Dritter Teil

An den Ufern der Urangolkonda

Im Sumpf

Sumpf auf der Venus ... Einfach absurd! Absurder als Palmenhaine auf dem Mond oder Kuhherden auf den kahlen Piks der Asteroiden. Dichter Nebel statt glühenden Himmels, zäher Schlamm statt brennend heißen, trockenen Sandes! Das widersprach ganz und gar den althergebrachten Vorstellungen von der Venus und komplizierte die Lage der Expedition außerordentlich; denn es war eine Überraschung, und nichts kann einem ernsten Vorhaben mehr schaden als Überraschungen. Sogar der tapfere Fahrer der Geländewagen in der Gobi, der die in der Wissenschaft herrschenden Theorien über die Venus kaum kannte und deshalb von diesem Planeten so gut wie gar keine Vorstellung hatte, war ziemlich verblüfft: Das wenige, was er rings um die Chius sah, passte so gar nicht zu seiner Rolle als Wüstenfahrer.

Was die übrigen Besatzungsmitglieder anbetraf, deren Wissen um diese Dinge bedeutend umfangreicher war, so rief die Überraschung in ihnen weit ernstere Befürchtungen hervor. Nicht, dass die Piloten und Geologen auf Komplikationen unvorbereitet gewesen wären, durchaus nicht. Jeder wusste zum Beispiel, dass die Chius bei ihrer Geschwindigkeit genauso gut viele Tausend Kilometer von der Golkonda entfernt hätte landen können; das Schiff hätte im Gebirge niedergehen und zerschellen können. Doch alle diese Komplikationen und Fehlschläge waren vorhersehbar und schreckten darum nicht, selbst wenn sie das Leben kosten konnten. »Große Taten sind immer mit Risiko verbunden«, pflegte Krajuchin zu sagen. »Wer den Tod fürchtet, soll lieber zu Hause bleiben.« Aber ein Sumpf auf der Venus!

Bei all ihrer Selbstbeherrschung und der reichen Erfahrung verbargen die Raumfahrer nur mit Mühe ihre Besorgnis voreinander. Jeder begriff: Das Schicksal der Expedition und ihr Leben hingen jetzt von einer ganzen Reihe vorläufig noch unbekannter Umstände ab. Immer neue Fragen drängten sich ihnen auf: Ob sich der Sumpf weit ausdehnte? Was war das überhaupt für ein Sumpf? Würde ihn der Knabe passieren können? Drohte der Chius nicht die Gefahr, noch tiefer einzusinken, sich zu drehen und völlig zu versacken? Durfte man es wagen, aufzusteigen und an einer anderen Stelle niederzugehen?

Kurz vor dem Start hatte Dauge zu Krajuchin gesagt: »Hauptsache, wir landen glücklich, dort gehen wir dann, wenn es sein muss, sogar durch die Hölle.« Sie alle wussten, dass ihrer vielleicht wirklich die »Hölle« harrte, doch wer konnte ahnen, dass diese Hölle so aussah – düster, glucksend, unerklärlich?

Wie schon gesagt, bewegten Bykow aufgrund seiner Unkenntnis Überlegungen ganz anderer Art. Er bangte nicht um das Schicksal der Expedition, weil er an die wunderbaren Eigenschaften der Chius glaubte und fest auf seine Kameraden vertraute, insbesondere auf Jermakow, dem keine Spur von Unsicherheit anzumerken war. Bykow betrachtete die Überraschung lediglich als ein Abenteuer und war sehr geschmeichelt, dass sich Jermakow in der kleinen Auseinandersetzung mit Jurkowski an der offenen Luke auf seine Seite gestellt hatte.

Mühsam die Füße aus dem zähen Schlamm ziehend, stapfte Bykow hinter Jermakow her. Nach einigen Schritten blieb der Kommandant stehen und horchte. Dichtes gelbliches Halbdunkel umhüllte sie, der Morast zu ihren Füßen schimmerte fettig. Sie sahen nur einige Meter weit, hörten dafür aber um so mehr. Das Moor gab seltsame Laute von sich. Es seufzte in allen Tonarten, prustete, schmatzte, stöhnte. Aus der Ferne drangen dumpfes Gebrüll und ein langgezogenes helles Pfeifen herüber. Sicherlich erzeugte das Moor selbst alle diese Geräusche, doch Bykow musste plötzlich an phantastische Wesen denken, die sich im Nebel verborgen hielten, und eilig tastete er nach den Granaten hinter seinem Gürtel. Wenn ich’s den Freunden auf dem Gobi-Stützpunkt erzähle, glauben sie es mir nicht, dachte er. Das unangenehme Gefühl des Verlassenseins beschlich ihn. Er blickte zurück auf den dunklen Schiffskoloss, umfasste die Maschinenpistole mit beiden Händen und watete weiter. Wenig später hatte er Jermakow überholt.

Tick, tick-tick, tick, klopfte schüchtern, kaum hörbar das Dosimeter. Nicht mehr als ein Tausendstel Röntgen, stellte Bykow beruhigt fest und vergaß auch schon das Ticken: Sein Fuß war gegen etwas Hartes gestoßen. Er bückte sich und tastete mit der Hand vor sich her. Durch den Schleier der Ausdünstungen gewahrte er kantige schlammbedeckte Blöcke, die über der öligen Oberfläche hervortraten.

»Was gibt’s bei Ihnen, Alexej Petrowitsch?«, hörte er Jermakows Stimme.

»Vorläufig nichts ... Besonderes«, antwortete Bykow. »Alles in Ordnung. Unter den Füßen so etwas wie Steine oder Trümmer.«

Stolpernd und rutschend kletterte er über die seltsamen Brocken. Unter seinen Füßen gluckste, fauchte, gurgelte es.

»Können Sie sich überhaupt noch halten?«, fragte Jermakow. »Es geht«, erwiderte Bykow und sank plötzlich bis zur Brust ein.

Bloß nicht ganz und gar versacken, dachte er erschrocken. Doch in diesem Augenblick stieß der Lauf seiner Maschinenpistole an etwas Festes. Bykow sah aufmerksam hin und staunte. Eine körnige graue Kruste mit matt glänzendem Bruchrand versperrte ihm den Weg.

»Anatoli Borissowitsch!«, rief er.

»Ja?«

»Hier ist der Sumpf asphaltiert.«

»Hab nicht verstanden. Ich komme.«

»Ich sage, hier ist der Sumpf mit Asphalt bedeckt.«

»Phantasierst du, Alexej?«, ertönte Dauges aufgeregte Stimme. Zusammen mit den Piloten und Jurkowski stand er an der offenen Luke und fing jedes Wort der Kundschafter auf.

»Nein wirklich – richtiger Asphalt! Oder so etwas wie ein Takyr in unseren Wüsten.«

Bykow schob die Maschinenpistole auf den Rücken und stemmte sich mit den Händen auf die Oberfläche der Kruste. Mit langgezogenem, saugendem Geräusch gab ihn der Sumpf frei. Auf allen vieren kroch er etwas weiter vom Rand weg und richtete sich auf.

Tick, tick-tick, tick ...

»Richtiger, fester Asphalt, Anatoli Borissowitsch. Ich stehe!«

»Ist es vielleicht das Ufer?«, fragte Jermakow hoffnungsvoll. Aus den Schwaden tauchten die Umrisse seiner Gestalt auf.

»Ich weiß nicht ... Nein, das Ufer ist es nicht. Liegt wie eine Kruste über dem Sumpf.«

Jermakow bückte sich. »Etwa dreißig bis fünfunddreißig Zentimeter dick«, stellte er fest.

»Ich weiß, was es ist«, drang plötzlich Krutikows Stimme herüber. »Die Chius ist doch auf dem Photonentriebwerk niedergegangen.«

»Natürlich, verdammt noch mal!« Alle hörten, wie Jurkowski sich mit der Hand gegen den Helm klatschte. »Das ist ja ...«

»Zusammengebackener Schlamm, ohne Zweifel«, bestätigte Jermakow. »Der Photonenstrahl hat das Wasser an der Oberfläche verdampft, und es ist eine Kruste entstanden. Die Chius hat sie bei der Landung durchbrochen.«

»Ja, so muss es gewesen sein«, pflichtete Bykow bei. Er schritt am Rand entlang und spähte neugierig nach allen Seiten. »Weit wie der Rote Platz, vollkommen eben, tanzen kann man darauf. Doch überall Risse.«

»Wird der Knabe darüber fahren können?«, erkundigte sich Jermakow.

»Der Knabe kann überall fahren.«

Tick-tick, tick, tick-tick ...

»Ich kehre zurück, Genossen«, sagte nach kurzem Schweigen Jermakow. »Ich denke, die Besatzung kann aussteigen. Jurkowski und Spizyn, bitte hierher, zu Bykow.«

»Jawohl.«

»Vorwärts, ihr Himmelsstürmer!«, krähte Jurkowski, während er aus der Luke kletterte. »He, Bogdan sieh dich vor!«

»Und ich?«, rief Dauge gekränkt.

»Wir beide werden uns mit der Analyse der Boden- und Atmosphäreproben beschäftigen.«

»Gut, Anatoli Borissowitsch.«

»Michail Antonowitsch, gehen Sie in den Steuerraum und versuchen Sie die Gegend mit dem Radar abzutasten«, ordnete Jermakow an, als er wieder vor der Luke auftauchte. »Genosse Bykow, gleich werden sich Jurkowski und Spizyn zu Ihnen gesellen. Sie übernehmen die Führung. Versuchen Sie den äußeren Rand der Fläche zu erreichen. Nicht weitergehen.«

»Jawohl.«

Er hat recht, dachte Bykow. Es wäre dumm, bis zum Hals in diesem Morast herumzuwaten, wo wir doch einen Geländewagen mit Infrarot-Scheinwerfern haben. Freilich, der Knabe muss noch abgeladen werden.

Irgendwo in der Nähe fluchte halblaut Jurkowski. Dann hörte Bykow Bogdans gedämpfte Stimme: »Mehr rechts halten, Wolodja.«

Wenige Minuten später gluckste es am Rand der Kruste, und im Nebel erschienen zwei graue Gestalten.

»Wo bist du denn, Aljoscha? Ich kann überhaupt nichts sehen, zum Teufel ... Wie kommt es, dass dich die hiesigen Ungeheuer noch nicht verspeist haben?«

»Gott war mir gnädig«, knurrte Bykow, während er den beiden auf den »Takyr« half.

Jurkowski stampfte ein paarmal mit dem Fuß auf, um die Festigkeit der Kruste zu prüfen. Bogdan fuhr sich mit der Hand über den schlammbespritzten Vorderhelm und sagte: »Blöd, sag ich euch ...«

»Was ist blöd?«

»Dass man ihm den Namen ›Venus‹ gegeben hat.«

»Wem? Ah ...« Bykow zuckte mit den Schultern. »Weißt du, von Namen darf man nicht ausgehen.«

Jurkowski brach in Gelächter aus.

Ohne Eile machten sie sich auf den Weg. Sie sprangen über breite Spalten, in denen breiiger Schlamm dampfte.

»Bogdan«, sagte Bykow mit gesenkter Stimme. »Der Sumpf strahlt aus ... Hörst du?«

Tick, tick-tick-tick-tick ...

»Ich höre. Es ist aber ganz unwesentlich. Unsere Zähler sind sehr empfindlich, Aljoscha.«

»Alles, was unter den Photonenreaktor gerät, strahlt aus«, sagte Jurkowski schulmeisterlich. »Das versteht sogar ...«

»Halt mal ...« Bogdan hob die Hand.

Sie blieben stehen. In den Kopfhörern lärmte es unausgesetzt, die Stimmen Jermakows und Dauges waren kaum noch zu vernehmen.

»Wie weit haben wir uns von der Chius entfernt, was meint ihr?«, fragte Spizyn.

»Siebzig bis achtzig Meter«, antwortete Bykow rasch.

»So. Demnach reichen unsere Radiotelefone nur auf diese Entfernung.«

»Ziemlich wenig«, bemerkte Jurkowski. »Wahrscheinlich Ionisation.«

»Ja.«

Tick, tick-tick, tick, tick ...

Sie gingen weiter. Das Fauchen, Glucksen, Heulen wurde immer stärker. Irgendwo zur Rechten ertönte ein lautes Schnarchen.

»Horch! Ich hör Kanonendonner ...«, murmelte Jurkowski.

»Das ist sie!«

Der äußere Rand des riesigen Fladens, den der Photonenstrahl auf der Sumpfoberfläche gebacken hatte, war gekrümmt und sank schräg in den Morast ab. Unmittelbar dahinter traten die blassgrauen, sonderbaren Silhouetten seltsamer Pflanzen aus dem Nebel hervor. Sie waren ganz nahe, höchstens zehn Schritte entfernt, aber die weißlich wogenden Ausdünstungen veränderten und verzerrten unaufhörlich ihr Aussehen, gaben die einen Details frei und hüllten die anderen in undurchdringlichen Nebel, sodass es unmöglich war, sie genau zu betrachten.

»Venusianischer Wald«, flüsterte Jurkowski mit einem so merkwürdigen Unterton, dass Bykow ihn misstrauisch anblickte.

»Ja ... venusianischer! Meiner Meinung nach großer Dreck!«, sagte Bogdan und hüstelte.

»Sei still, Bogdan! Was redest du für einen Unsinn. Das ist doch Leben! Neue Formen des Lebens. Und wir – wir! – haben sie entdeckt ...«, flüsterte Jurkowski.

»Da! Noch eine neue Form des Lebens«, murmelte Bykow und spähte mit Unruhe zu einem großen dunklen Fleck hinüber, der plötzlich am Krustenrand unweit von ihnen aufgetaucht war.

»Wo?« Jurkowski drehte sich jäh um.

Der Fleck verschwand.

»Vielleicht ist es nur eine optische ...« Ein tiefes Gebrüll unterbrach Bykow. »Da! Hört ihr’s?«

»Das muss ganz in der Nähe sein. Dort ...« Spizyn wies mit der Hand nach rechts.

»Jaja, ganz nahe. Also hab ich es tatsächlich gesehen.« Langsam zog Bykow eine Granate hinter dem Gürtel hervor und spähte nach allen Seiten.

»Groß?«, fragte Spizyn.

»Ja, groß.«

Wieder erscholl das Brüllen, jetzt nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Kein Erdentier vermochte solche Laute auszustoßen. Sie glichen dem Heulen einer Dampfsirene und waren voller Drohung und Angriffslust.

Bykow zuckte zusammen. »Es brüllt ...«, sagte er leise.

»Ja ... Wollen wir nicht hingehen und nachsehen?«, schlug Jurkowski mit erregter Stimme vor. »Ach, wie schön ist es doch dagegen auf dem Mars. Was für ein freigebiger und anständiger Planet! Das reinste Sanatorium.«

Tick, tick-tick, tick-tick ...

»Nein, lieber nicht hingehen«, meinte Spizyn. »Unnötige Bravour.«

Bykow schwieg.

»Habt ihr Angst? Na, dann geh ich allein.« Jurkowski machte entschlossen einen Schritt vorwärts.

Das nun Folgende spielte sich sehr schnell ab. Bykow wandte sich Spizyn zu, in diesem Augenblick klatschte etwas schwer auf den »Asphalt«, als habe jemand einen Ballen nasser Wäsche darauf geworfen. Eine rundliche dunkle Masse von der Größe einer gut genährten Kuh rückte aus dem Nebel auf die Menschen zu. Jurkowski sprang zur Seite und rutschte mit einem unterdrückten Aufschrei in den Sumpf ab. Spizyn wich zurück. Sekundenlang schien es Bykow, als herrsche ringsum Totenstille, dann drang das schüchterne Tick-tick des Dosimeters in sein Bewusstsein, und er fasste sich.

»Hinlegen!«, schrie er.

Spizyn warf sich nieder und sah, wie Bykow zurücksprang und mit dem rechten Arm ausholte – einmal und noch einmal. Zwei dumpfe Detonationen schlugen betäubend an sein Ohr, zweimal blitzte es im Nebel auf, und zweimal erstand und verschwand in dem dämmrigen Halbdunkel ein feuchter, glänzender Leib – ein riesiger, von tiefen Falten durchfurchter Hautsack. Pfeifend flogen Splitter über sie hinweg, trafen klackend auf den Asphalt. Dann wurde es still.

»Finita la commedia«, murmelte Spizyn und erhob sich mühevoll.

»Wo ist Jurkowski?«, rief Bykow keuchend.

»Hier bin ich ...«

Sie zogen den von Kopf bis Fuß schlammbedeckten Geologen auf den »Asphalt«. Ohne ein Wort zu sagen, stürzte er zu der Stelle, wo sich das Ungeheuer befunden hatte.

»Nichts!«, rief er enttäuscht.

In der Tat, das Ungeheuer war verschwunden.

»Aber es war doch da!« Jurkowski schritt am Krustenrand auf und ab, blieb stehen, bückte sich, die Hände gegen die Knie gestützt, und spähte angestrengt zu den verschwommenen Umrissen der wirren Stängel und Stämme hinter dem Dunstvorhang.

»Es war da ...«

»Er ... es ist weg.«

»Als hätte es sich aufgelöst«, sagte Spizyn nachdenklich.

»Vielleicht haben Sie nicht getroffen?«, fragte Jurkowski naiv. Er blieb vor Bykow stehen, der besorgt die Maschinenpistole prüfte.

Bykow schnaufte verächtlich.

»Na schön, es ist weg, und Allah sei Dank«, sagte Spizyn. »Wissen möchte ich, was es von uns wollte. Hatte wohl großen Appetit?«

»Quatsch!«, rief Jurkowski angriffslustig. »Ausgesprochener Quatsch! Woher hast du bloß diese blödsinnige Vorstellung von menschenfressenden Ungeheuern auf anderen Planeten? Wenn sich die Schreiberlinge langweilen, dürfen sie sich ausmalen, dass wir nur auf einem anderen Planeten auftauchen müssen, und schon läuft allen einheimischen Tieren das Wasser im Munde zusammen. Aber du, du bist doch ein alter Raumwolf, Bogdan!«

Zurück gingen sie schweigend. Jermakows und Dauges Stimmen waren nicht zu hören; sicherlich befanden sie sich bereits im Schiffsinneren.

Bevor sie wieder in den dampfenden Schlamm hinabstiegen, sagte Jurkowski nachdenklich.: »Wie dem auch sei, es gibt Lebewesen auf der Venus. Se-ehr interessant. Nur – sind Sie sich auch sicher, dass Sie getroffen haben, Genosse Bykow?«

Das war zu viel. Bykow schnaufte zornig und eilte vorwärts.

Tick, tick-tick-tick, tick-tick ...

Einige Zeit verbrachte Bykow mit Waffenputzen, und als er die Messe betrat, fand er dort Jurkowski und Dauge in heftigem Streit miteinander. Das Kinn kämpferisch vorgeschoben, schrien sie sich über den Tisch hinweg an. Bogdan Spizyn lächelte wie üblich und kippelte mit dem Stuhl, wobei er sich an der Lehne des Sessels festhielt, in dem Michail Antonowitsch saß, und während Bogdan von Zeit zu Zeit ironische Zwischenbemerkungen einwarf, schwieg der korpulente Navigator und leerte konzentriert eine Büchse mit gefüllten Pfefferschoten.

»Warum dann also?«, fragte Dauge offenbar nicht zum ersten Male.

»Warum was?«

»Warum hat es sich auf euch gestürzt?«

»Aber wer sagt dir denn, dass es sich auf uns gestürzt hat?«

»Du hast’s gesagt.«

»Keine Spur! Es ist ganz zufällig auf uns gestoßen. Mehr noch: Ich bin sicher – bevor der brave Alexej Petrowitsch ihm seine Bomben an den Bauch gepfeffert hat, ahnte es nicht einmal etwas von unserer Existenz!«

»Und dann kam ihm eine Ahnung«, bemerkte Bogdan, »aber es war schon zu spät.«

»... sogar bei uns auf der Erde hat jedes Tier sein bestimmtes Fressschema, von dem es nur im äußersten Notfall und ungern abweicht. Hier aber! Eine andere Welt, völlig andere Daseinsbedingungen ... Andere Gesetze!«

»Wieso denn andere Gesetze?«

»Aber ja doch. Die hiesigen Eingeborenen brauchen zum Leben ganz andere Stoffe. Was haben sie von einem knochigen Fahrer ...«

»Hm«, brummte Bykow.

»... oder einem fettigen Piloten? Ein zweibeiniges Ekel, das einen widerwärtigen Geruch verströmt, mit irgendeiner trockenen und harten Art Haut bedeckt! Versetzt euch doch mal an seine Stelle ... Michail!«

»Mm?« Michail Antonowitsch schreckte auf und versteckte die Büchse unterm Tisch.

»Würdest du eine glitschige Kröte essen, groß wie ein Stier?«

»Ich weiß nicht ... Sicherlich ...«

»Sicherlich ja oder sicherlich nicht?«

»Sicherlich ja«, sagte Bogdan und nahm dem Navigator die Konserven weg. »Michail! Verstoß nicht gegen die Expeditionsvorschriften, die von einer Gruppe sachkundiger Leute aufgestellt worden sind.«

Michail Antonowitsch warf ihm einen kläglichen Blick zu, leistete aber keinen Widerstand.

»Jaa?«, ereiferte sich Kurkowski. »Du hättest doch fürs ganze Leben den Appetit verloren, wenn du dieses Vieh auch nur gesehen hättest!«

»Wohl kaum«, sagte Michail Antonowitsch betrübt und folgte mit dem Blick der Büchse, die Bogdan ins Büffet stellte.

»Wie dem auch sei«, sagte Dauge, »aber du hast wahrscheinlich unrecht, Wolodja. Andere Bedingungen, andere Gesetze ... Eiweiß, mein Lieber, ist immer Eiweiß.«

»Also isst Eiweiß immer Eiweiß?«, fuhr Bogdan fort, während er an seinen Platz zurückkehrte. »Und wenn das kein Eiweiß war?«

»Was denn sonst? Steinkohle etwa?«

»Na, ich weiß nicht. Es hat mir nur nicht gefallen, wie es verschwand ... Gar zu plötzlich. Aber euer Streit ist gegenstandslos. Weder der eine noch der andere hat Daten, und darum beruft ihr euch immerzu auf das grundlegende Theorem ›Es ist halt so!‹. Johannytsch ist ein ausgeglichener Mensch, er wird meine Worte zu würdigen wissen, aber dir, Wolodja, werde ich jetzt die Geschichte von dem dummen Welpen Schljop und von der weißen Kallisto-Echse ...«

»Was? Eine Kanisterechse?« Bykow hatte nicht recht gehört.

Jurkowski schnaubte.

»Von der Kallisto. Die Kallisto ist ein Jupitermond, der einzige Himmelskörper, auf dem bisher tierisches Leben entdeckt worden ist. Woronow hat von dort eine weiße Blindechse mitgebracht ...«

»Ich weiß«, sagte Jurkowski finster. »Und Lewkins verdammter Schljop hat sie gefressen.«

»Und wie! Ratz-batz!«, fügte Dauge befriedigt hinzu.

»Allerdings wäre das unglückliche Tier dann vor Durchfall beinahe verendet ...«

»Na siehst du«, sagte Jurkowski unsicher.

Krutikow und Bykow brachen in schallendes Gelächter aus.

»So traurig endete die Begegnung der Wesen zweier verschiedener Welten«, schloss Spizyn ernst, »des Hundes von der Erde und der Echse vom Jupitermond.«

»Das ist doch sonnenklar ...« Jurkowski überlegte und winkte dann ärgerlich ab. »Höhlenmenschen seid ihr!«

Jermakow, ruhig wie immer, nur etwas bleicher als gewöhnlich, trat ein. Er setzte sich an den Tisch, schlug sein ledergebundenes Notizbuch auf und beugte den verbundenen Kopf darüber. Alle verstummten und richteten ihre Blicke auf den Kommandanten. Bykow setzte sich bequem in seinem Sessel zurecht und war ganz Ohr.

»Ich bitte um Aufmerksamkeit, Genossen«, sagte Jermakow. »Wir müssen den Plan für unsere weitere Arbeit beraten.« Es wurde still, nur das leise Knacken im Eisschrank war zu hören.

»Ich habe noch keine Informationen von der Gruppe Bykow.« Jermakow lehnte sich im Sessel zurück. »Alexej Petrowitsch, berichten Sie.«

Bykow erhob sich.

»Sumpf ...«, begann er, »sehr zäher Sumpf. Zehn Schritte von der Chius entfernt ...«

Er sprach langsam, bemüht, auch nicht die geringste Einzelheit auszulassen, und dachte bekümmert, dass ihn der Leiter des geologischen Instituts für einen solchen Bericht einen Faselfritzen genannt hätte. Aber Jermakow hörte aufmerksam zu, nickte ermunternd und machte sich ab und zu Notizen. Bykow war ein wenig erstaunt, dass der Kommandant keinerlei Neugier für das Tier zeigte, sondern nur nachsichtig lächelte, als Jurkowski einige Male unbehaglich im Sessel hin und her rutschte, offenbar aus Protest gegen die allzu naturalistische Schilderung seines Benehmens während des Kampfes mit dem venusianischen Ungeheuer.

»Das ist alles«, sagte Bykow und atmete erleichtert auf.

»Also kopfüber ...«, wiederholte Jermakow. »Danke, Alexej Petrowitsch.«

Bykow nahm wieder Platz. Dauge zwinkerte ihm zu und wies mit dem Kopf auf den finster dreinschauenden »Fant«. Bykow setzte eine steinerne Miene auf und wandte sich ab.

»Nun ...« Jermakow erhob sich, berührte den Verband und verzog schmerzhaft das Gesicht. »Fassen wir zusammen, was uns bekannt ist. Überraschenderweise sind wir in einem Sumpf gelandet. Nach meinen Berechnungen befinden wir uns höchstens hundert Kilometer südlich von der Golkonda entfernt. Höchstens hundert ... Die Entfernung ist, wie Sie sehen, nicht sehr groß. Unter anderen Umständen würden wir für diese Strecke kaum vierundzwanzig Stunden benötigen. Aber ...«

»Das ist es ja gerade«, flüsterte Spizyn.

»... wir sitzen im Sumpf. Und nicht genug damit. Nach den Ergebnissen der Funkortung – auf die man sich freilich nicht sehr verlassen kann – ist der Sumpf von einem hohen Felsenring umschlossen, und es lässt sich in diesem Ring auch nicht die kleinste Lücke feststellen.«

»Ein Vulkan?«, fragte Dauge.

»Es ist möglich, dass wir uns im Krater eines gigantischen Schlammvulkans befinden. Ein recht eigenartiger Vulkan ist das, wie die Analyse des Schlammwassers zeigt ...« Jermakow schlug das Notizbuch auf. »Hier, bitte sehr. Ein Gemisch schweren und überschweren Wassers zu gleichen Teilen.«

Jurkowski sprang erregt auf.,

»Tritiumwasser?«

Jermakow nickte. »T2O.«

»Aber ...«

»Ja. Die Halbwertzeit des Tritiums beträgt nur rund zwölf Jahre. Also ...«

»Also«, griff Dauge auf, »ist unser Vulkan erst vor Kurzem entstanden, oder es gibt irgendeine natürliche Quelle, die den Tritiumschwund ausgleicht.«

Wie die natürliche Quelle des überschweren Wasserstoffs – eines Isotops, das auf der Erde in besonders ausgestatteten Atomreaktoren gewonnen wird – beschaffen sein müsste, konnte sich Bykow nicht vorstellen, doch er schwieg und hörte weiter zu.

»Das ist noch nicht alles«, sagte Jermakow. »Die Chius steht über einem bodenlosen Abgrund. Jedenfalls waren unsere Echolote machtlos.«

»Wie ist der Durchmesser des Kraters?«, fragte Jurkowski hastig.

»Der Krater ist offenbar fast rund, sein Durchmesser beträgt etwa fünfzig Kilometer. Die Chius befindet sich unweit von seinem nordöstlichen Rand. Nur etwa acht Kilometer trennen uns von der Felsbarriere. So ist die Lage, Genossen.«

Jurkowski stand auf und strich sich über das Haar.

»Kurz gesagt, der Morast unter uns ist Hunderte von Metern tief. Vom Ziel trennen uns hundert Kilometer. Die ersten Kilometer sind Sumpf, dann folgt ein Felsenzug. Richtig?«

Jermakow nickte.

»Der Sumpf besteht zur Hälfte aus Tritiumwasser. Ich erlaube mir, daran zu erinnern, dass der Zerfall des Tritiums mit Aussendung von Neutronen verbunden ist, und Neutronenbestrahlung – ich meine eine längere Neutronenbestrahlung –, das ist durchaus kein Zuckerlecken, selbst beim Vorhandensein von Spezialanzügen.«

»Völlig richtig.«

»Allerdings hat Bykow versichert, dass der Knabe den Sumpf passieren kann. Und die Felsen?«

»Der Knabe kommt überall durch«, wiederholte Bykow starrsinnig. »Im äußersten Falle werde ich die Felsen sprengen.«

»Hm ... aber wie dem auch sei, ich möchte vorschlagen, dass wir die Chius in einer weniger gefahrvollen Lage zurücklassen.« Jurkowski setzte sich wieder.

»Ich glaube kaum, dass es nötig sein wird, die Felsen zu sprengen«, sagte Dauge. »Der Gebirgszug kann nicht durchgehend geschlossen sein. Wir werden schon einen Pass finden.«

»Und ich bitte zu berücksichtigen«, sagte Spizyn, »dass die Chius für Horizontalflüge ungeeignet ist. Wir können beim Wechseln der Standorte leicht einige Tausend Kilometer abseits landen. Auch sind uns die atmosphärischen Strömungen auf diesem reizenden Planeten sattsam bekannt. Es ist wohl besser, im Sumpf zu sitzen, als zerschmettert auf Felsen zu liegen.«

Jurkowski zuckte die Achseln.

»Soweit ich übersehen kann«, schaltete sich nun auch Krutikow in das Gespräch ein, »handelt es sich darum, das Risiko auf ein Minimum herabzusetzen. Die Frage lautet: Sollen wir alles so lassen, wie es ist, oder sollen wir versuchen, aus dem Sumpf herauszukommen? Hab ich recht?«

»Ihre Meinung, bitte.«

»Wenn Aljoscha, das heißt Alexej Petrowitsch, für den Knaben garantiert und die Geologen für die Chius, schlage ich vor, alles so zu lassen, wie es ist.«

»Wie soll man das verstehen: für die Chius garantieren?«, fragte Jurkowski.

»Das heißt beweisen, dass die Chius in diesem Sumpf nicht versackt und nicht umkippt.« Der Navigator steckte sich gemächlich seine kalte Pfeife in den Mund.

Jermakow erhob sich. »Also, die Chius bleibt hier«, sagte er bestimmt. »Dauge und ich, wir haben die notwendigen Lotungen durchgeführt, und mir scheint, das Schiff steht genügend fest. Jedenfalls – um mich mit den Worten Michail Antonowitschs auszudrücken – ist das Risiko, im Morast zu versacken, nicht größer als das, auf die Felsen zu stürzen beim Versuch, den Platz zu wechseln. Also bleibt die Chius hier.«

Bykow schielte zu Jurkowski hinüber. Der zuckte nicht einmal mit der Wimper.

»Weiter. Die Chius darf nicht ohne Aufsicht zurückgelassen werden. Deshalb fahren mit dem Knaben nur fünf Mann. Einer der Piloten bleibt hier.«

Spizyn zuckte zusammen und blickte Jermakow unruhig an. Krutikow nahm die Pfeife aus dem Mund.

»Zum ständigen Diensthabenden auf der Chius bestimme ich den Genossen Krutikow. Hat jemand Einwände? Ich meine wesentliche Einwände ...«

Das breite, gutmütige Gesicht des Navigators verfinsterte sich und ließ erkennen, dass er wohl Einwände hatte, dass sie aber leider völlig unwesentlich waren.

»Ausgezeichnet. Und jetzt wollen wir keine Zeit vergeuden, Genossen. Innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden müssen wir aufbrechen. Gewiss, es ist jetzt Abend, und der Start fällt in die Nachtzeit, aber ich glaube nicht, dass uns die Dunkelheit mehr behindern wird als der Nebel. Wir wollen essen ...«

»... was uns der Herrgott bescheret«, warf Krutikow seufzend ein.

»... und danach machen wir den Knaben klar. Hat noch jemand Fragen?«

Die Beratung war zu Ende. Bykow entging nicht, dass alle bemüht waren, dem armen Michail Antonowitsch, der tiefunglücklich aussah, ihre Teilnahme zu bezeigen. Jurkowski goss ihm eigenhändig Kakao ein, Dauge sammelte ihm fortwährend unsichtbare Härchen vom Anzug ab, und Spizyn öffnete eigens für ihn eine Büchse mit entfetteter Wurst.

»Übrigens«, sagte Jurkowski, während er die Gabel in das kalte Huhn stieß, »es kommt uns sehr zustatten, dass die Kuppel der Chius nur ein paar Meter über der Sumpfoberfläche steht. Wir werden uns nicht mit diesem komischen Windensystem abplagen müssen, das mir, offen gesagt, ein Buch mit sieben Siegeln ist.«

»Aber, aber«, schaltete sich Dauge ein. »So kompliziert ist es doch gar nicht. Du wirst noch genug Gelegenheit haben, dich damit vertraut zu machen, wenn wir den Knaben wieder hinaufwinden. Jetzt natürlich ist es ein Glück für uns ... Was meinst du, Alexej?«

»Im Handumdrehen ist der Knabe unten«, murmelte Bykow mit vollem Munde.

Und tatsächlich, der Knabe war »im Handumdrehen« unten. Die Vorderwand des Containers wurde abgenommen, und Bykow bat seine Kameraden mit gewichtiger Miene, in die Schleusenkammer zurückzukehren. »So wird es ... hm ... sicherer sein«, sagte er ausweichend. Die Raumfahrer lachten erstaunt, gehorchten aber. Bykow stieg ein, verschloss die Luken des Wagens, setzte sich ans Steuerpult und drückte auf die Tasten. Ein Brummen ertönte, leise ruckten die Gleisketten an. Jetzt – dachte Bykow –, jetzt werd ich’s ihnen zeigen! Ohrenbetäubend brüllte das Triebwerk auf, und der Knabe machte einen Sprung. Die Raumfahrer sahen, wie ein breiter dunkler Körper donnernd und rasselnd vorüberhuschte und im Nebel untertauchte. Die Chius schwankte wie ein Boot auf den Wellen. Der Sumpf erbebte von dem schweren Aufschlag. Mit den Raupen über die Bruchstücke des »Asphalts« mahlend, arbeitete sich der Knabe aus dem Morast. Dann zog er, in Schlammfontänen gehüllt, mit ungewöhnlicher Leichtigkeit durch den Sumpf, beschrieb eine steile Kurve und hielt vor der Ausstiegluke des Raumschiffs. Das grelle weiße Licht der Scheinwerfer erhellte den brodelnden Nebel.

»Ein Meister«, murmelte Jurkowski.

Krutikow klatschte begeistert in die Hände. Eine lange, verschwommene Gestalt erschien wie ein graues Gespenst vor der Luke, nahm Haltung an und meldete: »Genosse Kommandant, der Knabe ist einsatzbereit.«

Wenn man von sportlicher Einstellung im Beruf sprechen kann, so darf man sagen, dass Bykow immer ein wenig Sportsmann war. Jedenfalls galt er wegen seiner Sprünge ohne Anlauf mit raupenbewehrten Geländewagen als einer der besten Fahrvirtuosen. Der Gedanke, den Kameraden sein Können zu zeigen, war ihm erst gekommen, als er sich an der Vorderwand des Containers zu schaffen machte. Er wusste noch nicht, was der Kommandant von seinem Husarenstück hielt, und war ein wenig beunruhigt. Doch Jermakow drückte ihm nur die Hand.

»Immerhin, Alexej Petrowitsch, Sie hätten uns vorher Bescheid sagen müssen.«

»Unmöglich!« Spizyn lachte. »In jedem Meister steckt ein kleiner Zauberkünstler. Er muss doch auch selbst etwas von seiner Tüchtigkeit haben.«

Bykow verstand nicht, ob das nun ein Kompliment oder ein Tadel war, stieß aber für alle Fälle Spizyn freundschaftlich die schwere Faust in die Seite.

Jermakow ordnete an, die Fracht aus den Lagerräumen in die Schleusenkammer zu bringen, er selbst aber fuhr mit Bykow im Knaben auf Erkundung. Die Nacht senkte sich auf den Sumpf herab, eine undurchdringliche Finsternis hüllte alles ringsum ein, als im Nebel wieder Lichtflecke zu tanzen begannen und der Knabe, von einer Raupenkette auf die andere schwankend und ganz schlammbespritzt, unter die Frachtluke zurückkehrte. In dem schmalen Korridor setzte sich Jermakow auf einen der Frachtballen. Alle blickten ihn erwartungsvoll an. Bykow hockte sich neben ihn. Sein Gesicht zeigte Verwirrung und Unverständnis.

Jurkowski hielt es nicht aus. »Also, Anatoli Borissowitsch?«

»Was ist, Wladimir Sergejewitsch?«

»Sie waren ... dort?«

»Wo?«

»In dem Pflanzendickicht.«

»Wasserpflanzen«, knurrte der Fahrer.

»Waren wir.«

»Und ...«

»Nichts. Bykow hat recht. Der Knabe kommt überall durch. Ein hervorragendes Fahrzeug. Und ein hervorragender Fahrer.«

»Ä-hem«, räusperte sich der hervorragende Fahrer.

»Und wie ... ist es dort?«

»Im Dickicht?« Jermakow stand auf. »Zweifellos sehr interessant. Davon zu erzählen, hat keinen Sinn. In ...« – er schaute auf die Uhr – »in vierzehn Stunden brechen wir auf, dann sehen Sie es selbst.«

Sie arbeiteten mehrere Stunden hintereinander. Der Knabe war fast vollständig beladen. Bykow und Jermakow untersuchten ihn noch einmal von den Periskopen bis zu den Gleisketten. Sie schauten in den Maschinenraum, überprüften die Festigkeit der Riemen, mit denen das Ladegut festgezurrt war, das fast den ganzen freien Raum in der Kabine einnahm.

Jermakow machte sich noch am Funkgerät zu schaffen, Bykow aber kletterte hinaus. Alle warteten schon auf sie, und das feuchte Siliket-Gewebe der Anzüge glänzte im Licht des Scheinwerfers.

»Wie sieht es aus, Aljoscha?«, erkundigte sich Dauge. »Gehen wir bald schlafen?«

»U-aah!« Bogdan gähnte, reckte sich wohlig. »Jetzt einschlafen können ... müde bin ich, Freunde.«

»Erst essen wir zu Abend«, sagte Michail Antonowitsch eilig. »Ich erhebe Anspruch auf ein Stückchen Schinken ... das habe ich von gestern noch im Büffet liegen.«

»Anspruch zurückgewiesen!« Dauge stemmte drohend die Hände in die Hüften. »Und überhaupt, wer auf diesen Schinken spekuliert, riskiert, einen guten Appetit zu behalten, wie die Franzosen sagen.«

»Pfui«, ließ sich Jurkowski tadelnd vernehmen. »Die ganze Poesie ist hinüber. So eine wunderbare Nacht, und sie reden von Schinken.«

Bykow warf unwillkürlich einen Blick in die samtschwarze, undurchdringliche Finsternis, lauschte den unheimlichen Lauten, die vom Sumpf herandrangen.

»R’ichtig, r’ichtig!«, fiel Dauge mit knarrendem Zäpfchen-R ein. »Das ist so r’omantisch – Nebel, und nichts zu sehen. Ach, Mischa, Mischa!«

»Was redet ihr denn mit dem«, fügte Spizyn träge hinzu, »wenn er – u-aah! – kein krummliniges Integral über einen einfachen Rand bilden kann ...«

Michail Antonowitsch stand auf. Das feuchte Siliketgewebe des Anzugs geriet in den Scheinwerferstrahl und verschwand wieder im Dunkel.

»Schinken ...«, begann er triumphierend.

»Krutikow!«, rief Jurkowskis drohend. »Wie können Sie es wagen? Klammern Sie sich sofort aus und besinnen Sie sich!«

Als er die Späße seiner Kameraden hörte, lächelte Bykow und empfand dieselbe Freude wie bei der ersten Bekanntschaft. Herrgott, wie lange das her war? Er schaute wieder zu dem Sumpf hin, und ihn fröstelte. Es lag alles noch vor ihnen! ... Tick, tick-tick, tick, klang kaum hörbar das Dosimeter.

Die Luke des Kommandoturms wurde aufgeklappt, Jermakow kletterte heraus. »Wieso schlaft ihr nicht, ihr Nachtschwärmer?«

»Wir warten auf Sie, Anatoli Borissowitsch.«

»Alle sofort schlagen legen! In einer Viertelstunde komme ich kontrollieren.«

Die Raumfahrer – müde, aber zufrieden – stiegen scherzend in die Chius zurück.

Doch es war ihnen keine Ruhe vergönnt. Als sie sich der Spezialanzüge entledigt hatten und fröhlich plaudernd und lachend zur Messe gingen, um rasch noch Abendbrot zu essen, rutschte der vorauseilende Krutikow aus und setzte sich ziemlich unsanft auf den Fußboden.

»Das sind der Bosheit wohlverdiente Früchte!«, rief Jurkowski pathetisch.

»Verflucht!« Der dicke Navigator sprang auf die Beine und hielt sich schnuppernd die Hand an die Nase. »Welcher ... wer hat dieses widerliche Zeug hier verschüttet?«

»Was für ein widerliches Zeug?«

Sie waren immer noch guter Laune.

»Schieb es nicht auf andere, Mischenka!«

»Ajai! So ein großer Junge, und macht noch ...«

»Halt mal, Genossen«, sagte Jermakow besorgt. »In der Tat, was könnte das sein?«

Der Fußboden der Messe war mit hauchdünnem rötlichem Schleim bedeckt. Erst jetzt spürte Bykow einen scharfen, unangenehmen Geruch, der an faulendes Obst erinnerte. In seinem Hals begann es zu kribbeln. Jurkowski schnupperte geräuschvoll, verzog das Gesicht und musste niesen.

Jurkowski schniefte vernehmlich, schnaubte und nieste. »Woher kommt dieser Gestank?«, rief er und sah sich um.

Jermakow bückte sich und nahm mit dem Taschentuch etwas von dem Schleim auf. Die Raumfahrer sahen einander verständnislos an.

Dauge wurde ungeduldig.

»Was ist eigentlich geschehen?«

Krutikow wies auf das Büfett. »Da haben wir die Bescherung«, sagte er. »Da, und dort auch!«

Die Büfetttür war nicht ganz dicht verschlossen, und aus dem Ritz hingen seltsame rostbraune Fäden. Ein großer brauner Fleck zeichnete sich in der Ecke neben dem Kühlschrank ab, und ein auf dem Tisch vergessener Teller war mit einem filzigen braunen Geflecht bedeckt.

»Ist das etwa Schimmel?«

Jermakow, der voller Ekel sein Taschentuch zusammenfaltete, schüttelte den Kopf. »Daran haben wir gar nicht gedacht«, murmelte er.

»Ah!« Jurkowski nahm den Teller, besah ihn aufmerksam und stellte ihn mit Abscheu wieder auf den Tisch. »Ich verstehe.«

Er trat an das Büfett und beugte sich dann über den Fleck neben dem Kühlschrank. Bykow verfolgte seine Bewegungen mit bangem Staunen.

»Was ist passiert?«, fragte erneut Dauge.

»Du hast es doch gehört«, antwortete Jurkowski. »Wir haben es mit der Wachsamkeit nicht so genau genommen, und der Feind ist in unsere Festung eingedrungen.«

»Was denn für ein Feind?«

»Schimmel ... Pilze ...«, brachte Jermakow wie abwesend hervor. »Wir haben Keime venusianischer Flora an Bord der Chius geschleppt, und das ist nun das Ergebnis ... Wie konnte ich das vergessen!« Er rieb sich die Stirn. »Hören Sie, Genossen. Aus Abendbrot und Schlaf wird nichts. Alle Räume müssen sofort untersucht und gründlich mit Ultraschall desinfiziert werden. Wir wollen hoffen, dass nichts Gefährliches vorliegt. Sicherheitshalber befehle ich allen, unverzüglich eine Dusche zu nehmen und den ganzen Körper mit Spiritus abzureiben.«

»Vielleicht hinterher?«, versuchte Jurkowski einzuwenden.

»Hinterher noch einmal. Aber auch jetzt, und ohne Widerrede. Los, los, an die Arbeit!«

Erschüttert von der neuen Überraschung und dem fremden Ton in der Stimme des Kommandanten, machten sich die Raumfahrer daran, alle Räume der Chius gründlich zu untersuchen. Es stellte sich heraus, dass die Lederpolsterung in einigen Kabinen mit stecknadelkopfgroßen weißen Bläschen bedeckt war. Die Polymerbezüge hatten keinen Schaden erlitten. Gegenstände, die Feuchtigkeit enthielten, wiesen fadenartigen Schimmel auf. An den Läufern im Duschraum, an den Handtüchern und Badelaken hatten sich winzige rostbraune Spinnweben gebildet. Mit Entsetzen stellte Krutikow fest, dass alle nicht konservierten Lebensmittel im Büfett, darunter das von ihm auserkorene Stückchen Speck, sich in unförmige braune Klumpen verwandelt hatten, die widerlich stanken, und in der unteren Schleuse entdeckte Bykow ebenso entsetzt einen ungeheuerlichen Pilz, der fettig grau glänzte und bei der ersten Berührung platzte.

Es war eine wahre Katastrophe, und man musste sämtliche Ecken und Winkel mehrmals mit Ultraschall durchkämmen.

»Anscheinend ist das leichte Wasser für die hiesigen Mikroorganismen zuträglicher als das schwere«, bemerkte Jurkowski.

»Ja, leider«, antwortete Jermakow trocken.

Bykow besprengte sicherheitshalber alle Maschinenpistolen und Granaten mit einer Desinfektionsflüssigkeit und stieg danach in die Vorratskammer hinab, um Dauge behilflich zu sein, der die Polyäthylenpackungen mit »ewigem Brot« kontrollierte. Das Brot hatte nicht gelitten.

»Du weißt wohl auch nicht, warum Jermakow so aufgeregt ist?«, fragte er.

»Nein. Das heißt, bedeutend wohler wäre es uns natürlich ohne diesen Dreck. Ich kann nur eins sagen: Jermakow ist nicht der Mensch, der sich über Kleinigkeiten aufregt.«

Das wusste Bykow auch. Übrigens befriedigte Jermakow seine Neugier. Als die Besatzungsmitglieder der Chius drei Stunden später, müde zum Umfallen, endlich in der Messe zusammenkamen, um das Abendbrot einzunehmen – »was Gott geschickt hat«, wie Krutikow mit bitterem Sarkasmus meinte, nämlich Fleischbrühe und Kakao –, sagte der Kommandant, ohne jemand anzublicken: »Vor fünf Jahren ist die Besatzung des amerikanischen Raumschiffs ›Astra zwölf‹, das auf dem Kallisto landete, innerhalb von fünfzehn Stunden an einer unbekannten Krankheit gestorben. Ich denke, dass uns nichts Derartiges passieren wird. Habe guten Grund, das anzunehmen. Aber ... seien Sie vorsichtig! Bei dem geringsten Unwohlsein bitte mich sofort zu informieren.«

Er schwieg eine Weile und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Dann setzte er hinzu: »Nach dem Abendbrot duschen, abreiben und sofort schlafen gehen. Sieben Stunden stehen uns für den Schlaf zur Verfügung. Sie, Genosse Krutikow, kommen bitte noch auf einen Augenblick zu mir.«

»Wie gern hätte ich jetzt ein Gläschen Kognak getrunken«, flüsterte Bykow.

Johannytsch seufzte nur leise.