|445|SECHZEHNTES KAPITEL

Vier Tage vor dem für die Ausführung festgesetzten Datum trat etwas völlig Unerwartetes ein: Richelieus Schwager, Monsieur Pont de Courlay, suchte Monsieur de Luynes auf und teilte ihm vertraulich mit, Richelieu »sähe viele Dinge, die nicht seien, wie sie sein sollten, und die Seine Majestät nicht zufriedenstellen könnten. Wenn Seine Majestät geruhen wolle, ihn als einen seiner Minister zu betrachten, gäbe es nichts, sei es in seinem Amt, sei es in anderen Angelegenheiten, die ihm zu Ohren kämen, worüber er ihm nicht eine getreue Einschätzung geben würde

Dieses Ereignis stiftete in unserem geheimen Rat einige Verwirrung und wurde auf ganz entgegengesetzte Weise gedeutet. Die einen waren beunruhigt und fragten sich, ob Richelieu irgendwie Wind von unserem Komplott bekommen hatte. Die anderen, so Luynes, meinten, Richelieu hätte diese Initiative nicht ergriffen, wenn Concini jene mörderischen Pläne gegen den König hegen würde, die wir ihm unterstellten. Und wie nicht anders zu erwarten, folgerte Luynes daraus, daß man Concinis Festnahme verschieben sollte. Kaum hatte er ausgesprochen, rüffelte ihn Ludwig, bleich vor Zorn: an dem festgesetzten Datum werde nichts geändert. Ein Aufschub hieße, Vitrys Vertrauen in unsere Entschlossenheit zu erschüttern.

Aus Richelieus eigenem Munde erfuhr ich später, daß er tatsächlich nichts wußte, weder was sich von Ludwigs Seite gegen Concini zusammenbraute noch was von Concinis Seite gegen den König. Es war einfach so, daß er damals Minister in halber Ungnade war, so gut wie abgedankt, von Concini übel behandelt, beleidigt und verleumdet; und da er die Tollheiten des Marschalls aus der Nähe beobachten konnte, sah er im übrigen schwarz für dessen Zukunft und hielt verzweifelt nach einem Strohhalm Ausschau, an den er sich klammern konnte, |446|denn auf dem Ast, auf dem er sich niedergelassen hatte, fühlte er sich inzwischen höchst unbehaglich; er konnte jede Minute abbrechen und ihn mit sich in die Tiefe reißen: was auch todsicher geschehen wäre, hätte er nicht im letzten Moment – und gewissermaßen blindlings – daran gedacht, dem König mit der Schnabelspitze diesen Ölzweig zu reichen. Das entschied sein Schicksal.

Am neunzehnten April beauftragte Richelieu seinen Schwager, Luynes jene Botschaft zu überbringen. Noch vier Tage trennten uns von dem Datum, an dem Concini zur Strecke gebracht werden sollte. Nun war es seit dem ersten des Monats so, daß der Himmel von früh bis spät und von Abend bis Morgen nichts wie Regen schüttete, immer war er von unzähligen Wolken verdüstert, den ganzen Tag brach kein Sonnenstrahl durch. Es war geradezu, als grollte die Natur dem Menschengeschlecht und verhängte zur Strafe dieses erdrückende Halbdunkel eines Weltenendes, diese pestilenzialischen Nebeldünste über unsere armen Häupter und dieses unablässige Striemen und Prasseln ihrer Sintflut. Fast wären mir, glaube ich, Blitz, Hagel und Donner lieber gewesen als dieser ewige Regen, der endlos gegen Dächer und Scheiben trommelte und in uns sonderbare Ängste und Befürchtungen erregte.

Wie ich vom jungen Berlinghen hörte – und er mußte es wissen, denn er war dann viel auf den Beinen –, schlief der König in diesen vier Nächten nicht, oder wenn er einschlummerte, erwachte er mit Schreien, sicherlich, weil er in seinem fiebrigen Kopf dieselben schrecklichen Gedanken wälzte. Weil er morgens »nicht wußte, was er Héroard sagen sollte«, wie er mir später anvertraute, gab er sich Mühe, froh und munter zu erscheinen, und Héroard verzeichnete sein »gutes Aussehen« denn auch gewissenhaft in seinem Tagebuch. Für den Rest des Tages widmete sich Ludwig mit undurchdringlicher Miene seinen knabenhaften Beschäftigungen.

Dieses Wort des Königs (daß er nicht wußte, was er Héroard sagen sollte) brachte mich auf den Gedanken, daß er, so unwahrscheinlich dies auch anmuten mag, Héroard vielleicht deshalb nicht in das Komplott eingeweiht hatte, weil Héroard von all seinen Dienern am meisten überwacht wurde und folglich das schwächste Glied in der Kette war.

Endlich brach der dreiundzwanzigste April an, sofern man |447|von anbrechen sprechen kann, denn er war genauso düster und verregnet wie alle vorherigen seit Anfang des Monats. Da Concini zwischen neun und zehn Uhr morgens in den Louvre zu kommen pflegte, hatte man Dubuisson am Seinekai gegenüber seinem Haus postiert, damit er, sowie er den Marschall heraustreten sähe, eilen und Vitry seine Ankunft melden konnte, der mit seinen Männern zu zweit oder zu dritt im Hof des Louvre auf und ab ging, die geladenen Pistolen unterm Mantel. Ebenso sollte sofort der König benachrichtigt werden, der einen Pagen zu Concini schicken würde, um auszurichten, daß Seine Majestät ihn im Waffenkabinett erwarte.

An diesem Morgen nun begab sich Ludwig um halb neun Uhr in die Kleine Galerie und begann Billard zu spielen, und als ich ihm dort um neun Uhr meine Aufwartung machte, bat er, ich möge ihm Gesellschaft leisten, was ich auch tat, obwohl mein Spiel mit dem seinen bestimmt nicht mithalten konnte. Ausnahmsweise konnte es das an jenem Tag. Ich spielte zwar nicht besser als sonst, aber Ludwig spielte sehr viel schlechter. Nicht, daß seine Hand gezittert hätte, doch er zielte nicht sorgfältig genug und kalkulierte auch nicht genau genug den Effet, den er seiner Kugel geben mußte, damit sie die beiden anderen berührte. Außerdem blickte er alle Viertelstunde auf seine Uhr, die er diesmal am Halsband trug, wie es Mode war. Aber der Regen fiel unaufhörlich mit erschlagender Monotonie, und während wir spielten, reizte sein ewiges Geplätscher die Nerven aufs äußerste. Mein Lebtag habe ich nie so lange Billard gespielt, noch so lustlos. Schließlich läutete das Glockenspiel der Samaritaine vom Pont Neuf trübe zu Mittag, Ludwig warf das Queue auf das grüne Tuch und murmelte zwischen den Zähnen: »Er kommt nicht. Gehen wir zur Messe.« Und er nahm den Weg zur Kapelle des Hôtel du Petit Bourbon, ich hinter ihm.

Die Messe ging zu Ende, als Dubuisson kam und ihm zuraunte, daß Concini soeben im Louvre eingetroffen sei und die große Treppe zur Königinmutter hinaufsteige. Der König schickte sogleich einen Boten, um ihn ins Waffenkabinett einzuladen, doch während der Bote die große Treppe im Laufschritt erstieg, ging Concini schon über die kleine Wendeltreppe wieder hinunter, verließ den Louvre und fuhr nach Haus. Die Sache war fehlgeschlagen.

|448|Am Nachmittag versammelte sich der geheime Rat bei Luynes, und da nun tat sich Vitry durch seine fabelhaft genaue Beobachtung der Umstände hervor.

»Sire«, sagte er mit seiner rauhen Stimme, die er vergeblich zu geschmeidigen versuchte, »wir müssen den Plan ändern. Er ist zu schwierig. Auf Mittag kam Concini durch die Porte de Bourbon in den Louvre, er ging ein paar Fuß an uns vorbei, wir hätten ihn festnehmen können. Aber was hinderte uns? Der Plan. Da mußte Dubuisson erst Euch unterrichten, damit Ihr, Sire, Concini durch den Boten in die Waffenkammer bestellen konntet. Diesmal hat ihn der Bote verfehlt. Aber nehmen wir an, Sire, daß er ihn morgen antrifft und Eure Einladung übermitteln kann. Seid Ihr sicher, daß Concini sich darauf einläßt? Ich glaube nicht! Wird ihm nicht einfallen, daß auf die Art der Prinz Condé verhaftet wurde: indem man ihn in die Gemächer der Königinmutter bat? Wie soll Concini nicht wissen, Sire, daß Ihr ihn nicht liebt? Schließlich weiß es der ganze Hof. Zuerst wird er über Eure Einladung sicher hocherstaunt sein, aber gerade, weil sie liebenswürdig ist, wird sie ihn mißtrauisch machen, und er kommt nicht, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Es kann sogar sein, daß er, wenn er gegen Euch etwas vorhat, so erschrickt, daß er die Ausführung seiner Pläne beschleunigt.«

Ludwig saß gesammelt, die Hände auf den Knien und die schönen schwarzen Augen auf Vitry gerichtet, und lauschte aufmerksam dieser energischen Rede. Dann sagte er: »Ihr habt recht. Und wo Ihr recht habt, muß man es bedenken. Monsieur de Vitry, was schlagt Ihr vor?«

* * *

Schöne Leserin, wenn Sie in einer unserer schönen Provinzen leben und noch nie den Fuß in den Louvre gesetzt haben, können Sie Vitrys Plan nur verstehen, wenn Sie wissen, wie man in den Palast gelangt. Natürlich könnte ich Sie bitten, es auf den ersten Seiten des siebenten Kapitels dieser Memoiren nachzulesen. Weil ich Sie aber keineswegs verärgern will, möchte ich Ihnen die wenn auch geringe Mühe ersparen, zurückzublättern, und Ihnen kurz darlegen, wie es damit steht.

|449|Man betritt den Louvre durch die sogenannte ›Große Porte de Bourbon‹, die zwischen zwei dicken runden, altertümlichen Wehrtürmen liegt. Werden Ihnen die Flügel der Großen Porte de Bourbon aufgetan – und ihr greuliches Quietschen wird Ihre hübschen Ohren foltern –, befinden Sie sich auf einer feststehenden Holzbrücke, ›schlafende Brücke‹ genannt (so geheißen, laut La Surie, weil sie nicht geweckt werden kann, um sich zu erheben). Diese Brücke ist fünf Meter breit und überspannt den Wehrgraben – ein ekliges schwärzliches Wasser, vor dem die beiden Brückengeländer Sie schützen. Wenn Sie Ihren Weg fortsetzen wollen, müssen Sie über zwei nebeneinanderliegende Zugbrücken, eine breite oder eine schmale. Die breite, die aber nur breit genug für eine Karosse ist, führt Sie durch einen gewölbten Torweg wiederum vor ein Kutschentor und eine Fußgängerpforte. Diese nun erlaubt als einzige, die Ankommenden einzeln zu kontrollieren, und heißt darum der ›Schalter‹; Sie gelangen zu ihm auch über die schmale Hängebrücke, die man das ›Brettchen‹ nennt. Wenn Sie zu Fuß sind und das Kutschentor geschlossen ist, kommen Sie über das ›Brettchen‹ zum ›Schalter‹, den Ihnen der Gardehauptmann auf Ihr schönes und gutes Gesicht hin sicherlich öffnet.

* * *

Hier nun der Plan, den Vitry dem König entwickelte: Bevor Concini am Louvre eintrifft, wird das Kutschentor im Torweg geschlossen, nur der ›Schalter‹ bleibt offen. Und sowie Concini über die ›schlafende Brücke‹ hereingekommen ist, schließt man hinter ihm die Porte de Bourbon, so daß er von seinem Gefolge getrennt ist. Nun befindet er sich zwar nicht in einer Mausefalle, weil ja der ›Schalter‹ offen bleibt, aber auf schmalem Raum, wo diejenigen seines Gefolges, die gleichzeitig mit ihm auf die ›schlafende Brücke‹ gelangt sind, sich ziemlich dicht beieinander bewegen. Selbst wenn es mehr sein sollten als die zwanzig Mann, über die Vitry verfügt, bleibt ihnen kaum Platz, den Degen zu ziehen, was ihnen gegen die Pistolen der Angreifer außerdem wenig nützen würde.

Keiner von uns erhob Einspruch gegen diesen neuen Plan, so lückenlos dünkte er uns. Und hätte es uns gejuckt, ihn zu bestreiten, hätten wir es doch nicht gekonnt, denn kaum hatte |450|Vitry ihn dargestellt, billigte ihn der König auch schon entschieden und nannte ihn vortrefflich in allen dargelegten Punkten.

Nun hieß es nur noch warten. Und Gott weiß, wie lang uns dieses Warten wurde – den ganzen übrigen Nachmittag, und die Nacht, und den nächsten Morgen. Seltsamerweise, und dies erschien uns wie ein gutes Omen – denn in jedem Vorhaben, das einem am Herzen liegt, wird man ungewollt abergläubisch –, setzte am Montag, dem vierundzwanzigsten April, der Regen, der seit dem Ersten des Monats ununterbrochen niedergegangen war, plötzlich aus, so daß es uns verwunderte, sein greuliches Geplätscher nicht mehr zu hören.

Vitry, ein schlichter, ganz der Tat gehöriger Mann, freute sich ebenfalls, daß der Regen aufgehört hatte, aber aus einem praktischen Grund: wenn die Zündschlösser nicht feucht wurden, feuerten die Pistolen schneller. Und er ergriff verschiedene Maßnahmen, die zeigten, daß ein Kriegsmann alles bedenken muß, auch das Unvorhersehbare. Anstatt seine Befehle, die Porte de Bourbon betreffend, durch einen Gardisten an Monsieur de Corneillan überbringen zu lassen, der sie womöglich falsch oder mißverständlich ausrichtete, machte er sich die Mühe, den Edelmann selbst aufzusuchen.

Die Große Porte de Bourbon konnte tatsächlich von den Schützen der Vogtei nur auf ausdrücklichen Befehl des Torhauptmanns oder seines Leutnants geöffnet oder geschlossen werden, der wiederum nichts ohne Abstimmung mit dem Gardehauptmann tun konnte, in diesem Fall Monsieur de Vitry. Da an diesem vierundzwanzigsten April Monsieur de Corneillan in Stellvertretung seines Hauptmanns Dienst tat, erhielt er also direkt aus Vitrys Mund den Befehl, an der Porte de Bourbon strenge Wacht zu halten, bis der Marschall von Ancre erscheinen würde, und besagtes Tor unmittelbar nach seinem Eintritt zu schließen, mochten die Draußengebliebenen auch noch so schimpfen.

Dann begab sich Vitry in den Oberstock, in den großen Saal des Louvre, und befahl den Schweizern, die dort Ehrenwache hielten, zur Verstärkung ihrer Kameraden in den sogenannten Saal der Schweizer hinunterzuziehen. Hierauf ging er zu Monsieur de Fourilles, dem diensthabenden Hauptmann der französischen Gardekompanie, und gab ihm Anweisung, sich |451|auf der anderen Seite des Louvre, im Küchenhof, in Reserve und unter Waffen zu halten.

Schließlich kam er zurück in den Wachraum und wartete, von der Tür aus immer den ›Schalter‹ im Auge, durch den Dubuisson, der wie zuvor unweit von Concinis Haus wachte, eintreffen und dessen Ankunft melden sollte.

Wie wir später von Vitry erfuhren, hatte er sich frisch und munter gefühlt, solange er seine Instruktionen gab. Doch als er jetzt nur noch warten konnte, mal auf einer Truhe hockte, mal durch den Raum auf und ab schritt, mal vor der Tür stand und immer nach dem ›Schalter‹ starrte, verspürte er ein beschämendes Reißen im Bauch. Aber weil ihm einfiel, daß Henri Quatre, wie er von seinem Vater wußte, vor jeder siegreichen Schlacht von einem solchen Leibgrimmen erfaßt wurde, über das er sich weidlich selbst lustig machte, beruhigte sich Vitry damit, daß diese Plagen wohl auch ihm den Erfolg seiner Unternehmung verhießen.

Um Schlag zehn Uhr wurde ihm gemeldet, daß Concini sein Haus verlassen habe. Vitry drückte seinen Hut in die Stirn, griff seinen Befehlsstab, trat aus dem Wachraum und gab den Verschworenen ein Zeichen, an seine Seite zu eilen. Während er mit großen Schritten zum ›Schalter‹ ging, hörte er erleichtert, wie im selben Moment die Flügel des großen Tores kreischten, die sich auf Corneillans Befehl hin schlossen. Concini war also in dieser Minute auf der ›schlafenden Brücke‹ und konnte nicht mehr zurück.

Hier tauchte eine Schwierigkeit auf, die sogar Vitry nicht vorbedacht hatte: da das Kutschentor im gewölbten Torweg geschlossen war und nur der ›Schalter‹ offen blieb, mußten er und seine Gefährten durch den ›Schalter‹ und über das anschließende ›Brettchen‹ gehen, um auf die ›schlafende Brücke‹ zu gelangen. Das heißt, sie mußten zur gleichen Zeit denselben Weg nehmen wie Concini und seine Leute, nur in umgekehrter Richtung. Doch weil ›Schalter‹ und ›Brettchen‹ so schmal waren, kamen zwei sich kreuzende Personen dort kaum aneinander vorbei.

Hinzu kam noch etwas: Vitry war am Hof sehr bekannt und beliebt, und jeder, der ihm begegnete, wollte ihn begrüßen, umarmen und mit ihm schwatzen. Und allen schrie Vitry, um seine fiebrige Ungeduld zu verbergen, lauthals zu: »Euer Diener! |452|Euer Diener! Laßt mich vorbei! Laßt mich vorbei! Ich hab zu tun!« Und als er endlich auf die ›schlafende Brücke‹ kam, war er vor Zorn so blind, daß er an Concini vorüberlief, ohne ihn zu sehen.

Allerdings hielt Concini den Kopf gesenkt, weil er in die Lektüre eines Bittschreibens vertieft war, und ging langsam am rechten Geländer der ›schlafenden Brücke‹ entlang. Der Verfasser dieses Briefes, Monsieur de Cauvigny, folgte ihm auf drei Schritt Abstand, und als Vitry Cauvigny fragte: »Wo ist der Marschall?«, zeigte der mit dem Finger auf ihn und sagte: »Da ist er doch!«

Vitry schwenkte kehrtum, packte Concini jäh am linken Arm und schrie: »Im Namen des Königs, ich verhafte Euch!«

»A me!« rief Concini, indem er mit einem Satz ans Geländer zurückwich und nach seinem Degen griff.

»Ja, Euch!« schrie Vitry, der nur darauf gewartet hatte, und während er Concini mit seiner Pranke gegen das Geländer drückte, gab er den Verschworenen das vereinbarte Zeichen.

Fünf Pistolenschüsse hallten gleichzeitig. Concini sank ohne einen Schrei auf die Knie, aber nicht zu Boden, denn das Geländer stützte seinen Rücken. Weil diese Haltung ihm noch den Anschein von Leben gab, durchbohrten ihn die Verschworenen mit Dolch und Degen, während Vitry wie besessen schrie: »Im Namen des Königs!«, um Concinis Gefolge im Zaum zu halten, das aber zu verdattert war, um einzugreifen. Das eine Wort ›König‹ genügte, sie in Schrecken zu bannen. Nur Monsieur de Saint-Georges zog halb seinen Degen, aber als er sich damit allein sah, steckte er ihn wieder ein. Concinis entstelltes, blutiges Gesicht war schwarz vom Pulverdampf, von so nahe hatten ihn die Schüsse getroffen. Gereizt, daß der Leichnam immer noch saß, stieß Vitry ihn mit dem Fuß an. Er rollte seitwärts und fiel mit dem Gesicht auf die schmutzigen Planken der ›schlafenden Brücke‹. Bei diesem Fall löste sich eine Galosche, die Concini zum Schutz vorm Kot über seine Stiefel gezogen hatte, glitt unterm Brückengeländer hindurch und fiel in den Wehrgraben. Da sie mit der Sohle zuunterst gefallen war, sank sie nicht gleich, sondern trieb noch eine Weile auf dem schwärzlichen Wasser.

* * *

|453|Nachdem ich dies alles im Vertrauen auf die Berichte der Beteiligten erzählt habe, möchte ich, daß Sie, mein Leser, mich noch einmal ein paar Stunden zurückbegleiten: nämlich als ich um sieben Uhr früh zerschlagen, wenn ich so sagen darf, nach schlafloser Nacht den Weg zu den königlichen Gemächern nahm, weil ich mir denken konnte, wie bang und lang dieser Morgen des vierundzwanzigsten April für Ludwig werden würde.

Im Vorzimmer traf ich auf den jungen Berlinghen, der völlig angekleidet auf einem Schemel schlief.

»Was macht Ihr hier?« fragte ich und rüttelte ihn.

»Seine Majestät hat mich heute nacht aus seiner Kammer geschickt: ich habe zu laut geschnarcht.« Und mit seiner üblichen Einfalt setzte er hinzu: »Das kommt davon, wenn man einen Herrn hat, der schlecht schläft: er hört einen.«

»Schläft er so schlecht?«

Berlinghens lockiger Blondkopf nickte.

»Und das Schlimme ist, wenn er schon mal schläft, dann redet er im Schlaf. Wahr und wahrhaftig, wenn er nicht der König wär, würde ich sagen, er stört mich.«

»Woran merkt Ihr, daß er im Schlaf spricht?«

»Die Stimme klingt anders.«

In dem Moment hörte man besagte Stimme aus dem Schlafgemach, aber es war nicht die eines Schläfers, sondern die gebieterische und ungeduldige eines sehr wachen jungen Mannes.

»Berlinghen, wer ist da?«

»Monsieur de Siorac, Sire.«

»Berlinghen, geh Monsieur de Luynes und Doktor Héroard holen, sie sollen gleich eintreten, Monsieur de Siorac auch.«

»Sofort, Sire«, sagte Berlinghen, der aber keine Anstalten machte, sich von seinem Schemel zu erheben.

»Hörst du nicht! Lauf!«

»Ja, Sire«, sagte Berlinghen und ließ seinen Schemel absichtlich umfallen, als er sich auf die Füße stellte, um durch den Lärm zu zeigen, wie geflissentlich er seinem Herrn gehorchte. Aber nach zwei Schritten durchs Vorzimmer fiel er in seinen schlürfenden Gang zurück.

Ich hatte nach dem Aufstehen nicht frühstücken können, Magen und Kehle waren mir wie zugeschnürt, und nun fühlte |454|ich mich ein bißchen schlapp, mit weichen Knien und nebligem Kopf. Ich hob den Schemel auf und setzte mich, stützte den Kopf in die Hände und dachte an meine Gräfin und meinen Vater, denen ich kein Sterbenswörtchen von unserem Vorhaben verraten hatte. Ich fragte mich, ob ich sie jemals wiedersehen würde, ob ich nicht meine letzten Stunden in Freiheit erlebte, vielleicht meine letzten überhaupt, denn wenn unser Plan scheiterte, würde Concini gnadenlos Rache nehmen, soviel war mir klar. Und während ich daran dachte, wurde mir dies, wer weiß wieso, überaus wahrscheinlich: ich sah mich schon mit dem Kopf auf dem Richtblock, Schweiß rann mir den Rücken hinab, und ich schwebte, wenn auch halb duselnd, in Todesängsten, als Déagéant eintrat.

»Herr Chevalier!« sagte er, »Ihr schlaft! Ihr könnt schlafen mitten in höchster Gefahr? Ach ja, jung und unbekümmert müßte man sein!«

Ich war so froh, daß Déagéant sich in dem Maße über mich täuschte, daß ich aufsprang und ihm einfach um den Hals fiel. Bescheiden und seines Ranges peinlich eingedenk, wie er war, überraschte ihn meine Herablassung, trotzdem erwiderte er meine Umarmung, die er, wette ich, meiner Jugend ebenso zugute hielt wie die Sorglosigkeit, die er mir zuschrieb.

»Sioac«, rief die Stimme des Königs, »wer ist da?«

»Monsieur Déagéant, Sire.«

»Er soll mit eintreten, wenn Luynes und Héroard da sind.«

»Ja, Sire.«

Wie jedesmal, wenn Ludwig mich wie in seiner Kinderzeit ›Sioac‹ nannte, erbebte ich vor großer Liebe zu ihm und verspürte einige Scham, an Bastille und Schafott gedacht zu haben, während ich doch mein Leben im Vergleich zu dem meines Königs für gering hätte achten müssen.

Endlich kamen Monsieur de Luynes und der Doktor Héroard, der, mittlerweile bejahrt und wohlbeleibt, im Gefühl seines bedeutenden Amtes mit einer Langsamkeit einige Schritte hinter jenem zurückblieb, deren Würde mir nicht entging. Héroard genoß das Hochgefühl und ließ es uns spüren, daß die ersten Minuten nach dem Erwachen des Königs ausschließlich ihm gehörten, während Luynes, Déagéant und ich schweigend den Baldachin umstanden und ihn ernst wie ein Priester amtieren sahen.

|455|Héroard begann den Urin zu beschauen, den die königliche Blase leise von sich gegeben hatte, und erklärte: »Hellgelb und in ausreichender Menge«. Dann faßte er Ludwigs Handgelenk, zog aus der in seinen Ärmel eingenähten Tasche einen dicken Chronometer und maß seinen Puls, den er nicht ohne eine Spur von Feierlichkeit als »volltönend, gleichmäßig und in geregeltem Abstand« bezeichnete. Als er seine Uhr wieder eingesteckt hatte, legte er seine Hand auf die Stirn des Königs, und nachdem er sie einige Sekunden dort gelassen hatte, zog er sie weg und nannte die »Wärme mild«. Endlich betrachtete er Ludwigs Züge eine volle Minute und schloß, ohne von seinem unpersönlichen Ernst abzuweichen: »Das Aussehen ist gut und die Miene heiter.«

Eine Erklärung, die mich erstaunte, denn ich fand dasselbe Gesicht blaß, unausgeruht und gespannt, wie es auch ganz natürlich war bei einem Knaben von fünfzehneinhalb, der vier Nächte kaum ein Auge zugetan hatte und sein Leben in einem so ungewissen Abenteuer aufs Spiel setzte. Während ich dies dachte, sagte Héroard, er sei fertig, die Diener könnten Seine Majestät jetzt kämmen. Im Gegensatz zu meinen ersten Gedanken kam ich jedoch zu dem Schluß, daß Héroard über unsere Unternehmung Bescheid wußte, daß aber der König ihn gebeten hatte, sich davon nichts anmerken zu lassen. Deshalb also gab er vor uns die falschen Feststellungen über das gute Aussehen des Königs ab, die er in Kürze der Königinmutter zu vermelden hatte und die darauf abzielten, ihr Mißtrauen einzulullen.

Nachdem der König gekämmt und angekleidet war und gebetet hatte, nahm er ein ganz leichtes Frühstück zu sich, dann begab er sich mit Luynes, Déagéant und mir in die Kleine Galerie, wo er versuchte, seine Erwartung abermals beim Billard abzulenken. Er forderte Luynes, der ein sehr guter Spieler war, zur Partie mit ihm auf. Luynes, der mit vorgetäuschtem Eifer annahm, wünschte sich wahrscheinlich zwanzig Meilen weit weg und mit einem starken, schnellen Gaul zwischen den Beinen. Jedenfalls vollbrachte er an jenem Tag keine Wunder, seine Hand war zu unsicher. Die von Ludwig zitterte zwar nicht, aber zwischen zwei Stößen brauchte er endlos lange, wenn er abwesenden Blickes die Spitze seines Queues mit Kreide einrieb. Schließlich wurde er die Zerstreuung leid, die |456|ihn so wenig zerstreute, und rief Descluseaux, damit er die Tür des Waffenkabinetts im Oberstock aufschließe.

Der Anblick seiner schönen blanken Waffen in den Ständern schien ihm wohlzutun, und er liebkoste sie mit Augen und Hand, dann ließ er sich von Descluseaux seine ›dicke Vitry‹ auf den Tisch legen: so nannte er, der Leser wird sich erinnern, eine prächtige Muskete, die als das derzeit beste Erzeugnis der Waffenkunst galt. Es war ein Luntengewehr, das über hundert Fuß reichte und mit fabelhafter Genauigkeit traf. Ludwig nahm die Waffe auseinander, putzte sorgsam ihre Teile, setzte sie mit seinem üblichen Geschick wieder zusammen. Dann lud er sie, ohne aber die Lunte schon zu entzünden, und übergab sie Descluseaux. Hierauf ging er, von uns gefolgt, in sein Gemach hinunter, wo er sich auf einen Schemel setzte und stumm und still, die Augen am Boden, sitzen blieb. Kurze Zeit später stand er auf und befahl Berlinghen, ihm seinen Degen umzugürten. Dann marschierte er auf und ab durch den Raum, wobei er gerade und sehr entschlossen vor sich hin blickte.

Gegen halb elf Uhr geschah etwas so Unerhörtes, daß ich es noch heutigen Tages kaum glauben kann, obwohl ich dessen Zeuge war. Ein Mensch, den niemand am Hof kannte und den nachher auch niemand wiedersah – doch was sage ich, ein Mensch? ein Hanswurst, ein Verrückter, ein Obernarr, ein dem Tollhaus Entsprungener sollte ich sagen –, kam atemlos und zerzaust an die Tür und schrie: »Sire! Sire! Sie haben den Marschall von Ancre verfehlt, und jetzt kommt er mit den Seinen die große Treppe herauf!« Damit verschwand er, als hätte ihn die Hölle verschluckt.

Ludwig, der seit wenigen Minuten wieder auf seinem Schemel hockte, schoß mit funkelnden Augen in die Höhe.

»Los, Descluseaux!« sagte er, »entzünde die Lunte!«

Er zog den Degen, hängte ihn sich ans Handgelenk, damit er die Hände frei hatte für die Muskete, falls er schießen müßte, und während Descluseaux sich ihm mit der Waffe zugesellte und Luynes und ich blankzogen, rief er: »Auf! Denen brenne ich was in die Wänste!«

Rasch durchmaß er das Vorzimmer, doch als er zur Tür hinaustrat, stieß er auf Monsieur d’Ornano, den Oberst der Korsen, der ihm zurief: »Sire! Wo wollt Ihr hin? Der Marschall von Ancre ist tot!«

|457|»Ist das wirklich wahr, er ist tot?« fragte der König, dem noch die falsche Meldung des Unbekannten in den Ohren klang.

»Es ist wahr, Sire!« schrie ein Edelmann, der außer Atem gelaufen kam. »Es ist wirklich wahr! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!«

Dieser Edelmann, erfuhr ich später, war Monsieur de Cauvigny, derselbe, der die Bittschrift verfaßt hatte, die Concini las, als ihn das Pistolenfeuer der Verschworenen niedermähte. Herr im Himmel! Der Bursche hatte keine Minute gebraucht, um das Lager zu wechseln und dem König zu huldigen! Und, wer weiß, ihm vielleicht noch dieser Tage dieselbe Bittschrift einzureichen, die durch den Tod des Favoriten unbeantwortet blieb!

Monsieur de Cauvigny war nicht der einzige, der sich wie ein Blatt im Wind gewendet hatte. Die Concini-Anhänger bekehrten sich so schnell und so grundsätzlich, daß es schon fast erbaulich war. Als Ludwig im Saal der Garden ein Fenster öffnete, das auf den Hof des Louvre ging, und sich zeigte, wurde er von einem solchen Beifall empfangen, daß man hätte glauben können, diese ganze Menge und nicht die paar zwanzig Getreuen hätten den Favoriten ausgelöscht. Fünf gut gezielte Pistolenschüsse hatten aus den Hunderten von Edelleuten, die Concini überall nachgelaufen waren und ihm die Hände geleckt hatten, ebenso überzeugte Königstreue gemacht wie die Handvoll Männer, die ihn zur Strecke gebracht hatten.

Ludwig war trunken vor Glück. Sein Gesicht glühte, seine Brust ging hoch, er war noch gar keines Wortes mächtig. Sieben Jahre war es her seit dem Tod seines Vaters: sieben Jahre der Unterdrückung, der Kränkungen und Demütigungen unter der Fuchtel einer empfindungslosen Mutter. Und als er endlich die Sprache fand vor dieser ihm zujubelnden Menge, rief er mit einer vor Bewegung so erstickten Stimme, daß man sie kaum hörte: »Danke! Danke! Großen Dank Euch allen! Jetzt bin ich König!«

* * *

Ist es nicht merkwürdig, daß, wenn ein großes Ereignis sich vollzieht, das die Leidenschaften aufs äußerste bewegt, die schlimme Nachricht oft vor der guten kommt, so als besäße die |458|tiefe Angst vor einem Fehlschlag die Macht, Fantome zu erzeugen? Dies bewahrheitete sich im Louvre, wo jener Besagte dem König meldete, man habe den Marschall von Ancre verfehlt. Und es bewahrheitete sich auch in der Hauptstadt, wo eine Stunde nach dem Pistolenfeuer auf der ›schlafenden Brücke‹ das Gerücht umlief, der König, der so sehr geliebte kleine König sei von seiner Mutter und dem Scheusal Concini im Louvre eingesperrt worden, ja, er sei wie sein Vater von Mörderhand gefallen.

Die Erregung war unerhört. Die Händler, die Stürmen des Aufruhrs entgegensahen, schlossen ihre Butiken und verbarrikadierten sie wie zur Nacht mit eisenbeschlagenen Läden. Ohne Kunden, ohne Händler mußte der Neue Markt schließen. Ob Männer, ob Frauen, jeder gab sich bei dieser furchtbaren Nachricht selbst frei, ließ seinen Stand, seinen Ausschank, seinen Ofen oder seine Nadel im Stich und stürzte auf Gassen und Straßen, die mit einemmal von unzähligen Menschen wimmelten.

Bei den Gevatterinnen von Paris war es ein Heulen, Schluchzen und Wutgeschrei, das Concini in den Kot zerrte und Drohungen mit übelsten Schimpfwörtern gegen die Königinmutter richtete. Die Männer heulten wie angekettete Doggen, redeten mit heißen Köpfen davon, sich zu bewaffnen und den Tyrannen aus dem Louvre zu holen. Die großmäuligste Zunft der Hauptstadt, die Schuster mit dem berühmten Picard an der Spitze, war überall auf den Beinen, um Tagelöhner, ausgediente Soldaten und Stadtstreicher zum Aufstand anzustiften. Die schlagkräftigsten Zünfte – Lastträger, Schlachter und Seineschiffer – dachten an apokalyptische Gewaltorgien, und unter der Hand gesellten sich zu ihnen, angezogen wie Feilspäne von einem Magneten, gefürchtete Banden schwerer Pariser Jungs, die sich tagsüber für gewöhnlich in stinkenden Vorstädten, in Höhlen mit zwiefachem Ausgang, in der Obrigkeit unzugänglichem Gassengewirr versteckten.

Es war ein einziger Aufschrei: alles wünschte den schrecklichsten Tod einem Mann, der schon nicht mehr war. An den Kreuzungen sägte man die fünfzig Galgen ab, die er zur Abschreckung fürs Volk hatte errichten lassen. Nur einen ließ man stehen: den vom Pont Neuf, denn dort, so lautete der Schwur, solle der coglione hängen, sowie man ihn erst hätte. |459|Der Polizeioffizier, der einzuschreiten versuchte, wurde mit Steinen verjagt, und er ließ dem König melden, die Menge marschiere gegen den Louvre.

Der geheime Rat des Königs, der seit dem Augenblick, da Concini unter den Kugeln gefallen war, aufgehört hatte, geheim zu sein, tagte in Dauersitzung und beschloß, diesen Unruhen und möglichen Exzessen rasch entgegenzuwirken. Die Schützen der Leibgarde, gut erkennbar an ihren Uniformen in den Farben des Königs, wurden zu Pferde und mit allen nötigen Polizeioffizieren und Fahnen durch Paris geschickt, um überall auszurufen: »Concini ist tot! Concini ist tot! Der König ist König! Es lebe der König!«

Dieser Ruf verbreitete sich von Viertel zu Viertel, von den Plätzen in die Straßen und von den Straßen in die Gassen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Von einer Minute zur anderen schlugen Schmerz und Wut des Volkes in ebenso unbändige Freude um. Fremde fielen einander in die Arme, man beglückwünschte sich mit strahlenden Gesichtern, es war, als hebe eine gerechtere Welt an, in der es sich gut leben lassen würde. Aus den abgesägten Galgen, an denen die aufrührerischen Pariser hatten hängen sollen, machte man Freudenfeuer, die den Tod desjenigen feierten, der sie aufgestellt hatte. Die Gastwirte mußten ihren Ausschank wieder öffnen, man setzte sich zusammen, trank, sang und tanzte, schwenkte die Frauen herum wie wild. Und vor allem redete man unermüdlich von dem kleinen König, konnte sich nicht genug über die Tapferkeit eines Bürschchens verwundern, das noch keine sechzehn war, erinnerte daran, wie gut er aussah und wie stolz er im Sattel saß bei öffentlichen Ausritten, prophezeite, er werde der größte König der Welt werden. Man verkündete, er habe sein Volk gerettet und befreit. Man verglich ihn mit der Jungfrau von Orléans, denn genauso sanftmütig sähe er aus, manche behaupteten sogar, sein Plan, das Scheusal zu töten, sei ihm von Gott eingegeben worden oder von einem gottgesandten Engel. Wer kein Geld hatte, sich einen Wein zu leisten, wanderte unermüdlich durch die Straßen vor lauter Begeisterung, und nicht nur rief man: »Es lebe der König!«, bis die Kehlen heiser wurden, sondern auch: »Der König ist König!«

Der Gegenstand so großer Verehrung wurde im Louvre von einer anderen, aber nicht minder inbrünstigen Menge bestürmt. |460|All jene, die am ›Schalter‹ eine weiße Pfote vorweisen konnten – Adlige, Gerichtsherren, Amtsadlige, große Staatsdiener –, reihten sich geduldig auf der Zugbrücke, auf der ›schlafenden Brücke‹, ja bis auf die Rue de L’Autriche hinaus in einer endlosen Schlange. Denn der Andrang war groß, und am ›Schalter‹ wurde nur einer nach dem anderen durchgelassen. Die breite Treppe Heinrichs II. war schwarz vor Menschen. Man kam nur jede halbe Stunde einen Schritt voran, und alles stand dicht bei dicht, da konnte keine Stecknadel zu Boden fallen. Weil die königlichen Gemächer zu klein waren für diesen Ansturm, hatte man den König in die Kleine Galerie geführt, aber um auch dort von der begeisterten Menge nicht zerquetscht, sondern gesehen zu werden, mußte Ludwig auf den Billardtisch steigen. Da schallten von allen Seiten andachtsvolle Rufe zu ihm auf, Wälder von Händen streckten sich empor, begierig, ihn zu berühren, als könnte diese Berührung ihnen auf immer Frieden und Glück schenken.

Die Gardeschützen, die den Billardtisch umstanden, hinderten die glühendsten Verehrer, auf das grüne Tuch zum König hinanzuklettern. Weil sie zur Sicherheit waffenlos waren, hielten sie die Billardqueues in der Waagerechten, um die Menge zurückzuhalten. Zwei Queues zerbrachen dabei, was alle überaus ergötzlich fanden, so glücklich war man. Blaß und mit angespannten Zügen, denn seit vier Tagen hatte er kaum geschlafen, stand Ludwig auf dem Gipfel des Glücks. Ihm war, als hätte er Flügel, seit er sich befreit hatte von doppelter Tyrannei, er drückte Hände, dankte, und bald lachte er in höchsten Tönen, bald hielt er sich die Hand vor den Mund, weil ihn so ausgelassenes Lachen gegen seine Würde dünkte. Und wie erstaunlich: er, der als so schüchtern und einsilbig galt, redete und redete mit den einen, den anderen, antwortete Schlag auf Schlag.

Dem Präsidenten Miron, der sich entschuldigte, den Befehlen der Königin gehorcht zu haben, erwiderte er: »Ihr habt getan, was Ihr tun mußtet, so wie auch ich getan habe, was ich tun mußte.« Einem anderen Besucher sagte er: »Man hat mich sechs Jahre Maultiere durch die Tuilerien treiben lassen. Es wird Zeit, daß ich meines Amtes walte.« Und weil die Erinnerung an seine nichtigen Beschäftigungen in der Zeit, da man ihn erzog, ›um nicht König zu werden‹, ihn in seinem gegenwärtigen |461|Glück überkam, erklärte er sein früheres Betragen noch deutlicher gegenüber dem Kardinal de La Rochefoucauld. Als der Prälat ihn so von allen Seiten belagert sah und sagte: »Sire, von nun an werdet Ihr anders in Anspruch genommen sein, als Ihr es bis heute wart«, antwortete er: »Mitnichten. Das Kind zu spielen hat mich viel mehr beschäftigt, als ich es künftig mit den Staatsgeschäften sein werde.«

Er vernachlässigte diese Geschäfte trotzdem nicht, handelte vielmehr rasch mit Weisheit und Umsicht, ein so großes Tohuwabohu auch um ihn herrschte. Er weigerte sich, Prinz Condé freizulassen, bis die Großen nicht zur Besinnung gekommen wären, setzte Concinis Minister ab und rief die Graubärte zurück. Am Nachmittag stieg er zu Pferde und zog mit seinen Garden und dreihundert Edelleuten durch die großen Straßen von Paris, und die Beifallsstürme und Hochrufe hielten noch an, nachdem er schon in den Louvre zurückgekehrt war.

* * *

Leser, geh jetzt mit mir noch einmal um Stunden zurück, damit ich dir hic et nunc eine weibliche Person vorstellen kann, die bedeutsam nur durch ihre Bedeutungslosigkeit ist, aber deren Namen die Welt bewahrt hat, weil sie zufällig am rechten Ort war, um eine einzige kleine Frage zu stellen und die erhaltene Antwort ihrer Herrin zu überbringen – eine Aufgabe, derer sie sich übrigens höchst unfreundlich entledigte, denn es war eine ungeschliffene, ja rohe Frau.

Sie hieß Caterina Forzoni. Als Tochter der Amme Marias von Medici hatte sie mit ihr Florenz verlassen und lebte seit siebzehn Jahren am französischen Hof als Nachtzofe der Herrscherin: das heißt, sie schlief in ihrem Zimmer und wachte über ihren Schlaf, aber nur jede dritte Nacht, weil sie sich diese Aufgabe mit zwei anderen Bediensteten teilte. Kurioserweise wurde dieser doch wenig anstrengende Nachtdienst, wenn Herr oder Herrin gut schliefen, im Louvre ›auf dem Ritt sein‹ genannt.

Caterina war also ›auf dem Ritt‹ in der Nacht vom dreiundzwanzigsten zum vierundzwanzigsten April und wurde mitten in der Nacht von einem lauten Schrei der Königin geweckt. Höchst ungehalten und mürrisch und ohne sich Mühe zu |462|geben, dies zu verbergen, stand Caterina von ihrer Matratze auf (die sie morgens zusammenklappte und in eine Abstellkammer packte), schlug Feuer und entzündete eine der sechs Kerzen auf dem königlichen Leuchter. Da sah sie die Königin mit verstörten Augen im Bett aufsitzen und beide Hände an ihre Brust pressen.

»Ah, Caterina«, rief sie, »ho sognato un sogno orribile!«1

Und in einem Wortschwall erzählte sie ihren Alptraum. Man hatte sie vor ein Gericht gezerrt, furchtbarer Verbrechen angeklagt und zum Tode verurteilt. Aber außer durch ihr Zugegensein und das angezündete Licht trug Caterina wenig zur Beruhigung der Königin bei.

»Un sogno è un sogno«2, sagte sie nur.

Und als Maria sich nach einer Weile niederlegte, blies Caterina die Kerze aus, rollte sich wieder auf ihre Matratze und dachte: Gott sei Dank, dann schläft sie morgen länger.

Tatsächlich schlief die Königin länger, ihre beträchtliche Masse regte sich erst um zehn Uhr. Caterina, die längst munter war und wußte, daß ihre Herrin beim Erwachen übellaunig war, stand auf, sowie sie diese Geräusche hörte, räumte flink ihre Matratze weg, zog sich im Handumdrehen an und schlich auf leisen Sohlen aus dem königlichen Gemach. Ihr ›Ritt‹ war mit dem Lever der Königin beendet: das weitere war Sache der elf Zofen vom Tagesdienst Ihrer Majestät. Obwohl Caterina insgesamt gut bezahlt und ziemlich gut behandelt wurde, fiel dieser Samen auf undankbaren Boden: sie liebte Maria nicht und nahm ihr übel, sie in der Nacht geweckt zu haben.

Die Gemächer der Königin lagen im Zwischenstock, und weil Caterina Lärm vom Hof hörte, öffnete sie ein Fenster und rief Vitry an, der in einer Gruppe von Edelmännern das Wort führte: »Monsieur de Vitry, che cosa c’è3

Verblüfft, derweise angerufen zu werden, noch dazu auf italienisch, runzelte Vitry die Stirn, aber weil es eine Frau war und eine, die ihn jedesmal anhimmelte, wenn sie ihm begegnete, antwortete er: »Der Marschall von Ancre ist erschossen worden!«

»Per chi?«

|463|»Von mir!« rief Vitry munter. »Auf Befehl des Königs!«

Caterina schloß das Fenster. Unleugbar war es ihre Pflicht, der Königin diese Nachricht auf schnellstem Wege zu überbringen, aber eine Pflicht, an die sie sich mit hämischem Vergnügen schickte, denn weil sie nicht dumm war, konnte sie sich ausmalen, wie verheerend Concinis Tod ihre Herrin treffen würde.

Die Königin war aufgestanden, sie saß nur in einem seidenen Pudermantel, den sie über ihrem dicken Leib nicht einmal geschlossen hatte, schlaff auf einem Lehnstuhl, die Beine anmutlos gespreizt, das Kinn auf dem Busen und die Haare ungekämmt um das mürrische und bängliche Gesicht. Sie schrak zusammen, als Caterina beim Eintritt ins Zimmer die Tür hinter sich zuschlagen ließ, wofür sie sich sogleich mit tiefem Kniefall unterwürfigst entschuldigte, obwohl das Türschlagen beabsichtigt war, um der Herrin einen Schreck einzujagen.

»Was ist?« fragte Maria. »warum siehst du mich so an?«

»Madame, was ich Euch zu melden habe, wird Euch nicht erfreuen.«

»Nun rede! Rede schon, dumme Trine!«

»Madame«, sagte Caterina, indem sie den Kopf hob und auf einmal sehr laut sprach, »der Marschall von Ancre ist soeben von Monsieur de Vitry erschossen worden, und zwar auf Befehl des Königs.«

»Ist das wahr?« schrie die Königin und fuhr mit verstörtem Gesicht von ihrem Stuhl hoch.

»Monsieur de Vitry hat es mir eben gesagt.«

»Mein Gott!« sagte Maria, drückte erbleichend beide Hände ans Herz, bewegte die Lippen, aber war zu keinem Wort fähig.

Sie machte drei, vier Schritte durch den Raum, hielt inne, kehrte um, tastete mit der Hand nach der Stuhllehne, als versagten die Augen ihr den Dienst und ließ sich auf den Sitz fallen, den sie eben verlassen hatte.

In dem Moment traten hocherregt, alle durcheinander redend und wenig bekleidet, die drei engsten Freundinnen der Königin ins Zimmer, Madame de Guercheville (die über die Ehrenjungfern wachte), meine liebe Patin, die Herzogin von Guise, und meine Halbschwester, die blendende Prinzessin Conti. »Offen gesagt«, gestand sie mir später, als sie mir die folgende Szene schilderte, »war ich gar nicht blendend, ich war unfrisiert, |464|ungeschminkt, wie meine Mutter und die Guercheville im Hausrock, ohne Busenstützen und ohne jeden Schmuck! Wir hatten gerade von Concinis Ermordung gehört und waren aus dem Bett gesprungen, um der Königin beizustehen, ich allerdings auch ein bißchen, um zu sehen, wie sie die Sache aufnehmen würde … Dann erschienen Monsieur de La Place und Monsieur de Bressieux, und ich starb fast vor Scham, daß diese Herren mich so erblicken mußten! Aber, könnt Ihr Euch vorstellen, Cousin, daß Monsieur de Bressieux trotz des Ernstes der Stunde und trotz meiner Aufmachung, oder vielleicht gerade deswegen, nur Augen für mich hatte! Mein Gott, Männer sind doch seltsame Tiere!«

Die Tröstungen ihrer intimsten Freundinnen waren Maria nicht die geringste Hilfe. Zerzaust, Schrecken in den Augen, außerstande zu sprechen, durchmaß sie mit langen Schritten das Zimmer und rang die Hände, ein Bild der Verzweiflung. Weil Madame de Guise ihr keine Silbe entlocken konnte, erkühnte sie sich, den Lauf der Königin anzuhalten und ihr den rosaseidenen Hausmantel über ihrer Leibesfülle zuzuknöpfen. Maria bemerkte es kaum. Sowie meine liebe Patin ihr keusches Werk vollendet hatte, nahm Maria ihren Marsch wieder auf, mal rang sie die Hände, mal schlug sie sie wie toll gegeneinander.

In dem Augenblick betrat ich das Gemach mit einer ausführlichen mündlichen Botschaft, die ich Maria von ihrem Sohn zu übermitteln hatte. Während ich Madame de Guise einen zärtlichen Blick zuwarf und einen anderen Blick der Prinzessin Conti, die ich in ihrem Unterkleid entzückend fand, beugte ich vor der Königin das Knie, doch konnte ich ihren Saum nicht küssen, in so starker Bewegung war sie. Als ich ihre Verstörtheit sah und fand, daß sie gar nicht in der Lage war, mich anzuhören, ja meine Worte auch nur zu verstehen, entschloß ich mich, zu warten, bis sie sich von dem Schlag ein wenig erholt hätte.

Monsieur de La Place hingegen wagte es, endlich vorzubringen, weshalb er gekommen war. »Madame«, sagte er, »wir sind in großer Verlegenheit. Wir wissen nicht, wie wir der Marschallin von Ancre den Tod ihres Gemahls mitteilen sollen.«

Hier hielt die Königin in ihrem Lauf inne, ihr Gesicht lief rot an, und weil sie in ihrem Zorn plötzlich ihre gelähmte |465|Zunge wiederfand, schrie sie voller Wut: »Wenn Ihr nicht wißt, wie Ihr ihr die Nachricht sagen sollt, dann singt sie ihr!«

Diese Worte machten auf mich einen peinlichen Eindruck. Nach der Art, wie man mit ihrem Mann verfahren war, hatte die Concini kein rosiges Los zu erwarten, und die grobe Fühllosigkeit der Königin ihr gegenüber mutete mich schäbig an.

»Ich habe wahrlich andere Sorgen!« fuhr sie aufgebracht fort. »Man rede mir nicht mehr von diesen Leuten! Ich habe es ihnen gesagt, sie sollten längst wieder in Italien sein! Noch gestern abend habe ich den Marschall gewarnt, daß der König ihn nicht liebt! Und jetzt habe ich genug mit mir zu tun, um mich auch noch um diese Frau zu kümmern!«

Für mein Gefühl lag in diesem Benehmen und diesen Reden ein doppeltes, heuchlerisch verkapptes Eingeständnis: Maria hatte sich nie bereit gefunden, Concini den ausdrücklichen Befehl zu erteilen, er solle gehen, weil er, wie ich schon sagte, der starke Arm war, der sie gegen die Bestrebungen ihres Sohnes an der Macht hielt. Und wenn sie jetzt vor diesem Sohn zitterte, so, weil sie sich trotz allem bewußt war, daß sie gegen ihn mit schreiender Ungerechtigkeit gehandelt hatte.

Nach diesem Ausbruch schien Maria sich allmählich zu beruhigen, als schöpfe sie neue Kraft daraus, daß sie alle Fehler ihrer Regentschaft auf die Marschälle von Ancre schieben konnte. Und ich sah den Moment für meinen Auftrag gekommen.

»Madame«, sagte ich, indem ich abermals niederkniete, »ich bitte Eure Majestät, mich anzuhören. Ich habe eine Botschaft von seiten Eures Sohnes an Euch zu richten.«

»Ich höre, Monsieur«, sagte sie, indem sie sich setzte und sich kläglich bemühte, die Fetzen ihrer Würde um sich zu sammeln.

»Madame, der König Euer Sohn ist entschlossen, künftig Herr in seinem Reich zu sein und die Regierung des Staates in seine Hände zu nehmen. Er bittet Euch, ihm diese gnädigst zu überlassen.«

»Ist das alles, Monsieur?« fragte sie mit einer Stimme, die hochfahrend klingen sollte, es aber nicht recht war.

»Nein, Madame«, sagte ich mit neuerlicher Verbeugung. »Der König Euer Sohn ersucht Euch, Eure Wohnung nicht zu verlassen und Euch in nichts einzumischen.«

|466|»Heißt das, ich bin gefangen, Monsieur?« fragte sie bitter.

»Mitnichten, Madame, dies ist nur eine vorübergehende Maßnahme. Der König wird alsbald darüber wachen, daß Eure Majestät sich in eine Stadt Ihrer Wahl zurückzieht.«

»Also bin ich abgesetzt und soll obendrein noch mit Schande verjagt werden!« schrie die Königin außer sich.

»Madame«, sagte ich, »um Vergebung, aber Ihr könnt nicht abgesetzt werden, weil Ihr nicht regiert, Ihr habt der Regierung vor Monaten selbst entsagt. Und der König läßt Euch durch meinen Mund versichern, daß er Euch stets als seine Mutter ehren wird.«

»Trotzdem, ich will ihn sprechen!« sagte sie in ihrer früheren despotischen Art.

»Madame, wenn Eure Majestät mir erlauben, dies zu bemerken: es wäre im gegenwärtigen Augenblick ganz unnütz, eine Rücksprache mit dem König zu verlangen.«

»Das werden wir sehen!« sagte sie hoheitsvoll. »Monsieur, Ihr könnt gehen.«

Ich grüßte sie und ging, wobei ich einen erstaunten Blick meiner lieben Patin auffing, die dadurch, daß sie mich als Abgesandten meines Herrn auftreten sah, auf einmal erfuhr, daß ich an der Verschwörung gegen Concini beteiligt gewesen war. Was mich betrifft, so bestätigte mich dieses Zwiegespräch mit der Königin in dem Gedanken, daß sie heute so wenig wie gestern irgend etwas vom Charakter ihres Sohnes begriff und ihn auch nie begreifen würde, da sie hoffte, er werde seinen Entschluß ändern, wenn sie mit ihm redete. Unfähig, die eingefahrene Spur ihrer Ansichten zu verlassen, blieb sie bei dem, was sie immer getan hatte: sie unterschätzte ihn.

Als ich ihre Wohnung verließ, hörte ich gereizte Stimmen, und als ich mich dem Ort näherte, woher sie kamen, sah ich Monsieur de Vitry im Streit mit Monsieur de Presles, dem Gardeleutnant der Königin, dem er im Namen des Königs befahl, seine Männer abzuziehen, damit die seinen an ihre Stelle rücken konnten. Monsieur de Presles weigerte sich rundheraus, Vitry drohte wütend, ihn in Stücke zu hauen, ihn samt seinen Männern. Woraufhin Monsieur de Presles an die Tür der Königin klopfte und, als Caterina Forzoni erschien, diese die Königin zu fragen bat, welches ihre Instruktionen seien. Caterina |467|kam mit der Antwort von ihrer Herrin, daß den Befehlen des Königs Folge zu leisten sei, doch drückte sie dies so roh und ungefällig aus, daß Monsieur de Presles an der Wahrheit zweifelte und nach dem Rittmeister der Königin, Monsieur de Bressieux, verlangte, der auch endlich kam und bestätigte, was die Königin gesagt hatte. Traurig und niedergeschlagen zog Monsieur de Presles mit seinen Männern ab, denn ihm war klar, daß dies die Auflösung seiner Kompanie bedeutete, und Vitry postierte zwölf königliche Gardeschützen vor der Tür der Königin und befahl ihnen, niemanden einzulassen. Entgegen meinen Versicherungen war Maria, wenigstens für den Augenblick, nun tatsächlich die Gefangene ihres Sohnes.

Hätte sie soviel Charakter besessen, in sich zu gehen, hätte sie sich erinnert, daß Concini acht Tage zuvor, als er mit verhängten Zügeln von Caen zurückgekehrt war, urbi et orbi hatte ausschreien dürfen, er werde ihren Sohn im Louvre einsperren, ohne daß sie dagegen den mindesten Einwand erhoben hatte.

Als ich zum Pavillon des Königs zurückging, begegneten mir Maurer mit Kalk und Ziegelsteinen und Schweizer mit Äxten. Die einen sollten zwei Geheimtüren der Gemächer der Königin zumauern, die anderen die kleine Holzbrücke abreißen, die den Wehrgraben überspannte und über die Maria in den Garten an der Seine gelangen konnte. Offensichtlich fürchtete der König, sie könnte auf diesem Wege fliehen und sich mit Parteigängern gegen seine Macht verbünden, die zu festigen er noch keine Zeit gehabt hatte.

An diesem Morgen des vierundzwanzigsten April verlangte Maria in kindischem Starrsinn sechsmal, daß er sie empfange, und sechsmal wies der König sie ab. Der letzten Abgesandten, Madame de Guercheville, die sich dem König, als er vorübereilte, zu Füßen warf, um ihm die Bitte der Königin auszurichten, antwortete Ludwig mit äußerster Kühle: »Ich werde die Königin immer als meine Mutter anerkennen, obwohl sie mich weder als König noch als Sohn behandelt hat. Aber ich kann sie nicht sehen, bevor ich meine Geschäfte nicht geordnet habe.«

Hierauf fuhr er peinlich genau fort, sie eingesperrt zu halten, indem er verbot, ihre Kinder, die Herren vom Hofe und die ausländischen Gesandten zu ihr zu lassen. Als der spanische |468|Grande und Herzog Monteleone sich Marias Gemächern näherte, rief Vitry ihn schroff an: »Wohin wollt Ihr, Monsieur? Jetzt heißt es nicht mehr dorthin gehen, sondern zum König!«

Schöne Leserin, wer hätte gedacht, daß ich eines Tages einiges Mitleid für jene empfinden würde, die wir zu Hause im Champ Fleuri nur die Spinne zu nennen pflegten? Als man ihr mitteilte, daß man ihren Mann erschossen hatte, vergoß sie nicht eine Träne, aber, großmütiger als ihre Herrin, bedauerte sie die Königin: »Arme Frau«, sagte sie, »ich habe sie ins Unglück gebracht!« Dann packte sie all ihre Diamanten in ihren Strohsack, legte sich drauf und stellte sich krank. Man begnügte sich nicht damit, sie festzunehmen und sie um die Früchte ihrer Raubzüge zu erleichtern. Das Hohe Gericht, das sich zu Concinis Lebzeiten nie getraut hätte, soviel Eifer zu bezeigen, rächte sich für seine zurückliegende Feigheit an einer alleinstehenden, hilflosen Frau. Es klagte sie der Hexerei an, machte ihr einen ungerechten Prozeß und verurteilte sie zum Scheiterhaufen.

Als das Volk am Tag nach dem vierundzwanzigsten April erfuhr, daß man Concini unterm Chor von Saint-Germain L’Auxerrois begraben hatte, kam es und spuckte auf den Stein, der seinen Leib deckte, und weil diese Schmähung den allgemeinen Haß noch nicht stillte, riß man besagte Steinplatte auf, grub den Leichnam aus, dann schleifte man ihn durch die Straßen und hängte ihn mit den Füßen an den Galgen auf dem Pont Neuf. Dort stürzte sich alles mit Messern auf ihn und begann ihn zu zerstückeln. Und als vom Marschall von Ancre nur mehr ein unförmiger Rumpf übrig war und die Wütenden gewissermaßen enttäuscht sahen, daß der nichts Menschliches mehr an sich hatte, einigte man sich darauf, die armseligen Überreste zu verbrennen. Ludwig hörte davon, und er bedauerte, daß der Polizeihauptmann nicht die Macht gehabt hatte, diesen Ruchlosigkeiten von Anfang an zu wehren.

Die drei Concini hörigen Minister wurden, wie gesagt, in der ersten Stunde abgesetzt, aber sie erlitten nicht das gleiche Schicksal wie er, weit entfernt. Barbin kam vor Gericht und wurde zu lebenslanger Verbannung verurteilt, er starb arm und verlassen. Mangot blieb in Freiheit und lebte trübe dahin.

Aber bei dem Nadelspiel, das die kleinen Mädchen dieses Reiches spielen, zog Richelieu seine Nadel mit wunderbarer |469|Geschicklichkeit heraus. Anfangs sehr unwillig vom König empfangen, erinnerte er Luynes an das Versprechen, das Pont de Courlay Seiner Majestät in seinem Namen gegeben hatte: ihn über alle Dinge zu unterrichten, die ihm zur Kenntnis gelangten. So erhielt er von Ludwig die Erlaubnis, sich der Königinmutter in ihrer wahrscheinlichen Verbannung anzuschließen, um als Mittler zwischen ihr und ihrem Sohn zu dienen. Gleichzeitig vereinbarte er mit Déagéant einen chiffrierten Briefwechsel, um über Intrigen zu informieren, die sich um die gestürzte Königin zusammenbrauen könnten. Derweise nach beiden Seiten hin gedeckt, sah Richelieu mit dem Vertrauen in die Zukunft, zu dem seine großen Talente und seine geringe Aufrichtigkeit ihn berechtigten.

* * *

In den folgenden Tagen genoß Ludwig, der eine sehr ungute Erinnerung an die protokollarischen Besuche bewahrte, die er sieben Jahre lang zwei- oder dreimal am Tag einer hochfahrenden, patzigen Mutter hatte abstatten müssen, in vollen Zügen sein neues Vorrecht, von dieser demütigenden Pflicht frei zu sein. Daher blieb er unbeugsam in seinem Entschluß, Maria nicht vor Tag und Stunde zu sehen, die er bestimmen würde, und ebenso in seinem Verbot, ausländische Gesandte zu ihr zu lassen. Im übrigen lockerte er seine erste Strenge und behandelte sie menschlicher als sie ihn. Er erlaubte ihr, ihre Töchter zu sehen, doch ohne daß diese ihr an ihren neuen Wohnort folgen durften, auch Gaston nicht, damit sie sich ihrer Kinder nicht eines Tages als Geiseln gegen ihn bediente.

Ebenso erlaubte er ihren vertrauten Freundinnen, ihrem Sekretär Philipeaux de Villesavin, ihrem Rittmeister Monsieur de Bressieux und natürlich Richelieu, der Oberrat der Königin geworden war, soviel mit ihr zu reden, wie sie wollten.

Der neue Wohnort der Königinmutter in der Provinz war kein ausgesprochenes Exil, ähnelte dem aber insofern stark, als sie kaum eine Wahl gehabt hatte. Anstatt eingeschränkt und ohne ihre vergangenen Machtbefugnisse im Louvre zu wohnen, wollte Maria sich lieber in eine kleine Stadt ihres Krongutes zurückziehen, zum Beispiel Moulins. Weil aber Moulins, wie sich schnell herausstellte, nicht in dem Stande war, sie aufzunehmen, |470|verlangte sie Blois, das sie bei ihren Aufenthalten dort bezaubert hatte.

Sie richtete noch andere Forderungen an den König, und keine geringen: Sie wollte in der Stadt, in der sie residieren würde, die ›absolute Macht‹, wollte, daß ihre Einkünfte, Apanagen und Bezüge ihr dort ungeschmälert zuflössen, wollte ihre Leibgarde behalten, wenigstens einen Teil davon, wollte unverzüglich die Namen der Personen erfahren, denen der König erlauben würde, mit ihr zu gehen, und sie wollte Abschied vom König nehmen, bevor sie abreiste.

Entschlossen, aufs beste mit ihr zu verfahren und ihre Bedingungen zu erfüllen, verfuhr er dabei gleichwohl mit Bedacht. Um einen unanfechtbaren Nachweis dieser Abmachungen zu haben, damit sie eines Tages nicht anders ausgelegt werden konnten, verlangte er die Forderungen der Königin in schriftlicher Form, und ebenso antwortete er schriftlich, daß er sie bewillige.

Mit derselben Sorgfalt und Vorsicht regelte er das Protokoll der Abschiedszeremonie und legte sogar die Worte fest, die von der einen und anderen Seite gesprochen werden sollten. Denn da er Maria kannte, befürchtete er, sie könnte die Szene in einer Weise dramatisieren, die ihn der Würde der Königin und der seinen nicht ziemlich dünkte. Marias Unempfindsamkeit bei verschiedenen Anlässen hätte ihn beruhigen können. Beim Tode von Nicolas hatte sie keine Träne vergossen, Madames Abreise nach Spanien hatte sie kühl gelassen, und seit die Concini verhaftet war, schien sie sich ihrer nicht einmal mehr zu erinnern. Doch wo es sich um sie selbst und ihr eigenes Unglück handelte, war sie durchaus imstande, zu schreien, zu klagen, in wütende Vorwürfe oder lautstarkes Schluchzen auszubrechen. Ludwig, der sich der heftigen Szenen entsann, die sie seinem Vater gemacht hatte, manchmal sogar in Gegenwart des Hofes, sicherte sich jedenfalls ab, indem er ihr von Anfang bis Ende ihren Rollentext bei diesem Abschied vorschrieb, und sie mußte versprechen, ihn auswendig zu lernen und ihn herzusagen, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen. Trotz dieses Versprechens bangte Ludwig, wie ich beobachtete, daß sie sich Freiheiten gegenüber ihrem Text herausnehmen könnte.

Die Abreise der Königin war auf Mittwoch, den dritten Mai, festgesetzt und der Abschied auf halb drei Uhr nachmittags. |471|Der Regen, der am vierundzwanzigsten April aufgehört hatte, hob am Morgen des dritten Mai wieder an, und in der Umgebung der Königin befand man einhellig, daß auch der Himmel über diese Trennung weine.

Der König legte an jenem Tag ein Wams aus weißem Satin an (Stoff und Farbe, die sein Vater bei großen Anlässen wählte), scharlachrote Kniehosen, einen schwarzen Filzhut mit weißen Federn, und staunend sah ich, daß er bei dieser Gelegenheit gestiefelt und gespornt erschien. Gewiß wollte er nach dem Abschied sich nach Vincennes zur Jagd begeben, doch für gewöhnlich legte er Stiefel und Sporen erst dort bei der Ankunft an, weil sie ihm auf der Kutschenfahrt unbequem waren. Madame de Guise, die Maria bedauerte und in ihr auch eine Freundin verlor, die sie mit Geldgeschenken verwöhnt hatte, fand, diese Stiefel und Sporen seien eine Art Herausforderung des Sohnes an die Mutter, denn bis dahin, sagte sie, hätte er es nie gewagt, in solchem Aufzug vor sie zu treten.

Ich weiß nicht, ob sie darin recht hatte, denn aus der Handvoll seiner Getreuen schloß Ludwig bei dieser Begegnung immerhin Vitry und dessen Bruder Du Hallier aus: der Anblick der Concini-Mörder sollte die Königin nicht beleidigen.

Außer seinen Getreuen ließ Ludwig bei diesem Abschied die Gesandten der benachbarten Königreiche zu, er wollte sie zu Zeugen der Trennung machen, um übelwollenden Berichten ans Ausland vorzubeugen, die sich auf den Hofklatsch stützen könnten.

Die Szene spielte sich im Zwischenstock ab, im Vorzimmer der Königin. Der König mit besagtem Gefolge, darunter ich, traf als erster ein und brauchte nur eine kleine Minute zu warten, bis die Königin seine Mutter aus ihrem Zimmer trat, nicht prächtig, wie ich vermutet hatte, sondern mit gediegener Schlichtheit gekleidet, ohne jedes Geschmeide, nur mit einem Spitzentuch in der Hand als einzigem Schmuck. Ich fand ihre Miene durchaus nicht niedergeschlagen, wie es einige unter uns nachher meinten. Dieser Eindruck entstand, glaube ich, nur, weil auf ihrem Gesicht nicht jene langgewohnte Großartigkeit lag. Allerdings wäre es Maria auch schwer gefallen, in einer so demütigenden Situation die Nase hoch zu tragen.

Als sie erschien, zog der König seinen Hut, trat einen oder zwei Schritte auf sie zu, aber ohne sich ihr weiter zu nähern, |472|und so, aus etwa zwei Meter Abstand, den Hut in der Hand, blickte er sie an, ohne daß sein Gesicht irgendeine Bewegung verriet.

»Madame«, sprach er mit gemessener Stimme, »ich komme hierher, um Euch Lebewohl zu sagen und Euch zu versichern, daß ich stets Sorge um Euch tragen werde als meine Mutter. Ich möchte Euch der Mühsal entheben, die Ihr an meine Geschäfte gewandt habt. Es ist Zeit, daß Ihr davon ausruht und daß ich mich ihrer annehme. Es ist mein Entschluß, nicht mehr zu dulden, daß ein anderer als ich in diesem Reich befiehlt. Ich bin jetzt König.«

Ludwig hielt kurz inne nach diesem »Ich bin jetzt König«, das er in ruhigem Ton sprach, ohne die Stimme anzuheben, aber mit derselben Entschiedenheit wie zuvor.

»Ich habe angeordnet«, fuhr er fort, »was für Eure Reise erforderlich ist, und habe Monsieur de la Curée und seiner Kompanie befohlen, Euch zu begleiten. Ihr erhaltet weitere Nachricht von mir, sowie Ihr in Blois eingetroffen seid.«

Wieder machte er eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Geht mit Gott, Madame, liebt mich, und ich werde Euch ein guter Sohn sein.«

Für mein Empfinden war von seiner ganzen kleinen Ansprache dieser letzte Satz der verwunderlichste, denn dieses: »Liebt mich« war eine Bitte, die, wie er wußte, nie erfüllt werden würde, und dieses: »Ich werde Euch ein guter Sohn sein« ein Versprechen, das er, weil er seine Mutter kannte, niemals würde halten können.

Nun war es an Maria, ihm zu antworten, und Ludwig sah sie mit einer Spur Unruhe an, denn sie hatte die Augen voller Tränen und knetete fiebrig ihr Spitzentuch, so daß er sich fragen mußte, ob sie in ihrer Bewegung ihren Text nicht vergessen oder ändern werde. Und wirklich mußte er bei ihrem ersten Wort das Schlimmste befürchten, denn anstatt der in ihrem Text vorgesehenen Anrede, ›mein Sohn‹ oder strengstenfalls ›Sire‹, sprach sie ihn mit ›Monsieur‹ an.

»Monsieur«, sagte sie mit zitternder Stimme, »ich bin sehr betrübt, Euren Staat in meiner Regentschaft nicht zu Eurer größeren Zufriedenheit geführt zu haben, gleichwohl versichere ich Euch, daß ich alle mir mögliche Mühe und Sorge daran gewandt habe, und ich bitte Euch, mich immer als Eure |473|sehr ergebene und sehr gehorsame Mutter und Dienerin zu betrachten.«

Ließ man diese »sehr ergebene und sehr gehorsame Mutter und Dienerin«, eine rein protokollarische Floskel, außer Betracht, erschien mir der von Ludwig seiner Mutter vorgeschriebene Text von einer gewissen Noblesse geprägt. Er untersagte es sich, seine Mutter anzuklagen: er warf ihr weder die unvernünftige Plünderung des Staatsschatzes vor noch ihre Politik der Schwäche gegenüber den Großen, noch die Mißachtung, die sie ihm bezeigt hatte, noch ihre Unterstützung eines Usurpators, der seine Freiheit und sein Leben bedroht hatte. Während er diese schweren Vorwürfe also mit Schweigen überging, beschränkte er sich auf die Feststellung, daß sie nicht »zu seiner Zufriedenheit« regiert, aber ihr Bestes getan habe. Das bewies höchstes Entgegenkommen. Vielleicht ein zu großes, sollte ich später denken, als ich Jahr für Jahr all die Wirren beobachtete, die Marias tolldreiste Intrigen im Staat anrichteten.

Hätte Ludwig seine undurchdringliche Maske lüften können, hätte er einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen, als seine Mutter ihre auswendig gelernte Rede beendet hatte. Doch er hätte zu früh geseufzt, denn kaum war Maria verstummt, als sie eine Fensternische aufsuchte und in Schluchzen ausbrach.

Dieses Weinen versetzte Ludwig in einige Verlegenheit. Wenn auch über eine Szene erzürnt, die er so sorglich hatte vermeiden wollen, konnte er Maria doch dort nicht stehen lassen, ohne sich öffentlich dem Vorwurf der Herzlosigkeit auszusetzen, den er selbst seiner Mutter so oft im stillen gemacht hatte. So verharrte er denn unbeweglich an seinem Platz wie eine Statue und schwieg, als wäre er aus Marmor. Währenddessen trocknete die Königin mit dem Spitzentuch, dessen Gebrauch vielleicht sogar vorbedacht war, die Tränen, die ihr über die Wangen rollten, und warf Seitenblicke nach ihrem Sohn.

Als er sich keinen Deut rührte und nur zu warten schien, daß sie sich zum Gehen entschloß, unterdrückte sie ihre Tränen und sprach in pathetischem Ton, aber diesmal, ohne ihn mit ›mein Sohn‹, ›Sire‹ oder auch nur mit ›Monsieur‹ anzusprechen.

»Gut, ich gehe. Aber bevor ich scheide, bitte ich Euch um eine Gnade, von der ich hoffe, daß Ihr sie mir nicht abschlagen werdet: gebt mir Barbin, meinen Intendanten, wieder.«

|474|Barbin war in der Tat ihr Intendant gewesen, bevor er mit ihrer Zustimmung Minister geworden war. Aber diese Bitte mußte dem König sehr gegen den Strich gehen, zum einen, weil Maria, indem sie sie aussprach, unloyal aus der Rolle fiel, die sie akzeptiert hatte, und zum zweiten, weil der König von den drei Ministern Concinis Barbin für den am meisten schuldigen hielt.

Der König war nicht der einzige, dem dieses Ersuchen im höchsten Maße mißfiel. Und ich bemerkte es mit einigem Vergnügen, trotz des Ernstes der Stunde, als ich sah, wie Richelieu, der zur Rechten hinter der Königin stand, die Nase rümpfte. Denn kam der König dieser äußersten Bitte der Königin nach und gab ihr Barbin wieder, war es um die Vormachtstellung des Prälaten in Marias Rat geschehen: Barbin hätte den Vorteil eines Altgedienten und des langjährigen Vertrauens auf seiner Seite, das die Königin zu ihm hegte.

Richelieus Besorgnisse waren von kurzer Dauer: Der König bewahrte seine steinerne Reglosigkeit, blickte der Königin entschlossen in die Augen und antwortete mit keiner Silbe. Besser konnte man ihr nicht bedeuten, daß alles, was sie ihrer auswendig gelernten Rede etwa noch hinzufügen mochte, unbeachtet bleiben würde. Jedes andere Gottesgeschöpf, ob Mann oder Frau, hätte sich das gesagt sein lassen, aber nicht Maria! Und zum erstenmal empfand ich einiges Mitgefühl mit ihr: sie kam mir vor wie eine dicke Hummel, die hundertmal gegen dieselbe Fensterscheibe stößt.

»Verweigert mir doch diese einzige Bitte nicht!« sagte sie.

Der König, den Blick fest auf sie gerichtet, schwieg. Da ging seine Mutter ein drittes Mal und ohne Rücksicht darauf, wie lächerlich sie sich mit ihrem blinden Beharren machte, zum Sturm über und setzte mit der Emphase einer Tragödin hinzu, die mich ungemein peinlich anmutete: »Vielleicht ist dies die letzte Bitte, die ich in meinem Leben an Euch richte!«

Diese so unangemessene Theatralik rief bei den Anwesenden einiges Unbehagen hervor, denn es war zu offensichtlich, daß Maria sich vergeblich erniedrigte und daß auch diese dritte Woge sich an der Unbeweglichkeit und dem Schweigen des Königs brechen würde. Denn da er ihr jede Macht genommen hatte und sie in die Provinz schickte, welchen Einflusses auf ihn konnte sie sich nun noch schmeicheln, wenn sie hoffte, er |475|werde eine so grundsätzliche politische Entscheidung wie die Verurteilung Barbins rückgängig machen?

Obwohl Ludwigs Unbeweglichkeit vollkommen war, lag in dem Blick, den er an Maria heftete, weder Mißachtung noch Gereiztheit, sondern nur verbindliche Geduld, so als sei das Gespräch von seiner Seite beendet und er warte höflich darauf, daß sie Urlaub nehme.

Endlich begriff Maria, und ohne Bitten, Emphase und Tragödie sagte sie in dem gewöhnlichsten Ton: »Also, los!«

Und indem sie auf den König zuging, tat sie etwas Erstaunlicheres, als es alle ihre vorherigen Worte waren: sie küßte ihn. Ludwig erbebte, wich rasch zurück, und nach einer tiefen Verbeugung vor seiner Mutter wandte er sich um zur Tür. Jedoch ging er nicht hinaus, sondern wartete, bis sein Gefolge von der Königin Abschied genommen hatte. Was wir einer nach dem anderen taten, wie es das Protokoll befahl. Aber als Luynes an die Reihe kam, faßte ihn die Königin am Arm und bat ihn leise aufs dringlichste, bei seinem Herrn für die Freilassung Barbins einzutreten. Ludwig erriet ihr Beharren, er wandte sich halb um, und mit einer Stimme, aus der die Erbitterung klang, die er während dieser ganzen Szene bezwungen hatte, rief er seinen Favoriten: »Luynes! Luynes! Luynes!«

So viele Jahre später klingt mir noch immer dieser Ruf im Ohr, und ich weiß nicht, warum er mir vor Augen führt, was vorher geschah: dieser so fehlgegangene, so fehlempfangene Kuß zwischen Mutter und Sohn – der erste und letzte, den sie ihm jemals gab.

Luynes, der nicht anders konnte, als zu jedermann liebenswürdig zu sein, hatte der Königin versprochen, mit dem König über Barbin zu reden, obwohl er von vornherein entschlossen war, es nicht zu tun. Und was sie angeht, hatte sie zum viertenmal nach ihrem Intendanten verlangt und war nur wieder an dieselbe Scheibe gestoßen.

Der ungeduldige und wiederholte Ruf des Königs – »Luynes! Luynes! Luynes!« – riß den Favoriten aus der Hand der Königin, als zöge eine unsichtbare Leine ihn jäh zu seinem Herrn.

Sie blieb allein und fassungslos. Ohne Barbin an Concinis Stelle sah sie keinen Weg vor sich, sie war so konfus im Kopf, und sie fühlte sich so schwach trotz ihrer Härte. Sie lehnte sich an die Wand zwischen den Fenstern und begann zu schluchzen, |476|während Richelieu, der sich zu ihr beugte, ihr fromme Tröstungen ins Ohr raunte. Doch so entschlossen er auch war, ihr zu dienen – oder gegebenenfalls nicht zu dienen –, er hatte noch keine Muße gehabt, seinen Einfluß auf sie zu festigen, und sie lauschte ihm nur halb.

Ich hatte mich verweilt, um dieses sonderbare Paar zu betrachten, und mußte nun große Schritte machen, sogar ein wenig laufen, um das Gefolge des Königs einzuholen. Ich erreichte es, als man die Wohnung Annas von Österreich betrat.

Die kleine Königin stand am Fenster und schaute in den Hof des Louvre auf die zehn Karossen, die Marias Reisezug bildeten, und auf die Kompanie von Monsieur de la Curée, die ihn eskortieren sollte. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, denn sie mißverstand, was geschah, und fürchtete, ihr blühe ein ähnliches Los wie der Königinmutter. Nachdem sie vor Ludwig das Knie gebeugt und ihn begrüßt hatte, nahm er ihre Hand und beruhigte sie in wenigen, gütigen Worten. Dann sah er zu, wie der Zug sich in Bewegung setzte.

Als die ersten Wagen durch den gewölbten Torweg fuhren, auf die Zugbrücke und die ›schlafende Brücke‹, entschwanden sie einer nach dem anderen der Sicht. Da nahm Ludwig Urlaub von Anna und begab sich in die Kleine Galerie, wo der Billardtisch stand, an dem er am dreiundzwanzigsten und vierundzwanzigsten April so viele Stunden mit Spielen oder der Vortäuschung von Spielen verbracht hatte. Er lehnte sich an die steinerne Brüstung und sah, wie die erste Karosse auf den Pont Neuf einbog. Es war der Wagen von Monsieur de Bressieux. Der zweite, mit schwarzem Samtverdeck und sechs Apfelschimmeln davor, war der seiner Mutter. Ludwig blickte ihrer Karosse hinterher.

Der venezianische Gesandte, der mit uns dem König in die Kleine Galerie gefolgt war, sollte Frau von Lichtenberg später anvertrauen, der König habe dem mütterlichen Gefährt »con gusto particolare«1 nachgesehen. Ich denke aber, der Gesandte bildete sich dies eher ein, denn Ludwigs Gesicht ließ nichts erkennen. Wenn ich jedoch nach den Empfindungen derjenigen urteile, die wie ich das Leben des Königs, seine Ängste und seine Prüfungen über Jahre geteilt hatten, würde ich von einer |477|großen Erleichterung sprechen, wie wenn der bleierne Mantel, der unter der Fuchtel der Regentin über dem Louvre gelastet hatte, sich auf einmal gehoben hätte und vom König abgefallen wäre. Das aber war eine tiefernste Gemütsbewegung und etwas sehr anderes als ein ›Vergnügen‹: Der König war frei. Er war König. Er konnte endlich leben.

Als die Karosse der Königin dem Auge entschwunden war, befahl Ludwig seine eigene Karosse und lud Luynes, Vitry und mich ein: eine außerordentliche Ehre, besonders in solch denkwürdigem Augenblick, die mich aber unvorbereitet traf. Ich fand gerade noch Zeit, La Barge zu meinem Vater und zur Gräfin zu schicken, um mich bei ihnen für mein unvorhergesehenes Fernbleiben zu entschuldigen.

Auf der Reise lehnte sich Ludwig, wie er es oft tat, in die rechte Ecke mit Sicht auf den Weg, zog den Hut über die Augen, kreuzte die Hände überm Bauch und tat, als schlummere er. Dies bedeutete, daß wir nicht reden sollten und daß er erst recht nicht reden wollte. Hierauf beschloß Vitry mit der Geradheit, die er in alle seine Handlungen setzte, zu schlafen, und dem Befehl gehorsam, den er sich selbst erteilt hatte, schlief er auch wirklich ein. Luynes hingegen blieb wach, die Augen in die Ferne gerichtet, aber den Sinn, denke ich, voll recht deutlicher Träume von der großartigen Zukunft, die ihn erwartete. Ich beneidete ihn nicht, durchaus nicht, doch bei all seiner Liebenswürdigkeit, meinte ich im stillen, war er für dieses große Geschick zu klein.

Eine Weile, bevor wir Vincennes erreichten, löste sich der König aus seiner Versunkenheit, nahm die Hände auseinander, hob seinen Hut und warf einen Blick durchs Fenster, woraufhin er laut bemerkte, daß es immer noch regnete. Dann sagte er unvermittelt, als führe er stille Gedanken fort, mit einer Stimme, aus der die Wärme einer lebhaften inneren Bewegung sprach: »Am dreiundzwanzigsten und vierundzwanzigsten April gab es im Louvre zwanzig Edelmänner, die von unserem Vorhaben wußten. Und alle haben das Geheimnis gewahrt! Keiner hat mich verraten!«

Dann wechselte er das Thema mit einer Logik, die mir zunächst entging, und berief im gleichen Ton den nahezu überwältigenden Empfang, den ihm die Pariser bereitet hatten, als er am Nachmittag des vierundzwanzigsten April zu Pferde |478|durch die Hauptstadt zog. Fünf Minuten darauf, als zöge er aus beiden vorhergehenden Bemerkungen einen zulässigen Schluß, sagte er ernst und wie gesammelt: »Ich werde geliebt von den Franzosen. Ich will ihnen ein guter König sein.«

In diesen Worten lag etwas, das ich wie ein überraschendes Echo der Abschiedsworte an seine Mutter empfand: »Liebt mich. Ich werde Euch ein guter Sohn sein.« Und ich dachte bei mir, daß es Ludwig gewiß leichter fallen werde, von den Franzosen geliebt zu werden als von seiner Mutter, und leichter auch, ein guter König zu sein als ein guter Sohn.