MONTAG
Am Montagmorgen bereitete mir die Kleiderwahl erhebliche Probleme. Und das, obwohl ich zwei neue Tops hatte. Ein blaues und ein schwarzes. Wenn ich das blaue anzog, würde Mama traurig werden. Wählte ich das schwarze, wäre Elin betrübt.
Schließlich entschied ich mich für das schwarze. Elin konnte mich schließlich nicht sehen, Mama dagegen schon.
Ich war eine halbe Stunde früher aufgestanden, um mich zurechtmachen zu können. Ich wollte genauso hübsch aussehen wie Paulina.
Zu dem schwarzen Top zog ich eine schwarze Hose an. Dann steckte ich mir die Haare hoch, kräuselte ein paar Strähnen, die mir seitlich ins Gesicht fielen, und schminkte mir die Augen mit Kajalstift und Lidschatten, anstatt mich wie sonst mit Mascara zu begnügen.
Betrieb Paulina jeden Morgen einen solchen Aufwand? Wie hielt sie das nur aus!
Aber als ich nach unten in die Küche ging, fühlte ich mich echt modelmäßig.
Papa sah mich lange an. Ich lächelte geheimnisvoll.
„Du brütest doch hoffentlich nichts aus? Du siehst so blass aus.“
Ich schielte zu Mama rüber. Als sie mich ansah, legte sie die Stirn in bekümmerte Falten.
„Wahrscheinlich ist mein Puder zu hell“, sagte ich schnell.
Mamas Stirn glättete sich. Sie lächelte.
„Nimm ein bisschen von meinem Rouge.“
Mit rougegeröteten Wangen stieg ich zwanzig Minuten später in den Bus.
Jo saß ganz hinten, hübsch wie immer, mit nur einem Hauch von Mascara auf den superlangen Augenwimpern, die ihre braunen Augen umrahmten.
Immer so hübsch auszusehen, muss ganz schön langweilig sein, sagte ich mir. Wie wenn es keinen Unterschied zwischen Alltag und Fest mehr gäbe.
„Wow!“, sagte sie und sah mich an.
Ich deutete das als Kompliment.
Vor der ersten Stunde hielt Bjarne Lund Alexander und mich vor dem Klassenzimmer auf.
„Morgen um sieben treffen wir uns zum Training“, sagte er.
„Abends?“, fragte ich.
„In der Früh.“
„Ojeee!“, stöhnte ich.
„Passt schon“, sagte Alexander.
Unsere Mitschüler strömten gerade ins Klassenzimmer, bewegten sich aber im Zeitlupentempo an uns vorbei, um ja nichts zu verpassen.
„Na, was ist, Svea?“
„Nja.“
„Du darfst mich jetzt nicht im Stich lassen! Du hast versprochen, mitzumachen, wenn Elias nicht mehr dabei ist!“
Ich schrak zusammen. Die anderen zuckten auch zurück. Seine Äußerung konnte total falsch verstanden werden, ging mir voller Entsetzen auf. Als hätte ich gefordert, dass Elias ausgeschlossen würde!
„Ja, schon, aber …“, begann ich.
„Punkt sieben“, sagte Lund.
Plötzlich legte er den Kopf leicht schief und sah mich noch einmal extra an. Zwischen seinen Augenbrauen war eine nachdenkliche Falte aufgetaucht, als fände er, ich sähe irgendwie anders aus. Dann lächelte er hastig und nickte.
„Coole Stiefel.“
Er entfernte sich mit großen Schritten, bevor ich dazu kam, ihn aufzuhalten.
In der großen Pause hatte es sich bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Elias durfte nicht in der Hallenhockeymannschaft gegen Södertälje spielen. Und ich würde ihn ersetzen. Ein paar klopften mir auf den Rücken und wünschten mir viel Glück. Andere sahen mich bedauernd an.
Darunter auch Lina. Lina geht in die 8 B und ist oft mit Papa und mir beim Schwimmtraining. Jetzt betrachtete sie mich, als sähe sie mich zum letzten Mal.
„Hab gehört, du hast das Schicksal herausgefordert und verlangt, dass Elias beim Spiel gegen Södertälje nicht mitspielen darf.“
„Das hab ich überhaupt nicht!“
Lina zuckte die Schultern.
„Jedenfalls hat Hannamaria das behauptet.“
Ich spürte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich. Elias stand in einiger Entfernung auf dem Schulhof. Seine Augen glühten. Wenn Blicke töten könnten, läge ich jetzt wie ein nasser Fleck im Schnee. Ohne die Pausenaufsicht hätte er sich bestimmt schon auf mich gestürzt, weil sich sein Hass nur auf mich konzentrierte.
Verdammter Bjarne Lund!
Und verdammte Hannamaria!
Sie unterhielt sich gerade mit den kichernden Ebba und Faduma.
Ich zog sie unsanft zur Seite.
„Was ist?“, fragte sie hochnäsig.
„Ich fass es nicht, dass du die Klappe nicht halten kannst!“, fauchte ich sie an. „Du hast in der ganzen Schule verbreitet, ich hätte verlangt, dass Lund Elias aus der Mannschaft wirft.“
„Selber schuld. Wer so bescheuert ist und eine Menge Scheiß über andere Leute daherredet …“
„Ich hab keinen Scheiß geredet! Darum geht’s doch!“
„Hör mal, du musst doch asseptieren …“
Akzeptieren!, korrigierte ich automatisch im Kopf.
„… dass du behauptet hast, Elias ist ein Mistkerl.“
„Das hab ich nie gesagt!“
„Aber das denkst du doch, oder? Entschuldige, so ist es nun mal. Wenn du Elias schlecht machst, musst du dafür geradestehen.“
Sie musterte mich mit kaltem Blick an und schüttelte den Kopf.
„Und du“, fuhr sie fort. „Zu viel Rouge, das haut nicht hin. Ich kann dir eine Zeitschrift mitbringen, in der stehen Tipps, wie man sich trendy schminkt.“
Blöde Kuh!
Ich schluckte den Kommentar über mein Aussehen, obwohl er wehtat. Es war mir wichtiger, das Missverständnis zu klären.
„Es war Lund, der Elias rausgeworfen hat, nicht ich! Er hat mich vorige Woche angerufen und gefragt, ob ich Elias ersetzen will.“
„Dann sag das doch! Also, wenn du wirklich unschuldig bist.“
Ihre hochnäsige Miene verriet, dass sie mir kein Wort glaubte.
„Klar bin ich das! Und das musst du tun. Du warst es, die die falschen Gerüchte verbreitet hat.“
Ich machte auf dem Absatz kehrt und steuerte auf Jo zu. Besonders erleichtert war ich nicht. Jetzt hatte ich Lund den Schwarzen Peter zugeschoben. Aber es war sein Entschluss, Elias rauszuwerfen, also war es nur recht und billig, dass er das ausbaden musste. Und nicht ich.
In der Hoffnung, Hannamaria mit Elias reden zu sehen, spähte ich über den Schulhof. Beide waren verschwunden.
Dagegen entdeckte ich Linus und konnte zufrieden feststellen, dass er nicht mit Paulina zusammen war. Die unterhielt sich mit Filippa. Filippa von Kopf bis Fuß in Schwarz und mit rasiertem Schädel. Paulina niedlich wie ein Püppchen. Wirklich ein ungleiches Paar.
Linus sprach mit ein paar Mitschülern. Er musste gespürt haben, dass jemand ihn beobachtete, weil er sich suchend umdrehte, bis unsere Blicke sich trafen.
Junge, Junge, was für ein gut aussehender Kerl! Von diesem Blick könnte ich für den Rest meines Lebens existieren!
Hoffentlich fand er mich hübsch. Denn egal was Hannamaria sagte, ich selbst war davon überzeugt. Allerdings schien er meine fantastische Verwandlung in eine blühende Rose nicht zu bemerken. Sein Blick drückte ausschließlich Besorgnis aus.
Er riss sich los und kam zu uns her.
„Was ist denn?“, fragte ich.
„Hab gerade erfahren, warum Markos Schwester im Krankenhaus liegt. Irgendjemand hat Anna drüben bei der Kiesgrube den Hang runtergestoßen.“
Am späten Nachmittag kam ein Anruf von Axel, einem Kumpel von Elias. Bisher hatte ich noch nie mit ihm gesprochen und war daher überrascht, erfuhr aber bald den Grund des Anrufs. Er und Bjarne Lund riefen die ganze Mannschaft an, weil das Training auf sieben Uhr heute Abend vorverlegt worden war.
Ich bot an, Alexander anzurufen, doch das hatte Axel schon erledigt.
Gegen die Änderung hatte ich nichts einzuwenden. So würde ich morgen früh ausschlafen können.
Aber als ich mich abends auf den Weg machte, spürte ich eine nagende Unruhe in mir. Womöglich könnte Elias vorhaben, das Training zu sabotieren.
Schon als ich den Bus verließ und den menschenleeren Fußweg zur Schule entlanglief, hatte ich ein unangenehmes Gefühl.
Tagsüber ist der Weg voller schreiender, lachender, lärmender Schüler.
Jetzt war ich allein.
Sehr allein.
Und es war dunkel. Jemand hatte an den Straßenlampen Zielschießen geübt. Fast jede zweite war zerschmettert.
Ich dachte an Markos Schwester. Warum war sie allein zur Kiesgrube gegangen? Und wer hatte sie runtergestoßen?
Vielleicht war ein Irrer hier in der Gegend unterwegs, der junge Mädchen überfiel?
In der Hoffnung, das Licht der Schulfenster bald durch die Dunkelheit leuchten zu sehen, beschleunigte ich meine Schritte. Oft finden abends dort noch Besprechungen statt oder irgendwelche Lehrer sind noch länger geblieben, um Arbeiten zu korrigieren.
Aber heute Abend nicht. Das ganze Schulhaus lag im Dunkeln. Die roten Backsteine wirkten fast schwarz.
Ich umrundete das niedrige Gebäude. Auch die Turnhalle sah dunkel aus. Sonst müssen wir meistens warten, bis irgendwelche Rentner nach ihren Gymnastikkursen fertig geduscht oder die Kleinkindmütter ihre wild herumhüpfenden Sprösslinge eingesammelt haben. Aber aus irgendeinem Grund war keine dieser Gruppen da. Wahrscheinlich war es deshalb möglich gewesen, den Trainingstermin nochmal zu ändern.
Ich sah auf die Uhr. Viertel vor sieben.
Hatte ich die Zeit falsch verstanden? Oder war ich einfach als Erste da? Ausnahmsweise.
Ich stellte mich vor den Umkleideraum der Mädchen und wartete. Der Haupteingang wird nur bei Wettkämpfen benutzt.
Es war ein kalter Abend, mehrere Grad unter null. Nase und Wangen kribbelten vor Kälte. Ich war froh, dass ich mich ordentlich eingemummt hatte, ohne Mütze und Handschuhe zu vergessen.
Plötzlich hörte ich ein Auto. Ich trottete vor zur Ecke und spähte zum Parkplatz hinüber. Das musste Lund sein.
Das kalte Scheinwerferlicht fiel auf die Straße vor der Schule. Doch das Auto bog nicht ab. Die roten Rücklichter verschwanden hinter einer entfernten Kurve.
Enttäuscht kehrte ich an meinen Posten zurück.
Nach ein paar Minuten befühlte ich den Türgriff zum Umkleideraum. Die Tür war nicht abgeschlossen.
„Hallo!“, rief ich.
Keine Antwort.
Ich trat ein und tastete nach dem Lichtschalter. Die kahle Neonröhre blinkte ein paar Mal, bevor der ganze Raum erhellt wurde.
Er war leer.
Ich stellte meine schwere Tasche mit dem Trainingszeug ab, unschlüssig, ob ich mich schon umziehen sollte, beschloss dann aber zu warten, bis ich sicher sein konnte, die Zeit nicht falsch verstanden zu haben. Vielleicht hatte Axel doch acht gesagt?
Auf einer Bank lagen ein vergessenes Handtuch und ein Unterhemd. Mir fiel dieses eine nasse Handtuch ein, das ich hinter den Heizkörper gestopft hatte.
Tatsächlich fand ich ein zerknautschtes Knäuel genau dort, wo ich es versteckt hatte. Inzwischen war es nicht mehr nass. Ich zog es heraus und warf es neben das andere Handtuch hin.
In diesem Moment schlug eine Tür mit lautem Knall zu. Aus dem Umkleideraum der Jungs kamen Schritte.
Endlich!
Ich war wohl das einzige Mädchen der Mannschaft, denn niemand kam zu mir herein.
Ich spähte in die Turnhalle. Dort war es dunkel. Nur ein grünes Schild mit einem rennenden Männchen leuchtete schwach überm Haupteingang.
Seltsam, wie eine vertraute Umgebung sich im Dunkeln in etwas Unheimliches verwandeln kann. Dieses nagende Gefühl von Unbehagen, das ich schon die ganze Zeit empfand, sorgte dafür, dass ich es unterließ, Hallo zu rufen. Stattdessen schloss ich die Tür zum erleuchteten Umkleideraum hinter mir, bevor ich vorsichtig in die dunkle Halle trat.
Die ganze Zeit wartete ich darauf, den üblichen Lärm zu hören, wenn eine Mannschaft aus lauter Jungs in einen Raum hereingepoltert kommt. Gelächter, Geschrei, Rufe, Flüche.
Aber keine Stimme war zu hören.
Gleichzeitig spürte ich deutlich, dass ich nicht mehr allein in dem Gebäude war. Es waren nicht nur die Schritte, da waren auch andere Geräusche: Knarren, Schlurfen, Kleiderrascheln. Die Tür zum Umkleideraum der Jungs ging einen Spaltbreit auf und gab ein klagendes Knarzen von sich.
Es war stockfinster. Mir wurde immer mulmiger zumute. Warum machten sie kein Licht?
Wieder hörte ich Schritte. Kräftige Sohlen trafen auf dem Boden auf.
Ich blieb wie gelähmt stehen.
Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.
Plötzlich tauchte jemand in der Türöffnung auf, die Umrisse einer Person, die größer war als ich. Das musste einer der Jungs sein. Der Hausmeister ist viel dicker. Obwohl ich in die Dunkelheit starrte, bis mir die Augen tränten, gelang es mir nicht, ein Gesicht auszumachen.
Ich versuchte meine Angst zu zügeln, obwohl sie danach drängte, sich in einem heftigen Schrei Luft zu schaffen. Auf keinen Fall durfte ich in Panik geraten, das war mir klar. Weil ich schon eine Zeit lang hier stand, hatten meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt. Solange ich still stehen blieb, würde ich nicht entdeckt werden. Ich wagte kaum zu atmen.
Ich hoffte, der Kerl würde kehrtmachen und in den Umkleideraum zurückgehen. Doch diesen Gefallen tat er mir nicht. Stattdessen kam er weiter in die Halle herein.
Ich fühlte mich, als würde ich von Kopf bis Fuß aus diesem schleimigen grünen Gelee bestehen, das mir als Kind so geschmeckt hatte. Es war höchste Zeit zu fliehen. Bald würde er mich entdecken.
Plötzlich hörte ich neue Schritte. Eine Tür schlug zu und mehrere Personen polterten in den Umkleideraum der Jungs hinein. Die Neuankömmlinge bemühten sich nicht einmal, leise zu sein.
Im nächsten Moment badete die Turnhalle in Licht.
Die plötzliche Helligkeit blendete mich, es gelang mir aber trotzdem, einen kurzen Blick auf einen Jungen in einer schwarzen Mütze zu werfen. Ich hatte keine Ahnung, wer er war, aber mir war klar, dass er nicht gekommen war, um mit der Mannschaft zu trainieren.
„Sie ist hier!“
Das war das Einzige, was ich noch hörte. Der Rest ertrank im Echo von rennenden Schritten, meinen eigenen und denen meiner Verfolger.
Ich floh in den Umkleideraum, tastete voller Panik nach dem Türgriff der Tür, die nach außen führte, und stieß gleichzeitig die Tür mit der Schulter auf. Atemlos warf ich mich in die Kälte hinaus und rannte auf den Fußweg zu.
Hinter mir erklang das Dröhnen vieler Schritte. Die Kälte drang mir in die Lungen und ich hatte das Gefühl, als würden sie zerspringen.
Ich bin durchtrainiert, doch meine Verfolger waren das auch. Aus Angst zu stolpern traute ich mich nicht einmal, einen kurzen Blick nach hinten zu werfen, aber es klang, als würden sie mich einholen.
Mein Herz hämmerte wie wild in der Brust und der Schweiß strömte mir über den Rücken.
Mein einziger Gedanke war, sie dürfen mich nicht hier so allein in der Dunkelheit erwischen.
Hinten an der Ampel sah ich ein Paar auf den Fußweg einbiegen. Sie hatten einen zottigen Hund an der Leine. In der Kälte dampfte die Luft vor ihren Mündern.
Dieser Anblick verlieh mir neue Kräfte.
„Hilfe!“, krächzte ich.
Meine Lungen waren kurz vorm Zerspringen und in meinem Mund stieg ein metallischer Geschmack hoch.
Mit letzten Kräften stolperte ich auf das Paar zu und stieß fast mit ihnen zusammen.
Sie waren im Alter von Oma und Opa und wirkten sehr besorgt.
„Ach du liebe Zeit“, sagte die Frau. „Was ist denn passiert?“
„Die … verfolgen … mich“, gelang es mir hervorzukeuchen.
„Wer denn?“, fragte der Mann.
Als ich mich umdrehte, war niemand mehr da.
„Sie sind im Wald verschwunden“, sagte die Frau. „Ich hab sie gesehen.“
Ich beugte mich vor und schnappte nach Luft.
Der Hund, ein zottiger Retriever, kam sofort her, um mein Gesicht zu beschnuppern.
„Aber Bertil!“, rief die Frau aus.
„Das macht nichts“, erklärte ich. „Ich hab auch einen Hund.“
„Ich hab meinen Mann gemeint. Er hat nach seinen Zigaretten getastet, obwohl er versprochen hat, mit dem Rauchen aufzuhören.“
„Hab bloß nach einem Hustenbonbon gesucht“, murmelte der Mann.
Ich richtete mich auf und sah mich um. Außer uns befand sich niemand auf dem Fußweg. Allmählich beruhigte ich mich etwas, ich nahm mir sogar Zeit, den Hund zu streicheln.
„Na, wie heißt du denn?“, erkundigte ich mich.
„Berti.“
Ich versuchte der Miene der Frau zu entnehmen, ob sie damit ihren Mann meinte, aber allem Anschein nach war es der Hund, der so hieß. Zumindest sah sie ihn mit liebevollem Blick an.
„Wo wohnst du?“, fragte sie.
„In Richtung Vårsta“, sagte ich mit einem Kopfnicken dorthin.
„Dann werden wir dich begleiten“, entschied sie. „Was waren das für Typen, die dich verfolgt haben?“
„Keine Ahnung“, sagte ich.
Obwohl ich ahnte, dass wenigstens einer von ihnen Elias war.
„Sollten wir nicht die Polizei anrufen?“, fragte sie.
„Was kann die schon tun?“, meinte der Mann. „Inzwischen ist die Bande schon über alle Berge. Oder was meinst du … übrigens, wie heißt du denn?“
„Svea.“
Ich zuckte die Schultern und damit begnügten sie sich.
Das ältere Paar begleitete mich fast bis nach Hause. Als sie mir zum Abschied zuwinkten, kehrte die Angst zurück. Ich spürte sie wie einen eiskalten Kloß im Magen, der in mir festgefroren war. Kalte Schauer krochen mir wie Würmer über den Nacken und die Arme entlang. Ich wandte den Kopf und schielte nach hinten und seitwärts. Vielleicht standen meine Verfolger irgendwo im Schatten und lauerten. Oder vor meinem Haus.
„Mir macht ihr nicht so leicht Angst“, murmelte ich, ohne es wirklich zu meinen.
Ich kam in ein menschenleeres Haus. Auf dem Dielentisch lag ein Zettel.
„Sind im Kino.“
Während Wuff meine Hände und Hosenbeine beschnupperte, die nach dem Retriever rochen, überlegte ich, ob ich meine Eltern anrufen sollte, sah aber dann ein, dass ihre Handys bestimmt ausgeschaltet waren.
Stattdessen wählte ich die Nummer von Bjarne Lund.
Sein Anrufbeantworter schaltete sich nach dem vierten Läuten ein. Ich wartete ungeduldig, bis er seinen munteren Begrüßungsspruch aufgesagt hatte, dann fauchte ich meine Frage aufs Band.
„Hier ist Svea. Warum war heute Abend kein Training? Rufen Sie mich gleich an, wenn Sie das hier gehört haben!“
Sicherheitshalber fügte ich meine Handynummer hinzu.
Ich plumpste am Küchentisch auf einen Stuhl und ließ meine angsterfüllte Flucht noch einmal wie einen Film in meinem Kopf abspulen. Was wäre passiert, wenn es mir nicht gelungen wäre, so schnell aus der Turnhalle zu entkommen? Oder wenn ich dem alten Paar nicht begegnet wäre?
Rasch schüttelte ich diese Gedanken ab. Die waren zu beängstigend.
Garantiert war Elias einer meiner Verfolger. Aber wer waren die anderen?
Woher wussten sie, dass ich alleine kommen würde?
Und warum war das Training ausgefallen?
Ich wählte noch einmal Bjarne Lunds Nummer. Diesmal legte ich einfach auf, als der Anrufbeantworter sich einschaltete.
Mir fiel ein, dass ich Alexander anrufen könnte.
Er antwortete beim ersten Läuten.
„Hallo, hier ist Svea. Hätten wir heute Abend nicht Training gehabt?“
„Nein, warum? Erst morgen früh. Das hat Lund gestern doch gesagt.“
„Schon, aber Axel hat behauptet, der Termin wäre vorverlegt worden.“
„Axel?“
„Hat er dich nicht angerufen?“
„Nö-ö.“
Ich wollte gerade die ganze Geschichte losrattern, wie ich zur Schule gelockt worden und dann verfolgt worden sei, aber Alexander kam mir zuvor.
„Ich muss gehen. Jemand läutet an der Tür. Wir sehen uns morgen früh.“
Er legte auf.
Ich versuchte den Gedanken zu verdauen. Axel hatte mich in die leere Turnhalle gelockt. Aber warum? Zwar war er mit Elias befreundet, aber doch trotzdem schlau genug, um zu begreifen, dass ein Angriff auf mich nicht die richtige Art war, Elias wieder in die Mannschaft zurückzubringen. Und überhaupt, warum war bloß ich das Ziel? Alexander war auch ein Ersatzspieler. Dann hätte er doch uns beide anrufen müssen.
War es tatsächlich Axel gewesen? Oder nur jemand, der behauptete, Axel zu sein? Ich hatte bis dahin noch nie mit ihm telefoniert und hätte seine Stimme kaum wiedererkannt, wenn er mich gebeten hätte zu raten, wer er sei.
Aber wer war es dann gewesen? Und was hatten sie damit bezweckt? Hatten sie mir das Versprechen abpressen wollen, auf das Spiel gegen Södertälje zu verzichten? Mit Schlägen? Mit Fußtritten?
Ich musste an Markos Schwester denken, die in die Kiesgrube gestürzt worden war. Wer hatte das getan?
Irgendetwas Schlimmes war im Gang. Aber ich wusste nicht, was ich dagegen tun sollte.