Die Venus zeigt die Zähne

Später konnte sich Bykow das, was kurze Zeit nach den Worten des Kommandanten geschehen war, nie von Anfang bis Ende ins Gedächtnis rufen. Noch weniger erinnerten sich daran seine Kameraden, die es versäumt hatten, sich an den Sitzen festzuschnallen. Ein Schwarzer Sturm der Golkonda zieht nicht heran, nicht einmal wie ein Orkan – er entsteht urplötzlich wie ein Bild im Spiegel, gleichzeitig rechts und links, vorn und hinten, oben und unten. Auf dem Schirm des Infrarotprojektors sah Bykow etwa hundert Meter voraus eine gigantische tintenschwarze Wand, und da brach auch schon völlige Finsternis herein. Die Eindrücke endeten, es begannen die Empfindungen.

Der Wagen wurde mit D-Zug-Geschwindigkeit zurückgeschleudert, und Bykow prallte mit dem helmbewehrten Kopf gegen die Vorderwand. Funken tanzten vor seinen Augen, vor Schmerz zog er die Luft durch die Zähne. Er spürte, wie der Knabe den Bug hochhob und sich aufbäumte; die Gurte schnitten in den Körper, knirschten, hielten aber. Ringsum in der Finsternis heulte und donnerte es. Bykow war wie taub und blind. Von der furchtbaren Anstrengung beinahe erstickend, schaltete er den allerschnellsten Gang ein und fuhr alle vier Stützhebel aus. Der hintere rechte brach. Ein wahnwitziges Karussell erfasste den Knaben, warf ihn auf die Seite, schleifte ihn einige Dutzend Meter zurück und drehte ihn auf den Rücken. Doch die heil gebliebenen Stützen hoben ihn etwas an, der Sturm besorgte das Übrige – und schon stand der Wagen wieder auf den Raupen.

Wie immer in Augenblicken höchster Gefahr arbeitete Bykows Gehirn rasch und präzise. Der Fahrer, fest verwachsen mit seinem Wagen, wehrte sich aus Leibeskräften. Mit geweiteten, glasigen Augen verfolgte er, wie auf dem Bildschirm in der bodenlosen Finsternis hellblaue, wabernde Büschel aufflammten. Durchhalten, durchhalten ... Blendend helle Kugeln tanzten auf dem Bildschirm, explodierten lautlos, spuckten Feuer, und im Donnern und Tosen des Sturmes mahlten die Gleisketten der vieltonnenschweren Maschine mit rasender Schnelligkeit im Sand; die festen Titanstützen bohrten sich in den Boden, doch wieder gab der Knabe nach, wieder schleuderte ihn der Sturm auf die Seite und schob ihn vor sich her. Durchhalten, durchhalten! Von dem Brüllen, Heulen und Krachen platzte schier das Trommelfell, auf den Lippen haftete klebriges Zeug. War es Blut? A-ah! Bykow hing mit dem Kopf nach unten, doch seine Hände drückten auf die Tasten. Über den Bildschirm hüpften zottige Feuerbälle. Kugelblitze? A-ah! Durchhalten um jeden Preis ... Und wieder wurde der Knabe aufs Heck geschleudert ...

Dann endete alles ebenso plötzlich, wie es angefangen hatte. Bykow stellte den Motor ab und nahm mit Mühe die Hände vom Steuerpult. Durch die Sichtluke ergoss sich wieder das rötliche Licht; es kam Bykow unvergleichlich schön vor. In der eingetretenen Stille hörte er die Strahlungsmesser ticken.

Bykow schaute sich um. Der Kommandant nestelte mit ungehorsamen Fingern an den Gurten. Bogdan Spizyn saß ohne Helm auf dem Fußboden neben dem Funkgerät und schüttelte wie von Sinnen den Kopf. Sein Gesicht war derart schwarz verschmiert, dass Bykow sogar erschrak – der Pilot und Funker war kaum zu erkennen. Jermakow hatte sich endlich losgeschnallt. Er stand auf, doch seine Beine knickten ein.

»Na ... wisst ihr ..., das war aber eine Strapaze«, brachte Bogdan mühselig hervor und lächelte; seine weißen Zähne blitzten. »Ob unsere Erde in ihrer Jugend ebenso stürmisch war?«

Unter dem Wandtischchen kroch Dauge hervor. Er stützte sich auf Ellbogen und Knie und versuchte aufzustehen, überlegte es sich jedoch offenbar anders. Auf Lettisch fluchend, setzte er sich, lehnte sich an die Ballen und nahm langsam den Helm ab. Brechreiz würgte ihn. Jurkowski war lange nicht aufzufinden. Endlich entdeckten ihn die Kameraden unter einem Haufen eingestürzter Ballen. Er war bewusstlos, kam jedoch sofort zu sich, schlug die Augen auf und erkundigte sich: »Wo bin ich?«

Bykow lächelte erleichtert, während Bogdan mit ernster Miene sagte: »Du bist im Knaben. Der Knabe, weißt du, das ist so ein Geländewagen ...«

»Keine Einzelheiten! Auf welchem Planeten?«

»Eine erstaunliche Fähigkeit, in jeder Lage steinalte Witze zu zitieren«, sagte Dauge boshaft. Er saß immer noch da und fingerte am Helm herum, der auf seinen Knien lag.

Sofort erhob sich Jurkowski und blickte ihn abschätzend an. »Cher Dauge! Weißt du, welche Farbe du jetzt hast?«

»Ich weiß. Gelb. Die Brote waren mit Käse belegt ...«

Spizyn lachte los, verschmierte den schwarzen Schmutz übers Gesicht, Jurkowski legte die Hände an die Hosennaht und stellte sich neben Dauge, der den Helm möglichst weit von sich hielt und damit wie mit einer vollen Schale zum Ausgang ging. »Zum Parademarsch – Augen rechts!«

Dauge stolperte über einen Ballen, hätte seinen Helm beinahe fallen lassen und fluchte.

»Die windumtoste Hebe lacht;

sie hat, wie sie Zeus’ Adler nährt,

die Schale, drin der Donner kracht,

herab zur Erde ausgeleert«,

verkündete Jurkowski triumphierend.

Die scharfe Stimme Jermakows unterbrach ihn. »Genossen Raumfahrer! Sofort die Helme auf! Alarm!«

Bykow, der gerade seinen Helm abnehmen wollte, drehte sich erstaunt um.

»Staub! Radioaktiver Niederschlag!« Jermakow beugte sich in gespannter Haltung vor. »Die Helme aufsetzen! Spizyn, sofort waschen! Alles zur Desaktivierung bereitmachen.«

Bykow begriff. Die Wände, die Kisten und die Ballen, die Geräte, die Anzüge und Spizyns Gesicht – alles war mit einem Anflug feinsten schwarzen Puders bedeckt, den der ungeheure Druck des Sturmes durch die mikroskopisch schmalen Spielräume der Luken hereingepresst hatte. Die bestaubte Schutzglocke des Indikatorlämpchens blinkte hell, und nun vernahmen auch die anderen das rasche Ticken der Strahlungsmesser. Jurkowski hantierte eilig an den Schnallen seines Spezialanzuges. Dauge zögerte ein Weilchen, fühlte aber dann den schweren Blick des Kommandanten auf sich ruhen und steckte entschlossen den Kopf in den Helm.

»Alexej Petrowitsch, untersuchen Sie bitte den Knaben von außen«, befahl Jermakow und setzte ebenfalls den Helm auf.

Draußen war es ungewöhnlich still. Der Wind hatte sich ganz gelegt. Die gigantischen Windhosen am Horizont waren verschwunden. Bykow sprang von Bord des Knaben und versank knietief in dem weichen schwarzen Staub. Der Boden zitterte so stark, dass Bykow die Zähne aufeinanderschlugen. Ein dumpfes Getöse erfüllte den Kopfhörer.

Die Golkonda! Bykow bohrte seinen Blick in den hügeligen Horizont.

In dem flimmernden glutroten Glast zeichnete sich bisweilen ein ferner Gebirgszug ab, der immer wieder von brodelnden Dämpfen verdeckt wurde. Ein unheimliches Grollen drang von dort herüber.

Der Knabe stand aufgebäumt mit einer leichten Schlagseite nach rechts; er glich einer riesigen, verstümmelten Spinne. Der Sturm hatte einen großen Hügel unter das Fahrzeug geweht, und die Gelenkstützen staken tief im Staub.

Als Bykow um den Bug watete, sah er breite halbverwehte Furchen, die sich viele Meter weit hinzogen – es waren die Spuren des Rückzuges. Sie schienen nicht tief zu sein, doch als er eine davon betrat, versank er bis zum Gürtel.

Der hintere rechte Stützhebel hing »an einem Faden«. Der Sturm hatte das Titangelenk aus dem Gehäuse gedreht. Mit einiger Mühe ließ sich der Schaden zwar reparieren, doch die frühere Festigkeit war unwiderruflich dahin. Bykow seufzte bekümmert und machte sich an die Arbeit.

Die Reparatur näherte sich bereits ihrem Ende, als der Ingenieur, ganz in seine Arbeit vertieft, Jermakows Stimme über sich hörte.

»Na, wie klappt’s? Wir sind schon fertig ...« Der Kommandant sprang vom Wagen und hockte sich neben Bykow. »Wir sind noch glimpflich davongekommen. Ich sehe, Sie haben’s ja auch bald geschafft.«

»Ja ...« Bykow schnaufte. »Schade bloß um den Knaben, hat sich das Beinchen ausgerenkt, der Ärmste.« Er kniete nieder und betrachtete kritisch seine Arbeit. »Taugt höchstens noch für Vergnügungsfahrten! Schlimm, Anatoli Borissowitsch, Sie sehen’s ja selbst.« Er seufzte und begann das Werkzeug einzusammeln. »Ich hätte dem Sturm ein wenig nachgeben sollen, dann wäre alles heil geblieben.«

Der Kommandant winkte ab. »Wissen Sie, wie lange der Sturm gedauert hat?«, fragte er.

»Na, vielleicht zwanzig Minuten ... Schwer zu sagen, ich habe nicht auf die Uhr gesehen.«

»Aber ich ... Drei und eine halbe Minute.«

»W-wie?«

»Drei und eine halbe Minute, Alexej Petrowitsch. Während dieser Zeit hat uns der Sturm über tausend Meter zurückgeworfen. Wenn Sie nachgegeben hätten, läge der Knabe jetzt hundert Kilometer weit von hier ... und wäre ein Trümmerhaufen. Sie ahnen ja gar nicht, was für ein Prachtkerl Sie sind, Alexej Petrowitsch!« Er strich zärtlich über den Stützhebel. »Und jetzt vorwärts, der Weg ist frei! Bis zur Golkonda ist es nur noch ein Katzensprung. Hören Sie das Rummeln? An die fünfzig Kilometer. Man sieht sie schon – da, die schwarzen Tupfen ... Nein, es sind keine Berge, es sind die Rauchwolken der Golkonda.«

Bevor Bykow dem Kommandanten zur Luke folgte, schaute er sich noch einmal um und sah in weiter Ferne wie durch Nebel breite violette Streifen entstehen. Vor seinen Augen flimmerte es. Er kniff die Lider zusammen und schüttelte den Kopf. Plötzlich waren die Streifen verschwunden.

»Das fehlte noch«, murmelte er, über die Panzerung kletternd. »Halluzinationen ... Schöne Bescherung!«

In den Kabinen des Knaben blinkte alles vor Sauberkeit. Die Ladung war sorgsam aufgestapelt und festgezurrt. Struppig, mit feuchtem Haar, saß Bogdan vor dem Funkgerät und drehte an den Knöpfen. Die Geologen hatten ihre Plätze in der Ecke am Klapptischchen eingenommen. Jurkowski blätterte in einem Handbuch und pfiff leise vor sich hin. Es herrschte Ruhe und Behaglichkeit. Plötzlich wurde Bykow so müde, dass er nicht mehr die Augen aufhalten konnte – die unmenschlichen Anstrengungen der letzten Stunden hatten ihn vollends erschöpft.

»Anatoli Borissowitsch ...«

»Schlafen, schlafen!«, unterbrach ihn Jermakow rasch. »Sofort schlafen.«

»Zu Befehl!«, sagte Bykow erfreut, setzte sich auf die Ballen und nahm den Helm ab.

Dauge beobachtete ihn mit wohlwollendem Lächeln. Kaum aber hatte Bykow den Helm abgenommen, sprang Dauge auf und stieß einen leisen Schreckensruf aus, sodass Bykow überrascht aufblickte und alle anderen die Köpfe wandten.

»Liebe Mutter, Helferin der Raumfahrer aller Welt!«, murmelte Jurkowski auf Ukrainisch und bekreuzigte sich unbeholfen. Spizyn ächzte. Jermakow stand abrupt auf.

»Was ist denn?«, fragte Bykow verwirrt und schaute an sich hinunter.

»Warte, warte, Alexej ... Was ist das?«, stotterte Dauge.

»Ja was denn bloß?«

»Ihr ganzes Gesicht ist blutig, Alexej Petrowitsch«, sagte Jermakow. »Sie haben sich wahrscheinlich bei einem Stoß die Stirn verletzt.«

»Stimmt, einmal hab ich mich gestoßen«, brummte Bykow und betastete den Kopf.

»Halt! Nicht mit den Fingern berühren. Ich will Ihnen die Wunde gleich auswaschen ... Finger weg, sag ich! Wladimir Sergejewitsch, geben Sie ihm einen Spiegel.«

Auf der Stirn zeichnete sich eine riesige dunkle Beule ab, die Nase war geschwollen, die aufgeschlagene Unterlippe blutete, die Wangen trugen ein wunderliches Muster.

Verärgert legte Bykow den Spiegel beiseite. »Wirklich, liebe Mutter ...«

»Nichts Schlimmes.« Jermakow säuberte die Wunde rasch und geschickt. »Effektvoll, aber ungefährlich. Wie kommt es nur, dass Sie das nicht gemerkt haben?«

»Na ja, es hat ein bisschen gebrannt ... Wer konnte denn ahnen ...?«

»Ich persönlich bin gar nicht darüber erstaunt«, meinte Dauge.

»Worüber?«

»Dass du nichts gemerkt hast. Ich zum Beispiel hatte ja auch nur ein einziges Gefühl: Mir war, als stünde ich die ganze Zeit auf dem Kopf und hielte meinen Magen mit der Zunge fest.«

»Du kannst nicht die ganze Zeit auf dem Kopf gestanden haben ... Vielen Dank, Anatoli Borissowitsch, jetzt ist alles in Ordnung.«

Bykow hängte den Helm an den Haken und kletterte, vor Wohlbehagen krächzend, auf die Ballen.

»Das heißt, ich zweifle durchaus nicht, dass der Knabe in dieser Teufelsbrühe gelegentlich auch auf den Ketten stand ... Ich halte zu viel von ihm, um daran zu zweifeln. Aber mein persönlicher Stützpunkt war mein eigener Kopf ... den ganzen betrachteten Zeitraum hindurch.«

»Gut gesagt – ›Stützpunkt‹. Ich liebe konkrete Formulierungen«, bemerkte Jurkowski unsd griff wieder nach dem Handbuch.

»Die Anspielungen verstehe ich nicht ... Ja ... Und warum das so war, ist ganz und gar unklar ...«

»Noch ein Rätsel«, sagte Spizyn.

»Und die Lösung liegt nicht zutage«, fiel Jurkowski ein.

Dauge sagte etwas – irgendetwas von »menschenähnlichen Mitarbeitern der Wissenschaft« – doch Bykow schlief bereits.

Ein großes weißes Schiff trug ihn schaukelnd über einen breiten tiefblauen Strom. Die Sonne strahlte, in der Ferne lagen dunkel die Ufer hinter graublauem Dunst, und über die Fluten schoss ein blendendweißer Vogel dahin. Das Schlingern wurde immer stärker, das Deck rutschte unter den Füßen weg. Jemand rief: »Das ist aber ein Weg!« Bykow flog zappelnd über Bord und erwachte. Der Knabe wurde heftig hin und her gerüttelt. Jermakow steuerte, die anderen drängten sich aneinandergeklammert hinter seinem Rücken und schauten auf den Bildschirm.

»Richtige Fangzähne!«, bemerkte Bogdan Spizyn. »Etwas ältlich, diese Göttin der Schönheit. Und uns hat sie im Maul.«

Bykow kroch von seinem harten Lager, stolperte zu den Kameraden und steckte den Kopf zwischen Bogdan und Dauge. Die Wüste war zu Ende. Der Knabe wälzte sich jetzt um aufgetürmtes graues Gestein herum durch einen Wald glatter, schwarzer Säulen. Über den Steinhaufen ragten hohe, gerade Felsen in den niedrigen Himmel – viele Hunderte davon sah man in der Ferne. Der Boden war von Spalten durchzogen und mit Steinbrocken übersät, hier und da wucherte harter brauner Efeu, und um die Felszacken wanden sich dornige Ranken. Ein steinernes Dickicht umgab den Knaben. Bogdan hatte recht – die Felsen erinnerten in der Tat an spärliche Greisenzähne.

Das Schütteln wurde unerträglich. Jurkowski stöhnte plötzlich und legte die Hand an den Mund – er hatte sich auf die Zunge gebissen. Bykow berührte Jermakow an der Schulter.

»Halten Sie lieber an, Anatoli Borissowitsch, hier kann sich der Knabe leicht den Bauch aufschlitzen.«

Jermakow nickte. Er steuerte die Maschine zur nächsten Säule und stellte den Motor ab.

»Man müsste den Weg auskundschaften«, sagte Bykow und beugte sich zur Sichtluke. »Vielleicht ist es besser, wir kehren um und umfahren die Stelle.«

»Nein«, schnitt Jermakow ab. »Das Felsgelände zieht sich wahrscheinlich sehr weit hin. Wir haben keine Zeit.«

»Die Felsen einfach sprengen; einige Minen – das genügt«, schlug Spizyn vor.

Jermakow überlegte. Dann stand er entschlossen auf. »Wir werden die Gegend erkunden. Zu viert. Der Fahrer bleibt beim Wagen.«

»Zu Befehl.«

»Jetzt geht’s los, jetzt geht’s los!«, frohlockte Dauge und schwang seinen geologischen Hammer.

»Den Hammer hierlassen«, gebot Jermakow. »Nur eine Waffe mitnehmen.«

»Anatoli Borissowitsch, wir haben noch nicht ein einziges Mal ...«

»Keine Zeit. Jurkowski, Spizyn, beeilen Sie sich! Bykow, den Wagen nicht verlassen. Auch wenn Sie Schüsse hören sollten ... Alle fertig? Na, dann los!«

Bykow kletterte mit den anderen hinaus, setzte sich auf den kaum vorspringenden Kommandoturm und schaute den Kameraden nach. Ihre Gestalten wurden immer kleiner – zwischen den mächtigen, von Rissen durchzogenen Steinblöcken wirkten sie wie winzige krabbelnde Käfer. Jermakow und Dauge gingen in Fahrtrichtung, Jurkowski und Spizyn bogen nach rechts ab. Einige Zeit hörte Bykow noch Jurkowskis Stimme, der versicherte, dass dies die beste geologische Fundgrube der Welt sei, das fröhliche Lachen Bogdans und den munteren Bass Johannytschs, der das Liedchen von den Argonauten sang. Dann wurde alles still, und Bykow war allein.

Die Wolken jagten über den Himmel, der Wind heulte um die schwarzen Felssäulen, ein paarmal hörte Bykow ein lautes Krachen, und es schien ihm, als seien es Signalschüsse. Er schnellte empor und schaute sich um. Dann begriff er, dass es der Wind war, der die Steine zusammenstieß. Trotzdem holte er sich eine Maschinenpistole aus dem Wagen und hängte sie sich über die Schulter. Der Boden wurde ständig von starken Stößen erschüttert, und durch das Heulen des Windes drang das ferne Grollen der fernen Golkonda heran.

Ein erstaunlich düsterer Ort! Ringsum grimmige, kahle Felsnadeln wie die Säulen einer riesigen zerstörten Halle. Bykow stellte sich vor, dass einst ein prächtiger antiker Palast hier gestanden hatte – ohne Wände, nur mit wundervollen Kolonnaden aus schwarzem Gestein. Durch die Gänge wandelten Menschen in schneeweißen Gewändern: würdevolle bärtige Weise, schöne Frauen, Krieger mit Bronzehelmen und Schilden ... Wie auf dem Bild, das er einmal in einem historischen Roman über Atlantis gesehen hatte ... Dann war ein Schwarzer Sturm gekommen und hatte alles vernichtet: Das Gewölbe war eingestürzt und zwischen die Säulen gefallen, und inmitten der Öde war nur noch ein Wald glatter, schwarzer Pfeiler stehen geblieben ...

Plötzlich sprang Bykow auf und griff nach der Maschinenpistole. Er hatte den Eindruck, als schöbe sich hinter der nächsten Säule ein riesiger dunkelhäutiger Mensch hervor, groß wie ein Haus, und bleibe lauernd stehen ... Nein, es war ja nur ein Steinblock. Die Steine überraschten durch die Wunderlichkeit ihrer Formen. Bykow betrachtete sie eingehend, suchte nach bekannten Umrissen. Dort lag ein schlafender Löwe; eine Fratze mit schief sitzender Mütze grinste ihn an; daneben hockte eine gigantische Kröte und ein wenig weiter – etwas völlig Undefinierbares mit Hörnern und vorquellenden Augen ... Die Steinwildnis lebte ihr eigenes regloses Leben, die seltsamen erstarrten Tiere – Löwen, Tiger, Echsen, Drachen, Frösche – atmeten verstohlen, unmerklich mit leise zitternden Flanken und äugten unter den geschlossenen schweren Lidern auf die fremden Gäste. Steinerne Bewohner des steinernen venusianischen Waldes!

Doch wie arm war diese Landschaft an wirklichem Leben! In den Wüsten der Erde begegnete man noch ab und zu einer Schlange, einem Skorpion oder einer Walzenspinne, am Wüstenrande – einer Saiga-Antilope. Und hier? Ja, im Sumpf, da gab es Leben genug, sogar zu viel, doch in den Bergen und in der Wüste gediehen nur harte Dornengewächse ... Immerhin, als sie auf der Suche nach dem Pass am Moor entlanggerollt waren, hatte Bykow einen schnellen Schatten an der Felsenwand hinaufhuschen und im Dickicht verschwinden sehen. Aber sicherlich war es nur eine Sinnestäuschung gewesen ... In der Tat, eine üble Landschaft ... Stein, nichts als Stein, toter, regloser, schwarzer Stein ...

Bykow dachte an den grünen Grasteppich im Frühling, an die herabhängenden Zweige der Trauerweiden, an die weißen Lehmhäuschen in der Vorstadt, an das Murmeln des Wassers im Aryk – und seufzte wehmütig. Erde, Erde ...

In der Ferne sprang eine kleine schwarze Gestalt hinter einem Felsblock hervor. Die Kameraden kehrten zurück! Bykow richtete sich auf und spähte hinüber. Die Gestalt kam, mit den Armen balancierend, langsam näher. Jetzt stolperte sie, fiel beinahe, und in Bykows Kopfhörer ertönte ein leiser Ausruf. Jurkowski! Verteufelt angenehm, auf diesem Steinfriedhof einen Menschen zu sehen! Der Geologe beeilte sich nicht, in seiner Stimme schwang Ärger mit, anscheinend gab es keinen Weg. Es wird wohl weiter nichts übrig bleiben, als die Felsen zu sprengen, dachte Bykow. Das hält aber furchtbar lange auf! Wieder seufzte er. Doch dann musste er unwillkürlich lachen. Jurkowski machte eine groteske Bewegung mit dem Fuß und rutschte von einem großen Stein ab, über den er hatte klettern wollen, um den Weg abzukürzen. Ein Schwall von Schimpfworten drang an Bykows Ohr. Alexej lächelte – es war angenehm, sehr angenehm, einen Menschen hier zu sehen! Und eigentlich war Jurkowski auch gar kein schlechter Kerl und kein »Fant«. Er liebte es nur, die Nase hochzutragen, und war ... na, wie die Poeten eben sind. Bykow hatte kein großes Verständnis für Gedichte, und von Romantik hielt er auch nicht viel. In seinem Leben gab es zu viel Prosa, als dass er sich mit Poesie hätte befassen können, und von zehn Romantikern waren neun keinen Pfifferling wert.

Schwer atmend kam Jurkowski heran. Er nahm die Maschinenpistole ab, schob sie angewidert auf die Panzerung des Knaben und ließ sich erschöpft auf einem Stein nieder.

»Na, wie sieht’s aus mit dem Weg?«, fragte Bykow, nachdem er einen Moment lang gewartet hatte.

Jurkowski winkte ab. »Felsbrocken, Löcher, der Teufel soll sie holen! Da ragen Steintrümmer aus dem Sand, bis zu anderthalb Meter hoch, scharf wie Rasierklingen. Und dort« – er wies mit der Hand in die Richtung, aus der er gekommen war –, »etwa zweihundert Meter von hier, bilden diese Venuszähnchen eine kompakte Mauer, unmöglich, da hindurchzukommen. Mit einem Wort, eine Sackgasse. Es wird Ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben, Genosse Fahrer, als Ihre gepanzerte Deichsel umzudrehen. Jemand von den Neunmalklugen hatte vorgeschlagen, der Chius einen Hubschrauber beizugeben. So ein Dummkopf! Hier würde die Kiste im Handumdrehen in tausend Stücke zerfetzt.«

»Vielleicht finden Jermakow und Dauge einen Weg.«

»Möglich, wenn auch zweifelhaft. Wahrscheinlich werden wir doch zurückfahren müssen. Man kann ja nicht durchweg alles sprengen! Ich an Ihrer Stelle würde schon anfangen, Dampf anzulassen.«

Jurkowski kletterte auf die Panzerung und setzte sich neben Bykow.

»Und die Golkonda spricht ... Hören Sie’s, Alexej Petrowitsch? Eine wunderbare Welt voller Rätsel und Geheimnisse ... Ungebärdige, jungfräuliche Natur! Eine Luft, von Menschenodem nicht entweiht, und unwegsame, unbefleckte Wildnis ...!«

Bykow brummte nur. Jurkowskis Art, sich auszudrücken, regte ihn auf. Sein »Romantismus« erschien ihm albern und komödiantenhaft. Er, Bykow, war der Ansicht, die Chius bahne den Weg für diejenigen, die ihnen folgen würden, um mit der »unwegsamen Wildnis« Schluss zu machen, um das Klima zu verändern und herrliche Städte zu erbauen. Und dann würde man hier an dieser Stelle ein Glas gekühltes Bier trinken können wie in Aschchabad in dem Kiosk auf dem Proletarier-Prospekt Ecke Dzierżyński-Straße ...

»Da, noch ein Geheimnis!« Der »Fant« wies nach vorn.

Über den Felsengipfeln entstanden plötzlich violett schillernde Streifen und zogen sich über den Himmel hin.

Bykow sprang auf. »Aha! Sie sehen sie auch!«

»Was heißt ›auch‹?«, fragte Jurkowski verwundert. »Kaum möglich, sie nicht zu sehen.«

Die Streifen schmolzen allmählich in dem roten Schein dahin.

In der Ferne tauchten zwei Gestalten auf. Sie erstiegen einen Steinblock, und die eine winkte mit der Hand. Bykow winkte zurück.

»Da sind auch Jermakow und Dauge. Und wo bleibt Bogdan? Haben Sie sich etwa aus den Augen verloren, Wladimir Sergejewitsch?«

»Ja, natürlich«, gab Jurkowski zerstreut zurück, während er die näher kommenden Kameraden beobachtete. »Hier kann man sich leicht aus den Augen verlieren, die Steine rauben ja jede Sicht. Und auf dem Rückweg bin ich anders gelaufen. Ist er schon lange fort?«

»Fort? Aber er ging doch mit Ihnen zusammen ...«

»Wie?«, fragte Jurkowski abwesend. Anscheinend hatte er nicht richtig gehört.

Bykow schwieg und überlegte. Was war mit Jurkowski los? Nahm er ihn nicht für voll?

»Eine kleine Panne, der Sauerstoffbehälter war wohl ein wenig undicht.«

»Was ist geschehen?« Bykow wurde unruhig. Er begriff Jurkowski nicht.

Der Geologe war offenbar ebenfalls erstaunt.

»Bogdan hat Pech gehabt mit seinem Sauerstoffbehälter. Er sagte mir, ich solle mich nicht aufhalten, er gehe zum Knaben zurück, um einen neuen zu holen ... Waren Sie etwa in der Zeit abwesend, Alexej Petrowitsch?«

»Bogdan ist umgekehrt?«

»Ja, natürlich. Um einen neuen Behälter zu holen.«

»Bogdan war nicht hier«, brachte Bykow mit Mühe hervor; eine böse Vorahnung erfasste ihn.

»Nicht hier ...?«

Beide sprangen gleichzeitig auf und starrten einander an, sich der Tragweite des Geschehnisses noch nicht völlig bewusst. Bykow konnte Jurkowskis Gesicht nicht sehen, hörte aber, wie dessen Atem stockte.

»Vorsichtig, vorsichtig, Anatoli Borissowitsch ... So ist’s recht ...«, drang Dauges Stimme herüber.

Bykow drehte sich jäh um. Dauge und Jermakow näherten sich dem Knaben. Der Geologe hatte beide Maschinenpistolen um den Hals hängen, er stützte den Kommandanten am Arm. Jermakow ging sehr langsam und lahmte stark auf dem rechten Fuß. Einige Schritte vor dem Wagen rief er mit matter Stimme: »Machen Sie sich fertig, Genosse Fahrer. Dort können wir durchkommen. Alle einsteigen!«

Plötzlich ergriff Jurkowski die Maschinenpistole, sprang hinunter und rannte, ohne ein Wort zu sagen, los.

»Dauge!«, brüllte Bykow mit einer Stimme, dass dieser zusammenzuckte und wie angewurzelt stehen blieb. »Eine MPi für den Kommandanten – und Jurkowski schnell nach! Schnell, schnell ... Anatoli Borissowitsch, Bogdan ist wahrscheinlich etwas zugestoßen! Darf ich?«

»Gehen Sie!«, rief Jermakow.

Dauge rannte bereits. Bykow stürzte ihm nach. Die Füße rutschten auf dem glatten Gestein. Der Boden – scharfes, grobes Geröll, von Sand überstäubt – wich unter den Sohlen. Sofort brach Bykow der Schweiß aus allen Poren. Schnell, schnell pochte es in seinen Schläfen. Das Hirn arbeitete rasch und exakt. Entweder hatte irgendein Wesen Bogdan überfallen, was kaum anzunehmen war, oder er hatte sich verletzt und lag nun irgendwo ohne Besinnung. Dann würden sie ihn bestimmt finden! Er konnte sich allerdings auch verirrt haben. Aber warum rief er dann nicht und gab keine Signalschüsse ab? Krachend schlug Bykow ein Feuerstoß an die Ohren. Bogdan ...? Nein, es war Jurkowski. Sehr richtig, was er tat! Er hatte das Signalmagazin eingesetzt, war auf einen Stein geklettert – auf den, der einer Kröte glich – und feuerte in den tiefhängenden Himmel hinein. Jetzt ließ er die Maschinenpistole sinken, lauschte ... Keine Antwort! Nur das Gestein erwiderte mit vielfachem Echo, und der Wind heulte um die Gipfel der scharfgezackten Felsen ...

Bykow saß, mit dem Rücken an den Ballenstapel gelehnt, kaute langsam an dem gepressten Schinken und trank gierig Fruchtsaft aus einem Nylonbecher. Neben ihm auf dem Fußboden schlief Dauge, sein Atem ging schwer und rasselnd; erschöpft war er dort zusammengesunken, wo er gesessen hatte. Sein dunkles Gesicht sah fast schwarz aus, die stoppelbedeckten Wangen waren tief eingefallen. Von Zeit zu Zeit murmelte er etwas Zusammenhangloses auf Lettisch. Vor dem Funkgerät saß gebeugt Jermakow. Seine Augen waren geschlossen, die schlanken weißen Finger bewegten sich leise über das glänzende Schaltbrett. Er tastete den Äther ab, bemüht, mit der Chius Verbindung zu bekommen. Bisher hatte das stets Bogdan getan. Bogdan ... Über ihren Köpfen tappten langsame, müde Schritte. Es war Jurkowski, der ruhelos auf der Plastpanzerung hin und her wanderte.

Der Geologe glaubte sich schuldig an dem Unglück mit Bogdan. Dauge und Bykow hatten es ihm auszureden versucht, doch ohne Erfolg.

»Ich hätte ihn nicht allein gehen lassen sollen«, wiederholte er hartnäckig und sah mit leerem Blick an den Kameraden vorbei.

Armer Bogdan ... Armer Jurkowski.

Zwölf Stunden lang waren sie durch das steinerne Dickicht geirrt.

Das dumpfe Echo antwortete auf ihre Schüsse, gleichmäßig grollte die ferne Golkonda, mit ohrenbetäubendem Krachen platzten bucklige Steinblöcke. Die Männer zuckten jedes Mal zusammen und spähten um sich. Aber Bogdan war nicht zu sehen. Sie fanden leere Patronenhülsen – dort, wo sie selber geschossen hatten, halb verwischte Spuren – von ihren eigenen Füßen. Bogdan meldete sich nicht ... Sie redeten fast gar nicht miteinander. Nur manchmal, wenn Dauge oder Jurkowski den Versuch machten, sich von dem kleinen Trupp abzusondern, rief Bykow sie mit einer bis zur Unkenntlichkeit veränderten Stimme zurück. Einige Male schien es ihnen, als hörten sie ferne Feuerstöße. Hals über Kopf liefen sie in die vermeintliche Richtung und gaben Schüsse ab, doch stets erwies es sich, dass sie sich geirrt hatten. Der Schweiß rann ihnen in die Augen, die Beine zitterten und knickten ein. Immer häufiger stolperten sie und stürzten, und immer schwerer fiel es ihnen, sich zu erheben. Schließlich sank Jurkowski zusammen, und Dauge, der ihm helfen wollte, blieb kraftlos neben ihm sitzen. Bykow ging zu ihnen hin, ließ sich auf dem Schotter nieder und zog mühsam die steifen Knie an. Einige Zeit sah er zu, wie Jurkowski sich keuchend zu erheben versuchte, dann sagte er: »Kehren wir um. Wir müssen uns eine kleine Ruhepause gönnen.«

»N-n-nein!«, zischte Jurkowski wütend.

Sie gingen trotzdem zurück, und Bykow schleppte alle drei Maschinengewehre und stützte Jurkowski, der kaum noch die Füße setzen konnte. Dauge wankte voraus, ohne auf den Weg zu achten, und als er über einen Felsbrocken gebeugt stehen blieb, trat Bykow heran und stieß ihn in den Rücken. Mit Mühe riss sich der Geologe von dem Stein los und stapfte strauchelnd weiter. Er schien blind vor Müdigkeit. Doch gerade er war es, der als Erster eine breite schwarze Spalte bemerkte und an seinem Rand die mattblinkende Maschinenpistole Bogdans. Etwas vor sich hin murmelnd, fiel er auf die Knie und zeigte mit zitternder Hand in die Tiefe ...

Als der Knabe sich schwerfällig über die Steine zu der Spalte gewälzt hatte, schlang sich Bykow eine Stahltrosse um den Leib und ließ sich hinunter. Er hörte, wie oben Jurkowski heiser »Bogdan! Bogdan!« rief. Am Grund der Spalte sah Bykow im Licht der Taschenlampe Steinschutt, Sand und Bruchstücke von stachligen Efeuranken. Eine halbe Stunde lang tapste er in der Finsternis umher, befühltes jeden Stein, betrachtete jeden Riss – nichts, nichts. Mit letzter Kraft hatte er sich dann aus der Spalte herausgearbeitet und war in den Wagen gekrochen. Dort war er zusammengesunken und sofort eingeschlafen ...

Bykow trank den Saft aus, sammelte die Brotkrümel auf und warf sie in den Müllvernichter. Jermakow bewegte sich nicht. Plötzlich erhob sich Dauge und stürzte augenrollend auf ihn zu. »Bogdan! Bogdanytsch! Da bist du ja, mein Guter!« Seine Stimme sank zum Flüstern herab, seine Knie wurden weich, er setzte sich wieder und schlug beide Hände vors Gesicht. Nach einer Weile sagte er: »Verzeihen Sie, Anatoli Borissowitsch. Ich habe mich getäuscht!« und setzte sich mit fliegenden Händen den Helm auf.

Jermakow blickte ihn nur flüchtig an und wandte sich ab.

»Vielleicht versuchen wir es noch einmal, Anatoli Borissowitsch?«, sagte Bykow unentschlossen.

»Ja«, kam es wie ein Hauch aus Jermakows Mund.

Es vergingen noch achtundvierzig Stunden voller äußerster Anstrengungen, voller Hoffnung und bitterer Enttäuschung. Die Suche blieb erfolglos.

Nichts, nicht eine einzige Spur! Im Umkreis von einem Kilometer hatten die Raumfahrer jeden Spalt, jeden Riss untersucht. Viermal waren sie in den Felsspalt hinabgestiegen, an dessen Rand Dauge die Maschinenpistole gefunden hatte. Mehr konnten sie nicht tun, und Jurkowski stöhnte dumpf und ballte in hilfloser Wut die großen Fäuste. Wäre Bogdan vor ihren Augen umgekommen, im Kampf, oder wäre er verschüttet worden und sie hätten seinen Leichnam gefunden – ihnen wäre leichter zumute gewesen. Doch diese umheimliche Ungewissheit, das Bewusstsein ihrer Hilflosigkeit, die langsam und qualvoll ersterbende Hoffnung! ... Dauge ging umher wie mondsüchtig. Zweimal versuchte er, ohne Spezialanzug aus dem Wagen zu stürmen – er wäre fast erstickt, als er den schwarzen Staub einatmete.

Jermakow schwieg. Jedes Mal, wenn sich die anderen auf die Suche begaben, kletterte er, den verstauchten Fuß nachschleifend, hinaus und saß, die Maschinenpistole auf den Knien, stundenlang neben dem Knaben. Er wartete auf ein Signal. Während sich die anderen, von den Strapazen geschwächt, ausruhten, hielt er oben Wache oder versuchte mit der Chius Verbindung zu bekommen. So sehr er auch das Gespräch mit dem fernen Navigator herbeiwünschte – er fürchtete es zugleich. Doch als endlich die frohe Stimme Michail Antonowitschs, vom Rauschen und Knattern unterbrochen, aus dem Lautsprecher ertönte, schlug Jermakow einen ruhigen, ja sogar etwas scherzhaften Ton an. Er sagte, sie näherten sich dem Ziel, alles verlaufe ordnungsgemäß, und die Stimmung sei vortrefflich. Ein unwegsames Felsengebirge habe sie ein wenig aufgehalten, doch das sei nicht weiter schlimm. Alle Mitglieder der Besatzung ließen herzlich grüßen. Wortlos folgten die Geologen diesem Gespräch und nickten beifällig – es war nicht nötig, dass Michail Antonowitsch alles erfuhr. Er hatte es sowieso nicht leicht in der Einsamkeit.

An diesem Tage machte Jurkowski einen letzten verzweifelten Versuch, das Geheimnis um das Verschwinden Bogdans zu lüften. Als erfahrener Bergsteiger brachte er es fertig, eine der höchsten Felssäulen etwa hundert Meter vom Knaben entfernt zu erklimmen. Der dreißig Meter hohe schwarze Fels war in seiner ganzen Länge gespalten, und der Geologe kletterte, sich mit Füßen und Körper gegen die Spaltränder stemmend, mit fast übermenschlicher Geschicklichkeit hinauf und hielt Umschau.

Bykow und der niedergeschlagene Dauge standen unten und warteten geduldig. Später, als Jurkowski nach dem Abstieg erschöpft an der Felswand lehnte, warteten sie ebenso geduldig, was er zu berichten hätte.

Doch er sagte nur: »Die Golkonda ist nahe ... Man sieht sie mit bloßem Auge ...«

Jermakow erwartete sie vor dem Knaben. Er ließ sie einsteigen, kletterte hinterher, und als alle die Helme abgenommen hatten, sagte er mit leiser Stimme: »In einer Stunde fahren wir.«

Bykow war nicht erstaunt – er hatte diese Worte erwartet. Selbst wenn Spizyns Sauerstoffbehälter in Ordnung gewesen wäre, musste der Sauerstoffvorrat schon längst aufgebraucht sein, und das, was der Filter aus der venusianischen Atmosphäre herauszuziehen vermochte, konnte die Erstickungsqualen nur um dreißig bis vierzig Stunden verlängern. Bogdan Spizyn war tot.

Doch Jurkowski ballte bei den Worten Jermakows die Fäuste, und Dauge hob den Kopf und starrte den Kommandanten aus müden, eingesunkenen Augen an.

»Wir haben keine Zeit. Länger hierzubleiben, halte ich nicht für angebracht ... und zweckmäßig ...«

Jurkowski erhob sich wankend. »Anatoli Borissowitsch ...!«

Jermakow schwieg. Die zitternden Hände an die Brust gepresst, stand Jurkowski vor dem Kommandanten und bewegte lautlos die Lippen. Dauge ließ den Kopf auf die Brust sinken. Das Schweigen dauerte an.

Bykow hielt es nicht aus. Er stand auf und setzte sich an das Steuerpult. Da sagte Jurkowski mit heiserer, gebrochener Stimme: »Ich geh nicht von hier fort!« Seine Blicke irrten umher, rote Flecken traten auf seine fahlen Wangen. »Er ist hier irgendwo in der Nähe ... Vielleicht ist er noch ... Ich bleibe ...«, seine Stimme versagte. »Anatoli Borissowitsch ...!«

Sanft redete Jermakow auf ihn ein: »Wladimir Sergejewitsch, wir müssen weiter. Bogdan ist tot. Er hat keinen Sauerstoff mehr. Wir müssen unsere Pflicht erfüllen. Wir haben kein Recht ... Glauben Sie, die ersten Antarktisexpeditionen hatten es leichter? Und Barents, Sedow, Scott, Amundsen? Und unsere Vorfahren bei Stalingrad? Der Tod keines einzigen von uns darf den Vormarsch aufhalten ...«

Noch nie hatte Jermakow so lange gesprochen.

Sich an der Wand entlangtastend, schob sich Jurkowski zu dem Expeditionsleiter vor. »Ich pfeife auf alles ...! Ich pfeife auf die Golkonda! Das ist niederträchtig, Genosse Jermakow! Ich geh nicht. Der Teufel soll alles holen! Ich bleibe hier ...!«

Bykow sah, wie Jermakows Gesicht grau wurde, und als er diesmal antwortete, war der freundschaftliche Ton in seiner Stimme verschwunden. »Genosse Jurkowski, reißen Sie sich zusammen. Ich befehle Ihnen, den Helm aufzusetzen und sich auf die Weiterfahrt vorzubereiten!«

Er wandte sich abrupt ab und setzte sich vor das Funkgerät. Jurkowski, ganz angespannt, wie zum Sprung bereit, schaute ihn mit wilden Augen an. Er war bedauernswert und schrecklich, und ohne den Blick von ihm zu wenden, ging Bykow auf ihn zu. Doch zu spät: Mit einer katzenhaft schnellen Bewegung streckte sich der Geologe wie eine Sprungfeder und stürzte zur Luke. In den Händen hielt er eine MPi.

»So? Ja? So?«, schrie er. »Meinetwegen! Zum Teufel! Ich bleibe hier!«

Bykow packte ihn an der Schulter. »Wohin? Ohne Helm, verdammt!«

Jurkowski schlug ihm den Kolben ins Gesicht, dass dunkle Tropfen auf das Siliketgewebe des Anzugs sprühten. Bykow warf sich auf ihn, versuchte, ihm die Finger auseinander und die Waffe aus der Hand zu reißen. Beide stürzten zu Boden. Jurkowski wehrte sich wie rasend. Vor Bykows Augen blitzten befletschte Zähne auf, in seine Ohren drang heiser ein atemloses Flüstern: »Dreckskerl ...! Lass mich, du Vieh ...! Ziegelfresse ... Büttel, Dreckskerl!«

Schließlich bemächtigte sich Bykow der MPi, warf sie beiseite. Der Boden schwankte, es ertönte ein Quietschen und Knirschen – der Knabe wendete, entfernte sich von dem verfluchten Ort, von dem Grab, das sie nicht gefunden hatten. Stahl klirrte über das graue Gestein.

»Johannytsch! Was machst du denn? Johannytsch ... Bogdan ...« Jurkowski stöhnte, warf den Kopf in den Nacken. Bykow drehte ihm die Arme auf den Rücken.

»Wir müssen, Wolodja, wir müssen!« Dauge stand vor ihm und hielt sich an der vibrierenden Wand fest. Verzerrtes aschfahles Gesicht. Erloschene Augen. Eine fremde Totenstimme. »Wir müssen, Wolodja ... verflucht soll es sein, das alles!«