EPILOG
David und John halfen der jungen Rebecca, Leon und Claire lächelten einander an wie Verliebte, und so trotteten die fünf müden Krieger aus dem Erfassungsbereich der Kamera hinaus in den zart erblühenden Morgen über Utah.
Seufzend lehnte sich Trent in seinem Stuhl zurück und drehte gedankenverloren seinen Onyxring. Er hoffte, dass sie ein, zwei Tage pausieren würden, bevor sie sich in ihre nächste große Schlacht stürzten … vielleicht die letzte große Schlacht. Sie verdienten ein wenig Erholung nach allem, was sie durchgemacht hatten. Wenn sie überlebten, wovon er ausging, musste er unbedingt dafür sorgen, dass sie reich entlohnt wurden.
Vorausgesetzt, ich bin noch in der Lage, Geschenke zu machen …
Natürlich würde er das sein. Aber falls Jackson und die anderen endlich herausfanden, welche Rolle er wirklich spielte, würde er untertauchen müssen. Kein Problem, denn er verfügte über ein halbes Dutzend nicht zurückverfolgbarer Identitäten rund um den Globus, unter denen er wählen konnte, und jede einzelne verfügte über ein ungeheures Vermögen. Und White Umbrella besaß nicht die Mittel ihn aufzuspüren. Sie hatten Geld und Macht, das stimmte, aber sie waren schlicht nicht intelligent genug.
Ich habe es immerhin bis hierher geschafft, oder?
Trent seufzte abermals und ermahnte sich, dass er sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen durfte, zumindest noch nicht zu diesem Zeitpunkt. Er wusste, dass es sich nicht auszahlen würde, zu optimistisch in die Zukunft zu blicken. Bessere Männer als er waren durch Umbrellas Hand gestorben. In jedem Fall aber würden entweder seine oder die Tage Umbrellas gezählt sein. So oder so lief also alles auf das Ende eines unseligen Problems hinaus …
Er stand auf, streckte sich und schüttelte die Verspannung ab. Der „Piraten“-Satellit hatte es ihm ermöglicht, fast alles mitzuverfolgen; eine lange, ereignisreiche Nacht lag hinter ihm. Alles, was er jetzt brauchte, waren ein paar Stunden Schlaf. Er hatte es so arrangiert, dass er bis Mittag nicht zu erreichen sein würde, aber spätestens dann musste er Sidney anrufen – dann würde der alte Teetrinker schon völlig außer sich sein, genau wie die anderen. Sie würden verzweifelt nach den Diensten des geheimnisvollen Mr. Trent verlangen, und er würde sich in den nächsten Flieger setzen. So sehr es ihn auch dazu drängte zuzusehen, wie Hawkinson zurückkam und sich mit Fossil herumschlug, gebot die Vernunft, sich erst einmal auszuschlafen.
Trent schaltete die Bildschirme ab. Dann verließ er den Raum, von dem aus er zu operieren pflegte – ein Wohnzimmer mit einigen recht aufwändigen Ergänzungen – und ging in die Küche, die einfach nur eine Küche war. Das kleine Haus, im ländlichen Teil von New York gelegen, war seine Zuflucht, nicht sein eigentliches Zuhause. Von hier aus koordinierte er den Großteil seiner Arbeit. Nicht jene grandiosen Ränkespiele, die er in White Umbrellas Namen in Gang setzte, sondern seine wahre Arbeit. Wäre irgendjemand auf den Gedanken gekommen, die Adresse zu überprüfen, hätte er erfahren, dass das kleine Dreizimmerhaus im viktorianischen Stil Mrs. Helen Black gehörte, einer zierlichen alten Lady. Ein Insiderwitz, den nur er verstand.
Trent öffnete den Kühlschrank, entnahm ihm eine Flasche Mineralwasser und dachte daran, wie Reston in seinem letzten Moment ausgesehen, wie er seinem Tod ins Gesicht gestarrt hatte. Es war ein reizender Einfall gewesen, Fossil gegen ihn einzusetzen. Um Cole war es wirklich zu schade. Der Mann hätte ein Gewinn für die kleine, aber stetig wachsende Gruppe von Widerständlern werden können.
Trent ging mit dem Wasser nach oben, benutzte das Badezimmer und schritt dann über einen kurzen Korridor, während er sich fragte, wie viel Zeit ihm wohl noch blieb. In den ersten Wochen seines Kontaktes zu White Umbrella hatte er permanent damit gerechnet, in Jacksons Büro gerufen und kurzerhand erschossen zu werden. Doch die Wochen hatten sich zu Monaten gedehnt, und er hatte nie auch nur den Hauch eines Zweifels ihm gegenüber gespürt – von keinem der Beteiligten.
Im Schlafzimmer legte er sich die Kleidung für den Flug zurecht, zog sich dann aus und beschloss, erst beim Kaffeetrinken zu packen, nachdem er Sidney angerufen hatte. Trent schaltete das Licht aus, schlüpfte ins Bett. Er blieb einen Augenblick aufrecht sitzen, nippte von seiner Wasserflasche und ging noch einmal seine akribischen Pläne für die nächsten Wochen durch. Er war müde, aber das Ziel seines Lebens war endlich in Reichweite gerückt. Es war nicht so leicht, einzuschlafen, wenn man sich das Ziel von drei Jahrzehnten des Planens und Träumens vor Augen hielt. Ein Ziel, das ihn völlig vereinnahmt hatte …
Nun galt es die letzten Züge klug anzugehen. Es gab noch immer einiges, das geschehen musste, bevor er es endgültig erreichte, und das meiste hing davon ab, wie gut sich seine Rebellen schlagen würden. Er hatte Vertrauen in sie, aber es bestand immer die Gefahr, dass sie versagten – und in diesem Fall würde er noch einmal anfangen müssen. Nicht ganz von vorne, aber es konnte einen ernstlichen Rückschlag bedeuten.
Am Ende jedoch … Trent lächelte, stellte die Flasche auf dem Nachttisch ab und glitt unter die dicke Steppdecke. Am Ende würde das böse Spiel von White Umbrella ans Licht kommen. Die Mitspieler zu töten wäre einfacher gewesen, aber ihr bloßer Tod hätte ihn nicht befriedigt – er wollte sie vernichtet sehen, finanziell wie emotional, wollte sehen, wie ihnen ihr Leben genommen wurde, in jeder nur denkbaren Hinsicht. Und wenn dieser Tag kam, wenn die Führer zugesehen hatten, wie ihr feines Werk zu Asche zerfallen war, würde er zur Stelle sein. Er würde zur Stelle sein, um auf dem Friedhof ihrer Träume zu tanzen, und es würde ein guter Tag sein.
Wie so oft, rief sich Trent die Rede ins Gedächtnis, die Rede, die er ein Leben lang einstudiert hatte für den Tag der Tage. Jackson und Sidney mussten dabei sein, ebenso die „Jungs“ aus Europa und die Finanziers aus Japan, Mikami und Kamiya. Sie alle kannten die Wahrheit, sie waren im weitesten Sinne Mitverschwörer …
Ich stehe vor ihnen, lächle und sage: „Ein paar Hintergrundinformationen, für den Fall, dass jemand von Ihnen sie vergessen hat:
Früh in der Geschichte von Umbrella – ehe es White Umbrella gab –, arbeitete ein Wissenschaftler namens James Darius im Forschungs- und Entwicklungszentrum des Unternehmens. Doktor Darius war ein ethischer und engagierter Mikrobiologe, der gemeinsam mit seiner reizenden Frau Helen – einer Doktorin in Pharmakologie übrigens – ungezählte Stunden damit zubrachte, eine Gewebe-Reparatur-Synthesis für seine Arbeitgeber zu schaffen, eine, die James selbst entwickelt hatte. Diese Synthesis, die so viel Zeit der Eheleute Darius in Anspruch nahm, war ein genial ausgeklügelter Viralkomplex, der – bei sorgfältiger Entwicklung – das Potenzial hatte, das menschliche Leid in großem Maße zu reduzieren und eines Tages sogar den Tod durch traumatische Verletzungen zu besiegen.
Sowohl James als auch Helen setzten größte Hoffnungen in ihre Arbeit – und sie waren so verantwortungsbewusst, so loyal und vertrauensvoll, dass sie sich umgehend an Umbrella wandten, als sie die Möglichkeiten dessen erkannten, was sie da im Begriff waren zu entwickeln. Umbrella erkannte dieses Potenzial ebenfalls. Was das Unternehmen jedoch sah, war ein finanzieller Einbruch, sollte solch ein Wunder je auf den Markt gelangen. Man stelle sich all das Geld vor, das ein pharmazeutisches Unternehmen verlieren, wenn jedes Jahr Millionen Menschen weniger sterben – andererseits jedoch stelle man sich vor, wie viel Geld man verdienen könnte, wenn sich dieser Viralkomplex auch für militärische Zwecke nutzen ließe. Man halte sich die damit verbundene Macht vor Augen …
Angesichts eines solchen Anreizes hatte Umbrella keine andere Wahl. Die Verantwortlichen nahmen James und Helen Darius die Synthesis weg, nahmen die Aufzeichnungen darüber und übergaben alles einem brillanten jungen Wissenschaftler namens William Birkin, der gerade erst dem Teenageralter entwachsen, aber bereits Leiter eines eigenen Labors war. Birkin war einer von ihnen, wissen Sie. Ein Mann mit derselben Vision, demselben Mangel an Moral, ein Mann, den sie benutzen konnten. Und nun, da sie ihre gefügige Marionette besaßen, wurde ihnen klar, dass aus der Fortexistenz der beiden guten Doktoren James und Helen Darius Unannehmlichkeiten erwachsen könnten.
Also gab es ein Feuer. Einen Unfall, wie es hieß, eine fürchterliche Tragödie – zwei Wissenschaftler und drei loyale Assistenten kamen in den Flammen um. Zu schade, zu traurig, aber der Fall war damit abgeschlossen … Das war die Geburt jener Umbrella-Abteilung, die als White Umbrella bekannt ist. Biowaffenforschung. Ein Spielplatz für die Stinkreichen und ihre Stiefellecker, für Männer, die alles, was einem Gewissen auch nur ähnelt, schon vor langer, langer Zeit verloren hatten.“
Ich lächle wieder. „Für Männer wie Sie, meine Herren. White Umbrella hatte an alles gedacht. Oder glaubte es zumindest. Woran man nicht gedacht hatte – entweder weil man zu kurzsichtig war oder aus Ignoranz nachlässig wurde –, war der junge Sohn von James und Helen, ihr einziges Kind, das auf dem Internat war, als seine Eltern bei lebendigem Leibe verbrannt wurden. Vielleicht vergaß man ihn einfach. Aber Victor Darius vergaß nicht. Mehr noch, Victor wuchs auf und dachte darüber nach, was Umbrella getan hatte, ich möchte sogar sagen, er wurde besessen davon. Es kam eine Zeit, in der Victor an nichts anderes mehr denken konnte, und da beschloss er, etwas zu unternehmen.
Um seine Mutter und seinen Vater zu rächen, das wusste Victor Darius, musste er außerordentlich clever und sehr, sehr behutsam vorgehen. So verwendete er Jahre nur auf die Planung. Und weitere Jahre darauf, sich alles benötigte Wissen anzueignen – und noch mehr Zeit darauf, die richtigen Kontakte zu knüpfen, in die richtigen Kreise vorzustoßen, so verschlagen und hinterhältig zu werden wie seine Feinde. Und eines Tages tötete er Umbrella, so wie das Unternehmen seine Eltern getötet hatte. Es war nicht leicht, aber er war zu allem entschlossen, und immerhin hatte er diesem Job sein ganzes Leben gewidmet.“
Ich grinse und füge hinzu: „Oh, und erwähnte ich bereits, dass Victor Darius seinen Namen änderte? Es war etwas riskant, aber er entschied sich für den zweiten Vornamen seines Vaters oder zumindest einen Teil davon. James Trenton Darius benutzte ihn ja schließlich selbst nicht mehr.“
Die Rede änderte sich immer um ein paar Nuancen, aber von ihrer Aussage her blieb sie immer gleich. Trent wusste, dass er nie die Gelegenheit erhalten würde, sie vor all denen, die es betraf, zu halten, doch es war dieses Bild, diese Vorstellung, die ihm die Kraft gab, über all die vielen Jahre weiterzumachen. Nachts, wenn es ihn so aufwühlte, dass er nicht schlafen konnte, war ihm das gebetsmühlenartige Wiederholen der Geschichte zu einer Art bitterem Wiegenlied geworden – er stellte sich den Ausdruck auf ihren müden, alten Gesichtern vor, das Entsetzen in ihren blassen Augen, ihre bebende Entrüstung über seinen Verrat. Irgendwie besänftigte die Vision stets seinen Zorn und schenkte ihm ein kleines bisschen Frieden.
Bald. Bald wird es so weit sein – nach Europa, meine Freunde …
Der Gedanke folgte ihm hinab ins Dunkel, in den süßen, traumlosen Schlaf der Gerechten.