»Hey, Delaney«, rief Janna und legte den Kopf schief. »Alles klar bei dir?«
Ich konnte mich immer noch nicht bewegen, die anderen Leute starrten mich an. Carson flüsterte Janna etwas zu. Sie stand auf, wickelte sich ein paar Locken um ihre Finger, zog sie glatt und ließ sie dann wieder zurückschnellen. »Hmmm …« Sie ging auf mich zu und legte mir den Arm um die Taille. »Erde an Delaney«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Die anderen gucken schon ganz komisch.«
Ich lehnte mich erleichtert an sie. Um Janna ging es nicht. Es ging nicht um das Mädchen, das meine Freundin sein wollte. Aber dann zog sich mein Magen zusammen und meine Knie begannen zu zittern. Wenn sie es nicht war, dann musste es Carson sein. Carson, der mich auf der Couch geküsst hatte. Carson, der ein Fenster eingeschlagen und ein Seil gestohlen hatte, um mich zu retten. Carson, der mich anlächelte, als ob es hier um einen Witz ging, den nur wir beide verstanden.
»Du siehst aus, als könntest du einen Happen vertragen«, sagte Janna. Ich ging mit ihr zum Tisch und ließ mich neben sie auf die Bank sinken. Ich nahm ein Stück Pizza und biss hinein, den Geschmack nahm ich kaum wahr. Ich kaute mechanisch, registrierte die Kruste und den fettigen Käse, schluckte alles hinunter. Aber es war nicht lecker wie sonst, sondern irgendwie ekelerregend. Die ganze Zeit ließ ich Carson nicht aus den Augen. Er sah überhaupt nicht krank aus. In Nullkommanichts hatte er drei knoblauchtriefende Stücke verdrückt.
»Was meinst du, Delaney. Ist zu viel Knoblauch schlecht für mein Image?« Er warf den Kopf zurück und lachte.
»Mein Bruder und sein Image«, sagte Janna und presste eine zusammengefaltete Serviette auf ihre Pizza, um das überschüssige Fett aufzusaugen.
»Tu nicht so, als ob dir das völlig egal wäre, Janna.« Carson wandte sich zu mir und fuhr mit vollem Mund fort: »Sie geht nachher zum Friseur, um sich ihren Afro zähmen zu lassen.«
Janna hielt sich schützend die Hände auf den Kopf. »Nicht zähmen. Glätten.«
»Was meinst du, Delaney?«, fragte Carson. »Soll ich meine kürzer schneiden lassen? Wirkt im Moment zu kindisch, oder? Fürs College muss ich männlicher aussehen.« Er fuhr sich mit den Fingern durch sein lockiges Haar, das ihm fast bis zum Kinn reichte.
Ich versuchte zu lächeln und mir Carson im College vorzustellen. Daran zu denken, dass er bis dahin überleben würde. Dass ich ihn retten könnte. Wenn ich nur wüsste, was mit ihm nicht stimmte.
»Bist du krank?«, fragte ich unvermittelt.
»Krank. Du weißt schon, nicht gesund. Nicht ganz auf der Höhe. Du siehst angeschlagen aus.« Das war eine Lüge.
Carson nahm einen verchromten Serviettenspender und betrachtete sein verzerrtes Spiegelbild. »Nein, ich bin nicht krank. Janna, bin ich blass oder so? Das kommt von diesem verdammten Maine-Winter. Ich gehe auf ein College im Süden. Florida, vielleicht Hawaii. Yeah, Hawaii. Ihr könnt mich besuchen kommen. Surfen lernen oder so.«
Janna lachte mit geschlossenem Mund. »Du solltest vielleicht besser an deinen Noten arbeiten, du Schwachkopf.«
Noten. College. Haare. Als ob irgendetwas davon wichtig wäre. Ich konnte den Blick nicht von ihm lösen. Ich legte mein Stück Pizza auf den Teller zurück, denn ich befürchtete, dass ich auch diese Mahlzeit nicht bei mir behalten würde.
»Delaney, du siehst wirklich nicht gut aus.«
»Kein guter Tag«, sagte ich.
»Es ist nur ein B, Schätzchen.« Janna strich mir über den Rücken. »Für ein B würde Carson töten.«
»Es ist mehr als nur das B.«
Janna schaute mich an, schien mit den Gedanken aber ganz woanders zu sein. »Ich habe eine Idee. Ich fahre mit dem Auto direkt zum Friseur. Könntest du dann vielleicht Carson nach Hause bringen? Du bleibst bei ihm und ich stoße später dazu. Genialer Plan, oder?«
Das klang in der Tat perfekt. Ich hätte es mir selbst nicht besser ausdenken können.
Sie sah ihren Bruder an. »Aber Finger weg von ihr«, drohte sie scherzhaft.
»Wer, ich?« Carson grinste von einem Ohr zum anderen.
Janna machte ein finsteres Gesicht. »Du bist so ein Arsch, Carson. Und, Delaney, Finger weg von meinem Bruder, klar?«
»Klar.«
»Sie sieht ohnehin ansteckend aus«, sagte Carson.
»Warum merkt das eigentlich niemand außer mir? Mein Bruder ist so ein Arschloch.« Sie stapelte die Pappteller auf unserem Tablett und trug sie zum Abfalleimer.
Ich folgte den beiden zum Ausgang. Für einen Moment wurde mir schwindlig und ich spürte Nadelstiche in meinem Kopf, als ob ich etwas Wichtiges übersehen hätte. Ich fuhr herum und sah Troy an einem Tisch sitzen. Mein Unterbewusstsein musste ihn schon registriert haben.
»Verdammter Mist. Carson, ich treff dich am Auto, ich muss noch auf die Toilette.«
Dann ging ich in Richtung Troy, der mit einem Getränkebecher herumspielte. Er tat so, als würde er mich nicht bemerken. Stattdessen nahm er den Deckel von seinem Becher und rührte mit dem Strohhalm in den Eiswürfeln herum. Ich setzte mich ihm gegenüber und räusperte mich.
»Was verschafft mir das Vergnügen deiner Gesellschaft?«, fragte er.
Ich legte die Hände flach auf den Tisch und beugte mich nach vorn. »Halt dich von ihm fern, zum Teufel.«
»Von wem? Ach, du meinst den Typen, der bald den Löffel abgibt?«
»Wird er nicht. Er wird es schaffen.«
Er streckte seine Hand aus und legte sie auf meine. Ich zog meinen Arm zurück. Er schüttelte den Kopf und flüsterte: »Du kannst nichts dagegen tun.«
»Kann ich nicht? Wart’s ab …«, sagte ich und stand auf.
Er folgte mir nach draußen. Hastig schaute ich mich um, ich wollte nicht allein mit ihm sein.
»Ich werde dir nicht wehtun«, sagte er. »Ich wollte es dir gestern nur erklären, aber du bist abgehauen.«
»Verschwinde!«
»Mach ich. Aber nicht, weil ich glaube, dass du Recht hast, sondern weil du es selbst erleben musst. Dann wirst du es verstehen. Du wirst zu mir zurückkommen. Wir gehören zusammen, verstehst du?«
»Nein, das tun wir nicht. So was gibt’s nicht.«
Es gibt Dinge, die ich tue und die ich nicht tue. Es gibt Worte, die ich sage oder die ich nicht sage. Es gibt keinen vorbestimmten Weg, dem ich folgen muss. Keine Fügung des Schicksals. Es gibt nur mich und ich wähle meinen Weg. Ich ging zu Carson. Ich würde ihn retten.
Carson lief die kleine Holztreppe in den Keller hinunter und ich folgte ihm. Die eine Hälfte des Raums war noch nicht fertig ausgebaut, die Ziegelwände waren unverputzt, auf dem nackten Betonboden standen Fitnessgeräte herum. Die andere Seite hatte verputzte Wände und Teppichboden, auf dem eine Couch, mehrere Sessel und ein Flachbildfernseher standen.
»Da ich dir nicht zu nahe kommen darf, scheidet die Couch schon mal aus«, sagte Carson und warf lachend den Kopf zurück. Er pikste mich in die Seite. »Ich will dich nur ein bisschen aufziehen, lach doch mal.«
Ich versuchte es.
»Bist du sicher, dass du nicht krank bist?«
»Carson, darf ich dich was fragen? Als Kind hattest du Epilepsie, oder?«
Carson wandte sich ab und ging zu einem der Geräte. »Das weißt du noch?«
»Ja, ich erinnere mich an den Vorfall auf dem Spielplatz.«
»Gott, das hat so verdammt ewig gedauert.« Carson legte sich unter eine lange Eisenstange mit Gewichten an beiden Enden. »Behalt mich im Auge, okay?«
Ich hatte keine Ahnung, was er damit sagen wollte. Er griff nach meinen Handgelenken und legte meine Hände auf die Hantelstange. »Für den Fall, dass ich sie loslasse«, sagte er.
Er bat mich, ihn zu retten. Meine Hände waren schweißnass. Ich wischte sie an meiner Hose trocken, bevor ich wieder die Stange umklammerte.
»Keine Angst, ich lasse sie schon nicht fallen.«
»Und was war dann?«
»Was meinst du?« Carson ließ die Hantel sinken und zählte dabei bis zehn. Ich folgte der Bewegung mit den Händen. Immer, wenn er die Hantel wieder hochdrückte, presste er kräftig die Luft aus den Lungen. Ich zuckte jedes Mal zusammen und dachte daran, dass er seinen Atem nicht als Selbstverständlichkeit ansehen sollte.
»Deine Epilepsie.«
Carson setzte sich auf, streckte die Arme nach vorn und hinten und drehte mir den Rücken zu. »Es fing an, als ich drei war. Mit zehn hatten die Ärzte alles unter Kontrolle. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Sieben verdammte Jahre lang musste ich alle paar Monate die Medikamente wechseln, bis sie endlich eine Kombination gefunden hatten, die funktionierte.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Meistens jedenfalls.«
»Hattest du Angst?«
Sein Blick war hart, als er mich ansah. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann legte er sich ohne ein Wort wieder unter die Hantel. »Davor muss man keine Angst haben. An Epilepsie stirbt man normalerweise nicht. Es sei denn, du bist im Wasser oder brichst dir den Schädel.« Er warf den Kopf zurück und versuchte zu lachen, aber dieses Mal klang es gezwungen.
Ich legte meine Hände wieder auf die Stange, bereit für die nächste Runde. »Musst du dein Leben lang Medikamente nehmen?«
»Nein, letzten Monat habe ich die Tabletten abgesetzt. Ich kann mich sonst so schlecht konzentrieren.« Er grinste schief. »Wer weiß, vielleicht bin ich ohne ja genauso clever wie Janna.«
»Weiß dein Arzt, dass du keine Medikamente mehr nimmst?«
»Ja. Wahrscheinlich bin ich aus der Epilepsie herausgewachsen. Die Ärzte meinen, das käme oft vor.«
»Woher wissen sie das?«
»Ich nehme keine Medikamente mehr und ich habe keine Anfälle. Das ist alles.«
Das klang nicht sehr wissenschaftlich. Wie lange war er schon krank, ohne dass es jemand bemerkt hatte? Seit Justins Party hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Hatte es damals schon Anzeichen gegeben? Wann hatte das Ziehen angefangen? Und wie sollte ich ihn zu einem Arzt bringen?
Während ich meine Möglichkeiten durchging, klingelte Carsons Handy. Ich könnte so tun, als ob es mir schlecht ginge, und ihn bitten, mich zum Arzt zu fahren. Dann müsste ich Dr. Logan nur noch überzeugen, mit ihm einige Tests zu machen. Aber Carson hatte gesagt, Epilepsie wäre nicht tödlich. Was, wenn es etwas anderes war? Oh Gott, und wenn es das Herz war und das Gewichtheben alles noch schlimmer machte?
Carson klappte sein Handy zu. »Gehen wir.«
»Gehen? Wohin?
»Zu Kevin.«
»Janna meinte, wir sollten hier auf sie warten.«
»Janna meint eine ganze Menge. Sie ist meine kleine Schwester. Wenn ich alles machen würde, was Janna sagt, wäre mein Leben todlangweilig. Komm, wir gehen. Ich simse ihr, dass wir uns dort treffen.«
Ich blieb vor der Treppe stehen und versperrte ihm den Weg. »Warum können wir nicht hier auf sie warten?«
Er schob sich an mir vorbei. »Keine Chance. Justin ist schon da, und Decker und Tara kommen auch.« Damit war die Sache für ihn erledigt.
»Ich will aber nicht.«
»Decker diktiert echt dein Leben. Ich gehe. Du kannst hier sitzen bleiben und auf Janna warten oder mitkommen.«
Er war schon halb die Treppe oben und ich konnte ihn unmöglich allein gehen lassen. »Okay, aber ich fahre.«
Ich war total nervös. Die ganze Fahrt über spürte ich das Ziehen in Richtung Carson. Kevin wohnte im einzigen Reichenviertel der Stadt. Viertel war übertrieben, es war eher eine steile, kurvige Straße. Ich fuhr an den hübschen Häusern vorbei, die sich an einen Berghang schmiegten. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick über den Falcon Lake.
Kevins Haus war das letzte in der Straße. Wegen der vereisten Stellen und der vielen Kurven würde es gut zehn Minuten bis ganz nach oben dauern.
Während der Fahrt blickte ich immer wieder kurz zu Carson hinüber, ansonsten konzentrierte ich mich auf die Straße. Wir hatten etwa ein Viertel der Strecke geschafft, als sich plötzlich etwas veränderte. Das leise, warnende Ziehen verwandelte sich in ein Jucken im Zentrum meines Gehirns. Ich drehte den Kopf zu Carson und machte eine Vollbremsung. Er schoss in seinem Gurt nach vorn.
»Was ist los? Soll ich fahren?« Er lächelte, als wäre alles ganz normal, aber er kniff die Augen zusammen und sah immer wieder aus dem Fenster.
»Nichts. Es … es ist nur so verdammt hell hier, oder?«
Die Straße war ziemlich eng, rechts und links standen hohe Bäume, durch die kaum Sonnenlicht drang.
»Carson, hör zu. Geht es dir wirklich gut? Oder fühlst du dich, als würdest du einen Anfall bekommen?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich keine Anfälle mehr habe.«
Das war kein klares Nein. Deshalb traf ich eine Entscheidung. Ich wählte einen Weg und verpflichtete mich damit. Mitten auf der Straße wendete ich in drei Zügen, was ziemlich gefährlich war, weil man nicht sehen konnte, ob jemand um die Ecke bog. Dann fuhr ich den Hügel wieder hinunter.
»Wo willst du hin?«, fragte Carson.
Ich kalkulierte im Kopf, ob die Zeit reichen würde. Drei Minuten ins Tal. Drei Minuten bis zum Highway. Zehn Minuten bis zum Arzt. Ich konnte es schaffen. Das Jucken hatte gerade erst begonnen. Wir konnten es schaffen.
»Wir fahren zu meinem Arzt. Du siehst nicht gut aus.«
»Das ist lächerlich«, sagte er, aber er wehrte sich nicht. Er musste etwas gespürt haben, denn er ließ zu, dass ich ihn rettete.
»Ruf Janna an. Oder deine Eltern.«
Carson hörte mir nicht zu. Mit zusammengekniffenen Augen drehte er den Kopf von einer Seite zur anderen. Dann hielt er sich eine Hand vors Gesicht und drehte sie vor und zurück.
»Was machst du da?«
»Ich sehe eine Aura«, flüsterte er.
»Was ist das?« Ich raste die steile Straße hinunter. Ein schwarzes Auto kam uns entgegen und ich blickte kurz in die Augen des Fahrers. Ich umklammerte das Steuer und beschleunigte weiter.
»Das ist ein Zeichen«, sagte er und blickte auf seine Hand. »Eine Warnung.«
Ich bog in Richtung Highway ab. Drei Minuten. »Alles wird gut, Carson«, sagte ich, aber allmählich geriet ich in Panik. Das Ziehen war stark. Das Jucken breitete sich über mein Hirn bis in den Nacken aus, viel schneller als erwartet. »Halt durch«, sagte ich und gab noch mehr Gas.
In einer Kurve gerieten wir ins Schleudern. Carson stützte sich mit einer Hand gegen das Seitenfenster. »Du willst mich aber nicht umbringen, oder?«
Ich presste die Zähne aufeinander, als die Hinterräder wieder Grip hatten. »Natürlich nicht.«
Wir waren in weniger als zwei Minuten auf dem Highway. Von hier zu Dr. Logan ging es schnurgeradeaus. Wir würden es schaffen. Sie würden Carson untersuchen, das Problem finden und es beheben.
Nach etwa anderthalb Minuten auf dem Highway wurde das Jucken stärker, wanderte vom Nacken über die Schultern bis in die Arme hinunter. Zu schnell. Ich sog tief die Luft ein und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. »Carson?«
»Irgendwas stimmt nicht, Delaney.«
»Ich weiß, ich fahr so schnell ich kann. Halt einfach durch.«
»Nicht mit mir. Mit dir.« Er deutete mit einem Finger auf das Lenkrad. Meine Hände, mit denen ich es umklammerte, zitterten. Ich konnte das Steuer nicht ruhig halten. Ich zwang meine verkrampften Fäuste, locker zu lassen, und presste die ausgestreckten Handflächen gegen das Lenkrad. Dabei blickte ich auf meine Finger, die mir sagten, was passieren würde. Ich schloss kurz die Augen, dann schüttelte ich den Kopf, versuchte das Jucken abzuschütteln und mich auf die Straße zu konzentrieren.
»Mist!«, rief ich, riss das Steuer herum und stieg in die Bremsen. Ich streckte ihm meine zitternde Hand entgegen. »Hol dein Handy raus und wähle.«
Er schielte misstrauisch zu mir hinüber, zog das Handy aber heraus.
»Welche Nummer?«
»Notarzt.« Er drückte die Tasten und hielt das Handy ans Ohr. Dann rutschte es ihm aus der Hand und fiel auf den Boden, aber ich konnte hören, wie die Notfallzentrale nach dem Grund des Anrufs fragte. Ich löste meinen Sicherheitsgurt und beugte mich über Carson. Dann wurde er ganz steif.
»Carson?« Er verdrehte die Augen und seine Glieder schnellten nach oben. Ich griff nach dem Handy, aus dem eine Frauenstimme fragte: »Hallo? Hallo? Was für einen Notfall haben Sie?« Als ich mich wieder aufrichtete, rammte Carson sein Knie gegen mein Jochbein und begann am ganzen Körper zu zucken.
»Oh, Mist, Mist, Mist«, murmelte ich zu mir und ins Telefon. Carson schnellte gegen den Sicherheitsgurt, seine Arme schlugen gegen die Tür und seine Füße trampelten auf den Boden, was seltsame Geräusche machte.
»Miss? Was ist passiert?«
»Carson Levine«, sagte ich mit zitternder Stimme, »er hat einen epileptischen Anfall.«
Ich beugte mich zu ihm, um seinen Gurt zu lösen, denn er zuckte so heftig, dass er ihm fast den Hals abschnürte.
»Okay, fassen Sie ihn nicht an. Alles wird gut.«
»Er ist in meinem Auto. Der Gurt …«
»Fassen Sie ihn nicht an. Es geht vorbei. Es wird vorbeigehen.«
»Was kann ich tun?«
»Nichts. Im Moment können Sie gar nichts tun. Ich schicke Hilfe. Wo sind Sie?«
Carsons Kopf fiel nach vorn, aber seine Glieder zuckten weiter. Er übergab sich auf den Beifahrersitz, ich hielt mir mit der einen Hand Mund und Nase zu, mit der anderen riss ich die Tür auf, denn es stank wie auf einer Parkplatztoilette.
»Er hat sich übergeben«, flüsterte ich ins Telefon.
»Mit Auswurf?«
War das per Definition nicht immer so?
»Ja!« Ich rannte um das Auto herum und öffnete gerade die Beifahrertür, als Troy seinen Wagen auf dem Standstreifen hinter uns abstellte.
»Solange die Luftröhre nicht verstopft ist, macht das nichts. Wo sind Sie?«
»Äh, auf dem Highway.«
»Welcher?«
»Das weiß ich nicht! Kurz vor Anderville. Es hat immer noch nicht aufgehört.«
»Alles unter vier Minuten ist kein Problem. Es sei denn, er hat aufeinanderfolgende Krampfanfälle. Bis jetzt dauert es erst etwas mehr als eine Minute. Also, welcher Highway?«
Nur eine Minute?
Troy stieg aus dem Auto und lehnte sich dagegen.
»Bleib uns um Gottes willen vom Leib«, rief ich.
»Mit wem sprechen Sie?«
Ich gab keine Antwort, dann begann ich zu lachen. »Es hat aufgehört«, sagte ich. Carsons Kopf hing schlaff nach vorn herunter, aber sein Brustkorb hob und senkte sich. Hoch, runter, hoch, runter, ich zählte die Atemzüge. Es ging ihm gut. Er atmete. Er lebte.
Ich klappte das Telefon zu und lachte weiter. Tränen nahmen mir die Sicht, aber ich sah immer noch Troys Umriss vor dem Auto. Ich hörte auf zu lachen und warf ihm einen selbstzufriedenen Blick zu. Dann löste ich Carsons Sicherheitsgurt und zog seinen schlaffen Körper aus dem Auto. Er stank nach Erbrochenem. Zum Glück würde bald Hilfe kommen. Carson war schwer. Ich fiel zu Boden und er auf mich drauf, aber es tat nicht weh. Noch nie hatte sich ein Sturz so gut angefühlt. Ich glitt unter ihm weg und legte ihn auf die Seite, wie ich es vor vielen Jahren bei Janna gesehen hatte.
Carson blinzelte und konzentrierte sich auf meine Augen. »Bist du ein Engel?«, fragte er leise.
»Heute ja«, antwortete ich, fuhr mit den Fingern durch seine Locken – und hielt inne.
Meine Finger. Meine Finger zitterten. Ich hielt sie mir vors Gesicht und betrachtete die Bewegungen. Dann schaute ich zu Troy, der immer noch lässig an seinem Auto lehnte und langsam den Kopf schüttelte.
Carsons Augäpfel verdrehten sich erneut. Ich krabbelte durch den Schnee nach hinten. Ein weiterer Anfall.