SONNTAG

Der restliche Samstag verlief friedlich. Wahrscheinlich hatte Papa mit Mama über unser Gespräch im Auto geredet, sie ließ mich nämlich in Ruhe, obwohl sie mich bestimmt am liebsten noch mehr ausgehorcht hätte.

Am Abend liehen wir einen Film aus, als wäre nichts vorgefallen.

Aber als ich am Sonntagmorgen aufwachte, war mir klar, dass ich nicht weiterkommen würde, wenn ich alle Probleme verdrängte. Vielmehr war es an der Zeit, sie anzupacken.

Als Erstes schrieb ich eine Liste über alle unerklärlichen Vorfälle, die im Laufe der Woche passiert waren, angefangen mit dem Brand in der Tannenhecke bis hin zu den Ohrringen, die ich in meiner eigenen Schultasche gefunden hatte. Die Liste wurde überraschend lang.

Dann versuchte ich, irgendwelche Zusammenhänge herzustellen, doch das gelang mir nicht besonders gut. Meine Gedanken bewegten sich schwerfällig und landeten immer wieder in derselben Spur. Ich sah ein, dass ich Hilfe brauchte, und zwar von jemandem, dem ich vertrauen konnte.

Die Versuchung, Linus anzurufen, war groß. Er ist zwar kein Spezialist für die Lösung vertrackter Rätsel, aber ich sehnte mich einfach danach, seine Stimme zu hören.

Doch stattdessen rief ich Jo an. Sie ist Weltmeisterin im Zuhören.

Diesmal klang sie allerdings müde. Sie war am Abend zuvor spät von einem Reitturnier nach Hause gekommen, hörte aber trotzdem brav zu, als ich über Simons idiotische Mutter und deren Besuch bei uns Gift und Galle spie.

Als ich zu guter Letzt geendet hatte, stöhnte sie laut auf.

„Also wirklich! Als ob du was klauen würdest!“

„Na ja, hab schon mal Süßigkeiten gemopst!“

„Wer hat das nicht.“

„Aber geschlagen hab ich ihn nicht.“

Sie schwieg eine Weile.

„Jetzt reg dich bitte nicht auf, aber du warst schließlich stinksauer auf Simon …“

Ich holte tief Luft, um zu protestieren.

„Ich dachte bloß“, fuhr sie schnell fort.

„Tu das lieber nicht. Davon kriegst du bloß Falten!“

„Ich hab doch gesagt, du sollst dich jetzt nicht aufregen.“

„Wann denn dann?“

„Ich werd ja noch fragen dürfen.“

„Und ich werd ja noch sagen dürfen, dass ich dich bescheuert finde!“

„Das bin ich aber nicht! Ich hör dir doch zu. Okay?“

Ich seufzte. Sie hatte ja recht.

„Okay.“

„Hey, wann hast du deinen Rucksack das letzte Mal ausgemistet?“

„In den Weihnachtsferien.“

Obwohl ich sie nicht sah, wusste ich, dass sie grinste.

„Als ob das wichtig wäre! Für meine alten Schulbücher interessiert sich doch kein Schwein. Außerdem ist das Klassenzimmer abgeschlossen, wenn wir nicht dort sind. Allerdings …“

„Allerdings?“

„… nicht am Donnerstag, als Natalie aufs Dach der Turnhalle raufkletterte. Bei der Gelegenheit ist ja einiges gestohlen worden.“

„Mhm, und genau da kann jemand dir die Ohrringe in den Rucksack gesteckt haben. Bist du sicher, dass sie dieser alten Tante gehören?“

„Frau Asp? Nein, aber so wie Simons Mutter den Schmuck beschrieben hat, passt es.“

„Wer weiß, vielleicht hast du ja einen geheimen Verehrer.“

„Oder einen geheimen Hasser, der möchte, dass ich als Diebin geschnappt werde.“

Ich überlegte kurz.

„Schätze, die Ohrringe hätten schon früher gefunden werden sollen. Simons Mutter wollte doch in meinem Rucksack herumwühlen.“

„Wie hast du sie gefunden?“

„Hab den Rucksack an die Wand gepfeffert und da sind sie rausgefallen.“

Jo kicherte.

„Es gibt viele Arten, eine Schultasche zu leeren. Hast du den Rucksack bei Frau Asp dabeigehabt?“

„Nein.“

„Warum wollte sie dann in deinem Rucksack nachschauen und nicht in deinen Kleidertaschen oder Schubladen?“

Ich zermarterte mir den Kopf. Die einzige Erklärung, die mir einfallen wollte, war, dass jemand ihr einen Tipp gegeben hatte. Und das konnte nur Simon gewesen sein.

„Woran denkst du?“, fragte Jo, als ich lange nichts mehr gesagt hatte.

„Es muss Simon sein. Als Natalie oben auf dem Dach herumturnte, hab ich ihn nirgends gesehen. Du etwa?“

„Nein, aber ich hab auch nicht nach ihm geschaut. Wahrscheinlich hat er die Gelegenheit wahrgenommen, als alle draußen im Freien waren. Vielleicht hat er auch Alexanders Taschenrechner gestohlen. Ja, und die übrigen Sachen auch.“

Ich schüttelte den Kopf, obwohl sie mich nicht sehen konnte.

„Das kommt mir ziemlich abwegig vor. Hannamaria behauptet, er hätte reiche Eltern. Warum sollte er lauter gebrauchten Kram mitgehen lassen, wenn er sich alles kaufen kann, was er will? Ich hoffe, Linus bekommt die Wahrheit aus ihm heraus. Er hat versprochen, es zu versuchen.“

„Simon wird kein Wort sagen“, vermutete Jo.

„Dann muss ich ihn eben selbst fragen.“

„Die Lehrer haben dich zurzeit auf dem Kieker!“

„Dann machen wir’s nach der Schule.“

Wir? Willst du mich etwa da mit reinziehen?“

Ich lachte.

„Du bist schon mittendrin! Stell dich nicht an! Ich werd Mama morgen bitten, Wuff am Nachmittag auszuführen.“

„Aber ich muss gleich nach der Schule heim zu den Pferden!“

Verräterin, wollte ich schon sagen, ließ es aber im letzten Moment bleiben. Sie hätte bestimmt zugesagt, wenn es möglich gewesen wäre.

„Dann mach ich’s eben allein.“

„Bitte nicht“, bat sie. „Stell dir vor, er denkt sich neue Lügen aus und behauptet noch mal, du hättest ihn geschlagen.“

„Dann glaubst du mir also?“

„Klar tu ich das! Du hättest nie den Mund darüber halten können, falls du ihn geschlagen hättest. Aber tut mir leid, Svea, ich kann wirklich nicht mitkommen.“

„Verstehe. Du hilfst mir trotzdem.“

„Das hoffe ich.“