37. KAPITEL
Michael.«
Er war schon an der Haustür, als ich ihn einholte. »Wo willst du hin? Ich dachte, du wolltest reden.«
»Wusste ja nicht, wie lange du noch brauchst.« Seine Schritte dröhnten über den Holzboden der Veranda. »Ich wollte euch Zeit lassen, bis ihr fertig seid.«
»Warte!« Ich hielt ihn am Ärmel fest, und er zuckte zusammen, als ich versehentlich seine Haut streifte. »Wir waren fertig. Ich war fertig. Wir haben nicht …«
Er riss sich von mir los und steuerte die Treppe an. »Was zum Teufel hast du dir nur dabei gedacht, Kaleb zu küssen?«
»Ich habe ihn nicht geküsst!«
»Ich hab dich gerade in der Küche mit ihm gesehen«, sagte er und fuhr herum. »Und ihr habt euch geküsst.«
»Es war nicht so …«
»Das ist es nie.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaffte es, überlegen zu wirken. »Das sagt man so, wenn man erwischt wird.«
»Erwischt? Das klingt, als hätte ich was Schlimmes getan.« Um ihm das überhebliche Grinsen auszutreiben, legte ich schneidenden Spott in meine Stimme. »Was kümmert’s dich überhaupt?«
»Ich will nur, dass du … Ach, vergiss es«, erwiderte er und wandte sich ab.
Ich packte ihn an den Schultern und riss ihn herum, um ihn besser anbrüllen zu können. »Nein, das tu ich nicht, Michael Weaver. Du kannst mich nicht runterputzen und dich dann aus dem Staub machen, ohne mir zu sagen, wieso du so sauer bist.«
»Du kannst tun und lassen, was du willst.« Seine Stimme war kalt und distanziert. »Es steht mir nicht zu, dein Verhalten zu beurteilen.«
Doch genau das wollte ich. Und dass er es laut aussprach. Am liebsten hätte ich ihn geschubst, aber stattdessen beschloss ich, ihn auf die Palme zu bringen. »Kaleb hat wirklich versucht, mich zu küssen«, sagte ich herausfordernd.
Michael zuckte zusammen, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. »Ich hatte den Eindruck, als wär’s ihm gelungen.«
Bingo.
»Er hat aufgegeben.« Ich baute mich ganz dicht vor ihm auf. »Willst du wissen, warum?«
Michael hielt sich die Hände vors Gesicht, und der Ring an seinem Daumen blitzte im Sonnenlicht. »Keine Ahnung. Sollte ich es wissen?«
Die nächsten Worte sprach ich sehr deutlich, um ihnen mehr Gewicht zu geben. »Kaleb hat deinetwegen aufgehört.«
»Was?«, fragte er ungläubig und senkte die Hände.
»Dein bester Freund ist ein Empath. Und er hat mich deinetwegen nicht geküsst.« Die Worte waren mir unwillkürlich rausgerutscht. Warum konnte ich nicht einfach den Mund halten? Gefrustet setzte ich mich auf die oberste Verandastufe.
»Ähm … Ich dachte … das mit Kaleb … Na ja, ich hab mich gefragt, ob du unsere Gefühle … die körperlichen Reaktionen … mit tatsächlichen Gefühlen verwechselt hast.«
»Vielleicht habe ich das.«
»Zwischen uns kann nichts sein, Em.« Zumindest schien er es zu bedauern.
»Das weiß ich.« Ich starrte auf die abblätternde Farbe der Treppenstufen. »Ich sollte zu Kaleb gehen und ihn auf sein Angebot ansprechen, mich abzulenken.«
»Lass es.«
»Warum? Trotz ›Fraternisierungsverbot‹ habe ich mich dir doch praktisch an den Hals geworfen. Mal denke ich, du willst mich zurück, und dann bin ich mir wieder nicht sicher. Ich erkenne mich kaum im Spiegel wieder, weil ich mich sonst nie so aufführe, und dann sehe ich Ava und …«
Hinter mir öffnete sich plötzlich die Fliegentür mit quietschenden Angeln. Dankbar für die Unterbrechung, die meinen demütigenden Offenbarungen ein Ende setzte, stand ich ruckartig auf und stieß mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand, woraufhin mir etwas Kaltes, Schleimiges über den Rücken lief.
Als ich mich umdrehte, sah ich Dune mit einer Kühlbox, die zur Hälfte mit Schlamm und Langustenköpfen gefüllt war.
Die andere Hälfte war auf mir gelandet.