Ich konnte nicht alleine entscheiden, musste mich an die strengen Vorschriften halten. Einen Wunsch zu äußern, wie ich mit meiner Tochter umgehen wollte, war nicht möglich.

An den Sonntagen durfte ich mich dann für ein paar Stunden um meine Tochter kümmern und für kurze Zeit konnte ich mit ihr in den Garten gehen, endlich an die frische Luft und meine, soweit es erlaubt war, meine Mutterpflichten ausüben.

An den Wochentagen habe ich meine Tochter nur heimlich besuchen können, wenn die Nonne nicht anwesend war, ich nahm sie aus ihrem Bettchen und tobte etwas mit ihr herum, wehe dem, die Nonne hätte mich dabei erwischt.

Bestrafungen waren im Haus gefürchtet und an der Tagesordnung.

Nun betreute ich die Kleinkinder, was mir auch Freude machte, vor allen Dingen wenn die Nonne nicht da war, da sie uns täglich schikanierte.

Es war auch ein kleiner Lichtblick, ich konnte tagsüber, heimlich bei meiner Tochter sein.

Lissy passte auf, dass mich keiner dabei erwischt.

Meine „Kollegin“ Lissy, auch eine „Schwererziehbare“, hat mit mir zusammen in der Kinderabteilung gearbeitet, und wir haben uns gut verstanden. Das wollte die Nonne Schwester Antonia auf gar keinen Fall.

Oft schüttete sie mir den Putzeimer mit dem Putz-Wasser, nach getaner Arbeit, im langen Flur auf die schon geputzten Flächen, alles noch mal von vorn ... Es war reine Schikane.

Vielleicht mal lachen, das kam überhaupt nicht in Frage; die Nonnen waren immer verbiestert und das bisschen Fröhlichkeit das noch in uns war, konnten diese Schwester von Gottes Gnaden nicht gut ertragen. Das wollten sie uns auch noch austreiben. Sie hatten in ihrem Gelübde Gehorsam geschworen.

Von wem bekamen sie nur diese Anweisungen uns so zu behandeln? Uns regelrecht niederzumachen“, um uns so brutal „wieder auf den richtigen Weg zu bringen“?

Die Nonnen waren einfach nur böse, und seit ich bei ihnen sein musste, habe ich keine von diesen Schwestern jemals als hilfreiche Bindungsperson kennen gelernt.

Noch heute, wenn ich einer Nonne auf der Straße begegne, bekomme ich ein Gruseln und stehe automatisch im Geiste stramm vor ihr! Woher soll ich wissen, ob sie nicht auch eine von denen ist.

Lissy und ich sehen uns heute noch ab und zu; denn wir haben uns damals auch gut verstanden und wir erzählen uns viel aus dieser Zeit. Wie wir die Nonnen hassten! Wir schufteten ohne Bezahlung, ohne Anerkennung für unsere Leistung, für ein bisschen Taschengeld, das für ein Stück Seife reichte. Kein Ausgang, nur von Mauern und von vergitterten Fenstern umgeben.

Diese Nonnen waren so sehr mit ihrer Aufgabe uns zu „erziehen“, uns zu guten Menschen auf unser weiteres Leben vorzubereiten, überfordert, dass sie nur verbissen in die Welt und auf „ihre Zöglinge“ schauten.

Das Gegenteil haben diese Schwestern mit dieser Methode erreicht. Sie haben Wut und Hass erzeugt.

Gern hätte ich in diesem Haus eine Bezugsperson gehabt, der ich auch mal mein Herz ausschütten konnte.

Meine Schwester Elke und ich hatten doch genug Elend mitgemacht, nur etwas Verständnis oder einen, der einem zuhören konnte, so etwas gab es für uns nicht. An kulturellen Anlässen war für uns nichts eingeplant, so gab es einmal, in der gesamten Zeit meines Aufenthaltes in dem Heim, einen Filmabend an den ich mich erinnern kann, es war der Spielfilm „Georg Orwell 84“ und anlässlich irgendeiner katholischen Festlichkeit einen Theaterabend. Bei dieser Inszenierung der heiligen Elisabeth, durfte ich die Magd Guda spielen.

Damit war auch der kulturelle Teil für mich und all die vielen anderen Mädchen und Frauen, beendet.

Es ging wieder Tag für Tag an die Arbeit, ohne Lachen, ohne ein Lied zu trällern, ein stupides Leben war angesagt, nur Gehorsam. Wenn der Arbeitstag zu Ende war, durften wir wieder in unsere Abteilung.

Da wurde dann das Abendessen eingenommen und noch eine Stunde gehäkelt und wieder gebetet.

Dann durften wir uns in eine Reihe anstellen, um die sanitären Anlagen zu benutzen. Jeder Zögling hatte dafür eine gewisse Zeit; es waren nur ein paar Minuten.

Ob noch Bedürftigkeit bestand für die gewissen Tage einer Frau, darauf wurde keine Rücksicht genommen. Wenn dann die bestimmten Tage waren, warf man diese total benutzten Stoffbinden in einem Eimer, der mit Wasser gefüllt war. Es gab nur eine Stoffbinde am Tag, dem entsprechend sah der Eimer auch aus. Und wir auch ...

Anschließend wurde eine Person dafür bestimmt, dieses Eingeweichte mit einem sanitären Gummisauger durch zu stampfen, bis das Wasser klar war. Gerne wollten wir uns an diesen Tagen öfter reinigen doch das war nicht gestattet.

Bevor wir die sanitären Anlagen verließen, mussten die Handtücher im vierer Falz längst nach unten an den Haken, das war Pflicht, reine Schikane.

Wir wollten nicht so unangenehm riechen wie manche Nonnen, wenn sie mit ihrem Gewand „wedelten“.

Die Hygiene ließ auf beiden Seiten – bei uns Mädchen gezwungener Maßen – sehr zu wünschen übrig.

So gingen wir, wie jeden Abend, in Reih und Glied, in die Schlafsäle, ohne ein Wort zu reden.

Im Bett gingen mir viele Gedanken durch den Kopf.

Was ist zu Hause los, was macht mein Mann so alleine, hat er mich vergessen, warum schreibt er nicht, oder werden seine Briefe abgefangen? Das die Briefe zensiert wurden, wusste ich ja von den anderen. Tränen flossen, ich war so fürchterlich allein und das in so vielen Monaten, jeden Abend diese Traurigkeit.

In den Reihen der Betten hörte ich hier und da ein leises Schluchzen. Der Schlafsaal war voll besetzt und jedes Mädchen war mit sich beschäftigt. Wir waren unter soviel Frauen und doch so allein, ein Wort des Trostes von der Bettnachbarin, hätte eine Bestrafung zur Folge gehabt. Putzkleid oder Klabause wären sicher. Absolute Ruhe war angesagt. Mein natürliches Muttergefühl musste ich unterdrücken, mal schnell noch einen „Guten Nacht Kuss“ oder nachsehen, ob mein Kind schon schlief, unmöglich. Ein paar Stockwerke nur, dann wäre ich schon bei ihr gewesen, keine Tür war offen, alles war verriegelt und verrammelt.

Keine Möglichkeit mal schnell die Treppen hinunterschleichen.

Vor der Tür wurde aufgepasst.