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Mädchen und Kaffeeautomaten traten in den Hintergrund, wir trafen uns mit Freunden und einigen der Klassensprecher noch während der Ferien. Wir redeten über Karl-Heinz und ob man von der Schule, von den Klassensprechern aus etwas gegen ihn machen sollte, auch gegen Franco. Oder ob man sich lieber auf sich selbst verlassen sollte, auf die eigene Stärke.

Die Stimmung wurde hitzig. Mittendrin sagte Ayfer etwas, das so klang, als würde Viktor vor der versammelten Klasse sprechen. Aber wenn man genauer hinhörte, merkte man doch, dass es ein bisschen anders klang. Und dieser kleine Unterschied war wichtig.

Nur erkannten den nicht alle, die an dem Treffen teilnahmen.

»Nein«, sagte Ayfer nachdrücklich, »es ist nicht gut, gleich zuzuhauen. Wir müssen versuchen, so lange« – darin bestand der Unterschied – »wie es geht, etwas anderes zu machen.«

Einige murrten. Vor allem Sürels Kung-Fu-Freunde, die auch mit in der Runde saßen. Sie mochten etwas anderes nicht. Sie fragten, was Ayfer damit meine.

Ayfer antwortete zögernd: »Wir müssen mit den Lehrern reden, denn anders funktioniert es nicht!«

Die Runde wurde unruhig. Sehr viele erwiderten: »Mit Lehrern redet man nicht.«

Wahrscheinlich dachten sie Ayfer so davon abzuhalten, nach den Ferien mit den Lehrern über Karl-Heinz und Franco zu sprechen. Aber das lag nur daran, dass sie Ayfer nicht kannten, nicht so gut wie ich.

Es fand noch ein einziges Treffen statt, diesmal im Lagerraum des Obstgeschäfts von Ayfers Eltern. Bei diesem Treffen wurde deutlich, dass sich die Stimmung gewandelt hatte, dass sehr viele plötzlich gegen Ayfer standen oder zumindest misstrauisch waren.

Und als sie ihren Vorschlag noch einmal wiederholte und darauf beharrte, dass eine Massenprügelei überhaupt nichts ändern würde, stand einer von Sürels Kung-Fu-Freunden auf, sah sie finster an und spuckte Ayfer vor die Füße.

Danach wandte er sich ab und verließ den Lagerraum. Und auch wenn er am Ausgang auf Trockenbohnen ausrutschte und beinah hingefallen wäre, auch wenn deshalb alle lachten und er wütend die Tür zuschlug: Dies kurze Lachen war nichts als der Versuch, die gespannte Atmosphäre, die auf der Versammlung lastete, zu lockern.

Aber das gelang nicht. Denn nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, versickerte das Lachen schnell und einige erhoben sich und gingen ohne zu grüßen.

Als ich mit Ayfer am nächsten Tag, dem letzten Tag der Herbstferien, vormittags zum Krankenhaus kam, um noch einmal Sürel zu besuchen, trafen wir Kai und Lisa. Lisa erzählte, dass Karl-Heinz und Franco schon von unseren Treffen wussten. Das habe sie gehört. Von Tina. Auch von anderen.

»Und sicherlich wissen die auch«, sagte Lisa leise, »was ihr dort besprochen … dass ihr euch gestritten habt … und dass Ayfer wenig Unterstützung findet.«

»Ist egal«, knurrte Ayfer.

Kai sagte: »Glaub ich nicht.«

Lisa meinte: »Das wird schwierig. Du wirst Schwierigkeiten kriegen.«

Sürel, der in seinem Zimmer auf dem Bett saß und schon wieder Schokolade essen konnte, nuschelte: »Lasst die Lehrer lieber weg! Ich geh zu den Bullen.«

Dann grinste er, schwang sich von der Bettkante und lachte: »Viktor hat mich eingeladen: eine Woche. So lange kann ich sowieso noch nicht in den Unterricht.«

»Reimt sich«, sagte ich.

Und Sürel wiederholte: »Eine Woche!«

»Eingeladen?«, fragte Lisa.

»Eingeladen«, lachte er. Kaute seine Schokolade. »Von Viktors Vater.«

»In das Haus mit den Geparden? Mit den Porzellangeparden?«

»Kein Haus, eine Insel, irgendwo im Meer.«

»Insel?«

»Da muss er hin – Geschäfte! Irgend so was, was weiß ich. Ich werd in der Sonne liegen … und dabei an Franco denken … und in meine Cola Kiwischeiben tun.«

Als wir das Krankenhaus verließen, nahm ich meinen Mut zusammen, schaute Ayfer an und sagte: »Kai hat Recht, das geht nicht gut.«

Immer noch die bunten Bilder an den schrecklich weißen Wänden.

Während ich mich wunderte, wie leicht mir das Sprechen mittlerweile fiel, lächelte Ayfer. Ihre Augen blinzelten verschmitzt. Sie fragte: »Machst du dir Sorgen? Um mich?«

Ehe ich darauf antworten konnte, reckte sich Ayfer auf die Zehenspitzen und gab mir mitten im Krankenhausgang einen Kuss.