Kosmische Attacke

»... Entweder haben die Romanschriftsteller und die Zeitungsleute gelogen, oder unser Flug fällt aus dem Rahmen. Es gibt darin nichts ›Interplanetares‹, alles ist gewöhnlich und alltäglich. Und zugleich ... Doch dieses ›zugleich‹ gehört bereits in das Gebiet der Gefühle und Empfindungen. Wenn ich um mich blicke, so kann ich mir nur schwer vorstellen, dass ich mich an Bord eines Raumschiffs befinde und dass unser Schiff mit gigantischer Geschwindigkeit auf die Sonne zurast. Zurzeit, da ich diese Zeilen schreibe, sitzen Johannytsch und Jurkowski in der Messe über einer Karte der beiden Venushemisphären – so bezeichnen sie zwei Kreise auf einem Bogen Papier, worin Ketten roter und blauer Punkte und kleine grüngestrichelte Flecke eingetragen sind. Jurkowski erklärte mir neulich, die roten Punkte seien zuverlässig bekannte Berggipfel, die blauen dagegen hypothetische oder solche, die zwei-, dreimal bemerkt worden seien; die grünen Flecke bezeichneten die Stellen, über denen man mächtige magnetische Anomalien registriert habe, und der große schwarze Klecks sei die Golkonda. Das ist alles. Ein wahrhaft rätselhafter Planet! Über dieser Karte sitzen unsere Geologen stundenlang, vergleichen etwas mit ihren Eintragungen und knurren sich gegenseitig halblaut an, bis die Essenszeit heran ist, Jermakow aus dem Kommandostand kommt und sie vom Tisch verjagt. Krutikow schiebt jetzt Wache, Bogdan sitzt in seiner Kajüte und liest. Er hat nicht vergessen, sich vorschriftsmäßig anzuschnallen – das macht offenbar die Gewohnheit. Was Jermakow anbetrifft, so hat er sich bereits seit zwei Stunden in seiner Kajüte eingeschlossen. Doch das ist ein Kapitel für sich ...

In den letzten vierundzwanzig Stunden hat sich nichts Besonderes ereignet. Die Piloten und die elektronischen Maschinen mussten sich mächtig abmühen, ehe das Schiff auf den sogenannten ›geraden Kurs‹ gebracht war und die gerade Richtung zum Zielpunkt eingeschlagen hatte. Zu diesem Zweck hatten der Kommandant und Michail Antonowitsch noch auf der Erde eine wahre ›Teufelskurve‹, eine dreidimensionale Spirale berechnet, auf der die Chius die Rotations- und Bahngeschwindigkeit der Erde egalisierte und in die Bahnebene der Venus gelangte. Krutikow sagte später, der elektronische Kursberechner sei nicht ganz den Ansprüchen gewachsen. Wir – Jurkowski, Dauge und ich – saßen zu der Zeit in der Messe und ließen uns durchschütteln. Doch die Stoßdämpfer der Sessel sind wundervoll, und ich verspürte lediglich eine leichte Übelkeit. Später bereitete ich das Mittagessen. Wir haben einen reichlichen Vorrat an fertigen Mahlzeiten in Thermosbehältern, aber auch Frischfleisch, durch Gamma-Bestrahlung sterilisiert, und eine beträchtliche Menge Obst und Gemüse. Ich beschloss zu glänzen. Alle äußerten sich lobend über die Gerichte. Doch Jurkowski sagte: ›Es ist gut, dass wir jetzt wenigstens einen anständigen Koch haben.‹ Ich war wütend, aber Jermakow versetzte: ›Dafür kann man sich Ihrer Küche nur mit dem Wind nähern, Wladimir Sergejewitsch.‹ ›Haben Sie’s versucht?‹, fragte Dauge. ›Krajuchin hat mich davor gewarnt.‹

Kurz gesagt, ich werde wohl bis zum Ende des Fluges den Smutje spielen müssen. Mit Vergnügen! Der ›Fant‹ lächelt boshaft. Aber was geht mich letzten Endes dieser Einzelgänger mit Husarenallüren an?

Überhaupt sind das alles Belanglosigkeiten. Es gibt drei Dinge, die mich mehr beunruhigt haben: erstens die Begegnung mit einem Meteoriten, zweitens der Einblick in den Raum und drittens – das Wesentliche – ein Gespräch mit Jermakow. Ich erzähle alles der Reihe nach.

Wir hatten nicht so viel Glück wie Ljachow bei seinem Probeflug. Bald nach dem Start begegnete die Chius einem Meteoriten. Jermakow meldete es aus dem Kommandostand, sonst hätten wir anderen es überhaupt nicht erfahren. Plötzlich sank uns einfach der Boden unter den Füßen weg, und sekundenlang setzte der Herzschlag aus, wie beim Hinunterfahren im Schnelllift. Der Raum um die Chius wird nämlich ständig von einem ultrakurzwelligen Ortungsgerät abgetastet. Wenn in bedrohlicher Nähe ein Meteorit auftaucht, stellt eine Rechenmaschine seine Bahn und seine Geschwindigkeit fest, vergleicht sie mit denen des Schiffs und gibt entsprechende Kommandos an die Steuerung. Völlig automatisch beschleunigt oder reduziert das Schiff sein Tempo und lässt den Meteoriten an sich vorbei oder kreuzt seine Bahn, ehe er herangeflogen ist. Unsere Meteoritenschutzanlage arbeitet vorläufig untadelig ...

Trotz der Gelassenheit der Kameraden und des durchaus alltäglichen Milieus – alle arbeiten intensiv, ruhen sich aus, lesen, streiten – spüre ich eine dumpfe Unruhe in mir. Dauge meint, das käme bei Neulingen häufig vor, es sei ein ›instinktives Empfinden des Raumes‹, ähnlich wie die Seekrankheit bei Menschen, die an die See noch nicht gewöhnt sind. Aber das nehme ich ihm nicht ab! Wie kann ein Mensch, der nicht einen einzigen Blick in den Raum getan hat, ein Empfinden des Raumes haben? Die Chius besitzt ja keine Bullaugen, und das einzige Beobachtungsgerät befindet sich im Kommandostand, wo der Aufenthalt für Nichtpiloten streng verboten ist. Doch während ich über diese Frage nachdachte, wurde für mich eine Ausnahme gemacht, zudem unter Umständen, die meine Unruhe noch vergrößerten. Es geschah folgendermaßen: Einige Stunden zuvor hatte die Funkstation des Siebenten Testgeländes mit uns die Fernsehverbindung aufgenommen. Krajuchin verlangte Jermakow zu einer Unterredung. Worüber sie sprachen, wusste niemand, weil Jermakow Bogdan, der gerade den Wachdienst versah, aus dem Kommandostand hinausgeschickt hatte. Das Gespräch dauerte nicht lange. Bald kam Jermakow aus dem Steuerraum und zog sich schweigend in seine Kajüte zurück. Dauge und Jurkowski wollten sich in lustigen Vermutungen ergehen, doch Bogdan fuhr sie scharf an.

Zwei Stunden später hatte Jermakow Wache. Auf dem Wege zum Steuerraum befahl er mir mitzukommen. Alle staunten sehr und begleiteten mich mit merkwürdigen Blicken. Ich kann’s verstehen. In der Tat, es sah so aus, als hätten Jermakow und Krajuchin über meine Person gesprochen. Ich selbst nahm es, ehrlich gesagt, auch an und machte mir große Sorgen.

Im Steuerraum war es heiß. Durch das Titangehäuse drang das Brummen des Photonenreaktors. Jermakow fragte, ohne mich anzublicken, ob ich die Erde sehen möchte. ›Ich glaube, es war schon lange Ihr Wunsch, Alexej Petrowitsch ...?‹ Mein Herz machte einen schnellen Sprung, meine Lippen wurden trocken. Ohne ein Wort hinzuzufügen, führte mich Jermakow zu einem Gerät, das einem großen Kühlschrank glich und an dessen oberem Teil sich zwei Okulare befanden. Er forderte mich auf, hineinzuschauen. Meinen Blicken öffnete sich ein runder schwarzer Abgrund, umsäumt von zuckenden blass-violetten Lichtern. In der bodenlosen Tiefe waren Myriaden heller und trüber Punkte sichtbar. Im Zentrum hob sich deutlich ein leuchtendes Kreuz ab, und rechts darüber erblickte ich ein Kügelchen von warmem grünem Ton mit einem hellen Sternchen daneben. Das waren die Erde und der Mond ...

›Was Sie jetzt sehen, ist die untere Hälfte der Himmelssphäre‹, sagte Jermakow. ›Das Leuchten am Rand ist die Widerspiegelung thermonuklearer Explosionen im Fokus des absoluten Spiegels.‹

Natürlich beruhigte ich mich sofort. Es war absurd zu glauben, man würde mich aus dem Schiff werfen und zurück zur Erde schicken.

Ich fand nichts Erhabenes an dem sich mir bietenden Anblick, fast das Gleiche konnte man im Aschchabader Planetarium sehen. Ich sagte es Jermakow.

Er nickte. ›Gewiss, es ist nur ein elektronisches Bild. Es dient dazu, die Genauigkeit der Kursberechnung zu prüfen. Das helle Kreuz in der Mitte zeigt die Richtung unseres Fluges innerhalb der Himmelssphäre.‹

Ich erkundigte mich, in welcher Entfernung von der Erde sich jetzt die Chius befinde.

›Ungefähr dreißig Millionen Kilometer ... Wollen Sie einen Blick nach vorn tun?‹

Er drehte am Schalter, und im Gesichtsfeld flammte eine grellgelbe Scheibe auf. Das helle Kreuz stand genau über ihrer Mitte, und ringsum in der schwarzen Leere leuchteten die Sterne.

›Die Sonne‹, sagte Jermakow. ›Und rechts davon – sehen Sie? – die Venus. Zu dem Zeitpunkt, da wir ihre Bahn erreichen, wird sie sich auch am Treffpunkt befinden.‹

Er schaltete das Gerät ab, hieß mich Platz nehmen und warf einen flüchtigen Blick auf die Schalttafeln, die mit einer Unzahl von Skalen und Zifferblättern, bunten Lämpchen und Zeigern versehen waren. Dann begann er mit mir ein Gespräch. Ich werde mich bemühen, es wortwörtlich wiederzugeben.

Sein Gesicht war dabei wie immer ruhig. Aber die dunklen Ränder unter den Augen und die finstere Falte auf der Stirn deuteten darauf hin, dass etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste.

›Sagen Sie, Alexej Petrowitsch‹, begann er und blickte mir scharf in die Augen. ›Wie beurteilen Sie Ihre Stellung in der Expedition?‹

›Wie soll ich das verstehen?‹, fragte ich, und die frühere Unruhe beschlich mich wieder.

›Im Sinne der Subordination, der Unterordnung, beispielsweise.‹

Ich überlegte und antwortete, ich sei gewohnt, bei der Arbeit die Befehle meines unmittelbaren Vorgesetzten auszuführen.

›Das heißt?‹

›In diesem Falle bin ich Ihr Untergebener, Anatoli Borissowitsch.‹

Er schwieg eine Weile und fragte dann: ›Und wenn Sie zwei einander aufhebende Befehle erhalten?‹

›Dann wird der zeitmäßig letzte ausgeführt.‹

Ich bemühte mich, ruhig zu sprechen, doch ich muss gestehen, dass mich bei diesem Gespräch eine Gänsehaut überlief, und ich begann die dümmsten Vermutungen anzustellen und mir schon einen Plan zurechtzulegen für den Fall, dass es Jermakow einfallen sollte, die schwarze Fahne zu hissen und auf den interplanetaren Verbindungswegen als Pirat umherzukreuzen.

Er aber forschte weiter: ›Also, wenn mein Befehl dem des Staatskomiteevorsitzenden zuwiderliefe, würden Sie trotzdem mir gehorchen?‹

›Ja ...‹ An dieser Stelle, glaube ich, fuhr ich mir mit ziemlich verdatterter Miene mit der Zungenspitze über die Lippen und fügte hinzu: ›Wir sind nicht bei der Armee, aber ich führe jeden Ihrer Befehle aus, sofern er nicht den Interessen unseres Staates widerspricht ... und der Partei, versteht sich. Ich bin Kommunist.‹

Er lachte. ›Sie denken wohl, ich sei ein Verschwörer? Nichts dergleichen. Glauben Sie nicht, dass ich an Ihrer Bereitschaft zweifle, meine Befehle zu befolgen. Ich möchte einfach wissen, an welche Linie Sie sich halten würden, wenn die Umstände uns zwingen sollten, dem Befehl des Komitees zuwiderzuhandeln. Ich bin sehr froh, dass ich in Ihnen einen disziplinierten und dienstkundigen Menschen gefunden habe.‹

Ich war ebenfalls froh, Ehrenwort.

›Immerhin hätte ich gern gewusst ...‹, wagte ich die Frage.

›Ich will es Ihnen erklären, richtiger gesagt, andeuten ... Sie verstehen. Es handelt sich darum, dass weniger von der Erfüllung der Aufgabe der Expedition als von der erfolgreichen Rückkehr unseres Schiffes sehr viel abhängt. Zu viel, möchte ich behaupten. Und wir werden möglicherweise kein Recht haben, uns bei der Erforschung der Golkonda einem allzu großen Risiko auszusetzen, sogar, wenn es darum geht, einen strikten Befehl des Komitees auszuführen ...«

Er nickte mir zu und geleitete mich zum Ausgang. In der Tat, das ist etwas, worüber man sich den Kopf zerbrechen muss. Halte die Ohren steif, Alexej Bykow! Du begreifst doch absolut nichts. Übrigens, Krajuchin und Jermakow sind nicht die Menschen, die etwas schrecken könnte. Solche brauchen für einen Rückzug sehr viel Mut. Was ist denn überhaupt los?«

Bykow klappte das Heft zu, steckte es in seine abgeschabte Meldetasche und begab sich in die Messe. Dort traf er Jurkowski, Dauge und Spizyn an. Johannytsch saß brütend über der Venuskarte, während Jurkowski und Spizyn eine erbitterte Polemik miteinander führten, deren Sinn Bykow anfangs nicht erfasste. Es kam ihm vor, als ginge es um Dinge, die sein Begriffsvermögen überstiegen, weil die Streitenden mit Formulierungen aus dem Arsenal der Tensorrechnung operierten und einer den anderen immerfort mit Zitaten von Klassikern überschüttete, was übrigens keine besondere Klarheit in das Problem brachte. Aber einige ihrer Bemerkungen waren sehr interessant und ungewöhnlich, und bereits wenige Minuten später saß Bykow im Sessel am Bücherschrank und hörte, seine Unruhe fast vergessend, begierig zu.

»Mit einer solchen Einstellung wirst du unweigerlich im Sumpf des Newtonianertums versinken«, sagte Jurkowski. »Das ist doch dasselbe, als wenn du behaupten wolltest, es gäbe den absoluten Raum. Was hat man dir bloß in der Schule beigebracht!«

»Aber die Folgerungen von Lorentz ...«

»So viele Tatsachen, so viele unumstößliche Tatsachen! Und du wagst es noch, das alles anzufechten! Jetzt! Fast hundert Jahre nach der Schaffung der Relativitätstheorie!«

»Aber die Erkenntnisse von Lorentz will ich doch gar nicht anfechten«, sagte Bogdan. »Bilde dir ja nicht ein, dass du der einzige Nachfolger und Ideenhüter des alten Einstein bist. Ich will nur sagen, dass ...«

»Lass hören! Lass hören!«

»Also: Beim heutigen Stand der Technik ist es noch sehr weit bis zum praktischen Zusammenstoß mit den Folgerungen der Relativitätstheorie ... Innerhalb unserer Arbeit natürlich.«

»Ach, so ist das?«

»Ja, genau so!«

»Weit?«

»Ja. Der Raum für den interplanetaren Raumfahrer ist Raum. Eine homogene Leere.«

»Wenn man die Meteoriten außer Acht lässt«, warf Dauge ohne den Kopf zu heben ein.

»Jawohl, Leere! Ich fliege beinahe schon zehn Jahre, und nicht ein einziges Mal habe ich meine Berechnungen korrigieren müssen.«

Sie schwiegen eine Weile und blickten einander wie Kampfhähne in die Augen.

»Sag mal bitte«, fing Jurkowski mit einschmeichelnder Stimme wieder an. »Hast du dir den Rechenschaftsbericht der Expedition zum Weiyang angehört?«

»Wohin?«

»Zum Weiyang. Hast ihn dir also nicht angehört. Und hörst auch zum ersten Mal den Namen. Du tust mir leid, Bogdan.«

»Aber wirklich, was soll denn das sein?«, fragte Dauge.

»Der Weiyang ist ein winziger Planet, der sich innerhalb der Merkurbahn bewegt. Seine mittlere Entfernung von der Sonne beträgt etwa zehn Millionen Kilometer. Vor drei Jahren haben chinesische Genossen ihn entdeckt und Weiyang genannt, was ›Leibwächter der Sonne‹ heißt oder so ähnlich. Wegen seiner Sonnennähe verdampft er sehr schnell, und man muss annehmen, dass er in hundert Jahren ganz und gar aufgehört haben wird zu existieren. Hast du wirklich noch nichts von ihm gehört?«, wandte sich Jurkowski wieder an Bogdan.

Dieser schüttelte den Kopf.

»Dann hör zu, was Fedja uns im vergangenen Jahr erzählt hat, und du wirst blamiert sein, bereite dich darauf vor. Fedja hat nämlich an der zweiten Expedition zum Weiyang teilgenommen. Und weißt du, was er sagte? ›In dieser kurzen Entfernung von der Sonne‹, sagte er, mussten wir uns auf allerlei Überraschungen gefasst machen, die das mächtige Gravitationsfeld für uns bereithalten konnte.‹ Und es gab Überraschungen, und sie hätten der Expedition beinahe das Leben gekostet! So ist das ...«

»Schon gut. Erzähle weiter.«

»Hör zu. Lu Shi’er war es nicht gelungen, nahe an dieses Planetchen heranzukommen, doch seine Bahn hatte er ziemlich genau berechnet. Und nun kommt die erste Überraschung: Unsere Leute fanden den Planeten gar nicht an der Stelle vor, wo er nach den Berechnungen Lu Shi’ers hätte sein müssen!«

»Lu hatte sich eben geirrt«, brummte Bogdan.

»Möglich. Damit das Raumschiff nicht verbrannte, war es mit einem Spiegelschirm ausgestattet. Anfangs ging alles gut. Man fand den Planeten und strebte in seinen Schatten. Er ist sehr klein – ein eiförmiger Klumpen kristallinischen Eisens von einigen Dutzend Kilometer Durchmesser. Er dreht sich rasch und kommt nicht zum Abkühlen. Aber die Expedition hoffte, ihre Beobachtungen dennoch durchführen zu können, nämlich von der Schattenseite aus. Ja, Pustekuchen ...« Jurkowski machte eine effektvolle Pause und blickte Spizyn triumphierend an. »Je mehr sich das Raumschiff der Sonne näherte, um so stärker machten sich neue, höchst seltsame Erscheinungen bemerkbar. Die Sonne wechselte die Farbe, sie verdüsterte sich und wurde rot. Ihre sichtbaren Ausmaße nahmen bedeutend schneller zu, als dies nach den perspektivischen Gesetzen möglich ist. Schließlich ...« Jurkowski warf erneut einen triumphierenden Blick auf Spizyn, »schließlich begann sie gleichzeitig von allen Seiten zu wärmen und zu leuchten! Es gab keinen Schatten. Fjodor sagte, es sei furchtbar gewesen. Das Raumschiff berührte fast die glühende Oberfläche des Weiyang, aber nirgends war Schatten. Die Sonne, gewaltig, unerträglich heiß, schien das Schiff umzingelt zu haben. Auch dort, wo sie gar nicht sein sollte, auf der entgegengesetzten Seite, leuchtete sengend ein blutroter Fleck und verdeckte den ganzen Himmel ...«

»Ein Trugbild«, meinte Bogdan unsicher.

»Ein Trugbild in der Leere? Ein Trugbild, das brennt und Ströme von Protonen aussendet? Nun gut, nehmen wir es an. Aber dass die gyroskopischen Bordgeräte versagten und sämtliche Chronometer, darunter auch gewöhnliche Armbanduhren, genau um dreiundzwanzig Minuten zurückblieben, wie es sich nach der Rückkehr herausstellte – ist das etwa auch ein Trugbild?«

Bogdan schwieg.

»Womit ist denn das alles zu erklären?«, konnte sich Bykow nicht enthalten zu fragen.

»Selbstverständlich damit, dass die Gravitation in einer solchen Sonnennähe die ›Absolutwerte‹ des Raumes und der Zeit verändert und entstellt. Hier bleibt dir nur ein Trost ...« Jurkowski streckte Bogdan theatralisch die Hand entgegen. »Alle diese Erscheinungen sind nicht einmal mit der Einsteinschen Theorie zu erklären. Auf jeden Fall zeigen sie aber: Der Raum ist nicht einfach nur Raum, wie du vor einer halben Stunde so leichtfertig behauptet hast. Das beweist Fjodors weißes Haar. Erst nach dem fünften oder sechsten Versuch gelang es ihm, das Raumschiff aus dem Bereich des Weiyang fortzusteuern.«

Jurkowski verstummte und begann, pfeifend in der Messe auf und ab zu gehen. Bykow dachte angestrengt über den Sinn der seltsamen Worte nach: »Die Gravitation hat Zeit und Raum verändert.« Gerade wollte er eine Frage stellen, als Dauge, der schon seit geraumer Weile mit ironischen Blicken Jurkowski verfolgte, der Diskussion ein Ende bereitete: »Genug geschwätzt! Wladimir!«, sagte er. »Deck den Tisch und ruf Anatoli Borissowitsch. Es ist Zeit zum Abendessen.«

Nach dem Abendessen blieben alle am Tisch, außer Krutikow, der Wachdienst hatte. Jermakow, ein wenig schläfrig, doch wie immer glatt gekämmt und gestrafft, saß bei einer Tasse Kaffee und nahm ab und zu mit Wohlbehagen einen Schluck zu sich. Bogdan und Jurkowski erzählten sich halblaut amüsante Begebenheiten aus ihrer Studentenzeit. Dauge mixte ernst und konzentriert ein phantastisches Getränk aus mindestens zehn verschiedenen Fruchtsäften. Ein weiches mattes Licht erhellte die Messe. Alles war stabil, anheimelnd, friedlich, und Bykow dachte wohl zum hundertsten Male daran, wie wenig doch dieses Bild zu der Vorstellung passte, dass sie in einem Metallkasten lebten, der mit unheimlicher Geschwindigkeit Millionen von Kilometern schwarzer Leere verschluckte.

»Was überlegst du, Alexej?«

Bykow lächelte schuldbewusst.

»Weißt du, man hat so seine Gedanken. Da sitzen wir nun hier, trinken Kaffee und Tee ... Ich habe mir alles ganz anders vorgestellt ...«

»Wie hast du’s dir denn vorgestellt?« Johannytsch tat erstaunt. »Ach, wohl so, wie es in den Büchern steht? In Zeitungsartikeln?«

»Und wennschon ...«

Jurkowski sagte geschraubt: »Die kühnen Raumfahrer überwinden mannhaft alle Schwierigkeiten des gefahrvollen Fluges, indem sie tapfer allen Fährnissen entgegenschreiten.«

»Ja ... So ähnlich. Und außerdem hatte ich mit der Schwerelosigkeit gerechnet und war auf allerlei neue Eindrücke gefasst.«

»Ach, du lieber Gott!«

»Nein, nein, ich weiß – auf einem Schiff, das sich mit ständiger Beschleunigung vorwärtsbewegt, ist die Schwerelosigkeit undenkbar. Und dennoch bin ich enttäuscht.«

Bogdan und Dauge lachten.

»Glauben Sie mir, Alexej Petrowitsch«, sagte Jurkowski ernst, »ohne Schwerelosigkeit ist es viel bequemer. Sie haben Glück gehabt. Ich erinnere mich, vor etwa sechs Jahren machten wir eine Fahrt zum Mond, und mit uns flog, wohlgemerkt ebenfalls zum ersten Mal, ein gewisser Spezialist – allerdings kein Wüstenexperte, sondern ein Selenograph. Lange Jahre hatte er den Mond studiert, hatte über ihn geschrieben und debattiert, aber er war noch nie dort gewesen, er fürchtete sich vor dem Flug. Ja, so ist es manchmal im Leben ...«

»Du meinst wohl Gluskin?«, fragte Dauge.

»Ganz recht, den meine ich.« Jurkowski lächelte. »Also, wir starten. Fliegen. Haben den Reaktor abgeschaltet, die Passagiere aus den Gegendruckkammern gelassen. Alles war für sie überaus interessant – die Schwerelosigkeit, die neuen Eindrücke und so weiter. Dieser Gluskin freut sich auch, freilich, ein wenig blass sah er aus. Etwa zwei Stunden später kommt er zu mir und fragt: ›Wo ist hier die Toilette, Genosse?‹ Und ich, stellt euch vor, denke gar nicht daran, dass er ein Neuling ist. ›Gehen Sie‹, sage ich, ›den Korridor entlang, die letzte Tür rechts.‹ Und weiter habe ich ihm nichts erklärt. Dann ist er gegangen, der Ärmste.«

Dauge, Bogdan und sogar Jermakow lächelten bereits. Bykow hörte mit finster zusammengezogenen Brauen zu.

»Also, er schloss sich ein, wie es sich gehört«, fuhr Jurkowski fort. »Es vergehen zehn Minuten, eine Viertelstunde – er kommt nicht! Dann erscheint er – nass von oben bis unten, schimpft wie ein Rohrspatz, ganze Wolken von Wasserblasen schweben um ihn her ... Wir stoben auseinander, um uns zu verstecken, und schalteten auf volle Kraft die Ventilatoren ein. Mit Müh und Not kriegten wir den Korridor sauber. Unser Selenograph fluchte zum Gotterbarmen! Ich werde jetzt noch rot, wenn ich daran denke. Wir hatten doch auch Frauen an Bord. Sehen Sie, Alexej Petrowitsch – solche Dinge kann zuweilen die Schwerelosigkeit anrichten!«, schloss Jurkowski triumphierend.

»Ja, im Allgemeinen ist die Schwerelosigkeit ein zweifelhaftes Vergnügen«, bestätigte Dauge, als das Lachen verstimmt war. »Bis man gelernt hat, sich richtig zu benehmen, muss man sich gehörig abplagen ...«

»Ich erinnere mich«, sagte Bogdan, »wie ein Kamerad ...«

»Warten Sie mal«, unterbrach ihn Jermakow.

Von oben ertönte ein feiner, kaum hörbarer an- und abschwellender Ton, gleich dem Summen einer Mücke im Lagerzelt. Bykow sah, wie aus Jermakows versteinertem Gesicht alle Farbe wich, wie Dauge plötzlich kreidebleich wurde, Spizyn die Augen weit aufriss und an Jurkowskis Kinnladen die Muskeln zuckten. Alle blickten über seinen, Bykows, Kopf hinweg nach oben. Er wandte sich um. An der ledergepolsterten Wand gleich unter der Decke brannte pulsierend ein rotes Lämpchen, ein Indikator. Jemand fluchte heftig und sprang auf. Klickend fiel ein Glas um, über die Tischdecke breitete sich ein purpurner Fleck aus. Im selben Augenblick erfüllte ein ohrenbetäubendes Klingeln den Raum. Die Wände, die Gesichter, die Hände, die weiße Tischdecke – alles erglänzte in einem unheildrohenden roten Schein.

»Strahlung!«, brüllte eine Stimme dicht an Bykows Ohr.

Wie gebannt starrte er auf das heftig flackernde Indikatorlämpchen, das einem aus der Wand ragenden Finger glich. Dsann, dsann, dsann!, schrillte wie rasend die Alarmglocke. Die Tür flog auf, und Krutikow stürzte herein.

»Strahlung!«, schrie er. Sein eingefallenes Gesicht war schweißüberströmt.

»Wir sehen und hören es«, sagte Jermakow ruhig, kaum die bleichen Lippen bewegend.

»Wieso, woher?«, murmelte Bogdan.

Jurkowski zuckte die Achseln. »Müßige Frage.«

»Wieso müßig, wieso?«, brachte Dauge atemringend hervor. »Vielleicht können wir uns noch irgendwie schützen?«

»Spezialanzüge?«

»Unsinn!«, sagte Bogdan überzeugt. »Wenn sogar die Hülle und die Schutzschicht des Schiffes durchschlagen sind ...« Dsann, dsann, dsann.

»Davor kann man sich nicht schützen«, flüsterte Krutikow. Dauge lächelte schief.

»So«, sagte er. »Nun, dann wollen wir warten.«

Krutikow richtete mit einer seltsamen pedantischen Feierlichkeit das umgekippte Glas auf und setzte sich zwischen Jermakow und Bykow.

»Etwa hundert Röntgen, nicht weniger«, bemerkte Jurkowski.

»Reicht nicht«, meinte Bogdan.

»Hundertfünfzig. Wer gibt mehr?« Dauge nahm einen Löffel vom Tisch und bog mit zitternden Fingern daran herum. »Ehrenwort, ich fühle, wie sich die Protonen in mich hineinbohren.«

»Bin gespannt, wie lange das dauern wird«, brummte Jurkowski, zu dem Warnlämpchen hinaufblinzelnd.

»Wenn länger als fünf Minuten, sind wir erledigt ...«

»Zwei Minuten sind bereits vergangen«, teilte Jermakow leise mit. Krutikow rückte den Kragen seiner Kombination zurecht, zog den Reißverschluss auf der Brust zu und fuhr mit der Hand in die Tasche, um seine Pfeife hervorzuholen.

Dsann, dsann, dsann.

»Sie saßen unter dem Todesstrom und lauschten bezaubernden Klängen«, deklamierte Jurkowski. »Hört mal, kann man denn dieses verdammte Geläut nicht abschalten? Ich bin nicht gewöhnt, unter solchen Bedingungen zu sterben.«

Dsann, dsann, dsann.

Dauge hatte endlich den Löffel zerbrochen und warf die Stücke auf den Tisch. Alle starrten sie an.

»Das erste Opfer der Strahlenattacke«, sagte Jurkowski. »Johannytsch, sei so gut und steck die Hände in die Taschen ...«

Bykow schloss die Augen. Fünf Minuten – und Schluss. Und man konnte nichts dagegen tun, nichts ...

Plötzlich hörte das Klingeln auf. Das rote Indikatorlämpchen erlosch. Stille trat ein. Lange saßen sie schweigend, niemand wagte sich zu rühren. Sie waren allzu benommen, um sich freuen zu können. Endlich sagte Jermakow zu Jurkowski: »Und doch sind Sie ein Angeber, Wladimir Sergejewitsch. Ein Poseur ...«

Dauge lachte nervös. Krutikow bekam den Schluckauf. Er verzog den Mund und langte nach dem Siphon mit Sodawasser.

»Bekenne mich schuldig, Anatoli Borissowitsch! Ich gestehe, ich habe so etwas an mir. In der Jugend glänzte ich im Laienspiel ...« Er reckte sich, dass die Gelenke knackten. »Wollen wir hoffen, dass alles ohne Folgen abgeht. Habe sowieso schon eine ganze Portion dieser Röntgen auf meinem Konto.«

Bykow drehte fassungslos den Kopf hin und her.

»Waren es wirklich nur zwei Minuten?«, fragte er.

»Freunde«, sagte Jermakow mit dumpfer Stimme und stand auf, »betrachten wir den Fall als erledigt. Und jetzt heißt es: Sofort den Innenschutz prüfen.«

»Ausgerechnet! Solche Dinge passieren alle zehn Jahre einmal«, sagte Krutikow. »Übrigens, was kann die Ursache gewesen sein? Was meinen Sie?«

»Ist doch sonnenklar: kosmische Strahlung«, antwortete Jurkowski.

»Fein, wenn es das war. Ich muss gestehen, ich fürchtete zuerst, die Reaktorhülle sei geplatzt.«

Bogdan blickte auf die Uhr. »Mein Wachdienst beginnt, Anatoli Borissowitsch. Außerdem ist es auch Zeit, zur Erde zu funken. Soll ich den Vorfall melden?«

»Nein«, schnitt Jermakow trocken ab. »Warum die Leute unnütz aufregen? Melden Sie wie üblich: Alles in Ordnung. Und noch eins: Ich bitte Sie der Reihe nach zur Ambulanz – zu Injektionen und Desaktivierung. Dauge als Erster. Und dann – gründlich die Isolation überprüfen.«

»Inzwischen könnte man sich einen Schluck Kaffee genehmigen«, bemerkte Krutikow frohgelaunt. »Ach, der ist ja schon ganz kalt! Aljoscha, sei so gut, schalte ein ...«

»Und dennoch müssen die kühnen Raumfahrer mannhaft Schwierigkeiten überwinden«, sagte Bykow mit einem herausfordernden Seitenblick auf Jurkowski.

Dieser lachte sorglos. »Nicht Schwierigkeiten, mein lieber Alexej Petrowitsch, sondern nur die Todesangst. Die Schwierigkeiten kommen noch, das versichere ich Ihnen – wie Krajuchin sich auszudrücken beliebte.«