13. Kapitel:
Nichts anbrennen lassen?
Samstag, 21. Mai, Nachts
Ich wälze mich auf der Auslegeware im Wohnzimmer, während Olaf um mich herumtanzt und Scheine auf mich niederschweben lässt. Ich wusste gar nicht, dass Geld so viel Spaß machen kann! Naja, ich hatte ja auch noch nie so viel. Mal werfe ich Geld, mal Olaf, mal einhändig, mal beidhändig, mal viel auf einmal, mal einzelne Scheine – und das war's auch schon. Uns fallen einfach keine neuen Varianten mehr ein.
Wir stopfen die Scheine wieder zurück in die Tasche, ziehen den Reißverschluss zu, und widmen uns wichtigeren Dingen. Zum Beispiel Gänsehaut on Glatteis, einer Cocktailkreation, die Olaf uns inspiriert von den »garantiert wahren« Gruselgeschichten gemixt hat, und ein paar neuen Tanzschritten, die wir uns ausdenken. Die werden wild und wilder – ist mir der plötzliche Reichtum doch zu Kopf gestiegen? Olaf demonstriert Headbanging und nimmt dabei leider Kontakt mit der Schrankwand auf. Seine Nase blutet, als wäre er auf ein Ketchuppäckchen getreten. Ich gebe ihm das Papiertaschentuch aus meiner Hosentasche, aber das ist sofort vollgesogen. Ich hole Klopapier. Ist aber auch nicht das Wahre. Vielleicht sollte ich ein paar Hundert-Euro-Scheine zusammenrollen und ihm in die Nase stopfen?
Olaf setzt sich hin, legt den Kopf in den Nacken und fragt: »Hast du vielleicht mal einen Tampon für mich?«
Eine ganz normale Frage. Jede andere Frau diesseits der Wechseljahre hätte wahrscheinlich geantwortet: »Ja, natürlich!« und einen dieser kleinen Wattepropfen aus der Handtasche gezogen. Aber ich habe erstens keine Handtasche und zweitens keinen Tampon dabei, wie mir in diesem Moment auffällt.
Ich denke kurz nach: Ich habe auch keinen Tampon in meinen Tüten.
Und ich hatte noch nicht mal Tampons in meinem Badezimmerschrank bei Heiner.
Überhaupt habe ich schon ziemlich lange keinen Tampon mehr in der Hand gehabt. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie die Dinger genau aussehen.
Warum eigentlich nicht? Ich denke nach.
Wann hatte ich zuletzt meine Tage? Das ist vielleicht länger als vier Wochen her. Vielleicht auch länger als sechs Wochen. Oder acht Wochen? Auf jeden Fall deutlich zu lange.
Mir fällt ein, dass mir morgens immer flau im Magen war. Und wie war das mit dem Heißhunger auf Birne Helene?
»Sag mal, ist mir dir alles okay?« Olafs Nasenbluten scheint schon besser geworden zu sein. Er hat sich aufgesetzt und sieht mich besorgt an. Ich habe wohl ziemlich lange nachgedacht.
»Ich glaube, ich bin schwanger.«
»Schwanger? Von wem?«
»Keine Ahnung. Von niemandem.« Ich weiß es wirklich nicht. Hatte ich überhaupt mal Sex? Okay, mit Kilowatt, aber der war deutlich kondomgesichert und liegt gerade mal eine Woche zurück. Natürlich kommt nur Heiner in Frage. Eine von unseren seltenen Routine-Nummern, so öde, dass ich sie gar nicht richtig wahrgenommen habe. Wann lief noch mal die letzte Sendung Wetten, dass ...?
Während ich darüber nachgrübele, fährt Olaf zur
Nachtapotheke und besorgt einen Schwangerschaftstest. Ich will
Gewissheit!
Ich gehe ins Bad und pinkle in einen winzigen durchsichtigen Becher. Die Hälfte geht daneben. Dann ziehe ich mein Pipi mit einer Pipette – heißt die deswegen so? – auf und träufle exakt vier Tropfen in die mikroskopisch kleine Aufnahmeöffnung des Schwanger: Ja-oder-nein?-Test.
In der Anleitung wird verlangt, dass nach genau fünf Minuten das Ergebnis abgelesen wird. Ich sprinte zu Olaf, der im Wohnzimmer wartet, ordne an: »Sag mir in genau fünf Minuten Bescheid!«, greife mir zur Sicherheit aber seinen linken Arm und starre selbst auf die Uhr.
Erstaunlich, wie lang fünf Minuten sein können. Meine gesamte Kindheit kam mir kürzer vor. Im direkten Vergleich eher wie zwei Minuten.
Kurz bevor die Zeit um ist – zum Glück hat Olafs Uhr einen Sekundenzeiger –, renne ich zurück zum Bad, bleibe aber vor der Tür stehen.
»Olaf, kommst du bitte mit? Ich trau mich nicht!«, rufe ich und schicke noch ein nervöses »Schnell!« hinterher.
Er steht sofort neben mir. »Darf ich wirklich mit gucken?«
»Ja«, sage ich und ziehe ihn ins Bad. »Also: Ein Strich heißt nicht schwanger, zwei Striche bedeuten schwanger. Wie viele Striche siehst du?«
Olaf guckt sich das weiße Plastikteil näher an. »Eineinhalb.«
»Mach jetzt bitte keine Witze«, herrsche ich ihn an. Er ist ein Mann, kapiert er deshalb den Ernst der Lage nicht? »Das ist kein Witz. Guck doch selber!«
Ich werfe auch einen Blick auf das Testergebnis. Eindeutig: Eineinhalb Striche. Einer ganz deutlich, der zweite schwach, aber sichtbar. Von so einem Ergebnis steht nichts in der Gebrauchsanleitung. Hieß der Test nicht Schwanger: Ja oder nein? Ein total irreführender Name! Ich werde dem Hersteller vorschlagen, den zu ändern. Am besten in Schwanger: Ja, nein oder vielleicht?
»Vielleicht bist du ein bisschen schwanger«, vermutet Olaf. »Oder noch nicht so ganz.«
»Auf jeden Fall bin ich jetzt nicht schlauer als vorher.«
»Aber vielleicht gleich.« Olaf zieht einen zweiten Test aus der Tasche. »Ich habe zwei gekauft. Eigentlich wollte ich aus Solidarität auch einen machen, aber ich dachte dann, vielleicht brauchen wir den doch noch. Männliche Intuition.«
Der neue Test ist auf jeden Fall ganz leicht zu bedienen. Oder bin ich mittlerweile routiniert? Und das Ergebnis ist ...
»Eindeutig!« sagt Olaf, der wieder zuerst draufgucken darf.
»Eindeutig was?« Ich zwinge mich, die Augen zu öffnen und hinzusehen. Das Anzeigefeld leuchtet Signalrot.
»Eindeutig schwanger! Zwillinge. Eineiig. Mädchen. Musikalisch begabt«, sagt Olaf.
»Ausgeschlossen«, antworte ich, ohne es richtig zu merken. »In meiner Familie kann niemand ein Instrument spielen, und Heiners Sippe ist ja offensichtlich völlig taktlos.«
Schwanger.
Ich.
Wirklich.
Hmm.
Seltsam!
Seltsam ist auch, dass mir der Gedanke gar nicht unangenehm ist. Ein Kind? Das habe ich mir nie vorstellen können. Jetzt schon. Auf einmal. Nur weil dieses Feld dort rot leuchtet. Ein Signal von meinem Kind. Ich merke, wie mit gleichzeitig ganz warm und ein bisschen kalt wird.
Ich sehe Olaf an. Er hat Tränen in den Augen.
»Was hast du denn?«
»Ich bin gerührt«, schluchzt er. »Das ist so ein besonderer Moment. Versprich mir bitte, dass ich wenigstens Patenonkel werden darf.«
»Versprochen«, schluchze ich zurück und drücke
seine Hand. So fühlt es sich also an, Mutter zu werden. Ich könnte
die Welt umarmen! Ich muss sofort Mutti anrufen. Und Brigitte. Und
Dodo. Und Heiner? Nein, Heiner lieber nicht. Später
vielleicht.
Mutti verschlägt die Nachricht vom Enkelkind die Sprache. Zum ersten Mal erlebe ich, dass sie wirklich minutenlang nichts sagt. Kein: »Von wem ist es, wann wollt ihr heiraten, in welcher Woche bist du, du sahst neulich auch schon dicker aus, wie soll es heißen, ich hole schon mal den alten Stubenwagen vom Dachboden.« Irgendwann kommt ein: »Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet«. Und dann, endlich: »Das ist ja wunderbar!«
»Außerdem habe ich wieder Geld. Viel Geld.«
»Ich weiß. Das Bauland.«
Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sich manche Dinge im Dorf herumsprechen.
»Mutti, du möchtest doch sicher, dass ich zurückkomme. Aber ich weiß nicht, ob ich das will.«
»Kind, natürlich möchte ich das. Aber es ist völlig egal, was ich möchte. Du musst entscheiden, was richtig für dich ist. Das kann dir keiner abnehmen.«
Wir schweigen einen Moment.
»Pass auf dich auf!«, verabschiedet sich Mutti
dann. Komisch, so etwas sagt sie sonst nie.
»Ein Kind? Das kann ich mir gar nicht vorstellen! Was willst du jetzt machen?« Brigitte ist nicht annähernd so sprachlos wie meine Mutter.
»Keine Ahnung«, sage ich.
»Du könntest dir hier eine fette Hütte im Dorf bauen, eine richtige Villa. Monique wird platzen vor Neid. Und für Kinder ist das hier ein Paradies!«
»Du redest wie meine Mutter.«
»Das nehme ich jetzt mal als Kompliment. Komm zurück, du wirst die Queen of the Dorf sein. Von wem ist das Kind eigentlich?«
»Dazu möchte ich jetzt lieber nichts sagen.«
»Okay. Und, kommst du zurück?«
»Ich glaube nicht.« Hey, ich habe eine Entscheidung getroffen. Okay, die ist vielleicht noch etwas zaghaft formuliert, aber immerhin: Ich habe eine vage Ahnung. Nicht davon, was ich tun werde, aber zumindest davon, was ich nicht tun werde.
»Brigitte, mal ehrlich: Du wirst doch auch nicht bleiben. Du kaufst dir doch den Weinberg und dann bist du weg.«
Sie seufzt. »Da hast du vielleicht Recht.«
»Nicht nur vielleicht. Ich weiß, dass ich Recht habe. Und ich weiß auch, was ich tue: Ich lasse mein bisheriges Leben hinter mir. Ich fange ganz neu an.«
»Und du meinst, du kannst alles einfach so hinter dir lassen? Einfach so?«
»Warum nicht?«
»Damit das funktioniert, brauchst du ein Exorzismus-Ritual.«
Ich muss lachen. »Gute Idee. Was schlägst du vor?«
»Lass mich einen Moment überlegen ... Du könntest dreißig usbekische Bettelmönche bitten, eine rituelle Austreibung der alten Geister vorzunehmen.«
»Wo soll ich denn dreißig Mönche herbekommen?«
»Auch wieder wahr. Du könntest aber auch einfach etwas verbrennen, das dein bisheriges Leben symbolisiert. Ein Kleidungsstück oder einen Liebesbrief von Heiner.«
»Du weißt genau, dass er mir nie einen geschrieben hat. Aber trotzdem danke für den Tipp. Ich habe da schon eine Idee.«
Olaf guckt ein wenig erstaunt, als ich ihn mit meinem Plan konfrontiere.
»Wir werden ein Haus anzünden. Als Zeichen, dass wir unser bisheriges Leben hinter uns lassen.«
»Wie bitte?« Ich glaube, er glaubt mir nicht.
»Wir werden ein Haus anzünden«, wiederhole ich langsam. »Das ist praktizierter Exorzismus.«
»Ich wusste gar nicht, dass du religiös veranlagt bist.«
»Bin ich auch nicht. Aber damit ich neu anfangen kann, muss ich endlich aktiv werden. Und du auch.«
»Und du findest, dass Brandstiften eine geeignete Aktivität ist? Wie wäre es mit Joggen oder Töpfern oder Strampelanzug-Stricken?«
»Zu lasch. Ich will etwas Richtiges. Etwas Heftiges.« Ich bin voller Tatendrang.
»Das sind die Hormone, das lässt wieder nach«, behauptet Olaf. »Nur mal angenommen, ich lasse mich auf diese verrückte Idee ein ... welches Haus sollen wir denn anzünden?«
»Na, dieses hier.«
»Dieses? Ach so.«
»Genau. Oder ein anderes aus dem Massivhauspark. Oder gleich alle. Der Massivhauspark als Symbol für unser bisheriges Leben.« Ich finde mich überzeugend. Olaf noch nicht ganz.
»Ich weiß nicht«, sagt er nur. Aber ich merke, dass er langsam an der Idee Gefallen findet.
»Aber ich weiß! Und ich fühle! Ich fühle, dass das genau das Richtige ist.«
»Zumindest würde ich dem blöden Sack eins auswischen.« Aha! Endlich zeigt Olaf, dass ihm das Verhalten seines Exlovers doch näher gegangen ist, als er bisher zugegeben hat. »Der würde sich schlimmer ärgern als Rumpelstilzchen. Versichert ist jedes einzelne Haus hier bestimmt gut, aber sein Ego würde leiden. Und er würde bestimmt nie wieder einen hoch bekommen. Denn für ihn sind die Häuser und sein Erfolg damit doch so etwas wie Potenzkrücken. Ist dir eigentlich aufgefallen, wie phallisch die Limousine geformt war?« Ein gefährliches Glitzern tritt in seine Augen. Oha! Und da heißt es immer, eine betrogene Frau wäre gefährlicher als eine geladene Kalaschnikow. Eventuell sollte ich ihm noch einmal erklären, dass wir wirklich nur dieses eine Haus abfackeln, nicht das gesamte Lebenswerk seines fiesen Ex-Winnie-the-Poohs.
»Also, bist du dabei?«
»Aber klar!«
Wir steigern uns noch ein wenig in den Plan hinein, dann machen wir uns auf die Suche nach brennbarem Material. In einem der Häuser finden wir etwas Grillanzünder und eine angebrochene Flasche Brennspiritus, wahrscheinlich von Frau Nelkes kleinem Grillfest. In der Garage eines anderen steht noch ein Kanister Benzin. Um Streichhölzer zu finden, brauchen wir etwas länger. Doch schließlich finden wir eine Packung Welthölzer, ausgerechnet im Präsentationszelt des Designerhauses.
Als wir aus dem Zelt heraustreten, zucke ich zusammen. »Guck mal!«, sage ich erschreckt.
»Was denn?«
»Da hinten!« Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine dunkle Gestalt gesehen habe, die hinter einem Haus verschwunden ist.
»Ich sehe nichts.«
»Ich auch nicht. Also, jetzt nicht mehr. Aber ich glaube, da war was ...«
»Eine weiße Maus vielleicht?« Olaf grinst mich an. »Wer soll sich denn jetzt hier noch rumtreiben? Du weißt doch, nach den Öffnungszeiten kommt hier niemand hin, es gibt ja nicht mal einen Nachtwächter. Dir werden doch nicht etwa die Nerven durchgehen? Weißt du ... wir müssen das nicht machen, wenn du es nicht wirklich willst. Wir können immer noch ... irgendetwas harmloseres tun.«
Ich schüttele energisch den Kopf. »Nein! Ich bin lange genug harmlos gewesen! Los, komm.«
Olaf und ich schleppen unsere Beute zurück in Modell Edeltraut und bauen sie auf dem Couchtisch auf. Wir schweigen einen Moment, dann fragt Olaf: »Und damit können wir jetzt Feuer legen?«