Spitzenleute einstellen

Wenn es um einen Kandidaten für einen bestimmten Job geht, dann geht Steve die Sache aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel an und fragt sich: »Ist das die richtige Person?« Er ist so mit dem Produkt beschäftigt, dass er eine Vision davon hat, wer sich ganz und gar in das Entwicklerteam einfügen wird. Er will nur solche Leute einstellen, deren Arbeit erstens seinem forschenden Blick standhält und die sich zweitens auch von pointierter Kritik nicht angegriffen fühlen, die ja ohnehin nur darauf zielt, das Produkt nicht nur besser, sondern zum bestmöglichen überhaupt zu machen.

Steve trägt keinen Ballast an vorgefassten Meinungen, Zwängen und Prozessen mit sich herum. Er trifft die Kandidaten, ohne eine bestimmte feststehende Agenda mitzubringen. Manchmal denke ich, dass das etwas ist, was andere mit einem ähnlichen buddhistischen Hintergrund »Anfängergeist« nennen – die Fähigkeit, bekannte Dinge mit neuen Augen zu sehen. Außerdem war er in der Mac-Ära noch jung und daher weniger gefährdet, Opfer einer Perspektive zu werden, die schon fest und in sich abgeschlossen ist. Irgendwie ist es ihm gelungen, sich dies zu bewahren.

Eines der Kernprinzipien von Steve war es stets, nur die besten einzustellen – die »A-Leute«, wie er sie nennt. Sein Motto war stets: »Sobald du jemanden aus der B-Kategorie einstellst, fängt der an, andere Bs und Cs ins Boot zu holen.« Zur Kategorie A konnte so ziemlich jeder gehören, solange er nur genug Talent hatte. Steve stellte Randy Wiggington, der den Code für MacWord geschrieben hatte, die erste wirkliche Mac-Anwendung, bereits ein, als dieser noch zur Highschool ging. Das spielte aber keine Rolle, weil Randy dem Job mehr als gewachsen war.

 

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Nur wenige Leute waren wichtiger für den Erfolg von Apple als ein Brite namens Jonathan Ive. Obwohl die Geschichte, wie Steve ihn »gefunden« hat, nicht exakt ins Muster der anderen Talentsucher-Geschichten auf diesen Seiten passt.

John gewann als Student in England den Designpreis für Studenten von der Royal Society of Arts. Zweimal. Beim ersten Mal beinhaltete der Preis ein kurzes Praktikum in den USA. Er fand die Zeit, sich in einen Flieger nach Kalifornien zu setzen und sich bei angesagten, jungen Designfirmen im Silicon Valley umzusehen. Nach seinem Abschluss fing Ive bei einer Designfirma an, wo er monatelang am Design eines Badezimmerwaschbeckens arbeitete (mit der Zeit haben sich die Details der Geschichte etwas verändert: oft ist auch die Rede von einer Toilette). Es ist typisch für ihn, dass er erst viele unterschiedliche Versionen entwarf, bis er bei einem Design blieb, mit dem er zufrieden war.

Ungefähr zur selben Zeit war Robert Brunner, ein Designer, den er auf einer früheren Reise ins Silicon Valley kennengelernt hatte, Chefdesigner von Apple geworden. Er hatte schon zweimal zuvor versucht, Jony anzuheuern. Dieses Mal stießen seine Versuche auf fruchtbaren Boden, denn Jony war bedrückt, stets mit Leuten zusammen zu arbeiteten, die seinem innovativen Design nichts abzugewinnen vermochten. Er akzeptierte Brunners Angebot.

Das war zu der Zeit, als Steve nicht bei Apple war. Als er zurückkehrte und anfing, Projekte, Produkte und Leute abzusägen, stand auch Jonys Kopf auf dem Spiel. Obwohl er den Newton designt hatte, war er im Jahr zuvor zum Design-Chef von Apple aufgestiegen. Und Steve hasste den Look der meisten Apple-Produkte. Er machte sich auf eine Headhunting-Expedition, um einen neuen Leiter für die Design-Abteilung zu finden.

Glücklicherweise erkannte er, noch bevor er fündig geworden war, dass bereits ein Weltklasse-Designer für ihn arbeitete. Statt Jonathan zu ersetzen, akzeptierte Steve ihn bereitwillig, bestätigte ihn als Chefdesigner für das neue Zeitalter von Apple und gab ihm die Ermutigung, die Ressourcen und die Unterstützung, die seitdem für den Erfolg von Apple und seine Produkte ein entscheidender Faktor gewesen sind.

Heute arbeitet Jony in einem Design-Labor auf dem Apple-Campus hinter verschlossenen Türen, umgeben von glänzendem Aluminium und den modernsten Design-Instrumenten, bemannt mit einem kleinen Stab von etwa einem Dutzend glücklicher (und vor allem ungeheuer talentierter) Designer aus einem halben Dutzend Länder. Er hat den Vorsitz bei der Erschaffung von einem Produkt nach dem anderen, die alle ihre verblüffende Brillanz im Aussehen der Unterstützung der Funktionalität verdanken. Jonathan Ive und sein Team setzen weiterhin Standards, denen kein anderes Unternehmen auch nur nahekommt.

Der bemerkenswerte Punkt an dieser Geschichte ist, dass Steve ihn fast ersetzt hätte, aber Ives wahres Talent noch rechtzeitig erkannt hat.

Wenn ich mir anschaue, was diese von Steve eingestellten Leute seither geleistet haben, dann ist ganz klar, dass sie alle mehr waren als One-Hit-Wonder. Die Leute, die er anstellte, gingen schließlich selbst daran, bedeutende Technologie-Unternehmen zu gründen. Jean Louie Gassée zog Be hoch, Mike Boisch Radius und Guy Kawasaki gründete Garage.com, um nur einige zu nennen.

Donna Dubinsky war Studentin an der Harvard Business School, als sie eines Tages in einem Kurs eine Demonstration von VisiCalc auf einem Apple II Computer sah. Sie hatte schon im Bankwesen gearbeitet und wusste, wie anstrengend es sein konnte, Kalkulationstabellen von Hand zu machen: »Was, wenn der Zins 10 Prozent betrug statt 9,5?« Um die Antwort auf eine so simple Frage zu bekommen, musste man unter Umständen jede Zahl auf dem Blatt neu durchrechnen. Also erkannte sie das Potential: »Jeder Banker wird das haben wollen.«

Sie hatte ebenfalls schon mit der Finanzierung von Produkten des Kabelfernsehens zu tun, was »mir gezeigt hat, wie wertvoll es ist, in einem expandierenden Arbeitsfeld tätig zu sein«. Wenn man diese beiden Elemente kombinierte, so Donna, »dann ergab sich für mich das völlig klare Bild, dass Apple das Unternehmen war, für das ich arbeiten wollte. Es gab da nur ein kleines Problem: Apple hatte noch nie jemanden aus der Harvard Business School eingestellt. Sie bewarb sich für ein Bewerbungsgespräch, aber »ich wurde abgelehnt. Man wollte nur Leute aus dem technologischen Bereich.«

Am Tag des Bewerbungsgesprächs saß eine wild entschlossene Donna den ganzen Tag vor dem Zimmer, in dem die Gespräche stattfanden. »Jedes Mal, wenn die Dame rauskam«, erzählt sie, »versuchte ich, mit ihr zu reden.« Wie Steve selbst aus eigener Erfahrung weiß, kann das Unmögliche möglich werden, wenn man nur entschlossen genug ist. »Endlich, gegen Ende des Tages, erbarmte sie sich und ließ mich rein, um mit ihr zu reden.« Trotz der Einschränkung »nur Technologen« hatte Donnas Entschlossenheit sie einen Schritt weitergebracht.

Donnas Enthusiasmus für Apple-Produkte muss schon früh zum Vorschein gekommen sein. Man flog sie für weitere Bewerbungsgespräche ein und bot ihr einen Job im geschäftlichen Bereich, in der Vertriebsunterstützung an, sobald sie ihren MBA gemacht hätte.

Als sie sich in Cupertino zur Arbeit meldete, brachte das einige Überraschungen mit sich. Sie war den formellen Umgangston des Bankwesens gewohnt. Leute von höherem Rang sprach man als »Mr.« oder »Ms.« an. Es stapelten sich keine Akten auf deinem Schreibtisch. »Und wenn du auf die Toilette gehst, ziehst du deine Anzugsjacke an, für den Fall, dass du einem Kunden begegnest.« Bei Apple fand sie natürlich schnell heraus, dass der Dresscode größtenteils Shorts, T-Shirts und Flip Flops beinhaltete.

Zu dieser Zeit expandierte das Unternehmen so schnell, dass die Dinge dazu tendierten, etwas chaotisch zu werden. »Als ich dort anfing, waren 20 – 30 Prozent der Leute Neulinge und der Typ, der mich eingestellt hatte, arbeitete schon in einem neuen Job.«

Aber auch Donnas Vorgeschichte war etwas unkonventionell: In der Highschool war sie Mitglied der Blaskapelle gewesen. Sie stellte fest, dass es mehr als nur einen Weg gab, ein Unternehmen zu führen. Hier befand sie sich in einer kreativen Welt. Für sie war das eine »Offenbarung.«

»Bald arbeitete ich von frühmorgens bis spätabends«, erzählt sie, »entwickelte Informationssysteme und sorgte dafür, dass der Vertrieb lief.«

Donna begegnete Steve größtenteils in Meetings, bei denen es um Prognosen ging. Sie erinnert sich noch lebhaft an einige seiner Entscheidungen, die von der Warte ihrer geschäftlichen Ausbildung her keinen Sinn ergaben. Sie erinnert sich, dass irgendwann der Punkt gekommen war, »wo wir von 300 dpi auf 1200 dpi-Drucker übergingen – eine monumentale Veränderung. Was sollten wir mit dem alten Warenbestand anfangen? Man geht mit dem Preis runter und schmeißt sie raus. Man verdient an Kunden, die dieses Schnäppchen wollen.«

Steve sagte stattdessen: »Nehmt die alten aus dem Katalog. Die Leute sollen die neuen kaufen.«

Donna hatte eine wichtige Sache über Steve herausgefunden: Seine Entscheidung verstieß zwar gegen die grundlegenden Harvard-Geschäftsprinzipien, zeigte aber, dass es für ihn ausschließlich um das Wohl des Kunden ging. »Diese Drucker sind überholt, die Leute sollten so etwas nicht kaufen, lasst sie uns einfach loswerden.«

Über die Jahre erwies sich Apple als hervorragendes Übungsgelände. Donna wurde später CEO von Palm und Mitbegründerin von Handspring. Fortune nahm sie in seine »Innovators Hall of Fame« auf.

Ihren Erfolg führt sie teilweise auch auf »die riesengroße Menge an Dingen« zurück, die sie in ihrer Dienstzeit unter Steve Jobs gelernt hat. »Man muss tolle Leute haben. Man muss tolle Produkte herstellen. Man muss sich einem Management-Ethos verschreiben, das Spontaneität fördert und Erfolge feiert.«

Doch vielleicht die wichtigste Lektion von allen war, »was ein einzelner Mensch alles bewirken kann.«

 

Steve Jobs - iLeadership - Mit Charisma und Coolness an die Spitze
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