FREITAG
Zur allgemeinen Verwunderung kam Natalie am folgenden Tag in die Schule. Warum sie überhaupt auf das Dach geklettert war, würde vermutlich ein Rätsel bleiben. Plötzlich beanspruchte ein neuer Vorfall die allgemeine Aufmerksamkeit.
Simon kam mit einem leuchtend blauen Veilchen ins Klassenzimmer. Er sah richtig übel zugerichtet aus.
Die Schadenfreude blubberte in mir hoch. Zum zweiten Mal hatte der Engel der Rache meine Partei ergriffen.
Aber nach der ersten Stunde wurde mir klar, dass hinter meinem Rücken getuschelt wurde und die anderen mich seltsam ansahen.
Irgendwie ängstlich.
Als wäre ich die Schuldige!
Meine Freude verwandelte sich in Sorge.
„Glauben die etwa, ich hätte Simon geschlagen?“, fragte ich Jo.
„Wahrscheinlich.“
„Und warum?“
„Einfache Rechnung. Du hast geschworen, dich zu rächen. Irgendjemand hat Simon vermöbelt. Tädärätääää!“
Sie machte eine Geste, als hätte sie ein Kaninchen aus ihrer Jeanstasche gezaubert.
Ich starrte düster vor mich hin. Ich war eine Brandstifterin. Eine Diebin. Und außerdem verprügelte ich andere Leute.
In der großen Pause verzog ich mich auf die Toilette. Ich wollte ungestört sein und mich in aller Ruhe selbst bemitleiden. Auf dem Klodeckel hockend grübelte ich in einer der Kabinen darüber, wie ich mich von diesen Verdächtigungen reinwaschen könnte.
Da kam jemand herein. Ich hörte zwei Mädchen aufgeregt aufeinander einreden.
„Sag ich doch.“
„Total übertrieben, aber ehrlich.“
„Aber warum ist sie denn so stinkig geworden?“
„Er hat aus ihrem Tagebuch vorgelesen.“
Mir wurde ganz kalt.
Redeten sie etwa über … mich?
„Das war natürlich echt fies, aber deswegen schlägt man doch nicht gleich zu!“
„Voll krass, so was. Glaubst du, sie hat …?“
Zu einer Fortsetzung kam es nicht. Ich lehnte mich an die Tür, die Tür ging auf und ich kippte heraus.
Was sagt man in so einer Situation?
Wenn man vom Teufel spricht? Oder Hoppla?
Ich kam weder dazu, das eine, noch, das andere zu sagen. Die Mädchen starrten mich mit großen Augen an, während sie schleunigst den Rückzug antraten.
„Aber hallo! Ich hab doch nicht …“
Ich stürzte hinter ihnen her, doch sie waren wie zwei Rennläuferinnen davongesprintet und schon über alle Berge.
Dampfend vor Wut machte ich mich auf die Suche nach Simon. Der Schulhof war voller eifrig redender Grüppchen. Nur Simon stand ein paar Meter entfernt allein da und starrte mich feindselig an, als ich angetrabt kam.
„Du bist ja total krank!“, schrie ich schon von Weitem.
„Musst ausgerechnet du sagen!“, konterte Simon und deutete auf sein übel zugerichtetes Gesicht.
„Du lügst!“
Er sah sich verstohlen um. Alle auf dem Schulhof spitzten neugierig die Ohren.
„Klar hast du mich geschlagen“, murmelte er, ohne meinem Blick zu begegnen.
In mir begann es wieder zu brodeln. Wir wussten beide, dass er log.
„Was soll dieses beschissene Geschwätz!“
Ich trat einen Schritt auf Simon zu, der nach hinten hüpfte, offensichtlich aus Angst vor mir.
„Meine Mutter wird dich anzeigen!“, teilte er mit.
Er drehte sich um und begann schnell auf das Schulhaus zuzugehen.
Ich schoss mit einem Satz vor und streckte einen Arm aus, um ihn aufzuhalten.
Ein paar Jungs aus der Neunten kamen zu uns hergerannt. Ich wurde von starken Armen gepackt und festgehalten.
„Hör auf!“, sagte Elias. „Hast du nicht schon genug angerichtet?“
„Aber ich hab doch gar nichts getan!“, schrie ich wütend.
Jo kam hergerannt. Mit glühenden braunen Augen deutete sie mit dem Zeigefinger auf Elias.
„Lass sie los!“
Elias stand hinter mir, ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Eingeschüchtert war er wohl kaum, aber immerhin lockerte er seinen Griff.
Der Tumult lockte auch Lundström und den Rektor her.
„Alles in Ordnung?“, fragte Lundström mit einem scharfen Blick auf mich.
„Ja, ja“, antwortete Elias schnell. „Kein Problem. Wir haben die Sache geklärt.“
Die Erwachsenen nickten ihm zufrieden zu. In meinen Augen war Elias ein verlogener Typ. Simon interessierte ihn kein bisschen. Er war nur darauf aus, seine eigenen Noten aufzubessern. Elias hat sich bei einem Sportgymnasium beworben und jetzt hatte er natürlich zusätzliche Punkte eingeheimst.
Ich dagegen kaum.
Mitten im Englischunterricht wurden wir vom Räuspern des Rektors unterbrochen. Die meisten von uns hüpften erschrocken hoch, bevor sich Gekicher im Klassenzimmer ausbreitete. Der Rektor hatte immer noch nicht gelernt, wie die Lautsprecheranlage funktioniert.
Schließlich gelang es ihm, die Lautstärke herunterzuschrauben und – „aus gegebenem Anlass“ – eine knisternde Brandrede darüber zu halten, dass an unserer Schule für Mobbing eine Null-Toleranz-Politik gelte. Es sei feige, über seine Mitschüler herzufallen. Streitigkeiten sollten mit Worten ausgetragen werden, nicht mit Fäusten.
Mir steckte das Herz wie ein Kloß im Hals. Ich spürte die Blicke der anderen. In ihren Augen war ich eine feige Person, die einen Klassenkameraden gemobbt und misshandelt hatte.
Ich wollte aufstehen und brüllen, dass ich unschuldig sei. Stattdessen blieb ich sitzen, wandte mein flammend rotes Gesicht dem Fenster zu und wünschte, der Rektor würde seine Rede endlich beenden.
Doch das tat er nicht.
„Während des gestrigen Tumults auf dem Schulhof sind aus den unverschlossenen und unbewachten Klassenzimmern die Wertsachen mehrerer Schüler entwendet worden. Handys, Geldbeutel und Taschenrechner sind verschwunden. Das ist äußerst bedauerlich! Aber leider gibt es Menschen, die das Unglück anderer ausnützen, um ausgerechnet jene zu bestehlen, die eine helfende Hand anbieten. Auch bei Autounfällen und Bränden ist dies häufig zu beobachten.“
Die meisten Schüler hatten zwar nur gaffend dagestanden, anstatt Natalie eine helfende Hand anzubieten, aber niemand protestierte gegen seine Darstellung.
„Alle, die bestohlen worden sind, melden sich bitte beim Klassenlehrer oder bei mir. Wir werden eine gemeinsame Anzeige erstatten. Und wer die Schuldigen vielleicht kennt, möge bedenken, dass es die eigenen Mitschüler sind, die betroffen wurden! Nicht die Diebe müssen beschützt werden, sondern deren Opfer!“
Wenigstens in diesem Fall konnte niemand mich beschuldigen. Ich hatte inmitten der anderen auf dem Schulhof gestanden.
„Krass“, sagte Jo. „Alexander ist seinen Taschenrechner losgeworden.“
Aber ich musste daran denken, dass es ein merkwürdiges Zusammentreffen war. Natalie auf dem Dach. Und gleichzeitig diese Diebstähle.
War das wirklich ein Zufall?
Mama und ich hatten gerade den Tisch nach dem Abendessen abgeräumt, als es an der Tür klingelte.
„Das ist Papa“, sagte ich. „Er hat mir eine SMS geschickt, dass er seine Schlüssel vergessen hat.“
Mama kicherte.
„Dann weiß ich was!“
Wuff lief bellend in die Diele und Mama kam hinterher. Sie schob den Riegel zurück, öffnete aber nur einen kleinen Spaltbreit, damit Wuff die Tür mit der Schnauze aufstoßen konnte. Als Wuff sich hinausstürzte, begann Mama auf und ab zu hüpfen und mit dem Hund um die Wette zu bellen.
„Wau, wau, wau, hahaha!“
Ich hielt mich würdevoll abseits und schüttelte den Kopf.
Manchmal ist sie echt zu verrückt.
Die fremde Frau, die vor unserer Tür stand, fand das bestimmt auch.
Sie zuckte zusammen und trat ein paar Schritte zurück, während ihr Blick zwischen Mama und Wuff hin und her fuhr. Sie schien sich zu fragen, wer von beiden wohl am gefährlichsten sei.
Mama erstarrte.
„Ääh … ich dachte … es sei … mein Mann“, stammelte sie errötend.
„Aha“, sagte die Frau höflich.
Es gelang ihr, ein Gesicht zu machen, als wäre Mamas albernes Gehüpfe daher das Natürlichste auf der Welt.
„Darf ich kurz reinkommen?“, fuhr sie fort. „Es gibt da etwas … Nun, ich nehme an, Sie sind Sveas Mutter?“
„Ja“, sagte Mama. „Wuff!“
Das Letztere galt Wuff, die ihre neugierige Schnauze in die Tasche der Frau gesteckt hatte.
Die Frau sah Mama jetzt doch recht bekümmert an.
Aber Mama trat höflich zur Seite.
„Bitte sehr.“
Die Frau blieb zögernd in der Türöffnung stehen. Erst als sie mich sah, lächelte sie erleichtert und wagte das Irrenhaus zu betreten.
Mama hatte keine Ahnung, wen sie da hereinließ, aber ich erkannte die Nachbarin von Frau Asp sofort. Die Frau, die damit gedroht hatte, sich wieder zu melden. Jetzt war sie also hier.
Ich bereute es bitterlich, dass ich Mama nicht schon früher von den Ereignissen bei Frau Asp erzählt hatte. Jetzt würde sie die Wahrheit von einer Fremden in Gesicht geschleudert bekommen.
„Wer …?“
Mama wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen.
Wuff begann wieder zu bellen.
Mama öffnete die Tür einen Spalt weit.
„Klopfeliklopf, wer steht da vor der Tür?“, sang Papas Stimme draußen auf der Haustreppe munter und laut, um das Gebell zu übertönen.
„Wuff!“, herrschte Mama den Hund an.
„Huhuu, ich bin’s, Janne …“
Papa streckte den Kopf fröhlich grinsend durch die Türöffnung. Sein munterer Gesang verstummte jäh, als er die fremde Frau erblickte.
„Tja … hrm“, räusperte er sich verlegen.
Dann sandte er Mama einen flehenden Blick.
„Das hier ist mein Mann“, sagte Mama.
„Ich verstehe“, sagte die Frau.
„Und Janne, dies ist … ja, tut mir leid …?“
„Mein Name ist Rakel Haage. Mein Sohn Simon und Svea besuchen dieselbe Klasse.“
Simons Mutter!
„Aha?“, sagte Mama.
„Wir haben uns wahrscheinlich noch nicht kennengelernt. Meistens nimmt Simons Vater an Elternabenden und Abschlussfeiern teil. Meine eigenen Arbeitszeiten sind ziemlich unregelmäßig …“
„Entschuldigung“, unterbrach Mama sie. „Möchten Sie nicht hereinkommen? Ich wollte mir gerade einen Kaffee machen. Vielleicht darf ich Ihnen auch einen anbieten?“
Simons Mutter nickte knapp.
Papa hatte immer noch rote Flecken am Hals. „Ich sorge für den Kaffee“, sagte er schnell.
Mama ging voraus ins Wohnzimmer. Sie setzte sich aufs Sofa und Simons Mutter ließ sich auf dem Sessel gegenüber nieder. Wuff umkreiste die Fremde voller Neugier, bis Mama den Hund zu sich lockte.
Ich hing in der Türöffnung herum, voller böser Vorahnungen.
Papa, ein Tablett mit Kaffee, Gebäck und einem Glas Saft für mich in den Händen, drängte sich an mir vorbei.
„Bitte sehr“, sagte er, nachdem er eingeschenkt hatte.
Ich schleppte mich widerstrebend ins Zimmer und setzte mich so weit wie möglich von Frau Haage entfernt auf einen Stuhl.
Sie trank einen Schluck aus ihrer Tasse und stellte sie dann wieder ab.
„Leider habe ich ein unerfreuliches Anliegen“, begann sie. „Es geht um Svea.“
Alle drei starrten mich an, als wäre ich irgendein seltsames Tier.
„Sie hat Simon geschlagen.“
„Neein!“, riefen Mama, Papa und ich wie aus einem Mund.
„Leider doch. Simon ist gestern grün und blau geschlagen worden. Er weigert sich natürlich zu verraten, wer ihn so misshandelt hat, nun, Sie wissen ja, Teenager. Man bringt kein Wort aus ihnen heraus.“
Mama und Papa warfen sich einen leicht verwunderten Blick zu, doch Frau Haage schien das nicht zu bemerken.
„Schließlich habe ich Per Lundström, den Klassenlehrer, angerufen“, fuhr sie fort. „Und er hat mir erzählt, dass Svea in der letzten Woche einen Streit mit Simon hatte. Erst als ich Simon ohne Umschweife danach fragte, ist er zusammengebrochen und hat es gestanden.“
„Er lügt!“, schrie ich.
„Du hast doch gesehen, wie er zugerichtet war?“
„Ja, aber das war nicht ich!“
„Habt ihr denn tatsächlich einen Streit gehabt?“, wollte Papa wissen.
Ich überlegte. Klar, so konnte man es natürlich auffassen.
„Na ja, wir haben uns ein bisschen gekabbelt.“
„Du hast ihm anscheinend mitten im Unterricht gedroht“, flocht Frau Haage ein.
„Er hatte mir mein Tagebuch weggenommen!“
„Und dann hast du einem Jungen, der Micke heißt, ins Gesicht geschlagen.“
„Ja, weil du sonst schon in diesem Moment über Simon hergefallen wärst!“
Auf Papas Stirn waren mehrere Sorgenfalten aufgetaucht.
„Es kann doch vorkommen, dass die jungen Leute Meinungsverschiedenheiten haben“, sagte er in einem Versuch, das Ganze abzuschwächen.
„Und hallo! Als Simon nach der Schule nach Hause ging, war er total okay!“
Frau Haage sah mich skeptisch an und schien mir kein einziges Wort zu glauben.
„Und dann ist da noch diese Sache mit Frau Asp“, sagte sie.
Mama fuhr zusammen.
„Frau Asp?“
„Meine Nachbarin, eine alte Dame.“
„Hat Svea die etwa auch … geschlagen?“
„Ich hab überhaupt niemanden geschlagen!“
Ich stand auf und schleuderte mörderische Blicke auf alle drei. In diesem Augenblick sah ich wahrscheinlich so aus, als könnte ich jedem von ihnen eine schmieren.
„Nein, nein, aber Frau Asp war völlig aufgelöst. Kein Wunder. Die arme alte Frau! Nun, wenn man jung und töricht ist, begeht man eben manche Dummheit. Das müssen Sie doch zugeben …?“
Simons Mutter war so sehr damit beschäftigt, mich einer Missetat nach der anderen zu beschuldigen, dass sie nicht auf Wuff achtete. Mama tat das dagegen umso mehr. Wuff hatte sich immer näher an das Gebäckstück von Simons Mutter herangeschlichen, das in verführerischer Nachbarschaft zu ihrer Schnauze auf dem Tisch lag.
„Nein!“, herrschte Mama sie an.
Offenbar war das nicht die Antwort, die Frau Haage erwartet hatte. Sie sah Mama erstaunt an.
Wenn ich nicht so wütend gewesen wäre, hätte ich es echt komisch gefunden.
Frau Haage setzte zu einem neuen Versuch an:
„Na ja, man kann natürlich geteilter Meinung sein, aber dass Schmuck und andere Gegenstände aus Frau Asps Haus verschwunden sind, ist wirklich empörend!“
In ihrem Eifer, zu Ende reden zu dürfen, ohne wieder von meiner Mutter unterbrochen zu werden, stolperte sie fast über die Worte.
„Was denn für Gegenstände?“, erkundigte sich Papa.
„Unter anderem Goldschmuck mit echten Perlen. Und eine kleine Figur aus der Goldschmiedewerkstatt von Fabergé. Sie ist sehr wertvoll, obwohl sie komischerweise einen Affen darstellt.“
Mama sah nichts Komisches darin und fragte auch nicht, wer Fabergé sei.
„Wollen Sie behaupten, Svea habe diese Sachen gestohlen?“
Mamas Stimme klang ruhig, aber ihr Blick auf unseren ungeladenen Gast war fast hasserfüllt.
Frau Haage seufzte.
„Jedenfalls hat Svea Frau Asps Kellerfenster eingeschlagen und ist unerlaubt ins Haus geklettert. Ich habe sie mit eigenen Augen bei Frau Asp gesehen. Ach ja, übrigens, du hast deine Handschuhe vergessen.“
Sie kramte meine Handschuhe aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tisch.
„Was um alles in der Welt hast du dort gemacht?“
Wuff hielt schon wieder auf das Gebäckstück zu, aber Mamas strenge Stimme ließ sie zurückweichen.
„Das war nicht ich“, versuchte ich zu erklären. „Ein paar Jungs hatten am Tag vorher die Tannenhecke der Alten angesteckt und ihr Fenster eingeschlagen.“
„Und warum bist du rein ins Haus?“
„Ich wollte nachschauen, ob ihr nichts fehlt.“
„Aber“, wandte Frau Haage fast triumphierend ein, „das Feuer in der Hecke war ja am Montag, und ich habe dich am Dienstag bei Frau Asp gesehen.“
„Schon, aber …“
Mama unterbrach mich.
„Warum hast du nicht an der Tür geklingelt, wie normale Leute?“
Frau Haages Mundwinkel zuckten. Bestimmt dachte sie an den eigenartigen Empfang, den sie hier bei uns erhalten hatte.
Aber ich fühlte mich in die Enge getrieben. Gleichzeitig war ich immer noch stinkwütend. Wie konnten meine Eltern diesen Lügengeschichten nur glauben?
„Wie gesagt, es ist leicht, der Versuchung nachzugeben“, sagte Frau Haage.
„Ich weiß noch, als ich klein war, da hab ich im Laden einen Lolli gestohlen“, sagte Mama. „Er lag direkt vor meinen Augen, und als die Verkäuferin sich umdrehte, schnappte ich ihn mir.“
„Ich hab einen Fußball gestohlen“, gestand Papa. „Ich weiß noch, wie schwierig es war, ihn hinterm Rücken zu verstecken, als ich das Sportgeschäft verlassen wollte. Aber so etwas passiert eben im jugendlichen Unverstand.“
Ich selbst habe auch schon Süßigkeiten geklaut. Aber jetzt war nicht von Süßigkeiten die Rede oder von einem Ball. Es handelte sich um verschwundenen Goldschmuck und andere wertvolle Sachen. Ich erinnerte mich an den hässlichen Affen. Und den hatte ich nicht mitgenommen, der hatte mich kein bisschen verlockt.
„Frau Asp ist total durch den Wind, und trotzdem … trotzdem … glaubt ihr lieber ihr als mir!“
Vor lauter Zorn brachte ich meine Worte nur stoßweise heraus.
„Du musst zugeben, dass es seltsam ist“, sagte Frau Haage anklagend. „Jedes Mal, wenn etwas los ist, bist du zur Stelle, aber trotzdem angeblich vollkommen unschuldig!“
Ich wollte weinen und schreien und einfach wegrennen. Dennoch blieb ich sitzen, verstummt und erstarrt. Sie kapierten nicht, wie verletzt ich war.
Frau Haage musterte kurz ihre fast unberührte Kaffeetasse und tastete zerstreut nach ihrem Gebäck. Doch das hatte Wuff verschlungen. Mama hatte andere Sorgen als einen Kuchendieb.
Sie saß da und starrte mich an.
„Das hätte ich nie … von dir erwartet.“
Mit einem Beben in der Stimme.
„Ich will ja nicht aufdringlich sein“, sagte Frau Haage, „aber dürfte ich vielleicht einen Blick in Sveas Schultasche werfen? Einfach sicherheitshalber.“
Und da kam es.
Die Worte pressten sich aus mir heraus. Ich schaffte es nicht, höflich zu einer Person zu sein, die mich in meinem eigenen Zuhause verdächtigte und meine Eltern mitzog.
„Ihr seid ja alle total durchgeknallt!“
Wütend stampfte ich die Treppe zu meinem Zimmer nach oben, schlug die Tür mit lautem Krachen zu und drehte den Schlüssel um, bevor ich mich aufs Bett warf. Schluchzend und wimmernd heulte ich meinen Zorn in die weiche Kissenfüllung. Ich hasste meine Eltern. Und Simons beschissene Scheißmutter. Und Frau Asp, die nichts als Watte im Kopf hatte. Und Simon, diesen Lügner.
Simons Mutter und meine Eltern wollten doch tatsächlich meine Tasche durchwühlen! Am liebsten wohl auch noch in meinem ganzen Zimmer herumschnüffeln! Die mit ihrem verständnisvollen Gehabe! Jeder kann einen Fehler machen! Jetzt erwarteten sie natürlich, dass ich meine Fehler gestand und alles wiedergutmachte.
Wenn ich Simon tatsächlich eine geschmiert und Frau Asps Sachen geklaut hätte, wäre das einfach gewesen. Dann hätte ich mich entschuldigen und die Sache aus der Welt schaffen können.
Aber so war es ja nicht.
Und was macht man dann?
Mama und Papa klopften im Laufe des Abends immer wieder an meine Tür. Sie versuchten mich sogar zum Öffnen zu bewegen, indem sie Wuff an die Tür scharren ließen.
Echt billiger Trick!
Ich schleuderte meine Schultasche an die Wand.
Hier habt ihr meine verdammte Scheißtasche! Von mir aus könnt ihr sie durchwühlen.
Bücher und Stifte flogen über den Boden, doch das war mir egal. Ich setzte Kopfhörer auf und ließ Big FM alle anderen Geräusche ertränken.
Wuff durfte erst herein, als ich ganz sicher war, dass sie allein vor der Tür stand. Ich lag in der Dunkelheit, presste mein Gesicht in ihr weiches Fell und suchte Trost in ihrer Wärme.
Zwar hab ich schon eine Menge Blödsinn gemacht und die Erinnerung daran werde ich auch immer mit mir herumschleppen müssen. Aber ich hatte nicht vor, für die Fehler von jemand anderem den Kopf hinzuhalten.
Es gab nur eins, was ich tun konnte – die Wahrheit herausfinden.