SOS

Das Rätsel der kosmischen Attacke klärte sich bereits nach einigen Stunden. Auf Jermakows vorsichtige Anfrage wurde von der Erde ein Auszug aus dem Sammelbericht des aktinographischen Observatoriums auf der Krim gesendet. Daraus ging hervor, dass man gerade zu der Zeit, da die Besatzung der Chius den todbringenden Strahlen ausgesetzt gewesen war, auf der Sonne gewaltige Protuberanzen beobachtet hatte, eine an sich gar nicht seltene und bereits zur Genüge erforschte Erscheinung. Ein dichter Strom von Wasserstoffkernen, Protonen, war mit kolossaler Geschwindigkeit in den Raum geschossen und hatte das Planetenschiff getroffen. Nur ein winziger Teil der Protonen drang in den Panzer aus legiertem Titan, der durch eine Schicht »absoluten Reflektors« verstärkt war. Aber diese Protonen bildeten in der Schiffshülle unzählige Quellen außerordentlich harter Gammastrahlen, für die es praktisch kein Hindernis gab.

Das war viel gefährlicher als eine Begegnung mit einem Meteoriten. Hätte das Protonenbombardement auch nur eine Viertelstunde gedauert, wäre auf der Chius kein Mensch am Leben geblieben. Eine Gammastrahlung von solcher Härte konnte selbst bei kürzerer Dauer sehr ernste Folgen für die Besatzung haben: Manch einer der alten Raumfahrer, schon früher einmal den Strahlenschlägen ausgesetzt, wäre ganz sicher erkrankt. Zum Glück verfügte Jermakow über die neuesten Medikamente; das Komitee hatte sie seinerzeit von einem der biophysikalischen Forschungsinstitute erhalten. In den Organismus eingeführt, liquidierten sie alle oder fast alle Folgen einer nicht allzu starken radioaktiven Verseuchung.

»Ich habe von derartigen Vorkommnissen schon gehört«, bemerkte Bogdan, als er Jermakow das Radiogramm zur Unterschrift brachte. »Ich glaube, vor fünfzehn Jahren ist auf diese Weise die Besatzung eines deutschen Raumtankers umgekommen. Aber wenn die Explosionen auf der Sonne keine Seltenheit sind, wie kommt es dann, dass wir so selten auf diese Protonenfontänen stoßen?«

»Das lässt sich sehr leicht erklären«, erwiderte Jurkowski. »Ich würde sagen, es ist seltsam, dass wir überhaupt auf sie stoßen. Der Protonenstrahl schießt in einem sehr schmalen Bündel in den Weltenraum, und die Wahrscheinlichkeit, von ihm getroffen zu werden, ist äußerst gering.«

»Wir haben einfach Glück gehabt.« Dauge seufzte. »Ein ekelhaftes Gefühl zu wissen, dass man mir nichts, dir nichts totgeschlagen wird und nichts dagegen tun kann. Und außerdem ... Ich mag schon so keine Injektionen, und von diesen hat man obendrein noch starke Kreuzschmerzen.«

»Hätten denn nicht einmal die Spezialanzüge Schutz bieten können?«, fragte Bykow.

»Wo denkst du hin!« Dauge winkte ab. »Da helfen keine Spezialanzüge, Alexej. Energien von vielen Milliarden Elektronenvolt. Aber zum Glück ist ja alles vorbei ...«

»Noch nicht alles«, sagte Jermakow.

»Wieso denn nicht?«

»Im Steuerraum flackern immer noch die Indikatoren.« Jurkowski wandte sich ihm jäh zu.

»Flackern?«

Jermakow nickte.

»Ja doch, zum Teufel!«, bestätigte Bogdan.

»Stark?«

»Nein, so etwa um ein hundertstel Röntgen herum. Aber immerhin, sie flackern ...«

»Also ist die Eruption noch nicht zu Ende ... und wir fliegen gerade an dem Protonenstrahl entlang ...« Dauge blickte besorgt in die Runde.

»Völlig falsch.« Mit der Miene eines Lehrers, der seinen Schüler bei einem Fehler ertappt hat, schüttelte Jurkowski den Kopf. »Die Sonne dreht sich, und die Eruptionsstelle hat sich schon längst verschoben. Nein, das muss einen anderen Grund haben.«

»Sekundäre Strahlung«, sagte Jermakow.

»Ja, natürlich!«, rief Dauge erfreut. »Das war schließlich zu erwarten. Unter Einwirkung des Protonenbombardements ist ein Teil der Atome in den Wänden der Chius radioaktiv geworden, weiter nichts ...«

»Von wegen ›weiter nichts‹! Das wird noch allerhand Plackerei geben ...«

»Das glaube ich nicht«, entgegnete Spizyn. »Die Strahlung ist nicht sehr stark, sie übersteigt noch lange nicht das zulässige Maß.«

»Vielleicht hat uns von vorne der Knabe gedeckt«, wagte Bykow einzuflechten.

»Ja, der Knabe ...« Jermakow überlegte. »Der Knabe kann ja jetzt auch radioaktiv sein, das wäre höchst unangenehm.«

»Klettern wir hinaus und prüfen nach«, schlug Jurkowski vor.

»Aber erst, wenn wir den Spiegel der Sonne zugekehrt haben, ungefähr in vierundzwanzig Stunden.«

»Wenn man sich das vorstellt ...«, brummte Dauge, dem das Erlebte offenbar immer noch zu schaffen machte, »... ein paar Minuten länger, und wir alle lebten nicht mehr! Die Chius mit toter Besatzung!«

»Und fünfzig Stunden später würden wir uns als glühende Wolke in die Sonne bohren.«

»Ein totes Raumschiff mit toter Besatzung ...!« Bogdan blickte Jermakow an. »So etwas soll es schon gegeben haben, nicht wahr, Anatoli Borissowitsch?«

»Interplanetare ›Fliegende Holländer‹!«

»Wie ist es dazu gekommen?«, erkundigte sich Bykow mit begreiflicher Neugier.

»Das kann verschiedene Ursachen haben ... Krankheiten, die man sich auf anderen Planeten zugezogen hat, ebensolche Ausbrüche auf der Sonne ...«

Dieses Gespräch fand in der Schiffsmesse statt. Jurkowski saß rittlings auf einem Stuhl, die Ellenbogen auf die Rückenlehne gestützt, und betrachtete die anderen mit seinen schönen, glänzenden Augen. Dauge ging von einer Ecke in die andere, blieb ab und zu am Tisch stehen, um aus einer Schale ein Stückchen kandierte Zitrone zu nehmen und sich ächzend die Taille zu reiben. Spizyn und Bykow hatten es sich auf dem Sofa bequem gemacht. Jermakow, der gerade von Wache gekommen war, saß im Sessel am Bücherschrank, und Michail Antonowitsch stand an der Tür, im Begriff, in den Steuerraum zu gehen.

»Ja, das ist schrecklich«, seufzte Dauge. »Ein Raumschiff mit toter Besatzung ...«

»Hm ...« Jermakow schaute auf die Uhr, dann auf Michail Antonowitsch. »Manchmal ist das zweifellos passiert, weil sich die Piloten zu sehr auf die Zuverlässigkeit der Steuerautomatik verließen.«

Michail Antonowitsch lief vor Verlegenheit rot an, räusperte sich und ging eilends hinaus.

Jurkowski lachte, ließ die weißen Zähne sehen. »Lass uns auch an die Arbeit gehen, Johannytsch, sonst verputzt du noch alles Konfekt.«

Dauge schüttelte den Kopf. »Alles nur Neid. Neid und Gier. Mir tut nach der Injektion die Seite weh, verstehst du? Darf man sich denn nicht ein bisschen trösten? Na schön, gehen wir. Zu dir?«

»Und ich werde mich vor der Wache noch etwas hinlegen«, sagte Bogdan. »Willst du nicht auch gehen, Alexej Petrowitsch?«

»Nein ich bleibe hier, lese ein bisschen.«

Jurkowski, Bogdan und Dauge gingen, und Bykow vertiefte sich in einen abgegriffenen Sammelband mit Artikeln über Funkleitsteuerung in der Raumfahrt.

Das Leben an Bord nahm wieder seinen gewohnten Gang. Jermakow beobachtete die Funktionen der Photonentechnik und arbeitete gemeinsam mit Krutikow an irgendeinem neuen Problem der Raumnavigation; die Geologen studierten wohl zum hundertsten Male den Forschungsplan für die Golkonda. Bykow las Bücher über Astronomie; Bogdan Spizyn beschäftigte sich während seiner ganzen Freizeit mit der Radioapparatur.

Einmal rief Bogdan alle vor dem Steuerraum zusammen.

»Hört mal!«, sagte er lächelnd. »Der Mars spricht, die Sandbucht. Das ist für uns.«

»... ganz kurze Zeit«, sprach eine hohe, angenehme Frauenstimme. »Und da haben wir in einem Tal, das durch die Ausläufer des Zentralgebirges vor den kalten Stürmen geschützt ist, einige flache Seen und ausgedehnte Wiesen entdeckt, wie aus dem Märchenbuch! Ach, Genossen, wenn ihr wüsstet, welch herrlicher Anblick! Ihr steigt auf einen Hügelkamm und seht: ein spiegelglatter, regloser zartvioletter See, ein wundersamer Teppich hoher orangeroter Gräser und riesiger grellgrüner Blumen, und über allem – der tiefviolette Himmel! Wir hatten Lust, uns die Skaphander vom Leibe zu reißen ...«

Bykow sah, wie auf den Gesichtern der Kameraden Begeisterung, Freude und Zweifel miteinander kämpften.

»Das ist der Mars!«, flüsterte Dauge. »Kinder, denkt euch nur, der tote Mars ...!«

»... Wir haben dieses Tal ›Chiustal‹ genannt, euch zu Ehren. Wir können euch kein Wasser aus seinen Seen und keine Blumen von seinen Wiesen reichen, wir können euch das Tal nicht einmal zeigen. Aber es soll den Namen eures Schiffes tragen, tapfere Freunde! So ... Eine Minute ... Wir müssen Schluss machen. Auf Wiedersehen, wir wünschen euch allen Glück und Erfolg – dir, Anatoli Jermakow, dir, Wladimir Jurkowski, dir, Michail Krutikow, dir, Bogdan Spizyn, dir, Grigori Dauge, und dir, Alexej Bykow ...«

An diesem Tage beim Mittagessen sprachen Jurkowski, Dauge und Spizyn, einander ins Wort fallend, von ihren Expeditionen auf dem Mars.

Fünfundfünfzig Flugstunden waren vergangen, und Jermakow teilte mit, dass es an der Zeit sei, die Chius mit dem Spiegel zur Sonne zu wenden und mit dem Bremsen zu beginnen. Die Geschwindigkeit des Raumschiffs hatte tausendzweihundert Kilometer in der Sekunde erreicht. Im Laufe der nächsten vierzig Stunden musste die Chius mit negativer Beschleunigung in Bezug auf die Sonne fliegen, um mit Nullgeschwindigkeit an dem Punkt einzutreffen, wo sie der Venus begegnen musste.

Das hatte Dauge eilig Bykow erklärt, während sie die Messe für das Wendemanöver vorbereiteten. Sie verschlossen den Bücherschrank und das Büfett und machten alles fest, was fallen oder verrücken konnte. Danach schnallten sie sich auf ein Kommando aus dem Steuerraum an die Sessel.

Bykow erwartete Eindrücke, wie er sie während der Prüfungsfahrt mit dem Knaben gehabt hatte. Doch alles ging viel einfacher ab. Dank Spizyns außerordentlicher Geschicklichkeit wendete das Raumschiff gleichmäßig und rasch. Den sekundenlangen schwerelosen Zustand nahmen die Männer kaum wahr. Es kam ihnen nur vor, als drehe sich der Fußboden zur Seite, verharre einen Augenblick senkrecht und kehre dann langsam in die frühere Stellung zurück.

Jetzt raste die Chius mit den Reaktorringen voran auf die Sonne zu. Das Triebwerk arbeitete nach wie vor mit einer Beschleunigung von 10 m/s². Die Geschwindigkeit dagegen verringerte sich stetig. Nach dem Mittagessen erinnerte Bykow den Kommandanten daran, dass es notwendig sei, den Knaben auf Radioaktivität zu untersuchen.

»Wir haben zwar keinen Grund, an der Stabilität der Verankerung zu zweifeln«, fügte er hinzu, »aber es ist immerhin angebracht nachzusehen, ob sich nicht während des Wendemanövers etwas verschoben hat. Man müsste unbedingt hinausgehen.«

»Das wäre längst fällig gewesen«, murmelte Jurkowski.

»Hinausgehen?« Jermakow kniff die Augen zusammen. »Ich glaube nicht, dass das so einfach ist.«

»Aber wir sind doch ... Ich bin doch bei früheren Flügen öfters hinausgegangen«, mischte sich Jurkowski ein.

»Bei früheren Fahrten – da war es anders. Jetzt aber geht es darum, ein Raumschiff zu verlassen, das sich mit Verzögerung bewegt.«

»Hm ...« Jurkowski biss sich auf die Unterlippe.

»Stellen Sie sich vor, was mit Ihnen geschieht, wenn Sie abstürzen«, fuhr Jermakow fort.

»Die Chius fliegt davon, und du gerätst womöglich in den Fokus des Spiegels, wo das Plasma explodiert«, sagte Dauge.

Bykow trat entschlossen vor. »Anatoli Borissowitsch, gestatten Sie, dass ich es tue«, sagte er. »Der Knabe ist mein Inventar, und ich bin für ihn verantwortlich.«

»Paragraph achtzehn der Instruktion für Interplanetarpiloten besagt, dass es verboten ist, Passagiere während des Fluges von Bord zu lassen«, zitierte Jurkowski rasch.

»Jawohl, so lautet das Reglement.« Dauge nickte.

»Ich bin kein Passagier.«

Bykow sah ihn empört an.

»Einen Moment bitte«, sagte Jermakow. »Alexej Petrowitsch, ich habe tatsächlich kein Recht, Sie hinauszulassen. Ihnen fehlt die Erfahrung ... Aber selbst wenn Sie die Erfahrung hätten, würde ich es Ihnen nicht gestatten: Niemand kann Sie im Knaben ersetzen, falls Ihnen etwas zustößt.«

»Dazu das Risiko, einen solchen Koch zu verlieren ...« Jurkowski seufzte scheinheilig.

Bykow maß den »Fant« mit einem kühlen Blick, antwortete aber nicht und wandte sich wieder Jermakow zu.

»Den Reaktor schalten wir aus, das wird die Gefahr auf ein Minimum herabsetzen«, fuhr der Kommandant fort. (Jurkowski machte ein langes Gesicht.) »Was jedoch die Verantwortung anbelangt, so bin ich allein für alles auf dem Schiff verantwortlich – für die Besatzung und für die Ladung. Darum handelt es sich also nicht, Alexej Petrowitsch. Spizyn ist jetzt auf Wache, Krutikow will sich ausruhen. Übrigens könnte man Michail Antonowitsch ohnehin nicht hinausschicken. Er ist ... zu schwer für ein solches Unternehmen.«

Krutikow räusperte sich und wurde puterrot.

»Also ich?«, sagte der »Fant« lächelnd.

»Wladimir Sergejewitsch hat tatsächlich eine Spezialschule hinter sich und besitzt auch genügend praktische Erfahrung«, schloss Jermakow. »Also ich oder Wladimir Sergejewitsch ...«

»Paragraph sechzehn«, knüpfte Dauge sofort an. »Dem Schiffskommandanten ist es verboten, während der Fahrt von Bord zu gehen.«

»Jawohl, so lautet das Reglement!«, rief Jurkowski lachend und ging hinaus.

Bykow senkte finster den Kopf und trat beiseite.

»Sei nicht traurig, Alexej!« Dauge gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. »Hier kommt es nicht nur und nicht so sehr auf den Mut an, als vielmehr auf die Erfahrung.«

»Wie schwer kann denn das schon sein.«

»Na schön. Aber hast du eine Ahnung von einem Vakuumskaphander?«

»Wovon?«

»Von einem Vakuumskaphander. Von einem Anzug, der für die Arbeit im luftleeren Raum bestimmt ist.«

»Und warum kann man nicht im Spezialanzug hinaus?«

»Was denkst du dir, Alexej! Darin wirst du so aufgebläht, dass du kein Glied rühren kannst. Hast du den aufgeblasenen Anzug in Krajuchins Moskauer Zimmer gesehen?«

Bykow seufzte.

»Na, anscheinend ist’s mir nicht vergönnt ... Hätte mir furchtbar gern euren ›Raum‹ in natura angesehen.«

»Macht nichts, Alexej Petrowitsch!« Jermakow blickte ihn unerwartet sanft an. »Den Raum in natura werden Sie auch noch zu sehen bekommen.«

Jurkowski trat ein. Er beugte sich unter der Last zweier großer grauer Ballen.

»Vielleicht ist es gar nicht nötig, den Reaktor abzuschalten?«, fragte er, während er geschickt die Verschnürung von den Ballen löste und einen durchsichtigen Zylinder, zwei aneinandergefügte Ballone und einige andere Gerätschaften hervorholte.

»Im Gegenteil, wir müssen ihn unbedingt abschalten ... übrigens, Alexej Petrowitsch, gleich werden Sie Gelegenheit haben, die Welt der Schwerelosigkeit kennenzulernen. Ich rate Ihnen, die Messe nicht zu verlassen und keine allzu heftigen Bewegungen zu machen.«

»Ich verstehe nicht ...«

»Sobald der Reaktor abgeschaltet wird, verschwindet die Beschleunigung, und dann gibt es auch keine Schwere.«

»Ach ja ...« Bykows Gesicht erhellte sich, und er rieb sich befriedigt die Hände. »Sehr interessant ... Wissen Sie, ich hätte mich sonst direkt geärgert: Man hat einen Weltraumflug mitgemacht und nicht einmal ...«

»Fertig!«, rief Jurkowski von der Tür.

Er steckte in einem grotesken Panzer aus beweglichen Metallringen und glich einem riesenhaften Gliederfüßer mit Menschenkopf. Den durchsichtigen zylindrischen Helm hielt er unter dem Arm. Bykow hatte einen Raumskaphander schon des Öfteren auf Fotografien und im Kino gesehen, trotzdem schritt er neugierig um Jurkowski herum und betrachtete ihn von allen Seiten.

»Gehen wir«, befahl Jermakow kurz.

Bykow ließ sich im Sessel nieder und sah den Kameraden schweigend nach.

Die Schritte im Gang verhallten. Dauge rief: »Wo wird die Trosse befestigt, Anatoli Borissowitsch?«, dann klappte leise eine Tür zu, und es wurde still.

»Achtung!«, ertönte Spizyns Stimme aus dem Lautsprecher.

Im selben Augenblick fühlte Bykow, wie er sanft emporgehoben wurde. Krampfhaft hielt er sich an den Sessellehnen fest. Ein feines Pfeifen setzte ein, durch den Raum ging ein kalter Luftzug.

Bykow seufzte geräuschvoll. Wenn das alles war ... Vorsichtig ließ er die Sessellehnen los und erhob sich.

Als eine Viertelstunde später Dauge, Michail Antonowitsch und der über und über mit Raureif bedeckte Jurkowski, sich an besonderen, längs der Wände angebrachten Streckleinen haltend, wieder die Messe betraten, schwebte Bykow rot und schweißüberströmt mit dem Kopf nach unten über dem Sessel und bemühte sich vergebens, ihn wenigstens mit den Fingerspitzen zu erreichen.

Bei diesem Anblick rief Jurkowski begeistert »Hallo-o!«, ließ die Leine los, stieß mit dem Kopf gegen die Decke und flatterte von Neuem in den Gang hinaus. Mit frenetischem Gelächter krochen Dauge und Krutikow unter den hilflosen Bykow und zogen ihn herab auf den Fußboden.

»Na, wie gefällt’s dir ... in der Welt ohne Schwere?«, japste Dauge. »Hast es nun ... ausprobiert?«

»Ja, das hab ich«, knurrte Bykow.

»Achtung!«, brüllte der Lautsprecher.

Nachdem der Reaktor eingeschaltet worden war, lief alles wieder seinen normalen Gang, und Jurkowski berichtete über die Ergebnisse seines Ausstiegs. Der Container mit dem Knaben strahle aus, doch nicht sehr stark. Die Verankerungen hätten – zumindest außen – nicht gelitten, was eigentlich auch das Wichtigste sei.

»Die Sichel der Venus ist mit bloßem Auge zu erkennen. Und der Himmel ... Welch großartige Schönheit! ›Endlos tut sich auf rings das Sternenrund; Sterne ohne Zahl, Tiefe ohne Grund‹«, deklamierte Jurkowski. »Man könnte meinen, dass Michail Lomonossow im Weltraum war ... Die Sonne trägt eine Krone wie eine Wolke aus Perlen ... Na, wer sagt’s denn! Wieso bin ich kein Poet?« Jurkowski warf sich in die Brust und deklamierte: »Schwarze Unendlichkeit ...«

»... brennender Blick«, ergänzte ernsthaft Bogdan Spizyn, der vom Wachdienst hereingekommen war, um einen Schluck Kaffee zu trinken.

Jurkowski streifte ihn mit einem abwesenden Blick und begann von Neuem:

»Schwarze Unendlichkeit breitet die Schwingen,

Sterne wie Tropfen leuchtender Tränen ...

äh – hm ... wie weiter?«

»... sich ihr entringen«, schlug Bogdan vor.

»Schweig, du Nichtswürdiger ...«

»Na, dann: wringen ...«

»Warte ... gleich ...

Schwarze Unendlichkeit, fremde Unendlichkeit,

Sterne wie Tropfen leuchtender Tränen.

Dort, in der öden, eisigen Ewigkeit ...«

»... qualmt jetzt die Lok und rasseln die Kräne«, schloss Bogdan in überaus lyrischem Tonfall.

Niemand verlor mehr ein Wort über Bykows Luftakrobatik. An Bord kehrten wieder Ruhe und Gemütlichkeit ein, das gewohnte, fast irdische Leben.

Bykow und Dauge saßen in der Messe bei einer Partie Schach, als mit besorgter Miene Krutikow eintrat.

»Wisst ihr schon das Neuste, Jungs?«

Bykow blickte ihn fragend an, während Dauge, am Fingernagel knabbernd, sich zerstreut erkundigte: »Was ist denn passiert?«

»Es gibt keine Funkverbindung. Weder mit der Erde noch mit dem Ziolkowski

»Warum?«

Krutikow zuckte mit den Schultern, griff mit der Hand ins Büfett und holte sich eine Waffel.

»Und wie lange schon?«

»Seit einer Stunde.« Krutikow biss krachend in die Waffel. »Jermakow und Bogdan haben schon alles ausprobiert, es auf allen Wellenlängen versucht. Nichts. Leer, wie ausgekehrt. Und was besonders merkwürdig ist – gewöhnlich erwischt man doch hier und da ein paar Gesprächsbrocken, diesmal aber herrscht auf der ganzen Wellenskala Totenstille wie auf dem Meeresgrund. Kein einziger Laut, nicht einmal eine Entladung.«

»Vielleicht ist die Anlage kaputt?«

»Alle drei Aggregate auf einmal? Kaum.«

»Oder die Antennen sind nicht in Ordnung?«

Krutikow hob zweifelnd die Schultern.

»Schon wieder eine Panne«, murmelte Dauge und warf die Figuren zusammen. »Wo ist Wolodka?«

»Sicher in seiner Kabine ...«

Bykow fasste Krutikow am Ärmel. »Vielleicht ist nur der Empfang gestört, und wir sind zu hören.«

»Alles möglich. Überhaupt seltsam. Plötzlich versagen mir nichts, dir nichts alle drei Funkgeräte zugleich. Noch nie ist so etwas vorgekommen. Freilich, Ljachow hat’s auch erwähnt. Aber ... weißt du, es ist doch irgendwie beunruhigend, irgendwie ungemütlich ...«

Bykow blickte teilnahmsvoll in Krutikows rundes, gutmütiges Gesicht mit den kleinen traurigen Augen. »Ja, ich verstehe Sie, Michail Antonowitsch.«

Es war in der Tat sehr ungemütlich. Das dumpfe Vorgefühl eines nahenden Unheils erfasste Bykow. Vielleicht kam es daher, weil ihm, dem Neuling, jede noch so geringe Unregelmäßigkeit an Bord wie ein großes Unglück erschien. Aber Krutikow empfand offenbar etwas Ähnliches, und ihn konnte man keineswegs der Furchtsamkeit eines Neulings verdächtigen.

»Kopf hoch, Freunde!«, rief Dauge mit gespielter Fröhlichkeit. »Vorläufig ist ja noch nichts Schlimmes passiert. Zugegeben, für eine gewisse Zeit ist die Funkverbindung gestört. Aber was macht das? Das Triebwerk ist in Ordnung, Proviant haben wir genug, die Chius zieht ihre Bahn ...«

Krutikow seufzte. Bykow ahnte, was in ihm vorging. Für sie, die Kinder der Erde, war der Funk der einzige lebendige Faden, der sie mit dem Heimatplaneten verband. Es wirkte deprimierend, wenn dieser Faden einmal abriss, und sei es auch nur für kurze Zeit. Bykow empfand plötzlich mit seinem ganzen Wesen, wie unfassbar einsam sie doch im Grunde genommen waren. Die Dutzende und Hunderte Millionen Kilometer schweigender Leere, die sie von anderen Welten und von der mütterlichen Erde trennten, legten sich wie Blei auf seine Schultern. Dutzende und Hunderte Millionen Kilometer eisiger Leere ... Diese unvorstellbaren Abgründe waren beileibe kein »Nichts«. Nein, sie lebten ihr eigenes unbegreifliches Leben nach unfassbaren komplizierten Gesetzen, fremd und tückisch ...

Bykow warf einen Blick auf Dauge, der zerstreut die Schachfiguren zwischen den Fingern drehte, und er schämte sich seiner Gedanken. Es war doch schon schmählich genug, dass er sich damals beim Start von der Angst hatte unterkriegen lassen. Das Schlimmste, was ihnen jetzt widerfahren konnte ... Aber wieso musste ihnen denn überhaupt etwas widerfahren?

»Ein neuer Streich unseres geliebten Raumes«, sagte Jurkowski eintretend. »Wie gefällt euch das?«

»Ganz und gar nicht«, knurrte Dauge. »Hör doch endlich auf mit deinem Geschwätz! Ist einem ja schon über ... Was mögen sie bloß auf der Erde denken? Krajuchin wird verrückt.«

»Na, um den Alten brauchst du keine Bange zu haben! Sein Schädel ist härter als deiner und meiner. Mir scheint, die Verbindung ist deshalb gestört, weil der Raumabschnitt, durch den wir gerade fliegen, keine Funkwellen durchlässt. Warum das so ist, kann ich mir nicht genau erklären ... Jedenfalls sollten wir nicht alles auf die Radioapparatur schieben. Und erst recht nicht auf die Antennen.«

»Phantast!«, rief Michail Antonowitsch. »Wo hast du das schon mal erlebt, dass Leere keine Funkwellen durchlässt?«

»Bis zum heutigen Tag – nirgends. Aber Ljachow hat’s erlebt. Und ich erlebe es jetzt ebenfalls, verehrter Skeptiker. Dich können ja selbst Tatsachen nicht überzeugen.«

»Du erlebst es?«

»Jawohl.«

»Nichts erlebst du, Wladimir Sergejewitsch!«

»So, ich erlebe nichts?«, fragte Jurkowski mit betonter Höflichkeit.

»Mhm.«

Jurkowski drehte sich auf dem Absatz herum und steuerte zur Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen. »Ich empfehle allen Anwesenden, sich vor den Eingang zum Kommandoraum zu begeben. Vielleicht haben Sie das Glück, dort etwas Interessantes zu hören.«

Krutikow machte eine saure Miene und griff von Neuem ins Büfett nach einer Waffel. »Phantast!«, murmelte er. Dauge aber schwieg, und Bykow fühlte, dass der »Fant« diesmal recht hatte. Sie stiegen die Treppe hinauf bis zur offenstehenden Tür des Steuerraumes und gesellten sich zu Jurkowski, der auf der letzten Stufe hockte.

Aus dem Steuerraum drang Bogdans monotone Stimme: »Erde, Erde ... We sechzehn, warum schweigen Sie? Erde, Erde ... Hier spricht die Chius. We sechzehn, warum schweigen Sie? Ich gebe die Einstellung: eins, zwei, drei, vier, fünf ...«

Stille trat ein. Dauge und Bykow blickten einander an. Jurkowski strich sich nachdenklich über das Kinn. Dann knackten die Umschalter, und nach einer Weile sagte Bogdan seufzend: »Nichts, Anatoli Borissowitsch. Still wie im Grab.«

»Versuchen Sie noch mal auf der langen Welle.«

»Jawohl.«

Nach kurzer Pause ertönte wieder Bogdans Stimme: »Na gut, angenommen, mit den Antennen ist etwas nicht in Ordnung. Aber eine Station wie die auf dem Siebenten Testgelände kann man ja direkt mit dem Rumpf empfangen. Und was soll denn schon mit den Antennen passiert sein? Ich begreife das einfach nicht! Kein Laut, kein Geräusch ... Natürlich hat Ljachow recht. Unsere Geschwindigkeit ist daran schuld ... Erde! Erde! We sechzehn, warum schweigen Sie? Hier spricht die Chius! Gebe die Einstellung: eins, zwei, drei ...«

»Vielleicht hat Jurkowski recht, und wir sind tatsächlich in ein vierdimensionales Loch gerutscht«, sagte Jermakow. Jurkowski räusperte sich laut. Jermakow trat zur Tür.

»Sie sind ja alle hier!«

»Ja, Anatoli Borissowitsch. Wir sitzen hier und warten.«

»Und wie denken Sie über die ganze Angelegenheit?«

»Ich habe schon gesagt, wie ich darüber denke ...« Jurkowski zuckte mit den Schultern.

»Kann sein, kann sein ... Aber all diese sogenannten gekrümmten Räume riechen zu sehr nach mathematischer Mystik.«

»Wie Sie wollen«, entgegenete Jurkowski ruhig. »Mir scheint es keine Mystik zu sein. Ich glaube, wir haben den Beweis auf der Hand, dass der gekrümmte Raum objektive Realität ist, die uns in unseren Empfindungen gegeben ist.«

Jermakow schwieg eine Weile.

»Wo ist Michail?«

»In der Messe. Frisst Waffeln.«

»Man müsste ...«

Ein freudiger Schrei Bogdans unterbrach Jermakow. »Sie antworten! Sie antworten!«

Alle sprangen auf. Eine müde, brüchige Stimme drang aus dem Lautsprecher: »Hier We sechzehn! Hier We sechzehn! Chius, Chius, antworten Sie! Chius, antworten Sie! Hier We sechzehn! Gebe die Einstellung: eins, zwei, drei, vier. Drei, zwei, eins. Chius, antworten Sie ...«

»Das ist Saitschenko«, murmelte Jurkowski.

Bogdan rief hastig: »We sechzehn, We sechzehn, ich höre Sie gut! Hier Chius! Ich höre Sie gut. Warum haben Sie so lange nicht geantwortet?«

»Hier We sechzehn, hier We sechzehn!«, fuhr Saitschenko fort, Bogdans Worte offenbar überhörend. »Chius, melden! Warum schweigen Sie? Chius, melden! Hier We sechzehn..«

»Wir hören sie, und sie uns nicht«, sagte Dauge. »Das wird ja immer schöner!«

»Hier Chius! Ich höre gut!«, wiederholte Bogdan mit mutloser Stimme »Hier Chius, höre Sie gut! We sechzehn. Hier Chius ...«

»Hier We sechzehn! Hier We sechzehn Chius, antworten Sie ...«

Es verging eine Stunde. Immer noch rief das Siebente Testgelände mit monotoner, hoffnungsloser Stimme die Chius an, und ebenso monoton und müde antwortete Bogdan. Das Siebente Testgelände hörte ihn nicht. Der Raum ließ die Funksignale von der Erde zur Chius ungehindert durch, sperrte sie jedoch in umgekehrter Richtung. Ruhelos wanderte Jermakow im Steuerraum auf und ab. Jurkowski saß starr und mit geschlossenen Augen vor der Tür. Dauge trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf den Schenkeln. Bykow rieb sich seufzend die Knie. An seiner kalten Pfeife nuckelnd, kam Krutikow die Treppe herauf und schritt an den dreien vorbei in den Steuerraum.

»Hier We sechzehn! Chius, antworten Sie ...!«

Plötzlich rauschte und knisterte es in dem Lautsprecher, und eine neue, unbekannte Stimme drang in das Raumschiff, erstickt und heiser: »SOS! SOS! Zu Hilfe! Take our pelengs! Take our pelengs!«

Jurkowski erhob sich rasch. Wie angewurzelt blieb Jermakow stehen. Dauge ergriff Bykows Hand.

»Hilfe! Hilfe!«, rief verzweifelt der Unbekannte. »In two, three hours we are done ... The tanks ... Zu Hilfe! Wir ersticken ...« Die Stimme versank in einem unheimlichen Krachen und Heulen.

»Spizyn, zum Peilgerät! Schnell!«, rief Jermakow.

»Sofort ... !«

»Our pelengs... take our pelengs... Unsere Peilzeichen...«

»Wir müssen sofort hin!«, rief Jurkowski.

»Die Frage – wohin?«

»Spizyn, was haben Sie ermittelt?«

Nach einer kurzen Pause antwortete Spizyn in verzweifeltem Tonfall: »Ich kann nichts ermitteln!«

»Was heißt – Sie können nicht?«

»Das Peilgerät funktioniert nicht, Anatoli Borissowitsch.« Bogdans Stimme zitterte. »Überzeugen Sie sich selbst ...«

Wie auf Kommando drängten sich Jurkowski, Dauge und Bykow in den Steuerraum. Bykow blickte Jermakow über die Schulter. Der dünne lange Zeiger kroch schwach vibrierend über das Zifferblatt, ohne irgendwo stehen zu bleiben. Jurkowski stieß einen Fluch aus.

»Hilfe! Hilfe! ... Tasukate kure! Unsere Peilzeichen ...«

Alle blickten sich fassungslos an. Hastig drehte Bogdan die Skalenscheibe des Peilgeräts, bediente allerlei kleine Hebel, schaltete die Zusatzgeräte ein und aus – die Peilung gelang nicht.

»Eine verhexte Stelle«, flüsterte er, sich den Schweiß von der Stirn wischend.

»Eine Schande für uns«, raunte Dauge. »Menschen sterben ...«

Jäh wandte sich ihm Jermakow zu. »Warum sind Sie im Steuerraum? Wer hat das erlaubt? Hinaus mit Ihnen dreien!«

Auf der Treppe hockte sich Jurkowski nieder und stützte sein Kinn auf die Fäuste. Bykow und Dauge stellten sich neben ihn.

»Hilfe! Hilfe!«, rief die heisere Stimme. »Everybody who hear us, help!«

Bykow verhielt den Atem. Er wusste nicht, wer um Hilfe rief, wusste nicht, was da geschehen war, aber mit jeder Faser seines Herzens spürte er die furchtbare Verzweiflung, die aus der Stimme des Rufenden klang.

»Wenn man nur wüsste, wo sie sich befinden«, flüsterte Jurkowski.

»Verflucht!«, rief Dauge wütend. »Hört sie denn wirklich niemand außer uns?«

»Soviel ich weiß, sind gegenwärtig sieben Schiffe unterwegs, doch davon verfügen nur zwei, ein chinesisches und ein englisches, über einige Geschwindigkeitsreserven. Allerdings brauchen auch sie mindestens eine Stunde, um eine neue Bahn zu berechnen ... Merkwürdig, dass wir sie nicht hören.«

»Wen?«

»Na, die anderen ...«

»Nur die Chius könnte ohne jegliche Bahnberechnung direkt nach dem Peilstrahl fliegen«, sagte Dauge.

»Ja, wenn wir anpeilen könnten ...«

In der Tür erschien Jermakow. »Gehen Sie in die Kabinen, Genossen«, befahl er. »Legen Sie sich in die Kojen und schnallen Sie sich fest. Wir werden versuchen, aus diesem verdammten Sack herauszukommen. Die Beschleunigung wird um das Vierfache stärker sein als sonst. Dauge, zeigen Sie Bykow, wie man sich bei Überbelastung verhalten muss.«

»Jawohl!«

Jurkowski erhob sich und stieg als Erster die Treppe hinunter. In diesem Augenblick drangen neue Laute aus dem Steuerraum. Eine schneidende feste Stimme fragte in schlechtem Englisch: »Who talks? Hear me? Who talks? Hear me? I taken your pelengs ...«

Der Mann, der um Hilfe rief, erwiderte in höchster Erregung: »I hear you allright!«

»Speak Chinese?«

»No ...«

»Speak Russian?«

»Ja, ja, ich sprechen und verstehen. Sind Sie Russe?«

»Nein. Mit Ihnen spricht der Kommandant des Raumschiffs der ChSR Yangzi Jiang, Lu Shi’er.« (»Der gute alte Lu!«, flüsterte Jurkowski.) »Wir hören Sie schon lange, haben aber nur einen Richtfunksender an Bord, und es ist uns jetzt erst gelungen, Sie anzupeilen. Mit wem spreche ich?«

»Professor ... University of Cambridge ... Robert Lloyd. An Bord des Raumschiffs Star. Furchtbare Havarie ...«

»Wir sind auf dem Wege zu Ihnen«, teilte Lu mit.

(»Ein Wagehals!« Dauge sah Jurkowski mit großen Augen an.)

»Vielen, vielen Dank ... Wo befinden Sie sich jetzt?«

»Vor einer halben Stunde haben wir von der internationalen Basis auf dem Phobos abgelegt.«

Ein schmerzlicher Aufschrei war die Antwort. »Sie schaffen es nicht. Nein, nein, Sie schaffen es nicht! Wir sind verloren ...«

»Wir werden unser Möglichstes tun. Auf der Basis machen sich Hilfstanker startbereit. Wir werden Sie aus Ihrer Notlage ...«

»Sie schaffen es nicht.« Die Stimme des Engländers klang jetzt fast ruhig. »Sie kommen zu spät. Wir haben Sauerstoff ... nur noch für zwei Stunden.«

»Ja, wo sind Sie denn? Die Koordinaten!«

»Heliozentrische Koordinaten ...«

Der Professor nannte einige Bykow unverständliche Zahlen. Schweigen trat ein. Aus dem Steuerraum drang hastiges Papierrascheln, dann surrte die elektronische Rechenmaschine.

»Das ist im Asteroidengürtel. Ein Drittel Astronomische Einheit vom Mars«, teilte Krutikow schließlich mit.

»Fünfzig Millionen Kilometer«, sagte Jurkowski finster. »Sogar die Chius, auch wenn sie in Marsnähe wäre, könnte es nicht schaffen.« Er erhob sich.

»Mir ist alles klar«, ertönte wieder Lus Stimme. »Gibt es denn keine Möglichkeit, wenigstens zehn Stunden durchzuhalten? Überlegen Sie.«

»Nein. Die Glyzerinanästhesatoren sind zerstört, die Luft entweicht ständig – anscheinend hat die Schiffshülle mikroskopische Risse.« Nach einer kurzen Pause fügte der Professor hinzu: »Wir sind nur noch zwei, der andere ist bewusstlos. Wenn es ihn würde retten, würde ich sterben ... von eigener Hand ... Aber jetzt hat das keine Bedeutung.«

»Seien Sie tapfer, Professor!«

»Ich bin ruhig.« Man hörte ein nervöses Lachen. »Oh, jetzt bin ich vollkommen ruhig ... Mister Lu!«

»Ja, Professor?«

»Sie sind der Letzte, der meine Stimme hört.«

»Professer, es sind wahrscheinlich Hunderte von Menschen, die Sie hören ...«

»Ganz gleich, Sie sind der Letzte, mit dem ich spreche. Nach einigen Stunden werden Sie unser Schiff und unsere Leichen finden. Ich bitte und beschwöre Sie, das ganze Material, das wir während dieser Fahrt gesammelt haben, dem Internationalen Astronautischen Kongress zu übergeben. Versprechen Sie es mir?«

»Ja, ich verspreche es Ihnen, Robert Lloyd.«

»Alle, die uns hören, sind Zeugen. Das Material finden Sie in der Aktentasche ... in der Aktentasche aus Krokodilleder. Sie liegt auf dem Tisch im Steuerraum. Hören Sie mich?«

»Ich höre Sie gut, Professor.«

»So. Im voraus vielen Dank, Mister Lu. Jetzt habe ich noch eine Bitte. Wenn Sie zur Erde zurückkehren ... zurückkehren ...« Es folgte eine Pause, man hörte Lloyds hastiges, stoßweises Atmen. »Entschuldigen Sie, Mister Lu ... Wenn Sie zurückkehren, wird Sie wahrscheinlich meine Frau aufsuchen ... und mein Sohn. Richten Sie ihnen meinen letzten Gruß aus ... und sagen Sie ihnen, ich sei auf meinem Posten gewesen, bis zum Schluss. Hören Sie mich, Mister Lu?«

»Ich höre Sie, Professor.«

»Das ist alles ... Leben Sie wohl, Mister Lu! Lebt wohl, alle, die mich hören! Wünsche allen Glück und Erfolg!«

»Verzagen Sie nicht, Professor. Meine Hochachtung vor Ihrem Mut.«

»Wozu solche Worte, Mister Lu ... Hören Sie?«

»Ja, ich höre.«

»Der Peilsender wird weiter arbeiten.«

»Gut.«

»Die Luken werden Sie offen finden.«

Pause.

»Gut, Professor!«

»Das ist wohl alles. Once more, good bye!« Stille trat ein.

»Hätten wir’s nicht doch schaffen können?«, fragte Bykow, kaum die starren Lippen bewegend.

Niemand antwortete. Schweigend stiegen sie in die Messe hinab, schweigend setzten sie sich in die Sessel, jeder bemüht, dem Blick des anderen auszuweichen. Bald gesellten sich auch Jermakow und Krutikow zu ihnen. Bykow nahm kaum wahr, was um ihn herum geschah. Seine Gedanken kreisten um das Bild, das ihm sein Vorstellungsvermögen bereitwillig malte: Ein grauhaariger Mann kriecht atemringend den Gang entlang und öffnet eine nach der anderen die massiven Stahltüren. Vor der letzten Tür – der Außenluke – hält er inne und blickt mit glasigen Augen zurück. Am Ende des Ganges ist der Tischrand zu sehen, auf dem sich im Lampenschein eine Tasche aus glänzendem Krokodilleder abhebt. Der Mann streicht mit zitternder Hand über die Stirn und atmet zum letzten Mal die dünne Luft ein.

»Alexej Petrowitsch !«

Bykow zuckte zusammen und schaute auf. Besorgt beugte sich Jermakow über ihn.

»Gehen Sie in Ihre Kabine und versuchen Sie zu schlafen.«

»Geh, Alexej, geh! Du siehst ja ganz verstört aus«, sagte Dauge.

Bykow erhob sich gehorsam und ging hinaus. Als er an der Treppe zum Steuerraum vorüberkam, hörte er, wie Bogdan mit monotoner Stimme wiederholte: »We sechzehn. Hier ist Chius. We sechzehn. Hier ist Chius. Bitte melden! Bitte melden!«

In der Messe sagte Jermakow seufzend: »Ich kenne Robert Lloyd. Ein guter Raumfahrer. Ein hervorragender Gelehrter ...«

»Ehre seinem Andenken! Er hat sich gut gehalten«, sagte Jurkowski leise.

»Ehre seinem Andenken ...«

Sie schwiegen. Plötzlich sprang Dauge auf. »Verdammt noch mal! Mir scheint, wir stehen still. Wir sind irgendwo hineingerutscht und verschüttet ...«

»Keine Panik, Dauge.« Jermakow lächelte müde.

Es war Mittagszeit, aber niemand hatte Appetit. Der Kommandant erhob sich als Erster, um seine Kabine aufzusuchen. Krutikow legte Jurkowski die Hand auf die Schulter und sagte schuldbewusst: »Ich glaube, du hattest recht, Wolodja.«

»Schon gut«, antwortete Jurkowski. »Aber da gibt es noch ein Rätsel, Genossen.«

Alle blickten ihn fragend an.

»Lu sagte, er habe nur einen Richtfunksender an Bord, stimmt’s?«

»Stimmt«.

»Aber wir haben ihn doch gut gehört.«

Michail Antonowitsch riss den Mund auf und blickte verwirrt Jermakow an.

»Aber warum sollten wir denn nicht?«, fragte Dauge.

»Weil wir in einer ganz anderen Richtung von Lu fliegen als Lloyds Schiff, Freundchen. Ein gerichteter Funkstrahl dürfte uns auf keinen Fall erreicht haben.«

Dauge fasste sich an den Kopf. »Genug der Rätsel. Das ist schon beinahe nicht mehr zu ertragen!«

Jermakow und Michail Antonowitsch begaben sich sofort in den Steuerraum und forderten auch Jurkowski auf mitzugehen.