|206|ACHTES KAPITEL

Weiß der Teufel, weshalb in den fünf Jahren seit meinem Einzug in den Louvre die Sommer in Paris so drückend und die Winter so eisig waren. Es ist aber eine Tatsache, daß der Himmel damals dem natürlichen Lauf der Dinge gleichsam abhold war und ständig über die Stränge schlug, so auch im November 1613, als jählings und leider für lange Dauer Frost über Paris hereinbrach und daumendickes Eis die Seine bedeckte.

Das kam nicht ohne Weh und Ach für Ludwig, der so gerne durch Berg und Tal streifte und in den Gehegen Fell- und Federvieh jagte. Er mußte sich bescheiden, auf einem überdachten Rasen Ball zu spielen, was ihn an jenem Morgen immerhin so weit stärkte, daß er der unleidlichen Witterung spotten konnte.

»Welch schönes Wetter«, sagte er, als er in seine Gemächer trat, »um sich seinen Studien zu widmen! Auch wenn ich dazu keine Lust hätte: das Wetter machte sie mir. Alsdann, Monsieur de Souvré, lernen wir! Werden wir gelehrt!«

Aber auf diese nicht alltäglichen Scherzworte hin lächelte Monsieur de Souvré nicht. Blaß, mißmutig, zwei bittere Falten um den verkniffenen Mund, zog er ein ellenlanges Gesicht.

»Sire«, sagte er mit verdrossener Miene, »anstatt zu studieren, werdet Ihr heute Morgen ein kleines Kompliment auswendig lernen.«

»Schon wieder, Monsieur de Souvré?« sagte der König. »Und ein Kompliment für wen? Für einen Spanier?«

»Nein, Sire, für einen Italiener!« sagte Monsieur de Souvré, der, so beherrscht er sonst war, nicht umhinkonnte, eine grimmige Grimasse zu schneiden. »Wie Ihr wißt, Sire, ist der Marschall de Fervaques gestorben.«

»Ich weiß, und es tut mir sehr leid.«

»Und die Königin Eure Mutter, Sire, hat den Marquis von Ancre in die Würde eines Marschalls von Frankreich erhoben.«

|207|»Der Marquis von Ancre und Marschall von Frankreich!« rief Ludwig. »Aber er ist doch Ausländer!«

»In der Tat, Sire.«

»Und hat nie Waffen getragen.«

»In der Tat, Sire.«

»Und war nicht Euch, Monsieur de Souvré, von der Königin meiner Mutter der Marschallstab versprochen worden?«

»In der Tat, Sire.«

»Als Lohn für Eure Tapferkeit im Heer meines königlichen Vaters?«

»In der Tat, Sire«, sagte Monsieur de Souvré so blaß, als wäre er dem Tod nahe. Und mit einer heroischen Anstrengung, seine Loyalität gegenüber der Regentin erneut zu bekräftigen, fuhr er fort: »Indessen, Sire, tut die Königin Eure Mutter nichts ohne große Besonnenheit.«

»Dessen bin ich sicher«, sagte Ludwig, der dessen alles andere als sicher war.

Die Anwesenden – und an jenem Morgen waren viele in den königlichen Gemächern – schienen in Schweigen erstarrt, und um weder Monsieur de Souvré noch einander ansehen zu müssen, blickten alle zu Boden, als fürchteten sie, man könnte ihnen ihre Entrüstung vom Gesicht ablesen. Sofern sie nicht überhaupt wünschten, keine Ohren zu haben, zu hören, was sie gehört hatten, keinen Verstand, es zu verstehen, und keine Zunge, es zu wiederholen. Regungslos und stumm standen sie. Und um sie strichen die Engel der höfischen Heuchelei.

Aber der zwölfjährige König hatte – nicht, weil er der König, sondern weil er ein Kind und ein so straff am Gängelband gehaltenes Kind war –, das Recht, Fragen zu stellen, und das tat er, ernsthaft, aufmerksam und sozusagen naiv.

»Monsieur de Souvré«, fuhr er fort, »warum muß ich dem neuen Marschall dieses Kompliment machen?«

»Sire, weil der Marquis heute um zehn Uhr bei der Königin Eurer Mutter vor Euch den Eid des Marschalls von Frankreich ablegen und Euch seiner loyalen Dienste versichern wird.«

»Und was soll ich sagen?«

»Sire, den folgenden Satz hat man mich beauftragt, Euch zu lehren.« Und es war meines Wissens das erstemal, daß Monsieur de Souvré eine gewisse Distanz zu dem Text ausdrückte, den er dem König in den Mund legen sollte: »›Mein Cousin, |208|ich erwarte mir Gutes von Euren Diensten und danke Euch für Eure Bereitwilligkeit.‹«

»Mein Cousin?« fragte Ludwig. »Warum soll ich den Marquis von Ancre meinen Cousin nennen?«

»So ist es Brauch, Sire. Ein Marschall von Frankreich steht über dem Adel, deshalb nennt der König ihn ›mein Cousin‹, und alle übrigen haben ihn mit Exzellenz anzureden.«

»Sogar die Herzöge und Pairs?«

»Sogar sie, Sire.«

Ludwig lächelte leicht, als bezweifelte er, daß jene sich einem so gering Geachteten gegenüber dieser Pflicht so ohne weiteres beugen würden.

»Gut, Monsieur de Souvré!« sagte er mit seiner üblichen Entschlossenheit, »lernen wir den Satz, da es denn sein muß! Beliebt es Euch, ihn zu wiederholen?«

Nicht ohne Überwindung wiederholte Monsieur de Souvré den Satz, und nicht ohne Verdruß und fast mit einer Miene, als gälte es, die Abführtränke des Doktors Héroard zu schlucken, lernte Ludwig ihn auswendig.

 

Es war ein sehr glücklicher Umstand, daß das riesige Bett im Zimmer der Königin durch ein Geländer aus massivem Silber abgeschirmt war, das nur von Prinzen und Herzögen durchschritten werden durfte. Der Andrang der Höflinge in dem Zimmer war nämlich so groß und so stürmisch, daß die königliche Bettstatt sonst nicht verschont worden wäre. Man mußte die Gardehauptleute rufen, um die Höflinge zurückzudrängen und dem Marquis von Ancre eine Gasse zu bahnen, welcher mit gerecktem Kinn hereintrat, prächtig in Seide gewandet und mit Edelsteinen geschmückt, die auch am Gehänge des kostbaren Degens blitzten, den er zur Seite trug – nur daß er diesen Degen nie zur Verteidigung Frankreichs gezogen hatte, nicht einmal zu der seines fernen Vaterlandes, denn verrufen, wie er war, hatte Concini sich in Florenz vor allem auf den Brettern der Komödie (wo er die weiblichen Rollen spielte), in den Alkoven beider Geschlechter, in Kneipen, Bordellen und infolge seiner Schulden und Schurkereien auch in den Kerkern der Toskana aufgehalten, nie, niemals aber in Feldlagern und Heeren. Seine einzige Heldentat – und nachdem ich die Person gesehen hatte, mußte ich es durchaus zugeben – war, daß er die |209|Friseuse geheiratet hatte, welche die Königinmutter zu ihrer engsten Vertrauten gemacht hatte und die auf die Dauer ihre Herrin beherrschte. Ihr verdankte er alles: sein unerhörtes Vermögen, sein Marquisat von Ancre und seine Erhebung zum Marschall von Frankreich.

Schön, von Steinen funkelnd, die ihn wenig gekostet hatten, mit Adlernase, raubgierigen Kiefern, schrägen Augen, trug er, da er die Menge durchschritt, jene schamlose und dünkelhafte Miene zur Schau, über die Bellegarde sich weidlich lustig gemacht hatte. Dieser Mann, dachte ich, hat bereits ein gut Teil des Reiches verschlungen und wird, wenn man ihn läßt, noch das ganze verschlingen.

Ob sein Florentiner Adel nun falsch oder echt war (dem Pariser Gerichtshof war keine Zeit gelassen worden, es aufzuklären), soviel mußte man zugestehen, daß der schöne Marschall vor Ihren Majestäten alle protokollarischen Sperenzien – Kniefälle, Handküsse, die Schritte vor und zurück – mit einer Grazie vollführte, die, wenn nicht seiner Erziehung, so zumindest seinem komödiantischen Talent Ehre machte.

Weniger gut bestand er seinen Marschallseid und die kleine Rede, die er darauf folgen ließ, weil er diese in einem italienisch gefärbten Französisch vorbrachte, das die anwesenden Erben der alten Familien ein wenig zu sehr daran gemahnte, daß das französische Reich nunmehr in den Händen dreier Florentiner lag, der Königin und der beiden Concinis.

Von dieser kleinen Rede des Marschalls habe ich nur die letzten Worte behalten, weil ich in ihrem unverfrorenen Freimut eine Herausforderung der Großen des Reiches zu erkennen meinte: »Sire«, schloß der Marschall von Ancre, »ich habe allen Grund, Euer Diener zu sein, denn als Fremder und ohne einen blanken Heller in dieses Land gekommen, empfing ich von Eurer Majestät und von der Königin Eurer Mutter so viele Wohltaten, daß diese mich verpflichten, Euer Diener zu bleiben, solange ich lebe, und daß ich mich sehr elend fühlen würde, wenn ich diese Verpflichtung nicht als solche empfände.«

Worauf Ludwig, ohne zu stottern, aber auch ohne die geringste Wärme mit dem Satz antwortete, den er so mühsam von den Lippen desjenigen gelernt hatte, der eigentlich als der neue Marschall hier hätte vor ihm stehen sollen.

|210|»Mein Cousin, ich erwarte mir Gutes von Euren Diensten und danke Euch für Eure Bereitwilligkeit.«

Ich blickte auf die Herzöge und Pairs, wie sie, hinter dem Thron des Königs und der Königinmutter stehend, diesem Dialog lauschten.

Da waren Condé, Mayenne, Nevers, Longueville, Guise, Épernon, Bouillon, Vendôme – kurz jene, die man die Großen nannte, die in diesem Reich über Städte und Provinzen herrschten, aber denen die Königin weder zu Lebzeiten des Königs, noch seit sie Regentin war, in ihrem stumpfsinnigen Dünkel die mindeste Beachtung, die mindeste Huld bezeigt hatte. Als die Regentschaft begann, hielten die Großen sich dafür schadlos, sie hatten ein unfehlbares Mittel entdeckt, ihrer Herrscherin etwas für ihre leeren Kassen abzunötigen. Beim geringsten Anlaß zur Unzufriedenheit schmollten sie, verließen den Hof, verschanzten sich in ihren Städten und hoben Truppen aus. Was sie mit großem Erfolg taten, nahezu seit die Königin an der Macht war, und was sie stets aufs neue tun sollten, damit man ihre Beutel füllte. Denn die Regentin, anstatt ihnen an der Spitze königlicher Heere entgegenzutreten, hatte sich in ihrem bißchen Verstand einfallen lassen, ihnen mit Goldsäcken nachzulaufen, damit sie nur ja an den Hof zurückkehrten.

Da ich während dieser Eideszeremonie auf den Gesichtern der Großen Hochmut und Verachtung für den neuen Marschall erkannt zu haben meinte, fragte ich beim Mittagsmal den Marquis de Siorac: »Glaubt Ihr nicht, Herr Vater, daß sich bei den Großen so viel wütende Eifersucht gegen Concini angehäuft hat, daß diese ihn eines Tages zur Strecke bringen wird?«

»Ich glaube nicht«, sagte mein Vater. »Dazu müßten die Großen sich einig sein und außerdem einen Sinn für den Staat haben. Sie haben aber nur Sinn für ihre Interessen, und keiner ist des anderen Freund, aber auch nicht wirklich sein Feind. Was verschlägt es also, daß Concini ein niedrig geborener Wolf von jenseits der Berge ist: er ist ein Wolf. Und Tiere der Sorte gehen einander nicht an die Kehle, da man ihnen ja das ganze Reich zum Fraß überläßt.«

* * *

|211|Über die Erhebung des Marquis von Ancre in das Marschallamt wurde im Louvre viel geredet, doch tat man es im Flüsterton, um sich spähend und bevorzugt auf der Treppe Heinrichs II., die ob ihrer Größe den Vorteil hatte, daß man von weitem sah, wer an Lauschern und Spitzeln herauf- oder herabgestiegen kam. Aber im Pariser Volk, das so gern rebellisch und spottlustig ist, ging es nicht derart auf Sammetpfoten zu, und die Marschälle von Ancre wurden laut Mariettes Berichten von morgens bis abends durch den Kot gezogen, und nur zu Recht, hieß es, denn von da seien sie gekommen. Allerdings wurde auch die Königin dabei nicht verschont, weil die Pariser nicht glauben mochten, daß sie einen so unwürdigen Ausländer mit Ehren überschüttete, ohne daß es in ihrer Witwenschaft nicht einen persönlichen Grund dazu gegeben hätte.

Kurz, die Marschälle von Ancre wurden mit Sticheleien, mit Spottliedern verhöhnt, man machte nach ihrem Bild groteske Puppen und hängte sie an den Gittern des Gerichtspalastes auf, sie wurden verantwortlich gemacht für das Elend des Volkes und für die Verschleuderung des Staatsschatzes (seltsamerweise ohne jemals zu bedenken, daß daran auch die Großen ihren Anteil hatten).

Das Kuriose dabei war nur, daß die Regentin den Concini durchaus nicht mochte und ihn nur ihrer Engvertrauten zu Gefallen so sehr erhöhte, die ihn aber auch nicht liebte, weil sie unter der Brutalität dieses Gatten genug zu leiden hatte. Das einzige, was die Concini wollte, war Gold, doch zu seinem Unglück wollte der Marschall von Ancre auch herrschen. Und von seiner nahezu unglaublichen Schamlosigkeit, schöne Leserin, will ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die selbst nahezu unglaublich ist, zumal auch verbotenes Zauberwerk und Magie und, wer weiß, sogar der Teufel da hineinspielen.

Wann diese Intrige statthatte, weiß ich nicht mehr, weil mein Tagebuch sie nicht vermerkt. Die Umstände indes stehen mir noch so klar und bestürzend vor Augen, als hätte ich sie vergangene Woche erlebt.

Wahrhaft sonderbar ist, daß Frau von Lichtenberg, die doch so zurückgezogen lebte, mich als erste auf die Fährte von Dingen brachte, die man im Schatten des Hofes spann.

Wie gesagt, war das einzige, was mir an meiner Gräfin nicht |212|behagte, ohne daß ich mir je erlaubt hätte, in der Hinsicht die geringste Ungeduld zu bekunden, ihre unheilvolle Gewohnheit, um Schlag drei einen Imbiß einzunehmen, das heißt, in ebendem Moment, da ich ganz inbrünstig und glühend bei ihr eintraf und es mich nach ganz anderem verlangte als nach Konfitüre.

Aber außer daß dieser Imbiß ein fest verankerter Brauch bei Standespersonen war, weil man für gewöhnlich um elf Uhr zu Mittag aß und vier Stunden später einer kleinen Zwischenmahlzeit bedurfte, war meine Schöne auch genäschig, und weil ihr das Glück jener Damen hold war, die nach Herzenslust zulangen können, ohne daß sie eines schönen Morgens ihre gesamte Garderobe auswechseln müssen, ergab sie sich dieser kleinen Sünde mit Wonne. Auf die Dauer hatte ich allerdings den Verdacht, das Zeremoniell dieses Schmauses diene auch dazu, mich zu quälen wie Tantalus in der Unterwelt, nicht ganz so, natürlich, denn Tantalus sieht schöne Früchte sich seinem dürstenden Mund zuneigen und immer dann entziehen, wenn seine Lippen sie berühren, während meine Gräfin höchst verdrossen gewesen wäre, hätte ich nicht schließlich in die Trauben ihres Weinbergs gebissen. Aber weit besonnener als ich im Umgang mit den Freuden, die sie sich von unseren Begegnungen erwartete, schob sie diese gerne hinaus. Schmachtend in ihrem Lehnstuhl und in ihrem schönen Putz, bestrich sie mit Unschuldsmiene ihre ewigen Waffeln, warf dann und wann einen rasch niedergeschlagenen Blick nach mir, während ich ihr Gesicht und ihren Körper mit meinen hungrigen Augen überzog, die Kehle so trocken, daß ich kaum sprechen konnte, und mit einem Herzklopfen, daß ich fürchtete, sie könnte es hören.

Gewiß, wenn endlich dann in ihrem Zimmer meine Hände und Lippen an die Stelle der Augen treten durften, verhinderten unsere Spiele für so lange jegliches sinnvolle Gespräch, daß es tatsächlich besser war, alles Dringliche vorweg beim Imbiß abzumachen.

»Mein Freund«, sagte sie, die Waffel in der Hand, »kennen Sie den Herzog Bellegarde?«

»Ich kenne ihn«, sagte ich, »aber nicht näher, dafür sind wir zu verschiedenen Alters. Ich bin ihm oft begegnet, als ich dem seligen König als Dolmetsch diente.«

»Und mögen Sie ihn?«

|213|»Ich schätze ihn sehr, weil er unserem Henri zu Lebzeiten so treu war, wie er es nun seinem Gedächtnis ist.«

»Bassompierre besuchte mich heute morgen ausdrücklich, um mir zu sagen, daß Herzog Bellegarde Sie dringend sprechen möchte, aber unter vier Augen und vollständig geheim.«

»Warum vollständig geheim?« fragte ich.

»Bellegarde wird, wie er sagt, Tag und Nacht ausspioniert und steckt in den Netzen einer abscheulichen Intrige, durch die er alles verlieren kann. Und weil er sich schon ganz umsponnen fühlt, will er niemanden da mit hineinziehen, der ihm helfen könnte. Helfen Sie ihm?«

»Tausendmal ja! Bellegarde ist ein höchst ehrenwerter Mann, so unbesonnen er auch sei.«

»Ist er das?«

»Oh, meine Liebe! Einen Strohkopf wie ihn gibt es kein zweites Mal! Wissen Sie, daß er es gewagt hat, sich der schönen Gabrielle in die Arme zu werfen, als sie die Geliebte des seligen Königs war? Und wäre der König nicht so gutmütig gewesen und hätte er Bellegarde nicht so sehr gemocht, hätte der seinen Kopf mit dem bißchen Verstand leicht verloren. Trotzdem, das Herz ist gut, und er wird allseits geachtet.«

»Ist es nicht ein wenig abenteuerlich, einem Toren Hilfe zu leisten?«

»Dann muß ich eben besonnen sein für zwei.«

Hierauf verstummte ich eine Weile, die Augen auf der Waffel, die meine Schöne mit ihren schönen Händen soeben für mich bereitete. Da Bellegarde wie ich im Louvre wohnte, wäre es ein leichtes gewesen, uns dort zu treffen. Aber wenn es andererseits stimmte, daß Bellegarde ausspioniert wurde, war die Überwachung seiner Schritte gerade im Louvre am schwierigsten zu überlisten.

»Nun, mein Freund, Sie schweigen?« fragte Frau von Lichtenberg. »Was kann ich meinerseits tun? Wollen Sie Bellegarde in meinem Hause sprechen?«

»Keinesfalls, meine Freundin! Es wäre unklug, wenn Sie als Ausländerin, ohne Unterstützung bei Hofe und folglich so verletzlich, in eine Angelegenheit verwickelt würden, in der ich allerhand Gefahren wittere. Sagen Sie nur Bassompierre, ich werde ihm meinen kleinen La Barge schicken, um Bellegarde einen geheimen Treffpunkt zu nennen.«

|214|Nun, schöne Leserin, den Ort dieses Treffens hatte ich im Geiste schon gewählt, doch wollte ich sogar meiner Gräfin nichts davon sagen. Nicht, daß ich ihr nicht vollkommen vertraute, aber ich frage Sie, hätten Sie aus dem Munde Ihres Liebhabers hören mögen, daß er sich mit einem Grandseigneur im Hause des Finanziers Zamet verabreden wolle?

Zugegeben, dieses Haus war der Luxus selbst und der Finanzier Zamet der reichste Mann Frankreichs, aber sein Haus war nicht nur eine Art Schenke, wo man besser als irgendwo sonst in Frankreich trank, und eine fürstliche Spielhölle, wo der erste Einsatz nicht unter hundert Ecus ausfiel, es hatte auch prächtige Zimmer, wo die Großen dieser Welt – wie zu seinen Lebzeiten auch unser guter König Henri – nach einer Würfelpartie und einem guten Mahl sich mit Geschöpfen verlustieren konnten, deren Preis so hoch war wie ihre Tugend gering.

Zamet war ein kleiner untersetzter Mann, der außer blanken schwarzen Wieselaugen nichts Bemerkenswertes an sich hatte. Er kannte mich gut, weil er mich in Gesellschaft des seligen Königs oft bei sich gesehen hatte, denn Henri hielt mich, wie man sich erinnern wird, für sein unschuldiges Maskottchen, weil ich selbst kein Spieler war. Und beim ersten Wort, das ich zu Zamet sagte, hieß er mich zuerst schwören, daß es sich um kein Komplott gegen die Regentin handele, dann sagte er in seiner hurtigen Art: »Herr Chevalier, kommt zu dritt: das blaue Zimmer, das angrenzende Kabinett und Zohra bürgen Euch für das geheimste Gespräch.«

»Und wer ist Zohra?«

»Eine schöne Maurin, die ich Euch vorstellen werde. Sie versteht kein Wort Französisch.«

»Und wozu das angrenzende Kabinett?«

»Von da hat man durch ein verborgenes Guckfenster einen vergnüglichen Blick auf das Bett im blauen Zimmer. Und will man ohne Ohrenzeugen unter vier Augen sprechen, ist es der bestgeeignete Ort der Welt, denn wenn das kleine Guckfenster geschlossen ist, hört man aus dem blauen Zimmer nicht mal einen Seufzer.«

»Und warum zu dritt, da es ein Zwiegespräch sein soll?«

»Weil Zohra beschäftigt sein muß, Herr Chevalier. Sonst würden die Bediensteten nicht verstehen, warum man Euch das blaue Zimmer gibt, und würden schwatzen.«

|215|»Gut, Monsieur, der dritte Mann wird mein Page La Barge sein, die beiden anderen – ich und noch jemand – seine Gäste.«

Mein Page schwamm in Seligkeit, als er erfuhr, daß seine Rolle bei diesem Rendezvous darin bestand, der schönen Zohra Gesellschaft zu leisten, während Bellegarde und ich im Kabinett nebenan redeten.

»Endlich!« sagte er aus tiefster Kehle. »Endlich komme ich in den Hafen meiner Träume! Eine Frau! Eine Frau für mich allein! Und nackend! Die mir jeden Wunsch erfüllt! Aber, wird sie das wirklich?«

»Bestimmt.«

»Schön ist sie, sagt Ihr? Schön, einen Heiligen zu verdammen?«

»Sogar sämtliche Heiligen zusammen.«

»Und wie heißt sie?«

»Zohra.«

»Zohra? Oh, Monsieur, was für ein schöner Name! Wie süß er klingt, wie poetisch! Diesen Namen habe ich noch nie gehört.«

»Aus einem einfachen Grund«, sagte ich, »er ist maurisch.«

»Wie?« fragte La Barge, auf einmal ernüchtert, »das ist eine Maurin?«

»Unzweifelhaft.«

»Ach, so ist das!« rief La Barge, das junge Gesicht voll Verzweiflung und Tränen in den unschuldigen Augen.

»Was stört dich?« fragte ich mit gespieltem Erstaunen.

»Es ist eine Ungläubige, Herr Chevalier, und mit einer Ungläubigen zu vögeln ist eine große Sünde.«

»Wieso?« fragte ich. »Meinst du, ihre kleine Möse macht deinen Schwanz zum Ketzer? Würdest du nicht ebenso sündigen, wenn du es außerehelich mit einer Christin triebst?«

»Aber, das ist doch nicht dasselbe!« rief La Barge. »Mit einer Christin ist es eine läßliche Sünde! Aber mit einer Ungläubigen, pfui! Schon beim Anblick des Teufelsweibes würden sich mir die Eingeweide verklemmen.«

»Kleiner Dummkopf!« sagte ich, »nichts wird sich dir verklemmen! Weil die maurische Zohra Christin ist, wie es das hübsche goldene Kreuz zwischen ihren Brüsten bezeugt.«

»Habt Ihr die gesehen, Monsieur?« fragte er verwirrt.

»Ja, das Kreuz wie die Brüste.«

|216|»Wie, nackt?« fragte er mit einem Anflug von Eifersucht.

»Unter so hauchdünnem Stoff, daß man sie hindurchsah. Und auch ohne Kreuz hätte ich sie nicht ketzerisch gefunden, La Barge, denn sie sind rund, prall und schön braun.«

»Ach, Monsieur!« sagte La Barge flammenden Auges, »wie froh ich bin, daß Zohra Christin ist! Und bestimmt ist es was Besonderes, daß ihre Brüste braun sind, denn die Dekolletés unserer Kammerfrauen sehen doch derart fade aus! Monsieur«, fragte er, »was glaubt Ihr: wenn mich dieser Abend zum Mann macht, ob ich dann endlich groß werde?«

»Wie meinst du das?«

»Ob ich dann wachse, Monsieur?«

»Das kann schon sein!« sagte ich.

Und sehr ergötzt von dem Gespräch, zog ich ihn an mich und klopfte ihm auf die Schulter, was ihn ziemlich bewegte, denn ohne Vater aufgewachsen, hatte er mich trotz meiner Jugend an dessen Statt erwählt.

Bellegarde war ein Freund meines Vaters und auch Bassompierres, zu dessen Tafelgenossen er mit Joinville, Schomberg, d’Auvergne (derzeit in der Bastille) und Sommerive gehörte, jenen Edelleuten, von denen meine Toinon mir am ersten Tag, als sie in mein Leben trat, gesagt hatte, sie seien ›so schön und wohlerzogen, drüber geht es schon nicht.‹

Leider nur war der Kopf des Herzogs, wie man sehen wird, nicht ebensogut bestellt wie schön. Nicht daß Bellegarde dümmer war als andere Edelleute seines Ranges, er war bestens bewandert in allen Waffen, im Tanzen, Reiten, in Glücksspielen, nur eben nicht in Büchern. Trotzdem, auch wenn er keine las, hatte er Achtung vor ihnen, förderte die Künste und setzte Malherbe eine Pension aus.

Die Damen im Louvre, deren großer Favorit er neben Bassompierre war, verlangten aber gar nicht mehr, er verführte die leichtsinnigen Tugenden des Hofes allein durch seinen Leichtsinn, immer liebenswürdig, immer gut gelaunt, ein Draufgänger mit wenig Hirngewicht. Und welcher Reifrock hätte diesen kitzelnden, schwarzen Augen, diesen gemeißelten Zügen, diesen strahlenden Zähnen, diesem Lippenschwung unterm gezwirbelten Schnurrbart widerstehen können?

Das blaue Zimmer, in das Zamets maggiordomo uns führte, war für mein Gefühl mehr prunkvoll als schön. Ich fand das |217|Blau kalt und schreiend, die gewundenen, vergoldeten Säulen um das Bett zu dick, das übrigens keine Vorhänge hatte, der Leser wird verstehen, warum.

Am reizendsten und besten proportioniert zeigte sich uns, als wir dort eintraten, die liebliche Zohra, die tatsächlich jenes Kreuz am Busen trug, damit die wohlgeborenen und vermögenden Edelmänner, die zu ihr kamen, sich in ihren Armen wenn schon gegen die Moral, so wenigstens nicht gegen die Religion versündigten.

Sie begrüßte uns mit einem anmutigen Salemaleikum, das die Kurven ihres jungen Leibes hübsch in Geltung setzte und dessen Demut im Kontrast stand zu den Blicken, die sie uns gleichzeitig zuwarf und die uns auf Erden schon jenes Paradies versprachen, das den Erwählten ihres alten Glaubens im Jenseits nicht nur klare, rauschende Bäche und schöne Früchte in Reichweite verheißt, sondern, wie wunderbar, auch houris mit stets sich erneuernder Jungfräulichkeit.

Ob Zohra, die das blaue Zimmer mit ihren Reizen verschönte, diese Wundergabe besaß, weiß ich nicht, aber ich traute ihr sehr wohl zu, einen ehrbaren Christen auf fliegendem Teppich zu dem kleinen irdischen Eden unserer Sinnesfreuden davonzutragen, des einzigen, dessen wir in unseren schwachen Augenblicken ganz sicher sind. Aber Bellegarde hatte zur Stunde kaum Lust, diese Lockungen ins Auge zu fassen, und schritt, ohne sich aufzuhalten, in das angrenzende Kabinett, wohin ich ihm folgte, nicht ohne ein paar ermutigende Klapse auf La Barges Schulter, der vorm Übermaß seines Glücks wie erschlagen stand.

Als der arme Bellegarde seine Maske abnahm, sah ich das edle Gesicht ganz gramzerfurcht, und kaum war die Tür geschlossen, dankte er mir mit erstickter Stimme, seinem Hilferuf entsprochen zu haben, dann fiel er seufzend in einen Sessel, nahm sich von einem Tischchen eine Weinkaraffe, füllte sich einen Purpurkelch bis zum Rand und leerte ihn auf einen Zug.

»Chevalier«, sagte er ohne Umschweife, »wenn sich kein Mittel findet, den Prozeß auszusetzen, den die Concinis gegen Moysset angestrengt haben wegen dieses verdammten Spiegels, bin ich alles los, vielleicht sogar das Leben.« Und nach diesen nicht eben klaren Worten verstummte er.

»Verzeihung, Monseigneur«, sagte ich, »aber ich verstehe |218|gar nichts. Bitte, steckt mir ein Licht auf und erklärt, was es auf sich hat mit diesem Moysset, mit dem Prozeß, den man ihm macht, und mit diesem Spiegel, der dazu den Anlaß gab.«

Doch anstatt hierauf zu antworten, schüttete Bellegarde mir plötzlich sein Herz aus, machte sich als erstes Luft von einem Übermaß an Bitterkeit und erzählte wutentbrannt – was der ganze Hof längst wußte –, welche Bosheiten Concini sich gegen ihn herausgenommen hatte: kaum Marquis und Erster Kammerherr geworden, versuchte der Schurke, ihm mit Hilfe der Regentin seine Wohnung im Louvre wegzunehmen. Auf sein Recht pochend, hatte Bellegarde sich nicht vom Fleck gerührt, so daß die Königin diesem Bettler auf ihre Kosten ein prächtiges Haus an der Porte de Bourbon errichten mußte. Schlimmer noch, anläßlich von Ludwigs Salbung hatte der unverschämte Hanswurst die Stirn gehabt, ihm, Bellegarde, einem Herzog und Pair, Großrittmeister Frankreichs und Gouverneur von Burgund, den Vortritt streitig zu machen, und auf ausdrückliche Anweisung der Königin hatte er diesem kleinen Marquis von Scheiße tatsächlich nachgeben müssen.

»Monseigneur, um Vergebung«, sagte ich, »aber spracht Ihr nicht von einem Prozeß?«

Auf die Frage entgegnete Bellegarde mit einer erregten Gegenfrage: »Chevalier, wißt Ihr, was der Nuntius Bentivoglio mir gestern geflüstert hat?«

»Nein, Monseigneur.«

»La moglie ha in mano la volontà della regina e il marito lo scettro del regno.1 Es herrscht nämlich große Empörung in ganz Europa, sogar im Vatikan, über die außerordentliche Gunst, die diese erbärmlichen Schurken genießen.«

»Das glaube ich gern, aber, Monseigneur«, sagte ich wieder, »spracht Ihr nicht von einem Prozeß gegen einen Moysset wegen eines Spiegels?«

»Aber nicht irgendeines Spiegels!« schrie Bellegarde. »Das ist ja das Problem! Es war ein Zauberspiegel.«

»Ein Zauberspiegel?« wiederholte ich verblüfft. »Und was haben Moysset und dieser Spiegel miteinander zu schaffen?«

»Gott ist mein Zeuge«, sagte Bellegarde mit stockender Stimme. »Ein vortrefflicher Mann: er leiht mir Geld ohne Zinsen. |219|Er ist mein Freund, auch wenn er ein kleiner Bürger ist. Ich sage es und sage es immer wieder, und wenn es sein muß, noch mit dem Kopf auf dem Richtblock: Moysset ist mein Freund!«

»Aber was«, fragte ich, »hat Moysset mit besagtem Spiegel zu tun?«

»Als er sah, wie ich unter dem Aufstieg dieses ehrlosen, plattfüßigen Concini litt, sagte Moysset, er wisse Leute, die mir in einem Zauberspiegel zeigen könnten, wie hoch die Concinis noch steigen werden und was am Ende aus ihnen wird.«

Ich traute meinen Ohren nicht. Daß Bellegarde sich seines Fleisches mehr rühmen konnte als seines Verstandes, wußte ich (und habe es oft genug gesagt), aber daß er dermaßen leichtgläubig war, machte mich sprachlos. Ein Zauberspiegel, Herr im Himmel! Das war ja wie Mariettes ›Pischewunder‹!

»Ein Zauberspiegel!« sagte ich endlich. »Habt Ihr ihn gesehen, Monseigneur?«

»Nie.«

»Und vermutlich forderten diese Leute allerhand Geld, um Euch die Zukunft der Concinis zu zeigen?«

»Fünfzigtausend Ecus.«

»Und die Ihr bezahlt habt, Monseigneur?«

»Moysset hat sie mir vorgeschossen. Aber vor allem verlangten die Betrüger von Moysset, daß er die Fragen an den Spiegel in einem Brief stellt, der von ihm unterschrieben und von mir gegengezeichnet ist.«

»Und den Moysset unterschrieb, Monseigneur, und den Ihr gegengezeichnet habt?«

»Ja doch.«

»Ach, Monseigneur!« rief ich und streckte die Arme gen Himmel. »Was für eine unglaubliche Torheit! Wußtet Ihr denn nicht, daß jegliche Magie oder vorgebliche Zauberei Teufelswerk ist und unter die Strenge des Gesetzes fällt und, was noch schlimmer ist, der Inquisition!«

»Ich sah es als reine Artigkeit an!« sagte Bellegarde, dicke Schweißtropfen auf der Stirn, die an seinen Wangen herabliefen. »Ihr habt ja recht! Ich hätte mir klar sein müssen, daß diese Oberschurken, sobald sie den Brief hatten, mir nicht allein nie irgendeinen Spiegel zeigen, sondern stehenden Fußes zu den Concinis rennen und ihnen den Brief verkaufen würden, und |220|tatsächlich, kaum war er in ihrem Besitz, zerrten sie mich vor Gericht.«

»Euch, Monseigneur?«

»Erst Moysset. Aber wenn Moysset verurteilt ist, geht es natürlich mir an den Kragen, wenigstens verliere ich meine Besitztümer, mein Gouvernement Burgund und mein Amt als Großrittmeister, und all das wird Concini sich vermittels der Königin zuschanzen als Wiedergutmachung erlittenen Schadens.«

»Ich wette, Monseigneur«, sagte ich, »daß Concini selbst diese Spiegelmagier angestiftet hat, damit Ihr in die Falle tappt. Was ist aus denen geworden?«

»Verschwunden, soviel ich weiß, nachdem sie beiderseits abkassiert haben.«

»Bestätigt das meine Wette nicht? Ich hoffe, Monseigneur, Ihr habt unverzüglich Schritte unternommen, um den Prozeß zu verhindern.«

»Es ging ja um mein Leben. Zuerst sprach ich mit Kanzler Sillery. Er nahm die Anklage gegen die Magier nicht allzu ernst, zumal der Spiegel niemandem vorgeführt worden war, und setzte bei der Einberufung der zum Prozeß notwendigen Kommissionen auf Verschleppung. Aber dann hat die Königin, von den Concinis gedrängt, seinerseits Druck auf ihn ausgeübt.«

»Und der Kanzler fügte sich.«

»Klar. Er schaltete den Gerichtshof ein.«

»Habt Ihr dort aufs neue vorgesprochen, Monseigneur?«

»Auf beiden Seiten. Bei den Richtern, damit sie zur Folter greifen, und bei Concini, indem ich ihn durch die Herzöge Guise und d’Épernon bitten ließ, gegen entsprechende Vergütungen vom Prozeß abzusehen.«

»Und er hat abgelehnt.«

»Woher wißt Ihr das, mein Freund?« fragte Bellegarde mit großen Augen.

»Das stand zu erwarten. Warum auf einen Prozeß verzichten, dessen Ausgang ihm riesige Einkünfte aus Eurem Gouvernement Burgund und Eurem Amt als Großrittmeister verspricht? Welche ›Nadelgelder‹ könnten solche Summen je aufwiegen, vom Ruhm dieses Gouvernements und der Ehre dieses Amtes ganz zu schweigen?«

|221|»Ja, leider!« sagte Bellegarde mit schwerem Seufzer, »genauso ist es: der Schuft prozessiert mit aller Macht weiter, und ich weiß nicht mehr, an welchen Heiligen ich mich wenden soll.«

Ich wußte nun genug, und da ich verstummte und zu Boden blickte, fragte der Herzog in einem verzweiflungsvollen Ton, der mir ans Herz griff: »Mein lieber Freund, zaudert Ihr, mir zu helfen?«

»Durchaus nicht, Monseigneur, wenn ich nur wüßte, wie.«

»Aber, durch Eure Patin!«

»Durch meine Patin?«

»Die Herzogin von Guise hat das Ohr der Regentin, mein Freund, und könnte sich durch Eure Vermittlung für mich verwenden.«

»Ich werde es versuchen«, sagte ich, »und in dieser Richtung aufbieten, was ich irgend kann.«

»Chevalier, Ihr rettet mir das Leben!« rief Bellegarde, indem er aufsprang wie ein Jüngling. »Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll.« Und weil der Herzog kein großer Redner war, schloß er mich in die Arme, küßte mir wieder und wieder die Wangen und klopfte mir auf die Schultern.

Und augenblicks erleichtert, begabt mit jenem heiteren Naturell, das auch nach schlimmsten Kümmernissen wieder aufspringt wie ein Ball, goß er sich abermals ein, trank den Wein auf einen Zug, und bevor er die Tür des kleinen Kabinetts aufklinkte, tat er, was die liebenswerte Leichtfertigkeit seines Charakters trefflich zeigte: er öffnete das Guckfensterchen zum blauen Zimmer und sagte sotto voce: »Schauen wir mal, wie sich die Sache auf dieser Seite angelassen hat.«

Und nachdem er durch das Guckfenster geblickt hatte, lächelte er und sagte, indem er sich den Schnurrbart strich: »Seht Ihr, Siorac, der Prozeß im blauen Zimmer ist gut ausgegangen: die Parteien liegen einander schlafend in den Armen.«

* * *

Mochte der Herzog von Bellegarde auch noch so strohköpfig sein, der Einfall, Madame de Guise als Unterhändlerin bei der Königin einzuschalten, war sehr gescheit, und ich will hier erklären, warum.

|222|Die Regentin mochte Männer im allgemeinen nicht und im besonderen weder ihren verstorbenen Gemahl noch die Kinder, die er ihr gemacht hatte, und begegnete, wie gesagt, den Großen des Hofes nie anders als kalt und steif. Aber sie hatte – außer der Concini – französische Freundinnen, und nimmt man die Marschallin de la Châtre aus, die sie sehr liebte, aber selten sah, weil die Dame ganz zurückgezogen lebte, hatte sie drei Getreue um sich, die man zu Recht ihre Vertrauten nennen konnte, ohne im mindesten zu übertreiben: die Herzogin von Guise, die Prinzessin Conti, ihre Tochter, und die Herzogin von Montpensier.

Sicher konnten weder die Herzogin von Guise noch meine Halbschwester, die Prinzessin Conti, sich schmeicheln, soviel Einfluß auf Maria von Medici zu haben wie die Concini. Aber der Teil davon, den sie hatten, war nicht unbeträchtlich, weil beide witzig, liebenswürdig, scharfsinnig und fast immer um die Königin waren; und besonders die Prinzessin Conti, die, gleichaltrig mit Ihrer Majestät, diese sozusagen seit ihrem Herrschaftsantritt in die Hände genommen hatte, war ihre Gesellschafterin, Sekretärin, Vorleserin und Vertraute geworden.

Die Herzogin von Montpensier, um auf die dritte dieser Fürstinnen zu kommen, war eine sanftmütige, harmlose Frau, die auf die Königin wenig Einfluß hatte, dafür aber indirekt große Macht über sie besaß, weil die Königin sie als erste umworben hatte, um von ihr für ihren Sohn Nicolas die Hand ihrer Tochter zu erhalten – der reichsten Erbin Frankreichs.

Die Königin erhielt 1608 tatsächlich den Heiratsvertrag – die Erbin war damals drei Jahre alt –, und nach dem leider allzu vorhersehbaren Tod des armen Nicolas im Jahr 1611 erbat die Regentin sich in demselben Brief, in dem sie das Hinscheiden des Ärmsten mitteilte, sogleich die Hand des kleinen Mädchens für ihren dritten Sohn Gaston. Ein besseres Beispiel von Taktlosigkeit und Habgier ist mir aus dieser Herrschaft nicht bekannt.

Schwerfällig, plump, ohne geistiges Feuer noch Phantasie, hatte die Königinmutter den Hang, sowie sie allein war, sich sterblich zu langweilen, und so genoß sie höchlich die Sprunghaftigkeiten, die derben Späße, Unverblümtheiten und pikanten Anekdoten meiner lieben Patin. Ebenso fürchtete sie aber auch ihren schreienden Zorn, dessen sie, die für gewöhnlich so |223|Dünkelhafte, sich seltsamerweise nicht zu erwehren wußte, so daß die Herzogin von Guise diese Schwäche ausnützte und die Königin ihr stumm und sprachlos gegenüberstand. Einmal, als der Chevalier von Guise, der jüngste des Hauses, einen Edelmann getötet hatte, ohne daß er ihm überhaupt die Zeit ließ, seinen Degen zu ziehen, und die Regentin erklärte, sie werde ihn dafür bestrafen, stürzte die Herzogin von Guise wie eine Furie zu ihr und blies ihr mit so groben Worten den Marsch, daß die Marquise de Guercheville sie unterbrach, um ihr klarzumachen, daß die Königin immerhin ihre Herrin sei. »Meine Herrin!«« rief die Herzogin von Guise. »Ich, Madame, habe auf dieser Welt nur eine Herrin: die Jungfrau Maria!« Man sieht hieran, auf welche Stufe der Gottesgeschöpfe meine liebe Patin, geborene Prinzessin von Bourbon, sich stellte.

Die Leichtfertigkeit der Hofleute, sagte ich mir oft, muß daher kommen, daß ihr Sinn von den gegenwärtigen Ereignissen so eingenommen, so geschwollen ist, möchte ich fast sagen, daß sie sich keine Zeit nehmen, deren Bedeutung zu erkennen noch deren Folgen zu bedenken. In der Zauberspiegelaffäre bestand der schwierigste Teil meiner Aufgabe darin, Madame de Guise zu überzeugen, daß der Prozeß Moysset bei weitem nicht so lächerlich als vielmehr bedrohlich war. Denn wurde er gegen Moysset gewonnen und verlor Bellegarde sein Hab und Gut, sein Amt und Gouvernement, dann konnte Concini, einmal ermutigt, seine Hände sehr wohl auch nach Gut und Ehre anderer Großer ausstrecken.

Die Herzogin von Guise stieß Entsetzensschreie aus, als sie endlich begriff, daß ihr ältester Sohn, der Herzog, Concinis nächstes Opfer werden könnte. Von dieser Gefahr überzeugte sie die Prinzessin Conti und durch einen Sonderkurier auch Madame de Montpensier. Die drei Prinzessinnen vereinten ihre Anstrengungen, jede gebrauchte ein anderes Mittel. Meine gute Patin schrie und tobte, die Prinzessin Conti (deren Schönheit und Charme selbst auf Frauen wirkten) übte sanften, aber unablässigen Druck. Und Madame de Montpensier schrieb einen naiven Brief an die Regentin, worin sie beklagte, daß der Herzog von Bellegarde, einer ihrer Freunde, derart große Gefahren lief. Die Erwähnung Mademoiselles de Montpensier, ihrer inzwischen achtjährigen Tochter, verlieh den nichtigen Worten den bekannten Nachdruck.

|224|Zur Krönung des Werkes überzeugte Madame de Guise noch den Herzog von Guise und den Herzog von Épernon. Sie waren der Regentin teuer, einfach weil sie als einzige unter den Großen ihr nicht alle Augenblicke drohten, den Hof zu verlassen und ihre Provinzen aufzusuchen, um Truppen auszuheben und ihr die Macht streitig zu machen. Nicht, daß diese beiden uneigennütziger waren als die Rebellen: sie zielten nur höher, weil beide das Konnetabelamt anstrebten und es allein vom König, das heißt von seiner Mutter erhalten konnten. Bei dieser Gelegenheit nun erkannten sie, wie völlig nutzlos es wäre, ein zweitesmal auf Concini einzuwirken, damit er seine Klage zurückzöge. Habgier und Ehrgeiz machten den Marschall von Ancre blind für die Konsequenzen seiner Taten, und ich dachte, daß er selbst wohl einen Zauberspiegel nötig hätte, der ihn vor der eigenen Zukunft erschrecken und seine Schamlosigkeit mäßigen ließe. Wie dem auch sei, Guise und Épernon fanden es wirksamer, geradewegs zur Königin zu gehen und sie anzuflehen, sie möge den Prozeß Moysset niederschlagen.

Kein Felsen hätte so vielen Hebebäumen widerstanden, und schließlich befahl die Königin, daß der Prozeß Moysset zurückgezogen und für null und nichtig erklärt werde. Moysset, der gleichsam die Flammen des Scheiterhaufens schon um sich hatte knistern hören, kam zu Atem und konnte sich wieder seiner nicht unbeträchtlichen Reichtümer freuen, die, wäre der Finanzier zu Asche zerfallen, Concini ebenfalls gemästet hätten.

Bellegarde schwor mir ewige Freundschaft, und er hielt Wort. Gleichwohl gab er mir in der Folge weitere Gelegenheit, Schläge zu mildern, die seine Unbesonnenheit ihm eingetragen hatte. Als ich ihn Jahre später in der Verbannung besuchte (mit Erlaubnis Ludwigs XIII., der ihn dorthin geschickt hatte), meinte er, töricht und eitel wie je, was ihn an der Zauberspiegelaffäre am meisten entzückt habe, sei gewesen, daß er durch drei Damen gerettet wurde, übrigens die höchsten Fürstinnen des Reiches.

* * *

Für mein Gefühl hatte Ludwig seit seinem neunten Jahr, das heißt, seit Ravaillacs Messer ihm auf immer den Vater raubte, begriffen, daß Frankreich zwei Feinde hatte: im Äußern das Haus Habsburg, im Innern die Großen.

|225|Von seiner Feindseligkeit gegen die Habsburger – ganz zu schweigen von den spanischen Hochzeiten, die er nur schwer geschluckt hatte –, habe ich manches Beispiel schon angeführt. Welches Mißtrauen aber auch die Großen ihm einflößten, begann ich an dem Tage zu gewärtigen, als sein Beichtvater ihm gegenüber bekräftigte, ja, Gnade sei die höchste Fürstentugend, und Ludwig sogleich dagegenhielt, trotzdem habe sein königlicher Vater dem Marschall de Biron nicht vergeben – denn dessen Verrat hatte Henri tatsächlich bestraft, indem er Birons Kopf dem Henkersbeil auslieferte.

Sehr früh, und wenn meine Erinnerung nicht trügt, zwei Jahre vor Concinis Erhebung zur Marschallwürde beobachtete ich, wie kitzlig der kleine König im Punkt des Respekts war, den die Großen ihm schuldeten.

Als er eines Tages, von Souvré und mir begleitet, die Gemächer der Königin betrat, stieß er in ihrem Kabinett auf drei der größten Seigneurs des Reiches: den Comte de Soissons, zweiter Prinz von Geblüt, den Herzog von Guise, meinen Halbbruder, und den Herzog von Bouillon. Die arme Regentin versuchte, so gut sie konnte (das heißt ziemlich schlecht) einen Streit um einen Vortritt zu schlichten, der zwischen dem Comte (dem pingeligsten Verfechter der Etikette) und dem jungen Herzog von Guise ausgebrochen war. Der Herzog von Bouillon, sonst ein großer Intrigenstifter, saß abseits, weil er sich diesmal nicht einmischen wollte. Der kleine König sah also, daß die Königin stark beschäftigt war, und blieb abwartend stehen, Souvré und ich hinter ihm.

Da kam in forschem Schritt der Prinz Condé herein, setzte sich, ohne Kniefall vor der Königin und ohne vor dem König den Hut zu lüften, neben den Herzog von Bouillon und begann leise mit ihm zu reden.

Ludwig empfand die Unziemlichkeit dieses Betragens sehr lebhaft. Laut Protokoll hatte kein Seigneur, so groß er auch war, das Recht, in Gegenwart des Königs bedeckt zu bleiben und schon gar nicht, sich zu setzen, ohne daß er vom König dazu aufgefordert war.

Entrüstet wandte sich Ludwig zu Monsieur de Souvré um und sagte durchaus nicht leise: »Monsieur de Souvré, seht doch! Seht den Herrn Prinzen! Er setzt sich vor mir! Er ist unverschämt!«

|226|Souvré nun, der die Königin höchst unbeholfen in einem Streit stecken sah, dessen Sinn sie nicht einmal verstand, wollte ihre Nöte nicht noch vermehren und tat sein Bestes, seinen Zögling zu besänftigen.

»Sire«, sagte er, ohne den Prinzen zu nennen, »das ist nur, weil er mit Monsieur de Bouillon spricht. Er wird Euch nicht gesehen haben.«

»So«, sagte Ludwig, »dann stelle ich mich neben ihn, wir werden ja sehen, ob er dann aufsteht.«

Gesagt, getan. Ludwig näherte sich dem Prinzen Condé. Nichts geschah. Noch näher, und noch einmal, fast konnte er ihn berühren. Der Prinz Condé geruhte weder, ihn zu sehen, noch seinen Hintern vom Stuhl zu erheben.

Da drehte sich Ludwig zu Monsieur de Souvré um und sagte, weiß vor Zorn und mit schmalen Lippen: »Monsieur de Souvré, habt Ihr gesehen? Er ist nicht aufgestanden! Er ist sehr unverschämt.«

Im Gefühl seiner königlichen Würde bestand Ludwig aber nicht nur auf den Formalien des Respekts. Der Leser wird sich erinnern, daß jene Nadelgelder, die ich der Concini zahlen mußte, mit dem Abbild des Königskindes neugeprägte Goldstücke waren. Am selben Tage sah ich Ludwig ein solches Goldstück lange betrachten, vielleicht war es ihm von Monsieur de Souvré auf Befehl der Königin übergeben worden. Und außer daß er sich im Lauf der folgenden Jahre oft beklagte, daß ihm von diesen schönen, glänzenden Münzen so knickrig gegeben wurde, während die Regentin die beiden Concinis und die Großen damit überschüttete, muß er schon an jenem Tag, als er das Goldstück seiner Herrschaft zum erstenmal in den Fingern drehte und wendete, sich eines seiner wichtigsten königlichen Vorrechte bewußt geworden sein; und weit entfernt, es jemals zu vergessen, scheute er sich schon in seinen Kinderjahren nicht, die Großen daran zu erinnern. Ludwig hatte ein zähes Gedächtnis, wenn es sich nicht um lateinische Konjugationen handelte.

Er war noch keine zehn Jahre alt und gerade bei seiner Lateinstunde, als der Prinz Condé in Begleitung des Herzogs von Longueville ohne weiteres in sein Kabinett trat und der Herzog von Longueville dem König einen Wahlspruch vortrug, den er auf eine Münze setzen wollte, die er zu schlagen gedachte.

|227|So geduldig wie aufmerksam lauschte der kleine König seinen Worten, dann sagte er rundheraus: »Ich will nicht, daß dieses Geld in Frankreich in Umlauf kommt.«

Der Herr Prinz schaltete sich ein, und wie vorauszusehen, war seine Rede kein Wunder an Takt.

»Aber, Sire«, sagte er, »für die Erlaubnis, diese Münze zu schlagen, zahlt Euch Monsieur de Longueville tausend Ecus.«

Anders ausgedrückt: Condé hatte die unglaubliche Verwegenheit, dem König Nadelgeld anzubieten. Ohne zu zögern antwortete Ludwig, und äußerst kühl: »Nicht an Monsieur de Longueville ist es, mir Geld zu geben. Es ist an mir, ihm welches zu geben, wenn es mir beliebt.«

Klarer hätte er nicht gleichzeitig seine Ablehnung und das Prinzip formulieren können, das jede Monarchie bestimmt: Geld wird allein vom König geschlagen, und nur ihm gebührt dieses Privileg.

* * *

Im Januar 1614 wurde mein Großvater, der Baron Jean de Mespech, hundert Jahre alt, und obwohl er noch immer bemerkenswert klar bei Verstand und rüstig zu Fuß war, wollte mein Vater auf alle Fälle ins Sarladais reisen und den hundertsten Geburtstag mit ihm feiern.

Sosehr mein Herz auch bei der Vorstellung litt, meine Gräfin für längere Zeit zu verlassen, wollte ich meinen Vater doch unbedingt begleiten, was ihm große Freude auch deshalb bereitete, weil meine Halbbrüder von Chêne-Rogneux in ihren Seehandelsgeschäften derzeit über die Meere und Ozeane der Welt segelten und mein Onkel, Samson de Siorac, so unlöslich an seiner Apotheke und am Rock seiner Frau hing, daß er nicht einmal für eine Reise nach Paris aus seinem Laden zu locken war und sich schon gar nicht überwinden konnte, mitten im Winter über die gewundenen und gefährlichen Wege des Périgord zu reiten.

Vertrauensvoll übergab der Marquis de Siorac Franz das Regiment über unser Hauswesen im Champ Fleuri, nahm den Chevalier de La Surie mit und unsere beiden Soldaten, Pissebœuf und Poussevent. Und ich hatte La Barge bei mir. Weil unsere Truppe uns aber trotzdem noch nicht wehrhaft genug erschien, die großen Straßen Frankreichs zu bereisen, heuerte |228|mein Vater zusätzlich vier Schweizer Gardisten an, deren Vertrag mit dem König ausgelaufen war. Auf zehn Mann verstärkt nun, um gegen Raubgesindel zu bestehen, das sich an Brücken, Wegen und Bergpfaden postierte, um Reisende auszunehmen und manchmal auch zu erschlagen, brachen wir schwer bewaffnet auf. Außer dem Kriegsdegen hatte jeder zwei Pistolen im Gürtel und eine Büchse mit Radschloß im Sattelhalfter, dazu weitere Waffen auf dem Lasttier, das unser Gepäck und unsere Nahrung trug.

Der Weg von Paris nach Sarlat war ziemlich unerquicklich sowohl der Wetterunbilden wie der Straßenräuber wegen, die uns zweimal überfielen. Die erste, nicht eben zahlreiche Bande machte sich sehr unklug an zwei unserer Schweizer heran und wurde aufgerieben, als das Gros unserer Truppe dazustieß. Die andere, größer und besser befehligt, ließ uns erst in Ruhe und ohne einen Schuß näherkommen, forderte dann aber Wegegeld angesichts ihrer Anzahl und unserer.

»Meine Herren«, sagte mein Vater, »Eure Sprache verstehe ich nicht. Wollt Ihr Gold, kriegt Ihr Diamanten: aus diesen Pistolen hier. Wählt also, aber wählt schnell, unsere Geduld ist nicht groß.«

Die Räuber ließen uns vorbei, der Hauptmann jedoch mit scheelem Blick, so daß mein Vater argwöhnte, er werde uns, die wir im Schnee nicht so schnell vorwärtskamen, verfolgen, um uns von hinten anzufallen. So befahl mein Vater nach einer Meile, abzusitzen, die Pferde zu verstecken, und wir legten uns in einen Hinterhalt. Nicht lange, und die Wegelagerer kamen geschlichen. Bei der ersten Ladung gab es auf ihrer Seite fünf Tote, darunter der Hauptmann, der meinem Vater solches Mißtrauen eingeflößt hatte.

Dieser Kampf sprach sich schneller herum, als wir reiten konnten. Als wir nach Brive kamen, beglückwünschte uns der Zivilleutnant schon zu dem Heldenstück, denn jener Räuberhauptmann, den unsere Waffen niedergestreckt hatten, war seit drei Jahren die Plage der Gegend. Und bis zu unserer Heimreise schien unser Ruf derart gefestigt, daß wir weder auf den Pässen noch an Furten oder Brücken auf üble Gesellschaft trafen.

Im Gegensatz zu anderen Greisen gehörte der Baron von Mespech nicht zu denen, die weit vor ihrer Stunde den leiblichen Interessen entsagen, um sich auf die Freuden der |229|Ewigkeit vorzubereiten. Auch war er nicht der Mann, überdrüssige, auf sein nahes Ende anspielende Reden zu führen wie so viele Alte, die unaufhörlich von ihrem Tod sprechen mit dem Hintergedanken, ihn zu beschwören. Gewiß wird mein Großvater unter den Attacken des Alters gelitten haben, doch darüber schwieg er. Er sprach nur von seinen Bauten, seinen Pflanzungen, seinem florierenden Steinbruch, seiner Mühle, der weit und breit keine Konkurrenz gewachsen war, von seinen in der ganzen Provinz berühmten Kastanienholzfässern, seinen Nußbäumen, seinen Trüffeln und Trüffelschweinen, von seinen Nachbarn, Monsieur de Puymartin, dem freigebigen Katholiken, oder Monsieur de Caumont, dem geizigen Hugenotten, von seinem zahlreichen Gesinde, wo er jeden mit Alter und Namen kannte, auch die Kinder und Kindeskinder, und endlich von seinen vielen Liebschaften (indem er zu verstehen gab, daß er durchaus nicht ›abgesattelt‹ hatte) und seinen unzähligen Bastarden, die alle im Schloß aufgewachsen und gut ausgestattet und versorgt waren.

Besonders gern erwähnte er Mademoiselle de Fonlebon, die im Jahr 1610 den greisen Monsieur de Caumont gepflegt und deren Schönheit auf den Baron von Mespech einen unauslöschlichen Eindruck gemacht hatte. »Verflixt, Herr Enkelsohn, warum habt Ihr sie nicht geheiratet? Ein so vermögendes Frauenzimmerchen, sie hätte ihr Schlafzimmer mit Goldstücken pflastern können! Glaubt Ihr, eines meiner Trüffelschweine hat sich je gesträubt, einen Zwei-Livres-Trüffel zu schnüffeln?« – »Es schnüffelt ihn, aber frißt ihn nicht!« lachte ich. Der Baron von Mespech lachte mit, und seine blauen Augen strahlten vor Jugend in dem wettergegerbten, runzeligen Gesicht, so daß ich nicht verwundert gewesen wäre, hätte ich erfahren, unser Herrgott habe beschlossen, ihm wie Moses noch weitere zwanzig Jahre zu gewähren, ohne daß ›seine Augen schwach geworden wären und seine Kraft verfallen war‹.1

* * *

Just am Tag unserer Heimkehr lud sich die Herzogin von Guise im Champ Fleuri zum Abendessen ein und verlangte von meinem |230|Vater als erstes, daß er nicht Mariette auftragen lasse, »dieser Klatschbase mit ihren großen Ohren«, wie sie sagte, sondern den verschwiegenen Franz. »Denn ich habe Euch Neuigkeiten mitzuteilen, die strengste Geheimhaltung erfordern.« Was, zum Teufel, sollte aber die Geheimnistuerei, da eben diese Neuigkeiten, wie man anderntags feststellen konnte, freiweg in Hof und Stadt kursierten? Allerdings ohne die außerordentlichen Hintergründe, die meine liebe Patin uns dazu mitteilte.

»Gerechter Himmel!« begann sie (und ernannte sich beiläufig zur drittwichtigsten Person des Reiches), »ich weiß wahrhaftig nicht, wohin es noch mit uns kommt, der Regentin, dem König und mir. Wie jetzt die Dinge laufen, sinkt die Regentschaft in Staub, verliert Ludwig sein Szepter und wird das Reich, um es ganz offen zu sagen, von Wurmfraß und Fäulnis zersetzt bis in die Wurzeln.«

»Nana, nana!« sagte mein Vater, »das ist ja apokalyptisch! Ihr übertreibt doch, Madame! Um was für Würmer handelt es sich denn?«

»Der Hochadel, natürlich!« sagte die Herzogin von Guise. »Immer der Hochadel! Gott sei Dank, mit Ausnahme meines Sohnes Guise und d’Épernons, die am Hof bleiben, haben uns alle verlassen! Einer nach dem anderen! Lüge im Mund und in den Augen Drohung! Allen voran dieser Bastard Condé.«

»Madame!« sagte mein Vater, »wie sprecht Ihr vom Ersten Prinzen von Geblüt!«

»Ist es nicht die nackte Wahrheit?« sagte die Herzogin aufgebracht. »Als seine Mutter, die Trémouille, ihn empfing, vögelte sie mit einem Pagen, und von seiner Hand hat sie ihren Mann vergiften lassen, als er von einer Reise zurückkehrte, damit er keine Fragen nach ihrer Schwangerschaft stellen konnte.«

»Ein Gericht hat sie freigesprochen, Madame«, sagte La Surie.

»Ja, aber ein hugenottisches Gericht! Das zählt nicht! Außerdem«, setzte sie rasch hinzu, als sie meinen Vater die Stirn runzeln sah, »braucht man sich doch bloß Condés Nase anzusehen. Die springt vor wie ein Adlerschnabel, während die Bourbonennase lang und geschwungen ist. Außerdem, wo hat man je einen Bourbonen gesehen, der so mager und mickrig ist? Und das Schlimmste: obwohl verheiratet, ist er stockschwul! |231|Dagegen sind Bourbonen, wie Ihr wißt, alle ausgesprochen dem anderen Geschlecht zugetan.«

»Und soweit es sich um Euch, Madame, handelt«, sagte mein Vater, halb vom Sitz erhoben, mit einer kleinen Verneigung, »ist dies eine Tugend.«

»Larifari, Monsieur!« sagte Madame de Guise. »Lassen wir doch die Scherze, wenn das Haus brennt! Um wieder auf Condé zu kommen, dieser schwule Bengel hat das Ganze eingeläutet: Nimmt seinen Urlaub vom König und von der Regentin und sagt, er ziehe sich nach Châteauroux zurück, kehre aber unverzüglich zurück an den Hof, sobald er von Ihren Majestäten dazu aufgefordert würde.«

»Ein wackerer Apostel!«

»Einen Tag später nimmt der Herzog von Maine Urlaub und geht nach Soissons. Zwei Tage darauf reist Monsieur de Nevers in sein Gouvernement Champagne. Und der Herzog von Bouillon, der anscheinend keine Eile hat zu gehen, spielt den heiligen Johannes mit dem Goldmund. Erst verrät er, daß die Großen sich alle in Mézières sammeln wollen, aber als er sieht, daß dieser Verrat ihm nichts einbringt, läuft er ihnen hinterher, nicht ohne Ihren Majestäten zu versprechen, er werde sie an ihre Pflichten erinnern.«

»Wo liegt Mézières?« fragte La Surie.

»Mézières ist das Tor zu den Ardennen«, sagte mein Vater. »Und was mehr bedeutet, das stark befestigte Tor an einer Schleife der Meuse, nur zwei Schritt von den spanischen Niederlanden entfernt, wohin die Großen sich vermutlich zurückzuziehen gedenken, falls die Dinge für sie schlecht ausgehen, oder woher sie sich Verstärkung erhoffen. Aber, wie sind die Großen auf Mézières gekommen?«

»Der Herzog von Nevers hat die Stadt mit Gewalt eingenommen und den königlichen Leutnant verjagt.«

»Wie denn das?«

»Mit zwei Kanonen aus La Cassine und zwei aus Sedan.«

»Vier Kanonen, Erbarmen!« rief mein Vater. »Da haben wir im Arsenal über hundert Kanonen aller Kaliber stehen, neu angeschafft von Sully und vom seligen König! Worauf wartet man, gegen die Verräter loszuschlagen?«

»Ach, mein Freund!« sagte Madame de Guise. »Man sieht, Ihr kennt die Regentin schlecht.«

|232|»Was tut sie denn?«

»Sie berät … Immerhin aber hat sie den Herzog von Vendôme1 festnehmen lassen, als er gleichfalls nach Mézières aufbrechen wollte, und hat ihn im Louvre eingesperrt, nur daß er acht Tage später geflohen ist.«

»Warum hat sie ihn nicht in die Bastille gesteckt!« rief ich.

»Genau das, Söhnchen, hat Euer kleiner König auch gesagt! Aber er ist erst dreizehn, auf ihn hört doch niemand. Und Vendôme ist in sein Gouvernement Bretagne entwischt und verschanzt sich dort.«

»Aber, was wollen sie denn alle?« rief La Surie.

»Könnt Ihr Euch das nicht denken?« sagte Madame de Guise, indem sie ihre molligen weißen Hände hob: »Sie wollen, was sie von der Regentin zu Beginn ihrer Regentschaft so leicht bekommen haben: Geld und nochmals Geld! Sie wüten vor Eifersucht auf diesen Goldstrom, der sich aus dem Schatz tagtäglich über die Marschälle von Ancre ergießt, und wollen ihn zu sich ableiten.«

»Und was tut die Königin?«

»Ich sagte doch, sie berät! Ohne daß es zu einer Entscheidung kommt, weil im Rat sowohl die Partei sitzt, die Frieden um jeden Preis will – und ›um jeden Preis‹ trifft die Sache! –, wie auch die Partei, die den Großen eins draufgeben will.«

»Und wer ist für den Frieden?«

»Der Marschall von Ancre.«

»Wieso?«

»Weil die Regentin für den Kriegsfall versprochen hat, den Oberbefehl des Heeres meinem Sohn Guise zu geben.«

»Und warum verlangt der Marschall von Ancre den nicht für sich?«

»Außer daß er keine Eile hat, seine militärische Nichtigkeit zu beweisen, sieht er nicht, was er bei einem Krieg gegen die Großen gewinnen kann oder was er verliert, wenn er sich mit ihnen versteht. Wahrscheinlich denkt er, sollen aus dem Staatsschatz doch getrost zwei Flüsse gleichzeitig fließen. Was schert es ihn, wenn der versiegt?«

|233|»Und wer ist für den Krieg?«

»Alle guten Franzosen: Kardinal de Joyeuse, Minister Villeroy, Präsident Jeannin und ich.« Und dieses ›ich‹ wurde gesprochen, als wäre Madame de Guise die Vizekönigin von Frankreich.

»Ihr, Madame?« rief ich.

»Ja, ich!« sagte Madame de Guise und legte die Hände flach neben ihren Teller. »Ist es nicht meine Pflicht«, fuhr sie, den Kopf aufwerfend, fort, »alles zu tun, damit die Regentin dem Herzog von Guise den Oberbefehl des Heeres gibt? Und findet Ihr nicht, es ist an der Zeit – bei dem Alter und der Hinfälligkeit von Monsieur de Montmorency –, daß ich für meinen Sohn das Konnetabelamt erstrebe?«

Ohne daß die Lippen meines Vaters sich im mindesten bewegten, blitzte ein Lächeln aus seinen Augäpfeln, und die Krähenfüße um seine Augen fältelten sich. Es gab einen schweigenden Blickwechsel zwischen ihm, La Surie und mir. Denn so lautstark meine liebe Patin die Großen auch schmähte, zu denen sie selbst gehörte, dachte sie doch genauso wie sie. Jedenfalls war es sonnenklar: die ›gute Französin‹ verteidigte in dieser Sache nicht zuerst das französische Reich, sondern das Haus Guise.