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Rückreise nach Wyoming

Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.

Hebräer 13,5

Die Erste-Hilfe-Station in Choshuenco war ziemlich primitiv, ohne Diagnosegeräte und nur mit wenigen Medikamenten ausgestattet. Bill war froh, immerhin einen Vorrat an Verbandszeug zu finden, und schiente fachmännisch beide Beine. Ich habe wohl nicht viel gesprochen, da ich zwischen dieser Welt und der jenseitigen, die ich verlassen hatte, hin- und hertrieb. Noch immer war ich völlig versunken in meine Visionen, in die Intensität und leidenschaftliche Liebe, die ich gerade in Gottes Reich miterlebt hatte.

Im Versuch, das Geschehen einzuordnen und einen Sinn darin zu entdecken, traf ich eine klare Entscheidung: Ich würde mich weder in Chile noch in einer der großen amerikanischen Städte behandeln lassen, die auf unserem Rückweg nach Wyoming lagen. Jackson Hole verfügte über ein ausgezeichnetes Krankenhaus und Ärzte, denen ich vertraute. Vor allem aber war mir klar, dass ich bei meinen Kindern sein musste.

Bill und Tom luden mich auf die Rückbank des Pick-ups, und damit begann unsere Heimreise.

Wir fuhren nach Coique, wo es einen kleinen Flughafen gab. Da er geschlossen war, fuhren wir weiter nach Valdivia, eine belebte Stadt mit 100 000 Einwohnern. Als wir uns dem Eingang des Flughafens näherten und das verriegelte Tor sahen, war Bill derart betrübt, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. Erst am nächsten Morgen würde der Flugbetrieb wieder aufgenommen.

Wir kehrten zurück in die Stadt und entdeckten ein kleines Hotel, in dem noch Zimmer frei waren. Tom verabschiedete sich, und Bill trug mich die Treppe hinauf. Es folgte eine lange, unruhige Nacht des Wartens. Bei Anbruch der Morgendämmerung brachte uns ein Taxi zum Flughafen, wo Bill ein kleines Flugzeug mit Ziel Santiago ausfindig machte. Er buchte zwei Plätze und hob mich sanft in die Maschine. Bill war heldenhaft. Er kümmerte sich um die Tickets, das Gepäck – und um mich in meinem äußerst geschwächten Zustand.

Ich weiß nicht genau, warum wir beschlossen, reguläre Verkehrsmaschinen zu benutzen, anstatt einen Notfalltransport zu organisieren, aber es erschien uns das Richtige. Bill trug mich von einem Flugzeug zum nächsten. Da die Maschine von Santiago nach Dallas nur spärlich besetzt war, gab es mehrere freie Sitze, auf denen ich mich ausstrecken konnte. Obwohl die Flugbegleiter bei meinem Anblick und meinem Gebaren die Augenbrauen hochzogen, fragte niemand allzu genau nach meinem Zustand.

Nach der Ankunft in Dallas, Fort Worth International Airport, wo man uns mit einem Rollstuhl empfing, passierten wir mühelos den Zoll und kehrten in die Vereinigten Staaten zurück. Bill meinte, es würde weniger Aufsehen erregen, wenn nur eines meiner Beine bandagiert sei, und so entfernte er vor dem Einchecken für den nächsten Flug nach Salt Lake City, Utah, eine Schiene. Dennoch brachten die Flugbegleiter ihre ernste Sorge zum Ausdruck, als sie zusahen, wie Bill mich behutsam auf den Sitz hob. Um ihre Fragen zu beantworten, verschleierten wir die Wahrheit… mehr als ein bisschen. Wir beteuerten, wir beide seien orthopädische Chirurgen und ich hätte mir während der Ferien den Knöchel verletzt; daher hielten wir es für bequemer, das Bein zu schienen. Offenbar nahmen sie uns dieses Märchen nicht ab und informierten den Flugkapitän.

Er kam und erklärte mit nachdenklicher Miene, dass ich im Falle einer Notlandung ein nicht zu unterschätzendes Hindernis wäre. Ich kicherte innerlich und wollte ihm mitteilen: Nach all dem, was mir widerfahren ist, würde dieser Flug der sicherste sein, den er in seinem Leben je hatte. Tatsächlich aber sagte ich, dass ich in Notfallsituationen ausgebildet und meine Verletzung nicht allzu schlimm sei, dass ich ganz gewiss niemandem im Weg wäre. Damit zufrieden, kehrte er ins Cockpit zurück, und wir konnten starten.

Nach der Landung in Utah hatte ich zunehmend Mühe zu atmen. Als wir im Flughafen kurz innehielten, um etwas zu trinken, fühlte ich mich schwach, krank und unfähig, tief durchzuatmen. Alles erschien mir fern, und wahrscheinlich dachten wir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Wir zogen nie in Betracht, eines der Krankenhäuser in Salt Lake City aufzusuchen, eben weil ich fest entschlossen war, mich in Jackson Hole behandeln zu lassen. In der Annahme, ich könnte ein Blutgerinnsel oder eine Lungenentzündung haben, riefen wir meinen Hausarzt an und baten ihn, sofort nach unserer Rückkehr in unsere Praxis zu kommen.

Anschließend lud Bill mich auf die Rückbank unseres Pick-ups, und wir begannen die fünfstündige Fahrt von Utah zu unserem Wohnort in Wyoming. Als meine Atmung nach einiger Zeit noch mühsamer wurde, fragte ich mich allmählich, ob meine Entscheidung richtig war und ob ich es bis zu meinen Kindern schaffen würde. Bill rief erneut den Internisten an und schlug vor, er solle uns in der Notaufnahme anstatt in der Praxis erwarten.

Als wir den Pine Creek Pass auf einer Höhe von gut 2000 Metern überquerten, verschlechterte sich meine Atmung noch mehr. Ich entschuldigte mich bei Bill – meinem liebevollen, treuen und beständigen Ehemann, den ich liebe. Er ist eines der größten Geschenke, die ich von Gott empfangen habe, und ich bat ihn um Verzeihung dafür, dass ich es nicht bis nach Hause schaffen konnte, dass wir nicht früher angehalten hatten, dass ich unbedingt nach Jackson Hole zurückwollte, dass ich ihn verlassen und sterben würde. Wieder und wieder entschuldigte ich mich.

In Chile war ich von meiner Entscheidung, nach Jackson Hole zurückzukehren, vollauf überzeugt gewesen, denn ich glaubte, sie stimme mit Gottes Plan überein. Da es nun ganz danach aussah, als würde ich vor der Ankunft sterben, erfüllte mich dieses vermutliche Missverständnis mit tiefer Reue. Ich wurde überwältigt von Trauer um meinen Mann und meine kleinen Kinder. Willie, Betsy, Eliot und Peter waren so liebevoll und verletzlich, dass der Gedanke, ihnen fernbleiben zu müssen, sie im Stich zu lassen, mich zur Verzweiflung trieb.

Einmal Himmel und zurück: Der wahre Bericht einer Ärztin über ihren Tod, den Himmel, die Engel und das Leben, das folgte
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