Ich nenne den Favoriten in diesen Memoiren unterschiedslos bei drei Namen: Concini, Marschall von Ancre und auch Conchine. Seinerzeit aber waren diese verschiedenen Bezeichnungen keineswegs neutral und bedeutungslos. Für die Königinmutter war er selbstverständlich Concini, für die Höflinge der Marschall von Ancre, wenigstens öffentlich. Seine Speichellecker titulierten ihn ›Exzellenz‹, was seinem Amt allerdings auch zustand. Der König hätte ihn mit ›mein Cousin‹ anreden müssen. Er tat es nie, schweigend verwarf er die ungerechtfertigte Ehre, die seine Mutter diesem Lumpen erwies. Wenn er nicht anders konnte, als ihn eindeutig zu nennen, französisierte er den Namen und sagte Conchine. Das Volk, das den Florentiner wütend haßte, belegte ihn sowohl aus Haß wie aus Vorsicht mit einem ganzen Arsenal von Schimpfnamen: il coglione1 war noch der mildeste.
Wenn Madame de Guise die Gattin des großen Mannes ansprach, sagte sie ›Frau Marschallin‹, wenn sie in vertrautem Kreis von ihr sprach, ›Signora Concini‹. Zu Hause und mir gegenüber ›die Galigai‹ und manchmal, so wie ich, die Conchine. Bei uns im Champ Fleuri hieß sie nur die Spinne, weil sie abgeschieden in den Räumen über der Königin wohnte und ›sich abends zu ihr hinunterließ, um sie in ihre Spinnweben einzuwickeln‹. Und damit Mariette, die ihre Ohren überall hatte, nicht durch den Kontext oder durch die Kraft des treffenden Bildes dahinterkomme, wen wir meinten, benutzten wir auch mal das lateinische Wort aranea oder das griechische arachnee.
Um die Augustmitte – den Tag weiß ich nicht genau – erschien ich um neun Uhr in den Gemächern des Königs und war erstaunt, daß er, der sonst so früh aufstand, noch zu Bett lag und schlief. Monsieur de Souvré erklärte mir leise, Ludwig |384|habe am Vorabend nicht einschlafen können wegen der drückenden Hitze, so sei er aufgestanden, habe sich im Hausgewand in sein Studierzimmer begeben und bis Mitternacht gesungen.
Am Ende dieses Berichts erwachte Ludwig, sah uns an, während er sich aufsetzte, und verkündete uns allen Ernstes, der Feind habe verräterisch Schloß Chambord überfallen, doch er habe ihn, Gott sei Dank, durch einen Großangriff unverzüglich in die Flucht geschlagen, den er uns bis ins einzelne beschrieb und ohne jedes Stottern, wobei er Ausdrücke benutzte, die ich nicht kannte, von denen der Marschall de Souvré aber sagte, daß sie einen nach allen Regeln gelieferten Sturmangriff bezeichneten.
Nach dieser Erzählung betete Ludwig, lehnte das Frühstück ab (was mich beunruhigt hätte, wäre mir sein Gesicht nicht so fröhlich erschienen, wie von seinem kriegerischen Traum durchglüht), und bevor er die Königinmutter besuchen ging, sollte ich ihn in seine Waffenkammer begleiten, er wolle mir eine Hakenbüchse zeigen, sagte er, die der Herzog von Bellegarde ihm gestern geschenkt habe. Er bat Descluseaux, uns die Tür aufzuschließen, und während wir hinaufstiegen, erläuterte er noch dies und jenes zu der ruhmvollen Eroberung oder vielmehr Rückeroberung des Schlosses Chambord durch seine Truppen.
Ton, Stimme, Gesicht, alles an ihm war im Nu wie ausgewechselt, sowie Descluseaux den Raum verlassen hatte.
»Sioac«, sagte er leise, während er lärmend die Hakenbüchse von Bellegarde zerlegte, »kennt Ihr Déagéant?«
»Nein, Sire. Aber mein Vater hatte mit ihm zu tun.«
»Wie das?«
»Déagéant überbrachte ihm von Eurem königlichen Vater heimlich Gelder für seine geheimen Missionen.«
»Und was hält der Marquis de Siorac von Déagéant?«
»Viel Gutes.«
»Ich auch«, sagte Ludwig, indem er mich ernst aus seinen schönen schwarzen Augen anblickte.
»Trotzdem, Sire«, sagte ich nach kurzer Überlegung, »Déagéant ist Schreiber von Barbin, dem Intendanten der Königinmutter.«
»Deshalb«, sagte Ludwig, »ist er mir dennoch ein guter Diener. |385|Ich möchte, Sioac, daß Ihr Déagéant trefft. Er ist überaus gut.«
Mein Leser erinnert sich wohl, daß dies die besondere Ausdrucksweise des Königs war.
»Und was, Sire, soll ich ihm sagen?«
»Er wird Euch Dinge mitteilen.« Der König setzte hinzu: »Als Barbins Schreiber kann er mich ohne Gefahr nicht oft sehen.«
Ich verstand also, daß der König von mir erwartete, ein Bindeglied zwischen Déagéant und ihm zu sein. Ludwig las aus meinem Blick Verstehen und Zusage und setzte Bellegardes Hakenbüchse zusammen, ohne noch etwas hinzuzufügen. Dann rief er Descluseaux, wischte sich rasch die Hände ab, und als die Tür geöffnet wurde, lief er so schnell die Treppe hinunter, daß ich kaum nachkam.
Dieses Gespräch unter vier Augen machte auf mich tiefen Eindruck: in einem Monat wurde Ludwig fünfzehn Jahre. Und so sehr manche seiner Beschäftigungen mir seinem Alter unangemessen erschienen – aber war das nicht auch Komödie, um den Argwohn der Königinmutter zu täuschen? –, so bestimmt und seiner sicher fand ich ihn an diesem Tag. Und ich war trunken vor Freude, von ihm zum erstenmal einen Auftrag erhalten zu haben, mochte er noch so bescheiden sein, wie sein Vater ihn ehemals dem meinen anvertraut hatte.
Ich überlegte den ganzen Tag, wie ich die Begegnung mit einem Mann, den ich nie gesehen hatte, am besten arrangieren sollte, doch ganz unnötigerweise, denn am selben Abend, als ich mich in meiner Wohnung im Louvre nach kurzer Mahlzeit zum Schlafengehen bereitete, klopfte es an meiner Tür. Da ich zu so später Stunde niemand mehr erwartete, lud ich meine Pistolen, die ich griffbereit legte – der Louvre war abends nicht sicherer als Paris –, während La Barge sich vom Pagen zum Lakaien verwandelte, indem er in seine Livree schlüpfte, und Robin sich mit einem Knebelspieß für alle Fälle am Eingang postierte.
Auf mein Zeichen hin öffnete La Barge stufenweise die Tür, und zum Vorschein kam ein durchaus nicht furchterregender, kleiner Mann, degenlos und in seiner strengen schwarzen Kleidung einem Geistlichen ähnlich, der noch keine Tonsur hat.
|386|»Herr Chevalier«, sagte er mit tiefer Verbeugung, »ich bin Déagéant und Euer untertäniger und ergebener Diener.«
»Euer Diener, Monsieur Déagéant!« erwiderte ich, während La Barge die Tür hinter ihm schloß. »Bitte, tretet ein und nehmt auf diesem Stuhl Platz.«
Mit den Augen gab ich La Barge und Robin das Zeichen, in meine angrenzende Schlafkammer zu verschwinden, wo sie, wie ich wußte, sich die Zeit mit Würfeln und meinem Wein vertreiben würden.
»Monsieur Déagéant«, sagte ich, »es freut mich, Euch kennenzulernen. Mein Vater hat mir erzählt, welche Beziehungen er zu Euch bei Lebzeiten des Königs hatte.«
»Und wie geht es dem Herrn Marquis?« fragte Déagéant mit einer Verneigung.
»Gesund und munter.«
Déagéant beglückwünschte mich dazu, und während er sprach, beobachtete ich ihn. Er hatte breite Schultern, einen Bauernschädel, blanke schwarze Augen, kurzgeschorenes Haar, einen sauber beschnittenen Schnurrbart und Kinnbart und wirkte zugleich sicher und bescheiden.
»Herr Chevalier«, sagte er, beide Hände auf den Knien, »erlaubt, daß ich Euch sage, wie wir die Dinge zwischen Ludwig, Euch und mir halten sollten. Sowie ich Wichtiges mitzuteilen habe, werde ich Euch jeweils zu dieser späten Stunde aufsuchen. Ihr macht darüber bitte einen Bericht, aber mit verstellter Schrift, knapp und diskret.«
»Inwiefern diskret, Monsieur Déagéant?«
»Indem Ihr die Leute nur durch den Endbuchstaben des Namens bezeichnet. Wenn Ihr B. für Barbin setzt, ist die Sache klar, aber nicht, wenn Ihr für Barbin N. schreibt, für Lud wig G. und für Condé E. Habt Ihr Euren Bericht verfaßt, bittet Ihr Ludwig am folgenden Tag um Erlaubnis, in seinem Bücherkabinett ein Wörterbuch einzusehen, wie Ihr es nach seinen Worten zuweilen macht, und schiebt Euren Bericht bitte in die erste Seite des Kapitels dreizehn der Essais von Montaigne. Ludwig wird ihn, sobald er kann, lesen und verbrennen.«
»Warum Kapitel dreizehn, Monsieur Déagéant?«
»Als Gedächtnishilfe, Herr Chevalier. Dreizehn wie Ludwig XIII..«
|387|All das war geheimnisvoll wie im Roman, und ich war jung genug, um bezaubert zu sein.
»Fangen wir heute gleich an, Monsieur Déagéant?«
Der Mann war gewieft, und da er meinen Eifer sah, wollte er mich zunächst mit härteren Realitäten vertraut machen.
»Es wird Euch nicht entgehen, Herr Chevalier, daß Ihr immer ein wenig mit dem Kopf auf dem Richtblock lebt, wenn Ihr diesen Weg einschlagt.«
»Ihr doch auch, Monsieur Déagéant.«
»Ich bin nicht adlig, bei mir wäre es eher der Strick«, entgegnete Déagéant lächelnd.
Als ich dieses feine Lächeln sah, begriff ich, daß man – anders, als unsere Edelleute glaubten – auch tapfer sein konnte ohne Prahlerei und ohne den Degen zu ziehen.
»Gut denn, fangen wir an!« sagte ich und erwiderte sein Lächeln in dem Gefühl, daß zwischen ihm und mir eine herzliche Komplizenschaft enstand.
»Vorgestern«, begann Déagéant, »wurde Barbin von Prinz Condé ersucht, ihn in Saint-Martin zu treffen. Und Barbin nahm mich mit, weil er darauf hält, immer einen Zeugen zu haben, wenn er mit dem Prinzen spricht.«
»Warum, Monsieur Déagéant?«
»Damit das Gespräch notfalls bekräftigt werden kann, der Prinz ist so verlogen.«
Und das sagte Déagéant, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt.
»Wir betrafen ihn«, fuhr er fort, »in äußerster Wirrsal und nahezu in Tränen. Er empfing Barbin, wie sich ein verirrtes Kind im Wald an den Vater klammert, mit dessen Hilfe es seinen Weg wiederzufinden hofft. ›Monsieur‹, sagte er mit zitternder Stimme, ›ich bin an einen Punkt gelangt, wo mir nichts anderes übrigbleibt, als dem König den Thron zu nehmen und an seinen Platz zu treten.‹«
»Monsieur Déagéant«, sagte ich, »wollt Ihr diesen erstaunlichen Satz bitte wiederholen? Ich will sicher sein, ihn gehört zu haben.«
»›Ich bin an einen Punkt gelangt, wo mir nichts anderes übrigbleibt, als dem König den Thron zu nehmen und an seinen Platz zu treten.«
»Und das sagte er Barbin, dem Intendanten, Vertrauten und |388|Rat der Königinmutter! Die jedes Interesse daran hat, daß der König bleibt, wo er ist, weil sie in seinem Namen regiert! Ist das nicht Wahnwitz? Zumal eine solche Erklärung schon an sich ein Majestätsverbrechen ist.«
»Immerhin, Herr Chevalier, korrigierte sich der Prinz, kaum daß er dies ausgesprochen hatte, und sagte: ›Und doch scheint mir, ich ginge damit zu weit.‹ – ›Aber‹, sagte Barbin, ›warum solltet Ihr es dann tun?‹ – ›Weil die Großen«, sagte Condé, ›mir keine Ruhe lassen und sagen, wenn ich es nicht tue, verlassen sie mich. Und wenn sie mich verlassen, Monsieur Barbin, wird die Königinmutter mich verachten.‹«
»Wie diese Angst vor Verachtung Condé doch beherrscht!« sagte ich. »Bis an sein Lebensende wird er zweifeln, ob er der Sohn seines Vaters ist.«
»Eben das spürte Barbin, und mit größtem Respekt erwiderte er sogleich: ›Monseigneur, Eure Geburt enthebt Euch jeder Verachtung, und die Königin wird immer bestrebt sein, Eure Macht zu erhöhen, anstatt sie zu vermindern.‹ Nachdem er Condé so das Fell gestreichelt hatte, fuhr Barbin fort: ›Im übrigen ist die Partei des Königs nicht so schwach, wie Ihr glaubt. Allein der Begriff König hat große Macht, und alle, die Ihr auf Seiten der Prinzenpartei wähnt, sind es nur halbherzig … Ich meine damit, daß eine Unternehmung gegen die königliche Autorität nur ein Strohfeuer wäre.‹«
»Oh«, sagte ich, »das war äußerst geschickt.«
»Monsieur Barbin ist ja auch ein sehr geistvoller Mann«, sagte Déagéant lebhaft. »Das Unglück ist nur, daß er sich aus Ehrgeiz Concini verschrieben hat. Doch wie dem auch sei, Condé war durch seine Worte völlig bekehrt, für den Moment wenigstens. Lauthals erklärte er, daß er seinem Souverän ja gehorsam bliebe, wenn die Königinmutter den Herzog von Bouillon vom Hof verjagen würde, der ihm in den Ohren liege und ihm den Sinn verwirre, weil er eine Macht über ihn habe, gegen die er wehrlos sei.«
»Ist das wahr?«
»Und ob es wahr ist! Kein Ehemann hat auf seine Frau jemals einen stärkeren Einfluß gehabt. Und das sage ich ohne jede Doppeldeutigkeit, Condé ist nun mal, was er ist … Aber, um mit Eurer Erlaubnis fortzufahren, Herr Chevalier. Mit dem halben Versprechen, den Herzog von Bouillon zu entfernen, |389|verläßt Barbin den Prinzen, der sich nach Hause begibt. Dort erwartet ihn eben besagter Bouillon, und als der ihn wenig entschlossen sieht, sich gegen den König zu wenden, drängt er ihn, mit Concini zu brechen, weil er hofft, dadurch werde Condé genötigt sein, mit der Königinmutter die Klingen zu kreuzen und folglich auch mit dem König.«
»Und widerstand ihm Condé nicht?«
»So wenig wie vorher Barbin. Unverzüglich schickt er den Erzbischof von Bourges zu Concini und läßt ihm sagen, daß er nicht mehr sein Freund ist.«
»Das ist ja eine Kriegserklärung!« rief ich. »Und was für eine verrückte! Wenn Condé nicht imstande ist, Concini umzubringen, warum erschreckt er ihn dann und schafft sich einen Todfeind? Und wenn er ihn beseitigen kann, wozu warnt er ihn? Schlägt die Katze Alarm, eh sie die Maus fängt?«
»Ihr habt ganz recht, Herr Chevalier!« sagte Déagéant. »Aber ich fahre fort. Der Zufall wollte es, daß Barbin bei Concini war, als der Erzbischof von Bourges kam. Und wenn Barbin über die neue Wendung des Prinzen schon fassungslos war, so konnte Concini, der ja mehr durch Grausamkeit glänzt als durch Mut, die Verzweiflung und den Schrecken nicht verhehlen, die ihn befielen. Verstört führte er Barbin zu seiner Frau, die ebenso erschrak, Paris augenblicklich verlassen und sich nach Caen flüchten wollte, diese Stadt gehört ihnen neuerdings, wie Ihr wißt. Aber sie konnte nicht fort, sie war zu krank und brach zweimal zusammen, als sie die Sänfte besteigen wollte. Concini brach nachts allein auf und erreichte Caen mit verhängten Zügeln. Um Eure Metapher aufzugreifen, Herr Chevalier, die Maus war gewarnt, daß ihr Krallen drohten, sie floh in ihr Loch. Und ein Loch, aus dem man sie schwerlich herausbringen wird: Concini hat Truppen und viel, viel Geld, um neue auszuheben.«
Nachdem Déagéant gegangen war, hielt ich seinen Bericht schriftlich fest, und als ich am nächsten Morgen, einen Knopf meines Wamses ungeknöpft, die Gemächer des Königs betrat, bat ich ihn, Berlinghen den Schlüssel zum Bücherkabinett zu überlassen, damit er es mir öffne, was Ludwig ohne weiteres tat. Nun hatte ich aber beobachtet, daß Blainville in der Nähe war, also hütete ich mich, an Ort und Stelle sogleich die Essais von Montaigne zu suchen, sondern nahm mir von einem |390|benachbarten Bord das Enchiridion militis christiani von Erasmus, setzte mich und vertiefte mich in diese erhabene Lektüre. Wie gut ich daran getan hatte! Ich hatte mich keine fünf Minuten festgelesen, als die Tür aufging, Blainville seine lange Nase hereinsteckte und das Bücherkabinett betrat. Ich blickte von meinem Erasmus auf.
»Suchtet Ihr mich, Monsieur de Blainville?« fragte ich.
»Nein, Herr Chevalier«, sagte er mit großer Verneigung. »Ich kam nur zufällig vorbei und sah die Tür offen (was sie gar nicht war), so erlaubte ich mir, einzutreten, weil ich den Fuß noch nie in das Bücherkabinett Seiner Majestät gesetzt habe.«
Während er sprach, rückte er mir fast bei jedem Wort näher, damit er, denke ich, einen Blick auf das Buch in meinen Händen werfen konnte.
»Aber«, sagte ich, »man braucht Seine Majestät nur um die Erlaubnis zu bitten, das Kabinett zu besuchen! Der König hätte sie Euch nicht abgeschlagen.«
»Verdammt«, sagte Blainville, als er in Blickweite war, »das ist ja Latein, was Ihr lest!«
»Nur das Enchiridion militis christiani, zum Glück hat Erasmus es auf lateinisch geschrieben, denn Holländisch kann ich nicht.«
»Ach«, sagte Blainville, der in einem Jesuitenkolleg erzogen und alles andere als ungebildet war, »das ist also das berühmte Handbuch des christlichen Soldaten.«
»Für mein Gefühl«, sagte ich, »sollte man den Titel besser übersetzen: Handbuch des Soldaten Christi.«
»Ich habe Euch gar nicht für so fromm gehalten«, sagte Blainville, der mir den Eindruck machte, als sei er hilflos auf einer Spur, die sich verwischte.
»Dessen würde ich mich nicht rühmen, Monsieur de Blainville«, sagte ich lachend. »Ich suche ein Zitat, das mein Vater gestern anführte, aber nicht vollständig wußte.«
»Was für ein Zitat?« fragte Blainville, den sein Eifer über die Grenzen der Höflichkeit hinaustrieb.
»Eben dies hier«, sagte ich schlagfertig und las ihm laut und so schnell ich konnte den Satz vor, den ich im Augenblick vor seinem Eintritt überflogen hatte. Er war sehr lang und so kompliziert gebaut, daß Blainvilles Latein, wie ich wohl merkte, für sein Verständnis nicht ausreichte.
|391|Wie ich annahm, scheute er sich, mich um die Übersetzung zu bitten, und nach ein paar höflichen Komplimenten schlich unser Spürhund davon.
Nachdem er fort war, horchte ich noch, das Buch des Erasmus auf den Knien, aber ohne zu lesen, schließlich hätte Blainville unverhofft zurückkommen können. Nach einer Weile näherte ich mich auf Zehenspitzen der Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und spähte in die Galerie hinaus, niemand war da. Diesmal riegelte ich die Tür von innen ab. Dann zog ich die Essais von Montaigne heraus, schob meinen Bericht in die erste Seite des Kapitels XIII, stellte das Buch an seinen Platz zurück, den Erasmus an den seinen und war im Augenblick draußen. Doch sehr nachdenklich kehrte ich in die königlichen Gemächer zurück. Ich hatte Blainvilles gute Nase irregeführt, gewiß, aber wieso hatte seine Nase mich dorthin verfolgt? Ich vermutete, das offene Knopfloch habe ihn aufmerken lassen, und beschloß, mit Déagéant ein anderes Zeichen für den König abzusprechen.
* * *
Der Erzbischof von Bourges, den Condé als Boten benutzt hatte, um Concini ausrichten zu lassen, ›er sei nicht mehr sein Freund‹, hatte nur einen Ehrgeiz im Leben: daß seine violette Robe purpurn werde und sein Haupt jener Kopfschmuck ziere, dessen breite Ränder seine breiten Schultern in majestätischen Schatten tauchen würden. Deshalb komplottierte er bei Tage mit Condé und den Großen und betrat des Nachts durch eine geheime Pforte den Louvre, um Barbin und der Königinmutter deren Verschwörungspläne zu erzählen. Der Erzbischof deckte sich so von zwei Seiten ab und rechnete darauf, daß er, wie immer die Revolte der Prinzen ausginge, ein Recht auf die Dankbarkeit des Siegers, auf dessen Intervention beim Heiligen Vater und auf den Kardinalshut hätte.
Die Prinzen freuten sich riesig über Concinis Flucht aus Paris. Der Günstling überließ Condé den Platz. Also war Condé Sieger. Hätten sie aber einen Funken Überlegung gehabt, so hätten sie begriffen, daß Condés Macht noch nie so anfällig war wie jetzt. Denn die Galigai war in Paris geblieben. Sie hielt den Herrn Prinzen nun für ihren schlimmsten Todfeind und hatte das Ohr ihrer Herrin mehr denn je.
|392|In ihrer Vermessenheit komplottierten Condé und die Prinzen ohne jede Scham und Scheu, als hätten sie den Sieg schon in der Tasche. Sie versuchten, die Obersten und Hauptleute der Stadtviertel auf ihre Seite zu ziehen, veranlaßten die Priester, gegen den König zu predigen, drängten das Parlament, die Herzöge, Pairs und Amtsträger der Krone zusammenzurufen, damit entschieden würde, ob die Staatsmacht nicht den Händen der Königinmutter entrissen und anderen übertragen werden sollte. Alle diese Umtriebe hatten statt, ohne daß sie sich im mindesten versteckten, und darauf folgten fröhliche Feste, auf denen der Ruf hallte: Nieder mit den Balken! Das bedeutete, daß die Wappen der Prinzen, wenn sie über die königliche Herrschaft triumphieren würden, das Privileg erhielten, das bis dahin nur das königliche Wappen besaß: nämlich daß kein Balken es mehr durchquerte. In Wahrheit aber verriet sie dieses Nieder mit den Balken! Denn weit entfernt, die Wiederherstellung der königlichen Macht anzustreben, wie sie behaupteten, richtete sich ihr Trachten auf die Wiederherstellung eines Feudalstaates, in dem jeder von ihnen ein kleiner König in seiner Provinz wäre, der seine Grenzen auf Kosten der Nachbarn zu erweitern versuchte, Truppen aushob und wer weiß, sogar eigenes Geld schlagen würde …
Concini war am fünfzehnten August aus Paris geflohen, die Signora Concini brauchte nur vierzehn Tage, bis die Königinmutter sich entschloß, Condé festnehmen und einkerkern zu lassen. Aber, schwankend wie stets, war Maria einmal entschlossen, dann wieder nicht mehr entschlossen, dann entschloß sie sich erneut, so daß über diesem Hin und Her die größten Fische der Reuse entwischen konnten. Das betrübte Barbin sehr, der die Festnahme organisiert und gehofft hatte, neben Condé auch die umtriebigsten Prinzen zu fangen. Die Königinmutter aber beauftragte Monsieur de Thémines mit der Ausführung, weil sie sich entsann, daß unser Henri von diesem gesagt hatte, er würde unter allen Umständen dem Königshaus dienen.
Es war also vereinbart, daß, sobald Condé den Louvre betreten hätte, um dem Königlichen Rat vorzustehen, vor der Zugbrücke Garden aufziehen sollten, damit er nicht mehr hinauskäme. Und weil dieser Gardeaufzug Alarm wecken konnte, |393|stellte man die Karosse des Königs samt Gespann vor die Zugbrücke, damit es aussähe, als begäbe sich der König nach Saint-Germain-en-Layes und die Truppen seien nur zu seinem Begleitschutz aufmarschiert.
Als ich meinem Vater von dieser List erzählte, erinnerte er mich daran, daß Heinrich III. am Tag, als der Herzog von Guise ermordet wurde, ebenfalls die königliche Karosse zur Tarnung benutzt hatte. Um zu verhindern, daß der Herzog von Guise zu jenem Ratstag mit starkem Gefolge käme, das den Fünfundvierzig eine harte Nuß zu knacken gegeben hätte, ließ Heinrich III. den Rat an jenem Tag um sieben Uhr morgens ansetzen, und um die frühe Stunde zu rechtfertigen, hatte er dem Herzog am Vorabend anvertraut, er wolle sich sehr zeitig nach seinem Herrensitz La Noue begeben. Die angespannte Karosse fuhr um sieben Uhr an der durchbrochenen Turmtreppe des Schlosses zu Blois vor, um die Abfahrt glaubwürdig zu machen.
Condé also verließ den Königlichen Rat um elf Uhr und lenkte seine Schritte zum Gemach der Königinmutter, wo der Geschäftsrat sich versammeln sollte. Jemand hatte ihm geflüstert, daß man ihn festnehmen werde, er wollte es nicht glauben und sagte laut, niemand würde es wagen, Hand an ihn zu legen. »Genau dasselbe«, sagte mein Vater, »erwiderte vor achtundzwanzig Jahren auch der Herzog von Guise, als man ihn warnte, daß Heinrich III. ihn aus der Welt schaffen wolle. Etwas wird der Verschwörer nie einsehen: ein Herrscher mag noch so schwach sein – im königlichen Schloß ist immer der König der Stärkere.«
Condé fand im Gemach der Königinmutter niemand vor, nicht die Königinmutter selbst, nicht die anderen Räte. Mehrmals fragte er, nicht ohne Ungeduld, die anwesenden königlichen Offiziere nach ihr, ohne doch zu ahnen, daß sie ihm so nahe war, in einem benachbarten Kabinett nämlich, nur durch eine Tür von ihm getrennt, hinter der sie sich mit dem König und Monsieur verbarg.
Condé, der sich schon für den König von Frankreich hielt und es geradezu beleidigend fand, daß die Königinmutter ihn warten ließ, fiel aus allen Wolken, als Monsieur de Thémines hereintrat und sagte, daß er ihn festnehmen müsse.
»Und das wollt Ihr wagen?« fragte Condé.
|394|»Ja, Monseigneur«, sagte Thémines, »auf Befehl des Königs. Monseigneur, bitte, übergebt mir Euren Degen.«
Condé weigerte sich zunächst, doch als er Monsieur d’Elbène mit sieben, acht Edelleuten, den Knebelspieß in der Hand, herzutreten sah, erbleichte er und fügte sich.
»Wollt Ihr mich umbringen?« fragte er Monsieur d’Elbène.
»Monsieur«, sagte Monsieur d’Elbène, »wir sind Edelleute und keine Henker und haben auch keinen Befehl, Euch etwas anzutun.«
Unverweilt nahmen die Edelleute ihn in die Mitte und führten ihn in das Gemach, das man für ihn vorbereitet hatte. Da faßte er wieder ein wenig Mut, woran er es bis dahin sehr hatte fehlen lassen, und lehnte ein Diner, das man ihm bereitet hatte, mit der Forderung ab, seine Mahlzeit solle ihm von seinen Leuten zubereitet werden.
Man willigte ein, und was ihn nun zusätzlich beruhigte, war der Besuch von Monsieur de Luynes, der ihn im Namen des Königs versicherte, man werde ihn gut behandeln. Trotzdem verlangte er mit solcher Dringlichkeit, Barbin zu sprechen, daß dieser sich auf Order der Königinmutter zu ihm begab.
Déagéant berichtete mir abends in meiner Wohnung, was er Barbin gesagt habe, seien nichts wie Tollheiten, Kindereien und Hirngespinste gewesen, dennoch habe er immerhin auch bestätigt, daß, ›wenn die Königin ihm nicht um drei Tage zuvorgekommen wäre und noch länger abgewartet hätte, der König die Krone verloren hätte‹: eine um so dümmere Prahlerei, als sie seine Gefangennahme vollends rechtfertigte, während er im selben Atemzug mit Pauken und Trompeten durch Luynes und Barbin von der Königinmutter verlangte, ihn freizulassen.
Barbin hatte natürlich befürchtet, daß diese Festnahme in Paris eine Gegenmaßnahme der Prinzen und einen Volksaufstand auslösen würde. Doch die Prinzen dachten nicht daran, ihrem Häuptling zu Hilfe zu eilen. Da ihnen die Tore der Hauptstadt nicht versperrt wurden, galoppierten sie in ihren goldenen Karossen hindurch, kehrten ein jeder in sein Gouvernement zurück und suchten Schutz hinter ihren Mauern. Als man sie nicht verfolgte, schwoll ihnen bald wieder der Kamm, sie stellten erneut Truppen auf und drohten.
Allein die verwitwete Prinzessin Condé – die Mutter unseres |395|Gefangenen – stieg wacker zu Pferde und ritt durch die Pariser Straßen, um das Volk aufzurütteln, das sich aber kaum aufrütteln ließ. Dazu hätte es schon der Jungfrau auf ihrem weißen Zelter bedurft, doch ein so schönes Bild gab die Prinzessin nicht ab. Die Pariser kannten ihre Vergangenheit samt Prozeß, Pagen und Giftmischerei. Nur der Schuster Picard, dem die Prügel von Concinis Knechten auf der Seele lagen, rottete einiges Volk zusammen, und weil er den Marschall nicht in die Hände bekam, hielt er sich schadlos an seinem Haus.
Es war eine fürchterliche Verwüstung von unten bis oben. Stoffe wurden zerfetzt, Möbel zerbrochen, der Garten zerstampft. Was man nicht wegschleppen konnte, wurde zerstört. Dennoch war diese Wut nicht so blind, wie man glauben mochte. Die Meuterer schossen mit der Hakenbüchse auf die Bildnisse Concinis und seiner Frau, und als ihnen das nicht genug erschien, zerschlitzten sie die Leinwände mit Messern. Das Porträt der Königinmutter holten sie nur von der Wand und warfen es zum Fenster hinaus, man fand es auf der Straße besudelt, aber nicht zerstört. Dafür rührte keiner das Bild des Königs an: es blieb einsam, unbefleckt und heil in dem Raum hängen, wo sämtliche Wandbespannungen beschmutzt und abgerissen worden waren. Als ich das hörte, war ich voll Freude, und das Herz klopfte mir.
* * *
Vierzehn Tage nach Condés Festnahme besuchte mich Déagéant wieder in meiner Wohnung im Louvre. Ich war beim Abendessen und lud ihn ein, es ohne Umstände mit mir zu teilen, und nach höflichen Ablehnungen und erneuten Aufforderungen nahm er mein Angebot an.
Zum Glück gab es kaltes Fleisch, so daß ich La Barge und Robin gleich zu Würfel und Wein und ihren Liebesgeschichten hinausschicken konnte.
»Wenn es Euch recht ist, Monsieur Déagéant, essen wir erst und reden danach? Dann ist mein Kopf bereitwilliger, sich Eure Neuigkeiten einzuprägen.«
Er stimmte zu, und während wir still die Kiefer spielen ließen, warf ich verstohlen einen Blick auf ihn. Wie mein Vater |396|ihn beschrieben hatte, war dieser Mann gewiß nicht zur Welt gekommen, um zu tändeln, sondern um tief und geradlinig seine Furche zu ziehen bis zum Tod. Er achtete Ränge und Bräuche, doch nicht servil, kannte durchaus seinen Wert, er machte nicht viel Worte, aber ein jedes hatte Gewicht, er verstand sich auf Politik, aber ohne Hang zur Intrige, und stand ganz im Dienst des Königs, für den er, wie mein Vater sagte, alles getan und alles gegeben hätte.
»Nun, Monsieur Déagéant«, sagte ich, als unsere Teller leer waren, »was gibt es für Neuigkeiten?«
»Katastrophale«, sagte er so knapp wie ernst. »Und wenn sie bekannt werden, in ein, zwei Tagen, wird kein Sohn einer guten Mutter in Frankreich sie nicht ebenso bewerten. Kurz, für die Graubärte ist das Beil endgültig gefallen. Villeroy und Jeannin sind in derselben Ungnade wie Sillery, und die Königinmutter hat an ihrer Statt ein Triumvirat ernannt: Barbin, Mangot, Richelieu. Alle ausgewählt von der Concini, in Abwesenheit, aber mit Zustimmung ihres Mannes.«
»Es sollen geistvolle, bewegliche und auch vermögende Leute sein.«
»Das sind sie«, sagte Déagéant, »und das ist gerade das Schlimme.«
»Aber es sind immerhin gebürtige Franzosen, denen die Liebe zur Nation Herzenssache sein müßte. Werden sie Concini nicht zügeln und mäßigen, wenn er zu weit geht?«
»Das glauben sie zweifellos, aber sie werden es nicht können. Concini ist ein Ausbund an Übermut und Gewalttätigkeit. Er hat diese Minister gemacht. Und wenn sie sich sträuben, setzt er sie ab. Herr Chevalier«, erklärte Déagéant, »dieser Kommentar gehört aber nicht zu meiner Botschaft. Bitte, erwähnt ihn nicht in Eurem Bericht.«
»Könnte er dem König nicht nützlich sein?«
»Ich glaube nicht. Der König weiß mehr, als man denkt, und Luynes zufolge begreift er sehr wohl, wie gefährlich die Situation ist.«
Ich weiß nicht, weshalb diese scheinbar so kühle Antwort mir ein gewisses Bangen verursachte, und ich fragte: »Unter uns, Monsieur Déagéant, meint Ihr, es besteht in den nächsten Monaten für Ludwig Gefahr?«
Déagéant, beide Hände auf den Knien und den Blick gesenkt, |397|blieb stumm, und ich dachte schon, er wolle mir nicht antworten, als er mir plötzlich in die Augen sah und sagte: »Große.«
Die Antwort machte mich fassungslos, und als mir die Stimme wiederkehrte, war sie so dumpf, daß sie mir selber fremd klang.
»Große!« sagte ich. »Meint Ihr, für seine Freiheit? Seine Krone? Sein Leben?«
Déagéant nickte, und mit höchster Erregung drang ich in ihn: »Darf ich fragen, worauf Eure Befürchtungen sich gründen?«
»In erster Linie auf Concinis Charakter. Ihr erinnert Euch gewiß der großen Angst, mit der er Condés ›Er sei nicht mehr sein Freund‹, entgegennahm. Diesen Schrecken sah ich mit eigenen Augen. Ich war ja dabei, mit Barbin. Damals sagte Concini fast weinerlich, mit hängenden Lippen, sollte er eines Tages an den Hof zurückkehren, würde er sich nie, niemals mehr in die Regierung einmischen und sich künftig darauf beschränken, sein Glück zu sichern, denn er war sich durchaus klar, daß er sich durch seine große Macht im Staat den Haß aller Welt zugezogen hatte.«
»Wenigstens war er da einsichtig!«
»Damit war es aber aus und vorbei, sowie Condés Gefangennahme ihn wieder in den Sattel setzte. Er fragte Barbin, ob ihm noch Gefahr drohe, wenn er sich der politischen Geschäfte wieder annähme, und Barbin antwortete: ›Exzellenz, ich sehe keinen Grund, der Euch daran hindern könnte.‹«
»Und wieso, zum Teufel, gab Barbin eine solche Antwort?«
»Weil Concini seines Erachtens ohnehin entschlossen war, seinen Einfluß im Staat wieder auszuüben und sogar noch auszubauen, auch wenn Barbin ihm abgeraten hätte.«
»Und was schließt Ihr daraus, Monsieur Dégéant?« fragte ich nach kurzer Weile.
»Zum ersten, daß Barbin entschlossen ist, in seiner Geschmeidigkeit und Unterwerfung ziemlich weit zu gehen, um Minister zu bleiben. Und zweitens – und das ist in meinen Augen das Wichtigere –, daß Concini zu allem entschlossen ist. Anders gesagt, um sich für den panischen Schrecken zu rächen, in dem er Paris verlassen hat, will er jetzt an die Macht. |398|Und sosehr er damals gezittert hat, so rücksichtslos, tyrannisch, ja grausam wird er sein, wenn ihm das gelingt.«
»Meint Ihr, er könnte sich an Ludwig vergreifen?« fragte ich endlich mit gedämpfter Stimme, so als empfände ich es als ruchlos, allein diese Frage zu stellen.
»Noch nicht«, sagte Déagéant. »Sowohl um seine Position zu festigen wie um sich an Condé und den Großen zu rächen, wird er sich zunächst an sie halten. Er wird nichts unversucht lassen, sie zu bezwingen und zu vernichten. Und dazu hat er entschlossene Minister eingestellt, die ihm ergeben sind.«
* * *
Mein Vater war in allem mein Vertrauter. Und wenn ich sage, ›mein Vater‹, schließe ich La Surie ein, denn wenn er auch nicht immer mit derselben Stimme sprach wie mein Vater, sprach er doch aus demselben Herzen. Doch so zuverlässig ich ihre Verschwiegenheit kannte, konnte ich mich lange nicht entscheiden, ob ich meiner Pfalzgräfin gegenüber meine Missionen erwähnen sollte, eben weil sie Pfälzerin war und es sich um Geheimnisse der französischen Krone handelte. Lange blieb ich darüber vor ihr stumm wie ein Karpfen, und dennoch mußte ich feststellen, daß sie vieles – aber nicht von mir – über unsere Staatsangelegenheiten wußte. Und so fragte ich sie eines Tages, woher sie es hätte. »Vom venezianischen Gesandten«, sagte sie. »Er ist ein alter Freund meines Vaters, und wenn er mich besucht, spricht er gerne über französiche Fragen, einfach, weil ihre Kenntnis sein Beruf ist, und auch, weil sie ihm als großem Freund dieses Landes sehr am Herzen liegen.«
Dies erfuhr ich von ihr bei einem Geplauder hinter den Musselinvorhängen, und ich war baff, aber auch ganz beschämt, daß ein Fremder so vieles über den französischen Hof wußte, was der Königin nicht gerade zur Ehre gereichte.
»Pierre«, sagte sie, während ihr Kopf mit den gelösten Haaren auf meiner Schulter ruhte, »bitte, wenden Sie sich mir zu und sehen Sie mich an, denn ich möchte Aug in Auge zu Ihnen sprechen. Mir ist nicht entgangen, daß Sie sehr verschlossen und vorsichtig gegen mich sind, wenn es sich um französische Angelegenheiten handelt, und ich bin deshalb |399|wirklich nicht verletzt, vielmehr lobe ich Sie für diese Zurückhaltung, die Sie auch ruhig beibehalten sollen. Aber seit acht Tagen sehe ich Sie traurig, wortkarg, Sie sind im stillen von Sorgen bedrückt, und ich denke, es würde Sie erleichtern, wenn Sie mir den Grund sagen würden. Wenn Sie wollen und es nötig ist, schwöre ich Ihnen, daß kein Wort davon gegen Dritte je über meine Lippen kommen wird, nicht in dieser Welt und«, setzte sie mit einem Lächeln hinzu, »auch nicht in der anderen. In der anderen wäre es sogar unmöglich, weil wir dann sowieso in Ewigkeit vereint sind.«
»Liebste«, sagte ich kurz entschlossen, denn ich kannte meine Gräfin zu gut und zu lange, um sie zu verkennen, »die Schwüre sind wirklich unnötig: ich vertraue Ihnen voll und ganz. Und Sie haben ja recht. Ich bin seit Tagen in großer Sorge, und das hat guten Grund. Mein armer kleiner König ist sehr krank.«
»Seit wann?«
»Seit dem zweiten Oktober, dem Tag, an dem Concini von Caen nach Paris zurückgekehrt ist. Am selben Tag verspürte Ludwig heftige Krämpfe im Leib, gefolgt von Durchfall und Erbrechen.«
»Und Sie meinen, Pierre, zwischen beiden Ereignissen besteht eine Verbindung?«
»Allerdings. Ich sehe eine. Denn selbst wenn die Krämpfe durch feuchte, warme Umschläge auf dem Bauch gelindert werden oder aufhören, bleibt Ludwig traurig, niedergeschlagen und, wie Doktor Héroard sagt, ›abgemattet‹.«
»Matt wird man immer, wenn man an Bauchkrämpfen leidet. Dauert es noch an?«
»Seit Tagen, ja, unaufhörlich.«
»Was unternimmt man dagegen?«
»Abführtränke und Klistiere.«
»Ist das die richtige Kur? Wie denkt Ihr Herr Vater darüber?«
»Er hält sie für untauglich. Noch nie, sagt er, wurde anhaltender Durchfall mit Abführtränken und Klistieren geheilt.«
»Hat er es Doktor Héroard gesagt?«
»Ja, als ich beide in meine Wohnung eingeladen hatte, damit sie ihre Sicht des Leidens austauschen. Héroard war verunsichert, aber nicht überzeugt, weil Abführtränke und Klistiere als |400|universelle Heimittel gelten. Vielleicht wissen Sie nicht, Liebste, daß die Ärzte sogar, als Heinrich III. vom Messer Jacques Cléments getroffen war, als erstes ihrem königlichen Patienten ein Klistier gaben, das aber seine Schmerzen nur vervielfachte und seinen Tod beschleunigte.«
»Ich dachte, Ihr Herr Vater war einer der Leibärzte Heinrichs III.?«
»Derzeit war er es nicht mehr. Er war unter die zahlreichen Agenten seiner Geheimdiplomatie gegangen.«
»Die ja nun«, sagte Frau von Lichtenberg, indem sie mir lächelnd über die Wange strich, »zu Ihrer Familientradition zu werden scheint, mein Pierre … Aber, um auf Héroard zurückzukommen: Was hält er von dem Leiden, an dem Euer kleiner König krankt?«
»Er ist außer sich vor Kummer und Ängsten und widersetzt sich mit allen Kräften den Ärzten der Königinmutter, die Ludwig genausooft, wie er purgiert wird, zur Ader lassen möchten.«
»Héroard ist also gegen Aderlaß?«
»Gott sei Dank, ja! Sonst gäbe ich für Ludwigs Leben keinen Pfifferling. Héroard hat, wie mein Vater, an der Medizinschule zu Montpellier studiert, bei Rondelet, Saporta und Salomon von Assas, alle drei große Meister, die strikt gegen diese verdammenswerte Neuheit, den Aderlaß, eintraten, der unter Karl IX. aus Italien eingeführt wurde und an dem dieser König auch starb, wie mein Vater meint. Der Unglückliche litt an einer Lungenentzündung, und je mehr Blut er spie, desto öfter zapfte man ihm Blut ab.«
»Welche Logik hat das?«
»Man verfährt nach einer Metapher: Je mehr faules Wasser man einem Brunnen entzieht, desto mehr reines strömt nach. Wird also einem Patienten soviel schlechtes Blut wie möglich abgezapft, bildet sich dementsprechend gesundes Blut.«
»Woher«, fragte Frau von Lichtenberg, »weiß man aber, ob man bei dem Aderlaß das verdorbene Blut entzieht und nicht das gesunde?«
»Bravo, meine Liebste! Genau diese Lehrmeinung vertrat man an der Medizinschule zu Montpellier! Leider konnte sie sich nicht durchsetzen gegen die von Leonardo Botalli und anderer italienischer Ärzte vom Hofe.«
|401|»Uns so hat man auch Ludwig zur Ader gelassen?«
»Ja, vor zwei Tagen, auf ausdrücklichen Befehl der Königinmutter. Der Aderlaß wurde von ihrem Chirurgen, Monsieur Ménard, vorgenommen. Er zog dem König sechs Unzen Blut ab, das laut Héroard ›schäumend und hochrot‹ war.«
»Und die Königinmutter hat es nicht wiederholen lassen?«
»Sie hat es nicht gewagt, weil Héroard dagegen war und der König vorher einen Abführtrank zurückgewiesen hatte, den ihre Ärzte ihm angeboten hatten.«
»Mein Gott!« rief Frau von Lichtenberg. »Mißtraut er seiner Mutter so sehr?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht wollte er ihr auch nur verständlich machen, daß er allein von Héroard behandelt werden will.«
»Aber, seine Ablehnung dieses Tranks gab doch sicher Anlaß zu allerhand Klatsch?«
»Genau, Liebste, zumal Maria einen Schritt unternahm, der den Hof angesichts von Ludwigs schwerer Erkrankung in Empörung versetzte: Sie ließ sich vom Parlament für den Fall des Ablebens ihres Sohnes die Regentschaft bestätigen.«
Wenn man die trügerische Genesung einrechnet, die einer neuerlichen heftigen Krise am einunddreißigsten Oktober voranging, zog sich die Krankheit des Königs über einen Monat hin, vom zweiten Oktober 1616 bis zum zehnten November. In der ganzen Zeit besuchte die Königinmutter ihren Sohn nur einmal, am Tag der Krise. Wie ich erfuhr, war sie an jenem Tag aber weniger wegen eines fatalen Ausgangs besorgt, sondern vielmehr erschrocken vor den Folgen, die ein solcher Ausgang für sie haben könnte. Denn daß Ludwigs Nachfolge von seinem jüngeren Bruder Gaston angetreten würde, stand außer Zweifel, völlig unklar war jedoch, wer Maria in der Macht ablösen würde, denn die Herzöge und Pairs hatten den Hof fast alle verlassen, einige befanden sich sogar im offenen Kampf gegen sie. Und das Parlament, das im Jahr 1610 seine Rechte weit überschritten hatte, als es Maria von Medici an die Spitze der Regentschaft stellte, hatte keine Lust – da Condé gefangensaß und die meisten Prinzen sich feindselig verhielten –, abermals eine solche Entscheidung auf sein Haupt zu laden.
|402|Meine schöne Leserin wird sicherlich enttäuscht sein, daß die kleine Anna von Österreich ihren Gemahl in seiner langen Krankheit kein einziges Mal besuchte. Aber offen gestanden, weiß ich nicht, ob sie nicht den Wunsch danach geäußert und man es ihr vielleicht verboten hat.
Von den vier Ersten Kammerherren war Concini der einzige, der sich nicht einmal nach dem Ergehen des Königs erkundigte. Dafür erschien er, als Seine Majestät genesen war, aber das in einer so schamlosen und unverfrorenen Weise, die jede Vorstellung übersteigt.
Die Szene, die stumm, aber desto verletzender für Ludwig war, spielte sich am zwölften November ab, am dritten Tag der Genesung des Königs. Er war um Mitternacht aufgewacht, und nachdem er seine ›Geschäfte‹ verrichtet hatte, wie der schamhafte Héroard sagt, erbat er sich eine Schale Brühe und trank sie gierig aus, was Héroard in der Hoffnung bestätigte, daß sein Kranker sich nun rappele. Dennoch ließ Ludwig das Frühstück aus, aber nicht das Mittagessen, das er um elf Uhr einnahm und wieder mit gutem Appetit. Als er damit fertig war, wurde ihm der Besuch von Monsieur de Mataret gemeldet, dem Gouverneur von Stadt und Schloß Foix. Ludwig empfing ihn mit einiger Wärme, denn obwohl die Grafschaft Foix 1607 der französischen Krone eingegliedert wurde, erinnerte ihn allein der Name Foix an Navarra und an seinen Vater. Monsieur de Mataret wiederum war sehr bewegt, vom Sohn ›unseres Henri‹, wie man ihn im Béarn immer noch nannte, so freundlich empfangen zu werden, und er war es noch mehr, als Ludwig, um sich die Beine zu vertreten, ihn mit auf die Große Galerie hinauszog, deren Fenster nach der Seine gingen. Außer Monsieur de Mataret waren nur zwei Personen beim König: der Gardeoffizier und ich, dem Ludwig das Zeichen gemacht hatte, ihm zu folgen.
Ludwig schritt weit aus in der Großen Galerie und hielt, der bequemen Unterhaltung wegen, an einer Fensterbrüstung inne. Während er aufmerksam der Rede von Monsieur de Mataret lauschte, dessen Akzent ihn an den seines Vaters erinnerte, folgte er mit den Augen den Frachtkähnen auf der Seine, deren verschiedenfarbige Segel der Wind schwellte: ein Schauspiel, das zugleich durch seine Lebendigkeit erfreute und durch seine Stille beruhigte, und ich spürte, wie vergnüglich es einem |403|Rekonvaleszenten sein mußte, der sich das Leben wiedergewann.
Diese Ruhe wurde jedoch durch den jungen Berlinghen unterbrochen, der Seiner Majestät melden kam, der Marschall von Ancre habe soeben einen Edelmann in die Gemächer des Königs geschickt, um fragen zu lassen, wo er sich befinde. Man habe geantwortet, er promeniere mit Monsieur de Mataret und Monsieur de Siorac in der Großen Galerie. Diese Ankündigung machte auf den König geringen Eindruck. Sicher dachte er, daß Concini durch diesen späten Besuch sein unhöfliches Verhalten während seiner Krankheit auswetzen wolle.
Berlinghen stob davon wie ein junger Hund, der sich nützlich gemacht hat, und Monsieur de Mataret nahm seine Rede wieder auf, die sich um das Schloß Foix drehte, das er mangels Geldern nicht instand setzen könne. Zum Unglück konnte er diesen Punkt nicht weiterentwickeln, der ihm sehr am Herzen lag und dessentwegen er wohl nach Paris gekommen war. Am Ende der Galerie erscholl großer Lärm, und ein Haufen Edelleute zeigte sich, barhäuptig um eine Person in ihrer Mitte geschart, von der man nur den Hut sah, die aber gleichwohl gut erkennbar war an den Straußen- und Pfauenfedern, die ihn zierten und über die der ganze Hof geklatscht hatte, weil eine jede zweihundert Ecus kostete.
Angesichts dieser großen und äußerst lauten Menge blieb Monsieur de Mataret der Mund offenstehen, und Ludwig, der sich vom Fenster und von den Kähnen auf der Seine abwandte, betrachtete kalten Auges jenen prächtigen Kopfschmuck, der in seiner Macht und Glorie sich inmitten eines Gewimmels gebeugter Rücken und bloßer Köpfe näherte. Die Begegnung war sehr ungleich, denn Seine Majestät hatte keinen anderen Hof um sich als einen Gardeoffizier – sein ganzer Waffenschutz derzeit –, Monsieur de Mataret und mich.
Schon in dieser Art, sich Seiner Majestät innerhalb des Louvre mit so starkem Gefolge zu präsentieren, lag Herausforderung und Unverfrorenheit. Kein Prinz von Geblüt hätte das jemals gewagt. Zumindest durfte man nun erwarten, daß der Federhut, der den Schwarm der Schmeichler überragte, sich auf den König zubewegte und von dem Kopf, der ihn trug, vor seinem Souverän gezogen werden würde. Dem war aber nicht so. Concini begab sich in eine benachbarte Fensternische, |404|und man hörte ihn in seinem italienisch versetzten Französisch laut und herrisch inmitten seiner speichelleckenden Höflingstraube radebrechen. Seine Rede war feurig, und obwohl sein Gesicht in der Menge der Anbeter verborgen blieb, sahen wir den prächtigen Federbusch sich ungestüm neigen und wieder emporrichten. Sein lebhaftes Farbenspiel bedeutete einem jeden, daß der König nicht existierte, da man ihn gar nicht gesehen hatte.
Monsieur de Mataret, der frisch eingetroffen war aus seiner fernen Provinz und bestimmt nicht wußte, welches skandalöse Ausmaß die Dinge am Hof erreicht hatten, verharrte fassungslos, stumm und schamrot. Ludwig verabschiedete ihn höflich, und als der ehrenwerte Mann gegangen war, schlug er, gefolgt nur von dem Gardeoffizier und mir, den Weg nach den Tuilerien ein, und ohne ein Wort, ohne einen Blick nach rechts oder links spazierte er eine gute Stunde umher, die Hände auf dem Rücken verschränkt, das Antlitz bleich, die Zähne zusammengebissen.
* * *
Das Gefühl für seinen Rang war bei Ludwig so stark und so tief, daß ich überzeugt bin, er hat die Beleidigung, die ihm an jenem Tage geschah, nie verziehen. Trotzdem verlor er im Moment darüber kein Wort, und wenn jemand von dem Vorfall erfuhr – namentlich Héroard und Monsieur de Souvré –, so durch den Gardeoffizier, denn ich erzählte ihn keiner Menschenseele.
Am übernächsten Tag brach Ludwig zur weiteren Genesung nach Saint-Germain-en-Laye auf und erwies mir die Ehre, mich in seiner Karosse mitzunehmen. Er freute sich sehr, wieder im Schloß seiner Kinderjahre einzukehren, an das ihn so viele zärtliche Erinnerungen an seinen Vater banden. Vor Reisefieber war er schon um vier Uhr morgens erwacht und hatte zum Frühstück eine Schale Brühe zu sich genommen. Doch war die Brühe schon längst vergessen, als wir vom Louvre um Viertel neun Uhr aufbrachen, und Ludwig verspürte ein Loch im Magen, als wir vor der Brücke von Nully durch ein hübsches Dorf kamen und er das Schaufenster eines Bäckers erblickte. Er befahl, anzuhalten, und stieg aus, sowie der Tritt herabgelassen war, lief und betrachtete die guten |405|Sachen, die der Händler in seinem Fenster ausliegen hatte. Hierauf kam der Bäcker aus seinem Lädchen geschossen, und da er den König erkannte, zog er seine Mütze und bat ihn kniefällig, zwei kleine goldene Kuchenbrote anzunehmen, die er gerade aus dem Ofen gezogen hatte und die noch ganz heiß waren. Der Bäcker war vor Glück außer sich, Ludwig so nahe zu sehen und zu ihm zu sprechen, während seine ganze Familie, mit dem Wickelkind im Arm der Mutter sogar, in die Ladenstube eindrang und offenen Mundes ihren König anschaute. Es war ausgeschlossen, dem guten Mann auch nur eine Pistole zu geben: er wollte seine Brötchen schenken, was Ludwig schließlich mit herzlichem Dank annahm, und wieder in der Karosse, verschlang er beide mit einem Appetit, der allen Beiwohnenden Freude machte. Das Dorf hieß Nully1, und dieser Name ist selbst Parisern wohlbekannt, weil nach ihm die Brücke benannt ist, die hier die Seine überquert.
Man wird sich erinnern, daß Ludwig – unter vielem anderen – seiner Mutter verargte, wie kurz sie ihn in Gelddingen hielt. Wenn er sie, und sei es um eine kleine Summe bat, gab sie zur Antwort, es sei kein Geld in der Kasse, gleichzeitig aber entschädigte sie Concini für den Verlust, der ihm nach Condés Gefangennahme durch die Plünderung und Verwüstung seines Hauses entstanden war, mit vierhundertfünfzigtausend Livres … Diesmal hatte Ludwig seine Stummheit verlassen, und er beklagte sich mit lauter, vernehmlicher Stimme.
Erstaunlicherweise aber willigte die Königin ein, als Ludwig während seiner Rekonvaleszenz zu Saint-Germain-en-Laye den Plan faßte, dem Hof ein eigenes großes Ballett darzubieten, sie sicherte ihm sogar zu, für die Kosten aufzukommen und lieh ihm für das Textbuch ihren Dichter Étienne Durand. Mag sein, Ludwigs Klage über ihre Knauserei hatte sie beschämt, denn der Hof hatte darüber viel geredet. Mag auch sein, die Concini hatte ihr zugeraunt, solange Ludwig mit dieser Veranstaltung beschäftigt sei, denke er nicht ans Regieren des Reiches. Außerdem war Maria als echte Mediceerin verrückt auf Ballette, Feste und Prunkentfaltung, und diesem Hang zuliebe war sie bereit, Gold in alle vier Winde zu streuen, selbst zugunsten eines Sohnes, den sie doch so wenig liebte.
|406|Der Dichter Durand, in dieser Art Unterhaltung sehr erfahren, schlug dem König eine ganze Reihe Stoffe vor, und Ludwig wählte ohne vieles Zögern Rinaldos Erlösung, eine Episode aus dem berühmten Epos des Tasso, Das befreite Jerusalem. Diese Geschichte von Rinaldo ist, frei nach Homer, eine christliche Version der Abenteuer des Odysseus und seiner Gefährten bei der Zauberin Circe. Und so stellt Tasso die Sache dar: Ohne Rinaldo, den tapfersten Ritter des ersten Kreuzzuges, kann Jerusalem den Ungläubigen nicht entrissen werden. Doch unterwegs fällt Rinaldo in die Fänge der schönen Armida, die ihn durch ihre Künste in einem Zaubergarten gefangenhält, wo er sich mit ihr der Trägheit und Wollust ergibt. Doch gelingt es Rinaldo, seiner Erniedrigung innezuwerden, wie, wird man noch sehen, und nachdem er sich aus dem Bann der Zauberin befreit hat, übernimmt er wieder die Führung des Kreuzzugs.
Als ich hörte, daß Ludwig dieses Sujet gewählt hatte, dachte ich zuerst, er habe es in Erinnerung an seinen Vater getan, der im Jahr 1610 ein Ballett über dasselbe Thema zur Vermählung seines illegitimen Sohnes, des Herzogs von Vendôme, mit Mademoiselle de Mercoeur veranstaltet hatte. Ludwig war damals achteinhalb Jahre alt, und wenn ich mich recht entsinne, wohnte er dem Ballett voll Entzücken bei, denn Tanz und Musik liebte er sehr. Bald jedoch, als die Proben zu dem Ballett von Rinaldo begannen, erkannte ich daran, wie der Fünfzehnjährige die Geschichte auffaßte, daß er politische Absichten damit verband, ebenso übrigens, wie sie dem Ballet de Madame zugrunde lagen, das Maria von Medici kurz vor Elisabeths Abreise nach Spanien gab und in dem die blendenden Erfolge ihrer Regentschaft gefeiert wurden, die aus ihrer Sicht in der spanischen Doppelhochzeit gipfelten.
Am zwanzigsten November 1616 begann Ludwig in Saint-Germain-en-Laye mit den Proben, am neunundzwanzigsten Januar 1617 fand die Aufführung zu Paris im Bourbonensaal statt. Als Tänzer wählte Ludwig jene aus seiner Umgebung, die er liebte: den Chevalier de Vendôme, Montpouillan, La Roche-Guyon, Liancourt, Courtenvaux, d’Humières und Brantes (ein Bruder von Luynes). Déagéant war überrascht, daß zu den Tänzern auch Monsieur de Blainville gehörte, der Erzspion – und vor allem, daß ich nicht dabei war. Was mich angeht, war |407|die Sache einfach die, daß ich zwar auf einem Ball ein guter Tänzer war, aber nicht im Ballett, dafür fehlte es mir an Erfahrung, und ich mußte die Ehre, die Ludwig mir erwies, ausschlagen, doch wollte er mich wenigstens als Ratgeber haben, so daß ich über zwei Monate die Proben verfolgen konnte. Was Monsieur de Blainville betrifft, mag es sein, daß die Königinmutter ein Ohr in dieser Unternehmung haben wollte und ihn dem Sohn aufgenötigt hatte. Es kann aber auch sein, daß Ludwig ihn von sich aus wählte, damit Blainville nicht spürte, daß sein Verrat entlarvt worden war.
Ludwig, der ein vortrefflicher Ballettänzer war, wollte die Rolle des Rinaldo nicht selbst spielen. Vielleicht ging es ihm gegen die Würde, sich mit einer Figur zu identifizieren, die dem Bann einer Zauberin verfiel und damit Schwäche bewies. Aber er spielte in der ersten Szene den ›Geist des Feuers‹ und in der letzten den Heerführer Gottfried – eine Rolle, die seinen königlichen Befugnissen entsprach. Den Rinaldo ließ er Monsieur de Luynes geben, denjenigen also, der ihm am nächsten stand, als wollte er damit den persönlichen Anteil betonen, den er an der Erlösung des verzauberten Ritters nahm. Luynes stand in der Rolle des Rinaldo sozusagen für ihn selbst.
Zum erstenmal, seit Frau von Lichtenberg so ganz zurückgezogen in Paris lebte, bedauerte sie ihren Entschluß, den Hof nie zu betreten. Denn zu gerne hätte sie, wie mir schien, dem Ballett von Rinaldos Erlösung beigewohnt, so viele Fragen stellte sie mir hierüber bei unseren ›Plaudereien hinter den Gardinen‹.
»Sie schildern mir, Pierre«, sagte sie einmal, »daß in der ersten Szene der König und zwölf seiner Herren von einem Berg herab als Geister auftreten, als Geist des Feuers, wie der König, oder des Wassers, der Luft, der Winde, des Spiels, der Jagd, des Krieges und so fort. Sind diese Geister denn Höllengeister?«
»Keineswegs, meine Liebste, es sind Geister, die entweder die Naturgewalten oder aber die gewöhnlichen Beschäftigungen der Edelleute verkörpern. Und sie tanzen, das heißt, sie sind tätig, während am Fuß des Berges Rinaldo, der Gefangene der zaubermächtigen Armida, in tiefem Schlafe ruht.«
»Es ist doch keine Sünde, zu schlafen. Was machen denn wir, mein Pierre?«
|408|»Das ist aber nicht dasselbe!« erwiderte ich lachend. »Rinaldos Schlummer bedeutet, daß er sich dem Müßiggang ergeben hat, obwohl er an der Spitze der Kreuzzüge stehen sollte, um Jerusalem zu befreien. In der folgenden Szene wird das klar. Zuerst verschwindet der Berg, und Armidas Zaubergarten wird sichtbar.«
»Wie verschwindet er?«
»Mittels einer Drehbühne. Der nun erscheinende Zaubergarten ist sehr schön, drei Fontänen springen und fallen in blumengesäumte Becken, und zwei altertümlich gekleidete Soldaten treten auf, ein jeder mit Stab und Schild. Der Schild ist kristallen, und der Stab soll Armidas Zauberstab bekämpfen. Aber plötzlich taucht aus einem der Becken eine wunderschöne Nymphe hervor.«
»Ist es nicht eher eine Najade, wenn sie dem Wasser entsteigt? Und woher wissen Sie, daß sie wunderschön ist, Pierre? Haben Sie sie so nahe gesehen?«
»Bitte, Madame, ziehen Sie Ihre kleinen Krallen ein. Diese Nymphe wird von einem Mann gespielt. Armida übrigens auch.«
»Ist das wahr? Dürfen in Ihren Balletten keine Damen auftreten?«
»Doch! In rein weiblichen Balletten, wie im Ballett der Nymphen der Diana, das unserem Henri zum Verhängnis wurde. Die Kirche sähe es ungnädig, würde man die Geschlechter mischen.«
»Ist die Kirche denn glücklicher, wenn Männer Frauenrollen spielen? Das ist aber naiv, scheint mir. Und was tut nun diese durchnäßte Nymphe?«
»Sie versucht, die beiden Soldaten zu verführen. Aber es gelingt ihr nicht. Sie sind dagegen gefeit, vielleicht durch ihren Stab.«
»Wie erstaunlich!« sagte meine Gräfin lachend.
»Also Abgang der Nymphe«, fuhr ich fort, »und Ungeheuer betreten die Szene, halb Mensch, halb Tier. Zum Beispiel ist darunter eine junge Kammerzofe, nach neuester Mode gekleidet, aber leider hat sie einen Affenkopf und behaarte Arme.«
»Geschieht ihr recht!« sagte Frau von Lichtenberg, die allein bei dem Wort Kammerzofe die Stirn runzelte, weil sie an |409|Toinon und Louison dachte. »Und was wollen diese Ungeheuer?«
»Armida hat sie ausgeschickt, die Soldaten zu erschrecken. Aber auch das mißlingt. Die Soldaten bleiben unangefochten. Abgang der Ungeheuer. Und endlich erwacht Rinaldo, blumenbekränzt und mit Edelsteinen übersät. Er steht auf und tanzt und besingt den Triumph der Liebe.«
»Recht hat er«, sagte meine Gräfin.
»Er hätte recht, wenn die Christenheit nicht von ihm erwartete, daß er Jerusalem befreie! Und nun kommt, was man einen Theatercoup nennt: nachdem Rinaldo die Liebe gebührend gefeiert hat, naht sich ihm ein Soldat und hält ihm schweigend seinen kristallenen Schild entgegen, der in Wahrheit ein Zauberspiegel ist.«
»Gott im Himmel! Ist damit der Zauberspiegel des armen Bellegarde gemeint?«
»Nein, nein, der hier ist von Tasso. Und man erkennt in ihm auch nicht die Zukunft. Man sieht sich darin nur, wie man ist. Jedenfalls begreift Rinaldo, als er sich darin betrachtet, seine Erniedrigung, weil er sich als trägen Müßiggänger erkennt, der sich Üppigkeit und Wollust ergeben hat. Er wirft die Blütenkränze von sich, reißt sich die Geschmeide vom Leib, da tritt Armida auf. Doch die Fontänen versiegen, ihre Nymphe entschwindet, ihre Ungeheuer entfliehen. Vergeblich bemüht sie andere Beschwörungen. Vergeblich erscheinen andere ekle Wesen, Krebse, Schildkröten, Schnecken …«
»Um Himmels Willen!«
»Die sich unter ihrem Stab in gräßliche Unholde verwandeln und zu guter Letzt die Zauberin mit sich davontragen, die sie selbst beschworen hat. Rinaldo ist also von Armida erlöst, und Gottfried, der Heerführer – Ludwig selbst also –, holt ihn ab, auf daß er seinen Auftrag erfülle. Die letzte Szene zeigt Gottfried über einer goldenen und edelsteinfunkelnden Standarte, umringt von seinen Edelleuten, die sich ihm zu Füßen werfen und seinen Tugenden huldigen. So, meine Liebste, was halten Sie davon?«
»Daß man einen Schlüssel bräuchte, um die Botschaft zu entziffern.«
»Alsdann, suchen wir ihn!«
»Sie ist, glaube ich, prophetisch gemeint: Ludwig wird sich |410|aus der Gefangenschaft seiner Mutter befreien, so wie Rinaldo aus Armidas Bann, und er wird die Macht übernehmen, die ihm niemand mehr entreißen kann.«
»Und was wird aus Concini? Was aus seiner Frau?«
»Ganz einfach: Die Ungeheuer, die der Zauberin halfen, verschwinden mit ihr von der Bühne.«
»Meine Liebste«, sagte ich mit einem Kuß auf ihre süßen Lippen, »Ihr glänzender Geist gleicht nur Ihrer Schönheit!«
»Aber die Allegorie ist doch so durchsichtig, daß sie jedem eingehen muß. Und ich frage mich«, setzte sie hinzu, »was die Königinmutter über diese Bekundung wohl denken wird.«
Das Ballett wurde bei der Aufführung vor dem Hof ein großartiger Erfolg. Und was Maria meinte, darüber erfuhr ich etwas von Bellegarde, der mir als guter Freund Bentivoglios ein Wort steckte, das der Nuntius ihm gegenüber geäußert hatte: »Una persona di conto«, sagte der Nuntius, »mi ha detto di sapere di certo che la regina sta in timore del re.«1 Gewiß weiß ich, daß dies nur das Ondit eines Ondit ist, aber es wurde mir beglaubigt durch die ungewöhnliche, um nicht zu sagen, ausgefallene Szene, der ich zwei Tage darauf in den königlichen Gemächern beiwohnen sollte.
An jenem Tag, vielmehr an jenem Nachmittag um drei Uhr ließ die Königin Ludwig durch einen ihrer Herren wissen, sie werde ihn um Viertel vier Uhr besuchen. Da sie also binnen kurzem eintreffen mußte und ich derzeit mit dem König und Monsieur de Luynes in seinem Zimmer allein war, erhob ich mich und bat Seine Majestät um Urlaub.
»Nein, bleibt«, sagte der König. »Monsieur de Luynes auch. Zumal Ihre Majestät nicht allein kommen wird.«
Und wirklich, als die Königin erschien – groß, majestätisch, mit ihrer hohen italienischen Haartracht, die sie noch größer wirken ließ, außerdem prächtig mit Edelsteinen geschmückt –, kam sie in Begleitung der Minister Barbin und Mangot, die in ihrem Umkreis mit ihren dunklen Kleidern sonderbar klein aussahen, die aber dieser Begegnung trotzdem eine gewisse Feierlichkeit verliehen und sie eher zu einer Audienz machten denn zum Besuch. Und als Maria nach allen Verneigungen und Kniefällen das Wort ergriff, geschah dies mit wohlgesuchten |411|Gründen und in Formulierungen, die zeigten, daß sie Hilfe von der Concini oder von Barbin erhalten hatte, vermutlich sogar von beiden, denn gab die eine die Anregung, so gab der andere dieser Anregung wohl die Form.
»Sire«, sagte sie, »Ihr seid nun weit über fünfzehn Jahre alt, Ihr seid groß geworden und habt die nötigen Gaben, glücklich zu herrschen. Und ich will meinerseits nicht, daß Ihr glauben könntet, ich wäre von dem übermäßigen Wunsche besessen, den Staat zu regieren. Auch habe ich mich dazu nicht aus persönlichem Ehrgeiz entschlossen, sondern einzig, um Euch gut zu dienen.«
Hiermit hielt sie inne, wie um ihren Sohn aufzufordern, daß er ihre Worte aufgreife oder Ihr seinen Dank ausspreche. Er tat weder das eine noch das andere, er verneigte sich lediglich.
»Kurzum, Sire«, fuhr sie fort, »ich wünsche mich von der Sorge um Eure Geschäfte zurückzuziehen und bitte Euch, wollet einen Tag festsetzen, um mit mir vor das Parlament zu treten, welchem ich meinen Wunsch mitteilen will, Euch künftig die Führung zu überlassen.«
Was, zum Teufel, dachte ich, hat das Parlament dabei zu suchen? Ludwig ist König. Er ist großjährig. Wenn das Angebot aufrichtig ist, braucht Maria sich nur zurückzuziehen, damit Ludwig in seine Rechte treten kann.
Wieder machte die Königinmutter eine Pause, und wieder sprach der König kein Wort. Die Augen aller Anwesenden, nicht nur die seiner Mutter, hafteten an seinem Gesicht, aber es verriet nichts.
»Sicherlich findet Ihr, Sire«, fuhr sie fort, »daß die Dinge in der Vergangenheit nicht so glücklich geführt wurden, wie es wünschenswert wäre. Gleichwohl habe ich alles getan, was ich konnte, und alles, was ich mußte, um Euren Thron zu festigen. Und es grämt mich, daß ich mich nach so vielen Beweisen meiner Leidenschaft für das Wohl des Staates gegen heimliche Verleumdungen wehren muß.«
Sieh einer an! dachte ich, offenbar diente es nur dem Wohl des Staates, daß sie soeben vierhundertfünfzigtausend Livres an Concini gezahlt hat, damit er sein Haus herrichten kann, und offenbar war es eine Verleumdung, das Gegenteil zu behaupten oder es auch nur zu denken, in welchem Fall besagte Verleumdung zur ›heimlichen‹ würde.
|412|Dieser Anschuldigung, die auf seine Umgebung und vor allem auf Monsieur de Luynes zielte, mußte Ludwig entgegentreten und zwar grundsätzlich, was er wie gewöhnlich mit wenigen Worten tat.
»Madame«, sagte er, »niemand hat zu mir in Begriffen gesprochen, die Eurer Würde nicht geziemten.«
Hiermit machte er der Königin erneut eine Verneigung und fuhr im Ton höchsten Respektes fort, hinter dem mir Kühle, wenn nicht ein gewisser Spott zu liegen schien.
»Was Euer Angebot betrifft, Madame, so macht es Euch hohe Ehre. Da ich mit Eurer Verwaltung jedoch sehr zufrieden bin, wünsche ich nicht, so dringlich es Euch auch darum zu tun sein mag, daß Ihr die Führung meiner Geschäfte aufgebt.«
Die Königinmutter hatte allen Grund, mit dieser Antwort zufrieden zu sein, weil sie ihre Wünsche erfüllte. Trotzdem, wenn ich ihre plumpe, starre Physiognomie recht betrachtete, schien sie es mir nur halb. Denn sie hatte Falsches vorgebracht, um das Wahre zu erfahren, und die Antwort ihres Sohnes war zu schön, um nicht falsch zu sein. Wie konnte sie, nachdem sie Rinaldos Erlösung gesehen hatte, noch zweifeln, daß der König aus allen Kräften nach der Regierung strebte?
Leider war es im Rollenbuch der Königin nicht vorgesehen, von Ludwig eine offene Erklärung zu erhalten, die, um aufrichtig zu sein, als erstes die Frage nach Concinis außerordentlicher Stellung im Staat hätte erheben müssen. Da Maria das Gespräch mit einem ausgesprochen heuchlerischen Angebot eröffnet hatte, konnte sie nur in derselben Tonlage fortfahren und mit liebreichsten Versprechungen schließen, um Ludwig einzulullen und seinen Günstling zu besänftigen.
»Sire«, sprach sie, »wenn Ihr wünscht, daß ich meine Regierung fortsetze, müßt Ihr künftig die Pflichten meines Amtes mit mir teilen. Ich übernehme die Mühsal. Euer sei der Ruhm. Ich sorge für die Ablehnungen. Laßt Ihr die Gnade walten. (Diese schöne Rhetorik war von Barbin: die Königin war dazu außerstande.) Ich stelle es Euch anheim, nach Eurem Gefallen über freiwerdende Ämter zu verfügen. Wenn Ihr unter anderem die Fürsorge von Monsieur de Luynes mit neuen Wohltaten vergelten wollt, müßt Ihr nur befehlen. Was mich angeht, dürft Ihr versichert sein, daß ich es nie werde ermangeln lassen an dem, was eine Königin ihren Untertanen, was |413|eine Untertanin ihrem König und was eine Mutter ihrem Sohn schuldig ist.«
Ludwig begnügte sich, dieses höfische Weihwasser mit einer weiteren Verneigung entgegenzunehmen. Als guter Tänzer und von einem trefflichen Meister gebildet, legte er Anmut darein und, für mein Gefühl, auch in diese Anmut noch stumme Ironie.
Als Monsieur de Luynes ihn mit einem Blick um die Erlaubnis zu sprechen ersuchte, erteilte er sie ihm durch ein Kopfnicken. Sogleich trat der Favorit vor, beugte vor Maria das Knie, küßte den Saum ihres Kleides und sprach der Königin für ihre ihn betreffenden guten Worte seinen um so übertriebeneren Dank aus, als er nicht den geringsten Glauben an ihre Versprechungen bekundete. Er begleitete diese Dankesworte zudem mit endlosen Schwüren und Beteuerungen, ihr stets zu dienen und sich auf immer ihrem Willen zu unterwerfen. Monsieur de Luynes entfaltete ein Feuerwerk der leeren Worte, um dieses trügerische Gespräch zu beschließen, in dem nichts Wahres gesagt worden war, nichts von irgendwelcher Konsequenz und nichts, was das Mißtrauen und die Furcht hätte zerstreuen können, die Mutter und Sohn voreinander hegten.
Bei weiterem Nachdenken hierüber gelangte ich zu dem Schluß, daß die Marschälle von Ancre diesen seltsamen Schritt veranlaßt hatten. So oft und seit Jahren hatten sie behauptet, Ludwig sei ein ›Idiot‹, daß sie es nun selbst glaubten. Sie hatten gehofft, Ludwig werde in die grobe Falle tappen, die sie ihm durch seine Mutter stellten, und seine Absichten naiv enthüllen. Die Tatsache, daß er sich aber in keiner Weise entblößt hatte, mußte sie von nun an noch mehr beunruhigen, und die Königin auch.
Kurze Zeit später erfuhr ich, daß Maria in Italien das Fürstentum von Mirandola zu kaufen suchte, eine Vorbereitung auf einen friedlichen Rückzug, falls die Ereignisse sie zwingen sollten, Frankreich zu verlassen. Warum, wenn sie solche Befürchtungen hegte, bemühte sie sich nicht, die Zuneigung ihres Sohnes zu gewinnen oder wenigstens seine Gefühle zu schonen? Aber die blinde Heftigkeit, ein Grundzug ihres Charakters, obsiegte. Kurze Zeit, nachdem sie Ludwig angeboten hatte, ihm die Macht zu übergeben, spielte sich vor dem versammelten Rat eine Szene ab, die den ganzen Hof erstarren ließ.
|414|Ludwig, der erfahren hatte, daß im Rat eine Frage von Bedeutung verhandelt würde, ohne daß man ihn hinzugerufen hatte, begab sich ungeladen in den Saal, wo die Sitzung stattfand. Sowie er erschien, wurde die Königinmutter zornrot, erhob sich, und indem sie ihm entgegentrat, faßte sie ihn am Arm und führte ihn zur Tür mit der Bitte, ›sich woanders zu tummeln‹. Ludwig erbleichte, sagte aber kein Wort. Das Bewußtsein seiner Würde hinderte ihn, sich öffentlich mit seiner Mutter zu streiten. Er warf ihr einen eisigen Blick zu und zog sich nach knapper Verneigung zurück.