Geburtstag

Bykow wollte sich den Schweiß von der Stirn wischen, ließ aber die Hand ärgerlich sinken. Immer wieder vergaß er diesen Helm! Manchmal, in schwierigen Situationen, streckte sich seine Hand wie von selbst nach dem Hinterkopf, um daran zu kratzen. Oder er wollte zerstreut ein Stückchen Schokolade in den Mund schieben und stieß gegen ein glattes, durchsichtiges Hindernis. Früher hatte er immer beim Nachdenken an seiner Unterlippe gezupft – der Helm gewöhnte es ihm ab. Dauge bemerkte das und hielt unverzüglich eine kurze Lektion über das Thema: »Die Rolle der astronautischen Spezialanzüge bei der Befreiung des Menschen von schlechten Angewohnheiten.«

Schon den zweiten Tag fielen Flocken schwarzen Staubes von dem niedrigen Himmel. Der »schwarze Schnee« wirbelte in den schwachen Windböen umher und legte sich auf die weite, wellige Ebene, in deren Mitte der Knabe stand. Bykow hielt Umschau. Welch ein Glück, welch ein unbeschreibliches Glück! Vor seinen Augen dehnte sich ein tadelloser natürlicher Raketenlandeplatz, etwa zweitausend Quadratkilometer groß und durchaus eben, wenn man die paar Felsen, die aus dem Sand ragten, nicht in Betracht zog. Im Süden, von der Wüstenseite her, wurde die Ebene halbkreisförmig von den »Venuszähnen« umsäumt, im Norden, hinter dem Rauchmeer, grollte die ferne Golkonda. Bis zu ihr waren es rund vierzig Kilometer – eine Entfernung, die man als günstig betrachten durfte. Der Boden erwies sich als genügend radioaktiv, um die Selen-Cer-Batterien – die Energiequellen der Funkfeuer – zu speisen. Die Funkfeuer sollten so um den Platz angeordnet werden, dass sie zueinander wie die Eckpunkte eines gigantischen, nach Möglichkeit gleichseitigen Dreiecks standen. Doch zuvor hieß es die hindernden Felsen sprengen. Die Gefahr, dass ein Raumschiff darauf niederging und zerschellte, war nicht von der Hand zu weisen: Sie ragten in zwei Gruppen fast in der Mitte des künftigen Landeplatzes empor. Mithilfe der Geologen legte Bykow in der nördlichen Felsengruppe zwei Minen: Die Explosion sollte die Steinsäulen aus dem Boden reißen und zu Staub zerpulvern. Die andere, südliche Gruppe ließ sich weit besser »von oben« sprengen. Die Mine, auf dem Gipfel einer der Säulen angebracht, sollte die ganze Gruppe vernichten, sie »in Grund und Boden stampfen« – wie sich Dauge ausdrückte.

»Auf welche Welle einstellen?«, rief Jurkowski. Er saß auf dem Gipfel des Felsens, auf den soeben mit einiger Mühe die Mine hochgezogen worden war.

»Index acht«, gab Bykow zurück, den Kopf in den Nacken werfend.

»Aha, gut.« Durch die Schleier des schwarzen Gestöbers hob sich Jurkowskis Silhouette deutlich gegen die roten Wolken ab. »Fertig ...«

»Steigen Sie herunter!«, rief Bykow.

»Interessant, was für ein Gesicht du ziehen wirst, wenn die Felsen standhalten«, bemerkte Johannytsch, der neben Bykow auf dem Kommandoturm des Knaben saß.

»Keine Sorge, sie werden nicht standhalten«, antwortete der Ingenieur zerstreut; mit Bangen folgte er den halsbrecherischen Bewegungen Jurkowskis, der die steile, fast senkrechte Wand herunterrutschte. »Zum Kuckuck, warum benutzt er die Trosse nicht? Es ist doch eine da. Aber nein! Immer will er mit seinen Bravourstückchen glänzen ... Na, was hat er? Nicht vorwärts und nicht rückwärts ...?«

Jurkowski befand sich in einer Höhe von etwa sechs bis sieben Metern. Es sah aus, als klebe er an dem schwarzen Gestein, er schien unbeweglich, und nur seine unnatürliche Körperhaltung und der keuchende Atem verrieten die furchtbare Muskelanspannung.

Dauge sprang auf. »Wladimir, was ist mit dir?«

Jurkowski antwortete nicht. Plötzlich glitt er wie ein Stein herab. Bykow schloss unwillkürlich die Augen, und als er sie wieder öffnete, hing der Geologe drei Meter tiefer reglos an den Händen – er hatte sich an eine von unten unsichtbare Zacke gekrallt.

»Wolodja ...!« Johannytsch sprang vom Wagen und lief zu dem Felsen.

»Ruhig, Dauge!« Jurkowskis Stimme stockte vor Anstrengung. »Wie weit ist’s bis zum Boden?«

»Ziemlich vier Meter ...!«, presste Dauge hervor. »Wirst dir die Knochen brechen, du Lümmel ...!«

»Geh beiseite!«, stieß Jurkowski hervor und ließ sich fallen.

Er fiel klassisch, nach allen Regeln der Springkunst, federte mit den Beinen ab und kippte auf die Seite. Bykow eilte hinzu, doch der Geologe saß bereits aufrecht im Sand. Zorn übermannte Bykow.

»Was sind das für Bubenstreiche, Genosse Jurkowski?«, brüllte er los. »Wie konnten Sie es wagen, so Ihr Leben aufs Spiel zu setzen? Gehen Sie sofort zum Kommandanten und erstatten Sie Meldung!«

»Aber was haben Sie denn, Alexej Petrowitsch?« Jurkowski sprang flink auf die Beine und schüttelte sich, als wollte er prüfen, ob seine Glieder noch intakt wären. Seine Stimme hatte einen demütigen Klang. »Vier Meter, das ist doch nicht der Rede wert! Überlegen Sie selbst ...«

Doch Bykow tobte. »Sie hätten sehr gut auch die Trosse benutzen können! Sie haben sich wie ein dummer Junge benommen! Die richtige Zeit für Sport ausgesucht ...«

»Hör doch auf, Alexej!« Dauge legte liebevoll den Arm um Jurkowskis Schultern. »Natürlich, ein dummer Junge! Aber was willst du mit ihm machen – er ist und bleibt ein Tollkopf.«

»Tollkopf ...! Wenn er sich den Hals gebrochen hätte, was dann?«

»Ich sehe meine Schuld ein, Alexej Petrowitsch«, sagte Jurkowski plötzlich, und Bykows Zorn verrauchte sofort.

»Melden Sie es dem Kommandanten«, knurrte er und trat zum Felsen, um die Trosse einzuholen.

Die Geologen sprangen hinzu, um ihm dabei behilflich zu sein.

»Eigentlich barbarisch, den Felsen zu sprengen«, sagte Dauge, als sie nach der Arbeit vom Knaben aus auf die staubumwehte Felsengruppe zurückblickten. »Wo er doch ein Denkmal ist für die große Heldentat W. S. Jurkowskis ...«

Und er gab seinem durch die Luke kletternden Freund einen so heftigen Klaps auf den Rücken, dass dieser augenblicklich im Dunkel der Schleusenkammer verschwand.

Jermakow steuerte den Wagen nach Süden und brachte ihn erst dicht vor der »Zahnbarriere« zum Stehen. Die der Vernichtung preisgegebenen Felsen waren im schwarzen Gestöber verschwunden.

»Wollen wir anfangen, Anatoli Borissowitsch?«, fragte Bykow.

»Meinetwegen ...«

Bykow legte die Hand auf den Hebel der Fernzündung und drückte ihn nieder.

Der Bildschirm erstrahlte in grellweißem Licht und wurde sogleich wieder dunkel. In der Ferne stiegen langsam drei feurig rote Rauchsäulen hoch und zogen sich zu pilzartigen Gebilden auseinander. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag fegte über den Knaben hinweg.

Am selben Tage hörte das schwarze Gestöber auf, und plötzlich brach eine unerklärliche Finsternis über die Wüste herein. Die purpurroten Wolken erloschen. Nur der Sand phosphoreszierte leicht, und aus den Spalten stieg blau schimmernder Rauch und zog in langen Fahnen dahin.

Die Männer begannen mit der Aufstellung der Funkfeuer. Sie arbeiteten im Licht der an den Helmen befestigten Lampen oder in den Scheinwerferkegeln des Knaben. Die Montage und die Aufstellung der Sender bereitete keine großen Schwierigkeiten – das lange Training auf dem Siebenten Testgelände machte sich bezahlt. Dafür nahm aber das Verlegen der gewaltigen Selen-Cer-Bahnen viel Zeit in Anspruch. Der feste dünne Stoff, zu schweren Rollen gewickelt, musste ausgepackt, aus dem Wagen gehoben und auf Hunderten von Quadratmetern ausgebreitet, festgepflockt und mit Sand beschwert werden. Es war eine anstrengende und langwierige Arbeit. »Abends« waren die Männer zum Umfallen müde und sanken in tiefen Schlaf, nachdem sie jeder eine Tasse Bouillon mit etwas Brot hinuntergeschluckt hatten.

Es arbeiteten Bykow und die Geologen. Jermakow konnte fast gar nicht gehen; er saß viele Stunden im Wagen, hielt die Verbindung mit der Chius aufrecht, versuchte das Sichtgerät zu reparieren, führte das Tagebuch, las die Ergebnisse des Express-Labors ab und arbeitete an der Karte von der Umgebung der Golkonda, indem er sorgfältig mit schwarzer und bunter Tusche Striche und Zeichen auf die Kunststofffolie malte. Des Öfteren betastete er, die grauen Lippen zusammengekniffen, die schlaff gewordenen Wasserschläuche und rechnete im Stillen vor sich hin. Alle vierundzwanzig Stunden, genau neunzehn Uhr fünfundfünfzig irdischer Zeit, löschte er das Licht im Wagen, schleppte sich in den Kommandoturm, presste die Augen an die Okulare und blickte lange nach Süden. Wenn das Verlegen der »Decke« um den jeweiligen Sender abgeschlossen war, stieg er mit Bykows Hilfe hinaus, überprüfte die Anlage und setzte sie eigenhändig in Betrieb. Über Jurkowskis Verhalten führte er mit dem Geologen ein kurzes, aber gehaltvolles Gespräch unter vier Augen, dessen Inhalt der gekränkte »Fant« sehr lakonisch wiedergab: »Eine kräftige Standpauke.« Danach arbeitete Jurkowski wie besessen, witzelte krampfhaft und beklagte sich in nebelhaften Begriffen über die Obrigkeit.

Die Verbindung mit der Chius funktionierte zeitweilig außerordentlich gut – eine weitere Laune der Venus. In solchen Perioden unterhielt sich Jermakow alle drei, vier Stunden mit Michail Antonowitsch. Krutikow fragte den Kommandanten aus, sandte Grüße, sagte, er fühle sich ausgezeichnet und alles sei in bester Ordnung, doch oft klang aus seiner Stimme eine solche Sehnsucht nach der Erde, nach den Kameraden, dass sich Bykows Herz zusammenkrampfte. Der Navigator wusste noch immer nichts von Bogdans Tod.

Und dennoch waren es die wunderbarsten Augenblicke. Es tat unsagbar wohl, die strapazierten Glieder entspannt, auf den Ballen zu liegen und der fernen, etwas heiseren Stimme des Navigators zu lauschen. Und daran zu denken, dass sich die Arbeit nun ihrem Ende näherte, dass der gute Michail Antonowitsch wohlauf sei und die Chius bald zu dem Landeplatz hinüberwechseln werde, um sie aufzunehmen und heimwärts zu tragen.

Der Gesundheitszustand der Besatzung verschlechterte sich zusehends. Jeder war bemüht, sein Leiden zu verbergen, doch es gelang nicht immer. Wenn Bykow nachts, von Augenschmerzen geplagt, erwachte, sah er häufig, wie Jermakow seinen entblößten geschwollenen Knöchel befühlte und leise vor sich hin stöhnte. Jurkowski verband heimlich seine Geschwüre an Armen und Beinen. Mit Dauge stand es besonders schlecht. Er wirkte fast gesund, doch eine unbekannte heimtückische Krankheit zehrte an ihm. Der Geologe war abgemagert und hatte ständig hohe Temperatur. Jermakow tat, was er konnte, er gab Dauge Beruhigungsmittel, wandte die Elektrotherapie an, doch alles half wenig. Die Krankheit dauerte an und rief bisweilen seltsame Wahnzustände hervor, wobei der Geologe schreiend vor eingebildeten Schlangen flüchtete oder eine Viertelstunde lang in einer Ecke des Wagens saß, mit leerem Blick vor sich hin starrte und mit Bogdan sprach. Seine Anfälle versetzten alle in Schrecken, und niemand wusste einen Rat. In der gespannten Stille fielen schreckliche Worte. Der Geologe sprach von Vera, ermahnte den toten Freund, sie immer zu lieben, dann fiel ihm Mascha Jurkowskaja ein, und Tränen rannen ihm über das unrasierte Gesicht. In solchen Augenblicken erkannte der Kranke keinen seiner Kameraden, und wenn er zu sich kam, konnte er sich an nichts mehr erinnern.

Die Aufstellung des zweiten Funkfeuers näherte sich ihrem Ende. Es blieben nur noch wenige Stunden Arbeit, als Bykow für ein paar Minuten in den Wagen kletterte, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und ein wenig zu verschnaufen. Die Geologen waren draußen geblieben, um die letzten hundert Kilo des Selen-Cer-Stoffs zu verlegen. Mit missmutigem Gesicht hantierte Jermakow am Funkgerät. Bykow sah ihm eine Weile zu und fragte dann vorsichtig: »Ernste Störungen?«

Jermakow zuckte zusammen und wandte sich um. »Ah, Sie sind es, Alexej Petrowitsch ... Ja, eine Funkunterbrechung. Ganz plötzlich und ... ziemlich merkwürdig.«

Er wischte die schmutzigen Hände mit einem Schwamm ab und stand auf. Bykow blickte ihn abwartend an.

»Eben unterhielt ich mich noch mit Michail, und ...« – der Kommandant zögerte – »und plötzlich riss die Verbindung ab.«

»Ist etwas mit der Apparatur?«

»Nein, die Anlage ist intakt. Offenbar nur eine atmosphärische Störung. Bis dahin war die Verbindung ausgezeichnet.«

Etwas im Ton des Kommandanten ließ Bykow aufmerken. Eine Zeit lang blickten sie sich schweigend an, dann fragte Jermakow: »Haben Sie noch viel zu tun?«

»Nein, zwei Stunden Arbeit, nicht mehr.«

»Gut.« Der Kommandant sah auf die Armbanduhr. »Haben Sie in diesen Tagen ein Aufleuchten am südlichen Himmel gesehen, Alexej Petrowitsch?«, fragte er leichthin.

»Am südlichen Himmel? In Richtung der Chius? Nein, Anatoli Borissowitsch. Im Süden, über dem Sumpfgebiet, gibt es nie Wetterleuchten. Wenigstens bis jetzt nicht.«

»Jaja, Sie haben recht.« Jermakow sprach wieder in seinem gewöhnlichen Ton. »Schließen Sie die Arbeit ab, und dann – schlafen! Es ist nicht mehr viel, was uns zu tun übrig bleibt.«

Bykow setzte den Helm auf und erhob sich. Er fühlte sich plötzlich ausgeruht und kräftig. Am Ausgang blieb er stehen. »Ich komme bald zurück, Anatoli Borissowitsch, und helfe Ihnen hinaus.«

Jermakow warf erneut einen Blick auf die Uhr und sagte: »Sie müssen den Horizont beobachten, Alexej Petrowitsch.«

»Den Horizont?«

»Ja, im Süden, in Richtung des Sumpfes.«

»Hm ... Gut.«

Als Bykow in der Nacht erwachte, sah er Jermakow am Funkapparat sitzen. Die Chius schwieg. Sie schwieg die ganze Nacht und den darauffolgenden Tag.

Die Aufstellung des dritten, letzten Senders ging rasch vonstatten; dazu wurden nicht ganz zehn Stunden benötigt. Mit Bykows Hilfe kletterte Jermakow aus dem Knaben, schritt hinkend über die feste, mit Sand und Splitt angeschüttete Selen-Cer-Bahn, überprüfte den Montageplan und setzte die Anlage in Tätigkeit.

Die Raumfahrer standen schweigend vor dem matt glänzenden Sendetürmchen. Nichts hatte sich verändert. Dort, wo der Urankrater der Golkonda rumorte, stand wieder wie zuvor eine Wand von purpurrotem Licht. Der Boden unter den Füßen zitterte. Ein böiger Wind wirbelte Staubwolken in die Strahlen der Scheinwerfer. Im Süden, in der undurchdringlichen Finsternis, jagten Windhosen über die schwarze Wüste, niedrige Wolken ballten sich um die aufragenden Felsgipfel. Kaum hörbar summte der Sender; der schmale, unsichtbare Funkstrahl hatte seinen ungestümen Rundlauf über den Himmel begonnen – vom Horizont zum Zenit, vom Zenit zum Horizont –, als winde er immer von Neuem eine riesige Spirale ...

Das Werk ist getan. Der Knabe wird abfahren, die Chius von dem großen Moor aufsteigen und zur Erde zurückkehren. Und dann wird der Himmel viele Male in blendendem Licht erstrahlen, Dutzende von Raumschiffen werden landen und wieder starten, aber die drei festen, unscheinbaren Türmchen werden beharrlich ihre Rufzeichen in den Äther senden: Hier ist der Landeplatz, hier ist die Golkonda, hier ist euer Ziel, ihr ruhelosen Wanderer in den Weiten des Kosmos! Das Werk war getan, vollbracht, ganz und gar zu Ende gebracht. Die Chius, Michail Antonowitsch, die Erde – alles war in erstaunliche Nähe gerückt, gleich hier in das weiße Scheinwerferlicht des Knaben. Alle spürten das: Jermakow, der angestrengt in den schwarzen Vorhang im Süden spähte, und der in Gedanken versunkene Jurkowski, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Auch Bykow, auch der arme Dauge, der verwirrt die Schulter Bogdans suchte und nicht verstehen konnte, warum er sich partout nicht an seinen Freund lehnen konnte.

»Also ... Der Flughafen ›Urangolkonda Nummer eins‹ ist fertig zum Empfang der ersten Raumschiffe«, sagte Jermakow mit seiner hohen, schneidenden Stimme. »Siebzehn Uhr fünfunddreißig, sechzehnter September, neunzehnhundertund...«

Alle schwiegen. Jermakow hob die Hand und verkündete feierlich und deutlich: »Wir, die Besatzung des sowjetischen Raumschiffs Chius, erklären hiermit im Namen der Union der Kommunistischen Sowjetrepubliken die Urangolkonda mit allen ihren Bodenschätzen zum Eigentum der gesamten Menschheit!«

Bykow trat zu dem Sender und befestigte an der Sechskantstange ein breites Stück Tuch. Der Wind erfasste und entfaltete das rote, in der purpurnen Finsternis fast schwarz erscheinende Banner mit dem goldenen Stern und dem großen alten Emblem Hammer und Sichel – das Banner der Heimat.

»Hurra!«, rief Jurkowski, und Dauge klatschte begeistert Beifall. Damit war die feierliche Zeremonie beendet.

In die Kabine zurückgekehrt, setzte sich Jermakow sogleich wieder ans Funkgerät. Jurkowski nahm den Helm ab, gähnte herzhaft und ließ sich auf sein Lager fallen.

»Nun, Johannytsch, womit wirst du uns bewirten?«, fragte er.

Und da entsann sich Bykow, dass ja gerade Dauges Geburtstag war. Schon während der Aufstellung des ersten Funkfeuers hatte Johannytsch die Kameraden feierlich eingeladen, »dieses bedeutsame Ereignis bei Speise und Trank sowie entsprechenden Tischreden gebührend zu begehen«. Er hatte die Einladung in Verse gekleidet:

»Zum Abend mir zu Ehren

lad ich euch alle ein.

Aus diesem Anlass zieht euch

schön an und wascht euch fein.«

Bykow lachte. »Na, wo sind denn die versprochenen leiblichen Genüsse, Johannytsch?«, fragte er, Jurkowski beispringend.

Dauge wühlte hastig in seinem Rucksack. Er holte eine sorgfältig in Papier gewickelte Flasche, zwei Dosen Rollmops und ein großes Stück geräucherten lettischen Speck hervor. All diese Kostbarkeiten gehörten nicht zu der üblichen Verpflegung der Raumfahrer. Dauge hatte es fertiggebracht, sie hierher durchzuschmuggeln. Bykow breitete eine Serviette über das Tischchen und holte aus dem Büfett Gläser, Bestecke und Brot in Polyäthylenverpackung. Jurkowski räusperte sich, äußerdet bedeutungschwer »Oho« und rutschte näher an die improvisierte Festtafel. Die Kabine des Panzerwagens erlangte sofort ein festliches Gepräge. Es wurde gemütlich und außergewöhnlich. Dauge wickelte die Flasche aus und stellte sie mitten auf den Tisch. Jurkowski kämmte sich sorgfältig, und Bykow band sich einen Schlips über den Spezialanzug, womit er das Geburtstagskind in freudiges Staunen versetzte.

Während dieser vielversprechenden Vorbereitungen saß Jermakow, ohne den Helm abzunehmen, am Funkgerät. Nachdem er Berechnungen angestellt hatte, begann er die Chius zu rufen. Doch der Äther schwieg. Im Lautsprecher pfiff, heulte, kreischte es. Michail Antonowitsch antwortete nicht. Jermakow schaltete die Anlage aus, zog müde den Helm ab und hängte ihn an die Wand. Bykow bemerkte erstaunt, dass seine Miene ungewöhnlich finster und ernst war. Irgendetwas versetzte Jermakow in starke Unruhe. Jetzt, da das Schwerste hinter ihnen lag, da sie an Krutikow nur den Befehl zu geben und die Ankunft der Chius auf dem neuen Landeplatz abzuwarten brauchten! Merkwürdig ... Alexej Petrowitsch fasste sich an die Unterlippe.

»Genossen, ich bitte Sie, gehen Sie jetzt schlafen, und dann ...« Jermakow stutzte und zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Nanu, was soll denn das heißen?«

»Zum Abend mir zu Ehren ...«, begann Dauge mit freudloser Stimme. Der Gesichtsausdruck des Kommandanten hatte ihn völlig entmutigt. »Anatoli Borissowitsch, heute ist ja ein Feiertag, im gewissen Sinne – die Vollendung ...«

»Er hat heute Geburtstag, Anatoli Borissowitsch!«, rief Jurkowski fröhlich; er hatte gerade die Flasche zwischen die Knie geklemmt, um sie zu entkorken. »Trinken wir doch alle einen Schluck auf sein Wohl, und plaudern wir ein wenig.«

Jermakow sah den Geologen an, dann wanderte sein Blick zu dem verwirrt dreinschauenden Johannytsch, dem wackeren Bykow – eilig verdeckte dieser mit der Hand den dummen Schlips –, und ein warmes Leuchten trat in seine Augen.

»Meinetwegen«, sagte er und faltete die neben dem Funkgerät ausgebreitete Karte zusammen.

In würdevoller Haltung setzten sich alle an den gedeckten Tisch.

»Wird ein Trinkspruch ausgebracht?«, erkundigte sich Jermakow, aus Jurkowskis Hand ein gelbes Glas entgegennehmend.

»Unbedingt!«, erwiderte dieser und hob mit pathetischer Stimme an: »Heute feiern wir zwei bedeutsame Ereignisse! Den Geburtstag des großen G. J. Dauge und des kleinen Raketenflugplatzes ›Urangolkonda‹. Beide haben eine große Zukunft, beide sind unseren Herzen teuer. Seid fruchtbar und mehret euch! Hurra! Hurra!«

Hinter der Panzerwand pfiff der glühende Wind. Schwarze Sandwehen türmten sich um den Knaben. Eine fremde Nacht umgab das kleine gemütliche Eckchen des Lebens und des Lichts.

»Prima Rollmops«, sagte Jurkowski, während er geschäftig den appetitlichen Fisch auf die Gabel wickelte. »Ich esse Rollmops für mein Leben gern ...«

Dauge wiegte den Kopf und sagte, zu Jermakow gewandt: »Übrigens, mit Rollmops ist mir eine interessante Geschichte passiert. Richtiger gesagt, nicht mit Rollmops, sondern ... Stellen Sie sich vor: Wüste, einige Zelte, kurz – eine geologische Expedition. Dreihundert Kilometer im Umkreis keine einzige Siedlung – eine prächtige Wildnis! Wir jungen Praktikanten hatten ein Fläschchen Kognak und eine seit Langem wohlbehütete Büchse Rollmops in Reserve. Wir warteten auf ein hochfeierliches Ereignis, um sozusagen ...« Dauge schnippte bedeutsam mit den Fingern. »Nun, auf einmal war es da. Wie heute, der Geburtstag einer ... eines Kollegen. Wir versammelten uns vor unserem Zelt, sechs Mann hoch. Korkten die Flasche auf, schnitten Brot in Scheiben, wuschen uns die Hände, legten alles auf das Theodolitfutteral, und wie ich mich genau erinnern kann, machte ich mich daran, unter den begehrlichen Blicken der Kameraden die verheißene Rollmopsbüchse zu öffnen ... Versteht recht: immer Hammelfleisch, Schinken – man hat doch mal Appetit auf etwas Pikantes! Und da, ich hatte sie kaum auf ...«

Dauge machte eine Pause. Bykow räusperte sich ungeduldig und fragte: »Hattest sie auf – und ...?«

»Wisst ihr, ich kann heute gar nicht mehr sagen, wie es geschah. Zufällig guck ich über die Köpfe der Kameraden hinweg – sie alle blickten natürlich auf die Büchse – und sehe: Über den Hang des nahen Sandhügels schlängelt sich ein gewaltiger grauer Wurm – eine richtige Riesenschlange, eine Boa constrictor, vom Kopf bis zum Schwanz braun geringelt ...«

»Du schwindelst ja!«, rief Jurkowski überzeugt.

»Nicht doch, Wladimir Sergejewitsch!«, sagte Bykow ungehalten. »Lassen Sie ihn weitererzählen.«

»Ich schwindle nicht, Wolodja. Es war ein Olgoi-Chorchoi.«

»Olgoi ... was?«, fragte Bykow.

»Olgoi-Chorchoi. Wahrscheinlich das einzige Festlandtier, das mit Elektrizität ausgestattet ist.«

Jurkowski runzelte nachdenklich die Stirn. »Olgoi-Chorchoi ... Wenn ich mich recht erinnere, hat vor einem halben Jahrhundert Iwan Jefremow dieses Tier in einer seiner Gobigeschichten beschrieben. Ja?«

»Stimmt«, sagte Dauge. »Nachher stellte sich heraus, dass während dieses halben Jahrhunderts unsere Expedition die dritte oder vierte war, die es gesehen hatte.«

»Und was passierte dann?«, fragte Bykow.

Dauge seufzte. »Was sollte schon passieren. Ich schrie und sprang auf. Die Rollmöpse fielen in den Sand. Wir rannten ins Zelt, um die Gewehre zu holen, und als wir wieder herauskamen« – er machte eine resignierende Handbewegung –, »war der elektrische Wurm verschwunden.«

»Sicher waren die Kameraden sehr böse auf dich«, sagte Jurkowski und nahm die Rollmopsbüchse.

»Nicht im Geringsten! Danach wurde bis zum Ende der Expedition von nichts anderem geredet als von dem Olgoi-Chorchoi.«

»Ich habe in der Wüste nichts Derartiges gesehen«, bemerkte Bykow.

Dauge erklärte, die Olgoi-Chorchois lebten wahrscheinlich nur in den heißesten und ödesten Gebieten der mongolischen Gobi.

Bykow, der sich irgendwie unbehaglich fühlte, begann, Jermakow nach den Plänen für die weitere Eroberung der Venus auszufragen. Er wollte den Kommandanten ins Gespräch ziehen. Dieser aber antwortete zurückhaltend und langweilig. Die Chius 3 wurde zum Flug vorbereitet; sie würde eine große Gruppe von Fachleuten auf die Venus bringen. Man würde mit dem Bau einer Fabrik zur Verarbeitung des Kernbrennstoffs beginnen. Gleichzeitig würde man natürlich die Oberfläche des Planeten eingehender erforschen.

»Was gibt’s da groß zu reden« – Jurkowski winkte leichthin ab –, »die Venus ist abgehakt. Die Straße ist gebaut, die Ampel aufgestellt, wie unsere Vorfahren sagten, als es noch Verkehrsampeln gab. Und die neuen Wege werden nicht hier entlangführen.«

»Interstellare Raumfahrt natürlich?«, sagte Jermakow und deutete ein Lächeln an.

»Genau! Ein Flug Erde – 61 Cygni! Das ist der neue Weg!«

»Und wie lange muss man da fliegen?«, fragte Bykow zweifelnd.

»Zehn Jahre hin und zehn zurück. Zwanzig Jahre Flug bei unseren Geschwindigkeiten.«

»Zwanzig Jahre!«, stöhnte Bykow. »Da muss man ja Jünglinge in die Mannschaft nahmen, damit die Besatzung nicht unterwegs eines natürlichen Todes stirbt.«

»He, Bruder!« Das Geburtstagskind lachte. »Und was sagst du zu einem Flug Moskau – Große Magellansche Wolke? Entfernung – vierzigtausend Lichtjahre, das heißt vierhundert Millionen Milliarden Kilometer. Mit Lichtgeschwindigkeit fliegt man vierzigtausend Jahre, und das, wohlgemerkt, ist die Galaxis, die der Milchstraße am Nächsten liegt. Na, wie wär’s?«

»Entsetzlich! Absolut irreal ...«

»Wer weiß!« Dauge schaute den verblüfften Fahrer listig an. »Die Wissenschaft hat bekanntlich eine Menge Überraschungen auf Lager. Aber verglichen mit -zigtausend Jahren erscheinen zwanzig doch wie ein Augenblick!«

»Trotzdem, zwanzig sind auch viel«, murmelte Bykow.

»Überhaupt nicht, sage ich dir«, entgegnete Johannytsch. »Am Morgen schläfst du auf der Erde ein, und mittags wachst du irgendwo in der Nähe von 61 Cygni auf. Wie in einem InterkontinentalFlugzeug oder ein bisschen langsamer. Du schaust dich um, schnupperst, suchst dir ein paar ausgefallene Souvenirs – und zurück.«

»Klar doch. Man muss nur zehn Jahre hintereinander schlafen können. Das wäre ein Flug ganz nach deinem Geschmack, Johannytsch«, konnte sich der Fahrer nicht verkneifen.

Jurkowski lachte.

»Von Anabiose hast du wohl noch nie was gehört?«, fragte Dauge genüsslich und gar nicht gekränkt. »Anabiose ist ein Zustand des Organismus, ein Zwischending zwischen Leben und Tod, eine Art Ohnmacht ...«

»Na-na, Populärwissenschaftler; übertreib’s nicht«, bemerkte Jurkowski.

»Nein, das meine ich nur ganz ungefähr ... In dem Sinne, dass die Empfindungen des Menschen im Anabioseschlaf denen bei einer Ohnmacht ähneln ...«

»Das heißt, man hat überhaupt keine Empfindungen.«

»Hm ... Also: In der Anabiose laufen alle Lebensprozesse verlangsamt ab. Der Mensch ist sozusagen am Leben, lebt aber nicht: er wird nicht älter, nicht krank, wächst nicht ...«

»Ja, weiter«, spornte ihn Bykow interessiert an.

»Das ist alles. Man startet ein Raumschiff von der Erde, schaltet die automatische Steuerung ein, legt sich in den Anabioseschlaf und unterbricht auf diese Weise den Ablauf der Zeit. Zehn Jahre später wird man von einer speziellen Apparatur geweckt. Man reibt sich die Augen, wäscht sich, erledigt seine Angelegenheiten – forscht, sammelt Material –, und auf dieselbe Weise zurück!«

»Toll!«, staunte der Fahrer. »Aber das ist ja doch Phantastik!«

»Das ist schon keine Phantastik mehr«, warf Jermakow ein. »Aber dieser Weg ist momentan kaum akzeptabel: Wir haben keinerlei Erfahrungen mit interstellaren Flügen, das Risiko ist zu hoch. Der Internationale Kongress wird solch ein Abenteuer niemals genehmigen. Übrigens gibt es noch einen Weg ...«

»Die Relativitätstheorie ...«, setzte Jurkowski triumphierend an.

Dauge stöhnte. »Hilfe! SOS! Gleich geht es los – die Lorentzkontraktion der Zeitintervalle ... der Riemann-Christoffel’sche Krümmungstensor! SOS!«

»Was hat denn der Krümmungstensor damit zu tun?«, ereiferte sich Jurkowski. »Und was die Lorentzkontraktion angeht ...«

»Da! Es geht los ... Lass sein, Wolodja, mein Lieber!«

»Zum Teufel mit dir! Bleib doch dumm und unschuldig ...« Jurkowski war sichtlich gekränkt.

»Ach, nimm’s nicht krumm ...«

»Es ist Sünde, einem von Gott Geschlagenen etwas krumm zu nehmen.«

»Ich meinte nicht die Relativitätstheorie«, schaltete sich Jermakow ein. »Ich spreche von der Idee des verunglückten Lloyd ...«

»Ah, ja, ja!«, rief Jurkowski lebhaft. »Mechanische Astronauten!«

»Wie das?«, wollte Bykow wissen.

»Anstelle von lebenden Piloten – kybernetische Vorrichtungen. Roboter«, erklärte Jermakow. »Davon haben Sie sicherlich gehört, Alexej Petrowitsch?«

»J-ja ... Aber ja doch! Auf dem Karakum-Bauplatz hat eine ganze mechanische Brigade gearbeitet!«

»Völlig richtig. Ebensolche Roboter werden die Sternenschiffe steuern. Das sind natürlich keine Menschen, aber sie vermögen eine ganze Reihe von durchaus vernünftigen – aus unserer Sicht vernünftigen – Operationen durchzuführen. Sie können Piloten sein, ebenso Geologen, Biologen, Physiker, Rechenmaschinen und Funksender – und alles gleichzeitig. In gewissen Grenzen, versteht sich. Das werden großartige Kundschafter sein, die viele neue Trassen erschließen. Die Zukunft der Astronautik gehört in erheblichem Maße solchen Kyberpiloten.«

»Wunderbar!« Bykow schüttelte begeistert den Kopf. »Einfach klasse.«

»Eben!« Dauge stupste ihn in die Seite. »Und du sagst: irreal, phantastisch ...«

»Nein, stellt euch vor« – Jurkowski ließ seine prächtigen Zähne blitzen –, »auf irgendeinem unbekannten kleinen Planeten im System von Proxima Centauri landet ein Raumschiff. Die begeisterten Bewohner des Planeten kommen freudig erregt von allen Ecken und Enden herbeigelaufen – Freunde aus einer fernen Welt sind gekommen! Und plötzlich kriechen aus den Luken solche metallglänzenden Ungetüme mit sechs Beinen und blinken mit bunten Lämpchen! Lebewesen erstaunlich ähnlich und dabei doch tot, kalt, unverständlich! Und auf dem Planeten schreiben sie das Jahr 1901 nach Christi Geburt – das wird eine Hatz!«

»Die Ungetüme fliegen ab«, hakte Dauge ein, »sie nehmen ein paar zerlegte Häuser und eine örtliche Kuh in einem Spiritusbehälter mit. Die Einheimischen bleiben verwirrt und entsetzt zurück ..«

»Die Schriftsteller verfassen zwanzig großartige phantastische Romane«, fiel ihm Jurkowski begeistert ins Wort. »Zwanzig Gelehrte verfassen Dissertationen zum Thema ›Metallische Lebensformen im Weltall‹, und alsbald entstehen zwanzig religiöse Sekten, die sich dem Kult der eisernen Götter weihen. Und dann ...«

»Und dann kommen zwanzig Jahre später Jurkowski und ich an und erklären, wie es sich wirklich verhält. Und unter unserer Leitung beginnt die Erschließung der dortigen Venus. Wie bauen Chiusse ...«

»Und alles beginnt von vo-horn!«, skandierte Jurkowski näselnd.

»Ja, und alles beginnt von vorn. Die gottverlassene Venus wird erschlossen und ... überhaupt alles von vorn. Ewige Bewegung«, sagte Dauge nachdenklich.

Alle lachten.

»Ich mache euch einen Vorschlag ...«, begann Jurkowski.

»Entschuldigen Sie mich bitte«, unterbrach ihn Jermakow. Er erhob sich und schaltete das Funkgerät ein. Augenblicklich füllte sich der Raum mit Pfeifen und Kreischen.

Die Geologen schauten einander an.

»Die Verbindung ist wohl immer noch gestört?«, fragte Dauge beunruhigt.

»Den zweiten Tag schon«, gab Bykow mit einem Blick auf den Kommandanten leise zur Antwort.

Jermakow legte den Hebel um, und das Kreischen hörte auf.

»Wir fahren zurück zur Chius.« Er sah auf die Uhr. »In einer guten Stunde brechen wir auf. Natürlich, wenn sich nichts ändert.«

Überrascht blickten die Raumfahrer einander an.

»Erlauben Sie ...« Jurkowski zog finster die Augenbrauen zusammen. »Und das Rauchmeer?«

»Fahren wir denn nicht zum Rauchmeer?«, fragte Dauge erstaunt.

Der Kommandant schwieg.

»Und dann – Michail Antonowitsch soll ja, wie verabredet, die Chius hierher überführen. Der Flugplatz ist fertig zum Empfang, Michail wartet nur auf Ihren Befehl.«

»Wir haben keine Verbindung«, sagte Jermakow mit dumpfer Stimme.

»Und wenn schon!« Jurkowski zuckte mit den Schultern. »Das ist auch früher schon vorgekommen. Warten wir eben ...«

»... und erforschen inzwischen das Rauchmeer«, griff Dauge auf. »Das nennt man, das Nützliche mit dem ...«

Jermakow schüttelte den Kopf. »Nein, wir fahren zurück zur Chius.« Er sagte es ausgesprochen sanft, in seiner Stimme lag ein unbekannter bittender Ton. »Die Verbindung kann zustande kommen, es kann aber auch sein, dass sie ganz ausbleibt. Wir dürfen nicht warten. Wir müssen unverzüglich zur Chius zurückkehren. Das Wasser reicht höchstens noch für vier Tage. Ab morgen kürze ich die Rationen.«

Jurkowski sprang auf. »Wegfahren, jetzt, da das Werk erst halb getan ist? Sollen wir uns mit kläglichen Krumen zufriedengeben, wo uns nur noch ein Katzensprung von der Schatzkammer der Geheimnisse und Rätsel trennt? Man hat uns eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen ...«

Bykow begriff: Jetzt war die entscheidende Aussprache da. Ansätze dazu hatte es bereits mehrere Male gegeben. Die Geologen bestanden schon lange auf einer gründlichen Erforschung des Rauchmeeres. Solche Chancen auszulassen! Nicht tun, was getan werden musste! Auf halbem Wege umkehren! Jurkowski fuchtelte aufgebracht mit den Armen, Dauge hob die Stimme. Aber Jermakow schwieg sich entweder aus, oder er gab derart unbestimmte Antworten, dass den Geologen, die nicht die Disziplin verletzen wollten, vor Wut der Atem ausging.

Gewiss, Bykow hatte nicht erwartet, dass die entscheidende Aussprache gerade jetzt stattfinden würde, da sie zwei, drei Stunden in gemütlichem Beisammensein zu verbringen gedachten. Der Abend war endgültig verdorben. Es blieb nur eins: sich damit abzufinden, zuzuhören – und notfalls seine Meinung zu sagen. Er war überzeugt, dass dies erforderlich sein würde. Er brauchte nur in die bleichen eingefallenen Gesichter der Streitenden zu blicken. Jeder war von der Richtigkeit seiner eigenen Ansicht überzeugt und fest entschlossen, sie zu verteidigen.

Jermakow unterbrach Jurkowski.

»Halten Sie die geologischen Daten, die Sie in der Umgebung der Golkonda gesammelt haben, für ausreichend?«

»Sie meinen, in der weiteren Umgebung ...?« Jurkowski kniff die Augen zusammen.

»Ja, in der weiteren ...«

»Die Daten sind im Großen und Ganzen vollständig«, führte Dauge an. »Aber ...«

»Sie haben in erster Näherung die Erforschung der Qualität und Quantität der nützlichen Bodenschätze in der Umgebung der Urangolkonda so gut wie abgeschlossen.« Jermakows Stimme klang jetzt laut und scharf. »Sie haben bewiesen, dass die Umgebung der Golkonda einer Ausbeutung wert ist. Sie haben erschöpfendes Material über die Natur des Gebietes gesammelt und die Radioaktivität bestimmt. Sie haben eine geologische und eine topographische Karte angefertigt. Sie haben die geophysische Tiefenerkundung der Venus in dieser Gegend durchgeführt ...«

»Die Daten sind aber verschwommen und bei Weitem nicht erschöpfend!«, fiel Jurkowski dem Kommandanten ungestüm ins Wort. »Wir haben die Möglichkeit, viel genauere Daten zu bekommen, und ...«

»Wir haben keine solche Möglichkeit!«, schnitt Jermakow ab.

»Wieso nicht?«

»Ich sagte es schon. Wenn Sie wollen, kann ich es wiederholen. Wir haben Wasser nur noch für vier Tage. Die Verbindung ist unterbrochen. Der Standort der Chius ist gefährlich. In unserer Lage kommt der Marsch ins Rauchmeer einem Abenteuer gleich. Ein x-beliebiger ernster Defekt des Knaben kann zum Scheitern des ganzen Unternehmens führen. Außerdem ...«

»Was heißt denn Abenteuer, wenn es darum geht, einen Regierungsauftrag zu erfüllen?« Jurkowski fuchtelte erregt mit den Armen. »Man hat uns eine verantwortungsvolle Aufgabe gestellt, und wir erfüllen sie nur halb. Eine Schande ist das! Wann werden denn wieder Menschen hierherkommen ...!«

»Wenn wir zurückkehren – bald. Wenn wir aber hier bleiben – nie! Oder vielleicht in zwanzig Jahren. Ich bin nicht bereit, die ganze Expedition aufs Spiel zu setzen. Es ist ein zu großes Risiko ...!«

»Ein Risiko! Wieder Risiko«, tobte Jurkowski. »Ich fürchte kein Risiko. Sagen Sie, was Sie wollen, Anatoli Borissowitsch, aber Sie können aus uns keine Feiglinge machen!« (Jermakow zuckte unwillkürlich zusammen: Diese Worte hatte er selbst einmal gesprochen.) »Die Hauptaufgabe der Expedition wird unerfüllt bleiben!«

»Dem ist nicht so«, mischte sich Bykow in den Streit.

Plötzlich war ihm das Gespräch eingefallen, das Jermakow zu Beginn des Fluges mit ihm geführt hatte. Er begriff, welche Gründe den Kommandanten zwangen, vorsichtig zu sein. Die Geologen, daran gewöhnt, dass sich Bykow selten in derartige Dispute einmischte, blickten ihn erstaunt an, nur Jermakows Miene blieb unverändert.

Bykow fuhr fort: »Die Hauptaufgabe unserer Expedition besteht nicht in der Erkundung. Sie haben den Befehl des Komitees schlecht in Erinnerung. Die Prüfung der Chius – das ist die Hauptaufgabe!«

»Alexej Petrowitsch hat recht. Unsere Hauptaufgabe ist es, zu beweisen, dass nur Raketen vom Typ Chius imstande sind, die Venus zu erobern. Außerdem müssen wir die gesammelten Daten auf die Erde bringen. Wir haben eine erste Erkundung durchgeführt. Der Landeplatz ist angelegt. Unsere Hauptaufgabe ist es jetzt zurückzukehren.«

Das glücklose Geburtstagskind biss mit Widerwillen in einen Rollmops – man sah, dass er geneigt war, sich zu ergeben.

Jurkowski rief mit Bitterkeit: »So ein Werk auf halbem Wege abzubrechen!«

»Das Bessere ist ein Feind des Guten, Wladimir Sergejewitsch. Und dann, wir haben unser Werk getan ...«

»Sie sind kein Fachmann«, sagte Jurkowski grob.

»Ich bin der Kommandant!« In Jermakows Gesicht zuckte es. »Ich bin für den Ausgang des ganzen Unternehmens verantwortlich. Ich hätte einfach befehlen können, doch ich habe mir Ihre Argumente angehört und halte sie keineswegs für überzeugend. Wollen wir nicht mehr darüber reden ... Wenn es gelingt, im Laufe der nächsten Stunde die Verbindung mit Michail Antonowitsch wiederherzustellen, und wenn die Chius hier auf dem Landeplatz steht, gebe ich Ihnen noch zwei bis drei Tage ...«

»Auch ein Trost«, sagte Jurkowski bissig.

»Auf die Verbindung vertrauen, heißt auf Gott vertrauen.« Das Geburtstagskind lächelte schief.

»Leider haben Sie recht, Grigori Johannowitsch«, stimmte Jermakow reserviert zu und schaute auf die Uhr.

Der Abend war endgültig verdorben. Die Geologen setzten sich Seite an Seite und ließen die Köpfe hängen. Jermakow machte sich wieder am Funkgerät zu schaffen. Der Lautsprecher heulte und kreischte unerträglich laut. Die Minuten strichen dahin. Michail Antonowitsch meldete sich nicht. Die Kognakflasche stand vergessen und einsam mitten auf der weißen Serviette.

Krr, krr, ti-iu-u, füi-i ..., drang es aus dem Lautsprecher. Die Indikatoren an der Wand füllten sich langsam mit rotem Licht. Immer lauter tickten die Strahlungsmesser.

»Die Venus gratuliert dir, Johannytsch«, sagte Jurkowski mit hölzerner Stimme.

»Mein Gott, mein Gott ...!«, flüsterte das Geburtstagskind niedergeschlagen und fügte halblaut einen lettischen Fluch hinzu.

Füi-i-i-u-u, pfiff der Lautsprecher.

»Sag, hörst du das Gangspill dort jämmerlich knarren?

Du hörst nichts? Dann scher dich nicht drum.

Die Kinder des Nebels verlassen den Hafen,

Sie fahren. Wohin? Und warum?«,

begann Jurkowski plötzlich leise nach der Melodie eines bekannten lyrischen Liedes zu singen.

»Ah, das ist mal etwas Neues!«, sagte Dauge lebhaft. »Und weiter?«

»Singst du mit?«, fragte Jurkowski etwas verlegen.

»Klar doch! Leg los!«

Jurkowski wiederholte den Anfang, und Dauge fiel mit schrecklicher Stimme ein:

»Die Kinder des Nebels verlassen den Hafen,

Sie fahren. Wohin? Und warum?

Die Möwe pflügt pfeilschnell die bleiernen Wogen,

Du hörst ihren klagenden Schrei,

Schwarz ragen die Masten, schon sind sie gezogen

Im diesigen Regen vorbei.

Sie steuern die Schiffe im Wind in der Frühe

Vorbei an der Brandung am Strand,

Im Zwielicht durch schäumende, ruhlose Wellen,

Sie steuern mit ruhiger Hand.

Es warten auf sie schon die schlaflosen Stunden

Am Steuerrad nachts im Orkan

Und tosende Strudel vor fernen Gestaden

Und Riffe mit hungrigem Zahn

Und triefende Netze und trockene Segel

Und Glut, die schon morgens beginnt,

Und fern von dem Wald an der Küste herüber

Der linde, der zärtliche Wind.

Es warten die Ufer der vier Ozeane,

Woher fremde Rede erschallt.

Die Kinder des Nebels verlassen den Hafen ...

Wann kommen sie wieder? Nicht bald.«

»Wann kommen sie wieder? Nicht bald«, wiederholte Dauge nachdenklich. »Gut gemacht, Wolodja, sehr schön ...«

Sie schenkten ein und tranken jeder ein Glas. Jurkowski wurde etwas trübsinnig und stützte den schönen, leicht angegrauten Kopf in die Hände. Jermakow dachte über irgendetwas angestrengt nach und schaute jede Minute mechanisch auf die Uhr. Bykow, vollends traurig, lehnte sich im Sessel zurück und schloss die Augen. In seiner Erinnerung tauchten Bilder auf, die ihm lieb und jetzt so schrecklich fern waren – das tiefe Blau des Himmels, ein warmer, zärtlicher Windhauch, blaue Wolkenfetzen in einer dunklen, zitternden Pfütze ... die Erde ...

»Genug, Johannytsch«, erklang Jurkowskis Stimme.

Bykow hob die Lider. Dauge füllte gerade ein Glas. Seine Hände zitterten, bernsteinfarbene Tropfen, die im elektrischen Licht lustig funkelten, fielen auf die Serviette, liefen darauf als kleine helle Kügelchen auseinander.

»Das ist nicht für mich«, sagte Johannytsch streng, »und nicht für dich ...« Er streckte die Hand über die Happen hinweg aus: »Trink, Bogdan ... Ja, ich weiß, du kannst das nicht leiden, aber du musst – mir zuliebe!«

Jurkowski fuhr zurück. Dauge hielt das Glas in der ausgestreckten Hand und sagte eindringlich: »Ins Rauchmeer dürfen wir ja doch nicht. Ergo ist die Expedition beendet. Darauf muss man unbedingt einen trinken ...«

Jermakow erhob sich plötzlich. Ruhig, ohne den Blick von der Uhr zu wenden, sagte er: »Entschuldigen Sie, ich schalte das Licht aus. Ich muss Ausschau halten.«

»B-bitte«, brachte Bykow mit Mühe hervor, ohne den Blick von Dauges bleichen Wangen zu wenden.

»Helfen Sie mir, Alexej Petrowitsch.« Jermakow schien nichts zu merken.

»B-bitte«, wiederholte Bykow.

Sie stiegen in den Kommandoturm. Jermakow knipste das Licht aus. In der Dunkelheit ertönte Dauges scharfes, ungesundes Lachen.

»Hast recht, Bogdan ... Recht hast du ...«

Jermakow richtete den Entfernungsmesser nach Süden und blickte durch die Okulare. Bykow beugte sich über den zweiten Entfernungsmesser. Er verstand nicht, was er eigentlich tat. Er hörte nur das scharfe Lachen hinter seinem Rücken, unverständliche Worte – Dauge hatte begonnen, laut auf Lettisch zu sprechen – und das Flüstern Jurkowskis: »Grigori ... Grischa ... Beruhige dich ... Grischa ...«

Und dann blitzten vor seinen Augen in dem bleischwarzen, von phosphoreszierenden Teilstrichen durchzogenen Kreis plötzlich nacheinander zwei grelle blutrote Sternchen auf – knapp über der schwarzen, bodenlosen Linie des Horizonts.

»Anvisieren!«, rief Jermakow mit überraschend heiserer Stimme. »Anvisieren, Bykow! Passen Sie doch auf, zum Teufel!«

Eilig, ohne zu überlegen, fixierte Bykow die Richtung der seltsamen roten Sternchen, die allmählich verblassten und erloschen.

»... Anatoli Borissowitsch! So sagen Sie ihm doch, dass er trinken soll!«, schrie Dauge erbost.

»Trinken Sie, trinken Sie, Bogdan Bogdanowitsch«, sagte Jermakow achtlos. Er machte Licht im Turm und schrieb in fieberhafter Eile die Daten von den Skalen seines Entfernungsmessers ab.

»Sieh da«, sagte Dauge zufrieden. »Kluger Junge – auf den Kommandanten hörst du. Und jetzt noch einen ...«

»Wie viel haben Sie?«, fragte Jermakow hastig.

»Höhe zehn Grad acht Minuten, Azimut dreißig Grad sechsundzwanzig Minuten ... Aber was soll ...«

»Schweigen Sie, Alexej Petrowitsch ...« Jermakow notierte sich die Zahlen. »Schweigen Sie ... Davon später.«

Bykow fasste sich an die Unterlippe.

»Licht!«, rief Jurkowski plötzlich aus dem Wageninnern. »Machen Sie Licht! Dauge geht es wieder sehr schlecht ...!«