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Die Universitätsstadt Myringham liegt knappe zwanzig Kilometer von Kingsmarkham entfernt. Sie rühmt sich eines Museums, eines Kastells mit überwachsener Außenmauer und der besterhaltenen Überreste einer römischen Villa in Großbritannien. Und wenn auch zwischen den Universitätsgebäuden und dem Bahnhof ein neues Zentrum entstanden ist, ein Bezirk aus Hochhäusern und Einkaufszeilen und vielstöckigen Parkhäusern, so hat man all diesen Beton und roten Backstein doch wohlweislich abgegrenzt von der Altstadt, die unverschandelt an den Ufern des Kingsbrook steht.
Hier gibt es enge Gassen und gewundene Durchgänge, die den Besucher an Gemälde von Jacob Vrel erinnern. Die Häuser sind sehr alt, einige – aus braunem Backstein und wurmstichigem graubraunen Holz – noch vor den Rosenkriegen gebaut oder gar, wie es heißt, noch vor Agincourt. Nicht alle werden von ihren Besitzern oder von Dauermietern bewohnt, manche sind in einen so trostlos unreparablen Zustand, einen so traurigen Verfall geraten, daß ihre Eigentümer es sich nicht leisten können, sie in Ordnung zu bringen. Obdachlose und Hausbesetzer haben sich darin breitgemacht, geschützt vor der Polizei durch ihr altes Gewohnheitsrecht, sicher vor der Vertreibung, weil ihre ›Vermieter‹ einerseits durch das Gesetz gehindert werden, ihr Haus abzureißen, andererseits durch Geldmangel, es wieder instand zu setzen.
Aber solche Art Häuser bilden nur einen kleinen Teil der Altstadt. Mark Somerset wohnte im hübscheren Teil, in einem der alten Häuser am Fluß. In den Zeiten, da England noch katholisch gewesen war, war es das Haus eines Priesters gewesen, und in einer der Gartenmauern war noch ein schmales Fenster mit wunderschöner Glasmalerei, denn die Mauer gehörte gleichzeitig zur St.-Lukas-Kirche. Die Katholiken von Myringham besaßen jetzt eine neue Kirche im neueren Teil der Stadt, und das Pfarrhaus war ein modernes Gebäude. Hier aber drängten sich noch die alten braunen Mauern um die Kirche und die Mühle, hier wehte noch der Hauch des 15. Jahrhunderts.
Kein Hauch des 15. Jahrhunderts wehte jedoch um Mark Somerset. Er war ein athletisch wirkender Mann in den Fünfzigern, trug gepflegte, schwarze Jeans und ein T-Shirt, und nur die Linien um seine hellen, blauen Augen und die Venen an seinen starken Händen verrieten Wexford sein Alter. Der Mann hatte einen flachen Bauch, eine muskulöse Brust, und obendrein hatten sich seine Haare noch nicht gelichtet, deren Goldton von einst inzwischen einen Silberschimmer bekommen hatten.
»Ach, die Bullen«, sagte er, wobei sein Lächeln und sein angenehmer Ton die Begrüßung nicht ungehörig wirken ließ. »Ich dachte mir schon, daß Sie hier auftauchen würden.«
»Hätten wir lieber nicht auftauchen sollen, Mr. Somerset?«
»Weiß nicht, das müssen Sie entscheiden. Kommen Sie rein, aber bitte seien Sie in der Diele so leise wie möglich, ja? Meine Frau ist heute morgen aus dem Krankenhaus gekommen, und sie ist gerade eben erst eingeschlafen.«
»Doch nichts Ernstes, hoffe ich?« Wexford fand Burdens Frage reichlich einfältig und auch überflüssig.
Somerset lächelte. Es war ein Lächeln, in dem traurige Erfahrungen, geduldiges Ausharren und eine Spur Verächtlichkeit mitschwangen. Fast flüsternd sagte er: »Sie ist seit Jahren ein Pflegefall. Aber Sie sind wohl nicht gekommen, um darüber zu reden. Bitte hier hinein.«
Das Zimmer hatte eine Balkendecke und holzverkleidete Wände. Eine offene, zweiflügelige Glastür – modern, aber gelungen – führte in einen kleinen Garten mit Steinwegen, der rückwärtig durch die Bäume am Flußufer begrenzt wurde, und das Blattwerk dieser Bäume hob sich wie schwarze Spitze gegen den bernsteinfarbenen Schimmer der untergehenden Sonne ab. Neben der Tür stand ein niedriger Tisch, auf dem ein Eisbehälter mit einer Flasche Rheinwein stand.
»Ich bin Sportlehrer an der Universität«, sagte Somerset. »Und der Samstagabend ist die einzige Zeit, wo ich mir einen Schluck genehmige. Möchten Sie Wein?«
Wexford und Burden nickten, und Somerset holte drei Gläser aus einer Vitrine. Der Rheinwein war eiskalt, würzig und trocken.
»Wirklich sehr freundlich von Ihnen, Mr. Somerset«, sagte Wexford. »Sie entwaffnen mich geradezu. Jetzt traue ich mich kaum noch, Sie zu fragen, ob wir Ihre Fingerabdrücke abnehmen dürfen.«
Somerset lachte. »Aber natürlich. Ich vermute, Sie haben in Bury Cottage die Abdrücke irgendeines großen Unbekannten gefunden, stimmt’s? Das sind dann wahrscheinlich meine, obwohl ich schon seit drei Jahren nicht mehr dort gewesen bin. Die von meinem Vater können es nicht sein. Ich habe das ganze Haus renovieren lassen, nachdem er gestorben ist.« Mit herausfordernder Unschuld spreizte er seine kräftigen, von Arbeit breit gewordenen Hände.
»Wie ich gehört habe, kamen Sie mit Ihrer Kusine nicht besonders gut aus?«
»Na ja«, meinte Somerset. »Also, ehe Sie mich hier vernehmen und mir eine Menge zeitraubender Fragen stellen, ist es wohl besser, ich erzähle Ihnen, was ich über meine Kusine weiß, und liefere Ihnen eine kurze Geschichte unserer Beziehung, ja? Dann können Sie mir hinterher immer noch Fragen stellen.«
Wexford sagte: »Das ist genau das, was wir wollen.«
»Gut.« Somerset hatte die knappe, bündige Art eines guten Lehrers. »Man soll zwar über Tote nicht schlecht reden, aber ich werde in diesem Punkt nicht zimperlich sein, einverstanden? Nicht, daß ich besonders schlecht über Angela reden wollte. Sie tat mir leid. Ich fand, sie war einfach saft- und kraftlos, und ich habe für solche Menschen nicht viel übrig. Ich traf sie zum erstenmal vor fünf Jahren, als sie von Australien herüberkam, ich hatte sie vorher nie gesehen. Aber sie war natürlich meine Kusine, die Tochter vom verstorbenen Bruder meines Vaters. Sie brauchen also nicht Verdacht zu schöpfen, daß sie womöglich eine Schwindlerin gewesen ist.«
»Sie haben zu viele Kriminalromane gelesen, Mr. Somerset.«
»Möglich.« Somerset grinste und fuhr fort: »Sie suchte mich auf, weil ich und mein Vater die einzigen Verwandten waren, die sie hier hatte, und sie sich in London einsam fühlte. Jedenfalls behauptete sie das. Ich nehme an, sie wollte sehen, ob sie irgendwo was für sich herausschlagen konnte. Sie war ein furchtbar habgieriges Mädchen, die arme Angela. Damals kannte sie Robert noch nicht. Als sie ihn kennenlernte, kam sie nicht mehr hierher, und ich hörte nichts mehr von ihr, bis die beiden heiraten wollten und keine Bleibe fanden. Ich hatte ihr geschrieben und ihr den Tod meines Vaters mitgeteilt – worauf sie, nebenbei bemerkt, nicht antwortete –, und nun wollte sie wissen, ob ich ihr und Robert nicht Bury Cottage überlassen könnte.
Na ja, eigentlich hatte ich es verkaufen wollen, aber ich kriegte nicht den Preis, den ich mir vorgestellt hatte, also willigte ich ein und vermietete es an Angela und Robert für fünf Pfund die Woche.«
»Eine sehr niedrige Miete, Mr. Somerset«, unterbrach Wexford ihn, »Sie hätten mindestens doppelt so viel bekommen können.«
Somerset zuckte die Achseln. Ohne zu fragen, füllte er ihre Gläser nach. »Anscheinend waren sie sehr schlecht dran, und schließlich war sie meine Kusine. Ich habe so meine albernen altmodischen Ideen, von wegen daß Blut dicker ist als Wasser, Mr. Wexford, und die kann ich nicht abschütteln. Ich hatte ja nichts dagegen, ihnen das Haus für eine minimale Miete möbliert zu überlassen. Allerdings hatte ich was dagegen, daß Angela mir ihre Stromrechnung zum Bezahlen schickte.«
»Darüber hatten Sie natürlich keine Vereinbarung getroffen?«
»Natürlich nicht. Ich bat sie, herzukommen, um darüber zu reden. Nun ja, sie kam her und leierte mir das alte rührselige Lied vor, das ich von ihr schon kannte, über ihre Armut, ihre schwachen Nerven und ihre unglückliche Jugend mit einer Mutter, die sie nicht auf die Universität gehen lassen wollte. Ich legte ihr nahe, sie solle sich doch einen Job suchen, wenn das Geld bei ihnen so knapp wäre. Sie war schließlich eine ausgebildete Bibliothekarin, und sie hätte leicht eine Stellung in der Bibliothek von Kingsmarkham oder Stowerton finden können. Sie berief sich auf ihren Nervenzusammenbruch, dabei kam sie mir vollkommen gesund vor. Ich glaube, sie war einfach faul. Jedenfalls erklärte sie mir wütend, ich sei ein Geizkragen, und stürmte aus dem Haus. Weder sie noch Robert habe ich bis vor etwa anderthalb Jahren wiedergesehen. Bei dieser Gelegenheit haben sie mich aber nicht bemerkt. Ich war mit einer Bekannten in Pomfret, und ich sah Robert und Angela durch die Fenster eines Restaurants. Es war ein sehr teures Restaurant, und sie schienen sich’s wohl sein zu lassen, also schloß ich, daß es ihnen finanziell wohl um einiges besser gehen müßte.
Tatsächlich sind wir uns nur noch einmal begegnet. Das war im letzten April. Und zwar liefen wir uns in Myringham in dieser überdimensionalen Scheußlichkeit über den Weg, die die Planer so selbstgefällig Einkaufszentrum nennen. Sie waren über und über mit Zeug beladen, das sie gekauft hatten, aber trotz der Tatsache, daß Robert diesen neuen Job gefunden hatte, schienen sie deprimiert. Vielleicht war es ihnen auch bloß peinlich, mir so plötzlich persönlich gegenüberzustehen. Ich habe Angela dann nie wiedergesehen. Sie schrieb mir vor etwa einem Monat, sie würden das Haus aufgeben, sobald sie eine Wohnung in London gefunden hätten, und das wäre wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres.«
»Waren die beiden ein glückliches Paar?« fragte Burden, als Somerset schwieg.
»Sehr, soweit ich das beurteilen konnte.« Somerset stand auf, um die Glastür zu schließen, denn die Dämmerung setzte ein, und ein leichter Wind hatte sich erhoben. »Sie hatten so vieles gemeinsam. Klingt es sehr gehässig, wenn ich sage, das, was sie gemeinsam hatten, waren Verfolgungswahn, Habgier und die fixe Idee, daß die Welt ihnen etwas schuldete? Es tut mir leid, daß sie tot ist, es tut mir immer leid, wenn ich höre, daß jemand auf solche Weise gestorben ist, aber ich kann nicht behaupten, daß ich sie mochte. Männer können von mir aus so linkisch und stur sein, wie sie wollen, aber bei Frauen mag ich doch ein bißchen Charme – Sie nicht auch? Ich will ja nicht übertreiben, aber manchmal dachte ich, Robert und Angela kämen deshalb so gut miteinander aus, weil sie sich in ihrem Mangel an Charme gegen den Rest der Welt verschworen hatten.«
»Sie haben uns sehr geholfen, Mr. Somerset«, sagte Wexford, mehr der Form halber als aus Überzeugung. Somerset hatte ihm zwar vieles erzählt, was ihm neu war, aber hatte er ihm irgend etwas Wesentliches erzählt? »Ich bin überzeugt, Sie verstehen es nicht falsch, wenn ich Sie frage, was Sie gestern nachmittag gemacht haben?«
Er hätte schwören können, daß der Mann stutzte. Es war, als hätte er sich bereits zurechtgelegt, was er antworten wolle, müsse sich aber doch aufraffen, diese Antwort zu geben. »Ich war allein hier. Ich habe mir gestern den Nachmittag freigenommen, um alles für die Heimkehr meiner Frau vorzubereiten. Ich war leider ganz allein und habe keinen Besuch gehabt, also kann das auch niemand bezeugen.«
»Na schön«, meinte Wexford, »das ist nicht zu ändern. Wissen Sie vielleicht, was für Freundinnen Ihre Kusine hatte?«
»Überhaupt keine. Nach ihrer Darstellung jedenfalls hatte sie keinerlei Freunde. Alle Leute außer Robert, die sie kennengelernt hätte, seien gemein zu ihr gewesen, sagte sie, also bedeuteten neue Freunde nur neue Enttäuschungen.« Somerset trank sein Glas aus. »Noch einen Schluck Wein?«
»Nein, vielen Dank. Wir haben Ihnen schon genug von Ihrer Samstagabendration weggetrunken.«
Somerset reagierte mit seinem angenehmen, freien Lächeln. »Ich bringe Sie zur Tür.«
Als sie in die Diele traten, ertönte von oben eine weinerliche Stimme: »Marky, Marky, wo bist du?«
Somerset zuckte zusammen, vielleicht nur wegen des scheußlichen Diminutivs. Aber Blut ist dicker als Wasser, und Mann und Frau sind eins. Er trat an den Fuß der Treppe und rief hinauf, er käme gleich, dann öffnete er die Haustür. Wexford und Burden wünschten schnell guten Abend, denn die Stimme von oben war in ein dünnes, ungeduldiges Jammern ausgebrochen.
Am nächsten Morgen fuhr Wexford, wie versprochen, erneut zum Bury Cottage. Er hatte zwar Neuigkeiten für Robert Hathall, von denen er einige selbst gerade erst erfahren hatte, aber er war nicht gewillt, dem Witwer das zu erzählen, was dieser am dringendsten wissen wollte.
Mrs. Hathall ließ ihn ein und sagte, ihr Sohn schlafe noch. Sie führte ihn ins Wohnzimmer und bat ihn, dort zu warten, aber sie bot ihm weder Tee noch Kaffee an. Sie war wohl eine der Frauen, die nie oder nur höchst selten jemandem eine Erfrischung anboten, wenn er nicht zur eigenen Familie gehörte. Sie waren schon eine merkwürdige, verschlossene Sippe, diese Hathalls, deren Distanziertheit anscheinend auch die Leute ansteckte, die sie heirateten, denn als er Mrs. Hathall fragte, ob Angelas Vorgängerin je hier im Haus gewesen sei, antwortete sie: »Dazu hätte sich Eileen nie herabgelassen. Sie bleibt lieber für sich.«
»Und Rosemary, Ihre Enkeltochter?«
»Rosemary war einmal hier; und das eine Mal war genug. Die hat sowieso viel zuviel für ihre Schule zu tun, um sich groß herumtreiben zu können.«
»Würden Sie mir bitte die Adresse von Mrs. Eileen Hathall geben?«
Mrs. Hathalls Gesicht wurde so rot wie das ihres Sohnes, so rot wie die faltige Haut eines Truthahnhalses. »Nein, das werde ich nicht! Sie haben mit Eileen nichts zu schaffen. Finden Sie sie gefälligst selbst raus!« Sie knallte die Tür hinter sich zu, und er war allein.
Es war das erste Mal, daß er hier drinnen allein war, also nutzte er die Wartezeit, sich ein wenig umzusehen. Das Mobiliar, das er für Angelas gehalten und wofür er ihr insgeheim Geschmack bescheinigt hatte, gehörte also in Wirklichkeit Somerset, war vielleicht das Resultat lebenslanger Sammlertätigkeit seines Vaters. Es waren die schönsten spätviktorianischen Stücke, einige davon noch älter, Stühle mit gedrechselten Beinen, ein eleganter, kleiner, ovaler Tisch. Am Fenster eine Öllampe aus rotem und weißem venezianischen Glas, die nie auf Elektrizität umgerüstet worden war. Ein Bücherschrank mit Glastüren enthielt größtenteils die Art Werke, die ein alter Mann wohl sammelte und liebte: Eine Gesamtausgabe von Kipling, in rotes Leder gebunden, einiges von H.G. Wells, Gosses ›Vater und Sohn‹, ein bißchen Ruskin und eine Menge Trollope. Aber ganz oben, wo sich früher vielleicht ein Ornament befunden hatte, standen Hathalls eigene Bücher. Ein halbes Dutzend Thriller in Taschenbuchausgabe, zwei oder drei Werke über ›populäre‹ Archäologie, ein paar Romane, die bei ihrem Erscheinen wegen ihres sexuellen Inhalts heftige Kontroversen ausgelöst hatten, und außerdem noch zwei schön gebundene, imposante Bände.
Wexford nahm den einen davon herunter. Es war ein farbiger Bildband über altägyptischen Schmuck. Er enthielt außer den Bildunterschriften kaum Text und trug im Innendeckel ein Etikett, das ihn als Eigentum der Bibliothek der National Archaeologists’ League auswies. Gestohlen also, und zwar von Angela. Aber Bücher gehören wie Schirme, Kugelschreiber und Streichholzschachteln zu einer Kategorie von Objekten, deren Diebstahl als läßliche Sünde gilt, und Wexford dachte nicht weiter darüber nach. Er stellte es zurück und griff sich das letzte in der Reihe. Sein Titel lautete ›Von Menschen und Engeln – Eine Studie altenglischer Sprachen‹, und als er es aufschlug, merkte er, daß es ein sehr wissenschaftliches Werk war mit Kapiteln über die Ursprünge des Walisischen, des Ersischen, des schottischen Gälisch sowie des Kornischen und über ihre gemeinsame keltische Abstammung. Der Preis betrug fast sechs Pfund, und er fragte sich, wieso Leute, die so arm waren, wie die Hathalls es von sich behaupteten, so viel Geld ausgaben für etwas, das ihren Verstand gewiß genauso überstieg wie seinen eigenen.
Er hatte das Buch noch in der Hand, als Hathall ins Zimmer trat. Er sah, wie der Mann argwöhnisch den Blick darauf heftete, um ihn dann abrupt abzuwenden.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie ein Student der keltischen Sprachen sind, Mr. Hathall«, sagte er wohlgelaunt.
»Das war Angela. Ich weiß nicht, woher das stammt, aber sie hatte es schon seit einer Ewigkeit.«
»Merkwürdig, wo es doch erst in diesem Jahr herausgekommen ist. Aber ist ja egal. Ich dachte, es interessiert Sie, daß man Ihren Wagen gefunden hat. Er ist in London abgestellt worden, in einer Seitenstraße in der Nähe der Wood Green Station. Kennen Sie sich aus in diesem Bezirk?«
»Bin nie dort gewesen.« Hathalls Blick kehrte angelegentlich und mit einer Art widerwilliger Faszination oder sogar mit Besorgnis zu dem Buch zurück, das Wexford noch immer in der Hand hielt. Und genau aus diesem Grund beschloß Wexford, es auch weiterhin in der Hand zu behalten und auch nicht den Finger herauszuziehen, den er aufs Geratewohl zwischen die Seiten gelegt hatte, als wolle er eine Stelle markieren. »Wann bekomme ich es wieder?«
»In zwei, drei Tagen. Wenn wir es uns genau angesehen haben.«
»Sie meinen wohl, auf die berühmten Fingerabdrücke hin untersucht haben, auf die Sie immer so scharf sind, was?«
»Bin ich das, Mr. Hathall? Schieben Sie mir da nicht Ihre eigenen Gefühle unter?« Wexford blickte ihn ausdruckslos an. O nein, er würde die Neugier dieses Mannes nicht befriedigen, obgleich schwer zu sagen war, worauf Hathall am meisten aus war: auf die Mitteilung, was die Fingerabdrücke ergeben hatten? Oder darauf, daß er dieses Buch gleichgültig weglegte, als sei es ohne Bedeutung? »Sie sollten aufhören, sich um Untersuchungen zu kümmern, die nur wir durchführen können. Vielleicht erleichtert es Sie ein wenig, wenn ich Ihnen berichte, daß Ihre Frau nicht sexuell mißbraucht worden ist.« Er wartete auf ein Anzeichen der Erleichterung, aber er sah nur, wie jene Augen mit dem rötlichen Schimmer erneut einen hastigen Blick auf das Buch warfen. Ebensowenig reagierte Hathall, als Wexford sich zum Gehen anschickte und sagte: »Ihre Frau war sehr schnell tot, in weniger als fünfzehn Sekunden. Es ist möglich, daß sie kaum gemerkt hat, was mit ihr geschah.«
Er stand auf, zog den Finger aus den Seiten des Buches und legte eine Klappe des Schutzumschlages dorthin, wo er gesteckt hatte. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mir das hier für ein paar Tage ausleihe, nicht wahr?« sagte er, und Hathall zuckte nur stumm mit den Schultern.