»Wie einst die Argonauten ...«

Am nächsten Tag hielt Ljachow seinen Rechenschaftsbericht. In dem geräumigen Zimmer des Testgeländechefs hatten sich außer den Raumfahrern noch etwa dreißig andere Interessenten versammelt. Es waren Mitarbeiter des Raketenflugplatzes, Ingenieure von der Werft Weidadi Youyi sowie Vertreter verschiedener Forschungs- und Projektierungsinstitutionen, die mit dem Komitee für Interplanetaren Verkehr in Verbindung standen. Ljachow – blass, lächelnd – sprach schnell und ausdrucksvoll; um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, klopfte er ab und zu mit dem Bleistift auf die Ledermappe mit Bordbüchern und Notizen.

Dem Flugplan entsprechend, hatte die Chius zwanzig Stunden nach dem Start eine Bahngeschwindigkeit von Null in Bezug auf die Sonne erreicht und strebte dann an der Sonne vorbei mit einer steten Beschleunigung von 9,7 m/s² dem Punkt zu, wo sie auf die Venus treffen sollte. Nachdem das Schiff die Hälfte der Strecke zurückgelegt und seine Geschwindigkeit auf viertausend Kilometer in der Sekunde gesteigert hatte (Bewegung unter den Zuhörern), drehte Ljachow es mit dem Spiegel zum Punkt der Begegnung und begann zu bremsen. Nach acht Tagen und zwölf Stunden erreichte die Chius die Bahn des Ziolkowski, eines der sowjetischen künstlichen Satelliten der Venus, und machte wenige Stunden später daran fest. Im weiteren Verlauf des Probefluges manövrierte Ljachow programmgemäß etwa einen Monat lang um die Venus herum, prüfte die Arbeit des Photonenreaktors in allen Betriebsweisen, besuchte die künstlichen Satelliten, die anderen Staaten gehörten, landete auf der Venita, dem natürlichen Trabanten der Venus, und trat schließlich, nachdem er von der tschechischen Station den erkrankten Ingenieur an Bord genommen hatte, den Rückweg an.

Ljachow berichtete über die Arbeitsregimes des Photonenreaktors, über die Ergebnisse der Ausnutzung des Dopplereffekts zur Ermittlung der Eigengeschwindigkeit der Photonenrakete, äußerte seine Gedanken über die Meteoritenschutzanlage (»Leider, äh ... richtiger gesagt, zum Glück ... hatten wir keine Gelegenheit, die Anlage in Tätigkeit zu beobachten.«) und gab neue Daten über die Dichteverteilung des kosmischen Staubes zwischen den Bahnen der Erde und der Venus bekannt. (»Ich behaupte, Genossen, diese Daten lassen die Hoffnung zu, dass die Idee des Staustrahl-Photonenantriebs zumindest bei solchen Fahrten verwirklicht werden kann, wie es unsere war – sobald nur das Problem der Annihilation gelöst ist.«) Besondere Aufmerksamkeit widmete er einigen unerklärlichen Phänomenen, die während der Reise beobachtet wurden – beispielsweise die scheinbar grundlosen Unterbrechungen der Funk- und Fernsehverbindung, die plötzlich auftretenden ultrafrequenten Vibrationen des Schiffsrumpfes, die kleinen Unregelmäßigkeiten des bremsenden Magnetfeldes im Fokus des Spiegels. All diese Störungen waren unmittelbar vor dem Bremsen aufgetreten, das heißt während der maximalen Geschwindigkeiten. Ljachow meinte, ebendiese gigantischen Geschwindigkeiten seien auch die Ursache dafür – Geschwindigkeiten, die bereits den Übergang zur relativistischen Mechanik erforderten.

Doch im Großen und Ganzen hatte die Chius alle Hoffnungen gerechtfertigt. Die Probefahrt bewies, dass »entgegen der Meinung der Rückversicherer und Ignoranten, die allein schon durch ihre Existenz die ruhmreiche Idee des interplanetaren Verkehrs besudeln«, die Zukunft, und zwar die allernächste Zukunft, den Photonenraketen gehört. (Beifall, zustimmende Rufe.) Sogar unter diesem primitiven, geradlinigen Aspekt bedeutete die Chius mit dem Photonenantrieb und dem »absoluten Reflektor« einen gewaltigen Schritt vorwärts in der Technik des Weltraumfluges.

Die kleinen Konstruktionsfehler der Chius wurden vollauf durch ihre unbestreitbaren Vorzüge wettgemacht. Zu diesen Vorzügen gehörten die ungeheuer große Geschwindigkeit, die Fähigkeit, Landungen und Starts vorzunehmen ohne Rücksicht auf Energieaufwand und ohne lebens- und gesundheitsgefährdende Überbelastungen für die Besatzung, die völlige Unabhängigkeit von Versorgungsbasen und viele andere, weniger ins Gewicht fallende Eigenschaften.

»Und da kam mir sogar der sündhafte Gedanke, Genossen«, fuhr Ljachow in seiner Rede fort, »ob ich nicht versuchen sollte, auf der Venus zu landen.« (Lachen, Bewegung unter den Zuhörern. Krajuchin runzelt unwillig die Stirn, Jurkowski droht Ljachow mit der Faust.) »Warum nicht? Niemand hätte es erfahren. Doch schon ein Blick auf diesen netten Planeten aus der Nähe genügte, um sich an die Disziplin zu erinnern. Wirklich, die Disziplin ist eine wunderbare Sache. Bisher bin ich noch nie zu Planeten mit Atmosphäre geflogen, und ich muss sagen, das wirkt, weil man so etwas nicht gewöhnt ist ... Sieht nicht gerade einladend aus.«

Nach Ljachow referierte Navigator Vera Nikolajewna. Sie trug jetzt ein blaues Kleid, und ihr hübsches rundes Gesicht war vor Erregung gerötet. Sie führte einige optimale Varianten vom Übergang der Chius auf die »gerade Bahn« an, wobei es sich herausstellte, dass die an Bord befindliche elektronische Maschine zur Kursberechnung nicht vollauf den Anforderungen des neuen »geradlinigen« Weltraumfluges entsprach. Der Navigator hatte unentwegt Korrekturen vornehmen müssen, die der Einfluss der Sonne notwendig machte, was beispielsweise bei Flügen auf Kepler-Bahnen nicht erforderlich war. Vera Nikolajewna wurde von einem schnurrbärtigen jungen Mann, dem Vertreter des Instituts für elektronische Rechenmaschinen, unterbrochen, der Krajuchin eifrig auseinandersetzte, was zur Lösung dieses Problems im Institut bereits getan worden sei. Er redete hastig und wenig verständlich. Unerwartet mischten sich Krutikow und einer der Ingenieure ein, und es entbrannte ein erbitterter Streit. Niemand wehrte ihnen, und Bykow dachte schon, die elektronische Rechenmaschine sei einer der wichtigsten Ausrüstungsteile von Photonenraketen, merkte jedoch bald, dass die Beratung in ein zwangloses Gespräch übergegangen war.

Eine Gruppe von Mitarbeitern des Raketenflugplatzes umringte Tschokan Kunanbajew, und dieser erläuterte etwas in aller Ruhe, während er den Bleistift über einen Bogen Zeichenpapier führte. Krajuchin und Jermakow hatten die Raketengießer von Weidadi Youyi um sich versammelt, blätterten in den Bordbüchern herum und zeigten ihnen die Eintragungen. Die Raketengießer nickten und machten sich eifrig Notizen. Ljachow, Bogdan Spizyn und Jurkowski hörten schweigend dem Chef des Siebenten Testgeländes zu. Ironisch lächelnd warf Jurkowski etwas hin, und alle lachten: Ljachow und Spizyn ausgelassen, der Chef des Testgeländes ziemlich verwirrt. Der Raum war erfüllt von ununterbrochenem Stimmengewirr und Papierrascheln.

Bykow sah, wie der schnurrbärtige Institutsvertreter, endgültig geschlagen, das Feld räumte, und wandte sich dann zu Dauge um.

»Gehen wir nach Hause, Alexej«, schlug der Geologe vor. »Hier werden sie auch ohne uns fertig. Wir wollen uns lieber die neuen Daten über die Venus ansehen, die Machow, der Chef des Ziolkowski, mitgeschickt hat.«

Abends kamen die Raumfahrer im Lesesaal des Hotels zusammen.

Vera Nikolajewna sprach augenfunkelnd: »Sich von der Erde loszulösen und im Raum zu schweben, bedeutet noch nicht, den Raum erobert zu haben. Die ersten Luftballons haben den Menschen auch nicht zum Beherrscher der Luft gemacht. Das blieb dem Flugzeug vorbehalten. Zu Beherrschern des Raumes wird uns nur die Chius machen, die unabhängig von den Gravitationskräften ist, frei von der sklavischen Unterordnung unter diese Kräfte.«

Bogdan Spizyn blickte sie verliebt an, und Ljachow murmelte verwirrt lächelnd, als sei ihm der Gedanke eben erst gekommen: »Wenn man bedenkt, dass wir dabei die ersten waren ...!«

Jurkowski lächelte spöttisch. »Aber daheim auf der Erde ist es doch entschieden besser, nicht wahr, Wassja?«

»Selbstverständlich.«

»›Selbstverständlich‹ ... Ach, Wassili, du hast keinen Funken Phantasie im Leibe! Da hast du nun so einen Flug gemacht ... Nein, du bist dieser Ehre ganz und gar nicht würdig.«

Ljachows Gesicht verfinsterte sich. »Weißt du, ich bin kein Sportsmann. Ich bin ein Mann der Arbeit. Und ich sehe darin nichts Schlechtes.«

»Wer sagt denn, dass es schlecht ist?« Jurkowski blickte mit schmachtenden Augen zur Decke empor. »Aber gib doch zu, mon cher – gewöhnlich sind es, wie du sie nennst, die Sportsleute, die den Weg bahnen.«

»Manchmal auch nicht.«

»Was ist denn das für eine Einteilung?«, fragte Krutikow erstaunt. »Sportsleute, Männer der Arbeit ...«

»Überall und immer gingen die Enthusiasten und Träumer, die romantischen Einzelgänger voran«, sagte Jurkowski fest. »Sie bahnten den Verwaltern und Ingenieuren den Weg, und dann ...«

»Und dann stürzte sich über die Gebeine ebendieser Träumer und Romantiker hinweg die gierige graue Masse, der schnöde Mob auf das Eroberte«, rief Dauge ironisch lächelnd mit dünner Stimme. »Ein Schwätzer bist du, lieber Wolodja! Enthusiast und Träumer. Einzelgänger mit Husarenallüren!«

Jurkowski drehte sich ihm ungestüm zu, doch Krajuchin hob die Hand.

»Einen Augenblick«, krächzte er spöttisch. »Also gibt es Ihrer Meinung nach keine Verwalter mit Enthusiasmus, Wladimir Sergejewitsch? Und Ingenieure, die Träumer sind, auch nicht? Hm ... Und was war da noch mit der grauen Masse?«

Bykow saß wie auf Kohlen. Noch niemals war ihm der »Fant« so unsympathisch erschienen wie in diesem Augenblick. Er warf einen Blick auf Ljachow, der bleich und mit bebenden Lippen dasaß, und eine unbändige Wut stieg in ihm auf. Doch vorläufig durfte er hier nicht mitreden.

»Wir sind alle Träumer, Wladimir Sergejewitsch, wenn es darauf ankommt«, fuhr Krajuchin fort, »und Enthusiasten ebenfalls. Jeder auf seine Art. Da drückt Vera Nikolajewna ihre Freude aus, dass die Chius ihr die Möglichkeit gibt, durch den Raum zu sausen, wohin sie will und wie sie will, und das bereitet ihrer beflügelten Seele Vergnügen. Jawohl. Darin sieht sie offenbar auch die wahre Bestimmung des Raumbeherrschers!«

»So hab ich es aber gar nicht gemeint«, verteidigte sich Vera Nikolajewna verwirrt.

»Das darf ich hoffen! Weil – ziehen Sie das in Betracht –, weil unser Staat, unser Volk, weil die Menschheit von uns nicht nur, oder richtiger gesagt, weniger Rekorde erwartet als vielmehr Uran, Thorium, Transurane. Wir alle sind Träumer, doch mein Traum ist es, nicht gleich einer Seifenblase durch den Raum zu treiben, sondern alles daraus zu schöpfen, was irgendwie von Nutzen sein könnte, was in erster Linie für ein besseres Leben auf der Erde, für die kommunistische Völkergemeinschaft notwendig ist. Alles ins Haus schleppen und nichts von unserer Habe verludern! Darin liegt unsere Bestimmung. Und unsere Poesie.«

»Wie die Bienen«, warf Krutikow ein.

»Genau, wie die Bienen, nicht aber wie die Eintagsfliegen. Außerdem, mein lieber Wladimir Sergejewitsch, erlaube ich mir, Ihre Aufmerksamkeit auf den Umstand zu lenken, dass Übergangsperioden in unserer Zeit von sehr kurzer Dauer sind. Ein Beispiel. Auf der bevorstehenden Reise werden die Piloten bereits die bescheidene Rolle von Droschkenkutschern spielen. Die Hauptaufgabe fällt diesmal anderen zu. Ihm« – Krajuchin wies auf Bykow; der blinzelte erschrocken mit den Augen – »und Dauge und Ihnen, Wladimir Sergejewitsch. Die Menschheit braucht die Reichtümer der Venus, aber keine begeisterten Rapporte. Jawohl. Und später müssen Sie Ihre Plätze anderen überlassen – Industriefachleuten, die rings um die Urangolkonda Fabriken errichten werden. Das alles ist Arbeit, mein Freund, erhebende Arbeit und kein Sport! Nur sehen die einen in ihr Effekthascherei, die Möglichkeit, unter der Zirkuskuppel zu glänzen und Beifall einzuheimsen, und die anderen – eine Arbeit in Reih und Glied. Für Sie, ›mon cher‹, ist es die Hauptsache, so schnell wie möglich an die Schatzkammer zu gelangen, in der die Geheimnisse stapelweise liegen, und die Flagge zu hissen. Ach, ihr ... Sportsleute ...!«

Schweigen trat ein. Jurkowski sprang auf und ging, ohne jemand anzublicken, hinaus.

»Ein famoser Bursche!« Krajuchin lächelte. »Mutig, brav ... Aber Ambitionen hat er – oje!«

Jermakow sagte, ohne eine Miene zu verziehen: »Mein Vater hat mir erzählt, dass ein gewisser Nikolai Sacharowitsch Krajuchin in jungen Jahren ...«

»Krajuchin, Krajuchin ...« Nikolai Sacharowitsch rieb sich krächzend die Knie. »Das war in der Jugend ... Und außerdem ist dir vielleicht bekannt, dass man den erwähnten Krajuchin dafür mit der Schnauze auf die Tischplatte gestukt hat ... Verzeiht bitte den Ausdruck ... Auf der Parteikonferenz, jawohl ... Und gerade dein Herr Papa, Anatoli Borissowitsch! Jawohl!«

Krajuchin schnaufte böse, erhob sich hüstelnd und verließ das Zimmer.

Die letzten Tage vor dem Start vergingen sehr schnell. Alle waren vollauf beschäftigt. Jermakow leitete die Verladearbeiten. Das Schiff war unter Massen von Stahlkonstruktionen begraben und mit einem dichten Netz von Schläuchen und Kabeln umstrickt. Darunter drängten sich Dutzende von Tankkraftwagen, Traktoren, Hebekränen und Förderbändern. Die Versorgungsgruppe arbeitete Tag und Nacht. Durch dicke, mit Eis und Reif bedeckte Schläuche wurden flüssige Gase in die Schiffstanks gepumpt – Wasserstoff und Sauerstoff –, durch dünnere Schläuche Wasser und Schmierstoffe. Die Kräne und Förderbänder schafften durch die drei Luken Säcke, Kisten und andere Behälter mit Lebensmitteln und Ausrüstung ins Schiffsinnere. Dutzende von Männern in Spezialanzügen krochen in den Kernreaktoren herum. Fachleute aus Nowosibirsk überprüften Mikrometer für Mikrometer die Schicht des »absoluten Reflektors«. In dieser Panzerung, die unwahrscheinlich dünn, aber gleichzeitig die festeste in der Welt war, konnten mikroskopisch feine Risse entstanden sein. Behöbe man den Schaden nicht, müsste das Schiff nach Einschaltung des Reaktors augenblicklich verbrennen. Krajuchin selbst kam, um zu beobachten, wie von der Kuppel der Chius eine dicke Titanplatte abgenommen und ein Satz Kapselballons mit einem Gemisch von flüssigem Tritium und Deuterium vorsichtig in die Ladekammern des Photonenreaktors hinabgelassen wurde. Danach setzte man die Platte wieder auf, hob noch am selben Tag den riesigen Container mit dem Knaben hoch und befestigte ihn.

»Mit dieser dämlichen Kiste auf dem Buckel sieht die Chius irgendwie hausbacken aus«, meinte Vera Nikolajewna missgestimmt.

Ljachow, Spizyn und Krutikow hockten tagein, tagaus im Kommandostand der Chius. Dauge und Jurkowski waren mit dem Studium der neuesten Daten über die Venus beschäftigt, sie stritten ohne Ende, verfassten irgendwelche geheimnisvollen Radiogramme, brachten sie Krajuchin zur Unterschrift und darauf zur Funkstation. Mitten in dieser fieberhaften Tätigkeit ließ Krajuchin Bykow zu sich rufen und fuhr mit ihm zu einem unterirdischen Lager am südlichen Stadtrand. In dem trockenen und sauberen Lagerraum sah Bykow Kisten mit Waffen stehen.

»Kennen Sie die Dinger?«, erkundigte sich Krajuchin. Bykow blickte ihn erstaunt an und bückte sich.

»Eine Maschinenpistole, Modell aus dem Jahre fünfundsiebzig.«

»Und die dort?«

»Strahlengewehre ... Pistolen ... «

»Also, suchen Sie sich was raus.«

Bykow begriff. »Für alle?«

»Für alle. Nehmen Sie auch gleich einen kleinen Ersatzvorrat mit.«

Schweigend legte Bykow acht neue Maschinenpistolen beiseite, einige Dutzend Handgranaten, Strahlenpistolen und finnische Messer in hellgelben Lederfutteralen.

»Und die Munition? Die Sprengkapseln für die Granaten?«

»Alles da, Munition, Kapseln – was Sie nur wollen. Schreiben Sie dem Lagerleiter auf, was Sie brauchen.«

Sie stiegen ein Stockwerk tiefer.

»Da ist noch etwas für Sie.« Krajuchin wies auf einen Stapel flacher brünierter Zylinder.

»Atomminen ...«, murmelte Bykow.

»Kennen Sie sie?«

»Aber gewiss doch ...«

»Nehmen Sie zehn komplette Sätze. Vergessen Sie auch die Signalraketen nicht«

Zwei Stunden später rollte ein mit schweren Kunstharzkisten und zehn runden Gitterbehältern beladener Lastwagen durch die Stadt in Richtung des Testgeländes. Nach weiteren zwei Stunden hatten die Männer von der Versorgungsgruppe die Kisten und Behälter unter Bykows tatkräftiger Mitarbeit und persönlicher Aufsicht in die Chius geladen.

Endlich war alles fertig. Im Laufe einer Nacht verschwanden die Stahlkonstruktionen, die das Schiff von allen Seiten eingehüllt hatten, die Schläuche, Hebekräne und Förderbänder. Die Maschinen und Traktoren verließen den Verladeplatz, die Leute fuhren weg. Auf der zerwühlten regennassen Erde blieben nur noch Kabel- und Trossenenden zurück, Bruchstücke von Sperrholz, einige vergessene Bretter und in den Schmutz gestampfte Fetzen öligen Packpapiers.

Krajuchin schritt mit Jermakow und dem Chef der Versorgungsgruppe alle Räume der Chius ab. Er besichtigte peinlich genau jedes wichtige Detail, lauschte misstrauisch dem mächtigen Brummen der probeweise eingeschalteten Solenoiden, machte einige nebensächliche Bemerkungen und kletterte dann wieder auf den Erdboden hinunter. Umständlich wischte er sich die Hände an dem Rand seines Umhangs ab und sagte: »Es ist wohl alles in Ordnung, Anatoli Borissowitsch. Unterschreiben Sie das Übergabeprotokoll.«

Jermakow neigte zustimmend den Kopf. Der Chef der Versorgungsgruppe atmete erleichert auf, trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und fragte: »Wann geht’s denn los, Nikolai Sacharowitsch? Morgen?«

Doch wie es sich bald herausstellte, blieben noch einige Formalitäten zu erledigen. In der Stadt wurde Krajuchin zur Funkstation gerufen, und als er zurückkehrte, teilte er trocken mit, dass der Start auf übermorgen früh verschoben sei, da morgen eine Kommission eintreffe.

»Und abends wird ... äh ... ein feierliches Abschiedsessen stattfinden. Erscheinen auch ohne Frack gestattet.«

Jurkowski biss sich auf die Unterlippe, Jermakow gähnte gleichgültig, Krutikow zuckte die Achseln und vertiefte sich von Neuem in sein Buch.

»Komm, machen wir einen kleinen Spaziergang, Alexej«, schlug Dauge vor.

Sie verließen das Hotel und schlenderten die Straße zum Testgelände entlang.

»Trinksprüche, schwülstige Reden«, sagte Johannytsch müde. »Kann so was nicht ausstehen.«

»Na weißt du ...« Bykow schaute den Freund tadelnd an. »Immerhin, ein solches Ereignis ...«

»Was heißt hier, solches. Ereignis! Die Leute machen ihre Arbeit – ist denn daran etwas Außergewöhnliches? Wenn zum Beispiel eine geologische Expedition verabschiedet wird, bildet man doch auch keine Sonderkommission.«

»Manchmal wohl doch.«

»Für nichts und wieder nichts. Das geht einem doch nur auf die Nerven.«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Immerhin erweisen sie ihren Respekt, sozusagen. Da begeben sich Menschen in Gefahr ...«

»Gib nicht so an«, sagte Dauge streng, und Bykow schwieg verwirrt. »Glaubst du, die aus dem Ministerium wissen, was Gefahr ist? Repekt erweisen ...« Dauge spuckte aus. »Das ist doch das reinste Verwaltungsritual. Und keinerlei Taktgefühl. Es findet sich garantiert irgendein Esel, der die ›Argonauten des Weltalls‹ in den Himmel heben wird, und sich selbst als weisen Leiter besagter Argonauten gleich dazu.«

»Hm ...«

»Und beachte, die richtigen, wertvollen Mitarbeiter im Apparat des Ministeriums kommen nicht eigens zur Verabschiedung hierher. Kein Kokoryschkin, kein Priwalow, kein Strutschinski ... Erstens stecken sie bis über den Kopf in Arbeit, zweitens haben sie genug Taktgefühl, und drittens ist ihnen völlig klar, dass das eine Komödie ist. Das ist freilich nicht allen klar.«

Einige Zeit schritten sie schweigend nebeneinander her. Bykow fragte: »Aber warum wird das so gemacht?«

»Weiß der Kuckuck. Ich denke mir, das stammt noch aus den ersten Jahren nach der Revolution. Damals war es sicherlich noch nötig, die Leute zu begeistern, sie an ihre Pflicht zu erinnern, ihnen die Notwendigkeit der anstehenden Arbeiten zu erklären ... Und seither hat es sich so eingebürgert, und man bringt es einfach nicht fertig, sich von diesem blödsinnigen Brauch loszusagen. Wer sollte denn besser als wir verstehen, was Krajuchin jetzt mit unserer Hilfe tut? Du wirst sehen, sie werden so tun, als ob es nur ihnen zu verdanken sei ... uns so weiter. Dabei hat Krajuchin geschlagene fünf Jahre gebraucht, um grünes Licht für das Projekt »Chius« zu bekommen.«

Dauge schwieg eine Weile, dann setzte er hinzu: »Natürlich, pro forma braucht das Ministerium einen Kommissionsbericht über den Zustand der Chius vor dem Start. Aber diese Banketts ...«

Bykow widersprach nicht. Er hatte keine Lust zu streiten, außerdem spürte er, dass Johannytsch in vielen Punkten recht hatte.

Sie machten kehrt und gingen zurück zum Hotel. Da bemerkte Bykow, dass die ihnen entgegenkommenden Passanten ehrerbietig zur Seite traten und manche als Gruß die Hand an die Kopfbedeckung legten. Er machte Dauge darauf aufmerksam. Der lachte. »Wir wohnen schon seit einem Monat hier, und in der Stadt wissen alle, wer wir sind. Sie wissen auch, dass wir übermorgen ... auf den Sprung gehen.«

Es begann wieder zu regnen, und sie kehrten eilends ins Hotel zurück. Am Eingang zum Speisesaal blieb Dauge stehen und stieß Bykow mit dem Ellbogen an. »Still!«

Der Speiseraum war von den Strahlen der Abendsonne schwach erleuchtet. Auf dem Sofa saßen aneinandergelehnt Bogdan Spizyn und Vera Nikolajewna. Sie blickten schweigend zum Fenster hinaus, und ihre Gesichter waren so in sich gekehrt und traurig, dass Bykows Herz sich zusammenkrampfte. Bogdan hatte Vera umgefasst, und seine große weiße Hand lag auf der zarten Schulter der Frau. Dauge zog Bykow am Ärmel, und sie gingen auf Zehenspitzen in die zweite Etage.

»Siehst du, Alexej, so was gibt’s auch ...«, sagte Dauge. »Treffen sich für eine Woche oder zwei und gehen wieder auseinander. Sie ist fünf Jahre älter als er ... Die Liebe, da kann man nichts machen. Eine echte, große Liebe ...« Er senkte nachdenklich den Kopf.

Bykow fragte vorsichtig: »Warum heiraten sie denn nicht?«

»Wie? Warum sie nicht heiraten?« Dauge schien aus einem Traum zu erwachen. »Wozu denn? Sie treffen sich einmal, höchstens zweimal im Jahr, verstehst du?«

»Ich verstehe«, murmelte Bykow, platzte dann aber offenherzig heraus: »Nein, ich versteh’s überhaupt nicht! Sollen sie doch heiraten, dann können sie zusammen leben und auch zusammen fliegen ...«

»Zusammen ... Zusammen geht nicht, Alexej. Bogdan fliegt doch in solchen Expeditionen, an denen Frauen nicht teilnehmen dürfen. Was wäre das für ein Familienleben?«

»Nein«, sagte Bykow fest. »Wenn sie wollten, könnten sie es trotzdem irgendwie einrichten.«

»Vielleicht, gewiss. Vielleicht aber haben sie sich diese Liebe einfach so ausgedacht?«

»Na weißt du ...«

»Also ich, Alexej« – Dauges Stimme erbebte –, »ich würde mein Leben für eine geliebte Frau geben! Ich bin ein schwacher Mensch, mein Freund.«

Am nächsten Tag trafen die Gäste aus Moskau ein. Bei der Abendtafel ging es sehr lustig zu; Bykow war angenehm überrascht. Alles war da: Reden – und keineswegs schlechte, wie ihm schien –, Trinksprüche, allerdings nur bei Champagner, und Glückwünsche. Die Raumfahrer hielten sich wacker und würdevoll, erhoben sich und verneigten sich höflich, sie lachten sogar, wenn einer von den Gästen zu scherzen beliebte. Krajuchin erzählte einige komische Episoden aus der Frühzeit des interplanetaren Verkehrs, und Jurkowski überraschte mit Versen von Bagritzki. Er trug seine geliebten »Schmuggler« vor, und als der Beifall verstummt war, sagte er bekümmert: »Ja ... Wie viele schöne Gedichte gibt es über das Meer und die Seeleute, und über uns gibt es gar keine. Nichts als ›Flieg, du meine Rakete‹.«

»Die Dichter kennen das Meer seit Jahrtausenden«, bemerkte Vera Nikolajewna, »und den Raum kennen sie überhaupt noch nicht. Fass dich in Geduld, Wolodja. Einmal wird es auch über uns gute Verse geben.«

Jurkowski küsste ihr die Hand.

»Ich bin ja geduldig, Verotschka. Vorläufig müssen wir uns eben begnügen mit:

Wie einst die Argonauten fuhr’n,

so zieh’n wir heute aus

und holen, tam-tam tam tam-tam,

das Goldne Vlies nach Haus.«

Als die Gäste gegangen waren, seufzte Krutikow und sagte: »Gott sei Dank, haben den Abend einigermaßen verbracht, nur ...«

»Ja.« Dauge nickte. »Im eigenen Kreis wär’s gemütlicher gewesen.«

Krajuchin erhob sich, schob geräuschvoll seinen Sessel zurück und sprach: »Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, Freunde. Eine Minute Aufmerksamkeit. Jetzt sind wir unter uns, und ich möchte einige Worte an Sie richten. Alexej Petrowitsch, schenken Sie allen Wein ein ... Einen Tropfen nur, Anatoli, beunruhige dich nicht ... So, vielen Dank. Freunde! Ich bin unter Ihnen der älteste Raumfahrer, jawohl. Eine Gänsehaut überläuft mich, wenn ich zurückdenke, mit welchen Kisten wir angefangen haben. Im Vergleich zur Chius waren es die reinsten Rumpelkästen, wenn nicht gar Schlimmeres. Aber ich bin nicht einer von jenen selbstzufriedenen Toren, die sich in die Brust werfen und behaupten, die heutige Jugend habe es ungleich leichter als wir zu unserer Zeit. Denn ich weiß, wie schwer Ihre Aufgabe ist. Die Aufgabe wird stets von den Mitteln bestimmt, und um wie viel mächtiger die heutigen Mittel sind, umso viel komplizierter ist auch Ihre Aufgabe. Sie werden es nicht leichter haben als wir, nein, sogar schwerer, weil Sie eine größere Verantwortung tragen. Ich bitte Sie, Freunde, wenn Sie es sehr schwer haben, unsagbar schwer, dann denken Sie daran, für wen und wofür Sie das alles tun! Ich kenne Sie alle genügend gut und bin überzeugt, dass Ihre Kräfte wachsen werden, wenn Sie sich das vor Augen halten. Ja ... Das ist alles, was ich Ihnen sagen wollte. Auf Ihr Wohl!«

Er hob sein Glas, trank es aus und verließ rasch den Saal. Einige Zeit herrschte Schweigen, dann erhob sich Jurkowski und sagte halblaut: »Nun denn, Argonauten – auf den Alten!«

An diesem Abend konnte Bykow nicht einschlafen.

Er stand auf, knipste das Licht an, setzte sich an den Tisch und starrte lange in die Lampe. Dann fiel sein Blick auf die Zeitung, die durchzusehen er heute noch keine Zeit gehabt hatte.

»Mutiger das Hochfrequenzpflügen vorantreiben« – hieß der Leitartikel.

Weitere Überschriften lauteten:

»Isländische Schulkinder verbringen ihre Ferien auf der Krim«

»Fernöstliche Unterwasser-Staatsfarmen liefern 30 Millionen Tonnen Plankton über den Plan«

»Thermonukleares Kraftwerk mit anderthalb Millionen Kilowatt Leistung in Werchojansk in Betrieb genommen«

»Wettfliegen der Kleinsthubschrauber. Sieger: Wassja Ptizyn, 15 Jahre«

»Hundertjährige Eisschnelläufer am Start«

Bykow blätterte in der Zeitung, das Papier raschelte.

»Lateinamerikanisches Stereofilmfestival«

»Bau eines englisch-chinesisch-sowjetischen astrophysikalischen Observatoriums auf dem Mond«

»Vom Mars wird gemeldet ...«

Bykow blätterte die Zeitung durch, überlegte, faltete sie zusammen und steckte sie in seine Jackentasche. Er musste sie mitnehmen. Das war der Odem der Erde, der mächtige Pulsschlag des Heimatplaneten, den er auch auf der weiten Reise würde spüren wollen. Ein Symbol ... Alexej seufzte und knipste das Licht aus.


Der Morgen des Starttages war wolkenlos und klar. Um fünf Uhr waren bereits alle auf den Beinen, versammelten sich im Salon, saßen da oder tigerten von einer Ecke in die andere. Am Frühstückstisch wurde wenig und ohne Appetit gegessen, aber Jermakow tat, als bemerke er es nicht. Krajuchin und die Gäste unterhielten sich halblaut. Die Wagen fuhren vor. Ungeachtet der frühen Stunde waren die Straßen voller Menschen. Sie standen einfach da und schauten – schauten so, wie man auf Verwandte und Freunde schaut, die eine weite und gefahrvolle Reise antreten. Die Autos verließen die Stadt.

Und da geschah mit Bykow etwas, woran er später noch lange voller Staunen und Scham zurückdachte. Eine seltsame Erstarrung bemächtigte sich seiner. Ihm war, als habe er sich in zwei Teile gespalten und blicke mit kalter Neugier sich selbst von der Seite an, nicht fähig, sich zu konzentrieren. Gedankenfetzen schwirrten ihm durch den Kopf, und keiner blieb haften.

Vor den Kaponnieren verabschiedete man sich. Mechanisch drückte Bykow zahlreiche Hände, ohne zu wissen, wem sie gehörten, und er fühlte um seinen Mund ein einfältiges starres Lächeln, das er nicht wegzuscheuchen vermochte. Krajuchin sagte etwas zu ihm, und sie umarmten und küssten sich. Bereitwillig nickte Bykow, als der Vorsitzende des Stadtsowjets eifrig auf ihn einsprach und ihm auf die Schulter klopfte. Danach trat er mit steifen Knien zur Seite und schaute zu, wie Spizyn Vera Nikolajewna in den Armen hielt und sie ihm zärtlich über die Wangen strich. Dauge nahm Bykow an der Hand und führte ihn zum Wagen.

Als er wieder die Augen hob, ragte bereits die matt glänzende runde Außenwand eines Reaktorringes vor ihm auf. Da endlich begriff er, was ihm zu schaffen machte. In seinem Gehirn pulste unbewusst, aber deutlich der eine Gedanke: Zum letzten Mal ... Zum letzten Mal ... Er konnte sich nicht erinnern, wann ihm dieser Gedanke gekommen war, doch jetzt vermochte er ihn nicht mehr abzuschütteln.

»Auf die Plätze!«, rief Jermakow mit unnatürlich scharfer Stimme.

Bykow schaute sich um. Die Wagen, die sie zur Chius gebracht hatten, waren bereits fort. Ringsum dehnte sich die öde Tundra.

»Alexej Petrowitsch, beeilen Sie sich!«

Die letzten Schritte auf der Erde, dachte er und lauschte mit merkwürdiger Neugier in sich hinein, während er auf die biegsame Metalleiter zustrebte. Der letzte Atemzug Erdenluft. Er griff nach dem Lukenrand. Jemand – es war wohl Jurkowski – stieß ihn ungehalten beiseite und ermahnte ihn, vorsichtiger zu sein. Der letzte Blick zum blauen Himmel ... Klirrend schob sich die Klappe vor die Lukenöffnung. Da wurde ihm klar, dass er Angst hatte, dass er ganz einfach feige war! Sogleich beruhigte er sich und folgte Dauge und Jurkowski in die Messe. Sie nahmen in den Sesseln Platz und schnallten sich schweigend mit den breiten Elastikgurten fest. Jermakow, Spizyn und Krutikow befanden sich wahrscheinlich im Kommandostand. Bykow warf einen Blick auf Jurkowski. Dessen Gesicht hatte einen bösen Ausdruck, und auf seiner Nase war ein gelber Fleck zu sehen. Ich habe ihn doch ganz schön zugerichtet, dachte Bykow mit einem leisen Anflug von Reue.

»Fertig machen!«, ertönte aus einem unsichtbaren Lautsprecher Jermakows hohe, kräftige Stimme.

Totenstille trat ein. Für einen Augenblick verspürte Bykow Übelkeit und Schwäche. Mit gewaltiger Willensanstrengung unterdrückte er dieses widerliche Gefühl der Hilflosigkeit und schielte zu Dauge hinüber. Dieser starrte konzentriert vor sich hin.

»Start!«

Ein donnerartiges Getöse erfüllte den Raum. Alles verschob sich plötzlich. Der Sesselsitz stemmte sich weich gegen den Körper. Bykow kniff fest die Augen zusammen und sah bunte Kreise flimmern. Das Donnern schwoll an, ebbte dann wieder ab und verstummte. Tiefe Stille trat ein. Bykow drehte sich vorsichtig zu Dauge um.

»Es gibt keine Schmerzen mehr beim Start«, sagte Dauge mit klarer, befreiter Stimme. »Wir haben es geschafft.«

Jurkowski schlug sich plötzlich wütend mit der Hand gegen die Stirn.

»Was hast du?«, fragte Dauge betroffen.

»So eine Teufelei – ich hab den Rasierapparat im Hotel liegen gelassen, und ich glaube, nicht einmal ausgeschaltet.«

Mit Mühe richtete sich Bykow im Sessel auf, rieb sich kräftig die Schläfen und atmete erleichtert auf.