13

»Da wäre ich nicht so sicher«, meinte Howard. »Jedenfalls noch nicht. Aber ich erzähl dir mal, wie es war. Ist doch komisch, was, wie ich damals gesagt hab, ich würde ihn wohl nie wiedererkennen müssen? Aber ich habe ihn wiedererkannt gestern abend. Also hör zu.«

Am vorangegangenen Abend hatte Howard um sieben Uhr versucht, seinen Onkel anzurufen, aber der Anschluß war besetzt gewesen. Da er ohnehin nur negative Nachrichten für ihn hatte, beschloß er, es am nächsten Morgen noch einmal zu versuchen, zumal er es eilig hatte. Denise und er wollten im West-End zu Abend essen und dann die Neun-Uhr-Vorstellung eines Films im Curzon Cinema besuchen. Howard hatte seinen Wagen nahe der Kreuzung Curzon Street und Half Moon Street geparkt. Da sie noch ein paar Minuten Zeit hatten, wollte er sich aus Neugier das Äußere der Werbeagentur ansehen, mit der er am Tag telefoniert hatte, und so gingen er und Denise zu dem Marcus-Flower-Gebäude hinüber. Da sah er einen Mann und eine Frau von der entgegengesetzten Seite her daraufzusteuern. Der Mann war Robert Hathall.

An dem riesigen Fenster blieben sie stehen und blickten hinein, betrachteten Samtvorhänge und Wilton-Spannteppich und Marmortreppen. Anscheinend wies Hathall seine Gefährtin auf die pompöse Großartigkeit des Hauses hin, in dem er arbeitete. Die Frau war mittelgroß, gutaussehend zwar, aber doch nicht auffallend schön, mit sehr kurzem, blondem Haar. Howard schätzte, daß sie Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig war.

»Könnte das Haar eine Perücke gewesen sein?« wollte Wexford wissen.

»Nein, aber es kann gefärbt gewesen sein. Natürlich hab ich ihre Hand nicht gesehen. Die beiden redeten sehr liebevoll und vertraut miteinander, so schien es mir jedenfalls, und nach einer Weile gingen sie weiter, runter in Richtung Piccadilly. Übrigens, ich hatte gar keinen Spaß an dem Film. Ich konnte mich nämlich nicht mehr konzentrieren.«

»Es kann also nicht stimmen, Howard, mit dem: ›So laß uns scheiden denn für immer, gelöst sei alles, was wir uns gelobt‹; sondern es ist genauso, wie ich gedacht habe, und jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, daß wir sie finden.«

Den nächsten Tag hatte er dienstfrei, es war sein normaler freier Tag in der Woche. Mit dem Zug zehn Uhr dreißig erreichte er Victoria Station kurz vor halb zwölf, und gegen zwölf war er in Kilburn. Durch welche Laune romantischer Phantasie dieser verwahrloste viktorianische Pub ausgerechnet den Namen der Lieblingsmätresse Charles des Zweiten bekommen hatte, konnte Wexford sich beim besten Willen nicht erklären. Der Pub stand an einer Querstraße der Edgware Road und machte den Eindruck eines völlig heruntergekommenen Vergnügungslokals aus dem neunzehnten Jahrhundert. Ginge Matthews saß auf einem Hocker an der Bar und war in ein ernstes und anscheinend trübsinniges Gespräch mit dem irischen Barkeeper vertieft. Als er Wexford sah, weiteten sich seine Augen – oder vielmehr, ein Auge weitete sich. Das andere war halb geschlossen und in einer blauroten Schwellung versunken.

»Nehmen Sie Ihren Drink mit da rüber in die Ecke«, sagte Wexford. »Ich komme gleich nach. Kann ich bitte ein Glas trockenen Weißwein haben?«

Ginge sah nicht aus wie sein Bruder, redete auch nicht wie der, und ganz gewiß rauchte er nicht so wie er, aber dennoch hatten die beiden etwas gemeinsam – abgesehen von ihrer Neigung zur Kleinkriminalität. Vielleicht war ein Elternteil eine dynamische Persönlichkeit gewesen, oder es konnte sonst etwas ungewöhnlich Vitales in ihren Genen gesteckt haben. Was es auch war, es nötigte Wexford zu dem Urteil, die Matthew-Brüder seien genauso wie andere Leute, bloß noch ein bißchen mehr. Beide trieben leicht Dinge bis zum Exzeß. Monkey rauchte sechzig lange Zigaretten pro Tag. Ginge rauchte überhaupt nicht, aber er trank, wenn er es sich leisten konnte, eine Mixtur aus Pernod und Guiness.

Ginge hatte mit Monkey seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesprochen, und Monkey nicht mit ihm. Sie hatten sich nach dem Desaster zerstritten, zu dem ihr stümperhafter Einbruch in ein Kingsmarkhamer Pelzgeschäft geführt hatte. Ginge war ins Kittchen gewandert und Monkey nicht – eine große Ungerechtigkeit, wie Ginge verständlicherweise fand –, und als er wieder rauskam, setzte er sich nach London ab, wo er eine Witwe heiratete, die ein eigenes Haus und ein bißchen Geld besaß. Ginge hatte das Geld bald durchgebracht, und sie beschenkte ihn – vielleicht aus Rache – mit fünf Kindern. Daher fragte er auch jetzt nicht nach seinem Bruder, dem er die Hauptschuld an seinem Unglück gab, sondern sagte nur grimmig zu Wexford, als der sich zu ihm an den Ecktisch setzte:

»Sehen Sie mein Auge?«

»Natürlich sehe ich es. Was, zum Teufel, haben Sie denn angestellt? Kleine Meinungsverschiedenheit mit Ihrer Frau?«

»Sehr komisch. Ich kann Ihnen sagen, wer das gemacht hat. Dieser Scheiß-Hathall. Gestern abend, als ich ihm nachgegangen bin zur Bushaltestelle vom Achtundzwanziger.«

»Um Himmels willen!« sagte Wexford entsetzt. »Weiß der jetzt über Sie Bescheid?«

»Besten Dank für Ihr Mitgefühl!« Ginges kleines, rundes Gesicht wurde fast so rot wie sein Haar. »War ja klar, daß ich dem früher oder später auffallen mußte, bloß wegen meinem Scheißhaar. Sonst hätte der doch keinen Grund gehabt, sich einfach umzudrehen und mir mein Scheißauge blauzuhauen, oder?«

»Das hat er gemacht?«

»Sag ich Ihnen ja. Knallte mir glatt eine. Meine Alte sagt, ich sehe aus wie Henry Cooper. War ‘n Scheißspiel, das kann ich Ihnen sagen.«

Angewidert seufzte Wexford: »Können Sie die Scheiße nicht mal vergessen?«

»Sie meinen den Scheißbluterguß? Wo der noch nicht mal abgeheilt ist? Da, sehen Sie mal …«

»O Mann! Ich meine, Sie sollen aufhören, bei jedem zweiten Wort ›Scheiße‹ zu sagen. Das verdirbt einem ja den Geschmack am Wein. Hören Sie mal zu, Ginge, es tut mir wirklich leid mit Ihrem Auge, aber es ist ja zum Glück nicht allzu schlimm. Auf jeden Fall müssen Sie jetzt natürlich vorsichtiger sein. Sie könnten zum Beispiel einen Hut tragen …«

»Ich mach das nicht mehr weiter mit, Mr. Wexford.«

»Immer mit der Ruhe. Ich besorg Ihnen erst mal noch einen … Wie nennen Sie das Zeug?«

»Bestellen Sie einfach ein halbes Guiness mit ‘nem doppelten Pernod drin.« Stolz und schon wieder ein bißchen vergnügter setzte er hinzu: »Wie man das Zeug nennt, weiß ich nicht, aber ich nenn es ›Demon King‹.«

Wexford holte sich noch ein Glas Weißwein, und Ginge meinte: »Na, davon werden Sie aber nicht fett.«

»Das ist auch der Sinn der Übung. Jetzt erzählen Sie mir mal, wo der Achtundzwanziger überall hinfährt.«

Ginge nahm einen Schluck seines Demon King und ratterte in äußerster Geschwindigkeit herunter: »Golders Green, Child’s Hill, Fortune Green, West End Lane, West Hampstead Station, Quex Road, Kilburn High Road…«

»Um Himmels willen! Ich kenne doch keine von diesen Straßen, die Namen sagen mir überhaupt nichts. Wo ist die Endstation?«

»Wandsworth Bridge.«

Wexford war zwar enttäuscht von dieser Mitteilung, aber es befriedigte ihn doch, so viel unschlagbarer Ortskenntnis letzten Endes dennoch überlegen zu sein, denn er sagte: »Der Kerl fährt nur nach Balham, um seine Mutter zu besuchen. Das ist doch in der Nähe von Balham.«

»Nicht, wo der Bus hinfährt, nee. Sehen Sie mal, Mr. Wexford«, erklärte Ginge mit geduldiger Herablassung. »Sie kennen doch London nicht, das haben Sie selbst gesagt. Ich wohne hier schon seit fünfzehn Jahren, und ich sage Ihnen, kein Mensch, der alle Tassen im Schrank hat, wird auf die Weise nach Balham fahren. Der geht vielmehr zur U-Bahn West Hampstead und steigt bei Waterloo oder Elephant in die Northern Line um. So und nicht anders.«

»Dann muß er irgendwo unterwegs aussteigen. Ginge, würden Sie noch eine Sache für mich machen? Gibt es einen Pub in der Nähe dieser Bushaltestelle, wo er in den Achtundzwanziger einsteigt?«

»Na ja, gegenüber«, erwiderte Ginge mißtrauisch.

»Wir wollen ihm eine Woche Zeit lassen. Wenn er sich während der nächsten Woche nicht über Sie beschwert – ja, schon gut, Sie finden, wenn sich hier einer zu beschweren hat, dann Sie –, also wenn er das nicht tut, dann wissen wir, daß er Sie entweder für einen potentiellen Straßenräuber gehalten hat …«

»Vielen Dank!«

»… und Sie nicht mit mir in Verbindung bringt«, redete Wexford weiter, ohne sich um den Einwurf zu kümmern, »oder aber er hat in diesem Stadium zu viel Angst, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aber von nächsten Montag an möchte ich, daß Sie sich eine Woche lang jeden Abend gegen halb sieben in dieser Kneipe aufhalten. Sie brauchen sich nur zu merken, wie oft er den Bus nimmt. Wollen Sie das tun? Ich verlange ja gar nicht, daß Sie ihm folgen, Sie gehen also gar kein Risiko ein.«

»Das sagt ihr Bullen immer«, maulte Ginge. »Ich darf Sie wohl daran erinnern, daß der Scheißkerl schon eine arme Seele auf dem Gewissen hat. Wer wird sich um meine Alte und um meine Kinder kümmern, wenn er mir mit seiner beschissenen Goldkette die Luft abdreht?«

»Diejenigen, die es jetzt auch schon tun«, meinte Wexford sanft, »die Sozialfürsorge.«

»Eine verdammt böse Zunge haben Sie.« Auf einmal klang Ginge genau wie sein Bruder, und einen Augenblick lang sah er auch so aus, als nämlich in seinem gesunden Auge tückische Habgier aufblitzte. »Was ist denn drin für mich, wenn ich’s mache?«

»Ein Pfund pro Tag«, sagte Wexford, »und so viel von diesem Scheißzeug – äh, diesen Demon Kings, wie Sie runterkriegen können.«

Wexford wartete beklommen auf eine neuerliche Vorladung zum Chief Constable, aber es kam keine, und gegen Ende der Woche wußte er, daß Hathall sich nicht beschweren würde. Das bedeutete, wie er schon Ginge erklärt hatte, nichts weiter, als daß Hathall glaubte, der Mann, der ihm gefolgt war, hätte ihn überfallen, wenn er ihm nicht zuvorgekommen wäre. Fest stand aber – ganz gleich, was bei Ginges Pub-Spionage herauskam –, daß er den kleinen rothaarigen Kerl nicht weiter verwenden konnte. Und es nützte ihm wenig zu wissen, wie oft Hathall diesen Bus nahm, wenn er niemanden einsetzen konnte, der mit ihm zusammen einstieg.

In Kingsmarkham war es sehr ruhig. Niemand würde etwas dagegen haben, wenn er den vierzehntägigen Urlaub nähme, der ihm noch zustand. Leute, die ihren Sommerurlaub im November nehmen, sind bei den Kollegen immer sehr beliebt. Es hing alles von Ginge ab. Wenn sich herausstellte, daß Hathall den Bus regelmäßig benutzte, warum sollte er dann nicht seinen Urlaub nehmen und versuchen, jenem Bus mit dem Wagen zu folgen? Im Londoner Verkehr, der ihn immer sehr einschüchterte, würde das zwar schwierig sein, aber außerhalb der Stoßzeiten doch nicht allzu schwer. Und es stand zehn zu eins, ach, hundert zu eins, daß Hathall ihn nicht bemerken würde. Niemand, der im Bus fährt, sieht sich die Leute in den Autos an. Niemand im Bus kann überhaupt den Fahrer eines nachfolgenden Wagens sehen. Wenn er bloß wüßte, wann Hathall bei Marcus Flower aufhörte und wann er beabsichtigte, das Land zu verlassen…

Aber alles das wurde durch ein unvorhergesehenes Ereignis in den Hintergrund gedrängt. Er war überzeugt gewesen, die Mordwaffe würde nie gefunden werden, sondern läge auf dem Grund der Themse oder sei irgendwo auf einer städtischen Mülldeponie gelandet. Als die junge Dozentin für Volkswirtschaft ihn anrief und sagte, Arbeiter, die den Garten von Bury Cottage aufgruben, hätten eine Halskette gefunden und ihr Hauswirt, Mr. Somerset, hätte ihr geraten, die Polizei zu informieren, da war sein erster Gedanke, daß er damit Griswolds Bedenken überwinden, daß er jetzt Hathall damit konfrontieren könnte! Er fuhr persönlich zur Wool Lane hinunter – bemerkte im Vorbeifahren draußen vor Nancy Lakes Haus ein Schild ZU VERKAUFEN –, und dann betrat er die zerklüftete Wüstenei, das aufgerissene Bergwerksareal, das einmal Hathalls Garten gewesen war. Eine Ladung Natursteinplatten türmte sich in einer Ecke wie ein Gebirgszug, und bei der Garage stand ein kleiner Schaufelbagger. Konnte Griswold ihm vorwerfen, er hätte diesen Garten damals umgraben lassen sollen? Aber wenn man nach einer Waffe sucht, dann gräbt man nicht einen Garten um, der wie ein unberührtes Feld aussieht, in dem es auch nicht die kleinste unebene, frisch aufgegrabene Stelle gibt. Es hatte hier im September vor einem Jahr in dem langen Gras auch nicht die geringfügigste Trittspur gegeben. Sie hatten jeden Zentimeter durchgeharkt. Wie also hatte Hathall oder seine Komplizin es fertiggebracht, die Kette zu vergraben und Erde und Gras so wieder herzurichten, daß es unentdeckt geblieben war?

Die Dozentin, Mrs. Snyder, erklärte es ihm.

»Hier unten drin befand sich eine Art Schacht. Eine Senkgrube, glaube ich, nennt man das? Mir war so, als sagte Mr. Somerset was von ›Grube‹.«

»Senk- oder Sickergrube«, erklärte ihr Wexford. »An die städtische Kanalisation ist dieser Teil von Kingsmarkham nämlich erst vor etwa zwanzig Jahren angeschlossen worden, und davor hat es hier eben eine Sickergrube gegeben.«

»Um Himmels willen! Warum hat man sie danach nicht herausnehmen lassen?« fragte Mrs. Snyder mit der Verwunderung des Bewohners eines reicheren und hygienebewußteren Landes. »Egal, die Halskette war jedenfalls da drin, wie immer die Grube nun heißt. Das Ding da …«, sie deutete auf den Bagger, »… ist beim Graben darauf gestoßen und hat sie kaputtgeschlagen. So ungefähr erzählten es jedenfalls die Arbeiter. Ich hab es nicht persönlich gesehen. Ich möchte ja nicht Ihr Land kritisieren, Captain, aber eine Sickergrube! Nein, so was!«

Höchlich amüsiert über seinen neuen Titel, bei dem er sich vorkam wie ein Marineoffizier, erwiderte Wexford, er verstünde durchaus, daß es wenig erfreulich sei, Betrachtungen über primitive Kloakensysteme anzustellen, und wo, bitte schön, sei nun die Kette?

»Ich habe sie gewaschen und in den Küchenschrank gelegt. Ich habe sie mit Desinfektionsmittel behandelt.«

Das spielte nun keine Rolle mehr. Sie würde, nachdem sie so lange versenkt gewesen war, ohnehin keine Spuren mehr aufweisen, wenn überhaupt welche darauf gewesen waren. Aber das Aussehen der Kette verblüffte ihn. Sie war nicht, wie man gedacht hatte, aus Gliedern zusammengesetzt, sondern war ein solider Strang aus grauem Metall, von dem nahezu die gesamte Vergoldung verschwunden war, und sie hatte die Gestalt einer ringförmig gebogenen Schlange. Beim Schließen wurde der Schlangenkopf durch eine Öse am Schwanz hindurchgesteckt. Jetzt hatte er auch die Antwort auf das, was ihn immer so irritiert hatte. Dies war eben keine Kette, die unter starker Spannung reißen konnte, sondern ein perfektes Strangulierwerkzeug. Alles, was Hathalls Komplizin hatte tun müssen, war, sich hinter ihr Opfer zu stellen, den Schlangenkopf zu packen und zu ziehen …

Aber wie konnte sie in die unbenutzte Sickergrube geraten sein? Deren Metalldeckel, der früher jeweils geöffnet wurde, wenn die Grube entleert werden mußte, war unter einer Schicht Erde versteckt und so von Gras überwachsen gewesen, daß Wexfords Leute nicht einmal auf den Gedanken gekommen waren, sie könne sich dort befinden.

Er rief Mark Somerset an.

»Ich glaube, ich kann Ihnen erklären, wie sie da reingekommen ist«, sagte Somerset. »Als hier die öffentliche Kanalisation angelegt wurde, da ließ mein Vater aus Sparsamkeitsgründen nur das sogenannte ›schwarze‹ Wasser, das Kloakenabwasser, anschließen. Das ›graue‹ Wasser – das ist das Abwasser von Bad, Handwaschbekcken und Küchenausguß – lief weiterhin in die Senkgrube. Bury Cottage liegt ja an einem Abhang, er wußte also, es konnte nicht überlaufen, sondern würde einfach versickern.«

»Wollen Sie damit sagen, jemand konnte das Ding einfach in den Abfluß eines Waschbeckens werfen?«

»Ganz genau. Wenn der ›Jemand‹ die Wasserhähne kräftig aufgedreht hat, ist sie bestimmt runtergespült worden.«

»Vielen Dank, Mr. Somerset. Das ist sehr aufschlußreich. Übrigens, ich möchte – äh, ich möchte Ihnen gern mein Beileid ausdrücken zum Tod Ihrer Frau.«

War es Einbildung, oder klang Somerset zum erstenmal unsicher? »Ach so, ja, danke«, stammelte er und hängte abrupt auf.

Nachdem er die Halskette von den Laborexperten hatte untersuchen lassen, bat er um eine Unterredung mit dem Chief Constable. Sie wurde auf den kommenden Freitag nachmittag anberaumt, und gegen zwei Uhr an jenem Tag fand er sich in Griswolds Privathaus ein, einem aufgemotzten, unbäuerlichen Bauernhaus in einem Dorf namens Millerton, zwischen Myringham und Sewingbury gelegen. Das Anwesen nannte sich Hightrees Farm, aber privatim nannte Wexford es Millerton-Les-Deux-Eglises.

»Wie kommen Sie auf den Gedanken, dies sei das Mordinstrument?« waren Griswolds erste Worte.

»Ich habe das Gefühl, dies ist die einzige Art Halskette, die benutzt worden sein kann. Eine Gliederkette wäre gerissen. Die Laborleute sagen, das Gold, das noch daran haftet, ähnelt in der Beschaffenheit den Goldpartikeln, die man an Angelas Hals gefunden hat. Aber natürlich können sie das nicht genau sagen.«

»Aber ich nehme an, Sie haben so ein ›Gefühl‹? Haben Sie irgendeinen Grund zu glauben, daß die Kette nicht schon seit zwanzig Jahren dort dringelegen hat?«

Wexford hütete sich, wieder sein Gefühl zu erwähnen. »Nein, aber ich hätte den Grund vielleicht, wenn ich mit Hathall sprechen könnte.«

»Er war nicht dort, als sie umgebracht wurde«, sagte Griswold. Dabei zogen sich seine Mundwinkel nach unten, und seine Augen wurden hart.

»Aber seine Freundin war es.«

»Wo? Wann? Bis jetzt bin ich immer noch Chief Constable von Mid-Sussex, wo dieser Mord begangen wurde. Warum wird es mir nicht mitgeteilt, wenn die Identität eines weiblichen Komplizen aufgedeckt wird?«

»Ich habe sie noch nicht direkt …«

»Reg«, sagte Griswold mit einer Stimme, die vor Zorn bebte, »haben Sie heute, was Robert Hathalls Komplizenschaft betrifft, auch nur ein Quentchen Beweismaterial mehr als vor vierzehn Monaten? Haben Sie auch nur ein knallhartes Indiz? Ich habe Sie das schon mal gefragt, und ich frage Sie noch einmal: Haben Sie das?«

Wexford zögerte. Er konnte nicht aufdecken, daß er Hathall hatte observieren lassen, und noch viel weniger, daß Chief Superintendent Howard Fortune, sein eigener Neffe, ihn mit einer Frau gesehen hatte. Und welche Beweiskraft hatte schon Hathalls Sparsamkeit oder der Verkauf seines Wagens im Zusammenhang mit dem Mord? Welche Schuld ließ sich daraus ableiten, daß der Mann im Nordwesten Londons wohnte oder daß man ihn gesehen hatte, wie er einen Londoner Bus bestieg? Da war natürlich noch die Sache mit Südamerika … Zähneknirschend wurde Wexford sich auf einmal klar, wohin das alles führte. Zu nichts und wieder nichts. Was konnte er denn beweisen? Daß Hathall ein Job in Südamerika angeboten worden war? Oder auch nur, daß er eine Broschüre über Südamerika gekauft hatte, geschweige denn ein Flugticket? Er war lediglich gesehen worden, wie er in ein Reisebüro ging, und zwar von einem Mann mit Vorstrafenregister.

»Nein, Sir.«

»Also ist die Situation unverändert. Völlig unverändert. Bitte halten Sie sich daran.«