Wie man es richtig hinkriegt

Wenn Steve auch getrieben davon war, jedes Produkt zum ultimativen Ausdruck der Einfachheit und des intuitiven Verständnisses für den Verbraucher zu machen, war der Drang, etwas zu erschaffen, doch stets genauso stark. Er war davon getrieben, seine Produkte mit zwei Qualitäten auszustatten: Zusätzlich zu seiner intuitiven Einsichtigkeit sollte die Erfahrung der Benutzung des Produkts so befriedigend sein, dass der Kunde eine emotionale Verbindung zu dem Produkt entwickelt.

Ein Produkt rechtzeitig herauszubringen ist für Steve nicht annähernd so wichtig, wie es richtig hinzubekommen – es soll für den Benutzer so perfekt wie nur möglich sein. Wieder und wieder hat er abgepfiffen, den Marsch auf die Ziellinie gestoppt und sein Team angewiesen, sich zurückzuziehen und neu zu formieren. Er wollte kein Produkt wie den IBM-PC herausbringen, der, was ihn betraf, als Türstopper seinen größten Nutzen entfaltete. So ziemlich jedes Produkt von Rang und Namen, das seit Steves Rückkehr zu Apple gefertigt wurde – wirklich so ziemlich jedes – hat den geplanten Erscheinungstermin nicht eingehalten, weil Steve die bei so vielen Aktionären unpopuläre Entscheidung getroffen hatte, das Produkt sei noch nicht reif für die Bühne.

Monate nach dem Erscheinungstermin, den Steve ursprünglich festgelegt hatte, trugen die Mitglieder des Mac-Teams immer noch T-Shirts, auf deren Ärmeln »May 1984« zu lesen war – ohne dass das Produkt schon auf dem Markt gewesen wäre.

Doch mittlerweile bringt es ihm keine schlechte Presse mehr ein, wenn er eine Deadline nicht einhält. Er kündigt das Produkt einfach erst kurz vor seinem tatsächlichen Erscheinen an. Er gibt nichts auf Gerüchte und das »Geschwätz auf der Straße«. All das Herumraten im Voraus ist nur Öl ins Feuer der Erwartungen.

Die Entdeckung von Talenten und Interessen, von denen wir nie gedacht hätten, dass wir sie je nutzen würden

Was ist Ihr ungewöhnlichstes Talent, ihre ungewöhnlichste Fähigkeit oder das Wissensgebiet, das am meisten brachliegt und von dem Sie nicht glauben, dass es Ihnen jemals etwas nützen wird?

Wir alle haben solche Talente, die verborgen liegen, oder zusammengewürfelte Wissensbrocken, von denen wir nicht erwarten, dass sie in unserem Leben jemals eine wichtige Rolle spielen werden. Steve hatte einige davon. Während seines kurzen Aufenthalts am Reed College zum Beispiel war er über das Thema Kalligraphie gestolpert. Wir haben es hier immerhin mit einem jungen Mann zu tun, den schon früh das Technologie-Fieber gepackt hatte – warum also hätte ihn ein so feingeistiges Thema wie Kalligraphie interessieren sollen?

Seine Faszination für Gestalt und Form erstreckt sich von den Buchstaben verschiedener Schriftarten wie Garamond oder Myriad bis hin zum unendlich anziehenden, fast vollkommenen Design des iPhones. (Als ich ihn gerade kennengelernt hatte, machte er seine Unterschrift in einer gutaussehenden Kursivschrift, und zwar komplett in Kleinbuchstaben).

Für Steve war die grafische Benutzeroberfläche, die er bei PARC gesehen hatte, eine Einladung: Sie bedeutete, dass sein Macintosh nicht die blöde, langweilige und unschöne Schrift haben musste, die seit den ersten Tagen der Computerbildschirme Standard gewesen war. Mit einer grafischen Schnittstelle nach den Maßstäben dessen, was man bei PARC gesehen hatte, würde der Macintosh über eine breite Auswahl schöner, ansehnlicher Schriftarten von veränderbarer Breite und den verschiedensten Größen verfügen. Dazu würde es noch die Möglichkeit geben, fett, kursiv und unterstrichen zu schreiben sowie Exponenten für mathematische Notationen und weitere Variationen, die sich Steve selbst überlegen konnte.

Nicht zum letzten Mal rüstete Steve sich mit einer Vision für die Zukunft. Wie bei meiner eigenen Erfahrung mit dem Modell A zeigte sich auch hier, dass frühe Erfahrungen eine wunderbare Kraft entfalten können, wenn wir uns in entscheidenden Momenten an sie erinnern.

Details, Details

Einige der Geschichten über Steves Besessenheit mit selbst den kleinsten Details sind zwar erheiternd, doch sie stellen auch eine Messlatte dar, an der wir uns alle orientieren können.

Als Steve 2002 die Bosse der Musikindustrie zu überzeugen versuchte, ihm den Online-Verkauf von Musik zu erlauben, stand er in Kontakt mit Hilary Rosen, der CEO der Handelsorganisation RIAA oder Recording Industry Association of America. In dieser Position wohnte sie einem Meeting zwischen Steve und einigen Mitgliedern des Teams bei, das die Website für den Apple-iTunes Music Store erstellte und gerade mit der x-ten Überarbeitung zurückgekommen war, damit sich Steve die Sache erneut ansehen konnte. Später beschrieb sie ihre Ehrfurcht und ihr Amüsement: »Steve diskutierte zwanzig Minuten mit den Entwicklern hin und her, an welche Stelle innerhalb eines drei Quadrat-Inch großen Abschnitts drei Worte sollten, so sehr konzentrierte er sich auf die Details.«

Ein Time-Autor machte einmal eine ähnliche Erfahrung. Man hatte ihm gestattet, einem Meeting bei Pixar beizuwohnen, und so wurde auch er Zeuge von Steves Sorgfalt8 mit Details. Einige Marketing-Leute von Disney waren gekommen, um ihre Promotion-Pläne für den Kinostart von Toy Story 2 darzulegen. Steve schielte nach den farbkodierten Elementen von Postern, Trailern, Reklameflächen, den Veröffentlichungsdaten, den Werbemaßnahmen für den Soundtrack, auf das Spielzeug, das auf den Charakteren des Films basierte und so weiter. Er stellte zielgerichtet genaue Fragen nach dem Zeitplan für Fernseh-Spots, Events in Disneyland und Disneyworld und nach den Nachrichten-und Interview-Sendungen, die man für Medienauftritte anstrebte.

Steve hatte sich, diesem Time-Artikel zufolge, »so in die Sache vertieft«, dass er »den Zeitplan studierte, als wäre er ein Rabbi über dem Talmud.« Offenbar war der Autor beeindruckt. Doch für keinen, der jemals mit Steve gearbeitet hat, war an diesen Feststellungen etwas Überraschendes. Er ist in jeder Hinsicht so detailverliebt.

Noch ein weiteres Beispiel: Manchmal hat Steves Detailverliebtheit eine wesentlich größere Wirkung, als bloß die Frage zu entscheiden, ob Disney dieses Jahr seine Weihnachts-Reklamen mit Pooh dem Bären oder Buzz Lightyear als Gallionsfigur dekoriert. Beim iPhone war das Designerteam eine fast schon unanständig anmutende Anzahl von Variationen für das Gehäuse durchgegangen. Einige wiesen kaum erkennbare Änderungen auf, andere gingen einen radikal anderen Weg und wieder andere schlugen vor, das Gehäuse solle aus völlig unterschiedlichen Materialien gefertigt werden. Und dann erwachte Steve eines Morgens, einige Monate vor dem Verkaufsstart, und musste der unangenehmen Tatsache ins Gesicht sehen, dass er mit dem Gehäuse, für das er sich entschieden hatte, einfach nicht zufrieden war.

Am nächsten Tag fuhr er in dem Wissen zur Arbeit, dass das iPhone-Team, das eh schon völlig unmögliche Arbeitszeiten hatte, nicht glücklich über diese Wendung sein würde. Das spielte aber keine Rolle. Steve ist der Michelangelo unter den Produktschöpfern: Er bringt weiter Pinselstriche auf die Leinwand auf, bis er sich sicher ist, dass es stimmt.

Das ist es, was er manchmal als »Drücken der Reset-Taste« bezeichnet. PARCs Larry Tessler, der inzwischen »Chef-Wissenschaftler« bei Apple geworden war, sagte einmal, er hätte die Bedeutung des Wortes Charisma erst verstanden, als er Steve Jobs kennenlernte. Wenn man so sehr an sein Produkt und sein Team glaubt wie Steve, dann stehen die Leute zu einem, egal, was kommt.

Apple hat eine der höchsten Verbleibquoten im ganzen Silicon Valley, und bei den Produkt-Teams ist sie sogar noch höher. Die wenigsten Leute kündigen wegen der Arbeitszeiten oder der Arbeitsbedingungen.

Aber mittlerweile wissen die Apple-Truppen auch, was sie zu erwarten haben. Wenn Steve sagt: »Das wird nichts, das muss in den Müll. Geht zehn Schritte zurück und findet raus, was wirklich funktioniert«, dann steigt natürlich der Druck, aber das Produkt gewinnt dadurch.

Versuchen Sie sich etwas bei Apple vorzustellen, das so unbedeutend ist, dass Steve Jobs sich nie im Leben damit abgeben würde.

Und dann hören Sie sich das hier mal an:

In Los Angeles gibt es einen jungen Mann namens Ian Maddox, der beim Sender Syfy für die Fernseh-Show Warehouse 13 arbeitet. Zuvor war er Handelsvertreter und »Schlüsselmeister« (alias Assistent) im Apple Store in Malibu. Kurz nachdem er dort angefangen hatte, kam jeden Tag nach dem letzten Kunden eine Gruppe von Bauarbeitern vorbei und fing an, abschnittsweise den Boden herauszureißen und neue Platten zu verlegen: dunkler, aus Italien importierter Granit. »Ziemlich extravagant für einen Laden«, dachte Ian. Ein paar Tage nach Ende der Arbeiten waren die Store-Manager in Alarmbereitschaft und selbst der Bezirksleiter kreuzte auf.

Und dann kam er höchstpersönlich, Steve Jobs, mit drei oder vier Leuten im Gefolge, um die Bodenplatten zu inspizieren.

Steve war nicht zufrieden. Die Platten sahen zwar gut aus, als sie gerade frisch verlegt worden waren, aber sobald die Kunden darauf herumliefen, entstanden große, hässliche Flecken. Statt den Laden elegant aussehen zu lassen, sorgten sie nun für einen plumpen, ungepflegten Eindruck.

Die Angestellten kauerten sich zusammen und versuchten, die Szene mitzubekommen und Steves Reaktion zu beobachten, während sie so taten, als wären sie mit irgendetwas beschäftigt. Er war nicht nur unzufrieden, er war aufgebracht, wütend, und gab die Anweisung, von vorne anzufangen.

Am nächsten Abend waren die Bauarbeiter wieder da, rissen den Boden heraus und begannen mit einer Generalüberholung. Dieses Mal benutzten sie ein anderes Versiegelungs-und auch ein anderes Putzmittel.

Als ich diese Geschichte hörte, musste ich lächeln. Ich kann mir keinen anderen CEO eines Großunternehmens vorstellen, der sich die Mühe machen würde, den Boden in einem Laden seines Unternehmens unter die Lupe zu nehmen, und doch schien es so typisch für Steve, den Meister des Details.

Manchmal denke ich an diese Episode und frage mich: »Habe ich in letzter Zeit mal gesagt: ›Es ist nicht das, was ich will, aber ich schätze, es wird schon gut genug sein‹?« So überprüfe ich, ob ich hinsichtlich der Vollkommenheit der Details so anspruchsvoll bin wie mein Vorbild, Steve Jobs.

Ian hatte sogar noch eine Steve-Jobs-Geschichte auf Lager; eine, die eine andere Seite von Steves Business-Persönlichkeit widerspiegelt. Als er noch im Apple Store arbeitete, bekam Ian eines Tages eine überraschende E-Mail. Ein Kunde, dem er geholfen hatte, war so zufrieden und beeindruckt, dass er eine E-Mail an Steve Jobs geschrieben und Ians Leistung gelobt hatte. Die E-Mail, die Ian bekam, war von Steve und hatte den Kunden im cc. Ihr ganzer Text war:

Steve Jobs - iLeadership - Mit Charisma und Coolness an die Spitze
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