46. KAPITEL

Als ich die Augen öffnete, brannte das ganze Gebäude schon lichterloh. Die Stahlträger verbogen sich bereits durch die Hitze des Feuers. Ich lag wenige Meter von der unteren Terrasse entfernt flach auf dem Boden. Liam war nirgends zu sehen.

Ich versuchte, mich aufzusetzen, aber der Untergrund war irgendwie schief. Ich hoffte, dass ich mir keine Gehirnerschütterung zugezogen hatte, und startete einen weiteren Versuch. In der Nähe des brennenden Gebäudes konnte ich zwei Gestalten ausmachen. Ich fürchtete, doppelt zu sehen, und schüttelte den Kopf. Nein, es waren definitiv zwei Leute. Mein Puls raste. Liam und Michael? Dann geriet mein Herz ins Stocken. Die Gestalten, die ich sah, gehörten zu keinem der Männer, die ich sehen wollte.

Die beiden standen nebeneinander und schauten auf die Feuersbrunst. Aber irgendetwas war seltsam. Sie rannten nicht herum und machten keinerlei Anstalten zu helfen. Ihrer Haltung nach zu urteilen, schienen sie ganz entspannt, als würden sie vor einem Freudenfeuer stehen statt vor einem brennenden Gebäude, in dem sich noch Menschen befinden konnten.

Langsam richtete ich mich auf und blinzelte ein paarmal, um die vom Feuerschein beschienenen Gesichter besser erkennen zu können.

Übelkeit stieg in mir hoch.

Ich kannte das Gesicht der Frau.

Ihr Gesichtsausdruck wirkte verletzlicher, als ich es in Erinnerung hatte. Sie kaute an einem Fingernagel und schaute zu dem Mann auf, der neben ihr stand.

Ich sah nur seinen Hinterkopf. Weitere Details konnte ich nicht erkennen, nur dass er sehr groß war und breite Schultern hatte.

Aus der Ferne hörte ich Sirenen und schob meine aufgepeitschten Gefühle beiseite. Man durfte uns nicht auf dem Gelände erwischen. Ich musste Michael finden.

»Emerson. Emerson!«

Von der überdachten Terrasse her hörte ich eine leise Stimme und schöpfte Hoffnung. So schnell ich konnte, huschte ich die Stufen hinauf und sah mich suchend nach Michael um, traf aber nur auf Liam.

»Wo ist er?«, fragte ich. »Wo ist er, Liam?«

Das Prasseln des Feuers erfüllte die Stille zwischen uns. Ich schaute in sein Gesicht, das von den Flammen erhellt wurde. Seine Augen verrieten die Wahrheit, die er nicht aussprechen wollte.

»Nein.« Meine Knie gaben nach, und ich sackte nach vorn. Liam fing mich auf und ließ mich langsam zu Boden. »Er muss aus dem Fenster gesprungen sein oder so. Bevor wir in die Vergangenheit gereist sind, hat er mir versprochen, dass wir gesund zurückkehren. Er muss in Sicherheit sein.«

»Mein liebes Kind.« Liam setzte sich neben mich auf den Boden und legte mir den Arm um die Schultern, um mich zu stützen. »Sobald ich wusste, dass du nichts abbekommen hattest, bin ich zur Vorderseite des Gebäudes gelaufen. Durch den hinteren Teil kann er nicht entkommen sein – von dort kam die Explosion. Michael ist nirgends. Ich glaube nicht, dass er es nach draußen geschafft hat.«

Mein Atem ging stoßweise, und es war, als würde mir ein Messer ins Herz gestoßen. »Er … Er muss … Wenn er hier in der Vergangenheit gestorben ist, dann hätte ich ihm doch nie begegnen können.«

»Ich wünschte, es würde so funktionieren, aber so ist es nicht.« Liam nahm meine Hände.

»Wir müssen ihn finden. Wir müssen ihn mit zurücknehmen.« Ich versuchte, meine Hände wegzuziehen und aufzustehen, aber Liam war genauso kräftig wie sein Sohn und hielt mich mit eisernem Griff. »Bitte«, flehte ich, »lassen Sie mich los, bitte.«

»Du wirst ihn nicht finden, Emerson«, flüsterte er.

»Nein. Nein!«, beharrte ich. »Die Polizei hat doch nur ein paar Knochen in den Trümmern des Labors gefunden. Wenn die Leiche und Michael beide in dem Gebäude gewesen wären, hätten sie mehr finden müssen.«

»Das könnte alles davon abhängen, wo das Feuer ausgebrochen ist … Wie heiß es geworden ist. Welche Art von Feuer es war.«

»Was?« Ich verstand es nicht. Wollte es nicht verstehen. Das Sirenengeheul näherte sich, und Liam spähte über die Mauer.

»Wir müssen hier weg, zurück über die Brücke, bevor uns jemand sieht. Wir dürfen das Kontinuum nicht gefährden.«

»Sie wollen zurück?«

»Ich kann dich nicht allein zurückgehen lassen.«

»Ich komme nicht mit.« Eine Flut von Tränen verschleierte meinen Blick. »Ich gehe nicht ohne Michael.«

»Emerson, hier wimmelt es gleich von Feuerwehrleuten und Polizisten. Wir müssen zurück zum Wagen, bevor wir hier in der Falle sitzen.«

»Ich kann nicht ohne ihn gehen, Liam. Ich kann nicht.«

»Er ist längst fort, Liebes.«

Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
titlepage.xhtml
part0001.html
part0002.html
part0003.html
part0004.html
part0005.html
part0006_split_000.html
part0006_split_001.html
part0007_split_000.html
part0007_split_001.html
part0008_split_000.html
part0008_split_001.html
part0009_split_000.html
part0009_split_001.html
part0010_split_000.html
part0010_split_001.html
part0011_split_000.html
part0011_split_001.html
part0012_split_000.html
part0012_split_001.html
part0013_split_000.html
part0013_split_001.html
part0014_split_000.html
part0014_split_001.html
part0015_split_000.html
part0015_split_001.html
part0016_split_000.html
part0016_split_001.html
part0017_split_000.html
part0017_split_001.html
part0018_split_000.html
part0018_split_001.html
part0019_split_000.html
part0019_split_001.html
part0020_split_000.html
part0020_split_001.html
part0021_split_000.html
part0021_split_001.html
part0022_split_000.html
part0022_split_001.html
part0023_split_000.html
part0023_split_001.html
part0024_split_000.html
part0024_split_001.html
part0025_split_000.html
part0025_split_001.html
part0026_split_000.html
part0026_split_001.html
part0027_split_000.html
part0027_split_001.html
part0028_split_000.html
part0028_split_001.html
part0029_split_000.html
part0029_split_001.html
part0030_split_000.html
part0030_split_001.html
part0031_split_000.html
part0031_split_001.html
part0032_split_000.html
part0032_split_001.html
part0033_split_000.html
part0033_split_001.html
part0034_split_000.html
part0034_split_001.html
part0035_split_000.html
part0035_split_001.html
part0036_split_000.html
part0036_split_001.html
part0037_split_000.html
part0037_split_001.html
part0038_split_000.html
part0038_split_001.html
part0039_split_000.html
part0039_split_001.html
part0040_split_000.html
part0040_split_001.html
part0041_split_000.html
part0041_split_001.html
part0042_split_000.html
part0042_split_001.html
part0043_split_000.html
part0043_split_001.html
part0044_split_000.html
part0044_split_001.html
part0045_split_000.html
part0045_split_001.html
part0046_split_000.html
part0046_split_001.html
part0047_split_000.html
part0047_split_001.html
part0048_split_000.html
part0048_split_001.html
part0049_split_000.html
part0049_split_001.html
part0050_split_000.html
part0050_split_001.html
part0051_split_000.html
part0051_split_001.html
part0052_split_000.html
part0052_split_001.html
part0053_split_000.html
part0053_split_001.html
part0054_split_000.html
part0054_split_001.html
part0055_split_000.html
part0055_split_001.html
part0056_split_000.html
part0056_split_001.html
part0057_split_000.html
part0057_split_001.html
part0058_split_000.html
part0058_split_001.html
part0059_split_000.html
part0059_split_001.html
part0060_split_000.html
part0060_split_001.html
part0061_split_000.html
part0061_split_001.html
part0062.html
part0063.html
part0064.html