FÜNF

Jay Reston war froh. Mehr noch, er war so glücklich wie seit langer Zeit nicht mehr, und wenn er gewusst hätte, dass es so guttun würde, wieder an der Front mitzumischen, hätte er es schon vor Jahren getan.

Mitarbeiter führen die Sorte, die sich wirklich die Hände dreckig macht. Dinge in Gang setzen und zusehen, wie sich die Resultate entfalten, ein Teil des Prozesses sein. Mehr zu sein als nur ein Schatten, mehr als etwas Namenloses, Dunkles, das es zu fürchten gilt

Diesen Gedanken nachzuhängen, ließ ihn sich wieder stark und lebendig fühlen. Er war noch keine fünfzig, er sah sich selbst noch nicht einmal im mittleren Alter, aber wieder in den Gräben zu arbeiten, machte ihm bewusst, wie viel ihm über die Jahre entgangen war.

Reston saß im Kontrollraum, dem Puls des Planeten, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und seine Aufmerksamkeit auf die Wand aus Bildschirmen fixiert. Auf einem der Monitore arbeitete ein Mann im Overall an Bäumen in Phase eins, versah die künstlichen Pflanzen mit einer weiteren grünen Schicht. Der Mann hieß Tom Sonstwas, er gehörte zum Bautrupp, aber der Name war nicht wichtig. Wichtig war, dass Tom die Bäume strich, weil Reston es ihm persönlich beim morgendlichen Briefing aufgetragen hatte.

Auf einem anderen Bildschirm rekalibrierte Kelly McMalus die Temperaturkontrolle der Wüste, ebenfalls auf Restons Geheiß hin. McMalus war die leitende Betreuerin der Skorps, jedenfalls bis das feste Personal kam. Alle, die derzeit im Planeten arbeiteten, waren nur vorübergehend hier, eine von Whites neueren Richtlinien, um Sabotageakten vorzubeugen. Wenn erst einmal alles lief, würden die neun Techniker und das halbe Dutzend „vorläufiger“ Forscher eigentlich brillante Spezies-Führer, auch wenn er sie nie direkt so genannt hätte versetzt werden.

Der Planet Eigentlich hieß die Einrichtung „B. O. W. Envirotest A“, aber Reston hielt Planet für einen weit besseren Namen. Er war nicht sicher, wer ihn geprägt hatte, nur dass er bei einem der morgendlichen Briefings aufgekommen und hängen geblieben war. Dass er die Testeinrichtung in seinen Updates an das Hauptteam Planet nannte, ließ ihn sich nur noch mehr als Teil des Prozesses fühlen.

„Heute wurde das Videosystem installiert, es gibt allerdings ein paar Probleme mit den Mikrofonen, deshalb ist die Audiotechnik noch nicht angeschlossen. Ich werde dafür sorgen, dass das so schnell wie möglich erledigt wird. Der Letzte der Ma3Ks traf ein, die Spezies sind alle unbeschädigt. Insgesamt gehen die Dinge sehr gut voran, wir erwarten, dass der Planet Tage vor dem geplanten Termin betriebsbereit ist

Reston lächelte, als er an seine letzte Unterhaltung mit Sidney dachte. Hatte er da einen Hauch von Neid in Sidneys Stimme gehört, einen Anflug von Traurigkeit? Er, Reston, war jetzt Teil eines „Wir“; ein Wir, das Envirotest A mit einem Spitznamen belegte. Nach dreißig Jahren des Delegierens hatte sich die Überwachung der letzten Vorbereitungen für ihre bislang innovativste und teuerste Einrichtung letztendlich als Segen erwiesen. Und wenn er daran dachte, wie er erfahren hatte, dass Lewis’ Auto von einer Klippe gestürzt war der Unfalltod des Mannes war vermutlich das Beste, was dieser je für Umbrella geleistet hatte, denn die unmittelbare Folge davon war, dass er, Reston, nun die Geburt des Planeten überwachte.

Auf einem der Bildschirme wurde ein weiterer Techniker sichtbar. Der Mann trug einen Werkzeugkasten und ein aufgerolltes Seil: Cole, Henry Cole, der Elektriker, der an der Sprechanlage und dem Videosystem gearbeitet hatte. Er befand sich im Hauptkorridor, der zwischen den Quartieren der Einrichtung und dem Testbereich verlief und auf den Fahrstuhl zuführte. Reston hatte tags zuvor festgestellt, dass einige der Oberflächenkameras nicht funktionierten. Bei keiner der Kameras im Planeten war bislang der Ton angeschlossen, doch die Bildschirme für das oberirdische Gelände zeigten in gewissen Abständen nur minutenlanges statisches Rauschen, und er hatte Cole gebeten, sich darum zu kümmern

… aber erst nachdem er mit der Sprechanlage fertig ist, nicht vorher. Wie soll ich mit den Leuten in Verbindung bleiben, wenn mein Interkom nicht funktioniert?

Selbst der Anflug von Verärgerung über den Techniker war erfrischend. Anstatt einen Knopf zu drücken, um einen Jasager zu beauftragen, die Reparatur vorzunehmen, würde er sich der Sache selbst annehmen müssen.

Reston stemmte sich von der Konsole weg, streckte sich im Aufstehen und warf einen letzten Blick auf die Reihe von Monitoren, um sich gegebenenfalls in Erinnerung zu rufen, worum er sich außerdem noch zu kümmern hatte, wenn er schon mal draußen war.

Interkom Videosystem Die Brücke in Drei muss verstärkt werden, das hat jedoch keine Priorität. Aber wir sollten wirklich etwas mit den Farben in der Stadt machen, sie sind immer noch zu monoton

Reston durchschritt den elegant gestalteten Kontrollraum, ging vorbei an der Reihe nobler Ledersessel, die so neu waren, dass ihr üppiger Geruch noch in der kühlen, gefilterten Luft schwebte. Die Sessel standen vor einer Wand von hochauflösenden Bildschirmen. In weniger als einem Monat würden die Spitzenforscher, -wissenschaftler und -administratoren, die das Herz von White Umbrella bildeten, sowie die beiden größten Finanziers des Programms hier sitzen. Sogar Sidney und Jackson würden hier sein, um den ersten Lauf des Testprogramms mit anzusehen.

Und Trent, dachte Reston hoffnungsvoll. Eine Einladung zum ersten Testlauf wird er bestimmt nicht ausschlagen.

Reston trat auf die Druckplatte vor der Tür, und das dicke Metallschott glitt flüsternd auf. Er trat hinaus in den breiten Korridor, der den Planeten der Länge nach durchlief. Der Kontrollraum lag nicht weit von dem Fabrikaufzug entfernt, fast direkt gegenüber, aber der Elektriker war bereits zur Oberfläche unterwegs. Im Laufe der Woche würden vier Fahrstühle in einem der anderen Oberflächengebäude funktionieren, aber im Moment gab es nur diesen einen. Er würde warten müssen, bis Cole ausgestiegen war.

Reston drückte den Rückrufknopf, zupfte die Manschetten seines Jacketts zurecht und dachte daran, wie er die Tour führen würde. Es war eine ganze Weile her, dass Jay Reston sich Tagträumereien hingegeben hatte. Doch in der kurzen Zeit hier war es zu einem seiner liebsten Zeitvertreibe geworden, sich den Tag auszumalen, an dem er die anderen begrüßen und durch jene Einrichtung führen würde, die er gemanagt und in eine reibungslos laufende Maschinerie verwandelt hatte. Von den an den Fingern einer Hand abzählbaren Leuten, die White Umbrella leiteten und die großen Entscheidungen trafen, war er der Jüngste, der Aufnahme in den inneren Kreis gefunden hatte und wenn Jackson ihm auch oft versichert hatte, er sei so wertvoll wie jeder andere, hatte er doch bei mehr als nur einer Gelegenheit gemerkt, dass er der Letzte war, den man konsultierte. Den man berücksichtigte.

Aber nach dieser Sache hier nicht mehr. Nicht, nachdem sie gesehen haben, dass ich es auch ohne ein Dutzend Assistenten, die mir aufs Wort folgen, geschafft habe, den Planeten zum Laufen zu bringen ohne Pannen und noch vor dem Termin. Ich möchte sehen, wie Sidney das auch nur halb so gut hinbekommen hätte

Sie würden natürlich bei Nacht kommen und wahrscheinlich in mehreren Gruppen. Er würde veranlassen, dass sie am Eingang von den Spezies-Betreuern begrüßt und zu den Aufzügen geführt würden (zu den neuen, nicht zu der schmutzigen Monstrosität, die er gleich benutzen musste). Auf der Fahrt nach unten würden die Besucher alles über die effizienten, eleganten Unterkünfte erfahren, über das in sich geschlossene Luftaufbereitungssystem, den Operationsbereich über alles, was den Planeten zu ihrer bis dato brillantesten Innovation machte. Von den Fahrstühlen aus würde er sie zum Kontrollraum geleiten und ihnen die umliegenden Räumlichkeiten und die aktuelle Reihe von Schöpfungen, von denen es wie immer jeweils acht geben würde, erläutern. Dann wieder hinaus und nordwärts, dorthin, wo der Testbereich begann.

Wir gehen geradeaus durch alle vier Phasen, dann besichtigen wir die Autopsie und das Chemielabor. Wir müssen natürlich kurz haltmachen, um einen Blick auf Fossil zu werfen. Und dann geht es weiter durch den Aufenthaltsbereich wo es Kaffee und Gebäck geben wird, vielleicht Sandwiches und schließlich in einem Bogen zurück zum Kontrollraum, um bei den ersten Tests zuzusehen. Natürlich nur Spezimen gegen Spezimen menschliche Experimente würden den Dingen einen Dämpfer verpassen

Ein leiser Ton lenkte seine Aufmerksamkeit auf sein unmittelbares Vorhaben zurück und zeigte ihm die Rückkehr des Liftes an. Die Tür öffnete sich. Das Schott glitt zur Seite, und Reston trat in die große Kabine. Die verstärkte Stahlplattform klirrte dumpf unter seinen Füßen. Staub wölkte von dem Metall hoch und legte sich über den Glanz seiner polierten Schuhe.

Reston seufzte, drückte den Schalter, der dafür sorgen würde, dass er an die Oberfläche gelangte, und dachte an all die Dinge, mit denen er sich hatte herumschlagen müssen, seit er vor gerade mal zehn Tagen im Planeten eingetroffen war. Es ging voran, aber es war ihm nie bewusst gewesen, wie viele Unannehmlichkeiten man erdulden musste, um eine dieser Anlagen betriebsbereit zu machen die lauwarmen Mahlzeiten, der fortwährende Zwang, selbst dem kleinsten Detail Aufmerksamkeit zu widmen, und der Dreck: Überall lag er; dünne Schichten von Handwerkerstaub klebten im Haar und an der Kleidung, verstopften die Filter Selbst im Kontrollraum hatte er alle möglichen zusätzlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen müssen, damit der Dreck nicht in das Zentralterminal eindrang. Er musste mit drei verschiedenen Programmierern arbeiten, um das Mainframe zum Laufen zu bringen, eine weitere von Umbrellas Vorkehrungen, um zu verhindern, dass einer von ihnen zu viel wusste aber wenn das System abstürzte

Reston seufzte abermals und tätschelte das kleine, flache Rechteck in seiner Innentasche, während der Lift summend nach oben fuhr. Er hatte die Codes; wenn das System abstürzte, würde er einfach neue Programmierer zu Hilfe rufen müssen. Ein Rückschlag, aber doch keine Katastrophe. Raccoon City, ja, das war eine Katastrophe und Grund genug für ihn, dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Planeten alles glatt ging.

Wir brauchen das hier. Nach dem Sommer, den wir hatten, dem Ausbruch und der Einmischung dieser S. T. A. R. S.-Typen und dem Verlust von Birkin, brauchen wir brauche ich das hier!

Der Beschluss war zwar einstimmig gefasst worden, aber es waren Restons Leute gewesen, die nach Raccoon gegangen waren, um Birkins G-Virus zu holen eine Aktion, die den Verlust ihres führenden Wissenschaftlers und von Ausrüstung, Raum und Manpower im Wert von einer Milliarde Dollar zur Folge gehabt hatte. Es war natürlich nicht seine Schuld, niemand warf ihm das vor aber es war für sie alle ein schlimmer Sommer gewesen, und eine Anlage vom Typ Envirotest A am Laufen zu haben, würde die Wogen beträchtlich glätten.

Er dachte darüber nach, was Trent gesagt hatte, bevor Reston sich auf den Weg zum Planeten gemacht hatte dass es keinen Grund zur Sorge gebe, so lange sie nur nicht den Kopf verloren. Ein Allgemeinplatz, aber aus Trents Mund klang es wie die Wahrheit. Es war seltsam man hatte Trent eingeschaltet, damit er als Troubleshooter fungierte, und in weniger als sechs Monaten war er zu einem der am meisten geachteten Mitglieder ihres Zirkels geworden. Nichts vermochte Trent zu erschüttern, der Mann war wie aus Eis. Sie konnten von Glück reden, dass sie ihn hatten, vor allem in Anbetracht ihrer jüngsten Pechsträhne.

Der Aufzug hielt an. Reston straffte die Schultern, und allein der Gedanke, den Mann nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, ließ ihn wieder lächeln und alle Sorgen für den Augenblick verdrängen.

Nur ein armes Arbeiterlein, dachte er beschwingt und trat hinaus, um sich der Sache anzunehmen.

Resident Evil - Sammelband 02 - Der Umbrella-Faktor
978-3-8332-2366-2.html
978-3-8332-2366-2-1.html
978-3-8332-2366-2-2.html
978-3-8332-2366-2-3.html
978-3-8332-2366-2-4.html
978-3-8332-2366-2-5.html
978-3-8332-2366-2-6.html
978-3-8332-2366-2-7.html
978-3-8332-2366-2-8.html
978-3-8332-2366-2-9.html
978-3-8332-2366-2-10.html
978-3-8332-2366-2-11.html
978-3-8332-2366-2-12.html
978-3-8332-2366-2-13.html
978-3-8332-2366-2-14.html
978-3-8332-2366-2-15.html
978-3-8332-2366-2-16.html
978-3-8332-2366-2-17.html
978-3-8332-2366-2-18.html
978-3-8332-2366-2-19.html
978-3-8332-2366-2-20.html
978-3-8332-2366-2-21.html
978-3-8332-2366-2-22.html
978-3-8332-2366-2-23.html
978-3-8332-2366-2-24.html
978-3-8332-2366-2-25.html
978-3-8332-2366-2-26.html
978-3-8332-2366-2-27.html
978-3-8332-2366-2-28.html
978-3-8332-2366-2-29.html
978-3-8332-2366-2-30.html
978-3-8332-2366-2-31.html
978-3-8332-2366-2-32.html
978-3-8332-2366-2-33.html
978-3-8332-2366-2-34.html
978-3-8332-2366-2-35.html
978-3-8332-2366-2-36.html
978-3-8332-2366-2-37.html
978-3-8332-2366-2-38.html
978-3-8332-2366-2-39.html
978-3-8332-2366-2-40.html
978-3-8332-2366-2-41.html
978-3-8332-2366-2-42.html
978-3-8332-2366-2-43.html
978-3-8332-2366-2-44.html
978-3-8332-2366-2-45.html
978-3-8332-2366-2-46.html
978-3-8332-2366-2-47.html
978-3-8332-2366-2-48.html
978-3-8332-2366-2-49.html
978-3-8332-2366-2-50.html
978-3-8332-2366-2-51.html
978-3-8332-2366-2-52.html
978-3-8332-2366-2-53.html
978-3-8332-2366-2-54.html
978-3-8332-2366-2-55.html
978-3-8332-2366-2-56.html
978-3-8332-2366-2-57.html
978-3-8332-2366-2-58.html
978-3-8332-2366-2-59.html
978-3-8332-2366-2-60.html
978-3-8332-2366-2-61.html
978-3-8332-2366-2-62.html
978-3-8332-2366-2-63.html
978-3-8332-2366-2-64.html
978-3-8332-2366-2-65.html
978-3-8332-2366-2-66.html
978-3-8332-2366-2-67.html
978-3-8332-2366-2-68.html
978-3-8332-2366-2-69.html
978-3-8332-2366-2-70.html