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Gespräch mit einem Engel
Bittet, so wird euch gegeben;
suchet, so werdet ihr finden;
klopfet an, so wird euch aufgetan.
Matthäus 7,7
Viele Stunden dachte ich darüber nach, was Gott von mir erwartete. Selbst vor meinem Unfall im Wildwasser hatte ich nie wirklich an den Zufall oder glücklichen Umstand als solchen geglaubt. Ich war und bin fest davon überzeugt, dass Gott die meisten Geschehnisse lenkt und dass sie Teil eines umfassenden Planes sind. Während ich also im Krankenhausbett mit der Frage lag, welchen Zweck mein Missgeschick hat, fand ich mich plötzlich auf einem Felsen inmitten eines großen, sonnenüberfluteten Feldes wieder.
Ich sprach mit einem Engel, der auf einem Felsen mir gegenübersaß. Ich bezeichne dieses Wesen als »Engel«, weiß jedoch nicht, was es eigentlich war: Engel, Bote, Christus oder Lehrmeister. Allerdings weiß ich, dass es von Gott und in Gott war. Im Laufe unserer Unterhaltung stellte ich dem Engel Fragen, und er beantwortete sie. Wir sprachen darüber, wie man noch in schrecklichen Situationen stets die Freude bewahrt, und über die uralte Frage: Warum widerfahren guten Menschen schlimme Dinge? So empfing ich die folgenden Einsichten.
Jeder von uns verfügt über die Möglichkeit und das Privileg, aus bestimmten Gründen auf die Erde zu kommen. Manchmal kommen wir, um die eigenen Gaben des Geistes weiterzuentwickeln und zu verbessern: die der Liebe, der Freundlichkeit, der Geduld, der Freude, des Friedens, der Güte, der Treue, der Sanftheit und der Selbstbeherrschung. Dann wieder kommen wir, um jemand anderem zu helfen, seine oder ihre Gaben des Geistes zu entfalten. Jedenfalls kommen wir alle zur Erde, um Christus in der Weise ähnlicher zu werden, wie es in Römer 8 beschrieben wird.
Bei der Vorbereitung dieser Reise zur Erde können wir unser Leben in Grundzügen entwerfen. Das heißt jedoch nicht, dass wir, die Menschen, über unseren Lebensplan allein bestimmen. Vielmehr liegt er in Gottes Hand, wir überdenken und besprechen ihn dann mit dem Engel, der für unsere »persönliche Planung« zuständig ist. In das Schema sind Abzweigungen eingezeichnet, an denen wir entweder unseren Weg beenden und zu Gott zurückkehren oder zu einer anderen Aufgabe, einem neuen Ziel geführt werden.
Zu diesen Abzweigungen gelangen wir sowohl durch bewusste Entscheidungen als auch durch äußere Umstände – oder ein Engel greift ein und treibt uns dorthin. Sind Sie je »genau zur rechten Zeit« irgendwo eingetroffen? Können Sie sich im Rückblick an eine Person erinnern, die kurz in Ihr Leben trat, etwas sagte oder tat und damit einen Einfluss ausübte, der weitaus größer war als das Wort oder die Geste selbst? Welche genauen Umstände haben Sie mit Ihrem künftigen Ehepartner zusammengebracht oder ähnlich wichtige Wendungen in Ihrem Leben herbeigeführt? Haben Sie schon einmal beiläufig an jemanden gedacht, und dieser Mensch tauchte dann plötzlich auf oder kontaktierte Sie? Ist Ihnen je etwas passiert, das Ihnen den Gedanken eingab: Wirklich merkwürdig, diese Geschichte? Überlegen Sie also, ob es sich dabei lediglich um eine Reihe von »Zufällen« handelte oder nicht doch um »arrangierte« Ereignisse, die beweisen, dass Gott die Hand mit im Spiel hat.
Obwohl wir uns der Engel oder ihres Eingriffs in unser Leben nur selten bewusst sind, glaube ich fest daran, dass sie uns Tag und Nacht begleiten. Engel sind Geistwesen, die im Alten und Neuen Testament über 250 Mal erwähnt werden. Sie erscheinen in Gestalt von Geschöpfen, Ereignissen, Menschen, um Gott zu preisen und zu verehren. Sie kümmern sich um sein Volk, beschützen und führen es, schalten sich häufig ein oder überbringen seine Botschaften. Sie arrangieren jene »Zufälle«, die sich in unserem Leben immer wieder ereignen.
Bemerkenswert ist, dass die meisten Theologen damit einverstanden wären, dass Engel unter uns leben – gemäß Gottes Willen, nicht nach dem unseren.
In seinem Buch Systematic Theology (Systematische Theologie) schrieb Lewis Sperry Chafer: »Engel sind vielleicht auch deshalb für den Menschen nicht sichtbar, weil sie andernfalls angebetet würden. Der Mensch, der stark dazu neigt, Götzen ebenso zu verehren wie die Arbeit seiner Hände, könnte der Anbetung der Engel kaum widerstehen, wenn sie ihm vor Augen stünden.«
Obgleich oft unerkannt, sind Engel in unserer heutigen Welt sicherlich präsent und aktiv. Ein Artikel im Magazin Newsweek (November 1994) unter dem Titel »In Search of the Sacred« (Auf der Suche nach dem Heiligen) hielt fest: »20 Prozent der Amerikaner haben im letzten Jahr eine Offenbarung von Gott empfangen, und 13 Prozent haben einen Engel gesehen oder seine Gegenwart gespürt.«
Engel setzen uns regelmäßig einer Situation aus – oder treiben uns förmlich in sie hinein –, in der wir gezwungen sind, einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Natürlich werden wir nicht wirklich dazu gezwungen, sondern eher veranlasst, uns der nächsten Gabelung zu nähern, wo wir dann beschließen, nach rechts oder nach links abzubiegen. Jede dieser Entscheidungen bringt uns weiter, und es gibt kein Zurück, keine Möglichkeit, frühere Dinge ungeschehen oder anders zu machen. Jede Wahl, die wir heute treffen, beeinflusst die Entscheidungen, vor denen wir morgen stehen. Der Planet Erde und die Menschen, die ihn bewohnen, sind tatsächlich eng miteinander verbunden, und keine Aktion bleibt ohne irgendeine Art von Reaktion.
Selbst die schlimmsten Situationen und Ereignisse können in Individuen und/oder Gesellschaften große Veränderungen bewirken. Wären wir nicht Zeugen der Grausamkeit, könnten wir kein Mitleid empfinden. Ohne große persönliche Herausforderungen wären wir weder zur Geduld noch zur Treue fähig. Gerade die Erkenntnis, dass unsere irdischen Probleme im Hinblick auf das ewige Leben kaum ins Gewicht fallen, ermöglicht es uns, auch inmitten der Trauer und Sorge die Freude zu erfahren. Hand aufs Herz: Haben Sie sich je wesentlich verändert oder weiterentwickelt in einer Phase des Behagens oder der Selbstzufriedenheit? Die Einsicht, dass der Wandel nur selten ohne Schwierigkeiten und Mühen eintritt, kann einen Menschen derart befreien, dass er an allem Freude findet. Außerdem verhilft sie uns dazu, jeden Tag mit einem von Dank erfüllten Herzen zu verbringen und »dankbar in allen Dingen« zu sein.
Was immer auch geschehen mag – wir können uns glücklich schätzen, dass Gott seine Versprechen hält, dass unser Glaube ausreicht, um uns zu stärken, und dass uns das ewige Leben sicher ist.
Bisweilen werden wir mit unangenehmen Situationen oder Personen konfrontiert, um uns in eine Richtung zu führen, die mit Gottes Willen deutlicher übereinstimmt. Eines meiner bevorzugten Beispiele dafür ist das vom Bettler, der vor dem Büro eines reichen Geschäftsmannes sitzt, um ihm zu helfen, mehr Toleranz und Mitgefühl gegenüber anderen aufzubringen.
Auch in meinem eigenen Leben gibt es solche Beispiele. Vor dem Unfall störte und ärgerte mich sehr das Verhalten einiger Arbeitskollegen. Danach mochte ich ihr Verhalten immer noch nicht, aber mir wurde klar, dass ich weder ihren Zweck auf Erden kenne noch den Grund, warum sie in meinem Leben sind. So schwer es manchmal zu akzeptieren ist, weiß ich doch, dass Gott jeden von ihnen genauso innig liebt wie mich. Anstatt mich durch ihr Verhalten aus der Fassung bringen zu lassen, finde ich jetzt Freude in der Einsicht, dass es mich Geduld lehrt, und dafür bin ich dankbar. Ich fing sogar an, für sie zu beten, was meine Einstellung grundlegend verändert hat. Die Übung, für andere zu beten (und ich meine das mit Liebe gesprochene Gebet), kann dramatische Auswirkungen haben und zu größerer Zufriedenheit, ja tieferem inneren Frieden führen. Jedenfalls lohnt es sich, das einmal auszuprobieren.
Während der Engel auf dem Felsen mir gegenüber seine Erklärungen fortsetzte und geduldig meine Fragen beantwortete, kam mir eine einleuchtende Analogie zu unserem individuellen Leben in den Sinn: Wir alle sind Fäden, aus denen ein riesiger und wunderbarer Gobelin gewoben wird. Als Individuen verbringen wir das Leben damit, uns um den eigenen Faden zu sorgen – welche Farbe er hat, wie lang er ist –, und geraten in Wut, wenn er ausfranst oder reißt. Der ganze Gobelin aber ist so groß, dass wir ihn gar nicht überblicken können, und sein Muster derart komplex, dass uns die Bedeutung unseres einzelnen Fadens verborgen bleibt. Dennoch wäre der Gobelin ohne unseren individuellen Beitrag schadhaft und unvollständig. Daher sollten wir diesen Beitrag anerkennen und uns daran erfreuen. Unser Faden – unser Leben – ist in der Tat wichtig. Unsere Handlungen und unsere Entscheidungen, selbst die scheinbar geringfügigen, machen einen Unterschied.
Ich finde es aufschlussreich, dass gerade jene Leute, die über bedauerliche Umstände oder furchtbare Ereignisse klagen, nur selten unmittelbar damit zu tun haben. Ich konnte mit Menschen sprechen, die sich in sogenannten »schlimmen, tragischen oder verheerenden« Situationen befunden haben, aber trotzdem dankbar dafür sind und auch dann nichts an ihrer Lage ändern würden, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gäbe.
Es geht mir um Folgendes: Die Deutung, ob eine Sache grundsätzlich »gut« oder »schlecht« ist, hängt allein vom eigenen Standpunkt ab. Ist es wirklich so, dass »guten« Menschen »schlimme« Dinge widerfahren? Ich habe da meine Zweifel. Jesus war gewiss ein sehr »guter« Mensch, und seine Kreuzigung würden die meisten wohl als »schlimm« bezeichnen. Seine Jünger waren am Boden zerstört, doch ohne dieses Ereignis hätten sich die Prophezeiungen des Alten Testaments nicht erfüllt und wäre kein neues Bündnis mit Gott geschlossen worden. Aus dieser Perspektive fällt es schwer, die Kreuzigung Jesu für »schlimm« zu erklären. Tatsächlich bildet sie den Kern der »frohen Botschaft«, die Christen auf der ganzen Welt feiern.
Selbst wenn wir enttäuscht sind, weil wir eine Situation oder Begebenheit nicht begreifen können, gibt es unsichtbare Engel, die, von Gottes Weisheit geführt, uns Beistand leisten und Trost spenden. Unsere einzig wahre vernünftige Option besteht darin, auf das Wort und die Versprechen Gottes zu bauen.