|323|ZWÖLFTES KAPITEL

Wer die Königin thronen sah, groß, majestätisch, die Stirn hoffärtig erhoben, Dünkel auf der vorstehenden Unterlippe, ihrem Habsburger Erbteil, wer hörte, wie sie in italienisch durchsetztem Französisch eine gebieterische Sprache führte, konnte der sie nicht für eine der starken Frauen halten, von denen das Evangelium spricht? In Wirklichkeit war niemand schwächer als diese so machtbesessene Königin.

Je länger ich sie in ihrem Wirken beobachtete, desto mehr war ich überzeugt, daß ihre Schwäche sich aus zwei Quellen herleitete. Aus trägem und Nichtigkeiten zugewandten Naturell scheute sie jegliche Mühe, hatte nur Feste und Schmuck im Sinn und brachte für die Staatsgeschäfte geringe Aufmerksamkeit und noch weniger Verstand auf. Vor allem aber war ihre Urteilskraft arm und wirr. Der Vernunft unzugänglich, folglich auch den Gründen, die ihre Räte benannten, glaubte sie bald diesem, bald jenem, bald einem dritten, und allen drei nahezu blindlings. Und weil sie nie nach überlegten Grundsätzen verfuhr und sich in ihrem dummen Hochmut gefiel, verhielt sie sich in ihrer Politik abwechselnd starrköpfig und schwankend. Und weil sie beides jeweils zur Unzeit war, verlor sie doppelt: sie versteifte sich, wo es galt, geschmeidig zu sein, und änderte ihre Ziele, wo eine feste Haltung notwendig war.

Gewiß sprach die Concini zu allem ihr Wort, mehr übrigens als ihr Mann, doch fehlte viel, daß sie in Staatsangelegenheiten die Oberhand behielt. Sie mußte ihren Einfluß teilen mit der Herzogin von Guise, der Prinzessin Conti, dem Herzog von Épernon, mit Intendant Barbin, Präsident Jeannin und vor allem mit Minister Villeroy und Kanzler Sillery, die sogar stärker gehört worden wären, hätten sie einander aus gegenseitigem Haß nicht ständig widersprochen, so daß ihre Argumente erheblich an Kraft einbüßten.

Der letzte, aber nicht etwa unwichtigste dieser Ratgeber, Pater Cotton, der als Beichtvater des kleinen Königs leichten |324|Zutritt bei der Königinmutter hatte, wirkte auf ihre fromme Seele durch sanftzüngige Überredung, und es besteht kein Zweifel, daß sein Einfluß, gestützt durch den apostolischen Nuntius und den spanischen Gesandten, beispielsweise entscheidend war beim Beschluß der spanischen Hochzeiten.

Dieses Triumvirat trieb jetzt aus allen Kräften den Austausch der Prinzessinnen voran, obwohl soviel Druck nicht einmal nötig war, weil die Königin selbst leidenschaftlich darauf drängte. Was kümmerte sie die Verpflichtung, die unser Henri mit dem Vertrag von Brusol eingegangen war, Madame mit dem Sohn des Herzogs von Savoyen zu vermählen, und erst recht scherte es sie wenig, daß sie sich mit den spanischen Hochzeiten über die protestantischen Verbündeten ihres seligen Gemahls hinwegsetzte.

Trotzdem gab es im Reich noch eine ziemlich starke Abneigung dagegen. Der Zeitpunkt war ungünstig gewählt. Die Generalstände hatten fruchtlos geendet. Alle Abgeordneten hatten die Mißbräuche aus der Welt schaffen wollen, aber, wie man sehen konnte, wollte jeder der drei Stände den Splitter ziehen, den er im Auge des anderen sah, ohne daß an seinen eigenen Balken gerührt werden durfte. Und kaum waren die Abgeordneten vergrollt und vergrätzt auseinander gegangen, veranstaltete Maria in ihrer üblichen Leichtfertigkeit ein großes Fest, sehr schön und sehr kostspielig, um Madames lebenslanges Exil im voraus zu feiern. »Meine Tochter muß vor ihrer Abreise nach Spanien doch ein öffentliches Fest geben«, sagte sie und schob diesen Einfall der armen Elisabeth zu, »damit die Pariser sich einer Prinzessin erinnern, die Frankreich verläßt.« Bei diesem so frostigen und heuchlerischen Satz aus ihrem Mund fragte ich mich, ob Elisabeths Mutter sich wohl lange der Tochter ›erinnern‹ würde, die auf immer von ihr ging.

Die Krönung dieses berühmten Festes war das Ballet de Madame, getanzt von allem, was der Hof an Schönheiten beiderlei Geschlechts aufzubieten hatte. Es war mit mimischen Szenen, Symbolen und Allegorien angereichert, welche die gegenwärtigen und zukünftigen Erfolge der Regentschaft feierten: des Königs glücklichen Eintritt in die Großjährigkeit, die Einigkeit mit seinen versöhnten Prinzen, die friedlichen Generalstände, der künftige Sohn aus der künftigen Verbindung Madames mit |325|dem Prinzen von Asturien (wie man sieht, kam eine Tochter nicht in Frage!), die Herrschaft Frankreichs über Länder und Meere und damit ›der Untergang des Turbans‹, also die Vernichtung der muselmanischen Religion: eine um so optimistischere Prophezeiung, als man seit dem Tod unseres Henri Quatre nur noch wenige Galeeren zur Bekämpfung der Berber gebaut hatte.

Dem Tanz folgten Verse, auftragsgemäß verfaßt von Malherbe, der von Maria eine Pension erhielt, und sie ergänzten jenes gefällige Tableau um eine idyllische Prophezeiung:

Ein Jahrhundert ersteht, von Glück und Freuden erfüllt,

Der Bitternis bar – goldene Zeiten,

Selbst Schlangen bereiten

schadlosen Stich, oder sie stechen nicht mehr.

In Erwartung dieses gar köstlichen Eden ließ dennoch manch eine Schlange nicht ab, die Königinmutter zu stechen. Noch kein Monat war vergangen, seit die Schönsten des Hofes das Ballet de Madame getanzt hatten, als das Parlament beim König Beschwerden einreichte, die unter durchsichtigen Umschreibungen aufs heftigste Marias Regierung attackierten. Alles kam auf: daß der erste Artikel des Dritten Standes abgelehnt worden war, daß die protestantischen Bündnisse aufgegeben wurden, daß Personen eine außergewöhnliche Stellung im Staat einnahmen, die keine ›gebürtigen Franzosen‹ waren, daß die Staatsräte Gelder veruntreuten, daß der französische Klerus geheime Absprachen mit dem Nuntius traf, und schließlich daß der Schatz der Bastille geplündert worden war und vergeudet wurde.

Die Königin verbot dem Parlament kurzerhand, sich ›künftig in Staatsangelegenheiten einzumischen‹. Aber das Gift schwärte in der Wunde, und Condé griff in einem Manifest die Vorwürfe des Parlaments mit noch größerer Schärfe auf, betonte zusätzlich, daß die französischen Protestanten sehr beunruhigt seien über eine so enge Verbindung Frankreichs mit den Habsburgern, daß sie darin die Vorzeichen einer Inquisition und Verfolgung erblickten, denen sie erneut zum Opfer fallen könnten. Er verlangte, die spanischen Hochzeiten hinauszuschieben, er sagte nicht: ›bis der König Herr seiner Entscheidungen sein werde‹, ließ es aber durchblicken.

|326|Der Ministerrat war gespalten. Kanzler Sillery drängte auf den Austausch der Prinzessinnen, Villeroy und Jeannin sprachen sich für eine Verschiebung aus, unterstützt vom Marschall von Ancre, von diesem aber nicht aus staatspolitischen Gründen, sondern aus eigennützigen Motiven, denn weil Condé und die Prinzen den Hof wieder einmal verlassen hatten und sich bewaffneten, fürchtete Concini vor allem, daß zwischen der Königinmutter und den Großen ein offener Krieg ausbräche, und in dem Fall, dachte er, könnte man Frieden auf seine Kosten schließen.

Die Königin war außer sich, daß der Mann ihrer Favoritin gegen die Hochzeiten Partei ergriff, die ihr so sehr am Herzen lagen. Sie verbannte ihn in sein Gouvernement Amiens und grollte der Concini, die ihn trotzdem auf dieser Reise begleiten wollte, überzeugt, daß sie ihren Kredit über kurz oder lang zurückgewinnen werde.

Die Königin stellte zwei Armeen auf, eine zur Wacht gegen die Prinzen, die andere, um den König und Madame nach der Guyenne zu begleiten. Diesmal also bewies sie Festigkeit und handelte; nur konnte diese Festigkeit nicht von Dauer sein, weil keine übergeordnete politische Idee zum Wohl des Reiches dahinter stand, sondern eine private Leidenschaft. Als Tochter einer österreichischen Großherzogin und als Großnichte Karls V. erschien ihr nichts auf der Welt größer, schöner und edler, als Sohn und Tochter mit dem Blut zu verbinden, das auch das ihre war. Politische Hintergedanken hegten bei diesen Hochzeiten Pater Cotton, der apostolische Nuntius und der spanische Gesandte, die Königin aber in ganz geringem Maße: es war ihr eine gewisse Genugtuung, mit der Beförderung ihrer geliebten Heiratspläne auch den französichen Bischöfen und dem Papst Freude zu machen.

***

 

Als die Abreise nach der Guyenne zum Austausch der Prinzessinnen beschlossene Sache und auf den siebzehnten August festgesetzt war, hätte ich es gerne gesehen, wenn der Marquis de Siorac uns auch diesmal begleitet hätte, aber das ging nicht, seine Gemahlin Angelina krankte an einem schleichenden Fieber, und so wollte er bei ihr in Montfort-l’Amaury sein, um |327|sie zu kurieren und durch seine Gegenwart zu unterstützen. Jedoch stellte er es dem Chevalier de la Surie frei, sich mir anzuschließen, wenn es ihm beliebe, indem er ihn versicherte, daß er, ohnehin an Ort und Stelle, über sein Landgut ebenso wachen werde wie über das eigene. Bei diesem Versprechen hüpfte dem Chevalier das Herz vor Freude, so närrisch war er darauf, durch Frankreich zu reisen, womit er mir die Wohltat seiner vergnüglichen und witzigen Gegenwart erwies.

Da der Aufbruch nach der Guyenne zunächst für den ersten August vorgesehen war, hatte ich meine Vorbereitungen längst getroffen, als ich Frau von Lichtenberg auf ihre Bitte hin am fünfzehnten August um drei Uhr nachmittags in ihrem Haus besuchte.

Ich fand sie beim Imbiß, doch aß sie nicht, ihre Hände ruhten still in ihrem Schoß, und ihr schönes Gesicht war von Schwermut überschattet.

»Ach, mein Freund«, sagte sie nach langem Schweigen, »vergeben Sie mir, was ich Ihnen jetzt gestehe, aber manchmal wünschte ich, ich wäre Ihnen nie begegnet, denn nicht nur muß ich Sie wiederum für wer weiß wie viele Wochen oder Monate entbehren, sondern sehe leider auch dem Tag entgegen, an dem ich Sie ganz verliere, denn in Ihrem Amt kommen Sie nicht umhin, einmal zu heiraten.«

»Meine Liebste«, sagte ich und warf mich ihr zu Füßen und nahm und küßte ihre Hände, »ich denke nicht im entferntesten an Heirat! Jeder Tag, den ich mit Ihnen verbringe, ist mir neue Seligkeit, ich wäre ein Tor, ihr aus eigenem Antrieb ein Ende zu setzen.«

»Ach, Pierre!« sagte sie seufzend, »gerade was das Glück angeht, unterscheiden wir uns am meisten, weil meines zugleich so tief und so gefährlich ist. Bevor ich Sie kannte, war meine Witwenschaft gewiß eine Art Leere, aber wenigstens hatte diese Leere für mich den Vorteil, daß ich Verfall und Tod nicht fürchtete, weil das Leben mir nichts mehr bieten konnte. Nun aber, da ich Sie habe, bin ich, sowie Sie mich verlassen, nur mit der Furcht beschäftigt, Sie zu verlieren. Und jeder neue Tag, auch wenn er mir die Freuden schenkt, mit denen Sie mich verwöhnen, erscheint mir gleichzeitig wie ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Alter. Glauben Sie mir, mein Freund, es ist nicht einfach, eine Frau zu sein.«

|328|Betroffen lauschte ich ihren Worten, denn für gewöhnlich scheute sich Frau von Lichtenberg, zu klagen; sie hielt es für unnütz und unwürdig und mochte ihre Freunde nicht durch ihre Traurigkeiten betrüben. Ich wußte nicht, was ich ihr antworten sollte, nicht etwa, weil ich den Unterschied zwischen ihrem Los und meinem nicht begriff, sondern weil ich keine Worte fand, die sie über das Ungemach – oder sollte ich sagen, die Abhängigkeit? – trösten konnten, der ihr Geschlecht sie unterwarf. Ich blieb also zu ihren Füßen sitzen, wortlos, ihre heißen Hände in den meinen, aber die Augen an ihren Augen hängend, und das ist nicht dahingesagt – denn außer daß ihre Augäpfel wunderschön waren, zeichneten sich darin Sekunde um Sekunde so lebhafte, so reiche Empfindungen, daß ein liebendes Herz für die Botschaften, die sie ihm sandten, nicht unempfänglich sein konnte.

»Mein Pierre«, sagte sie endlich mit leiser Stimme, »es gibt etwas, um das Sie mich oft gebeten haben und in das ich nie einwilligen wollte. Wenn Sie aber heute dieselbe Bitte an mich richteten, glaube ich, könnte ich die Gründe meiner bisherigen Ablehnung beiseite schieben, natürlich nur, wenn Ihr Wunsch danach noch immer so stark ist …«

»Oh, meine Liebste!« rief ich, denn ich ahnte, was sie nicht aussprach, »Sie würden mich überglücklich machen …«

»Nicht, nicht, mein Pierre!« sagte sie mit lebhafter Zärtlichkeit und legte mir die Hand auf den Mund, »sagen Sie nichts! Wer wollte ein ganzes Wort hören, wo ein halbes genügt?«

»Und trotzdem«, sagte ich lächelnd, »muß ich dieses ganze Wort sogleich dem Marquis de Siorac schreiben und ihm durch Ihren Laufburschen übersenden. Sonst gerät er in Sorge, wenn ich nicht heimkomme, die Pariser Gassen sind abends nicht sicher.«

Der fünfzehnte August ist das Fest der Jungfrau, und ich stelle mir gerne vor, daß es nicht nur der Mutter Jesu geweiht ist, sondern den Frauen überhaupt. So weihte ich mich denn Frau von Lichtenberg vom Samstag, dem fünfzehnten August, bis zum Sonntag mittag und verließ die dämmerige Höhle ihres Betthimmels nur, wenn wir etwas zu uns nahmen. Unseren Umarmungen folgte Geplauder, und unseren Wonnen folgten Tränen und manchmal auch Lachen. Alles schien uns kostbar, gierig sammelten wir einen Vorrat allen Glücks, das wir in uns |329|bewahren konnten, denn jedes Wort, jeder Kuß brachte uns der Stunde näher, die unsere Zweisamkeit lösen und unsere Münder voneinander trennen würde.

Am längsten hingen unsere Augen aneinander. Als ich ihre Schwelle überschritten und Herr von Beck die Tür hinter mir geschlossen hatte, wußte ich, daß Frau von Lichtenberg in ihrem Hausgewand noch am Fenster zum Hof stand, und als ich aufschaute, erblickte ich ihre halb hinterm Vorhang verborgene Gestalt – so als tauchten Entfernung und Zeit sie schon in sich verdichtenden Dunst –, da hielt ich inne, einen Fuß auf dem Tritt der Mietkutsche, und grüßte sie, daß die Federn meines Hutes das Pflaster streiften: eine nichtige, alltägliche Geste an Stelle all dessen, was ich ihr noch hätte zurufen mögen und wovon ich voll war. Ich stieg ein, sank auf die Bank und schloß die Vorhänge. Es war höchste Zeit: Tränen strömten mir über die Wangen.

* * *

In Abwesenheit meines Vaters sorgten La Surie und ich nun für die Einquartierung des Königshauses an den Etappen, was uns die bekannten Vorteile wie auch jene Beschuldigungen eintrug, die man sich denken kann, denn kein königlicher Amtsträger war mit seiner Unterkunft zufrieden. Auf La Suries klugen Rat hin nahm ich darum für uns beide die jeweils mäßigste und am weitesten vom König entfernte, so daß ich auf die Beschwerden antworten konnte: »Monsieur, wenn Euch Euer Quartier nicht gefällt, wollt Ihr vielleicht meines?« Es waren nur drei oder vier, die das Angebot unbesehen akzeptierten und bei seinem Anblick lieber Abstand nahmen, doch schafften diese mir den Ruf der Gerechtigkeit und Bescheidenheit. Daher konnten wir an der elften Etappe schließlich von dem System abweichen und in Poitiers, das wir am einunddreißigsten August erreichten, uns selbst behaglich unterbringen, ohne verdächtigt zu werden, wir hätten unseren Dienst ausgenutzt, um uns den Löwenanteil zu sichern.

Wir hatten eine gute Nase gehabt, denn wir wohnten lange an dem Ort: die arme kleine Madame, die bei der Abreise von Paris schon eine sehr klägliche Miene gemacht hatte bei dem Gedanken, nun auf alle Zeiten fern von ihrem geliebten Bruder in die goldenen Paläste des spanischen Königs verbannt zu |330|werden, erkrankte an den Blattern. Und fast gleichzeitig litt die Königinmutter an einer Gürtelrose. Madame erholte sich, ohne daß in ihrem hübschen Gesicht Narben zurückblieben, und dank einem jüdischen Arzt ließen auch die Leiden ihrer Mutter allmählich nach, doch nahmen diese Kuren fast den ganzen September in Anspruch, so daß der Hof Poitiers nicht verlassen konnte.

Während die Königin von ihrem Jucken geplagt wurde, machte sich die Concini ihren Zustand zunutze, und nicht ohne Erfolg, um mit ihr wieder den alltäglichen, einschmeichelnden Umgang aufzunehmen, der soviel zu ihrer außerordentlichen Gunst beigetragen hatte. Condé und die Großen, die unter Waffen standen, benahmen sich so bedrohlich, daß der König sie im Rat des Majestätsverbrechens für schuldig und somit ihrer Güter und Ehren verlustig erklärte. Leider hatte aber das mächtige königliche Heer von der Königin den kleinmütigen Befehl erhalten, den Kampf nicht zu eröffnen, so daß die Großen innerhalb dieses Monats nun die Seine überschreiten konnten, dann die Marne und schließlich die Loire und drohten, sich mit den Hugenotten im Westen zu verbünden, unter denen einige sich ebenfalls bewaffnet hatten. Weil aber die Großen trotzdem halb so zahlreich und schlechter gerüstet waren als die Königlichen, hüteten sie sich, diese anzugreifen, und so wurde es eine komische Art von Krieg, in dem beide Armeen nebeneinander herzogen, ohne daß je ein Schuß fiel.

Die Zeit wurde mir lang in Poitiers. Ich schrieb immer untröstlichere Briefe an Frau von Lichtenberg und sah voll Sorge, wie schweigsam und unfroh Ludwig war, wie oft er klagte, das Herz tue ihm weh, er habe Magenkrämpfe und Schwächeanfälle.

Am achtundzwanzigsten September setzte sich der Hof endlich nach Bordeaux in Bewegung. Es traf sich, daß Ludwig am Tag zuvor vierzehn Jahre alt geworden war. Héroard hatte seine Maße genommen, doch ob er sie der Königinmutter mitteilte, weiß ich nicht: er machte daraus geradezu ein Geheimnis, denn er verzeichnete sie nicht einmal in seinem Tagebuch, in das er doch täglich alles Ludwig Betreffende eintrug, einschließlich der Konsistenz seiner ›Geschäfte‹ und der Farbe seines Urins.

Ich jedenfalls, der ich kein Mediziner bin, fand am Wuchs und an den Proportionen des Königs nichts auszusetzen. Als |331|begeisterter Jäger wie sein Vater war er sehr widerstandsfähig gegen Müdigkeit und Wetterunbilden, tapfer in Gefahren, geschmeidig und lebhaft in seinen Bewegungen, äußerst geschickt mit den Händen, anmutig beim Tanz und saß sicher und in eleganter Haltung im Sattel. Der achtundzwanzigste September war also der erste Tag seines fünfzehnten Lebensjahres, und nach meinem Verständnis mußte er finden, daß es sehr schlecht für ihn begann, denn in wenigen Tagen würde er seine Schwester verlieren und eine Gemahlin bekommen, ohne daß die zweite für ihn den Verlust der ersten aufwiegen konnte.

Wir benötigten mehr als eine Woche, Bordeaux zu erreichen. Am siebenten Oktober entsandten das Parlament und die Notabeln dieser schönen Stadt ein bedecktes Schiff nach Bourg, um die Königinmutter, Ludwig, Madame und die beiden kleinen Prinzessinnen aufzunehmen. Ich war nicht dabei; aber Héroard, der Ludwig auf Weg und Steg zu folgen hatte, vertraute mir später an, die Schiffsreise auf der Garonne – die sehr schön und sehr breit ist – habe Ludwig einigermaßen von dem großen Leid abgelenkt, das ihn Tag und Nacht quälte, weil er sich von Madame trennen sollte. Laut Héroard ließ er sich an Bord um vier Uhr ein Souper neben dem Steuer auftragen, indem er eigenhändig eine Serviette als Tischtuch über einen Schemel breitete. Und er aß, das Auge auf dem Steuermann und den leisen Bewegungen, die dieser dem freiliegenden Ruder beibrachte. Wahrscheinlich wiegte sich Ludwig in dem Gefühl, er sei der Kapitän.

Bestimmt wäre ihm dies leichter gefallen, als derzeit sein eigenes Geschick zu lenken. Er war König von Frankreich, großjährig seit einem Jahr und bald verheiratet, aber er hatte weder seine Gemahlin erwählt noch den Gemahl von Madame, noch seine Bündnisse, und völlig ohne ihn, nur von der Königinmutter und dem spanischen König, wurde das Protokoll beider Hochzeiten festgelegt.

Sie sollten gleichzeitig in Frankreich und in Spanien per Stellvertretung statthaben. Ludwig sandte dem Herzog von Lerma die Erlaubnis, in seinem Namen die Infantin Anna von Österreich in Burgos zu ehelichen, und der Prinz von Asturien bevollmächtigte den Herzog von Épernon, sich in seinem Namen zu Bordeaux mit Madame zu vermählen.

Der Austausch der Prinzessinnen war bis in jede Einzelheit |332|mit größter Sorge um die Gleichstellung beider Nationen vorbereitet worden. Auf einer Insel inmitten der Bidassoa, dem Grenzfluß zwischen Frankreich und Spanien, waren Zwillingspavillons errichtet worden. Beide Prinzessinnen hatten zur selben Minute das Ufer ihres Heimatlandes zu verlassen und auf einem Kahn zu den Pavillons auf der Insel überzusetzen. Dort sollten die beiden Schwägerinnen zusammentreffen, sich kennenlernen und eine Viertelstunde plaudern. Hinsichtlich dieser kurzen Begegnung, wenn man es recht bedachte, ja der ersten und letzten ihres Lebens, war vom Protokoll berücksichtigt worden, daß die Infantin Anna von Österreich nicht mehr Französisch konnte als Madame Spanisch, und um niemanden zu kränken, war es nicht festgelegt worden, in welcher Sprache die Unterhaltung ablaufen sollte.

Nach diesem kleinen, wenig besagenden Zwiegespräch hatten beide Prinzessinnen einander den Rücken zu kehren und sich nach dem Land einzuschiffen, wo sie Königin werden sollten, und sowie eine jede den Fuß auf den Boden ihres künftigen Reiches gesetzt hätte, wäre die Bidassoa für sie auf immer unüberschreitbar. Die kleine Anna von Österreich ging wie Ludwig in ihr fünfzehntes Jahr, Madame war erst dreizehn.

Hatte bei der Behandlung beider Prinzessinnen strengste Gleichheit geherrscht, war das Verhalten der Eltern hingegen diesen selbst überlassen. Maria von Medici hatte beschlossen, daß der König und sie in Bordeaux Abschied nahmen von Madame und daß ihre Tochter unter starker Begleitung, aber allein den Rest der Reise bis zur Grenze zurücklegte. Zärtlicher verfuhr Philipp III. von Spanien, der, entgegen den Empfehlungen seines Rates, die Tochter unbedingt bis an die Bidassoa begleiten wollte und sich mit den rührenden Worten von ihr trennte: »Mi hija, yo te he casada in Cristianidad lo mejor que he podido. Va que Dios te bendiga!«1

Schöne Leserin, bitte, begleiten Sie mich jetzt ein paar Tage zurück. Madame sollte Bordeaux am einundzwanzigsten Oktober verlassen. Am Tag vorher besuchte Ludwig sie in ihrem Quartier im Haus des Staatsrates, Monsieur de Beaumont Menardeau. Es war sein erster Abschied von ihr, und als er aus |333|ihren Gemächern kam, glänzten seine Augen von Tränen. Einer seiner Offiziere, Monsieur de la Curée – derselbe, der das Frühstück der Freßsäcke zu Pferde serviert hatte –, sagte zu ihm: »Sire, ein großer König sollte nicht so empfindsam sein.« Ohne sich über die dumme Bemerkung zu ärgern, antwortete Ludwig mit schwerem Seufzen: »Sie ist meine Schwester. Wie soll ich nicht weinen?«

Bei seinem Lever am nächsten Tag, dem ich beiwohnte, war Ludwig traurig und abwesend. Er lehnte das Frühstück ab, sagte, er bringe nichts hinunter, ließ sich wortlos ankleiden, und nach der Messe begab er sich zum Haus von Monsieur de Beaumont Menardeau, wo Madame reisefertig gemacht wurde inmitten eines Dutzends Damen, die ihr Mut zuzusprechen versuchten.

Es waren dort meine liebe Patin, die Herzogin von Guise, die Prinzessin Conti, die junge Herzogin von Guise, Mademoiselle de Vendôme und Madame de Montmorency. Als der König erschien, warf sich Madame weinend an seinen Hals, von Schluchzen geschüttelt und so verzweifelt, als führte man sie zum Schafott. Das ging bis zum Schreien. Ludwig, der ebenso heiße Tränen weinte, hielt sie fest in den Armen und suchte sie zu trösten. Aber er war selbst viel zu erschüttert und stotterte zu sehr, um drei Worte auf die Reihe zu bringen.

Das übrige erzählte mir Madame de Guise, denn von den genannten Damen war sie als einzige dabei. Es war ausgemacht, daß die Damen und Ludwig Madame eine halbe Meile außerhalb der Stadt begleiteten, und nach einem letzten Adieu sollte sie von dort allein weiterziehen. Allein, das war nur eine Redensart, denn bis zur Grenze stand sie im Schutz der Armee ihres Bruders, und mit ihr gingen an dreißig ausgewählte französische Damen nach Spanien.

»Wir fuhren also los«, erzählte Madame de Guise am Abend lebhaft und geradezu, wie es ihre Art war, aber noch immer stark bewegt. »Wir hockten aufeinander in dieser Karosse, vorn der König und Madame, und fünf Damen, ich auch, eng gequetscht auf der Hinterbank. Und in unserer Spur fuhr einsam und majestätisch in seiner Karosse der spanische Botschafter! Aber Ihr kennt doch Don Ynligo! Findet Ihr nicht, daß er aussieht wie ein Pferd?«

»Wie ein Pferd, Madame?«

|334|»Bloß, daß ein Pferd sanftmütige Augen hat und daß der Blick von Don Ynligo hart und dünkelhaft ist. Aber er hat ein langes Gesicht, von dem man nur die ellenlange Nase sieht, die er sich beim Reden auf die obszönste Weise streicht. Es ist aber keine Nase, es ist ein Pferdemaul.«

»Madame, Ihr scherzt, finde ich!«

»I bewahre! Und zum Scherzen war mir auch wirklich nicht zumute, das dürft Ihr glauben! Heilige Jungfrau! Die beiden Kinder – es zeriß mir das Herz! Da saßen sie eng umschlungen, solange es durch die Stadt ging, hielten sie ja ihr Schluchzen zurück. Aber dann kam der Halt, eine halbe Meile nach dem Tor Saint-Julien, wie abgesprochen. Wir stiegen aus, und da brach die Verzweiflung los. Sie lagen sich in den Armen, schmiegten die Köpfe aneinander, küßten sich die Gesichter, weinend, schluckend und schluchzend, und schrien, es hätte einen Tiger erweicht! Ich kann Euch versichern, keine von uns fünf hatte trockene Augen, ohne Rücksicht auf unsere Schminke, sogar die Prinzessin Conti – Ihr wißt ja, wie kokett sie ist – ließ ihren Tränen freien Lauf, so ging ihr der Anblick zu Herzen. Aber Don Ynligo sah der Szene kalt, ohne Mitleid zu, mit steifem Rückgrat, den Pferdekopf wie eine Reliquie erhoben, und versuchte, die Umarmungen in vorwurfsvollem Ton zu unterbrechen: »Kommt nun, kommt, Prinzessin von Spanien!« Aber das sagte er nicht, er wieherte es!«

»Madame!«

»Ich schwöre es! Er wieherte! Und dabei strich er sich mit knochiger Hand seine Pferdenase: ›Kommt nun, kommt, Prinzessin von Spanien!‹ sagte er. Ja, da staunt Ihr, Söhnchen, wie er sie nannte, nicht wahr? Und wie er uns zu verstehen gab, daß sie von jetzt an ihnen gehörte!«

»Leider, Madame, gehört sie ihnen nun tatsächlich als Gemahlin des Prinzen von Asturien.«

»Aber es gab keinen Grund, es uns derart unter die Nase zu reiben! Kurz, Don Ynligo brachte es fertig, die Ärmsten voneinander zu reißen, und dann mußte Madame seine Karosse besteigen. Ach, der Blick, Söhnchen! Dieser letzte Blick, den sie durchs Wagenfenster nach ihrem Bruder warf, als der Wagen anfuhr!«

»Und Ludwig?«

»Ludwig weinte, beide Hände vorm Gesicht, taub für alles, |335|was wir ihm sagten. Aber unser Trost erschien uns selber hohl und leer vor solchem Kummer. Zurück in Bordeaux, ließ er sich zur Königin fahren.«

»Zu seiner Mutter!« sagte ich. »Aber sie ist doch der letzte Mensch auf der Welt …«

Da Madame de Guise die Stirn runzelte, unterbrach ich meinen Satz. »Aber, warum, zum Teufel, war sie nicht auch dabei, um von ihrer Tochter letzten Abschied zu nehmen?«

»Sie hat es erklärt: sie hat gestern abend von ihr Abschied genommen und wollte den Schmerz nicht noch einmal beleben.«

»Welchen Schmerz?« fragte ich spottend. »Den ihrer Tochter? Oder ihren?«

»Monsieur«, sagte Madame de Guise, »wenn Ihr damit irgend etwas Unziemliches hinsichtlich der Königin unterstellen wollt, kehre ich Euch den Rücken!«

»Nicht doch, Madame, ich unterstelle gar nichts.«

»Ein Glück! Im übrigen«, fuhr sie leise fort, »habt Ihr schon recht … Ludwig war zwei Stunden bei ihr, weinte und weinte, und abgesehen von ein paar moralischen Verweisen, die ich nicht sehr angebracht fand, gab sie ihm nicht mal einen Kuß.«

Hier, schöne Leserin, kann ich meine Patin ablösen, denn zu der Zeit, als die herzzerreißenden Abschiede stattfanden, weilte ich im Bischofssitz zu Bordeaux – wo Ludwig wohnte –, zusammen mit Monsieur de Souvré, seinem Sohn, dem Ersten Kammerherrn Monsieur de Courtenvaux, Monsieur de Thermes, Monsieur de Luynes und Héroard, alle sechs warteten wir schweigend, und Héroard sah alle Augenblicke ängstlich auf seine Uhr, weil die Essenszeit längst vorüber war und Ludwig seit dem vorigen Abend nichts gegessen und getrunken hatte.

Um halb elf Uhr erschien er endlich mit roten Augen und tränengezeichnetem Gesicht. Stumm setzte er sich vor seinen Teller, aß wenig und sagte zu Héroard: »Ich habe Kopfweh.« Nach der Mahlzeit suchte er sich zu zerstreuen, indem er mit der Feder auf Spielkarten kleine Männchen kritzelte. Ich war verwundert, weil er solche Späße, als seines Alters unwürdig, seit langem aufgegeben hatte. Einige Tage später jedoch sah ich ihn mit seinen kleinen Soldaten spielen und Fliegen mit einer Klatsche fangen. Daraus schloß ich, daß er in seiner |336|Trauer einen Trost suchte, indem er sich in seine Kinderspiele flüchtete.

Zur selben Zeit schwankte seine Gesundheit, und Héroard war in höchsten Sorgen, weil Ludwig schon beim Aufstehen sagte, er habe keinen Hunger und wolle nicht frühstücken. Zu Mittag und Abend aß er, aber sehr wenig. Acht Tage nach Madames Abschied klagte er noch immer über Kopfweh, dann über Schmerzen in der Leiste. Laut Héroard, der ihn untersuchte, war die Leiste entzündet.

Wenig darauf zeigten sich Pusteln an seiner linken Hüfte, die er aufkratzte, so daß Héroard sie mit einem Pflaster abdeckte. Und kaum waren diese Rötungen verschwunden, bekam er eine schwere Erkältung mit Fieberschauern, verstopfter Stirnhöhle und geschwollener Nase.

Es war ein stillschweigendes Übereinkommen, daß er auf dieser Reise von allem Unterricht verschont blieb, was ihm sehr gefiel, denn er hatte ein Grauen vor dem endlosen Herunterleiern, das der Abbé de Fleurance ihm abverlangte. Ich ließ mir sogar sagen, er habe ihm eines Tages eine Art Handel vorgeschlagen: er gäbe dem Abbé ein Bistum, dafür solle der Abbé aufhören, ihn mit seinen lateinischen Deklinationen zu malträtieren. Der Vorschlag wurde im Spaß gemacht, der Abbé de Fleurance wies ihn tiefernst zurück.

Bei dieser Lage der Dinge geschah etwas höchst Erstaunliches. Ich habe das Datum in meinen Aufzeichnungen festgehalten, so verblüfft war ich. Am vierundzwanzigsten September, drei Tage nach Madames Abreise, ließ Ludwig durch Berlinghen den Abbé de Fleurance holen: er wollte lernen. Monsieur de Souvré war nicht zugegen, als Ludwig das sagte, und als ich Souvré davon berichtete, traute er seinen Ohren nicht. »Ist das wahr?« fragte er und machte große Augen. »Hat er das wirklich getan? Aus eigenem Antrieb?«

Vierzehn Tage später, am zehnten Oktober, bat Ludwig den Abbé wiederum, ihm Unterricht zu geben. Ich meine, dieser Rückgriff auf das Lernen war, ebenso wie der auf seine Kinderspiele, für Ludwig eine Art Flucht, in die ihn sein Gemütszustand trieb. Trotzdem war ich sehr zufrieden, denn mir schien es besser, daß er lernte, und seien es lateinische Konjugationen, als Fliegen mit der Klatsche zu fangen. Leider war der arme Abbé de Fleurance nicht der Lehrer, der diesen schönen |337|Eifer aufrechterhalten konnte, indem er seinem Schüler ein Wissen beibrachte, das seiner Erwartung entsprochen und für sein königliches Amt gebildet hätte. Doch hätte er es vermocht, wäre er flugs zurückgeschickt worden in seine Pfarre.

* * *

Zwischen Madames Abschied und der Ankunft der Infantin Anna von Österreich in Bordeaux verfloß ein reichlicher Monat, der mich lang und schwerfällig dünkte, weil ich sehr betrübt zusah, wie Ludwig kränkelte und melancholisch war, und weil ich selbst öfter, als mir lieb war, in eine große Sehnsucht nach Frau von Lichtenberg verfiel.

Weil alles, was am Hof zählte, dem König nach Bordeaux gefolgt war, sogar einige ausländische Gesandte, war ich nicht weiter überrascht, als ein alter Freund meines Vaters, der ehrwürdige Abbé und Doktor der Medizin Fogacer, Privatsekretär des Kardinals Du Perron, mir und dem Chevalier de la Surie eine Einladung zukommen ließ, mit ihm in einem Gasthaus an der Garonne zu speisen, wo man uns in einem gesonderten Raum bediente, und zwar vortrefflich.

Groß, dünn, mit spinnenhaften Gliedmaßen, hoch geschwungenen schwarzen Brauen über den nußbraunen Augen, Adlernase, sinnlichen Lippen, gewundenem Lächeln, hätte Fogacer niemals unbemerkt über Berg und Tal ziehen können, und das war schlimm, denn in seinen wilden Jahren hatte er wegen seines unvorsichtigen Atheismus und sittlicher Verirrungen mehrmals fliehen müssen und wäre einmal sogar auf dem Scheiterhaufen geendet, hätte mein Vater, sein einstiger Kommilitone an der École de Médécine zu Montpellier, ihn nicht einige Zeit in seinem Landhaus versteckt.

Mit zunehmendem Alter wurde Fogacer vorsichtiger. Und weil er ob seiner unaufhörlichen Gefährdungen Schutz suchte, wurde er Leibarzt des Kardinals Du Perron, dann sein Sekretär, dann nistete er sich ganz im Schoß der katholischen Kirche ein und wurde Priester. Seitdem war die Soutane ihm zur zweiten Haut geworden, und er hörte auf, nicht an Gott zu glauben. Ob er gleichzeitig auch der Unzucht entsagte, ist nicht gewiß, aber das dichte Geheimnis, mit dem er seine Gewohnheiten nun umhüllte, brachte die Aufregung darüber zum Schweigen, vor |338|allem, seit er, weiß geworden, sich nicht mehr öffentlich mit gelockten kleinen Geistlichen zeigte, deren erste Tugend nicht die Frömmigkeit zu sein schien.

Als ich noch sehr jung war, störte es mich heftig, mit welcher Zudringlichkeit Fogacer mich mit den Augen verschlang, meine Knabengestalt pries und mich ›mein Liebling‹ nannte, denn der Ausdruck hatte in seinem Mund einen sehr anderen Klang als in dem der Herzogin von Guise. Zum Glück hörten seine Aufmerksamkeiten mit einem Schlag auf, als mir der Bart sproß, denn Fogacer liebte nur bartlose, unreife Knaben.

So nahm ich dieses Essen mit Fogacer denn ohne jedes Unbehagen an, wenn auch ziemlich erstaunt, daß er mich in Bordeaux so unbedingt sprechen wollte, obwohl es in Paris genug Gelegenheiten dazu gab. Eine Zeitlang blieb ich über seine Absichten im Unklaren, denn der Mann, den ich früher so enthaltsam gekannt hatte, aß jetzt für drei und hatte nur Augen für Teller und Schüsseln.

»Mein Freund«, sagte er, als er endlich gesättigt war, »seit dem Beginn dieses wundervollen Diners, dem Ihr so wenig zugesprochen habt, sehe ich in Euren Augen die Frage, was ich wohl von Euch will. Das ist aber ganz einfach. Mein Freund, ich wage es klipp und klar zu fragen: Wer ist Luynes, woher kommt er, was will er, und wo will er hinaus?«

»Woher er kommt«, sagte ich, »das ist klar. Sein Vater war ein Kind der Liebe zwischen Maître Ségur, Domherr zu Marseille, und einer Zofe namens D’Albert. Er hieß nach seiner Mutter D’Albert, aber nannte sich auch De Luynes nach dem Fluß, an dem der unkeusche Domherr ein kleines Haus besaß, wo er sich sein Liebchen hielt. Luynes also, um ihn bei seinem selbstgewählten Namen zu nennen, war schön und tapfer. Er wurde Soldat, kam vorwärts im Leben und erhielt schließlich das Gouvernement von Pont-Saint-Esprit. Dann heiratete er ein adliges Fräulein und wurde durch die Mitgift Besitzer eines kleinen Hofes namens Brante und einer kleinen Insel in der Rhône namens Cadenet. Er bekam drei Söhne. Den ersten nannte er Luynes wie sich selbst: das ist unser Mann. Den zweiten nannte er Brantes und den dritten Cadenet. Ihr seht, die Leute unserer okzitanischen Provinzen haben Phantasie. Ein Fluß, ein Hof, ein Inselchen in der Rhône, und schon haben sie klangvolle Namen, und adlige obendrein.«

|339|»Mein Freund«, sagte Fogacer, »das wissen wir.«

»Aber, wißt Ihr auch, warum Luynes’ Vater sein Gouvernement von Pont-Saint-Esprit verlor?«

»Nein.«

»Dann will ich es Euch erzählen, ehrwürdiger Abbé. Die Gattin unseres Gouverneurs – eine geborene Adlige, wie gesagt – schickte eines Tages um Einkauf zu ihrem Schlächter, der sich aber sehr zu beklagen hatte, weil er nie bezahlt wurde, und so ließ er ihr nun ausrichten, er könne nur mehr mit dem einen Fleisch dienen, das er jedenfalls behalten wolle, ihr aber zur Benutzung anbiete …«

»Das war ja ein ganz rüpeliger Scherz!« sagte Fogacer.

»Und die Dame, von Adel, wie gesagt, fühlte sich schwer gekränkt. Ungesäumt lief sie zu dem Lümmel und durchbohrte ihn mitten in seiner Schlächterei mit vier oder fünf Dolchstichen.«

»Gerechter Himmel!«

»Ihr mögt dazu bemerken, mein ehrwürdiger Abbé, daß unser gegenwärtiger Luynes, so wackerer Eltern Sohn, es selbst nicht eben ist, denn er meidet jeden Streit, und wird er zum Duell gefordert, schickt er seine Brüder, Brantes oder Cadenet, sich an seiner Statt zu schlagen.«

»Das ist uns bekannt.«

»Ach!« sagte ich und hob die Brauen, »was wollt Ihr dann noch wissen? Die drei Brüder kamen in Stellung bei Monsieur de Lude, der gab sie Monsieur de la Varenne, der gab sie unserem seligen König, und der gab sie Ludwig, der den ältesten sehr liebt, weil er sein Vogelsteller ist und seine Falken wunderbar dressiert.«

»Genau darüber«, sagte Fogacer mit einem kleinen Schillern in den Augen, »genau über diese große Freundschaft des Königs für Luynes möchten wir mehr erfahren.«

Ich ließ ein kühles Schweigen eintreten und sagte, Fogacer ins Auge blickend, von oben herab: »Mein ehrwürdiger Abbé, ich plaudere nicht aus dem Louvre.«

»Die Abfuhr habe ich erwartet«, sagte Fogacer lächelnd, »Eure unbedingte Ergebenheit für den kleinen König ist mir nicht neu. Bedenkt jedoch, mein Sohn, ob eine Antwort ihm in diesem Fall nicht dienlicher wäre als eine verweigerte Antwort.«

|340|»Wieso?«

»Wenn ich Euch, zum Beispiel, die Leute nennen würde, die diese Frage stellen, und die Gründe, weshalb sie sie stellen. Meint Ihr nicht, daß Euer Wissen demjenigen nützen könnte, dem Ihr dient?«

»Sind es mächtige Leute?«

»Außer der Königin gibt es in diesem Reich keine mächtigeren.«

»Wie? Nicht einmal die Minister?«

»Minister vergehen.«

»Nicht mal die beiden Marquis von Ancre?«

»Die sind auch nicht ewig.«

»Erhöre Euch der Himmel!«

»Laßt mich hinzufügen«, sagte Fogacer, »daß ich meine Quellen niemals preisgebe und daß auch Ihr in meinem Munde ein dem König nahestehender Edelmann sein werdet. Ich sehe Euch schwanken … Habt Ihr geglaubt, Ihr könntet, wenn ich Euch mitgeteilt habe, was ich weiß, mit dem, was Ihr wißt, hinterm Berge halten und so von Anfang an allen Vorteil für Euch einheimsen?«

»Eben das überlegte ich mir im stillen«, sagte ich lächelnd. »Trotzdem, wenn ich Euch wahrheitsgetreu antworten kann, ohne dem König zu schaden, werde ich antworten.«

»Was soll denn das?« rief Fogacer und spielte den Entrüsteten. »Heißt das, Ihr könntet mich auch belügen?«

»Warum nicht?«

»Mir scheint«, sagte Fogacer lachend, »Euer Vorteil über mich wird übermäßig. Schön also, ich gehe das Risiko ein. Sind wir uns einig?«

»Gut, in den Grenzen, die wir uns gesteckt haben. Wer also, mein ehrwürdiger Abbé, sind diese Leute, und welche Frage bewegt sie?«

»Sperrt Augen und Ohren auf, mein Sohn, und entbreitet Eure Flügel, so Ihr deren habt: Ihr werdet gleich aus den Wolken fallen. Es handelt sich um den päpstlichen Nuntius Bentivoglio, den spanischen Gesandten, Herzog von Monteleone1, und um Pater Cotton.«

|341|»Der Papst, der spanische König und der Jesuitenorden!«

»Wenigstens ihre Repräsentanten, die in Bordeaux konferiert haben. Ich war dabei – in sehr untergeordneter Stellung – , doch war ich vom Kardinal Du Perron entsandt.«

»Und um was ging es?«

»Ihr werdet es nicht glauben: sie sorgen sich um den königlichen Zapfen.«

Ich war baff, machte große Augen und wußte nicht, sollte ich es glauben, sollte ich lachen.

»Was soll die Alfanzerei?« rief ich endlich. »Mein Freund, Ihr scherzt!«

»Durchaus nicht. Ihr erinnert Euch sicherlich, mein junger Freund, daß der kleine Dauphin unter dem Einfluß eines schamlosen Vaters, der seine Bastarde schon nicht mehr zählen konnte und sie in buntem Durcheinander mit seinen legitimen Kindern zu Saint-Germain-en-Laye aufzog, in einem äußerst losen Milieu lebte. Freie Reden, krude Gesten. Der kleine Dauphin zeigte jedem Beliebigen sein Schwänzchen, spielte öffentlich damit, hieß seine Nächsten es küssen, verglich es mit dem seines Vaters, schürzte seine kleinen Spielgefährtinnen auf, verliebte sich sogar mit sechs Jahren in eine Ehrenjungfer der Königin, der es furchtbar peinlich war, wenn er öffentlich ihre Brüste tätschelte.«1

»Ja, ich weiß«, sagte ich. »Das war Mademoiselle de Fonlebon, in die auch ich halb verliebt war.«

»Schön. Dann wißt Ihr auch, mein Freund, daß diese heidnische Freizügigkeit, um nicht zu sagen Ausschweifung, mit dem Tod des Königs ein Ende nahm unter der vereinten Einwirkung der Königinmutter und des Paters Cotton. Wahrscheinlich fürchtete man, daß Ludwig zu sehr nach seinem Vater geriete, daß er sich zu früh in eine Hofdame vergaffen und, zu schnell mannbar geworden, seiner Mutter die Macht vorzeitig entreißen werde. Von nun an wurde der kleine König gescholten, ermahnt, katechisiert und von Pater Cotton stundenlang zur Beichte genötigt. Er mußte Fragen und Antworten auswendig lernen der Art: ›Wer sind unsere Feinde?‹ – Antwort: ›Die Welt, Satan und das Fleisch.‹ Mit dem Fleisch waren natürlich Weiberröcke gemeint.«

|342|»Ehrwürdiger Abbé«, sagte ich lächelnd, »sagt doch ›die Frauen‹, falls dieses Wort Euch über die Zunge geht.«

»Ich sage es, gut. Aber, was haltet Ihr, mein Sohn«, fuhr er vorsichtig fort, »von dieser Umerziehung des jungen Königs?«

»Daß man zu seinem Unheil von einem Extrem ins andere gefallen ist und den ursprünglichen, unkeuschen Prinzen zu einem äußerst keuschen gemacht hat, der Angst hat vor Frauen.«

»Könnte es nicht eher so gewesen sein«, warf der Chevalier de la Surie ein, »daß die Königin aus Rache für die Untreue des Vaters versucht hat, den Sohn zu entmannen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das möchte ich nicht behaupten von einem kleinen König, der sich in allem sonst so mannhaft zeigt, aber es ist nur zu wahr, daß Ludwig, sieht man von seiner kindlichen Liebe zu Madame einmal ab, dem schönen Geschlecht mit erheblicher Scheu begegnet. Und nur zu wahr ist auch, daß die Beziehung zu seiner Mutter ihm die Frauen nicht eben anziehend gemacht hat.«

»Und genau deshalb, junger Freund, sind die genannten hohen Herrschaften beunruhigt, einschließlich des Paters Cotton, der an der beschriebenen Entwicklung ja nicht unbeteiligt war und sich jetzt fragt, ob er in der Unterdrückung des Triebes nicht zu weit gegangen ist.«

»Die Herrschaften sind beunruhigt!« rief ich. »Das wurde auch Zeit! Und wieso, zum Teufel, auf einmal die Sorge?«

»Das versteht sich doch von selbst! Hinsichtlich der spanischen Hochzeit natürlich!« sagte Fogacer. »Welchen Einfluß kann die spanische Infantin, wenn sie Königin ist, ausüben, wenn ihr Mann sich ihr nicht nähert?«

»Ach, was für ein Machiavellismus!« rief ich empört. »Da stecken sie einen Menschen erst in den Mörser, zerstampfen ihm Leib und Seele und wundern sich hinterher, wenn er ihren Wünschen nicht entspricht!«

»Wie dem auch sei«, sagte Fogacer, »einer der Herren …«

»Den Ihr nicht nennen wollt«, sagte La Surie.

»… machte den Vorschlag, Ludwig vorher eine erfahrene Frau zuzuführen, bei der er seine Messer schärfen lernt, damit er sich nicht an einer donzella beweisen muß.«

»Und weil dieser Sprecher Italiener war«, sagte La Surie, »kann es sich nur um den Nuntius handeln.«

|343|»Still, Miroul«, mahnte ich.

»Aber Pater Cotton«, sagte Fogacer, »verwahrte sich gegen den Vorschlag. Er hält es für sicher, daß der König nicht bereit wäre, mit einer Frau zu sündigen, die nicht seine Gemahlin ist.«

»Da haben wir’s!« sagte La Surie.

»Bitte, Chevalier!« sagte ich stirnrunzelnd.

»Die Herrschaften«, fuhr Fogacer unerschütterlich fort, »kamen schließlich zu der einmütigen Überzeugung, daß der König den Stachel des Fleisches nicht stark genug fühlt, um seine Scham zu überwinden. Von da aus gelangten sie zu der Frage, ob in diesem Fall nicht ein Element wirke, das vielleicht der Prüfung bedürfte, um sicherzugehen, ob Ludwigs Abneigung gegen Frauen heilbar oder womöglich unheilbar ist.«

»Mein Gott«, sagte ich, »was soll der Wortschwall? Was für ein ›Element‹ meint Ihr?«

Fogacer rückte seinen Stuhl vom Tisch ab, streckte seine endlosen Beine von sich und zauderte ein Weilchen, die Augen geschlossen, die Hände über dem Bauch gefaltet, ehe er antwortete. Und als er sich dazu durchrang, öffnete er weit seine durchdringenden Augen unter den diabolisch gesteilten Brauen, richtete sie auf mich und sagte in samtigem Ton: »Ludwigs Freundschaft für Luynes.«

Mir verschlug es die Sprache, hatte ich recht verstanden? Aber der Ton, den Fogacer dem Wort ›Freundschaft‹ gab, und meine Kenntnis des Mannes ließ keinen Zweifel offen.

»Fogacer!« rief ich voller Zorn, »das ist schändlich! Ludwigs Freundschaft für Luynes ist rein von jedem Verdacht! Und der Gedanke, daß sie anders als rein sein könnte, ist dem kleinen König nicht einmal im Traum gekommen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer!«

Während ich mit solcher Erregung sprach, beobachtete Fogacer mich aus scharfen Augen, dann lächelte er sein langsames, gewundenes Lächeln und sagte befriedigt: »Ich habe also Eure Antwort, und freimütig, aufrichtig, frisch aus dem Herzen. Ihr unterschätzt Euch, mein junger Freund, wenn Ihr glaubt, daß Ihr imstande wäret, über jemanden zu lügen, der Euch so nahe steht wie Ludwig.«

* * *

|344|Die Königinmutter konnte nicht umhin, die Besorgnisse ihrer Verbündeten zu teilen. Außerdem stellte sich ihr und ihren Ministern die Frage, ob Ludwig genötigt werden sollte, die Ehe mit der Infantin gleich nach ihrer Ankunft zu vollziehen, oder ob man diesen Vollzug besser aufschöbe in Anbetracht beider Jugend, ihrer gemeinsamen Unerfahrenheit, der Scheu Ludwigs vor dem schönen Geschlecht und seiner offenbaren Abneigung gegen die Nation, der seine Gemahlin entstammte.

Bei längerer Diskussion erschien ein Aufschub der fleischlichen Vereinigung politisch gefährlicher als ihr Vollzug, weil ersterer den erklärten Gegnern der spanischen Hochzeiten zu sehr in die Hände gespielt hätte: den Hugenotten, den Großen, dem Pariser Parlament und den Gallikanern. Würde man nicht überall tuscheln, diese Ehe sei verdammt, eine Scheinehe zu bleiben, weil der König die spanische Gemahlin ablehnte, die ihm von der Königinmutter aufgezwungen wurde, indem sie den Willen des seligen Königs zynisch mißachtete? Andererseits ließ man denselben Gerüchten freie Bahn, wenn man Ludwig den sofortigen Vollzug seiner Ehe abverlangen und er bei diesem Unterfangen scheitern würde. In diesem Fall jedoch wäre die Scheinehe immerhin nur eine Vermutung und keine verhängnisvolle Gewißheit.

So kam es, daß Ludwigs Hochzeitsnacht zu einer Staatsaffäre wurde … Und weil in solchen Affären der Glaube mehr zählt als Tatsachen, sprach man sich für den sofortigen Vollzug der Ehe aus – so roh und taktlos dies auch war –, fest entschlossen allerdings, dem befürchteten Scheitern allen Anschein eines überzeugenden Erfolges zu verleihen.

Es begann damit, daß man eine Beziehung der beiden Halbwüchsigen in idyllischen Farben erfand. So wurde Luynes nach Bayonne entsandt, um der Infantin Anna einen Brief des Königs zu überbringen, in dem er ihr seine ›Ungeduld‹, sie zu sehen, bekundete. Die Wahl des Boten war höchst geschickt, denn sie konnte Ludwig nur gefallen und seinem Günstling schmeicheln, so daß bei dieser Unternehmung kein Widerspruch zu fürchten stand, weil der Bote gewissermaßen die Botschaft war, die selbstverständlich auch sogleich veröffentlicht wurde, zusammen mit der Erklärung, dieses Sendschreiben sei von Ludwig um halb zehn Uhr abends, in seinem Bett, |345|verfaßt worden – ein rührendes Detail, das Héroard brav bestätigte.

Daß dieser Brief aber von Ludwig nicht aus eigenem Antrieb geschrieben, sondern nur eigenhändig von einer Vorlage abgeschrieben wurde, davon bin ich auf Grund einiger Formulierungen überzeugt, die ich in der folgenden Wiedergabe dieses Billetts für den Leser hervorhebe:

 

Madame, da ich nicht, wie ich es wünschte, bei Eurer Ankunft in meinem Reich zugegen sein kann, um die Macht, die ich hier habe, mit Euch zu teilen, wie auch meine Neigung, Euch zu lieben und zu dienen, sende ich Euch Luynes, einen meiner vertrautesten Diener, damit er Euch in meinem Namen grüße und Euch sage, daß Ihr hier von mir mit Ungeduld erwartet werdet, um Euch persönlich das eine wie das andere darzubieten (gemeint sind Macht und Neigung). Ich bitte Euch also, ihn günstig zu empfangen und zu glauben, was er Euch, Madame, sagen wird von

Eurem teuersten Freund und Diener

Ludwig

 

Meines Erachtens hätte Ludwig von sich aus weder von der ›Macht‹ gesprochen, die er in seinem Reich habe, weil er gar keine hatte, noch Anna von Österreich versprochen, er wolle sie mit ihr teilen, weil er höchst eifersüchtig auf seine königlichen Vorrechte hielt und ihr niemals, sein Leben lang, auch nur den kleinsten Anteil daran abtrat.

Noch weniger hätte er von der ›Ungeduld‹ gesprochen, mit der er sie erwarte, weil er in seiner Untröstlichkeit über Madames Fortgehen nur eine unheilvolle Verkettung erblicken konnte zwischen dem Verlust der geliebten Schwester und der Ankunft einer Fremden, die er im voraus seinen künftigen Feinden zurechnete.

Auch erzählte man, in seiner ›Ungeduld‹, sie zu sehen, sei er ihr am Samstag, dem einundzwanzigsten November, auf dem Weg, den sie kam, entgegengefahren, habe seine Karosse neben der ihren halten lassen, habe sie angeschaut und ihr, mit dem Finger auf sich zeigend, ›fröhlich‹ zugerufen: »Io son incognito! Io son incognito!« Darauf habe er seinen Kutscher angetrieben, sie zu überholen, und sei eine Stunde vor ihr in Bordeaux angelangt.

|346|Nicht daß er dies getan hat bezweifle ich, sondern daß er es von sich aus tat und mit der ihm zugeschriebenen Freude. Denn wenn er so glücklich war, die Infantin zu erblicken, was hinderte ihn dann, bis Bordeaux in ihrer Gesellschaft zu bleiben? Schließlich war er, auch wenn er sie per Stellvertretung geheiratet hatte, doch ihr Gemahl. Und finden Sie nicht auch, Leser, daß er, indem er ihr sein: »Io son incognito!« von Wagen zu Wagen zurief, dann aber gleich davonpreschte nach Bordeaux, anstatt auf seine Gemahlin zu warten und sie zu geleiten, wahrlich nur das Allermindeste tat?

Unter den rosa Märchen, welche die Macht in die Ohren des Hofes säuselte, auf daß er die prinzliche Idylle glaube, ist allerdings eines, das wahrer klingt. Am Tag nach der Ankunft Annas von Österreich besuchte Ludwig sie, während man sie ankleidete. Da traf es sich, daß sie eine scharlachrote Feder suchte, um sie mit einer weißen zu verbinden, und daß der König ihr sogleich seinen Hut reichte und sie bat, sich eine der seinen auszuwählen. Woraufhin er sagte: »Jetzt müßt Ihr mir eine Eurer Schleifen geben.« Was sie lächelnd tat, und diese Schleife heftete er an seinen Hut.

Das war von der einen wie der anderen Seite nun nicht die große Anziehung, aber wenigstens eine hübsche Galanterie, die, hätte man diesen halben Kindern Zeit gelassen, einander näherzukommen, sich in zärtlichere Gefühle hätte verwandeln können.

Die Königin aber hatte nur eines im Sinn: die ganze Welt davon zu überzeugen, daß die Ehe wahr und wahrhaftig vollzogen sei.

Die arme Anna von Österreich war am einundzwanzigsten November eingetroffen. Fünf Tage später wurde die Vermählung zu Burgos durch eine Messe in der Kirche Saint-André bekräftigt. Und nach der wie immer endlosen, erschöpfenden Zeremonie, als der König sich müde zu Bett gelegt hatte, wurde ihm von seiten seiner Mutter mitgeteilt, daß er an diesem Abend seine Ehe zu vollziehen habe.

Er stand auf, rührte das Abendessen kaum an, und bleich vor Scham und Angst wartete er. Ich weiß nicht, wer auf den Einfall kam, ihm Monsieur de Guise und Monsieur de Gramont zu schicken, die ihm zum Mutmachen saftige Geschichtchen erzählten, die ihn jedoch, bei der äußersten Schamhaftigkeit, |347|die man ihm seit dem Tod seines Vaters eingetrichtert hatte, noch tiefer in Furcht und Abscheu treiben mußten.

Über diese königliche Hochzeitsnacht nun ließ die Königinmutter mit einer den Großkämmerer empörenden Dreistigkeit das folgende Communiqué verfassen und veröffentlichen:

 

Sowie der König zu Abend gespeist hatte, legte er sich nieder in seinem Gemach, wo seine königliche Mutter (die bis dahin in der Kammer der kleinen Königin gewesen war) ihn gegen acht Uhr abends aufsuchte und, nachdem sie die Garden und alle Höflinge hinausgeschickt hatte, an das Bett des Königs trat und zu ihm sprach: »Mein Sohn, getraut zu sein ist noch nicht alles, Ihr müßt jetzt die Königin besuchen.«

»Ich erwartete nur Euren Befehl«, sagte der König. »Ich gehe, wenn es Euch beliebt, mit Euch zu ihr hin.«

Sogleich kleidete man ihn in sein Hausgewand und seine gefütterten Schuhe, und also ging er mit der Königin in das Gemach der kleinen Königin, woselbst auch die Herren de Souvré, Héroard, der Oberkämmerer Marquis de Rambouillet (mit dem Degen des Königs), und Berlinghen, der Erste Kammerdiener (mit dem Leuchter), eintraten.

Indem die Königin vor das Bett trat, sprach sie zu der kleinen Königin: »Meine Tochter, hier führe ich Euch Euren Gemahl zu. Nehmt ihn bei Euch auf und liebet ihn recht, das ist meine Bitte.«

Die kleine Königin antwortete auf spanisch, sie habe keinen anderen Vorsatz, als ihm zu gefallen und dem einen wie dem anderen nachzukommen.

Der König begab sich von der Seite der Kammertür in das Bett, denn die Königin befand sich in der Bettgasse und sagte den beiden, welche sie beieinander liegen sah, etwas so Leises, daß kein anderer es verstehen konnte. Dann verließ sie die Bettgasse und sprach: »Auf denn! Gehen wir alle hier hinaus!«

Und befahl den beiden Ammen, jener des Königs und jener der Königin, allein nur in besagtem Gemach zu verbleiben und sie eineinhalb Stunden beisammen zu lassen, oder höchstens zwei.

So zog sich besagte Königin zurück und all jene, welche mit ihr in besagtem Gemach waren, auf daß besagte Ehe vollzogen werde, was der König tat und zu zwei Malen, wie er selbst |348|bekannte, und auch besagte Ammen berichteten es wahrhaftig, und hernach, als er ein wenig geschlafen und ein wenig länger geblieben war wegen besagten Schlummers, erwachte er von selbst und rief seine Amme, damit sie ihm seine Schuhe und sein Gewand gebe und sie ihn aus dem Gemach führe, wo im Saal besagte Herren ihn erwarteten: Souvré, Héroard, Berlinghen und andere, um ihn in sein Gemach zu geleiten. Und nachdem er zu trinken verlangt und getrunken und hierbei große Zufriedenheit über den Vollzug seiner Ehe bekundet hatte, legte er sich in sein gewöhnliches Bett und ruhte die ganze übrige Nacht sehr gut, da es zur Stunde einhalb zwölf Uhr war. Die kleine Königin, die sich ihrerseits erhob, nachdem der König von ihr gegangen war, kehrte zurück in ihre kleine Kammer und legte sich in ihr gewöhnliches kleines Bett, welches sie von Spanien mitgebracht hatte. Und genau dies hat sich beim Vollzug besagter Ehe begeben.

 

»Wie ausgebufft!« sagte La Surie, nachdem ich ihm den Bericht vorgelesen hatte. »Wäre all das, wie behauptet wird, geschehen, wäre die Veröffentlichung unnötig gewesen … Wirklich«, setzte er nach einer Weile hinzu, »ich würde um ein Vermögen wetten, daß Maria dieses Dokument selbst diktiert hat.«

»Was bringt Euch auf den Gedanken?«

»Daß Anna von Österreich in diesem Bericht die ›kleine Königin‹ genannt wird und Maria ›die Königin‹. Anna von Österreich ist von hier und heute an die Königin und Maria die Königinmutter. Aber diesen Titel für sich anzunehmen, sträubt sie sich ebensosehr wie Eure teure Patin, sich verwitwete Herzogin von Guise zu nennen.«

Das war klug gedacht. Wenig später hatte ich Gelegenheit, Héroard unter vier Augen zu sehen und, weil die Sache mich so sehr beschäftigte, ihm die Frage nach dem springenden Punkt zu stellen. Er errötete und wandte den Kopf ab.

»Er hat bekannt«, sagte er sotto voce, »er habe es zweimal gemacht …«

»Und wie denkt Ihr darüber?«

»Es war zu sehen. Der Penis war rot.«

»Das beweist den Versuch, aber nicht den Erfolg.«

Auf diese Bemerkung kam keine Antwort. Héroard warf mir |349|einen frostigen, mißbilligenden Blick zu und kehrte mir den Rücken.

Demnach gab es zwei Wahrheiten: eine offizielle und die andere.

Weder Ludwigs Aussehen noch seine Stimmung, noch seine Gesundheit besserten sich nach dem Akt, den man ihm zuschrieb. Er trauerte weiterhin um seine Schwester, hatte morgens nach wie vor keinen Appetit, klagte über Kopfweh und andere Übel, die ihn seit Madames Fortgang befallen hatten. Zweimal am Tag stattete er seiner königlichen Mutter einen protokollarischen Besuch ab und einmal am Tag seiner königlichen Gemahlin. Dazwischen jagte er, schoß, spielte Ball, bereitete Omelettes oder Konfitüren und ergab sich im übrigen knabenhaften Beschäftigungen, als sollte sein Erwachsenenleben niemals beginnen. Und aus dieser langen Zeit, in der nur sein Körper wuchs, blieb ihm an die Nacht des zweiundzwanzigsten Dezember – wie sicher auch der armen Anna von Österreich – eine unerquickliche, tief verletzende Erinnerung im Gedächtnis.

Was immer der Hof denken mochte, es verschlug wenig, denn die Münder blieben geschlossen. Die Tatsachen aber lagen offen zutage und dementierten den ›wahrhaftigen‹ Bericht der Königinmutter: bis Ludwig das Lager der Königin wieder aufsuchte, vergingen vier Jahre.