anzutreffenden, rappeldürren Frauen. Sie war vielmehr eine, die ihre weiblichen Rundungen nicht zu verbergen suchte. Bestimmt würden sie beide ein gutes Paar abgeben und auch figürlich gut zusammenpassen.

   Seine Sturm-und Drang-Zeit hatte Paul längst hinter sich. Er war damals 37 Jahre alt und ging völlig in seinem Beruf auf. Darum hielten sich seine Interessen am weiblichen Geschlecht auch in Grenzen. Er war in der Tat alles andere als ein Schürzenjäger, auch wenn hin und wieder hübsche Mädchen seine Aufmerksamkeit erregten.

   Als er noch auf der Polizeiakademie war, kannte er viele reizvolle junge Damen, die sich gern von einem künftigen Polizisten verwöhnen ließen und sich auch sonst äußerst freizügig gaben. Dass er nur mittelmäßig groß war und ein wenig zur Dickleibigkeit neigte, störte keine von ihnen, denn in anderer Hinsicht hatte er einiges vorzuweisen. Aber nach jeder lustvollen Begegnung kehrte der nüchterne Polizeialltag umso frustrierender zurück.

   Dann lernte er Anne Russel auf einer Geburtstagsparty kennen; sie war die Schwester eines seiner Kollegen. Zwischen ihm und der attraktiven jungen Frau entstand so etwas wie Liebe auf den ersten Blick und beide dachten an Heirat und gemeinsame Kinder. Schon nach kurzer Zeit bezogen sie eine gemeinsame Wohnung. Aber es dauerte nicht lange, da nervte ihn Anne mit ihrer Unzufriedenheit und ihren ewigen Nörgeleien. Wenn er nach einem anstrengenden Einsatz müde nach Hause kam, stand ihm nicht mehr der Sinn zum Fortgehen. Anne jedoch fühlte sich von ihrer Tätigkeit als Helferin in einer Tierarztpraxis nicht ausgefüllt und war regelrecht süchtig nach Kino- und Konzertbesuchen und wollte auf keiner Party fehlen. Doch Paul hatte kein Interesse an solcherlei Zeitvertreib, was Anne jedesmal zu Zornesausbrüchen verleitete. »Für deine kriminellen Weiber hast du Zeit, aber für mich nie!« Diese Worte musste er sich ständig anhören, sowie ihre Kritik an seiner schroffen Art, wie sie sich ausdrückte. In dieser Beziehung hatte Anne wohl recht gehabt.

 

Zu Beginn seiner Laufbahn war Paul dem obligatorischen Streifendienst zugeteilt gewesen, wo es nicht gerade zimperlich zuging. Seine Kollegen waren um einiges größer als er und um sich überall Gehör und Respekt zu verschaffen, musste er seiner Stimme eine gewisse Schärfe verleihen. Darum fiel es ihm auch schwer, im privaten Umgang den rechten Ton zu finden, was auch der Grund für ihre Trennung war. Paul bezog ein Eineinhalbzimmer-Appartement im Süden Londons. Endlich war er wieder ein freier Mann. Natürlich war es für ihn anfangs noch ungewohnt, wieder ganz auf sich allein gestellt zu sein. Besonders an den Abenden fühlte er sich einsam und empfand die Stille um ihn herum als bedrückend. Andererseits genoss er den Zustand von Unabhängigkeit, denn nun brauchte er auf niemanden mehr Rücksicht zu nehmen. Jetzt konnte er sich mit ganzer Leidenschaft seinem interessanten, aber auch ständig hohe Einsatzbereitschaft fordernden Beruf widmen, ohne sich für immer wieder vorkommende Verspätungen rechtfertigen zu müssen.

   Dann kam die – seiner Meinung nach völlig ungerechtfertigte – Versetzung in die schottische Provinz. Beim CID Inverness erwarteten ihn zunächst ganz andere Aufgaben, als er es von Scotland Yard her gewohnt war. Es dauerte mehrere Wochen, bis er von einem Teil seiner neuen Kollegen akzeptiert wurde. Auch die Suche nach einer geeigneten Wohnung beschäftigte ihn eine Zeit lang und er musste zunächst mit einem einfach möblierten Zimmer in einer Fremdenpension vorlieb nehmen. Besuche durfte er hier nicht empfangen, darum fühlte er sich besonders in seiner Freizeit von anderen Menschen isoliert. Doch schließlich erwarb er von seinen Ersparnissen eine preiswerte Zweizimmerwohnung in der Anderson Street am River Ness. Nun konnte er wieder Ausschau nach einer passenden Frau halten. Er besuchte einschlägige Lokale und Diskotheken, aber die wechselnden, meist nur kurz andauernden Beziehungen befriedigten ihn nicht, denn eine seinen Vorstellungen entsprechende Partnerin befand sich nie darunter.

 

Seit seiner ersten Begegnung mit Jennifer Symon war ein knapper Monat vergangen. Immer wenn er ihre kleine Visitenkarte in die Hand nahm und die Blicke der jungen Frau auf sich gerichtet fühlte, geriet er ins Grübeln.

   Auch jetzt erinnerte er sich wieder an den Tag, als ihn die Journalistin zum Platz neben DSupt Bayne geführt und später zu einem Glas Sekt überredet hatte. ›War der missratene Festakt im Rathaus eventuell ein Wink des Schicksals, habe ich vielleicht danach das große Los gezogen‹?, dachte er bei sich und verspürte den Wunsch, dieses reizende weibliche Wesen baldigst wiederzusehen. Nach einigem Zögern griff er zum Telefon und wählte die auf dem Kärtchen angegebene Nummer. Doch Miss Symon befand sich gerade in einer Besprechung. Als er gefragt wurde, ob er ihr eine Nachricht hinterlassen möchte, nannte er nur kurz seinen Namen und legte den Hörer wieder auf. Später ärgerte er sich über seine Zaghaftigkeit und nahm sich vor, es in den nächsten Tagen noch einmal zu versuchen. Aber es sollte ganz anders kommen.

Ein mörderisches Komplott
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