FREITAG
Am Donnerstagabend hatte ich noch mehrmals bei Natalie angerufen, aber vergeblich. Ich schlief schlecht und beim Frühstück legte Mama beunruhigt ihre Hand auf meine Stirn und fragte, ob ich Fieber hätte, aber ich behauptete, ich sei bloß müde.
Ausnahmsweise sehnte ich die Schule herbei. Ich musste dringend mit Natalie reden.
Aber sie weigerte sich, mit mir zu sprechen.
Nach mehreren misslungenen Versuchen packte ich sie schließlich am Arm und versuchte sie festzuhalten, aber sie riss sich los und lief davon. Ich wagte nicht, hinter ihr herzurennen, die Erinnerung an den Zoff mit Simon war noch zu frisch.
Doch dann kam mir das Schicksal in Per Lundströms waldschratähnlicher Gestalt zu Hilfe.
Er war zu dem Schluss gekommen, die beste Möglichkeit, uns in Religion zu unterrichten, sei durch Gruppenarbeit. Wir durften uns aus einer Liste, die er an die Tafel schrieb, ein Thema aussuchen.
Ich döste vor mich hin, bis ich den vierten Vorschlag las. Der war wie für mich geschaffen.
Die griechischen Götter der Antike.
Natalie schnappte mir die Aufgabe vor der Nase weg.
„Aber hallo!“, protestierte ich laut. „Meine Mutter hat den griechischen Göttern ihr ganzes Leben gewidmet. Darüber will ich schreiben.“
Lundström, der die Kunstwerke meiner Mutter kannte, nickte nachdenklich.
„Ihr könnt es doch zusammen machen? Du musst doch nicht immer mit Jo zusammenarbeiten, oder?“
Jo zuckte die Schultern. Von ihr aus war es okay.
Insgeheim jubelte ich. Vielen Dank, Herr Lundström! Das kam ja wie bestellt!
Nur Natalie presste die Lippen zusammen.
„Muss ich?“
Lundström seufzte und sah sie unzufrieden an.
„Ehrlich gesagt läuft es in letzter Zeit bei dir nicht besonders gut. Ein wenig Hilfe kann da nicht schaden.“
Natalies Unterlippe zitterte. Ich an ihrer Stelle hätte mit irgendeiner Unverschämtheit gekontert oder wäre aufgestanden und davonmarschiert. Aber sie blieb einfach sitzen, biss sich auf die Lippe und starrte auf die Bank, während Lundström seine Themen weiter verteilte, ohne zu merken, wie sehr sie litt und sich schämte.
In der Mittagspause ging ich ins Sekretariat, um mich zu erkundigen, ob es in der Schule einen Schüler gab, der Karlsson hieß und im Mossvägen wohnte.
Seit ich mich erinnern kann, arbeitet Birgit Kvist im Sekretariat. Frau Kvist ist echt cool, sie ist mindestens einen Kopf größer als die meisten in ihrer Umgebung und fährt mit dem Motorrad zur Schule. Sie hatte nichts dagegen, mir zu helfen.
Nach kurzer Suche im Computer fand sie die richtige Person.
„Mikael Karlsson. Aus der 7 A.“
Wer war das?
Bestimmt einer der toughen kleinen Jungs, die um Jimmy und Stoffe herumschwänzelten und so sein wollten wie die beiden.
Ich fragte mich auf dem Schulhof durch, bis ein Mädchen aus seiner Klasse mir Mikael zeigte. Er war ein kleiner, dünner Kerl mit Brille, der allein abseitsstand.
Ich erkannte ihn sofort wieder. Das war der Junge, den Marko und seine Kumpel gestern umringt hatten und den ich den ganzen Tag gesucht hatte.
Er sah nicht so aus, als wäre er jemand, der bedrohliche Nachrichten verschickt.
Um zu verhindern, dass er bei meinem Anblick wieder das Weite suchte, schlich ich mich von hinten an ihn heran.
Er fuhr rasch herum und hielt unruhig nach der Pausenaufsicht Ausschau.
„Ja-a.“
„Warum hast du mir eine SMS geschickt?“
Er wurde feuerrot im Gesicht und sah erschocken aus. Meinem Blick zu begegnen traute er sich nicht.
„Das hab ich nicht“, murmelte er.
„Dann muss es deine Mutter gewesen sein. Warum …“
Er hörte mir nicht zu, sondern flitzte davon.
Ich nahm die Verfolgung auf, aber Per Lundström kam mir in die Quere und stellte sich mir in den Weg.
„Warum verfolgst du Mikael?“
„Ich will mit ihm reden“, sagte ich und versuchte um ihn herumzurennen.
Lundström hielt mich am Arm fest.
„So wie er davongesaust ist, schien er aber nicht mit dir reden zu wollen. Um was geht es denn?“
„Um nichts.“
„Na, dann ist es ja gut.“
Er ließ meinen Arm los, musterte mich aber mit bekümmerter Miene.
„Ich erkenne dein Verhalten gar nicht wieder.“
„Ach ja?“
„Aber ich weiß, dass du eigentlich ein anständiges Mädchen bist. Falls dich irgendwas bedrückt, weißt du, wo du mich finden kannst.“
Ich konnte mir sein Gesicht schon vorstellen, wenn ich ihm von der Nachricht erzählte, die ich von Mikael Karlssons Mutter auf dem Handy erhalten hatte. Besser, ich hielt den Mund. Er würde sowieso nichts begreifen.
„Ja, vielen Dank“, sagte ich und trottete davon.
Vielleicht würde sich irgendwann eine bessere Gelegenheit ergeben, um aus Mikael die Wahrheit herauszupressen.
Aber vorher musste ich mit Natalie reden.
Natalies Körperhaltung drückte aus, für sie sei es ein Schicksal schlimmer als der Tod, mit mir zusammenarbeiten zu müssen.
Sie schaute zu Boden und ließ mich einfach wild drauflosreden.
Schließlich gab ich auf und ging schweigend neben ihr her.
Obwohl Natalie in meiner Nähe lebte, war ich noch nie bei ihr zu Hause gewesen. Sie wohnte in einem großen weißen Bungalow. Der Briefkasten war mit einem Landschaftsmotiv bemalt und an der blau gestrichenen Haustür hing ein geschnitztes Holzschild mit dem Namen: Lindgren.
Eine schwarze Katze kam uns entgegen. Sie strich zurückhaltend an der Dielenwand entlang und musterte mich misstrauisch, bevor sie zu mir herhuschte.
„Jemand hat behauptet, deine Katze wäre tot“, sagte ich erstaunt.
„Sieht es etwa danach aus?“, versetzte sie kurz.
Sie ging in die Küche und ich kam hinterher, die Katze auf den Fersen.
Es war eine helle Küche mit großen Fenstern und einer Sprossentür zum Garten, durch die die blassen Strahlen der Spätwintersonne hereinfielen.
Natalie deutete mit der Hand auf die hohen Stühle vor der Kücheninsel. Ich kramte meine Bücher und einen Kollegblock heraus und kletterte auf den Barhocker.
Sie legte ihren Block neben meine Bücher und ging zum Kühlschrank.
Super, jetzt gibt’s eine Stärkung, dachte ich.
Natalie kam mit einem Glas Orangensaft und einem Teller zurück, auf dem ein Doppelbrot lag, und ließ sich neben mir nieder.
Dann biss sie ruhig von ihrem Brot ab und wartete darauf, dass ich anfing. Ich hatte schließlich behauptet, ich wisse alles über die griechische Mythologie.
Ich verfolgte jeden Bissen, den sie nahm, hungrig mit den Augen und verstand plötzlich, wie es für Wuff sein musste, wenn ich aß.
„Sind deine Eltern noch bei der Arbeit?“, fragte ich.
„Ja. Meine Mutter ist Maklerin und mein Vater verreist.“
„Ist doch ganz schön ätzend, oder? Mein Vater hat früher auch in einer anderen Stadt gearbeitet.“
Sie zuckte die Schultern, als wäre ihr das egal.
„Meiner arbeitet im Ausland.“
Sie steckte sich die letzten Krümel in den Mund.
„Womit fangen wir an?“
„Mit Aphrodite?“, schlug ich grinsend vor.
Sie beantwortete mein Lächeln nicht.
„Was gibt es noch für welche?“
„Zeus, Hera, Artemis, Apollon, Demeter, Ares, Pallas Athene, Adonis …“
„Hilfe!“
„… Dionysos, Persephone …“
Sie stöhnte laut.
„Wie sollen wir es schaffen, über die alle was zu schreiben?“
„Im Internet steht jede Menge darüber. Und in Nachschlagewerken. Meine Mutter hat viele davon. Am besten, wir fangen mit dem Internet an, oder?“
„Äh, der Computer steht in meinem Zimmer, und da sieht’s zurzeit wüst aus …“
„Da solltest du erst mal meins sehen!“
„Ich möchte vorher ein bisschen aufräumen. Warte!“
Ich nickte und hoffte, sie würde mich fragen, ob ich solange ein Glas Saft und was zu essen haben wollte.
„Ich hab Durst“, sagte ich listig.
„Im Schrank über der Spüle stehen Gläser.“
Damit verschwand sie.
Ich hüpfte von dem wackligen Barhocker, ging an den Wandschrank über der Spüle, holte mir ein Glas und füllte es mit kaltem Wasser.
Das Geräusch lockte die Katze an. Sie kam her und rieb sich schnurrend an meinen Beinen.
„Dein Frauchen ist echt knickrig“, flüsterte ich. „Stimmt’s?“
Die Katze antwortete mit einem Miau und tappte zur Terrassentür hinüber.
„Miau.“
„Draußen ist es aber kalt.“
Die Katze kratzte an der Tür.
„Wirst es gleich merken.“
Ich fasste den Türgriff an. Er ließ sich umdrehen. Ich hatte vor, die Tür nur einen Spalt weit aufzuschieben, um die Katze die Kälte spüren zu lassen. Aber dabei rutschte meine Hand aus, worauf die Tür sperrangelweit aufging.
Die Katze schlüpfte hinaus, setzte mit ein paar geschmeidigen Sprüngen über den Rasen und verschwand in die Tannenhecke hinein.
In diesem Moment kam Natalie wieder in die Küche.
„Wir können …“
Sie hielt mitten im Satz inne und sah die offene Tür misstrauisch an.
„Ist es dir zu warm?“
„Ööh, mir ist was passiert.“
„Was?“
„Deine Katze ist rausgelaufen.“
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich blitzschnell und wurde zu einer wütenden Maske mit tausend Zornesfalten. Sie war drauf und dran, über mich herzufallen und mir die Augen auszukratzen.
„Hast du Molly rausgelassen?“
„Sie ist von alleine rausgelaufen.“
„Aber du hast ihr aufgemacht. Bist du wahnsinnig?“
„Ist sie denn keine frei laufende Katze?“
Anstatt meine Frage zu beantworten, fluchte sie und nannte mich Idiot und Spacko und andere wenig schmeichelhafte Dinge, bis ihr Geschrei in Tränen überging.
Wenn sie Jo gewesen wäre, hätte ich versucht, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Aber ich kannte Natalie nicht besonders gut und traute mich daher nicht, so etwas zu tun. Außerdem war ich an ihrer Empörung schuld, daher hätte sie es in diesem Moment wohl kaum geschätzt, von mir umarmt zu werden.
Aber ich strich ihr wenigstens unbeholfen über den Rücken.
Ihr Geheul verwandelte sich in ein stilleres Weinen.
„Komm, wir gehen raus und suchen sie!“, schlug ich vor, als sie sich etwas beruhigt hatte.
Wir zogen unsere Jacken an und folgten den kleinen Pfotenspuren im Schnee bis zur Tannenhecke und von dort hinüber zum Nachbargrundstück.
Das Wetter hatte sich rasch verschlechtert. Bedrohliche Wolken hingen tief über den Dächern und sahen aus, als könnten sie jeden Moment aufplatzen und schwere Schneeflocken herabschütten. Dann würden die Spuren ganz zugedeckt.
Natalie war angespannt, machte mir aber keine Vorwürfe mehr.
Ich stellte mir vor, wie mir zumute wäre, wenn Wuff davongelaufen wäre, und konnte gut nachempfinden, was für Qualen sie gerade litt.
Natalie lockte mit zitternder Stimme.
„Miez, Miez. Komm, Molly, Molly.“
Ich begnügte mich damit, Ausschau zu halten. Mich kannte die Katze ja nicht. Ich würde sie mit meinem Rufen vielleicht nur abschrecken.
Wir liefen durch die Nachbargärten. Die Spuren vermischten sich bald mit anderen. Schließlich wussten wir nicht mehr, welche Molly gehörten.
Doch das hinderte uns nicht daran, immer weiter weg zu suchen, unter Büsche und Zweige zu spähen und schneebedeckte Äste hochzuheben.
Mir fiel ein, dass Katzen oft auf Bäume klettern, wenn sie erschrecken, und schaute daher immer wieder nach oben.
Wir näherten uns der großen Hauptstraße. Das Rauschen des Verkehrs wurde immer lauter.
Natalie stöhnte auf und ich wusste, was sie dachte. Wenn die Katze zur großen Straße gelaufen war, bestand die Gefahr, dass sie überfahren worden war.
„Womöglich ist sie schon wieder zu Hause“, schlug ich hoffnungsvoll vor.
„Das ist möglich. Vielleicht sollten wir …“
Plötzlich blieb sie jäh stehen.
„Molly!“
Ich schnappte nach Luft und wappnete mich vor irgendeinem schrecklichen Anblick.
Aber was ich zu sehen bekam, war Natalie, die mit ausgestreckten Armen und lautem Freudengeheul geradezu voranflog.
In einer Garageneinfahrt stand ein weißer VW-Kombi. Auf seiner Motorhaube lag eine schwarze Katze. Sie erhob sich langsam, streckte sich und machte dann einen weichen Satz in die Arme ihres Frauchens.
Ich befühlte die Motorhaube. Sie war warm. Typisch Katze!
Leichten Schrittes machten wir uns auf den Rückweg. Natalie schmuste mit ihrer Katze, völlig in ihre eigene Welt versunken.
„Na, das ist ja noch mal gut gegangen“, sagte ich schließlich.
Sie warf mir einen mörderischen Blick zu.
„Du hättest sie nicht rauslassen dürfen!“
„Das war nicht mit Absicht, aber sie ist doch immerhin eine frei laufende Katze?“
Natalie nickte stumm.
„Und du hast doch noch eine Katze gehabt?“, fragte ich versuchsweise.
Sie beschleunigte ihre Schritte. Offensichtlich wollte sie nicht reden. Doch das wollte ich.
„Natalie, ich hab eine SMS gekriegt, die sich auf deine tote Katze bezog. Das war eine Art Warnung.“
„Dann hör endlich damit auf, deine Nase überall reinzustecken!“
„Aber es stimmt doch, dass Jimmy und Stoffe dich mobben?“
„Ich will nicht darüber reden!“
„Kannst du nicht zum Rektor gehen? Ich würde dir gern helfen und mitkommen.“
Wir waren angelangt. Sie ging die Treppe zum Haus hoch und wandte sich zu mir um.
„Mir kann niemand helfen!“
Die Katze in ihren Armen versuchte sich zu befreien, aber Natalie hielt das zappelnde Tier fest an sich gedrückt. Weil sie nicht aufmachte, nahm ich an, sie wolle mich nicht wieder ins Haus lassen, doch sie deutete mit dem Kopf auf ihre Tasche.
„Der Schlüssel liegt dadrin.“
Ich angelte den Schlüssel für sie heraus und schloss auf.
Erst als die Tür zu und abgeschlossen war, riskierte sie es, die Katze herunterzulassen. Mit einem Satz verschwand Molly ins Haus hinein.
„Bitte, Natalie, erzähl mir, was los ist!“, bat ich sie. „Sie sind auch hinter mir her. Sie haben mich schon direkt angerempelt und vor meinem Haus Wache gehalten.“
„No shit, Sherlock! Das hast du dir selbst zuzuschreiben, Miss Detective!“
Es kränkte mich zwar, dass sie mich so verhöhnte, doch dann schluckte ich meinen Ärger.
„Was wollen die eigentlich?“
„Das möchtest du also wissen!“, schnauzte sie mich an. „Und helfen willst du auch! Null Chance, kann ich dir bloß sagen! Niemand, kapierst du, niemand kann sich gegen die wehren. Jimmy und Stoffe sind nicht allein. Da gibt’s noch andere.“
„Und die haben deine zweite Katze geholt?“
Sie seufzte tief und verschwand in eine andere Welt. Ich wartete geduldig. Sie schluckte ein paar Mal, bevor sie den Kopf hob und mich ansah.
„Missa war die liebste Katze, die es gab … Sie haben sie gefoltert …“
Es wurde still.
Dafür war ich dankbar. Mehr wollte ich nicht hören.
„Und darum muss ich den Mund halten und tun, was sie verlangen“, sagte sie mit etwas festerer Stimme. „Sonst holen sie auch noch Molly. Und danach bin ich selbst an der Reihe. Verstehst du?“
Ich schüttelte stumm den Kopf, obwohl ich begriff, dass sie keine Antwort erwartete.
„Aber deine Eltern müssen sich doch gewundert haben, als die Katze verschwand.“
„Ich hab behauptet, sie wäre entlaufen. Wir haben in der Nachbarschaft Handzettel aufgehängt, obwohl ich schon wusste … Also hör mit dem Gelaber auf, du könntest mir helfen! Pass lieber auf deinen eigenen Hund auf …“
Sie weinte leise.
Ich stand in der Diele und versuchte zu verdauen, was sie gesagt hatte. Nicht nur Jimmy und Stoffe. Sie hatten Natalies Katze umgebracht. Sie gefoltert.
Aber warum?
„Was wollen die denn?“
Natalie schnäuzte sich und seufzte.
„Geld. Anfangs fünfzig Kronen, und damit rückt man irgendwann auch raus, weil man sich Prügel ersparen will. Aber dann wollten sie mehr. Geld, Zigaretten, Süßigkeiten, meinen neuen MP3-Player, den Schmuck meiner Mutter …“
„Was würde passieren, wenn du Nein sagst?“
„Das hab ich doch getan. Und da … haben sie … Missa geholt.“
Ich glaubte, sie würde wieder in Tränen ausbrechen, doch sie biss die Zähne zusammen.
„Und wenn du sie bei der Polizei anzeigst?“, fragte ich, nachdem sie sich gefasst hatte.
„Weswegen denn? Ich bin doch diejenige, die Sachen klaut und irgendwann erwischt wird. Die tun ja gar nichts.“
Ich dachte an Marko, der eine CD geklaut hatte, während die anderen bloß zuschauten. Und er war es gewesen, der die Tasche mit den gestohlenen Klamotten aus dem Laden geschleppt hatte. Nicht die anderen.
Es war ein richtig abscheulicher Plan. Sie ließen andere den Job machen und die Risiken eingehen. Wer erwischt wurde, war selber schuld. Die Drahtzieher kämen ungeschoren davon. Sie hatten ja nichts getan, genau wie Natalie sagte.
Ich versuchte die Puzzleteilchen zu einem größeren Ganzen zusammenzufügen, um dahinterzukommen, wer alles in der Sache mitmischte, als Natalie meine Gedanken unterbrach.
„Du musst mir versprechen, kein Wort zu verraten!“
Ihre Augen hatten einen flehenden, aber zugleich harten Ausdruck. Sie fixierte mich mit starrem Blick.
„Aber …“
„Versprich es! Wenn du es nicht für mich tun willst, dann wenigstens für dich. An niemanden auch nur ein Sterbenswörtchen! Du wirst es bereuen, wenn du nicht den Mund hältst!“
„Ich lass mich nicht gern unter Druck setzen.“
„Wer tut das schon, verdammt noch mal!“
„Aber die Polizei …“
„Dann wird alles nur schlimmer, Svea.“
Ich seufzte.
„Ich muss es mir noch überlegen.“
„Sag mir wenigstens rechtzeitig Bescheid, bevor du redest.“
„Was willst du dann machen?“
„Molly nehmen und fliehen.“
Ich lachte kurz auf.
Dann sah ich ihr Gesicht.
Sie meinte es todernst.
Natalie und ich hatten jegliches Interesse an den Göttern der Antike verloren. Ich blieb trotzdem noch eine Weile in ihrem Zimmer sitzen, während sie Molly streichelte, ohne etwas zu sagen.
Als mein Magen immer lauter knurrte, stand ich auf. Für unsere Aufgabe hatten wir immerhin noch eine Woche Zeit.
Auf dem Heimweg holte ich mein Handy raus und hörte mir mein Gespräch mit Natalie an, das ich insgeheim auf dem Handy aufgenommen hatte. Meine Stimme war deutlicher zu hören als ihre, aber das Wichtigste war drauf: Ihr Geständnis, dass sie zu kriminellen Taten gezwungen worden war. Vielleicht würde ihr Wort irgendwann gegen meines stehen, und dann brauchte ich einen Beweis dafür, dass ich die Wahrheit sagte.
Ich ging schnurstracks zu Linus. Natalie hatte mich zwar angefleht, den Mund zu halten, aber auf Linus konnte ich mich verlassen.
Allerdings vergewisserte ich mich zuerst, dass Paulina nicht da war. Das war sie nicht. Seine Eltern waren auch noch unterwegs.
Wir gingen nach oben in sein Zimmer, wo ich ihm mein Gespräch mit Natalie vorspielte. Linus hörte es sich schweigend an, während sein Gesicht sich immer stärker verfinsterte. Erst als die Aufnahme zu Ende war, stieß er einen tiefen Seufzer aus.
„Wie kann man bloß! Das ist ja so was von grausam! Und feige! Also, ich meine, sich ein unschuldiges Tier als Opfer auszusuchen!“
„Ja, nicht wahr! Und garantiert hat sich Simons Kaninchen das Ohr nicht bei irgendeinem Unfall verletzt. Die erpressen ihn auch. Aber Marko, hat der denn einen Hund oder eine Katze …?“
Bevor ich meine Frage überhaupt beendet hatte, kam mir die Antwort.
„Seine Schwester!“
„Anna!“
Unsere Worte hallten durch die Luft, während wir uns anstarrten.
„Das ist ja der absolute Wahnsinn!“, stöhnte ich.
Wir saßen beide schweigend da und dachten nach. Ich bekam allmählich richtig Angst. Die ganze Sache war viel größer, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Und schlimmer.
„Aber eins versteh ich nicht“, sagte Linus nachdenklich nach längerer Zeit. „Seit ich in diese Schule gehe, bedrohen Jimmy und Stoffe andere Schüler mit dem Messer und knöpfen ihnen Geld, Zigaretten und Handys ab. Aber weil niemand sich traut, gegen sie auszusagen, werden sie nie erwischt. Warum haben sie dann ihre Taktik geändert?“
Ich schüttelte langsam den Kopf.
„Kapier ich auch nicht. Aber vielleicht haben sie Schiss davor, in Läden was zu klauen. Das Risiko, erwischt zu werden, ist größer, weil es dort Überwachungskameras und Diebstahlsicherung gibt.“
„Mhm. Und darum opfern sie Marko. Und falls du was verrätst, ist er auch übel dran. Du bist Zeuge, dass Jimmy und Stoffe keinen Finger gerührt haben.“
„Aber ich hab Beweise dafür, dass sie in der Nähe waren, als Marko klaute.“
„Na ja, auf deinen Fotos hab ich nicht besonders viel gesehen.“
Du hast bloß Paulina gesehen, dachte ich, holte aber mein Handy hervor. Das erste Foto ließ mich innehalten. Es zeigte Simon, als er sich über den jungen Mann bückte, der an der Bushaltestelle zusammengeschlagen worden war. Das weckte schlimme Erinnerungen, also blätterte ich schnell weiter.
Wir sahen alle Fotos noch einmal zusammen durch. Meine Laune wurde immer düsterer. Das Einzige, was sie bewiesen, war, dass Marko mit Elias, Jimmy und Stoffe zusammenhockte oder durch die Gegend spazierte.
„Total wertlos!“, seufzte ich.
„Du hast dein Bestes getan“, tröstete Linus.
Ich seufzte noch mal, doch dann kam mir ein Gedanke.
„Eigentlich komisch, oder? Erpressung und ausgeklügelte Pläne, das klingt so gar nicht nach Jimmy und Stoffe. Kann es Elias sein, der das alles geplant hat?“
Linus zuckte stumm die Schultern.
„Aber man müsste es trotzdem irgendwie schaffen, sie auffliegen zu lassen“, fuhr ich fort.
„Hat irgendjemand dich um Hilfe gebeten?“
„Nein, im Gegenteil. Man hat mich gebeten, abzuhauen oder die Klappe zu halten.“
„Na dann.“
„Aber dann werden sie immer weitermachen.“
„Halt dich doch einfach raus“, sagte Linus müde.
„Nein, es muss eine Möglichkeit geben, sie zu überlisten, noch mehr Beweise aufzutreiben und ihre Opfer zur Zusammenarbeit zu bewegen – Natalie, Simon und Marko und all die andern, die sie zwingen, Geld und Sachen für sie zu anzuschleppen.“
„Die hätten doch schon längst was unternommen, wenn sie nur eine Ahnung hätten, wie sie das anstellen sollten.“
„Aber die haben doch schließlich Eltern! Warum sind Markos Eltern nicht zur Polizei gegangen, als Anna runtergestoßen wurde?“
„Was weißt du denn? Vielleicht haben sie ja mit der Polizei gesprochen, aber wenn Marko schweigt und Anna nichts gesehen hat, kann die Polizei nicht viel tun.“
Ich seufzte.
„Wir müssen trotzdem einen Versuch starten.“
„Sonst?“
„Sonst bringe ich meine Tonaufnahme von Natalie zur Polizei.“
Linus schüttelte den Kopf und seufzte schwer.
„An deiner Stelle würde ich mich wirklich lieber raushalten.“
„Du weißt, dass ich das nicht kann“, sagte ich und ging.
Als ich nach Hause kam, wurde ich von Parfümduft empfangen und gleichzeitig auch von Wuff, die ihren großen Teddy anschleppte. Ich hätte den Duft nach einem herzhaften Eintopf vorgezogen und war enttäuscht. Wollten Mama und Papa ausgehen?
Mama kam die Treppe herabgeschwebt. Sie trug ihre eleganteste Hose und dazu ein glitzerndes Top. Ihr blondes Haar hing ihr leicht gelockt offen über die Schultern.
„Ich wollte schon anrufen. Wo bist du denn gewesen?“
„Bei einem Mädchen aus meiner Klasse, eine Gemeinschaftsarbeit machen. Wohin wollt ihr?“
„Wir sind bei Papas neuem Chef zum Abendessen eingeladen.“
Papa tauchte hinter ihr auf, im dunklen Anzug mit weißem Hemd.
Sie waren ein schönes Paar.
„Chic seht ihr aus“, bemerkte ich traurig.
Ich fühlte mich plötzlich allein und verlassen mit all meinen Sorgen. Ich wollte auch auf ein Fest gehen, mich amüsieren, lachen und alles Schreckliche vergessen.
„Danke“, sagte Mama lächelnd.
Papa half ihr in den Mantel. Sie strahlte ihn an.
„Im Kühlschrank steht was zu essen“, sagte Mama. „Wir kommen …“
„… wann ihr kommt“, beendete ich für sie den Satz.
Mama lachte und tanzte zur Tür hinaus, mit Papa auf den Fersen.
Ihr Parfümduft hing, noch lange nachdem sie verschwunden waren, in der Luft.
Ich holte eine Portion Spaghetti mit Fleischsoße aus dem Tiefkühlfach, wärmte den Behälter in der Mikrowelle und aß vor dem Fernseher. Ich zappte zwischen den Sendern herum und blieb bei witzigen Heimvideos hängen, Katzen und Hunde, die sich irgendwie blamierten. Sie waren rührend.
Meine Gedanken glitten zu Natalies Katze hinüber. Die war zu Tode gequält worden.
Wer konnte so etwas tun?
Ich ertrug es nicht, daran zu denken.
Genau im selben Moment, als ich nach dem Handy tastete, um Linus anzurufen, rief er an und schlug einen Spaziergang mit den Hunden vor.
Ich war überglücklich. Vielleicht hat er doch ein klein bisschen was für mich übrig, dachte ich.
Ich trug etwas Mascara auf, zog einen Lidstrich mit dem Kajalstift und beendete das Ganze mit einem Lipgloss, der nach Himbeeren schmeckte.
Doch das würde Linus wohl kaum feststellen.
Als wir uns auf der Straße trafen, begrüßten Wuff und Glöckchen einander hocherfreut. Zu meiner Enttäuschung sah Linus dagegen keineswegs besonders froh aus. Und er sagte auch kein Wort. Aber er muss trotzdem gern mit mir zusammen sein, dachte ich. Sonst hätte er doch nicht angerufen. Gute Freunde können sich anschweigen und dennoch die gegenseitige Gesellschaft genießen.
Und das tat ich.
Wir hatten zwanzig, dreißig Meter von unserer üblichen Runde zurückgelegt, als Linus plötzlich hörbar Luft holte.
Vor uns tauchte eine Gruppe Jungs aus einer Querstraße auf. Das konnte natürlich ein Zufall sein, aber ich bekam unmittelbar das Gefühl, dass sie dort gestanden und gewartet hatten. Vor allem, als ich sah, wer sie waren.
Jimmy, Stoffe und Elias. Begleitet wurden sie von drei jüngeren Schülern aus unserer Schule. Ich kannte sie dem Aussehen nach, wusste aber nicht, wie sie hießen.
Die Straßenlaterne beleuchtete sie von hinten und warf einen großen kompakten Schatten auf den Schnee.
Mein Herz begann in der Brust zu hämmern. Linus und ich warfen uns Blicke zu, ich ging jedoch eigensinnig weiter, Wuff kurz angeleint eng neben mir.
Das war meine Gegend, hier wohnte ich. Die Jungs dort waren die Fremden. Wenn jemand verschwinden sollte, dann sie.
Die Jungs kamen Seite an Seite auf uns zu ohne auch nur einen Zentimeter auszuweichen. Wir waren nur ein paar Meter voneinander entfernt, als Jimmy und Stoffe auf mich zustürzten. Sie griffen mich von links und rechts an und warfen mich zu Boden. Dabei glitt mir Wuffs Leine aus der Hand.
Als ich mich aufzurappeln versuchte, machte sich einer der jüngeren Typen über mich her und stieß mich wieder zu Boden.
Ich war außer mir vor Angst, vor allem weil Wuff frei auf der Straße herumlief. Wenn ein Auto käme, könnte sie überfahren werden.
Ich machte einen erneuten Versuch, auf die Beine zu kommen und rief gleichzeitig:
„Wuff! Wuff!“
Die Jungs hatten bestimmt keine Ahnung, wie mein Hund hieß. Sie starrten mich an, als wäre ich nicht ganz normal.
Ich nutzte die Verwirrung und kam halbwegs wieder hoch, bevor Jimmy mich wieder umstieß.
Elias hatte Wuffs Leine an sich gerissen. Er zog sie von mir weg, aber Wuff sträubte sich und stemmte die Pfoten gegen den Boden. Dabei schnürte ihr das Halsband den Hals so zu, dass sie husten musste. Es klang, als würde sie sich übergeben.
Ich stürzte mich auf Jimmy, packte sein eines Bein und zerrte daran. Er fiel neben mir hin.
Im Bruchteil einer Sekunde stand ich wieder auf den Beinen, wurde aber von Stoffe aufgehalten. Er packte mich mit hartem Griff von hinten und hielt mich an beiden Armen fest.
Ich zappelte und wand mich und schrie vor Schreck und Wut, voller Angst um Wuffs und meine eigene Sicherheit.
Plötzlich ließ Elias Wuff los. Wie auf ein vereinbartes Zeichen hin kam ich auch frei.
Wuff stürzte auf mich zu, stürmte aber zu heftig heran, um mich begrüßen zu können. In wilder Ekstase, mit wehender Leine, flog sie um mich herum. Für sie war alles wieder gut. Sie merkte nichts von der feindseligen Stimmung, die immer noch dampfend in der Luft hing.
„Komm her, Wuff!“, rief ich.
Elias ging in die Knie und streckte die Hand aus.
„Komm, komm!“
Wuff hielt inne und horchte. Mit neugieriger Schnauze schnupperte sie durch die Luft zu Elias’ Hand hin und machte ein paar Schritte auf ihn zu.
„Nein, halt!“, befahl ich.
Wuff schielte unschlüssig zu mir her, schlug ein paar Mal schnell mit dem Schwanz, blieb aber stehen.
Elias warf etwas vor ihrer Schnauze auf den Boden. Es sah aus wie ein Stück Fleisch.
Wuff leckte sich die Lefzen.
Ich sprang vor.
„Nein!“
Aber Wuff war schneller. Schwups, hatte sie den verlockenden Leckerbissen verschluckt, bevor ich sie erreichen konnte.
Ich warf mich auf sie, packte ihren Kopf mit hartem Griff und sah ihr streng in die warmen braunen Augen.
„Du sollst gehorchen, wenn ich es sage!“
Wuff setzte sich mit schief gelegtem Kopf hin und schien versuchen zu wollen, den Grad meines Zorns abzuschätzen. Versuchsweise stupste sie mit der Schnauze an meinen Mundwinkel und trommelte mit dem Schwanz auf den Boden. Ihr Körper zuckte vor Eifer.
Ich gab ihr einen hastigen Klaps auf den Kopf, bevor ich mich zu Elias umdrehte.
„Was soll der Scheiß, du Idiot!?“, schrie ich.
Er sah mich ruhig an.
„Ich hab deinem Köter Rattengift gegeben.“
„Verdammt qualvoller Tod“, konstatierte er sachlich. „Die Eingeweide werden in Fetzen gesprengt. Die Blutung lässt sich nicht stoppen.“
Mir wurde es eiskalt.
Ich starrte Elias mit weit aufgerissenen Augen an, bis sie brannten, während ich versuchte, die grauenvollen Dinge, die Jimmy soeben geäußert hatte, Buchstabe für Buchstabe in mich aufzunehmen.
„Das ist nicht wahr“, flüsterte ich.
Stoffe grinste.
„Wer einen Hund hat, sollte ihn auch im Griff haben. Mein Kumpel hat einen Pitbull. Den braucht man bloß anzugucken, dann packt der schon zu.“
„Ein Pitbull ist wie eine Waffe“, sagte Elias. „Ich meine …“
Er machte eine verächtliche Geste zu Wuff hin.
„Sag, dass das nicht wahr ist! Bitte, Elias!“
Elias quittierte mein Wimmern mit einem Grinsen.
Ich stürzte mich auf ihn, boxte ihm mit den Fäusten an die Brust, wurde aber hart weggestoßen.
„Lass das!“
„Was ist … mit dir los?“, stammelte ich, während die Tränen mir in die Augen traten. „Du … warst doch … mal … okay. Sag, dass es nicht wahr ist!“
Elias sah plötzlich verunsichert aus, doch da stieß Jimmy ihn in die Seite.
„Wir hauen ab.“
Er sah mich mit überlegenem Grinsen an.
„Wie gesagt: verdammt qualvoller Tod.“
Rattengift!
Laut weinend rannte ich direkt nach Hause, Wuff immer auf den Fersen.
Was Linus während der ganzen Zeit getan hatte und wo er abgeblieben war, davon hatte ich keine Ahnung. Das einzig Wichtige war, Wuff zu retten!
Als Linus aufwachte, war es dunkel.
Was hatte ihn überhaupt geweckt?
Plötzlich fiel es ihm wieder ein.
Mit ein paar großen Schritten war er beim Fenster und spähte zu Sveas Haus hinüber. Dort war es dunkel. Aber das Auto, das lange weg gewesen war, stand vor der Garage. Sie waren wieder zu Hause.
War Wuff dabei?
Er sandte eine SMS an Svea und starrte das leuchtende Display an.
Keine Antwort.
Wahrscheinlich schlief sie.
Oder sie war zu traurig, um antworten zu wollen.
Er legte sich wieder hin, konnte aber nicht einschlafen. Das schlechte Gewissen nagte wie ein Wurm in seinem Innern.
Das alles war seine Schuld! Wie sollte er ihr jemals wieder in die Augen schauen können!
Auf einmal hörte er ein Geräusch, lauschte mit angehaltenem Atem. Das Geräusch kam wieder. Ein schwaches Scharren.
Glöckchen! Seit dem Unfall im Herbst hatte sie im oberen Stock schlafen müssen. Das Treppensteigen war zu anstrengend für sie.
Was war los mit ihr?
Er warf die Decke ab, schlich aus seinem Zimmer und huschte lautlos die Treppe nach oben.
Sein Herz klopfte. Voller Entsetzen erinnerte er sich daran, wie sie ihn gezwungen hatten, mit in den Wald zu kommen. Dort hatte er auf zittrigen Beinen gestanden und das fröhliche Geschrei der anderen Schüler noch deutlich hören können. Jimmy hatte mit einem scharfen Messer gespielt, hatte es vor ihm hochgeworfen und wieder aufgefangen und dafür gesorgt, dass er nicht die Augen schloss, als Stoffe auf seinem Handy abscheuliche Bilder zeigte.
Linus dachte an Glöckchen und sagte schließlich Ja. Dann erst ließen sie ihn gehen.
War es möglich, dass sie jetzt im Haus waren? Er hatte doch getan, was sie verlangt hatten! War das nicht genug?
Hier oben kam ihm die Dunkelheit besonders kompakt vor, aber er traute sich nicht, Licht zu machen, sondern blieb stehen, bis seine Augen sich daran gewöhnt hatten, und ging dann weiter zur Küche.
Glöckchen stand hinter der Tür.
„Was ist denn?“, flüsterte er.
Sie humpelte zum Wassernapf. Er war leer.
„Entschuldige, tut mir leid, hab ich vergessen.“
Er drehte den Wasserhahn auf und spähte nach draußen, während das Wasser in den Napf floss. Die Nacht war immer noch finster. In den Lichtkegeln der Straßenlampen warfen die Büsche lange Schatten, die wie Mulden im Schnee aussahen.
Plötzlich erstarrte er.
Jemand schlich durch ihren Garten!
Das Wasser überschwemmte seine Hände. Er ließ die Metallschale fallen, worauf sie mit lautem Krachen in der Spüle aufschlug. Glöckchen fuhr zurück und stieß ein kurzes, laut hallendes Gebell aus.
Sofort ging unten ein Licht an.
„Linus, bist du das?“, ließ sich Papas schlaftrunkene Stimme aus dem Schlafzimmer vernehmen.
„Ja!“, rief Linus zur Antwort. „Ich hatte vergessen, Glöckchen Wasser zu geben.“
„Mhm, aber geh dann wieder ins Bett.“
„Klar.“
Er spähte wieder in die Dunkelheit hinaus. Jetzt konnte er nichts mehr erkennen.
Aber niemand hinderte diese Monster daran, zurückzukommen.
Vielleicht schon morgen früh, wenn er Glöckchen ausführte? Um sie mit Rattengift zu füttern.
Wie Wuff.
Auf wackligen Beinen ging er ins Bad und betrachtete sich selbst im Spiegel. Die Angst hatte sich in seinen Augen festgebissen. Und die Selbstverachtung.
Er schloss die Augen, aber es gelang ihm nicht, dieses Bild von sich selbst zu verdrängen. Verängstigt und allein. Gegen die ganze Bande.
Sie wird mich hassen!