1989: DANTE PIPPEN SIEHT DIE MILCHSTRASSE IN EINEM NEUEN LICHT

Als der verbeulte Ford das fruchtbare Bekaa-Tal erreichte, banden die Palästinenser Dante die Augen zu. Zwanzig Minuten später fuhr der aus zwei Fahrzeugen bestehende Korso durch ein Tor in einer Umzäunung und kam am Rand eines verlassenen Steinbruchs zum Stehen. Die Palästinenser zerrten Dante vom Rücksitz und führten ihn über eine schmale, unbefestigte Straße zu der Moschee am Rande eines libanesischen Dorfes. Im Vorraum wurden ihm die Schuhe ausgezogen und die Augenbinde abgenommen, und er wurde zu einem verschlissenen Gebetsteppich vor dem Altar gebracht, auf dem er Platz nehmen sollte. Zehn Minuten später kam der Imam durch eine seitliche Gittertür herein und setzte sich Dante gegenüber. Er war ein korpulenter Mann, der sich, wie bei schweren Männern häufig der Fall, mit erstaunlicher Geschmeidigkeit bewegte. Nachdem er die Falten seines wallenden, weißen Gewandes zurechtgezupft hatte, holte er eine Perlenschnur aus Jadesteinen hervor, die er sogleich durch die dicklichen Finger der linken Hand gleiten ließ. Er war ein Mann Anfang vierzig mit kurzem Haar und akkurat gestutztem Bart. Einige Minuten lang wiegte er sich im Gebet vor und zurück. Schließlich hob er die Augen und sagte: »Ich bin Dr. Izzat al-Karim.«

»Ich nehme an, Sie wissen, wer ich bin«, erwiderte Dante.

Die Mundwinkel des Imams verzogen sich zu einem feisten Grinsen. »Allerdings. Sie sind der Sprengstoffexperte der IRA, von dem wir so viel gehört haben. Ich darf sagen, Ihr Ruf eilt Ihnen voraus –«

Dante wischte das Kompliment mit einer Handbewegung beiseite.

»Genau wie dein Schatten, wenn du die Sonne im Rücken hast.«

Der Imam lachte leise, und seine Hängebacken bebten. Er hielt seinem Besucher eine Schachtel iranischer Bahman-Zigaretten hin.

»Ich hab das Rauchen aufgegeben«, teilte Dante seinem Gastgeber mit.

»Ah, wenn ich das doch auch bloß könnte«, seufzte der Imam. Er tippte mit einer der dünnen Zigaretten mehrmals auf den niedrigen Tisch zwischen ihnen, um den Tabak festzuklopfen, und steckte sie sich zwischen die Lippen. Mit einem Zippo-Feuerzeug, auf dem ein Bild von Muhammad Ali aufgedruckt war, zündete er die Zigarette an und blies langsam den Rauch aus. »Ich beneide Sie um Ihre Charakterstärke. Wie haben Sie es nur geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören?«

»Ich habe mir gesagt, ich muss ein anderer Mensch werden«, erklärte Dante. »Bis dahin habe ich zwei Dosen Ganesh Beedies am Tag geraucht. Als ich am nächsten Morgen wach wurde, war ich jemand anders. Und dieser andere war Nichtraucher.«

Der Iman dachte darüber nach. »Ich trage den schwarzen Turban eines sayyid, was mich als Nachfahre des Propheten Muhammad und seines Cousins Ali kennzeichnet. Ich habe zwei Frauen und werde mir bald eine dritte nehmen. Viele Menschen – meine Frauen, meine Kinder, meine Kämpfer – verlassen sich auf mich. Es wäre für alle unangenehm, wenn ich plötzlich jemand anderes wäre.«

»Wenn ich so viele Frauen hätte wie Sie«, sagte Dante, »würde ich wahrscheinlich wieder mit dem Rauchen anfangen.«

»Ob wir rauchen oder nicht«, erwiderte der Imam, mit einer Stimme, die so sanft war wie das Gurren einer Taube, »wir leben nur so lange, wie Gott uns leben lässt. Wie auch immer, Langlebigkeit ist für einen Gläubigen wie mich keine Inspiration.«

»Was inspiriert denn einen Gläubigen wie Sie?«, hörte Dante sich fragen, obwohl er die Antwort bereits kannte. Benny Sapir, Spionagechef des Mossad, hatte Dante Pippen vor der Mission in einem sicheren Haus in Washington gebrieft, sogar die Stimme des Imams nachgeäfft, wie er abgedroschene Antworten auf religiöse Fragen lieferte.

»Der Gedanke an den Engel Gabriel, der dem Propheten die Verse des Heiligen Korans ins Ohr flüstert, inspiriert mich«, sagte der Imam. »Muhammads Schilderung im Miradsch, das ihr ›Das Buch der Leiter‹ nennt, von seinem Aufstieg in die neun Himmelskreise und seinen Abstieg in die Hölle, geleitet vom Engel Gabriel, raubt mir nachts den Schlaf. Der Schöpfer, der Barmherzige, der Mitleidsvolle, der Erhabene inspiriert mich. Der einzig wahre Gott inspiriert mich, Allah inspiriert mich. Die Vorstellung, den Ungläubigen sein Wort zu überbringen und all die zu töten, die es nicht annehmen, inspiriert mich.« Er hielt seine Zigarette parallel zu den Lippen und nahm sie in Augenschein. »Und was inspiriert Sie, Mr. Pippen?«

Dante grinste. »Das Geld, das Ihre Organisation auf mein Konto auf den Cayman-Inseln überwiesen hat, inspiriert mich, Dr. al-Karim. Die Aussicht auf monatliche Bezahlung für geleistete Dienste inspiriert mich. Sie brauchen gar nicht missbilligend den Kopf zu schütteln. Es wundert mich nicht, dass Sie unsere jeweiligen Inspirationen unvereinbar finden, wobei Ihre natürlich die edleren sind, meine um ein Vielfaches dekadenter. Da ich nicht an Ihren Gott glaube, genau genommen an gar keinen – ich bin nämlich ein ausgesprochen weltlicher Katholik –, halte ich Ihre Inspiration für ebenso vergänglich wie die Kondensstreifen, die ich auf der Fahrt von Beirut hierher gesehen habe. Erst waren sie noch da, ganz scharf und präzise, jeder vor sich einen silbernen israelischen Düsenjäger am kristallklaren libanesischen Himmel, und gleich darauf wurden sie breiter und trieben auseinander, bevor sie sich schließlich in den hohen Windströmungen auflösten.«

Der Imam wirkte nachdenklich. »Ich sehe, Sie sind kein furchtsamer Mann, Mr. Pippen. Sie sagen, was Sie denken. Würde ein Muslim sich erlauben zu sagen, was Sie gesagt haben, würde er seine Gliedmaßen, vielleicht sogar sein Leben in Gefahr bringen. Aber wir müssen einem ausgesprochen weltlichen Katholiken gegenüber Nachsicht zeigen, erst recht wenn er einen so weiten Weg auf sich genommen hat, um unseren Fedajin beizubringen, wie man Bomben baut, damit sie die israelischen Besatzer im Libanon und in Palästina in die Luft sprengen können.« Er beugte sich näher zu Dante vor. »Unser Vertreter in Paris, der Sie rekrutiert hat, sagt, Sie stammen aus einer irischen Stadt mit dem seltsamen Namen Castletownbere.«

Dante nickte. »Ein kleines Nest an der Südküste der Halbinsel Beara in Cork. Fischerort. Ich hab auf einem Fischkutter gearbeitet, bevor ich loszog, mein Glück da zu suchen, wo die Straßen mit Gold gepflastert sind.«

»Und waren sie mit Gold gepflastert, Mr. Pippen?«

Dante lachte leise. »Zumindest waren sie gepflastert, was man von einigen Teilen der Halbinsel Beara nicht behaupten kann. Oder vom Bekaa-Tal.«

»Gehe ich recht in der Annahme, dass es in Castletownbere ein teures Restaurant namens The Warehouse gibt?«

»Es gab ein nicht ganz billiges Restaurant für die wenigen Touristen, die sich nach Castletownbere verirrten, aber das hieß nicht The Warehouse. Es hieß The Bank, weil es in der alten Bank auf der Main Street untergebracht war, im ersten Stock. Zu meiner Zeit gab es da noch den Banktresor. Ich glaube, in den Sechzigern wurde es von einer Mary McCullagh betrieben. Ich bin mit einer Tochter von ihr zur Schule gegangen, ein hübsches Mädchen namens Deirdre, hinter der alle Jungs her waren, aber vergeblich.«

»Nach einer Bombenexplosion in einem Bus vor dem Bush House, dem BBC-Gebäude in London, wurden Sie von Scotland Yard verhaftet.«

»Ist das eine Frage oder eine Feststellung?«

»Eine Feststellung, die ich gern bestätigt sähe, Mr. Pippen.«

»Als der Bus in die Luft flog, saß ich in einem Londoner Pub vor meinem Bier«, sagte Dante mit arglos blinzelnden Augen. »Die Bullen kamen reingestürmt und haben jeden mitgenommen, der mit irischem Akzent sprach. Sie mussten mich nach achtundvierzig Stunden freilassen, weil sie nichts gegen mich in der Hand hatten. Die Arschlöcher haben sich nicht mal entschuldigt.«

»Haben Sie den Bus in die Luft gesprengt, Mr. Pippen?«

»Nein. Aber die beiden, die es getan haben, wurden von mir sozusagen angelernt.«

Der Imam lächelte dünn. Nach einem Blick auf eine Wanduhr mit der Silhouette von Ajatollah Khomeini hievte er sich hoch und ging zur Tür, wo er sich umdrehte. »Ich habe selten Gelegenheit, mit einem Nichtgläubigen aus dem Westen zu sprechen, Mr. Pippen, noch dazu einem, der mich nicht fürchtet. Gespräche mit Ihnen werden aufschlussreich sein. Man muss den Feind kennen, bevor man ihn besiegt. Ich lade Sie in mein Arbeitszimmer ein, nach dem Nachmittagsunterricht, jeden Wochentag außer Freitag. Ich werde Ihnen Minztee und Honigkuchen anbieten, und Sie können sich erkenntlich zeigen, indem Sie mir Einblicke in die säkulare Denkweise gewähren.«

»Es wird mir ein Vergnügen –«, setzte Dante an, doch der Imam war bereits durch die Gittertür verschwunden, die nun quietschend in den Angeln pendelte.

Dante wurde in seine Unterkunft geführt, ein Hinterzimmer in einem der niedrigen Flachdachgebäude am Rande des Dorfes, das an das Hisbollah-Lager grenzte. Bei Sonnenaufgang brachte ihm eine ältere Frau, deren untere Gesichtshälfte verschleiert war, das Frühstück: eine dampfende Kanne grünen Tee, um den knochentrockenen Zwieback runterzuspülen, der mit einer öligen Paste aus zerdrückten Oliven bestrichen war. Dantes Bodyguard, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, sogar aufs Klo, brachte ihn auf der unbefestigten Straße zum Steinbruch. Eine Schar kleiner Jungs in staubigen, gestreiften Gewändern war schon dabei, mit Steinwürfen ein paar Ziegen von der Umzäunung weg einen Hang hoch zu scheuchen. Eine gelbe Hisbollah-Flagge mit einer Hand, die ein Gewehr hoch hielt, flatterte an dem Fahnenmast des Backsteingebäudes, wo der Sprengstoff und die Zünder gelagert waren. Hoch oben malten israelische Jets auf ihren frühmorgendlichen Patrouillenflügen ein Netz aus Kondensstreifen an den Himmel. Dantes Schüler, neunzehn Fedajin, alle um die zwanzig, trugen die gleichen ausgebeulten Khakihosen, Uniformjacken und dicken Stoffgurte unter den Gewändern und warteten unten im Steinbruch. Ein alter Mann, eine rot-weiße Kefije über den Schultern, hockte auf dem steinigen Boden und stellte Kartons mit PETN bereit, dazu Latex, Rollen Elektrodraht und Tauchkolben, die mit Autobatterien betrieben wurden. »Ich, Abdullah, werde für Sie übersetzen«, sagte der Mann zu Dante, als der unten im Steinbruch ankam.

Zuerst inspizierte er die Kartons, dann trat er gegen die Drahtrollen und Tauchkolben. »Wir brauchen moderne Zünder, die sich per Funk aus größerer Entfernung auslösen lassen«, teilte Dante Abdullah mit.

»Aus welcher Entfernung?«, fragte Abdullah.

Dante zeigte auf die Ziegen, die über die Kuppe des Hangs verschwanden. »Wir vermischen das PETN mit dem Latex«, sagte er, »wie das geht, werde ich gleich vorführen. Dann verstecken wir die Sprengladungen hier im Steinbruch, klettern da oben auf den Hügel und lösen die Sprengung aus.« Abdullah übersetzte für die Fedajin, und alle starrten sie hinauf zum Hügel. Sie redeten aufgeregt untereinander, blickten dann ihren Lehrer an und nickten respektvoll.

Zu Anfang konzentrierte Dante sich auf das PETN und den Latex, zeigte den Hisbollah-Kämpfern, wie man beides miteinander vermischte und dann den knetbaren Sprengstoff so formte, dass er in jedes beliebige Behältnis passte. Einmal füllte er damit ein Kofferradio und schaltete es dann ein, um zu zeigen, dass es noch funktionierte, was wichtig war, wenn man das Radio durch einen Checkpoint oder durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen bringen wollte. Ein anderes Mal packte er die Masse in ein neumodisches Satellitentelefon und erläuterte die Vorteile: Wenn man es richtig anstellte, konnte man die Zielperson anrufen und an der Stimme erkennen, bevor man die Sprengladung zündete und sie enthauptete.

Zunächst hatten die jungen Männer Angst davor, den Sprengstoff anzufassen, doch das änderte sich, als sie sahen, wie Dante einen Klumpen der Masse von einer Hand in die andere warf, um zu zeigen, dass nichts passieren konnte. Abdullah brachte unterdessen Dantes handgeschriebene Liste zu Dr. al-Karim und fuhr dann mit einer Geldbörse voller kostbarer amerikanischer Dollar nach Beirut, um die akkubetriebenen Sender und Empfänger zu kaufen, aus denen sich Zünder mit Fernbedienung basteln ließen.

Als Dante das erste Mal in Dr. al-Karims Arbeitszimmer erschien, saß der Imam am Schreibtisch, über seinen stattlichen Bauch gebeugt, und tippte mit zwei Fingern auf einer IBM-Schreibmaschine. Von draußen drang das leise Brummen eines benzinbetriebenen Generators herein, der sich hinter dem Gebäude befand. »Assalamu aleikum – Friede sei mit dir. Ich würde Ihnen eine Zigarette anbieten, wenn Sie noch rauchen würden«, sagte der Imam und bedeutete ihm, auf einem hölzernen Küchenstuhl Platz zu nehmen. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich mir eine anzünde?«

»Tun Sie sich keinen Zwang an.«

Der Imam blickte verdutzt. »›Keinen Zwang antun‹, was für ein seltsamer Ausdruck.«

»Nur eine nichtssagende Redewendung«, gestand Dante.

»Ich habe den Eindruck, dass Amerikaner sich oft in nichtssagende Phrasen flüchten, wenn sie nicht wissen, was sie sagen sollen.«

»Es wird nicht wieder vorkommen.«

Dieselbe Frau, die Dante das Frühstück gebracht hatte, kam aus dem angrenzenden Raum und brachte ihnen Teller mit kleinen honigtriefenden Plätzchen und zwei Gläser, die mit Minzblättern und kochend heißem Wasser gefüllt waren. Während er den Tee abkühlen ließ, knabberte Dante an einem Plätzchen und sah sich in dem spartanisch eingerichteten Arbeitszimmer um: gerahmte Fotos von Fedajin an ihrem letzten Tag im Ausbildungslager, an einer Wand ein großes Bild der Jerusalemer Omar-Moschee mit ihrer goldenen Kuppel, in der Ecke lehnte eine Kalaschnikow, auf einem niedrigen Tisch stand ein Goldfischglas, in dem ein einzelner Fisch seine Kreise zog, als suche er einen Ausgang, neben der Tür auf dem Boden ein Stapel Newsweek-Ausgaben. Dr. al-Karim zog seinen Stuhl um den Schreibtisch herum und stellte ihn seinem Gast gegenüber, ehe er schwerfällig wieder darauf Platz nahm und beide Hände an dem Glas Minztee wärmte.

Der Imam sprach leise und wählte seine Worte mit Bedacht: »Es gab mal eine Zeit, da habe ich hohes Ansehen genossen.«

»Nach meinem bisherigen Eindruck ist das noch immer der Fall.«

»Aber wie lange noch, Mr. Pippen? Wie lange, glauben Sie, kann man predigen, dass die Vernichtung seines größten Feindes unvermeidlich ist, ohne dass es geschieht, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren, die für eine spirituelle Leitfigur unverzichtbar ist? In diesem Dilemma befinde ich mich. Ich muss weiterhin die Hoffnung nähren, dass der Lohn für unsere Opfer nicht nur der Märtyrertod ist, sondern auch ein gewisser Sieg über die israelischen Besatzer im Libanon und Palästina und über die Juden, die sich verschworen haben, die Weltherrschaft zu übernehmen. Doch irgendwann sieht auch der einfachste Fedajin, wenn er in den Kampf gegen den Feind geschickt wird und durch seinen Feldstecher späht, dass die Israelis noch immer ihre mit Sandsäcken geschützten Festungen im Süden des Libanon besetzt halten, dass sie mit ihren Patrouillenbooten noch immer die Wellen vor unserer Küste durchpflügen und mit ihren Düsenjägern den Himmel über unseren Köpfen verunstalten.«

»Glauben Sie denn wirklich, dass der Sieg unvermeidlich ist?«, fragte Dante.

»Ich bin überzeugt, dass die Juden eines Tages, genau wie die christlichen Kreuzfahrer vor ihnen, eine Fußnote in der langen arabischen Geschichte darstellen werden. So steht es geschrieben. Aber wird es noch zu meinen Lebzeiten geschehen? Oder wird es zu Lebzeiten meiner Kinder geschehen?« Dr. al-Karim trank von seinem Tee, leckte sich die Lippen, um den Minzgeschmack zu genießen, und beugte sich vor. »Ich kann noch etwas Zeit herausschlagen, Mr. Pippen, wenn Sie mir mit Ihren Talenten eine gewisse Erfolgsgarantie geben können. Unsere Hisbollahkämpfer sind mit konventionellen Waffen ausgerüstet und können den besser bewaffneten israelischen Soldaten im Süden des Libanon keine nennenswerten Verluste beibringen. Wir greifen sie mit Granatwerfern oder Artillerie an, feuern mitten aus irgendeinem libanesischen Dorf, damit die Israelis nicht zurückschlagen können. Ab und an gelingt es uns, einen oder zwei von ihnen zu verwunden oder zu töten. Für jeden, den wir töten, verlieren wir zwanzig oder dreißig Fedajin, wenn unsere Feinde, die über äußerst genaue Informationen verfügen, von ihren Festungen aus unsere Stützpunkte hier im Bekaa-Tal oder näher an den Frontlinien überfallen. Sie wissen anscheinend immer, wo und wie stark wir sind.« Der Imam schüttelte den Kopf. »Wir sind wie Wellen, die gegen die Felsen am Ufer schwappen – ich kann doch keine Kämpfer rekrutieren und ausbilden und in den Kampf schicken, indem ich ihnen sage, dass die Felsen in ein- oder zweihundert Jahren glatt gewaschen und kleiner geworden sind.«

»Ich nehme an, deshalb haben Sie meine Dienste in Anspruch genommen«, sagte Dante.

»Stimmt es, dass Sie Ihren Sprengstoff in nahezu jedem Behältnis verstecken können?«

»Ja.«

»Und Sie können ihn per Funk aus großer Entfernung zünden, müssen also keinen Elektrodraht auf der Erde verlegen?«

Dante nickte mit Nachdruck. »Draht auf der Erde ist zwar zuverlässiger, aber per Funk gezündete Sprengladungen sind kreativer.«

»Wäre es Ihrer Meinung nach möglich, die Sprengladungen als normale Steine am Straßenrand zu tarnen und sie, sagen wir, aus einem Kilometer Entfernung von einem Hügel aus zu zünden, wenn eine israelische Patrouille passiert?«

»Kinderspiel«, erwiderte Dante.

Der Imam schlug sich begeistert aufs Knie. »So Gott will, machen wir den Israelis den Garaus, Mr. Pippen. So Gott will, vernichten die Wellen, die ans Ufer schwappen, die Felsen noch zu meinen Lebzeiten. Und wenn wir mit dem nahen Feind fertig sind, wenden wir uns dem fernen Feind zu.«

»Die Israelis sind offensichtlich der nahe Feind«, sagte Dante. »Aber wer ist der ferne Feind?«

Dr. al-Karim blickte Dante in die Augen. »Sie, Mr. Pippen, sind der ferne Feind. Der Westen und seine amerikanische Zivilisation, die Rauchen für gesundheitsschädlich hält, aber alles andere – außerehelichen Sex, Pornographie, weltliche Begierden, Materialismus – für statthaft. Die Israelis sind ein Vorposten eurer korrupten Kultur. Die Juden sind eure Stellvertreter mit dem Auftrag, unseren Grund und Boden zu stehlen, unsere Länder zu besiedeln, unsere Seelen zu verderben und unsere Religion zu demütigen. Wenn wir sie besiegt haben, richten wir unser Augenmerk auf den größten Feind.«

»Ich kann mir ja vorstellen, wie ihr euren nahen Feind angreifen wollt«, sagte Dante. »Aber wie wollt ihr Krieg gegen einen fernen Feind führen, der euch zerquetschen kann wie eine Mücke an der Wand?«

Der Imam lehnte sich zurück, und ein vielsagendes Lächeln huschte über sein fleischiges Gesicht. »Mit den riesigen Geldsummen, die ihr uns für das Öl zahlt, das ihr für eure Benzin schluckenden Autos braucht, werden wir talentierte Leute wie Sie engagieren, Mr. Pippen. Die Köpfe der Amerikaner sind längst durch Hollywoodfilme und Hochglanzmagazine wie Playboy oder Hustler vergiftet. Wir werden ihre Körper vergiften. Wir werden ihre Flugzeuge entführen und sie in ihre Gebäude steuern. Wir werden mit eurer Hilfe die Bombe des armen Mannes bauen – Koffer voller Bakterien oder Chemikalien – und sie in ihren Großstädten explodieren lassen.«

Dante nahm das Glas Minztee und führte es an die Lippen. »Dann geh ich wohl besser zurück nach Irland«, sagte er leichthin.

»Wie ich sehe, nehmen Sie mich nicht ernst. Egal.« Der Imam schob seinen Ärmel hoch, schaute auf die Uhr und stand auf. »Sie werden heute Nacht schlecht schlafen, weil Sie über meine Worte nachgrübeln werden. Es werden Ihnen Fragen einfallen. Sie sind herzlich eingeladen, morgen wieder herzukommen und sie zu stellen, Mr. Pippen. So Gott will, setzen wir unser heutiges Gespräch fort.«

Dante erhob sich. »Ja, ich komme wieder. Danke.«

In den folgenden Tagen nutzte Dante die Materialien, die Abdullah aus Beirut mitgebracht hatte, und zeigte seinen Schülern, wie man ferngesteuerte Zünder baute und im Steinbruch angebrachte Sprengladungen von dem Hügel in der Nähe aus hochgehen ließ. Als Dr. al-Karims Leute den ersten aus Gips gebastelten Stein fertig hatten, füllte Dante ihn mit PETN und bereitete die Fernzündung vor. Die Schüler legten die Steinattrappe unten in den Steinbruch und banden zehn Meter davon entfernt eine lahme Ziege an. Dann stiegen alle den Hügel hinauf. Der Imam, der von dem Experiment gehört hatte, erschien höchstpersönlich, um aus sicherer Entfernung zuzuschauen. Dante winkte, und Dr. al-Karim, von vier Bodyguards umringt, hob eine Hand zum Gruß. Einer der jungen Fedajin schloss einen kleinen Sender an eine Autobatterie an. Alle blickten gebannt auf die Ziege unten im Steinbruch. »Okay, Abdullah«, sagte Dante.

»Lass krachen.« Abdullah drehte den Knopf an dem kleinen Funkgerät, bis es hörbar klickte, und drückte dann darauf. Tief unten im Steinbruch ertönte eine Detonation wie ein trockener Husten, und Staub wirbelte auf. Als sich die Wolke aufgelöst hatte, war die Ziege verschwunden, und die Stelle, wo sie gestanden hatte, war blutgetränkt und mit Eingeweiden übersät.

»Gott ist groß«, murmelte Abdullah.

»PETN ist größer«, sagte Dante.

Als Dante am Nachmittag das Arbeitszimmer des Imams betrat, kam Dr. al-Karim um den Schreibtisch herum auf ihn zugeeilt, um ihm zu gratulieren. »Sie haben sich Ihr Honorar verdient, Mr. Pippen«, sagte er und legte seinen wabbeligen Arm um Dantes Schulter. »Meine Kämpfer können es kaum erwarten, Ihre ferngesteuerte Bombe gegen die Juden einzusetzen.«

Beide nahmen auf Küchenstühlen Platz. Dr. al-Karim holte seine Perlenschnur hervor und ließ sie mit beachtlichem Geschick durch die Finger gleiten, während Dante erklärte, dass er noch exakt zehn Tage brauche, um die Fedajin kampfbereit zu machen.

»Wir haben so lange gewartet«, sagte der Imam. »Da werden uns zehn Tage mehr nichts ausmachen.«

»Eins würde mich interessieren, Dr. al-Karim –« Dante zögerte.

Der Imam nickte knapp. »Fragen Sie nur, Mr. Pippen.«

»Mir ist aufgefallen, dass Sie häufig von den Juden sprechen, nicht von den Israelis. Und ich frage mich, ob die Hisbollah da nicht etwas verwechselt. Ich will damit sagen: Seid ihr antiisraelisch oder antijüdisch?«

»Da Israel ein feindlicher Staat ist«, erwiderte der Imam ohne Zögern, »sind wir natürlich antiisraelisch.« Seine Perlschnur setzte sich wieder in Bewegung. »Aber verstehen Sie mich nicht falsch, wir sind auch antijüdisch. Unsere gemeinsame Geschichte geht zurück auf den Propheten Muhammad. Die Juden haben weder die Echtheit des Islam als die einzig wahre Religion anerkannt noch den Koran als das Wort Gottes.«

»Eure Kritiker sagen, mit dieser Haltung seid ihr nicht weit von Adolf Hitler entfernt.«

Der Imam schüttelte heftig den Kopf. »Ganz und gar nicht, Mr. Pippen. Unsere Kritiker übersehen da einen entscheidenden Punkt. Hitler war Antisemit. Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen antijüdisch und antisemitisch.«

»Da komm ich nicht mehr mit …«

»Antisemiten, Mr. Pippen, glauben, einmal Jude, immer Jude. Für Hitler blieb ein Jude selbst dann ein Jude, wenn er zum Christentum konvertierte. Folglich konnte es für Nazis im Besonderen und für Antisemiten im Allgemeinen nur eine Lösung geben, nämlich die ›Endlösung‹, die Vernichtung der Juden. Antijüdisch sein dagegen bedeutet, dass es noch eine andere Lösung als die Vernichtung gibt, eine Möglichkeit, wie Juden sich vor der Vernichtung retten können.«

»Und die wäre?«

»Der Jude kann zum Islam konvertieren, dann hat der Islam nichts mehr an ihm auszusetzen.«

»Verstehe.«

»Was verstehen Sie, Mr. Pippen?«

»Dass ich das Gespräch gar nicht erst hätte anfangen sollen. Ich arbeite für Sie. Sie bezahlen mich für geleistete Dienste, nicht für meine Ansichten über Ihre Ansichten.«

»Ganz richtig, ganz richtig. Aber auch wenn meine Antworten Sie nicht interessieren, so gebe ich dennoch zu, dass Ihre Fragen mich interessieren.«

Abdullah tauchte draußen am Fenster auf und klopfte mit einem Fingernagel an die Scheibe. Als der Imam zum Fenster ging, deutete Abdullah auf den Wagen, der sich auf der gewundenen Straße dem Hisbollah-Lager näherte.

»Das hätte ich fast vergessen«, sagte Dr. al-Karim, als er sich wieder zu Dante umdrehte. »Ich erwarte Besuch. Der syrische Kommandeur im Bekaa-Tal kommt hin und wieder vorbei, um zu sehen, was wir im Schilde führen. Er bleibt bis morgen nach den Gebeten und dem Abendessen. Es wäre klug, wenn Sie sich nicht blicken lassen. Ich habe ihn nämlich nicht über Ihre Anwesenheit unterrichtet, und die Syrer sehen es nicht gern, wenn Ausländer sich hier im Tal aufhalten.«

»Wie wär’s, wenn ich in Richtung Beirut verschwinde?«, fragte Dante. »Ich bin schon fast drei Wochen hier. Da morgen Freitag ist und meine Schüler zum Gebet in die Moschee gehen, wollte ich ohnehin um einen freien Tag bitten.«

»Und wie wollen Sie Ihren freien Tag verbringen?«

»Soweit ich zurückdenken kann, hab ich es noch nie so lange ohne Bier ausgehalten. Ich werde mir eine hübsche Kneipe suchen und mir einen hinter die Binde gießen.«

»Meinetwegen. In Beirut ist es ruhig geworden. Und Sie haben sich einen Tag zum Ausspannen verdient. Ich gebe Ihnen Abdullah und einen meiner Leibwächter mit, damit Ihnen nichts passiert.«

»In einem Tabernakel mit Alkoholausschank kann ein Ire gut auf sich selbst aufpassen, Dr. al-Karim.«

»Mag sein. Aber solange Sie Ihre Arbeit hier nicht erledigt haben, gehe ich lieber auf Nummer Sicher. Danach können Sie tun und lassen, was Sie wollen.«

Am folgenden Nachmittag schlängelte sich der zerbeulte Ford, der Dante drei Wochen zuvor ins Bekaa-Tal gebracht hatte, über ein Gewirr von Nebenstraßen in Richtung Beirut. Der Leibwächter, in weiter Khakihose, im Arm eine Kalaschnikow mit Kerben im Schaft für alle, die er ins Jenseits befördert hatte, plapperte vorn auf Arabisch mit dem Fahrer, einem kohlrabenschwarzen Saudi mit verfilzten Dreadlocks. Dante, der nach Beduinenart einen groben, braunen Burnus trug, eine schwarz-weiß karierte Kefije und eine dunkle Sonnenbrille, saß im Fond mit Abdullah. Der stieg an jedem syrischen Checkpoint aus und hielt den Soldaten, die (wie Abdullah schwor) weder lesen noch schreiben konnten, gebieterisch einen Brief vor die Nase, auf dem Dr. al-Karims Siegel und Unterschrift prangten. Dante starrte gedankenverloren durch sein Spiegelbild in der Scheibe und nahm kaum die staubigen Dörfer wahr, wo Horden barfüßiger Jungs auf ungepflasterten Straßen Fußball spielten, die überfüllten Souks, wo auf einer Seite riesige Satellitenschüsseln angeboten wurden und an einem Zaun in der Nähe Esel und Kamele angebunden waren, die gekachelten Metzgerläden, wo junge Mädchen die Fliegen von den an Haken aufgehängten Tierkadavern verscheuchten. Am Rande von Beirut passierte der Ford die erste Milizsperre, doch die bewaffneten jungen Männer, die dort postiert waren, konnten zwar lesen, interessierten sich aber (wie Abdullah stockend erklärte) mehr für die Zwanzigdollarscheine, die Abdullah in Dr. al-Karims Brief gesteckt hatte, als für den Brief selbst oder die Passagiere im Wagen.

Die Anwesenheit der syrischen Armee hatte die feindlichen Splittergruppen, die sich seit Mitte der siebziger Jahre auf den Straßen Beiruts gegenseitig abschlachteten, mehr oder weniger in der Versenkung verschwinden lassen. Man munkelte, dass muslimische und christliche Abgesandte im saudi-arabischen Taif zusammenkamen, um einen Waffenstillstand auszuhandeln, doch nach wie vor patrouillierten bewaffnete Milizen in der Stadt, die sich wie eine verstümmelte Amazone am Rande des Mittelmeeres ausbreitete und deren zerschossene Gebäude stummes Zeugnis von fünfzehn Jahren brutalem Bürgerkrieg ablegten. Als die Sonne im Meer versank und Beirut in Dunkelheit getaucht wurde, hallte das Knattern von fernem Maschinengewehrfeuer durch die Stadt. Abdullah, der sichtlich nervös war, murmelte etwas von alten Rechnungen, die erst noch beglichen werden müssten, ehe der Waffenstillstand in Kraft treten könne. Damit sie auch ja nicht aus Versehen die muslimisch kontrollierten Stadtteile verließen, dirigierte er den Fahrer ins Hafenviertel und setzte Dante an einer Ecke gegenüber der ausgebrannten Ruine einer Moschee ab. Eine schmale Straße führte bergab zu den Docks. »Wir warten hier«, sagte Abdullah zu Dante. »Bitte seien Sie spätestens um zehn wieder da, damit wir es bis Mitternacht zurück ins Lager schaffen.«

Auf der kleinen Straße surrten defekte Neonlampen über einer Hand voll Seemannskneipen. Dante winkte seinen Aufpassern fröhlich zu und schlenderte den Bürgersteig hinunter bis zu der ersten Kneipe, die in dem Gebäude einer Handelsfirma untergebracht war, in dessen Mitte eine Granate eingeschlagen hatte. Er zog den Kopf ein, um sich nicht an einer kaputten Neonröhre zu stoßen, die nur noch an ihrem Kabel baumelte, und schob sich an dem dicken Teppich vorbei, der als Tür diente. Die verkohlten Balken, die das notdürftig geflickte Dach stützten, waren weiß gestrichen, verströmten aber noch immer einen Brandgeruch. Dante fand einen Platz an der provisorischen Theke zwischen zwei türkischen Matrosen, die sich gegenseitig aufrecht hielten, und einem portugiesischen Proviantmeister in zerknitterter blauer Uniform.

»Und, was darf’s sein?«, rief der Barmann, dessen raue Stimme einen unüberhörbaren irischen Einschlag hatte.

Dante fächerte ein Loch in den Zigarettenqualm, der ihm die Sicht versperrte, und sprach hindurch. »Bier, und nicht zu knapp«, rief er, »je wärmer, desto besser.«

Der Barmann, ein dicker Mann mit wirrem, rostrotem Haar, das ihm über die Augen fiel, und einem bis zum Hals zugeknöpften weißen Priesterhemd, fischte eine große Flasche bulgarisches Bier aus einem Karton zu seinen Füßen, machte sie mit einem Flaschenöffner auf, presste den Daumen auf den Flaschenhals und schüttelte das Bier, um es aufzuschäumen. Dann stellte er die Flasche vor Dante auf die Theke. »Und möchte Eure Lordschaft noch ein Glas dazu?«, fragte er grinsend.

»Kostet das extra?«, erwiderte Dante.

»Wieso sollte es? Das Bier ist schon teuer genug.« Er schob Dante ein frisch gespültes Glas über den Tresen. »Was hast du gesagt, von welchem Schiff du kommst?«

»Ich habe gar nichts gesagt«, konterte Dante. »Die H. M. S. Pinafore.«

Das Lächeln auf dem Gesicht des Barmannes erstarrte. »Hast du H. M. S. Pinafore gesagt?«

Dante füllte das Glas, wischte den Schaum mit der Handkante ab und trank das Bier in einem langen, gierigen Zug aus. »Ah, da sieht man die Welt doch gleich mit ganz anderen Augen«, sagte er und schenkte sich nach. »H. M. S. Pinafore. Du hast richtig gehört.«

Der Barmann nickte kurz und ging ans andere Ende der Theke, wo er sich ein Ohr mit einem Finger zuhielt, während er in ein Telefon sprach. Dante hatte seine zweite Flasche bulgarisches Bier halb leer, als eine Frau oben an der ramponierten Treppe erschien, die zu den ehemaligen Büros im oberen Stock des Gebäudes führte. Ein Matrose, der sich noch die Hose zuknöpfte, folgte ihr die Stufen hinab. Die Frau, der lange dunkle Haarsträhnen über ein von Pockennarben verunstaltetes Gesicht fielen, trug einen engen Rock, der an einem Schenkel hoch geschlitzt war, und eine hauchdünne Bluse, durch die ihre Brüste so klar und deutlich zu erkennen waren, als würde sie nackt im Morgendunst spazieren. Sämtliche Gespräche erstarben, als sie durch den Raum ging und die hohen Absätze auf den Dielen klapperten. Sie blieb stehen, sah sich kurz um, entdeckte Dante und setzte sich neben ihn an die Theke.

»Spendierst du mir einen Whiskey?«, fragte sie mit heiserer Flüsterstimme.

»Ich wäre verrückt, wenn ich’s nicht täte«, erwiderte Dante fröhlich, hob einen Finger, um den Barmann auf sich aufmerksam zu machen, und deutete auf die Frau. »Whiskey für meine zukünftige Freundin.«

»Chivas Regal«, wies sie den Barmann an. »Einen doppelten.«

Dante genehmigte den Doppelten mit einem Nicken, als der Barmann ihn fragend ansah, dann wandte er sich der Frau zu und musterte sie gründlich. Wie immer tat er sich schwer, ihr Alter einzuschätzen. Sie war Araberin, das war unübersehbar, trotz des dicken Eyeliners und des leuchtend roten Lippenstifts, und wahrscheinlich über vierzig, aber wie weit, konnte er nicht sagen. Ihm kam der Gedanke, dass sie Christin sein musste, da Muslime ihre Frauen eher umbringen würden, als sie auf den Strich gehen zu lassen.

»Und wie ist dein Name, Schätzchen?«, fragte Dante.

Sie fuhr sich mit den Fingern einer Hand geistesabwesend durch die Haare und strich sie sich aus dem Gesicht. Zwei große silberne Ohrringe schimmerten im Licht. »Ich heiße Djamillha«, sagte sie. »Und wie heißt du?«

Dante nahm einen großen Schluck Bier. »Du kannst mich den Iren nennen.«

»Anscheinend warst du lange auf See.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Du musst ja schrecklichen Durst haben, so wie du dieses widerliche bulgarische Bier in dich hineinschüttest. Und wahrscheinlich nicht nur Durst, was, Ire?«

Dante warf einen Blick auf den Barmann, der knapp außer Hörweite Gläser spülte. »Na ja, Djamillha, um dir die traurige Wahrheit zu sagen, ich hatte schon seit einer Ewigkeit keine Frau mehr. Hast du vielleicht eine Idee, wie sich dieser Missstand beheben ließe?«

Der portugiesische Proviantmeister, der mit dem Rücken zu Dante saß, lachte leise, aber hörbar in sich hinein. Djamillha verzog keine Miene. »Du bist ein direkter Mensch, Ire«, sagte sie. »Die Antwort auf deine Frage lautet: Ja.«

»Wie viel würde mich das kosten?«

»Fünfzig US-Dollar oder den Gegenwert in irgendeiner europäischen Währung. Die hiesige Landeswährung nehme ich nicht an.«

»Abgemacht«, sagte Dante. Er stieß mit ihr an und leerte sein Glas, dann nahm er die halb volle Flasche Bier (für den Fall, dass er eine Waffe brauchte) und folgte Djamillha nach oben in einen Raum, der einmal als Hauptbüro der Handelsfirma gedient haben musste. Vor den mit Brettern vernagelten ovalen Fenstern stand ein großer Schreibtisch mit einer Glasscheibe darauf, unter der Fotos von Kindern flach gedrückt wurden, und hinter einer riesigen Ledercouch hing ein eingerissenes Gemälde von Napoleons Niederlage bei Akkon an der Wand. Ein Dutzend zugeklebter Kartons ohne Beschriftung waren in einer Ecke gestapelt. Djamillha schloss die Tür hinter ihnen ab und setzte sich auf die Couch, wo sie durch eine aufgerissene Naht in das Polster griff und eine Mappe mit Luftaufnahmen im Format 18 x 24 herauszog. Dante nahm neben ihr Platz, ergriff die Fotos mit einem Taschentuch und studierte sie nacheinander. »Die müssen aus großer Höhe aufgenommen worden sein«, sagte er. »Die Auflösung ist phantastisch. Besser geht’s nicht.«

Die Frau reichte Dante einen Filzstift, und er markierte diverse Gebäude im Lager mit Pfeilen und beschriftete sie. »Die Rekruten, insgesamt neunzehn Fedajin, sind in diesen beiden flachen Gebäuden nahe am Zaun untergebracht«, sagte er. »Sprengstoff und Zündschnüre lagern in dem kleinen Backsteingebäude mit der Hisbollah-Fahne auf dem Dach. Dr. al-Karim wohnt und arbeitet in dem Haus hinter der Moschee. Es ist bei weitem das größte im Dorf, also müssten eure Leute es mühelos erkennen. Ich weiß nicht, wo er schläft, aber sein Arbeitszimmer zeigt auf die Moschee, also schätze ich –«, er malte wieder einen Pfeil und schrieb »Ks Büro« daneben, »– hier. Ich bin bei einer Familie im Dorf untergebracht, in diesem Haus.«

»Welche Sicherheitsmaßnahmen gibt es in der Nacht?«

»Ich bin nach Einbruch der Dunkelheit ein paar Mal im Lager herumspaziert – sie haben eine Straßensperre, die mit zwei Rekruten und einem Ausbilder besetzt ist, und zwar hier an der Biegung, wo die Straße bergauf ins Dorf führt. Oben auf dem Hügel über dem Steinbruch steht ein Bunker mit einem schweren Maschinengewehr, da ist tagsüber ein Mann postiert. Abends konnte ich nicht da hoch, weil das Tor im Zaun abgeschlossen ist, und es hätte bestimmt Verdacht erregt, wenn ich um den Schlüssel gebeten hätte.«

»Wir müssen davon ausgehen, dass der Bunker auch nachts besetzt ist. Sie wären blöd, wenn sie’s nicht täten. Das Maschinengewehr ist auf jeden Fall ein vordringliches Ziel. Wie sieht es mit ihren Kommunikationsmöglichkeiten aus?«

»Kann ich nicht genau sagen. Ich habe keinen Funkschuppen gesehen, geschweige denn ein einziges Funkgerät. Aber oben auf dem Minarett der Moschee habe ich was entdeckt, das aussieht wie eine Hochfrequenzantenne. Irgendwo da müsste also ihre Technik untergebracht sein.«

»Wir wollen keine Moschee bombardieren, also müssen wir da wohl ein paar Leute reinschicken. Hat Dr. al-Karim ein Satellitentelefon?«

»Ich hab keins bei ihm gesehen, aber das heißt natürlich nichts.«

»Wann ist der Ausbildungskurs zu Ende?«

»Ich hab Dr. al-Karim gesagt, dass ich noch zehn Tage brauche.«

»Was passiert dann?«

»Die Teilnehmer gehen an die Front, um israelische Soldaten in der besetzten Pufferzone im Libanon zu töten. Und dann fängt ein neuer Anfängerkurs an.«

»Wie viele Ausbilder und sonstige Mitarbeiter sind im Lager?«

»Einschließlich Fahrer und Dr. al-Karims vier Leibwächtern, die ich gesehen habe, würde ich sagen, achtzehn bis zwanzig.«

Djamillha ging die Fotos noch einmal durch, taxierte die Entfernungen zwischen den Gebäuden, die Lage des Tors im Umgrenzungszaun, die Wege im Dorf und im Hisbollah-Lager. Sie holte eine Militärkarte vom Bekaa-Tal hervor, um nachzusehen, wo in der weiteren Umgebung des Lagers noch zusätzliche Hisbollah-Truppen stationiert sein könnten. »Wenn der Einsatz beginnt, müssen Sie irgendwie zu dieser Stelle hier gelangen –« Sie zeigte auf einen Brunnen zwischen dem Dorf und dem Hisbollah-Lager. Sie reichte Dante ein weißes Seidenhalstuch, und er stopfte es sich in die Hosentasche. »Tragen Sie das, damit Sie leicht zu erkennen sind.«

»Wie erfahre ich, wann es losgeht?«

»Genau sechs Stunden vorher fliegen zwei israelische M-16 vorbei, so hoch, dass sie Kondensstreifen hinterlassen. Sie kommen von Norden Richtung Süden. Wenn sie direkt über dem Lager sind, drehen sie um neunzig Grad nach Westen ab.«

Djamillha schob Fotos und Karte zurück in die Mappe und versteckte sie wieder im Polster der Couch.

»Damit hätten wir das Wichtigste wohl erledigt«, stellte Dante fest.

»Nicht ganz.« Sie stand auf und fing wie selbstverständlich an, sich die Bluse aufzuknöpfen. Es war das erste Mal, dass sich eine Frau in Dantes Beisein auszog, ohne dass Erotik im Spiel war. »Sie sind angeblich hier oben, um mit mir zu schlafen. Da wäre es doch nur klug, wenn Sie auch meinen Körper beschreiben könnten.« Sie zog sich die Bluse aus, dann den Rock und die Unterhose. »Ich habe innen am Oberschenkel eine kleine Narbe, hier. Das Schamhaar habe ich in der Bikinizone rasiert. Unter der rechten Brust habe ich eine verblasste Tätowierung, einen Nachtfalter. Und auf meinem linken Arm sehen Sie die Narben einer Pockenschutzimpfung, die aber nicht verhindert hat, dass ich an Pocken erkrankt bin, daher die Pockennarben in meinem Gesicht. Sobald wir hier im Raum waren, habe ich die Tür abgeschlossen, und Sie haben fünfzig Dollar – zwei Zwanziger und einen Zehner – auf den Schreibtisch gelegt und sie mit der Granathülse beschwert, die da auf dem Boden liegt. Wir haben uns beide ausgezogen. Sie wollten, dass ich Ihnen einen blase, aber ich habe gesagt, so was mache ich nicht. Dann haben Sie sich auf die Couch gesetzt, und ich habe Sie mit der Hand stimuliert. Sobald Sie erigiert waren, habe ich Ihnen ein Kondom übergezogen und mich auf Sie gesetzt. Bitte merken Sie sich, dass ich beim Sex die Schuhe anbehalte.« Sie zog sich wieder an. »So, jetzt sind Sie dran mit Striptease, Ire, damit ich auch Ihren Körper notfalls beschreiben kann. Warum zögern Sie? Sie sind doch Profi. Das gehört zum Geschäft.«

Dante zuckte die Achseln, stand auf und ließ die Hose runter.

»Wie Sie sehen, bin ich wie die meisten amerikanischen Männer, selbst die ehemaligen Katholiken, beschnitten.«

»Und gut gebaut, wie man so sagt. Irgendwelche Narben?«

»Körperlich oder seelisch?«

Sie fand das nicht lustig. »Ich therapiere meine Kunden nicht, ich vögel sie nur.«

»Keine Narben«, sagte er trocken.

Sie nahm seinen Körper von Kopf bis Fuß in Augenschein, dann inspizierte sie seine Kleidung. Schließlich sagte sie: »Sie können sich wieder anziehen.« Sie brachte ihn zur Tür. »Sie arbeiten in einer gefährlichen Branche, Ire.«

»Ich bin süchtig nach Angst«, knurrte er. »Ich brauche täglich einen Fix.«

»Das glaube ich Ihnen nicht. Wenn Sie nicht an was glauben würden, wären Sie nicht hier.« Sie streckte ihm eine Hand hin. »Ich bewundere Ihren Mut.«

Er nahm die Hand und hielt sie einen Moment fest. »Und Ihr Mut verwundert mich. Eine Araberin, die das Risiko eingeht –«

Sie zog ihre Hand zurück. »Ich bin keine Araberin«, sagte sie scharf. »Ich bin eine libanesische Alawitin.«

»Und was ist das bitte schön?«

»Wir Alawiten sind ein winziges Volk in einem Meer von arabischen Muslimen, die uns für Ketzer halten und verachten. Wir hatten einmal einen eigenen Staat – und zwar unter französischem Mandat, als das Osmanische Reich nach dem Ersten Weltkrieg auseinander fiel. Der Alawitenstaat hieß Latakia. Mein Großvater war Minister in der Regierung. 1937 wurde Latakia gegen unseren Willen eine syrische Provinz. Mein Großvater wurde ermordet, weil er dagegen war. Heutzutage unterstützen die meisten libanesischen Alawiten im Bürgerkrieg die Christen gegen die Muslime. Unser Ziel ist es, die Muslime zu vernichten – also auch die Hisbollah –, damit dann hoffentlich wieder eine christliche Ordnung im Libanon herrscht. Unser Traum ist ein neuer alawitischer Staat, ein neues Latakia an der levantinischen Küste.«

»Ich wünsche Ihnen viel Glück«, sagte Dante ausgesucht höflich.

»Woran glauben eigentlich die Alawiten um Gegensatz zu den Muslimen?«

»Jetzt ist nicht die Zeit für solche Diskussionen –«

»Sie sind Profi. Das gehört zum Geschäft. Könnte doch sein, dass man von mir wissen will, worüber wir nach dem Sex gesprochen haben.«

Djamillha lächelte fast. »Wir glauben, die Milchstraße besteht aus den Seelen der Alawiten, die in den Himmel aufgestiegen sind.«

»Bis an mein Lebensende werde ich an Sie denken, wenn ich zur Milchstraße hinaufblicke«, sagte er.

Sie schloss die Tür auf und trat beiseite. »In einer anderen Inkarnation«, erwiderte sie ernst, »wäre es bestimmt nett gewesen, mit Ihnen zu schlafen.«

»Vielleicht, wenn das alles hier vorbei ist –«

Diesmal lächelte Djamillha wirklich. »Das alles hier«, sagte sie bitter, »wird nie vorbei sein.«

 

Zwei Tage nach seiner Rückkehr aus Beirut führte Dante seinen neunzehn angehenden Bombenattentätern gerade unten im Steinbruch vor, wie man die Bauchhöhle eines toten Hundes mit PETN füllte, als es oben am Tor laut wurde. Die Wachtposten zogen die Stacheldrahtrollen beiseite, Autohupen gellten, und zwei Pkw und ein Pick-up kamen in einer Staubwolke ins Lager gebraust. Als der Staub sich legte, zerrten zwei Bewaffnete, die die unverkennbare karierte Kefije der Hisbollah trugen, eine Person in einem weiten gestreiften Schlafanzug und mit einer Kapuze über dem Kopf aus dem zweiten Wagen, Frauen tauchten aus ihren Häusern auf und stimmten ein Triumphgeheul an. Abdullah hob den Saum seines Burnus und lief den Weg hinauf, bis er in Hörweite der bewaffneten Männer war, die die Fahrzeuge bewachten. Er rief ihnen eine Frage zu. Einer von ihnen antwortete ebenfalls lauthals und feuerte eine Salve aus seiner Kalaschnikow in die Luft. Abdullah wandte sich zum Steinbruch um, legte die Hände um den Mund und rief: »Gott ist groß. Sie haben einen israelischen Spion geschnappt.«

Die angehenden Bombenleger fingen an, sich aufgeregt zu unterhalten. Dante, der plötzlich nervös geworden war, fuhr sie an, gefälligst aufzupassen. Die Schüler reagierten auf seinen barschen Tonfall, noch bevor Abdullah, der wieder zur Gruppe gestoßen war, übersetzen konnte. Dante, der an der rechten Hand einen Latexhandschuh trug, hatte jetzt die Eingeweide des Hundes durch einen Bauchschnitt herausgezogen und stopfte erst die mit Sackleinen umwickelten Päckchen PETN, dann den Funkzünder in die leere Höhle. Mit einer dicken Nadel und einem Stück Sehnenschnur nähte er die Öffnung mit weiten Stichen zu. Dann erhob er sich aus der Hocke, streifte den Latexhandschuh ab und wies Abdullah an.

»Sagen Sie ihnen, sie sollen den toten Hund so legen, dass der Feind den Bauch nicht sehen kann, wenn er näher kommt.« Einer der Schüler hob die Hand. Abdullah übersetzte die Frage. »Er sagt, ist ein toter Hund wirkungsvoller als die Pappmachésteine, die wir an den Straßenrand gelegt haben?«

»Sagen Sie ihm, die Griechen hätten den Trick mit dem Trojanischen Pferd auch nicht zweimal anwenden können«, erwidert Dante. »Sagen Sie ihm, das Gleiche gilt für die Israelis. Auf die falschen Steine mit Sprengstoff fallen sie bald nicht mehr rein. Dann muss man sich was Neues einfallen lassen. Ein toter Hund mitten auf der Straße ist so normal, dass die Israelis in ihren Jeeps keinen Verdacht schöpfen werden. Und dann –«

Dr. al-Karim tauchte oben am Rand des Steinbruchs auf. Er hob ein Megaphon und rief: »Mr. Pippen, kommen Sie bitte, ich möchte mit Ihnen sprechen.«

Dante salutierte lässig und stapfte den Pfad hoch. Auf halbem Weg blickte er auf und sah, dass einige bewaffnete Hisbollah-Kämpfer bei dem Imam standen. Sie hatten sich ihre karierten Kefijes über das Gesicht gezogen, sodass nur die Augen zu sehen waren. Außer Atem kam Dante oben an und ging auf Dr. al-Karim zu. Zwei der Bewaffneten luden ihre Kalaschnikows nach. Als er das metallische Geräusch der Patronenrahmen hörte, blieb Dante abrupt stehen. »Ihre Krieger machen einen nervösen Eindruck«, sagte er. »Was ist denn los?«

Ohne zu antworten, drehte sich Dr. al-Karim um und steuerte auf sein Haus zu. Zwei der Hisbollah-Kämpfer stießen Dante den Lauf ihrer Gewehre in den Rücken. Er wurde ärgerlich. »Wenn ihr wollt, dass ich ihm folge, braucht ihr nur zu bitten. Höflich.«

Gemächlich folgte er dem Imam zu dem großen Haus neben der Moschee. Auf der Rückseite war die Tür zu Dr. al-Karims Büro angelehnt. Einer der Bewaffneten hinter ihm deutete mit seiner Kalaschnikow auf die Tür. Achselzuckend stieß Dante sie mit der Schuhspitze auf und trat ein.

Die Zeit schien in dem Raum stehen geblieben zu sein. Dr. al-Karim, dessen beleibter Körper auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch wie erstarrt wirkte, stierte fast ohne zu blinzeln auf die Person, die mitten im Raum mit weißem Kreppband an einen Küchenstuhl gefesselt war. Gedämpftes Stöhnen drang unter der schwarzen Kapuze hervor. Dante bemerkte die dünnen Handgelenke und Fußknöchel, und er kam zu dem Schluss, dass die Hisbollah einen Jugendlichen festgenommen hatte. Der Imam bedeutete Dante, auf dem anderen Stuhl Platz zu nehmen. Vier der bewaffneten Männer postierten sich hinter ihm an der Wand.

»Wo waren wir bei unserem letzten Gespräch stehen geblieben?«, fragte Dr. al-Karim förmlich.

»Wir sprachen über die Griechen und Aristoteles. Sie sagten, Sie werfen ihnen vor, dass sie die Vernunft als Weg zur Wahrheit über den Glauben stellen.«

»Richtig. Wir wissen, was wir wissen, weil wir an Allah und Seinen Propheten glauben, die uns den rechten Weg weisen, den einzigen Weg. Wenn ein ehemaliger Katholik wie Sie das nicht akzeptiert, ist das ein Vergehen. Normalerweise sollte ein Gläubiger wie ich versuchen, Sie zu bekehren oder, wenn das nicht gelingt, des Landes verweisen.« Er blickte auf die gefesselte Gestalt. »Wenn aber Muslime sich vom Glauben abwenden, ist das eine Todsünde, die mit Hinrichtung bestraft wird.«

Der Imam zischte einen Befehl auf Arabisch. Einer der Bewaffneten trat vor und zerrte die Kapuze herunter. Dante stockte der Atem. Diamillhas langes, dunkles Haar war stellenweise blutverklebt, ein Auge zugeschwollen, die Lippen aufgerissen, etliche Schneidezähne fehlten. An einem Ohr baumelte ein großer Silberreif, der andere Ohrring war abgerissen worden, sodass das Ohrläppchen an der Stelle aufklaffte.

»Sie leugnen nicht, sie zu kennen?«, sagte Dr. al-Karim.

Dante hatte Mühe zu sprechen. »Kennen wäre zu viel gesagt«, erwiderte er schließlich, mit kaum hörbarer Stimme. »Sie heißt Djamillha. Sie ist die Prostituierte, die in der Kneipe anschaffen geht, in der ich in Beirut war. Sie hat mich mit nach oben auf ihre Intensivstation genommen, wie wir Iren sagen.«

»Djamillha ist ein Deckname. Sie behauptet, sie kann sich nicht an ihren richtigen Namen erinnern, aber sie lügt offensichtlich. Sie will ihre Familie vor Vergeltungsmaßnahmen schützen. Sie hat sich als Prostituierte ausgegeben, um für die Juden zu spionieren. In dem Zimmer, das sie benutzt hat, waren Luftaufnahmen von mehreren Ausbildungslagern versteckt, auch von unserem. Auf ein paar Fotos waren handschriftliche Vermerke, Beschreibungen des Lagers. Wir vermuten, Sie haben ihr die Informationen gegeben, als Sie in der Kneipe in Beirut waren.«

Ein krächzendes Flüstern drang zwischen Djamillhas eingerissenen Lippen hervor. Sie sprach langsam, mühte sich ab, gewisse Konsonanten mit geöffnetem Mund auszusprechen. »Ich hab denen … die mich verhört haben … gesagt … der Ire war ein Kunde.«

»Von wem sind denn dann die Erläuterungen auf den Fotos?«, fragte der Imam.

»Die … waren schon drauf … als ich die Fotos erhalten habe.«

Dr. al-Karim nickte einmal. Der Bewaffnete hinter Djamillha steckte zwei Finger durch den noch verbliebenen Ohrring und zog ihn mit einem Ruck nach unten. Er riss das Ohrläppchen mit einem Schwall von Blut auf. Djamillha öffnete den Mund, um zu schreien, verlor aber das Bewusstsein, bevor der Laut ihre Kehle verlassen konnte.

Ein Krug Wasser wurde ihr ins Gesicht geschüttet. Ihre Augen flatterten auf, und der unterdrückte Schrei, der ihr im Rachen feststeckte wie eine Fischgräte, brach mit unbändiger Kraft hervor. Dante zuckte zusammen und wandte sich ab. Dr. al-Karim kam um den Schreibtisch herum und baute sich vor Dante auf. »Wer sind Sie?«, fragte er mit leisem Knurren.

»Pippen, Dante. Freiberuflicher, freidenkerischer, freigeistiger Sprengstoffexperte irischer Abstammung, stets zu ihren Diensten, solange Sie brav mein Off-Shore-Konto füllen.«

Der Imam umkreiste die Gefangene und sah sie an, während er mit Dante sprach. »Ich würde gern glauben, dass Sie der sind, der Sie behaupten zu sein, in Ihrem Interesse, aber auch in meinem.«

»Kommen Sie – die muss doch Dutzende, Hunderte von Männern in dem Zimmer über der Kneipe empfangen haben. Jeder davon hätte ihr Kontaktmann sein können.«

»Waren Sie intim mit ihr?«

»Ja.«

»Hat sie irgendwelche besonderen Kennzeichen am Körper?«

Dante beschrieb die kleine Narbe an der Innenseite ihres Oberschenkels, das rasierte Schamhaar, die Narbe von der Impfung am linken Arm, oder war es der rechte – er wusste es nicht mehr genau. Ach ja, noch was, unter der rechten Brust hatte sie eine verblasste Tätowierung, einen Nachtfalter. Dr. al-Karim wandte sich der Gefangenen zu, packte das weit sitzende Hemd an den Knöpfen und riss es auf. Er starrte auf die Tätowierung unter ihrer Brust, warf dann das Hemd wieder zu und stopfte es lose unter die weißen Streifen Kreppband.

»Wie viel haben Sie ihr bezahlt?«, fragte der Imam.

Dante überlegte eine Sekunde. »Fünfzig Dollar.«

»In was für Scheinen?«

»Zwei Zwanziger und ein Zehner.«

»Haben Sie ihr das Geld in die Hand gedrückt?«

Dante schüttelte den Kopf. »Ich hab es auf den Schreibtisch gelegt und mit einer Granathülse beschwert.«

»Was hatte sie an, als Sie mit ihr Sex hatten?«

»Ihre Schuhe.«

»Und Sie?«

»Ein Kondom.«

Der Imam kehrte zu seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch zurück.

»Sie stehen unter Hausarrest«, teilte er Dante mit. »Sie sind zweifellos ein Sprengstoffexperte. Aber ich befürchte, dass Sie für jemanden anderen arbeiten als die Hisbollah. Wir werden Ihren Lebenslauf noch einmal haargenau unter die Lupe nehmen. Wir schicken jemanden nach Castletownbere auf der Halbinsel Beara, wir fangen bei Mary McCullagh und dem Restaurant The Bank an und arbeiten uns von da an weiter vor. Wenn Sie uns auch nur in einem einzigen Punkt belogen haben …« Er ließ den Satz unvollendet.

Als Dante aufstand, entwich der Gefangenen ein tiefes Stöhnen. Alle Augen im Raum richteten sich auf sie. Djamillha hyperventilierte mit weit offenem Mund. Sie neigte den Kopf zur Seite und richtete keuchend ihr unverletztes Auge auf Dante. Mit großer Mühe stieß sie hervor: »Du bist … im Bett eine Niete, Ire.« Und dann lächelte sie ein verzerrtes Lächeln und musste würgen, als ihr höhnisches Lachen aus der Kehle hochstieg.

Nachdem Dante in sein niedriges Zimmer eskortiert worden war und bewaffnete Wachen vor der Tür Posten bezogen hatten, warf er sich auf sein Bett, starrte die weiß gekalkte Decke an und fragte sich, ob die vielen zerquetschten Fliegen dort oben eine Art Frontbericht übermittelten. Und er hörte Djamillhas Stimme im Kopf. Er konnte die Worte verstehen, die sie gequält zwischen zerschlagenen Lippen hervorquetschte. Du bist im Bett eine Niete, Ire.

 

Bei Sonnenuntergang tauchte Abdullah in seiner Unterkunft auf. Er wirkte wie verwandelt. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass er Dante nicht mehr als seinen Waffenbruder betrachtete. »Sie sollen mitkommen«, sagte er, drehte sich ohne abzuwarten um und verließ den Raum. Zwei bewaffnete Männer, die Kefije so um den Kopf gewickelt, dass nur die Augen zu sehen waren, gingen dicht hinter Dante, der Abdullah durch das Dorf zum Zaun des Lagers folgte. Das Tor stand offen, und Abdullah winkte Dante, bis an den Rand des Steinbruchs zu treten, wo die neunzehn Bombenlegerschüler zusammen mit dem übrigen Personal und den Hisbollah-Kämpfern, die die Gefangene aus Beirut hergebracht hatten, aufgereiht standen. Unten im Steinbruch, mit dem Rücken zur untergehenden Sonne, wurde Djamillha gerade von zwei Männern an einen Pfahl gefesselt. Einer von ihnen hängte ihr eine khakifarbene Armeetasche um den Hals, griff dann hinein, um die Drähte miteinander zu verbinden und den Stromkreis zu schließen. Djamillha knickten die Knie ein, und sie sackte in die Stricke, die sie an dem Pfahl hielten. Als die Männer sich zurückzogen und die Tasche ihr noch vor der Brust baumelte, tauchte Dr. al-Karim neben Dante auf. Er hatte einen kleinen Fernzünder in der Hand, den er Dante hinhielt. »Möchten Sie die Ehre haben?«

Dante blickte auf den Zünder. »Sie ist nicht meine Feindin«, sagte er.

Hoch über dem Bekaa-Tal tauchten von Norden her zwei israelische Düsenjäger auf, deren Kondensstreifen im letzten Sonnenlicht leuchteten. Als sie direkt über dem Lager waren, drehten sie im rechten Winkel nach Westen Richtung Meer ab, und der Düsenlärm rollte über das Lager.

Der Imam blickte lange auf die Frau, die an den Pfahl gefesselt war, dann hob er unvermittelt den Zünder, drehte den Knopf, bis ein hohles Klicken ertönte, und drückte ihn. Für einen Augenblick, der sich ewig hinzog, geschah nichts. Dr. al-Karim runzelte die Stirn und hob schon den Zünder, um ihn erneut zu aktivieren, als eine dumpfe Explosion im Steinbruch eine senffarbene Rauchwolke aufwirbeln ließ. Als sie sich auflöste, war die Frau verschwunden, und von dem Pfahl war nur noch ein Stumpf übrig. Die Fedajin am Rande des Steinbruchs drehten sich um und marschierten in die Dunkelheit davon, die sich zu dieser Jahreszeit rasch über das Bekaa-Tal senkte. Der Imam holte die Schnur mit den Jadeperlen hervor und ließ sie durch seine dicklichen Finger gleiten. Die Geste hatte etwas Therapeutisches an sich, dachte Dante. Ihm fiel auf, dass Dr. al-Karims Finger und Lippen bebten. Hatte er vielleicht soeben zum ersten Mal einen Menschen mit eigenen Händen getötet?

»Wenn eine Muslimin sich vom Glauben abwendet«, murmelte der Imam – er schien mit sich selbst zu sprechen –, »ist das eine Todsünde, die mit Hinrichtung bestraft wird.«

Gegen Mitternacht bliesen die kalten Böen, die fast jede Nacht von den Golanhöhen heranwehten, so kräftig, dass sie das Geräusch der Hubschrauber übertönten, die wie abgeschossene Vögel aus großer Höhe herabfielen und an strategischen Punkten rings um das Hisbollah-Lager landeten. Die Wachen der Straßensperre an der Biegung, wo die Straße von Beirut bergauf ins Dorf führte, wurden überwältigt, ohne dass ein Schuss fiel. Die Fedajin sahen, dass die Männer, die da auf sie zukamen, die Kefije trugen, und machten den verhängnisvollen Fehler, sie für Araber zu halten.

»Assalamu aleikum« rief einer der Männer mit den Kefije, und ein Wachposten an der Straßensperre antwortete: »Wa aleikum salam.«

Es waren seine letzten Worte. Die Fedajin im Bunker oben auf dem Hügel feuerten in die Dunkelheit, als sie Gestalten den Hang heraufhasten sahen. Die mit Nachtsichtgeräten ausgestatteten Angreifer erwiderten das Feuer erst, als sie nahe genug waren, um Blendgranaten über die Sandsäcke vor dem Bunker werfen zu können. Andere Teams aus den Hubschraubern, die Gesichter mit Kohle geschwärzt, liefen durch das Lager und griffen die beiden flachen Gebäude an, die als Schlafsäle dienten. Die meisten angehenden Bombenattentäter sowie das Personal und die Fedajin, die zu Besuch waren, wurden niedergestreckt, als sie durch Türen und Fenster fliehen wollten. Sprengladungen, die vor dem kleinen Backsteingebäude deponiert wurden, jagten die Hisbollah-Fahne auf dem Dach in die Luft und lösten eine Kette von kleineren Explosionen aus, als die Munitionskisten Feuer fingen.

Dante hockte in seinem Zimmer hinter der Tür und hörte die beiden Wachmänner aufgeregt in ein Walkie-Talkie brüllen. Wahrscheinlich warteten sie auf Anweisungen. Als keine Antwort kam, liefen sie auf das Haus des Imams zu, wo sie von einem der israelischen Trupps, der die schmalen Straßen sicherte, erschossen wurden. Die ersten Verluste für die Angreifer kamen, als sie mit mehreren Männern ins Arbeitszimmer des Imams stürmten. Einer von dessen Leibwächtern kam mit erhobenen Händen auf sie zu und sprengte sich dann selbst in die Luft. Er riss zwei Israelis mit in den Tod und verletzte zwei weitere. Die übrigen Soldaten des Überfallkommandos durchkämmten das Haus, töteten die Leibwächter, das Dienstpersonal und eine der Frauen des Imams mitsamt seinen zwei jugendlichen Söhnen. Dr. al-Karim entdeckten sie oben im Haus in einem Wandschrank, seine zweite Frau und die beiden anderen Kinder kauerten nebenan in einem Badezimmer, das mit goldenen Armaturen ausgestattet war. Der Imam wurde in Handschellen und mit verbundenen Augen durch die Straßen zu einem wartenden Hubschrauber gezerrt.

Sobald die Schießerei nachließ, band sich Dante das weiße Halstuch von Djamillha um und rannte aus dem Haus, um zu dem Brunnen zwischen Dorf und Hisbollah-Lager zu gelangen. Als er um eine Ecke in eine schmale Straße bog, geriet er unversehens in das Kreuzfeuer zwischen einigen Fedajin, die sich im Erdgeschoss der Schule verschanzt hatten, und den Israelis, die hinter einer niedrigen Mauer auf der anderen Straßenseite kauerten. Dante hechtete hinter einen Pick-up, als die Fedajin anfingen, mit Granatwerfern zu schießen. Ein Geschoss explodierte neben dem Pick-up, und Dante spürte ein Stechen im Kreuz, als er von einem heißen Schrapnellsplitter getroffen wurde. Er lag auf der Straße und hatte das Gefühl, dass die Schüsse immer ferner klangen, während er zu dem mattweißen Streifen hinaufstarrte, der sich quer über den Nachthimmel erstreckte, und auf den Schmerz wartete. Schon leicht benommen, konzentrierte er sich so gut es ging auf die Milchstraße, um den Stern zu erkennen, der für die Seele der alawitischen Prostituierten Djamillha stand, als er schließlich kam, der sengende Schmerz, der ihm die Wirbelsäule hochschoss und das Bewusstsein nahm.

Dante erwachte in einem blendend weißen Krankenhauszimmer. Sonnenlicht strömte durch zwei Fenster, und er spürte es warm an den Schultern über den Verbänden. Er drehte den Kopf von der Sonne weg und erblickte Crystal Quest, die auf dem Nachbarbett saß und Eis kaute, während sie ein Kreuzworträtsel löste. Benny Sapir, der Mossad-Spionagechef, der ihn in Washington gebrieft hatte, stand am Fußende des Bettes.

»Verdammt, wo bin ich, Fred?«, fragte Dante schwach.

»Er kommt zu sich«, sagte Benny.

»Wurde auch Zeit«, knurrte Quest. Sie wollte nicht, dass Dante ihr Erscheinen als Ausdruck von Schwäche deutete. »Ich hab weiß Gott Wichtigeres zu tun, als ihm Händchen zu halten.« Sie spähte über den Rand der Zeitung und betrachtete den verwundeten Agenten.

»Sie sind in Haifa, Dante, in einem israelischen Krankenhaus. Man hat ihnen ein Stück Metall aus dem Rücken geholt. Die schlechte Nachricht ist, Sie werden eine unansehnliche Vertiefung im Kreuz und ein Hinkebein zurückbehalten, das linke, Folge eines eingeklemmten Nervs. Die gute Nachricht ist: Sie werden ansonsten wieder quietschfidel sein und können eine Pistole hinten im Gürtel tragen, ohne dass die Kleidung ausbeult.«

»Habt ihr den Imam gefasst?«

»Wir haben den Typen geschnappt, der sich als Imam ausgegeben hat. Ein direkter Nachfahre des Propheten, dass ich nicht lache! Ich denke, es schadet nicht, wenn Sie ihn aufklären«, sagte sie zu Benny.

»Izzat al-Karim war ein Deckname. Der richtige Name Ihres Imams lautet Awon Kikodze. Er ist der einzige Sohn eines afghanischen Vaters und seiner dritten Frau, einer Kasachin, die als junges Mädchen einen Schönheitswettbewerb in Alma-Ata gewonnen hatte, bevor sie seine Frau wurde. Kikodze hat in Alma-Ata Zahnmedizin studiert und anschließend dort als Assistent in einer Zahnarztpraxis gearbeitet. Das war Anfang der Achtziger. Zu der Zeit ist er nach Mekka gepilgert, wo er von iranischen Talentsuchern entdeckt und für die Hisbollah rekrutiert wurde. Wir wurden das erste Mal auf ihn aufmerksam, als er über einem Lagerhaus im Südlibanon eine Moschee aufgemacht hat und irgendeinen Blödsinn über den nahen und den fernen Feind gepredigt hat – niemand blickte genau durch, was er meinte, aber es hörte sich an wie die islamische Version von Hölle und Verdammnis, und er hat von sich reden gemacht. Es dauerte nicht lange und er trug den schwarzen Turban eines sayyid und leitete ein Ausbildungslager der Hisbollah. Zurzeit sind meine Kollegen dabei, ihm gut zuzureden. Er soll uns bei unserer Erkundung von Hisbollah-Aktivitäten im Bekaa-Tal helfen.«

»Ich vermute, sie werden Erfolg haben«, sagte Fred. »Die Israelis sind im Krieg, Dante, denen sitzen keine ängstlichen liberalen Zivilisten im Nacken wie uns. Sollte er noch zurechnungsfähig sein, wenn sie mit ihm fertig sind, dürfen wir uns an den Resten delektieren.«

Dante wandte sich an Benny. »Warum haben Sie mir das alles nicht erzählt, als Sie mich in Washington gebrieft haben?«

»Wenn Sie aufgeflogen wären, hätten Sie geplaudert. Der falsche Imam sollte nicht wissen, dass wir über ihn Bescheid wussten.«

»Ja, aber Djamillha haben wir verloren«, sagte Dante verbittert.

Crystal Quest stand auf und trat zu Dante. »Die Levante ist voll mit jungen Frauen, die Djamillha heißen. Von welcher sprechen Sie?«

»Die Djamillha in Beirut, verdammt noch mal, die Alawitin, die sich als Prostituierte ausgegeben hat. Sie wurde exekutiert, sechs Stunden bevor die Hubschrauber kamen. Und fragen Sie lieber nicht, wie.«

Fred schnaubte. »Ach, die Djamillha! Du meine Güte, Dante, für jemanden in Ihrer Branche sind Sie manchmal ganz schön naiv. ›Djamillha‹ war eine Legende. Ihr richtiger Name war Zubida. Sie hat sich nicht als Prostituierte ausgegeben, sie hat in Dubai als Prostituierte gearbeitet, als sie rekrutiert wurde. Und sie war auch keine Alawitin, sie war eine irakische Sunnitin. Dank unserer geschickten Bemühungen hat sie gedacht, sie würde für Saddam Husseins Muchabarat arbeiten. Dieser Anwerbetrick entbehrte nicht einer raffinierten Logik, wenn ich das sagen darf: Saddam hasst die Schiiten und ihre iranischen Mentoren und somit auch die Hisbollah, die eine schiitische Kundin der iranischen Mullahs ist.«

Dante hörte wieder Djamillhas Stimme. Du bist im Bett eine Niete, Ire. »Wer immer sie auch war, sie hat versucht, mich zu retten, obwohl sie ihr Wissen hätte nutzen können, um ihre eigene Haut zu retten.« Er sah das quadratische Stück weiße Seide an einem Haken an der Tür hängen. »Tun Sie mir einen Gefallen, Fred, und bringen Sie mir das Halstuch.«

Crystal Quest holte das Tuch und legte es zusammengefaltet in Dantes Hand. »Das Souvenir sollten Sie in Ehren halten«, sagte Benny. »Dem Halstuch verdanken Sie Ihr Leben. Als Sie nicht an dem Brunnen aufgetaucht sind, wollte unser Überfallkommando Sie schon abschreiben. Aber dann hat einer der Jungs, nachdem er sich noch einmal kurz im Lager umgesehen hatte, gemeldet, er hätte einen Mann mit einem weißen Halstuch neben einem Pickup liegen sehen.«

»Damit ist meine Dante-Pippen-Tarnung wohl aufgeflogen.«

»Darüber machen Sie sich mal keine Gedanken«, erwiderte Fred und lachte auf. »Wenn wir in Langley irgendwas auf Vorrat haben, dann sind das Legenden. Wir verpassen Ihnen eine neue, sobald Sie wieder auf den Beinen sind.«

Benny sagte: »Dank Ihnen, Dante, war die Operation ein voller Erfolg.«

»Es war eine himmelschreiende Schande«, sagte Dante mit jäher Vehemenz, und so meinte er es auch.