Hoffnung ...?

Ich meldete mich bei der Schwester Oberin an und bekam auch einen Termin; mutig nahm ich diesen Termin auch wahr. Die Schwester Oberin fragte mich, was sie für mich tun könnte. Der Raum war sehr groß, jedenfalls erschien es mir so, die Schwester Oberin kam mir sehr mächtig vor. Ich durfte vor ihren Schreibtisch Platz nehmen, ich hielt den Kopf gesenkt und kam mir sehr verloren vor, kein Wort brachte ich vor Aufregung heraus.

Gesehen, hatte ich die Schwester Oberin selten, wir waren in unseren Abteilungen eingeschlossen und bewegten uns nur auf dem Weg in zweier Reihen zur Kapelle oder auch in zweier Reihen stumm zu den Arbeitsräumen.

Erst als sie mich ansprach sah ich sie an, sie lächelte, das machte mir Mut, sie sah sehr nett aus, hatte ein hübsches Gesicht. Dann brachte ich zögernd mein Anliegen hervor. Ich bat sie um Auskunft und ob sie bei der Behörde recherchieren könnte, ob und wann ich endlich wieder nach Hause könnte. Ich malte mir in Gedanken schon unser Leben mit meiner kleinen Familie in den schönsten Farben aus, das hier war kein Leben, es war grausam für mich. Wenn ich wieder zu Hause bin, kann ich mir vielleicht eine kleine Wohnung für uns einrichten, für uns sorgen, ich wollte eine gute Ehefrau sein und mein Mann könnte seiner Arbeit nachgehen und am Abend und am Wochenende wären wir zusammen. Das wäre das Leben, das ich mir vorstellte. Jetzt wollte ich hier bei der Schwester Oberin darum kämpfen.

„Ich bin doch verheiratet und habe ein Kleinkind und es müsste doch ein Irrtum sein, dass ich in einem Erziehungsheim bin.“ Ich wollte doch meine junge Ehe retten, das erklärte ich dieser Schwester. Ich ahnte, dass für meinen Mann die Versuchungen sich mit anderen Frauen zu vergnügen, zu groß waren, er war ohne Frau und Kind. Ich liebte ihn sehr und wollte ihn doch nicht ganz verlieren. Monate vergingen, ich hörte von keiner Seite etwas. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und versuchte es noch einmal bei der Schwester Oberin. Die Antwort war wieder: „Ja ich kümmere mich darum.“

Als ich aus diesem großen Zimmer der Oberin ging, spürte ich eine große Hilflosigkeit und Einsamkeit, diese Nonne würde wieder nichts für mich tun. Die Treppe zu meiner Wohngruppe ging ich schleppend mit meinen verlorenen Träumen von einer schönen Zukunft hinauf, sobald sich die Tür hinter mir schloss, zuckte ich erschrocken vom Rasseln der Schlüssel, die an einer dicken Kordel am Gewand der Schwester hingen, zusammen, die Nonne schloss die Tür wieder zu und ich blieb die Gefangene des Hauses. Eine aussichtlose Zukunft hinter Gittern, ihr Lächeln und ihre betonte Freundlichkeit haben mir nicht geholfen.

Geflitzt

Einmal war die kleine Gartentür auf. Die Gelegenheit war günstig und selten. Ich war wie erstarrt und trotzdem schlich ich mich an die Gartentür und ich war wie von Geisterhand auf der Straße, und sah mich vorsichtig um. Mein Herz schlug heftig, nur schnell weg hier. Erst als ich auf der Straße war, kam mir ins Bewusstsein, dass ich ja meine kleine Tochter zurück gelassen habe. Ich tröstete mich damit, ich hole sie mit meinem Mann nach Hause. Zuerst nahm mich ein Radfahrer mit, ich setze mich auf den Gepäckhalter. Wir waren kaum aus der Sicht des Hauses, als er plötzlich mit dem Fahrrad anhielt. Er sah an der Kleidung, woher ich kam. Der schlechte Ruf der Insassen hatte in der gesamten Gegend seine Kreise gezogen, dort waren nur die schlimmsten Fälle der Verkommenheit, aus der Gosse, da musste man vorsichtig sein. Diese Mädchen konnte man sexuell benutzen, sonst wären die doch nicht in diesem Haus so eingesperrt. So sah er mich an.

Er wurde sehr anzüglich, und ich konnte mich mit aller Kraft einer Vergewaltigung entziehen. Er rief mir noch hinterher: „Stell dich doch nicht so an, ich weiß doch woher du kommst, ihr seit doch alle gleich!“

Ich rannte, wie um mein Leben und drehte mich auch nicht mehr um. Ich winkte einem Autofahrer aufgeregt zu, der sofort anhielt. Ich musste schnell aus dieser Gegend, man würde mich suchen, außerdem fiel ich mit meinen Kleid und der Schürze auf. Dieser Mann nahm mich in seinem Auto mit. Er wunderte sich über die Kleidung. Ich erzählte ihm vor Aufregung alles, auch was mir grade passiert war. Aber die Angst in dem Auto blieb. Dieser Mensch war seriös und er beruhigte mich.

Er war entsetzt über meine Geschichte.

„Unglaublich“, sagte er, „machen sie sich keine Sorgen.“ Er fuhr mich in seinem Auto bis nach Hause.

Als ich zu Hause ankam war meine Mutter außer sich vor Angst; denn man musste damit rechnen, dass gleich die Polizei bei uns vorbei kommen würde, um mich wieder einzufangen.

Ich habe mich umgezogen und bin dann zu einem befreundeten Ehepaar gelaufen, die meine Geschichte kannten.

Sie stellten mir vorerst ein kleines Zimmer zur Verfügung stellten, ich kam erst mal zur Ruhe. Die Such-Aktion der Polizei nahm seinen Lauf. Es dauerte nicht lange, und ich war wieder in der Erziehungsanstalt im Vincenzheim.

Meine Versuche in dieser Zeit der „Flucht“ – beim Jugendamt ordentlich mich dieser Qualen und der Erniedrigungen im Vincenzheim – ganz offiziell zu entledigen, sind alle gnadenlos fehlgeschlagen, jedes Bitten und Flehen half nichts. Ich wollte meine Tochter wieder nach Hause holen, ich habe falsch gedacht.

Auf dem Weg von Altena-Westfalen bis ins Erziehungsheim Dortmund Oesterholzstraße 85, fühlte ich nichts mehr. Nach meiner Flucht war ich kraftlos und die Nonnen kamen mir noch mächtiger vor. Meiner Freiheit wieder mit Gewalt beraubt.

Wie von Geisterhand geführt, lief ich im Putzkleid den anderen hinterher. Morgens Anstellen zu den Toiletten. Zum Beten in die Kapelle, dann zum Frühstücken, alles abräumen, Schlafsaal aufräumen. Ab in den Aufenthaltsraum und Taschentücher mit Spitzen umhäkeln. Marienlieder singen, alle mussten mitsingen, danach wieder absolute Stille. Tag für Tag ...

Alles, was mir damals angetan wurde, kann ich bis heute nicht vergessen. Es ist mir heute noch so, als wäre es gestern gewesen, doch es sind 42 Jahre vergangen!

Man hatte mich wieder brutal eingefangen ...

Ich war schon bis dahin, als junge Frau erschöpft von Kampf des Lebens.

Diese Nonnen spielten einen Krieg mit uns armen verängstigten Seelen. Hast Du das so gewollt ... Lieber Gott.

Büro-Schreibkraft: Schwester Banduradis

Auffangstation: Schwester Nivella

Berufsschullehrerin: Schwester Carola

Erzieherin und spätere Oberin: Schwester Vincentine

Kinder u. Säuglings.-Abt.: Schwester Margret und Schwester Antonius

Ein neues Kapitel begann

Nach meiner Entlassung aus der Erziehungsanstalt bin ich wieder zu meiner Mutter nach Altena in die Wohnung gezogen. Diese Wohnung in der wir endlich glücklich sein wollten, die wir uns so sehr gewünscht hatten, um in Ruhe und Frieden leben zu können.

Mutti war alleine und freute sich sehr, dass sie ihre Tochter und Enkeltochter wieder bei sich zu Hause hatte. Wo sollte ich auch hin? Eine Möglichkeit mir etwas aufzubauen oder etwas Geld zu verdienen, diese Möglichkeit hatte man mir genommen. In der Zeit bei den Nonnen habe ich keinen Pfennig verdient, doch von morgens bis abends geschuftet. Ich stand da und hatte nichts. Unsere Mutter war in der Zeit, als wir im Heim waren, sehr viel ruhiger geworden und in sich gekehrt. Es waren Gedichte die sie schrieb, und sie löste viele Kreuzworträtsel. Eine völlig gebrochene Frau.

Sie wollte sich aber ihre Würde und ihren Stolz von keinem nehmen lassen. Die Enttäuschungen und die übergroßen Sorgen um ihre Kinder und Enkelkinder waren zu groß und schmerzten immer. Sie wollte keine Freunde und keine Nachbar-Freundschaften; es waren nur wenige, mit denen sie noch Gespräche führte.

Das war nun ein Leben in der Nachkriegszeit. In der neuen Bundesrepublik Deutschland. Es ging weiter, mit dem Unrecht an den besonders schwachen Menschen.

Menschlichkeit war auch jetzt ein Fremdwort. Keiner wollte davon etwas wissen und doch ist soviel Unrecht geschehen.

Für viele junge Menschen war das Leid noch lange nicht zu Ende. Eine alleinerziehende Mutter, besonders eine Flüchtlingsfrau mit ihren Kindern, hatte es in dieser Zeit besonders schwer. Viele konnten sich gegen die Angriffe und Verleumdungen aus der Nachbarschaft nicht zur Wehr setzen. So auch nicht bei den Behörden, die alles glaubten was ihnen aus purer Gehässigkeit und gemeinem Tratsch zugetragen wurde. Wie auch immer, den Stempel der „leichten Beute“ trugen wir seit der Flucht aus der Heimat wie ein Makel mit uns. Die Behörden und die Amtsgerichte mischten mit. Angehört wurde ich nie.

Die kirchlichen Einrichtungen freuten sich auf die „verlorenen Schafe“.