19. KAPITEL
Ich traf auf Widerstand.
Es war nicht direkt feste Materie, mehr wie zäher Schlamm oder nasser Sand. Als ich zurückschreckte, wand Jack sich gleichzeitig beiseite.
»Was zum Teufel?« Ich schaute auf die Rückstände der Substanz auf meiner Hand. Was auch immer es sein mochte, es hatte eine Art … Schimmer.
Als ich aufschaute, war Jack verschwunden. So schnell wie möglich verließ ich Michaels Wohnung und machte mir nicht einmal die Mühe, die Tür abzuschließen. Ich hatte keine Ahnung, was ich als Nächstes tun sollte.
Abgesehen von Händewaschen.
Obwohl Jacks halbfeste Beschaffenheit mich ganz schön aus der Bahn geworfen hatte, schien die Karte mit der Hourglass-Adresse ein Loch in meine Tasche zu brennen. Ich konnte in knapp zwanzig Minuten dort sein.
Ich musste es wagen.
Nach einer gründlichen Handwäsche packte ich ein paar dunkle Sachen ein, um mich gegebenenfalls besser tarnen zu können, sowie den Ordner, den ich laut Michaels Anweisung nicht aus den Augen lassen sollte. Ich drehte mein Haar zu einem Zopf zusammen und steckte ihn hoch. Daraufhin eilte ich in die Küche, goss meinen Kaffee in einen Thermobecher, schrieb eine kurze Nachricht an Thomas und Dru und verließ mit Michaels Karte in der Hand die Wohnung.
Zu Drus Geburtstag hatte Thomas ihren SUV mit einem Navi ausgestattet, und ich musste nur die Adresse von der Visitenkarte eintippen. Nach einem prüfenden Blick auf die Tankanzeige, holte ich tief Luft und legte den Rückwärtsgang ein. Ich war eine recht gute Fahrerin, hatte jedoch wenig Praxis. Gott sei Dank war Autofahren wie Schwimmen, was man ja auch nicht verlernte, wenn man es einmal konnte.
Wie auch immer.
Jack. Wenn er kein Zeitloser war, was war er dann? Vielleicht existierte er ja schon so lange, dass er im Laufe der Zeit Materie aufgenommen hatte. Aber wenn das der Fall war, wieso hatte Scarlett dann nicht auch einen halbfesten Körper gehabt?
Ich hätte Michael danach fragen können, aber aus irgendeinem mir selbst unerfindlichen Grund wollte ich Jacks Besuche lieber für mich behalten. Allein der Gedanke an ihn trieb mir das Blut in die Wangen.
Ich hatte vermutet, dass Hourglass sich in einer Art Bürogebäude befand. Stattdessen führte mich das Navi aus der Stadt hinaus und durch grünes Farmland mit vereinzelten ländlichen Anwesen. Durch die offenen Autofenster strömte der Duft nach Heu und anderen erdverbundenen Dingen. Nach einer Weile meldete das GPS, dass ich mein Ziel erreicht hatte, und ich hielt vor einem eingefriedeten Anwesen mit schmiedeeisernem Tor. Es stand offen.
Große Eichen versperrten den Blick von der Straße aus. Zwischen den Bäumen wand sich eine Kieseinfahrt, deren Ziel ich nicht sehen konnte.
Ich musste es wagen.
Dass ich schon so viele schreckliche Dinge durchgestanden hatte, war ein Vorteil, wenn es darum ging, Risiken einzugehen. Was konnte schon passieren? Man könnte mich wegen unbefugten Betretens ins Gefängnis stecken. Konnte kaum schlimmer sein als eine geschlossene psychiatrische Station. Wer auch immer hinter der Grundstücksmauer leben mochte, könnte mich gefangen halten, um irgendwelche Experimente mit mir durchzuführen. Auch nicht viel anders als in der Psychiatrie. Ich zögerte. Mein Blinker strahlte so hell wie ein Leuchtfeuer für die Sicherheitsposten und Wachhunde, die in meiner Phantasie direkt hinter der Grundstücksmauer auf mich lauerten.
Ich brauchte Antworten.
Ich musste wissen, ob Michael mir die Wahrheit gesagt hatte – und was er noch vor mir verbarg.
Entschlossen fuhr ich durch das Tor.