Es heißt, Christoph Columbus sei in der Lage gewesen, in einer einzigen Stadt Leute mit all den unterschiedlichen Fertigkeiten zu finden, die er zum Bau seiner Schiffe benötigte: Schreiner, Segelmacher, Seiler, Männer fürs Kalfatern und alles Übrige.
Heutzutage beinhalten die meisten komplexen Produkte – und auch viele einfache – Komponenten oder Zutaten, die nicht vor Ort produziert werden, sondern anderswo, von einem anderen Unternehmen gekauft werden.
Das ist der Grund, warum Handys mit Android nicht so gut funktionieren wie das iPhone: Google stellt nur die Android Software her, die dann auf der Hardware von einer Vielzahl verschiedener Hersteller laufen soll. Die Handyhersteller kontrollieren nicht die Entwicklung der Software und Google hat keinerlei Einfluss auf das Design der Hardware oder ob diese überhaupt mit der Droid Software kompatibel ist. (Ich werde später noch einmal darauf zurückkommen.)
Das ist auch der Grund, warum der obere Rand von Gilette-Rasierschaumbehältern immer Rost ansetzt: Gilette produziert den Rasierschaum, kauft aber die Behälter von einem namenlosen Hersteller, der nicht ins Kreuzfeuer der Gilette-Kunden gerät. (Und man fragt sich schon, ob die Topmanager von Gilette ihr eigenes Produkt benutzen, denn wenn sie es täten, hätten sie das Problem doch sicher schon vor langer Zeit behoben, oder nicht?)
Als Steve zu Apple zurückkehrte, hatte er eine Einsicht in etwas gewonnen, das er als fundamentales, essentielles Problem sah: Wie ist es möglich, ein gut funktionierendes Produkt zu produzieren, wenn die Gruppe, die die Software produziert und die, welche Hardware produziert, völlig unabhängig voneinander arbeiten?
Seine Antwort: Es ist nicht möglich.
Aber wenn Sie jetzt glauben, dass diese Frage nur für Hightech-Unternehmen interessant ist, dann steht Ihnen eine Überraschung bevor. Wir nähern uns mit Riesenschritten einer Zeit, in der viele alltägliche, banale Gegenstände einen Computerchip enthalten werden und diese Produkte werden auf eine Art miteinander kommunizieren, die wir gerade zu erdenken beginnen.
Schon seit Jahren werden viele Haushaltswaschmaschinen von Computerchips kontrolliert. Und ist Ihnen aufgefallen, wie der Besitzer eines Lexus oder eines Prius sein Auto aufsperrt und startet? Nicht mit einem Schlüssel, sondern mit einem »schlüssellosen« Gerät, das einen Computerchip enthält. Die Elektronik im Auto erkennt das Signal, das von dem Gerät ausgesendet wird und sperrt das Auto auf, wenn sich der Fahrer nähert und gestattet es ihm dann, das Auto zu starten, indem er einfach nur den Zündungsknopf drückt.
Das ist ein Vorgeschmack auf die Zukunft.
Seien Sie sich also nicht so sicher, für wen dieses Kapitel geschrieben ist: Wahrscheinlich geht es hier auch um eine zukünftige Variante Ihrer eigenen Produkte.
Ich bezeichne diese Ehe von Software und Hardware mittlerweile als holistisches Konzept oder »Ganzheitliche Produktentwicklung«. Es ist ein essentieller Bestandteil von Steves Produktphilosophie geworden, und auch von meiner eigenen. Und selbst wenn Sie nicht im Hightech-Bereich arbeiten, werden Sie es doch früher, als Sie sich vorstellen können, in Ihren eigenen Arbeitsbereich integrieren müssen.
(Ich bin mir nicht sicher, wie Steve auf den Begriff »holistisch« gekommen ist, aber eines Tages fiel mir auf, dass er ihn benutzte, um den kompletten Prozess der Produktentwicklung zu beschreiben.)
Dem Neuartigen mit offenen Armen begegnen
Steve Jobs ist der Meinung, dass man ein Produkt nicht mit Fokus-Gruppen entwickeln kann, jedenfalls nicht, wenn man versucht, etwas wirklich Originelles hinzubekommen. Er zitierte immer gern Henry Ford, der etwas in der Art gesagt hat: »Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie mir geantwortet: ›Ein schnelleres Pferd.‹«
Jedes Mal, wenn ich hörte, dass Steve diesen Spruch zitierte, musste ich an das Ford Modell A von 1932 denken, das ich als Belohnung für das Jahr Arbeit auf der Ranch bekommen hatte. Selbst mit meinen fünfzehn Jahren konnte ich alle Reparaturen an dem Auto ohne Gebrauchsanweisung durchführen, so klar war alles angelegt. Wenn man über genug Grundwissen und etwas gesunden Menschenverstand verfügte, dann war das alles, was man brauchte. Das Modell A war ein sorgfältig gestaltetes Produkt, ein weiteres Beispiel für holistische Produktentwicklung: Die Lattenkisten, in denen die Einzelteile in der Fabrik ankamen, wurden auseinandergenommen und als Strukturelemente für die Sitze und den Boden verwendet. Am Ende der Produktionskette gab es keine Abfälle und keinen Müll. Wären sich Steve Jobs und Henry Ford begegnet, nehme ich an, dass sie festgestellt hätten, sehr viel gemeinsam zu haben und mit großer Bewunderung für den jeweils anderen auseinandergegangen wären.
Fords Kommentar über das Pferd enthält Implikationen, die Steve intuitiv klar sind. Wenn Sie eine Gruppe von Menschen fragen, wie man ein Produkt verbessern kann, dann werden diese, selbst wenn sie mit dem Produkt nicht unzufrieden sind, höchstwahrscheinlich ihre Zeit darauf verwenden, über das nachzudenken, was an dem Produkt nicht stimmt. Diese Suche nach Fehlern hat schon ihren Wert. Aber damit bekommen Sie bestenfalls schrittweise Verbesserungen. Es wird Ihnen keine Ideen für Produkte liefern, die eine dramatische Neuerung darstellen, die das ganze System verändern. Das ist keine Innovation.
Und warum nicht? Weil die meisten in so einer Situation ihre Konzentration auf das richten, von dem sie glauben, dass man sie angewiesen hat, darüber nachzudenken. Sie glauben, man habe sie angewiesen, sich auf ihre Erfahrungswerte zu konzentrieren. Aber das ist der falsche Fokus.
Was Sie brauchen sind Leute, die sich darauf fokussieren, wie ihre Erfahrung aussehen könnte.
Was Visionäre vom Rest der Menschheit unterscheidet ist ihre Tendenz, sich zu fragen, was sie tun oder wie sie ihr Leben oder ihre Produkte anders gestalten könnten. Wenn man solchen Leuten neue Werkzeuge oder Technologien in die Hand gibt, fragen sie sich sofort, wie sie Produkte herstellen können, die sie zu völlig Neuem befähigen werden.
Innovatoren schaffen Produkte, die ihren Vorstellungen entsprungen sind, Dinge, die ihnen helfen eine Welt zu schaffen, in der sie gerne Leben würden. Das ist eine radikal andere Haltung als die, bei der ich lediglich herauszukriegen versuche, wie ich die Vergangenheit verbessern kann.
Brillante Produktentwickler sind getrieben von der Sehnsucht nach Veränderung, nach anderen, besseren, besonderen Dingen und Erfahrungen. Produktentwickler wie Steve Jobs haben eine Vorstellungskraft, die sie befähigt, sich diese neuen Produkte oder Lebensumstände vor Augen zu führen. Dann fragen sie sich »Warum nicht?«. Das erinnert mich immer an den Spruch von Robert Kennedy: »Manche Leute sehen die Dinge, die es gibt und fragen ›Warum?‹ Ich träume von Dingen, die es nie gegeben hat und frage ›Warum nicht?‹«
Leute mit einer Perspektive wie der von Kennedy werden sich, wenn sie feststellen, dass die Herstellung eines dramatisch neuen Produkts möglich geworden ist, fragen: »Warum warten?«
Warum nicht? Warum warten?
Thoreau hat gesagt: »Die Vereinfachung der Mittel und die Erhöhung der Ziele ist das Ziel.« Nun, auf die Produktentwicklung bezogen heißt das, dass man sich etwas vollständig Anderes und Besseres ausdenkt, und dann versucht, herauszufinden, wie man das hinbekommt.
Ich habe oft gehört, wie Steve die Tatsache erklärt, dass die Apple-Produkte so gut aussehen und so gut funktionieren, indem er die »Show Car«-Anekdote erzählt. »Sie sehen das Vorzeigemodell, die erste Version von einem Auto« (ich paraphrasiere hier, bin aber ziemlich nah an dem, was er tatsächlich gesagt hat) »und Sie denken: ›Das Design ist toll, die Form ist super.‹ Vier oder fünf Jahre später ist das Auto serienreif und im Ausstellungsraum und in der Werbung und ist einfach Mist. Und Sie fragen: ›Was ist passiert? Die hatten es doch. Sie hatten es und haben es verbockt!‹«
Und dann brachte Steve seine Vision dessen, was falsch gelaufen ist: »Als die diese tolle Idee den Ingenieuren vorgetragen haben, haben die Ingenieure gesagt: ›Niemals, kriegen wir nicht hin. Ist unmöglich.‹ Damit ließ man sie davonkommen und sie arbeiteten aus, was ›möglich‹ war und brachten ihre Pläne zu den Leuten in der Produktion. Die haben dann gesagt: ›Können wir nicht bauen.‹« Er schloss gerne mit der Bemerkung: »So hatten sie die Niederlage den Klauen des Sieges entrissen.«
Steve würde wahrscheinlich sagen, dass das Problem nicht in der Durchführbarkeit liegt. Es liegt daran, dass der Autohersteller sich nicht bedingungslos dazu bekannte, das bestmögliche Produkt herzustellen und etwas wirklich neues, anderes zu erschaffen, obwohl er sich so etwas vorstellen konnte.
Um ein ganzheitlicher Produktentwickler zu sein, müssen Sie mehr tun als sich etwas Neues vorzustellen. Sie müssen dem Neuartigen stets mit offenen Armen begegnen und sich dazu bekennen. Sie müssen fühlen, dass es das allerwichtigste ist, etwas Andersartiges, Besseres, Besonderes zu machen.
In so vielen Unternehmen gibt es Leute mit Vorstellungskraft, deren brillante Ideen regelmäßig zugunsten der Aufrechterhaltung des Status quo verworfen werden. In einer Gesellschaft, die üblicherweise Innovationen Beifall spendet, werden jeden Tag großartige Ideen vereitelt und vergeudet. Darum liest man so oft von Fällen, in denen ein Unternehmer mit einem brillanten neuen Produkt seinem alten Unternehmen den Rücken kehrt, weil dieses kein Interesse an seinen visionären Ideen hat.
Es gab Zeiten, da wäre dies fast auch bei Apple geschehen. 1997, als Steve gerade zum Unternehmen zurückgekommen war, entwickelten er und Jonathan Ive, der Chef der Design-Abteilung, zusammen den Prototypen des iMac. Es war ein Computer, in den ein extravagantes, neonfarbenes Kathodenstrahl-Display integriert war. Es sah aus wie etwas aus einem Science-Fiction-Cartoon, den ein fantasiebegabtes, frühreifes Kind gezeichnet hatte.
Später erzählte Steve Lev Grossman von der Times: »Natürlich … fielen den Ingenieuren, als wir damit zu ihnen gingen, achtunddreißig Gründe ein, [warum das nicht ging]. Und ich sagte ›Nein, nein, nein, das machen wir.‹ Und sie fragten: ›Warum?‹ Und ich antwortete: ›Weil ich der CEO bin und glaube, dass das geht.‹ So machten sie es dann, mehr oder weniger grummelnd, und es wurde ein Riesenhit27.«
In diesem Fall wurde das Vorzeigemodell auch in Serie gebaut.