Ein neuer Anfang im Grunewald
Als ich das erste Mal das alte wunderschöne Restaurant im Fachwerkhaus betrat, um mich als Serviererin vorzustellen, war ich voller Erwartungen und Respekt. Dieses Restaurant wurde nur von Künstlern und prominenten Gästen besucht. Ich hatte für kurze Zeit Brat-, Currywürste und halbe Hähnchen als Aushilfskraft in einem Imbiss verkauft. Ich hatte aber keine Ahnung vom Servieren.
Mein Mut wurde belohnt.
Es war ganz einfach. Frau Elfriede Dahm, die Chefin des Hauses, schaute mich genau an, so von oben nach unten und sagte in ihrer einfachen Art zu mir: „Du kannst morgen kommen, sei um 11.00 hier.“ Damit war ich eingestellt. Es war Glücksfall und in der Nähe meiner kleinen Wohnung.
Außerdem konnte ich besser für meine Kinder sorgen. Jetzt lebten meine Kinder im Heim.
Die Kinder brauchten wieder neue Bekleidung und ich wollte uns ein neues Zuhause schaffen. So hatte ich es vor, so wollte ich meinen Weg gehen. Auf dem Weg nach Hause gingen mir viele Gedanken durch den Kopf und ich glaubte an einen guten Neubeginn. Mein schlechtes Gewissen meinen Kindern gegenüber, war sehr stark, es war kein gutes Gefühl für mich. Aber jetzt konnte ich zufrieden sein, mit einer guten Arbeitsstelle.
Der erste Arbeitstag
Der erste Arbeitstag lief so ab, als wäre ich in irgendeinem Film und so lief ich auch durch das Restaurant. Ich hatte das Gefühl, ich bin es gar nicht, das macht alles eine andere. Das Tablett und die Teller hielt ich noch etwas ungeschickt, nach ein paar Stunden war alles so, als hätte ich hier schon eine lange Zeit diese Tätigkeit ausgeübt.
Meine Mutter kam nach Berlin, um in meiner Nähe zu sein, auch zu meiner Unterstützung.
Den ersten Schreck hatte ich gerade hinter mir, da bediente ich schon wieder einen Prominenten.
Einen Schauspieler den ich sehr gut aus Film und Fernsehen kannte und den ich auch noch verehrte. Wenn das so weiter gehen würde, wusste ich nicht, wie ich das verkraften soll.
Dieser Mann war sehr nett so wie in seinen Filmen. Was hatte ich für ein Glück, dachte ich, ihn persönlich kennen zu lernen. Ich lernte schnell, nur nichts anmerken lassen, Haltung war angesagt. Aber es störte mich dann doch etwas an ihm.
Er flirtete mit dieser Frau und wie er diese total Hübsche anhimmelte, Küsschen hier, Küsschen da. Er ist doch glücklich verheiratet, wie mir aus den Illustrierten bekannt war. Vielleicht ist das alles so üblich, dachte ich zu meiner Beruhigung. Nur nichts anmerken lassen, das Geschäft ging weiter.
Das Mittagsgeschäft ging los, der erste Herr mit Hund betrat das Restaurant, er ging sofort auf die rechte Seite. Der nächste Herr mit Hund. Der Hund fing gleich zu kläffen an. „Herrchen“ ging sofort auf die linke Seite vom Restaurant. Beide Hunde und beide „Herrchen“ weit von einander entfernt.
Es waren nur Minuten vergangen, doch merkte man sofort, die Hunde konnten sich überhaupt nicht ausstehen, sobald sie sich sahen konnte das ziemlich unangenehm werden und es entstand viel Unruhe. Nach ein paar Tagen hatte ich mich daran gewöhnt, doch ich stellte fest, die Herren waren sich auch nicht ganz grün, nur benahmen sie sich etwas gesitteter, als ihre Hunde, wenn da nicht die Blicke gewesen wären, die sie sich zuwarfen.
Der eine Herr rechts war ein Unternehmer mit einem braunen großen Münsterländer, der andere Herr links, war – so erzählten es mir meine Kollegen – ein bekannter Berliner Komponist. Er hatte einen Terrier mit dem Namen Schipsi, der besonders gut kläffen konnte.
An diesem Paar musste ich nun immer vorbei, wenn ich zur Küche ging und wieder zurück. Der Herr links musste Schipsi dabei immer kurz an die Leine nehmen. Er passte sehr auf seinen Hund auf, damit bloß nichts passierte.
Als wir uns etwas besser kannten, durfte ich auch schon mal näher an den Tisch und der Herr von links sprach dann auch mit mir. Er meinte, der andere Hund wäre Schuld, dass Schipsi so aus der Ruhe kam, was aber nicht so aussah, denn der große Hund lag, wie immer ganz ruhig und gelassen unter dem Tisch, während sein „Herrchen“ zu Mittag aß.
Für mich war es höchst interessant, wen ich in diesem Haus alles kennen lernte, ich war überrascht, auch der Geschäftsführer war sehr prominent. Es kamen viele, die ihn noch von früher kannten.
Das war vor dem Krieg. Er hatte damals am Kurfürstendamm ein Künstler-Restaurant.
Nun wurde er achtzig Jahre alt und es wurde in diesem Restaurant gefeiert und es kam alles was in Berlin mit Film, Theater, Rundfunk und Presse zu tun hatte.
Berlin war zu dieser Zeit noch eine „Insel“, ich hatte den Eindruck, nur hier im Grunewald lebten und trafen sich diese Leute, und es gab nichts anderes für sie. Alles, was „Rang und Namen“ hatte traf sich im Grunewald, in diesem Restaurant. Wir waren drei Serviererinnen und wir verstanden uns sehr gut. Es gab auch immer etwas Brisantes zu berichten.
Besonders machte es Spaß über soviel Prominenz direkt vor Ort den gesamten Tratsch mitzubekommen.
Meine Kollegin Uschi war blond, ihr Haar war zu einer Hochsteck-Frisur drapiert und sie sah sehr gut aus. Sie trug wertvollen Schmuck und die Gäste, vor allen die Herren, schauten sie ganz anders an, als mich. Vielleicht lag es an den Schmuck oder an ihrer Grazie – mit Trippel-Schritten stolzierte sie durchs Restaurant. Sie sah, ohne Neid aufkommen zu lassen, wie eine Lady aus.
Er, der Herr von links, der Berliner Komponist war so fasziniert von Uschi, dass er mich ansprach und über Uschi etwas wissen wollte. Das war für mich unglaublich, das hätte ich ihm nie zugetraut, dass er sich für eine Bedienung ernsthaft interessierte. So vertraute er mir in der nächsten Zeit an, dass er nicht wüsste, wie er sich Uschi nähern könnte.
Ich machte ihm Mut, sie einfach anzusprechen und Uschi mal an einem Sonntag in ein Café einzuladen.
Ich freute mich für Uschi und für den Herrn Komponisten, denn nach kurzer Zeit waren die beiden ein Paar. Wie er doch förmlich aufblühte. Noch vor ein paar Wochen sah er sehr verbissen aus. Man sah es den beiden an, sie waren glücklich.
Der Geschäftsführer
Er saß immer dort am Stammtisch, gleich neben der Theke, wie eine Buddhafigur aus einem Andenkenladen. So sah er aus, dick und feist, in seinem viel zu engen Anzug, dazu trug er eine knallrote Krawatte die sich wie eine Schlange um seinen kurzen Hals würgte, seine Augen schauten nach allen Seiten, etwas vorwitzig schon eher listig, ohne seinen Kopf zu bewegen. Die Krawatte hat es sicher verhindert.
So saß er nun jeden Abend am gleichen Platz, immer um die gleiche Zeit, er kam pünktlich. Er war gut gelaunt und er sah auch frisch und munter aus und begrüßte die Gäste von seinem Platz aus nach allen Seiten mit seiner ganzen oberen Körperfülle. Erst sah er nach links dann rechts, dabei verzog er nicht eine Mine. Er wartete nun auf die ersten Stammgäste die seiner würdig waren, kein anderer Gast wagte sich jemals, an diesen Stammtisch. Sobald wir auch nur aus Versehen an einem Stuhl ruckelten, da wir ja oft dort vorbei mussten, wurden wir durch einen bösen Blick bestraft. Er wurde in seinem Gesicht puterrot und wir suchten schnell das Weite. Marsch in die Küche um seine Bestellung beim Chefkoch weiter zu geben, der Herr aß immer nur eine Kleinigkeit. So auch an diesem Abend. Er wollte Kaviar Toast und Butter.
Er hatte wieder mal, was ich nicht wusste, das Küchenpersonal in der Mittagszeit verärgert. Ich traute meinen Augen nicht, der Koch nahm sein Kochmesser ging ins Lager und kam mit einer Kakerlake zurück. Diese Kakerlake zerhackte er mit dem Kochmesser schnell und ganz fein und mischte dieses Feingehackte vorsichtig unter den Kaviar. Inzwischen war der Toast und die Butter angerichtet. Jetzt kam mein „Auftritt“. Die Stoffserviette auf einen großen Teller. Den Toast in die Serviette gelegt, das Gläschen Kaviar auf gestoßenem Eis stellte ich in den Teller. Mit dieser höchst brisanten Mischung ging ich, mit einem Kribbeln im Bauch, zu unserem Herrn Raffegort dem Geschäftsführer. Es waren nur ein paar Schritte zu seinem Tisch, doch es war für mich eine Ewigkeit. Für mich gab es auch kein zurück mehr. Wenn er mich beachtet hätte, würde er meine Anspannung bemerkt haben. Doch seine Erhabenheit ließ das nicht zu. Nun speiste er mit Genuss und trank seinen schon obligatorischen Cognac dazu.
Die gesamte Küchenmannschaft und das Servierpersonal hatten sehr lange etwas von der Schadenfreude.
Wenn der Herr Jonny Raffegort uns mal wieder auf die Nerven ging, oder uns auf unsere Hände einen Klaps gab, wenn wir nach seiner Meinung das Pils zu früh vom Büfett nehmen wollten, hat uns das gar nicht mehr so aufgeregt. Denn unsere Rache hatten wir ja schon.
Ich konnte meinen Kollegen nicht dazwischen reden und hielt meinen Mund zu dieser Angelegenheit. Ich passte mich an diese völlig andere Welt an. Was wusste ich schon vom Leben?
Ich ging öfter mal zum Friseur, das machte sich bemerkbar, ich hatte auch ein besseres Auftreten und ich entdeckte meinen Charme, jetzt konnte ich mit dieser neuen Situation etwas mithalten.
Ein großes Erlebnis
Ein Herr war von mir sehr angetan, er trank gern Rotwein und aß immer nur eine Kleinigkeit. Er schmatzte dabei, was sich aber nicht unangenehm anhörte.
Er war ein Professor für Musik und war in der Berliner Oper als Dirigent engagiert. Von der Musik hatte ich keine Ahnung, und weil er sich gerne etwas Abseits an einen „Katzentisch“ setzte, hatte ich die Gelegenheit, ihm manchmal zuzuhören. Er erzählte mir von seiner Arbeit, einiges über Opern und was er dirigierte. Ich hörte ihm aufmerksam zu, es war für mich höchst interessant.
Dieser Mann kam eines Tages mit einer Überraschung zu mir und schenkte mir eine Eintrittskarte für die Oper Berlin und erklärte mir, dass dies eine besondere Karte wäre, von der er nur eine bekommen hat und die bekomme ich.
Es ist für den 2. Juni 1967. Er ist der Dirigent, er dirigiert den Vogelhändler zum Staatsbesuch vom Schah von Persien und der Kaiserin Farah Diba.
Ich wusste einfach nicht, was mir da geschah der Professor H. wollte mir eine große Freude machen das hatte er auch geschafft. Was war ich stolz, nächtelang konnte ich vor Aufregung nicht richtig schlafen, was ziehe ich an und wie lasse ich meine Frisur machen. Dann habe ich einen Tipp von einer Kollegin bekommen, der damals größte Modeschöpfer Heinz Oestergart von Berlin verkaufte günstig ein paar von seinen Creationen. Ich habe ein Kleid von ihm bekommen, was für mein knappen Geldbeutel gerade noch möglich war.
Dann kam dieser Tag. Mit einem Designer-Kleid und einer „Farah Diba Frisur“ bestellte ich mir ein Taxi.
Am Kaiserdamm angekommen, fing der Taxifahrer in seiner Berliner Art, schon an zu fluchen, er konnte kaum mit dem Wagen durch die Menge der Menschenmassen, es war eine große Demonstration gegen den Schah von Persien. Von Politik hatte ich überhaupt keine Ahnung. Die Situation erschreckte mich sehr, der Taxifahrer klärte mich auf in seinem Berliner Dialekt. „Kricht von uns dat Jeld und kooft sich eene joldene Badewanne wo jibt es denn sowatt.“ Ach so ist das, dachte ich .
„Wolln se wirklich da rinne“, fragte mich der Taxifahrer etwas besorgt, „da werne doch mit de Eier und Tomaten beschmissen.“
Er fuhr so nah wie es nur ging an die Einlasspforte. Ich musste meine Eintrittskarte der Polizei vorzeigen, sonst wären wir nicht weiter gekommen. Alles war in großer Aufruhr, von den Polizisten bis zu den Menschen, die demonstrierten und tobten.
Als ich aus dem Auto stieg ging ich in gebückter Haltung in die Oper. Rechts von mir der Bundespräsident mit seiner Frau, jetzt musste ich warten, dann kamen in gebückter Haltung der Schah und seine Kaiserin Farah Diba und ich war mittendrin, geschützt von Polizisten auf beiden Seiten.
Als wir alle im Haus waren, die Türen geschlossen, da war eine gespannte Stille, so empfand ich es damals.
Wir wurden zu unseren Plätzen geführt. Es war alles sehr aufregend für mich, ich hörte mir den zauberhaften Gesang der hervorragenden Künstler an und schaute ins Orchester, um den Dirigenten Prof. H. zu sehen, weil ich eine Karte fürs Parkett hatte, das war links von den Kaiserlichen Hoheiten, konnte ich ihn nicht gut erblicken.
In der Pause marschierten wir alle aus dem oberen Rängen an dem Kaiserlichen Paar vorbei, es sollte erst mit Handschlag begrüßt werden, doch der Schah lehnte ab, er war echt sauer über den Trubel gegen ihn auf den Straßen Berlins, dass er richtig wütend war, konnte ich deutlich sehen.
Jetzt war ich an der Reihe, an dem kaiserlichen Paar vorbei zu gehen und zu grüßen. Was war ich nervös. Die Kaiserin war mit einem zauberhaften Lächeln für mich doch noch bereit, vielleicht weil ich ihre Frisur trug?
Es war für mich ein aufregend schöner Tag und Abend, den ich aber nie vergessen werde.
So werde ich auch nie vergessen, dass draußen vor der Berliner Oper, ein junger Student Namens Benno Ohnesorg von der Polizei erschossen wurde. In den Zeitungen stand, es war ein Versehen.
Das Glas Wein, zu dem der Dirigent mich im Weinhaus Habel am Roseneck, eingeladen hatte, haben wir auf Grund dieses Unglücks ausfallen lassen. Ein paar Tage später habe ich als kleines Dankeschön Herrn Prof. H. zu mir nach Hause zum Kaffee eingeladen. Ich hatte einen Kuchen gebacken und den Tisch schön gedeckt. Als er kam, begrüßte er mich besonders nett, na, dachte, ich so, was sollte das nun sein, er knöpfelte doch an meiner Bluse herum. Ich schaute ihn verblüfft an und sagte zu ihm: „Wollen wir nicht lieber Freunde bleiben Herr Professor“, er war ganz Gentleman knöpfte meine Bluse selbst wieder zu und gab mir ein Küsschen auf die Wange, jetzt war Kaffeezeit für Freunde!
Im Restaurant musste ich von meinem Besuch in der Oper erzählen. Meine Kolleginnen waren neugierig über mein Erlebnis, sie wollten alles wissen, auch der Herr von links mit Hund Schipsi, wir waren ja jetzt durch meine Freundin und Kollegin Uschi etwas befreundet und hatten auch einige Geheimnisse miteinander, wollte in der Mittagszeit von mir wissen, wie es so war.
Ich war für ihn eine Vertraute geworden eine Freundin und er schrieb an diesem Tag in mein Gästebuch, ich sei für ihn eine Königin, was wünscht man sich mehr von einem Freund.
Eine seltsame Begegnung
Meine Kollegin Brigitte war das ganze Gegenteil von meiner Kollegin Uschi. Brigitte war sehr aufgeschlossen und hatte schon mal hier und da eine kleine Affäre mit einem Gast, es waren Herren von Film und Fernsehen. Die meisten sahen auch super aus, oder hatten einen großen Namen, da konnte Brigitte nicht widerstehen, darüber erzählte sie uns nichts. Wir merkten es dann am ihrem Verhalten.
Sobald der Gast, mit dem sie gerade befreundet war, im Restaurant auftauchte und wir sie darauf ansprachen, schmunzelte sie geheimnisvoll.
Als eines Tages, es war am späten Nachmittag, ein Mann ins Restaurant kam, merkte man ihm an, dass er sich hier auskannte. Er schien erschöpft und sah auch ziemlich fertig aus, er schleppte einen Koffer, der schien für diesen Mann eine schwere Last zu sein, und er sah hilfsbedürftig aus. Der Koffer war sehr alt und verschrammt und passte gar nicht zu diesem gutaussehenden Gast. Er setzte sich auf die rechte Seite vom Restaurant, an den größten Tisch.
Brigitte, groß, rassig und eine gutgeformte Figur, stand nun vor diesem Gast mit ihrem schwarzen Wuschelkopf und fragte nach seinen Wünschen, er sah sie an, fast erschreckt, dabei kam Leben in sein Gesicht und dieser Mann blühte förmlich auf. Ich konnte das gut beobachten, zu dieser Zeit war es noch sehr ruhig im Restaurant. Es knisterte zwischen den beiden so stark, dass der ganze Raum davon erfüllt war. Es war schon eigenartig, nie hatten die beiden sich vorher gesehen, doch ich erkannte ihn etwas später, er war sehr bekannt durch seine Filme und auch von der Bühne vom Theater am Kuhdamm.
Versuchungen
Unmittelbar passierte mir das auch mit einer berühmten Persönlichkeit, nur wollte ich von diesem Menschen überhaupt nichts wissen, er verfolgte mich nach Feierabend bis zu den Umkleideräumen.
Ich machte ihm klar, dass ich nichts von ihm wissen wollte, doch er ließ nicht von mir ab. Wie ein Gockel lief er mir hinterher. Ich nahm an, er würde schon irgendwann damit aufhören.
Wenn seine Frau das mitbekam! Doch seine Frau störte das überhaupt nicht, sie trank ihren Wein und war dabei selig.
Als er eines Tages vor meiner Wohnungstür stand, war ich doch sehr erschrocken. Ich hätte ihm irgendwann versprochen, mit ihm einen Sonntag zu verbringen. Wahrscheinlich tat ich dies, damit er mich endlich in Ruhe lassen würde. Ich bat darum, er möge doch draußen warten, bis ich umgezogen sei. Er wartete in seinem Wagen auf mich und wir fuhren, ganz unverfänglich, zum Berliner Zoo. Es wurde ein schöner Tag, die Sonne strahlte, ein Orchester spielte Berliner Musik, es schallte durch das ganze Gelände. Man konnte annehmen ganz Berlin wäre auf den Beinen. Laufend kamen Zoobesucher und wollten von ihm, wenn er erkannt wurde, Autogramme.
Bei den ersten zehn Mal war das ja noch sehr interessant für mich, doch nach einiger Zeit wurde es ziemlich lästig, ich hatte einige Fragen an ihn, die ich dann beim Kaffeetrinken beantwortet bekam.
Warum seine Frau nichts dagegen hätte, dass er sich eine Freundin aussuchte. Sie hätte einen sehr jungen Liebhaber, der sogar in seinem Haus mit ihr übernachtet und er hätte schon sehr lange sein eigenes Schlafzimmer.
Mir fielen die Nonnen ein, was zu dieser Zeit selten passierte, das sind die wahren Verwahrlosten, so etwas sollten die Schwestern im Vincenzheim sich mal anhören. Wir „verkommenen Mädchen“ waren harmlos dagegen! Ich schüttelte den Kopf. Das hat mich total umgehauen, so war das alles.
Wenn ich verliebt in ihn gewesen wäre, wären wir vielleicht ein Paar geworden zur eventuellen „Abschreckung“ erzählte ich ihm dann von meinen Kindern und er erwiderte, dass ihm das nichts ausmachen würde, er hätte Kinder sehr gern und seine Frau könnte keine bekommen. Voller Zweifel bat ich um Bedenkzeit.
Eine Liebe von besonderer Art
Im Restaurant waren zwei runde Tische in einer Nische vor der Küche. In diesem Bereich durfte Skat gespielt werden. Es kamen Herren in schicken Anzügen und Kaschmirmänteln, das schmückte sie, denn manche waren klein und hässlich, doch sie spielten Karten wie kleine Teufel und wollten nur bei der Bestellung mit uns reden, wehe, wenn sie jemand beim Kartenspielen unterbrach.
Es waren Häusermakler, Politiker, Architekten und Filmleute, große Bauunternehmer dort versammelt. Alle kannten sich schon wegen ihrer Spielleidenschaft, es ging immer um viel Geld und Verbindungen geschäftlicher Art.
Die Erinnerung geht nicht mehr aus meinem Herzen. Ich lernte aus dieser Clique Hans K. kennen und ich war Feuer und Flamme für diesen Mann. Ich wollte mich dagegen wehren, als erfahrener Mann eroberte er mich im Fluge. Er gab mir das Gefühl, ich gehörte zu dieser Gesellschaft, nahm mich mit zu seinen politischen Veranstaltungen, wo ich auf ihn wartete, bis er mit seinen Ansprachen fertig war, bei den Diskussionen durfte ich anschließend dabei bleiben.
Wir waren ein Paar, was hatte ich für ein Glück. Ich konnte seinem Charme nicht widerstehen, das machte sicher auch seine Macht aus, die er zweifellos hatte und die er mit sehr viel Geschick gebrauchte. Das alles imponierte mir sehr.
Er imponierte auch seinen Genossen, wie es in seiner Partei hieß, doch mir fiel auf, dass er viele davon auch nur benutzte, indem er etwas versprach und nicht hielt, weil ich seinen Terminkalender kannte und er aus zeitlichen Gründen sein Versprechen gar nicht einhalten konnte.
Ich habe sehr viel warten müssen, die meisten Verabredungen hat er auch bei mir nicht pünktlich eingehalten, doch wenn er dann noch zu mir kam, war ich sehr froh und er erzählte mir, was und wen er alles getroffen hat, bei offiziellen Anlässen nahm er mich ja nicht mit, das musste er dann mit seiner Ehefrau absolvieren.
Doch war ich immer zuversichtlich. Ich wollte nicht von ihm lassen und so den Mann nicht verlieren. Er war meine erste und einzigste große Liebe. Er versicherte mir immer wieder, ich wäre die Richtige für ihn, auch wenn ich drei Kinder habe. Wenn er könnte, würde er mich heiraten. In seiner wenigen Freizeit war er immer bei mir, deshalb habe ich ihm geglaubt.
Als er anfing ein großes Objekt in Berlin zu bauen, nahm ihm die Architektin sehr in Anspruch und ich sah ihn nur noch selten. Ich ging mitunter in sein Büro, um nur mal „Guten Tag“ zu sagen, er bekam es immer wieder hin, mich mit seinem Charme zu beruhigen und ich war wieder zufrieden.
Er hatte zwei Sekretärinnen, eine kam mir sehr „verdächtig“ vor, doch ich dachte mehr an diese Star-Architektin, auf die ich schon länger eifersüchtig war. Er versicherte mir, dass er mit ihr nichts hätte.
Die eine Sekretärin war es dann. Und ich habe es nicht bemerkt, wie sollte ich auch. Ich hatte mich getäuscht, ich gehörte nicht zu dieser Gesellschaft.
Eine kleine Bedienung mit drei kleinen Kindern. Dafür musste ich arbeiten und für sie sorgen, das passte nicht in diesen Rahmen. Warum habe ich mir nur so große Hoffnungen gemacht? Ich glaubte an ihn und was er mir versprach. Meine Traurigkeit holte mich ein. Eine Hoffnung hatte ich, ich war mutig und ich war beliebt. Die Arbeit und die Kinder werden mir darüber hinweghelfen. Meinen Weg musste ich, wie immer, allein gehen.
Er hatte ein böses Spiel mit mir gespielt.
Für diese Gesellschaft war ich doch zu unerfahren, jetzt hatte ich es am eigenen Leib erfahren, wie das ist, wenn ein Mann seine Frau betrügt. Obwohl ich nicht mit Hans verheiratet war, tat diese Erkenntnis, wieder die Angst wertlos zu sein, aus dieser Verbindung sehr weh. Wie muss es seiner Frau zumute gewesen sein, jetzt hatte er schon wieder eine „Neue“.
Fast alle männlichen Gäste hatten im Restaurant eine feste Freundin, ich hätte es wissen müssen, einmal kamen sie mit der Ehefrau, am nächsten Tag mit der Freundin zum Speisen.
Ich arbeitete in der nächsten Zeit viel und ich bekam ein Angebot, für ein Geschäft zu arbeiten, in dem ich vielseitig eingesetzt werden sollte. Dieses Angebot nahm ich an. Viele Gäste, die ich schon vom Grunewald her kannte, besuchten auch dieses Restaurant.
An einem Herbst-Nachmittag, es war schon dunkel und vier Herren saßen im Restaurant und tranken ihr Bier. Sie waren sehr lustig, jeder hatte etwas zu erzählen, sie nahmen sich immer sehr wichtig.
Bei der nächsten Bestellung, fragte mich ein Herr aus dieser Runde, (er war ein berühmter Schlagersänger).
„Sag mal Mädchen, kennst du eigentlich diesen Mann hier?“ Ich schaute den Mann an, doch hatte ich ihn noch nie gesehen.
„Weißt du das denn nicht, wer das ist? Komm“, sagte er zu seinem Tischnachbarn, „sag mal etwas zu dem Mädel, vielleicht erkennt sie dich an der Stimme.“
Er sprach mit mir und schmunzelte, stellte mir Fragen, doch ich erkannte auch diese Stimme nicht.
„Na“, sagte der Schlagersänger „ dann will ich es dir mal sagen. Hast du denn nie etwas von Onkel Tobias vom Rias ist da als Kind gehört? Das ist er, der Onkel Tobias.“
Wie gelähmt stand ich da und stammelte. „Ja, ja, klar kenne ich diese Sendung.“
Er lächelte mich an und gab mir die Hand und stellte sich vor, ja ich bin es, der Onkel Tobias vom Rias.
Ich konnte es kaum fassen, diesen Mann kennen gelernt zu haben, das hatte mich doch etwas durcheinander gebracht, eine Schlüsselfigur in unserem Leben in Ost-Berlin.
Es war eine schöne Zeit in dieser Gaststätte zu arbeiten, ich lernte in der Küche und das Büfett zu bedienen. Mein Freund Hans kam mich dort oft besuchen.
Mit seinen Freunden spielte er auch hier in einen Extra-Raum, Skat, wie immer am Freitag nach Geschäftsschluss. Als ich dringend eine Wohnung suchte konnte ich mir, in seinem fertiggestellten Mietshaus eine Wohnung aussuchen. Ich nahm die kleinste Wohnung damit keine hohen Kosten auf mich zukamen. Die Freundschaft blieb trotz allem weiter bestehen, obwohl er mein Vertrauen in unserer Liebe zerstört hatte.
Meinen Kindern ging es gut und ich holte sie oft aus dem Kinderheim in meine neue kleine Wohnung. Dann konzentrierten sie sich auf alles was ich ihnen im Rahmen meiner Möglichkeit, nur bieten konnte, es gab viel neue Kleidung und Spielsachen und sie waren außer Rand und Band. Mein Herz tat weh, wenn ich sie wieder ins Heim zurückbringen musste. Zu keiner Zeit habe ich mich jemanden anvertraut, der mich kannte, (nur der nette Polizist wusste fast alles von mir und er hatte mich verstanden), wie mein Leben bis dahin verlaufen war. Das hatte ich sehr schnell herausbekommen, nur nichts davon erzählen. Es würde alles falsch verstanden werden. Ich ging jetzt weiter meinen Weg. Nur keine Gefühle zeigen in der Öffentlichkeit.
Ich übersah dabei den Sinn des Lebens, während ich in der Arbeit Anerkennung fand. Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, was richtig ist, habe Geld verdient und wurde von Tag zu Tag unabhängiger.
Diese Anerkennung hatte ich bei den Nonnen nie kennen gelernt, da war ich ein Fürsorgezögling. Jetzt kämpfte ich immer noch in mir, gegen die verbalen Attacken der Nonnen. Ihr seid wertlos und nicht tragbar für die Gesellschaft.
Die zweite Ehe hat mich maßlos enttäuscht, jetzt schätzte man mich und ich genoss es, mit voller Genugtuung, im Geschäft gebraucht zu werden.
Es ging aufwärts, sobald ich eine Aufgabe hatte, die ich zu aller Zufriedenheit ausüben konnte und ich war dann mit mir selbst zufrieden, ich funktionierte so, wie ich immer funktioniert habe, doch anders, jetzt mit Erfolg.
Ich fand im Laufe der Zeit heraus wie ich mich unentbehrlich machen konnte, ich hatte immer Zeit für das Geschäft, ich war fleißig und bei den Gästen sehr beliebt.
Das Wichtigste war meine Ehrlichkeit, ich verwaltete die Einnahmen und rechnete auf Heller und Pfennig ab. Das brauchte ich, das war meine Überlebens-Strategie.
Mitten im dicksten Geschäftsbetrieb sah ich ihn, wie so oft kam er pünktlich immer um die gleiche Zeit, trank zwei Bierchen und einen Schnaps und weg war er. Er fiel mir besonders auf, weil er sehr höflich war, das gefiel mir und sah sehr gut und gepflegt aus.
Auf diesen Mann schaute ich schon mehrmals. Er hatte es bemerkt. Schon in den ersten Tagen unserer Bekanntschaft, nahm er mich ganz in Beschlag.
Ich wurde in seiner Firma angemeldet und sollte auf keinen Fall mehr irgendwo arbeiten. Es gefiel mir sehr, ich wurde verwöhnt mit allem, was man sich als Frau so wünscht.
Wir wohnten erst in meiner kleinen Wohnung und mieteten uns ein Haus, etwas außerhalb von Berlin.
Meine Kinder holte ich oft am Wochenende aus dem Kinderheim und wir machten Ausflüge in den Berliner Zoo oder in den Märchenwald.
Es war ein schönes Leben, so hatte ich mir mein Leben vorgestellt, meine Kinder waren jetzt oft bei mir. Meine Mutter kam aus Altena zu Besuch. Es tat ihr gut in unserer Nähe zu sein. Eine richtige Familie ein „ordentliches Leben“.
Die Zeit meiner Jugend, erwähnte ich mit keinem Wort, aus Angst er könnte das falsch verstehen. Eine Frau aus der Erziehungsanstalt, wollte er als Geschäftsmann bestimmt nicht haben Jetzt war ich sechsundzwanzig Jahre alt. Ich bekam nach einiger Zeit wieder ein Kind. Es war wieder ein Mädchen, wir hatten jetzt zusammen sechs Kinder.
Mein neuer Mann hatte schon zwei große Mädels, die in München lebten, oft war seine Familie bei uns. Sie kamen sonntags mit Großmutter, Dackel und seiner ehemalige Frau zu Besuch. Ich versorgte sie mit großer Höflichkeit. Eine schöne Zeit, ich sah es so. Diese Zeit hielt sieben Jahre, ich machte mich, in dieser Zeit „klein“, ich war gehorsam, aus diesem Grund klappte alles wie er das wollte. Ich wollte ihn „erreichen“, das habe ich nie geschafft. Er war mit seiner Familie mehr verbunden, als mit uns, seiner neuen Familie. Was für ein neuer Trugschluss.
Für diese Familie sind wir, mit Firma und alles was wir uns in Berlin angeschafft haben, nach Bayern gezogen. Er wollte in ihrer Nähe sein, dafür hatte ich Verständnis. Nach Jahren habe ich bemerkt, ich war ihm nicht so wichtig. Leider verstrickte sich mein Mann immer mehr in Lügen, bis es mir zu bunt wurde.
Er wollte seine Lügen und Machenschaften auch in der Firma vor mir verbergen. Dabei erwischte ich ihn.
So mahn alles seinen Lauf, viele Unstimmigkeiten zwischen uns und viel Streit, wenn ich ihn wieder mal beim Lügen ertappte und das kam immer öfter vor. Er, der mir so sympathisch war, er der so gute Manieren hatte und mir durch seine Höflichkeit vor sieben Jahren besonders auffiel, war nun unhöflich, seine Manieren ließen sehr zu wünschen übrig und er ließ sich zu Gewalttätigkeiten hinreißen. Er hatte sich nicht mehr in der Gewalt, jetzt schrie er mich an, bei den Fragen, die ich ihm stellte. Verzweiflung und Angst um meine Kinder hinterließen Spuren. Ich bekam keine Antwort mehr.
Warum er so gemein war wollte ich wissen, nein, ich bekam keine Antwort, er schlug zu. Es tat auch innerlich, sehr weh.
Nach unzähligen verbalen Attacken und Exzessen habe ich mich entschlossen, mit meinen Kindern wieder nach Berlin zu ziehen.
In Berlin nahm ich mein Leben, mit meinen vier Mädchen wieder selbst „in die Hand“.
Die erste Schwierigkeit war, eine geeignete und preiswerte Wohnung zu bekommen.
Wenn es nicht so eilig gewesen wäre, hätte ich schon mal über diese Sucherei lachen können, doch zum Lachen war mir nicht zumute.
Sobald wir uns bei einem Vermieter vorstellten und dieser Vermieter vier Kinder sah und eine alleinerziehende Mutter, winkte er ab. Die Möbel sollten von der Umzugsfirma geliefert werden
Im Grunewald hatten wir vorerst zwei schöne große Zimmer in einer Pension.
Diese Gegend war mir vertraut, daher bin ich mit meinen Kindern dort „gelandet“. Wir hatten immer noch keine Wohnung.
Ein Zufall half, meine frühere Chefin aus dem Imbiss hatte eine Idee. Zwei Türen weiter von ihrer Wohnung, machte ein „Tante-Emma-Laden“ zu, sie half mir die Kontakte herzustellen. Total verwohnt, aber drei Zimmer und eine kleine Küche, es gab viel zu tun in dieser Wohnung. Ich sagte zu und mietete diese Wohnung. Ich hatte keine andere Wahl und machte mich an die Renovierung. Aus der Familie meiner ehemaligen Chefin kam mir der Sohn zu Hilfe. Er war schnell und gründlich bei den Arbeiten und wir konnten die Umzugsfirma bestellen. Als die Möbel und unsere Kisten abgeladen waren, kam der Fahrer, den ich schon aus unserem Ort in Bayern kannte auf mich zu und wollte mich sexuell betatschen. Ich stieß ihn zurück und hatte eine fürchterliche Angst, er war groß und stark, ich war allein mit diesem Mann. Ich kannte ihn als seriösen Familienvater und hatte Vertrauen zu ihm. Es war eine große Enttäuschung für mich. Dieser seriöse Familienvater wollte sich mir nähern. Entsetzen, ich schrie ihn an, er solle sofort gehen, dann ließ er mich in Ruhe. Zeit für langes Nachdenken hatte ich nicht, aber ich spürte „eine Frau alleinstehend“, da fiel mir meine Mutter ein, sie konnte sich nie wehren, hat es besonders schwer, in jeder Hinsicht.
Ich stürzte mich wieder mal in Arbeit und unterstützte meine ehemalige Chefin im Geschäft. Der Junior-Chef war für mich tätig. So vertrat ich ihn, in dieser kleinen Kneipe, die ich vor vielen Jahren mit der Chefin eröffnet hatte. Damals verkaufte ich dort Bockwurst mit Kartoffelsalat, Berliner Weiße war der „Renner“. An diese kurze Zeit erinnerte ich mich gern. Einige Rentner tranken damals, schon in der Mittagszeit, ihr Schnäpschen und ihre Molle. Eine lustige und doch traurige Gesellschaft. Da war Gerti, die zu allem nickte, wenn Kalle etwas über Politik in seiner überzeugten Berliner Art erzählte, es widersprach ihm keiner in dieser Runde, warum auch, es ging ihnen wieder um die nächste Runde ... Da war Charly, der Liebhaber von Gerti, ein langer Lulatsch. Gerti „amüsierte“ sich für ein paar Stunden mit Charly, bei mehreren Weinbrand-Runden, während ihr kranker alter Mann im Bett, ein paar Lauben weiter, auf sie wartete. Das tat sie immer wieder kund, wenn sie meinten „jetzt gehen wir aber nach Hause“, „ja das tun wir jetzt mein Mann braucht dringend sein Mittagessen“, sagte Gerti.
Charly bestellte erst mal noch eine Runde, „jetzt trinken wir erst noch einen“ und Gerti nickte brav, „aber dann gehen wir alle nach Hause“, meinte sie, ja, ja, sagte Charly und nahm ihre Hand und gab ihr auf die Wange einen feuchten Kuss.
Kalle, trank seine Molle und seinen Korn, sah nachdenklich in sein Bierglas und sagte nur noch „ja, ja“ und schüttelte seinen Kopf, es schien, als verstehe er die Welt nicht mehr, „ja, ja ...“, sagte er, immer wieder. Mutter zahlen, damit war meine Chefin gemeint.
Es war ihnen wichtig, das „Mutter“ selbst kassierte, so gab es zum Abschluss, noch mal eine Runde vom Haus. Jetzt war es drei Uhr Nachmittag.
Es sind acht Jahre vergangen und ich arbeitete wieder in dieser Gaststätte. Aushilfe für den Junior-Chef. Er war noch mit der Renovierung unserer Wohnung beschäftigt.
Viel war noch zu tun und ich war mittendrin in meiner ehemaligen Arbeitsstelle, die ich vor acht Jahren mit „Mutter“ für kurze Zeit aufgemacht habe.
Es war nach der Imbiss-Zeit, wo ich erst Hähnchen und Würstchen verkaufte. Dort hatte ich angefangen. Habe, am Abend gearbeitet, wenn meine Kinder schliefen, damit wir etwas zum Leben hatten. Ich erinnere mich, mit einem Lächeln.
Meine Chefin hatte mich zu den Verhandlungen mit der Brauerei zur Unterstützung mitgenommen.
Die kleine Schänke am S-Bahnhof Grunewald wollte sie damals unbedingt erwerben. Sie war sehr geschickt und erfahren.
Konnte überzeugen und die Herren regelrecht „um den Finger“ wickeln. Die Verträge wurden unterzeichnet.
Jetzt war es ihr Geschäft und wir fuhren mit dem Bus nach Hause. Was lächelte sie so? Ich fragte sie was sie denn hätte, sie sagte: „Wie ich die Anzahlung für dieses Geschäft zusammen bekommen soll, weiß ich jetzt noch nicht. Ich habe keine einzige Mark dafür zusammen.“
Meine Güte, hat diese Frau Mut, wie sie doch verhandelt hat, als wäre ihr Bankkonto prall gefüllt. So ging damals alles seinen Weg, wir machten wenige Wochen darauf das Lokal auf.
Nachdem die Wohnung renoviert war und der Junior-Chef sich daran gewöhnt hatte, wie ich das Geschäft mit Mutter in vertrauter Gemeinsamkeit führte, gefiel ihm das. Jetzt hatte er mehr Freizeit und konnte seinen Hobbys nachgehen.
Im Lokal kannte ich mich aus und fing an, die Küche auszubauen, eine Speisekarte zu schreiben und in der Gaststätte auszulegen. Mit wenigen Mitteln begann ich zu kochen. Mutter war erst skeptisch. Nach wenigen Wochen hatten wir jedes Wochenende viel zu tun, es war oft zu viel für eine Person in der Küche.
Für Mutter war es zuviel. Sie schaffte das nicht mehr und wir haben mit aller Kraft in nur einem Jahr für Sie die Rente eingekauft. Sie war in den vielen Jahren der Arbeit nie rentenversichert. Das war dem Junior-Chef nur Recht, jetzt war er der alleinige Chef und seine Mutter blieb zuhause, mit ihren „alten geschäftlichen Ansichten“ sagte er und so verhielt er sich auch seiner Mutter gegenüber, die ich sehr schätzte und auch oft trösten musste, über sein schlechtes Benehmen. Er nannte die kleine Schänke jetzt „FLOH“. Der „FLOH“ war Treffpunkt unterschiedlicher Menschen, aus allen Branchen. Die Speisen waren einfach, doch lockte das viele Gäste an, ich hatte etwas in Gang gesetzt, was nicht mehr aufzuhalten war. Viel Arbeit und viel Verantwortung.
Meine Kinder kamen zu kurz dabei, ich brauchte viel Kraft alles zu meistern. Mit dem jetzigen Chef hatte ich, nach der Fertigstellung unserer Wohnung, eine Liebesbeziehung begonnen und wir lebten auch dort zusammen. Er verließ sich mit allem was dazu gehört, im Geschäft voll auf mich. Es machte mir große Freude zu arbeiten und ich sah den Erfolg für uns, täglich.
Gäste aus meiner Zeit im Hageneck kamen zu uns, oft standen Polizisten vor der Tür, für die Bewachung besonderer Gäste. Geburtstagsfeiern wurden bei uns gefeiert. Viele Feste entstanden, einfach so, aus einer guten Laune heraus. Eine Gesellschaft von unterschiedlichen Menschen kam sich näher, sie tanzten nach zwölf und lachten bis in die Morgenstunden hinein.
Mit zunehmender Stimmung kam es vor, dass jemand auf die Theke oder auf den Tisch sprang und es wurden mehr, die dort oben tanzen wollten und es passierte immer an der selbe Stelle, dieser Haken über der Theke, war für den Adventskranz, an dem sich jeder schon irgend wann seine Beule am Kopf geholt hatte.
Wer diese Beule nicht an seinem Kopf hatte, war nicht mutig und lustig genug. So machte man sich über diese Beulen am Kopf sehr lustig an den nächsten Tagen.
Es war eine schöne Zeit.
Da war, die Lehrerin Gila, die meinen Kindern bei den Hausaufgaben am Nachmittag in der Laube, die im Garten stand, half.
Oder, Peter „Pille“ der Pharma-Referent, der mit Alexander dem Schauspieler, zu später Stunde einen Tanz vorführte, als wären sie in einer Stierkampf-Arena. Dieses bühnenreife Duell gewann „Pille“ und Alexander war verstimmt.
„Pille“, der jeder hübschen Frau, die Ehe versprach und sie dann auf Händen tragen wollte, doch sobald sie ja sagte, ergriff er schnell „das Weite“.
Die ehemalige Miss Germany trank gern bei uns mit ihrer Freundin locker ihr Bierchen.
Es gab den Boxer, ein Meister seiner Klasse, der jetzt als Polier auf dem Bau beschäftigt war und einmal im Monat seinen gesamten Kollegen kräftig einen ausgab. Er, der auch gern mal wieder, mit seinen Fäusten kräftig ausgeteilt hätte, doch er wurde von mir verbal daran gehindert und an seine Ehre erinnert.
Nach einem schweren Tag kam oft ein Direktor einer Kaufhauskette, der in einer ruhigen Ecke saß und seinen Gedanken nachging.
Manne, der Weltenbummler wollte sein Bier nur aus der Flasche trinken, aufregend diesem Mann von seinen weiten Reisen zuzuhören.
Landy, der sich beim Biertrinken, gern mit Politik beschäftigte.
Ingrid, die es nicht sehen konnte, dass ich nach zwölf noch immer das Geschirr in der Küche spülen musste, sie half, ohne viele Worte.
Alexander (Schauspieler), der seinen Text am liebsten im dicksten Trubel lernte und mir auf die Nerven ging, wenn er in meiner kleinen Küche im Fernsehen, eine Fußball-Übertragung ansah, ohne darauf zu achten, dass ich Platz für meine Töpfe und Pfannen brauchte.
Da waren die Zwillings-Brüder Architekten Rüdiger und Jürgen, von gegenüber, die gern zum Abschluss des Tages, mit ihren netten Frauen, ein Bierchen bei uns tranken.
Der Pferde-Knecht Gert, ein Original, genannt „der Dicke“, wenn er mal wieder eine Lady aus der Gesellschaft im Stall vernascht hatte und für Gelächter in der Gegend, alles natürlich unter vorgehaltener Hand, gesorgt hatte.
Der Herr Baron, der bei seiner Geburtstagsfeier saß und vom Pferde-Gert überrascht wurde, als dieser, sein Pferd zur Begrüßung an den Tisch brachte.
Oder, die Opernsängerin Ruth, die unter Ihrem Nerzmantel nur noch ihr Nachthemd trug, wenn sie am späten Abend mit ihrem Lebenspartner noch einen Absacker bei uns trank.
Besonders lagen uns die Berliner Fallschirmspringer am Herzen, hier in unserer Kneipe, trafen sie sich zum Wochenende, zur Fahrt nach Bad-Gandersheim. Nur dort konnten sie ihre Sprünge aus dem Flugzeug machen. In Berlin war das zu dieser Zeit nicht möglich. Hier war auch ihr Vereinslokal. Das nutzten sie auch gerne in ihrem „FLOH“.
Aus der Filmbranche war da „unser Franky“ der „Eroberer der Frauen“. Mit seinem Regisseur Herbert, besprach er nach der Motivsuche seine Objekte beim Bierchen, während Frankys Frau mich liebevoll am Telefon bat, „pass schön auf meinen Franky auf, dass er nicht soviel raucht“. Wie konnte ich darauf Einfluss nehmen, aber sie machte sich sehr viele Sorgen um ihren jüngeren Mann. Bei so einem Gespräch wurden sie auf meine beiden jüngsten Mädchen aufmerksam, die wären genau das, was sie für ihren Film brauchen, komm mal bitte zu uns, wir möchten deine Mädels für einen Fernseh-Film, sie sehen sich sehr ähnlich und das passt genau für eine Person in diesem Drehbuch, erst als kleines Mädchen und in späteren Jahren in dieser Geschichte als Ältere dargestellt zu werden.
Begeistert war ich nicht von dieser Idee, doch dann gab ich meine Zusage. Wir mussten zum Casting, das war am Kuhdamm.
Das alles gefiel mir nicht, nun hatte ich meinen Freunden aber zugesagt. Es wurde eine Erfolgs-Serie im ZDF. Danach waren meine Mädchen für kurze Zeit bekannt. Interviews und Fototermine standen an. In der Morgenpost wurde über sie berichtet. Als ich den Artikel las, erkannte ich darin meine Kinder nicht wieder.
So vergingen die Jahre wie im Fluge.
Die Aufgaben die ich bekam, nahm ich gern wahr, ich vergaß meine Kinder- und Jugendzeit, durch meine Arbeit. Dabei brauchte ich nicht mehr an diese Zeit zu denken. Wie eine Therapie, doch unbewusst bemerkte ich, dass es mir gut tat, mich nicht an das Erlebte zu erinnern, geschweige denn darüber zu reden, einen der zuhört, nein, den gab es nicht für mich. Ich hatte mit meinem Haushalt und mit den Kindern genug zu tun.
Wie konnte ich da noch meine Vergangenheit aufarbeiten. Lieber eine große Mauer vorschieben.
Die Kinder wollten mit aller Macht bald ihre eigenen Wege gehen. Die beiden Ältesten wohnten nicht mehr zu Hause, was der einen Tochter nicht so gut bekam, sie hatte ihre eigenen Wünsche mit ihren Freunden so zu leben, wie es ihr gefiel. Auch mit meinen Warnungen, es so nicht zu machen, war sie nicht einverstanden. Ich musste sie schweren Herzen gehen lassen. Die älteste Tochter absolvierte die Handelsschule und hatte gute Chancen in ihrer Ausbildung.
An manchen Tagen fiel mir die Arbeit sehr schwer. Es war nicht so, das es mir keine Freude mehr machte, doch die Aufgaben im Geschäft und zu Hause hatte mein Lebenspartner mir alle sämtliche Aufgaben überlassen. Es blieb mir nichts weiter übrig als stark zu sein, damit alles weiter lief, der Chef hatte keine Lust mehr und war müde. Er ließ mich oft im Geschäft allein, war tagelang nicht zu sehen.
Eines Tages brachte er einen Käufer für unseren „FLOH“ und es ging dann alles sehr schnell, eine Riesenfete zum Abschied, dann war Schluss.
„LE PARIS“
Durch einen Zufall, lernten wir einen Tunesier kennen der am Kurfürstendamm ein Restaurant kannte.
Dieses Geschäft wollte er übernehmen, hatte nicht das Geld für den notwendigen Umbau.
Wir gingen mit ihm in Partnerschaft.
Es wurde alles hergerichtet, gemauert, gestrichen, eingerichtet und alle haben wir bis in die Nacht geschuftet bis alles, zu aller Zufriedenheit fertig war und es konnte die Eröffnung planmäßig stattfinden. Ein großer Erfolg, wir konnten zufrieden sein.
Was nicht eingeplant war, die Verständigung mit den mitgebrachten Freunden unseres Partners im Bereich Küche und Service.
Hier waren jetzt zwei Chefs und mein Lebenspartner meinte, dass er kommen und gehen konnte, wie er sich das dachte.
Das ging schief, seine Arbeitsweise war nicht beliebt. Es gab schon bald großen Ärger.
Während ich die Erste und in der ersten Zeit die Letzte zum Abschluss im Geschäft war, klappte die Zusammenarbeit mit ihm nicht. Man sah, dass ich in allen Bereichen zur Stelle war. Er kam, wenn ich die Französischen Tages-Speisekarten zur Mittagszeit schon längst geschrieben hatte.
Als Frau hatte ich einen schweren Stand, mit dem ausschließlich männlichen Personal.
Durch Kenntnisse im Küchen- und Servicebereich konnte ich mich durchsetzen und bei der Männerbrigade (Mohammedaner) war ich nach kurzer Zeit fest im Team. Schon nach einem Jahr gaben wir dieses Geschäft wieder auf. Gern wäre ich in dem Restaurant geblieben.
Wieder wurde ich nicht nach meiner Meinung gefragt.
Es wurde einfach so gemacht.
Oft denke ich darüber nach, wie das so ist, so einen Tag zu erleben, den ich den schönsten Tag in meinen Leben nennen kann.
Gibt es so einen Tag in meinem Leben?
Oder ist es vielleicht nur eine Illusion, eine Erfindung von irgendwelchen Menschen.
Jetzt bin ich viel alleine, denke über alles nach, hätte ich alles besser machen können? Meine Kinder besser behüten müssen, was in meiner Macht stand habe ich doch nach besten Wissen und Gewissen getan. Aber warum wenden sie sich von mir ab und lassen mich so grausam allein, wie früher ihre Väter? Wofür betraft man mich?
Meine älteste Tochter ist heute oft mit ihrem Vater zusammen, sie haben ein gutes Verhältnis miteinander, meine Kinder wussten nichts von meinem Leben, ich versuchte sie zu beschützen. Nie hat er gefragt, wie es ihr geht oder ob sie ein Paar Schuhe braucht oder Schulbücher, Taschengeld oder Sonstiges. Er hatte sein Leben so wie immer weitergelebt, keine Verantwortung für uns getragen, in den schlimmsten Tagen habe ich alleine für sie gesorgt. Kein Besuch im Erziehungsheim, mir in den schlimmsten Tagen beizustehen, nein das hatte er nicht getan. Verantwortungslos, den Seinen gegenüber, lebte er sein Leben weiter und ließ seinem „Jagdtrieb“ freien Lauf.