Die Klein­odi­en des Tor­men­to
von
Paul Busson

 

 

Der ös­ter­rei­chi­sche Schrift­stel­ler Paul Bus­son, 1873 in Inns­bruck ge­bo­ren und 1924 in Wi­en ge­stor­ben, war Of­fi­zier, dann Re­dak­teur. Er schrieb Ge­dich­te, No­vel­len, Ro­ma­ne so­wie Jagd- und Tier­ge­schich­ten. Ei­ne ech­te Trou­vail­le ist sei­ne fan­tas­ti­sche Ge­schich­te ›Die Klein­odi­en von Tor­men­to‹, die 1905 in der ös­ter­rei­chi­schen Rund­schau er­schi­en.

 

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Mit ei­nem hef­ti­gen Ruck hielt die Drosch­ke vor ei­nem großen, vor­neh­men Hau­se. Der jun­ge Arzt stieg ei­lig aus und lief am Por­tier vor­bei die brei­te Trep­pe hin­auf. Im ers­ten Stock, in der halb­ge­öff­ne­ten Woh­nungs­tü­re, war­te­te der Die­ner, der ihn so­eben te­le­fo­nisch aus dem Kaf­fee­haus ge­ru­fen hat­te. Auf dem klei­nen Mes­sing­schild stand der Na­me: Je­ro­me Ker­dac.

Der Die­ner schloß so­fort die Tü­re hin­ter dem Ein­ge­tre­te­nen, nahm ihm Hut und Man­tel ab und schob ihn mit zit­tern­den Hän­den in ein großes, halb­dunkles Zim­mer; der He­bel klapp­te – hel­les Licht strahl­te von ei­nem ve­ne­zia­ni­schen Glas­lüs­ter aus.

Dr. Klaar schritt auf das brei­te Bett zu, in dem der Kran­ke lag. Im Licht kreis­te noch ei­ne dün­ne Wol­ke bläu­li­chen Pul­ver­damp­fes. Es roch nach ver­seng­tem Lei­nen. Des Dok­tors Fuß stieß an einen har­ten Ge­gen­stand – es war der Re­vol­ver, mit dem Ker­dac sich an­ge­schos­sen hat­te.

Der Mann im Bett hielt die Au­gen ge­schlos­sen. Sein wei­ßes Ge­sicht war ma­ger und un­be­weg­lich, und er at­me­te ganz schwach. Der Arzt beug­te sich über ihn und hob die em­por­ge­zo­ge­ne Bett­de­cke. Un­ter der lin­ken Brust war der Re­vol­ver an­ge­setzt wor­den. Ein run­des, klei­nes Loch mit dunklen Rän­dern, ein paar fei­ne Blut­sprit­zer auf dem Hemd ne­ben den ver­kohl­ten Stel­len, die den Ku­gel­riß im Hemd um­ga­ben, das war al­les. Vor­sich­tig glitt des Arz­tes Hand über den Rücken des Be­wußt­lo­sen. Die Ku­gel be­fand sich noch im Kör­per. Das Herz schi­en ver­letzt zu sein. Viel war je­den­falls nicht mehr zu ma­chen.

Dr. Klaar ließ sich noch ein­mal kurz in­for­mie­ren. Der Die­ner sprach schlu­ckend und stot­ternd; er hat­te sich von sei­nem Schreck of­fen­bar noch nicht er­holt. Sein Herr sei schon seit ei­ni­ger Zeit hoch­gra­dig ner­vös und me­lan­cho­lisch ge­we­sen; oh­ne ei­gent­lich krank zu sein, woll­te er oft wo­chen­lang das Bett nicht ver­las­sen, auch ha­be er Ta­ge hin­durch kei­ne Nah­rung zu sich ge­nom­men. Manch­mal hät­te er, wie es schi­en, Fie­ber ge­habt, ir­re ge­re­det und Schreck­bil­der ge­se­hen, die ihn be­droh­ten. Be­son­ders nachts hät­te er häu­fig laut ge­stöhnt und auf­ge­schri­en, so daß er, der Die­ner, mehr­mals zu To­de er­schro­cken ins Zim­mer ge­eilt wä­re, um sei­nem Herrn bei­zu­ste­hen. Der Herr ha­be ihm aber sol­ches stets sehr barsch un­ter­sagt und ein für al­le­mal ver­bo­ten, nachts bei ihm ein­zu­tre­ten, wenn nicht ge­klin­gelt wür­de. Heu­te ha­be der Herr einen be­son­ders schlim­men Tag ge­habt, sehr viel ge­ächzt und ge­jam­mert und kei­nen Bis­sen ge­ges­sen. Um halb sechs Uhr abends hät­te er ge­läu­tet und ihn mit ei­ner Kom­mis­si­on be­auf­tragt, für die bei­läu­fig ei­ne Stun­de er­for­der­lich war. Er wä­re aber mit sei­ner Ar­beit nicht gleich fer­tig ge­wor­den, hät­te sich um un­ge­fähr zwan­zig Mi­nu­ten ver­spä­tet, als im Schlaf­zim­mer ein dump­fer Knall er­folg­te. Und als er sah, daß sein Herr auf sich ge­schos­sen, wä­re er au­gen­blick­lich zum Te­le­fon ge­lau­fen und hät­te ins Ca­fe Zen­tral te­le­fo­niert, wo, wie er zu­fäl­lig wuß­te, die Her­ren von der Kli­nik ih­re Zei­tung la­sen. Das sei aber schon vor ei­ner Vier­tel­stun­de ge­sche­hen.

»Gut«, sag­te der Dok­tor, »Sie wer­den mir Pa­pier und Tin­te ge­ben und dann mit dem, was ich auf­schrei­be, so­fort ins Po­li­zei­ge­bäu­de ge­hen. Es ist mei­ne Pflicht, gleich die An­zei­ge zu er­stat­ten.«

Im sel­ben Au­gen­blick be­merk­te der Arzt, daß Ker­dac die Au­gen weit ge­öff­net hat­te und die Lip­pen be­weg­te. Er eil­te hin und beug­te sich über den Schwerat­men­den.

»Schi­cken Sie den Die­ner in sein Zim­mer«, flüs­ter­te Ker­dac, »ich möch­te mit Ih­nen spre­chen.«

Dr. Klaar bat ihn, sich ru­hig zu ver­hal­ten; er wol­le nur et­was auf­schrei­ben und in die Apo­the­ke sen­den.

»Apo­the­ke – nicht wahr?« stöhn­te der Kran­ke. »Ich ha­be al­les ge­hört, was ge­spro­chen wur­de. Wo­zu die Po­li­zei? Es wird sehr bald aus sein. Ich möch­te Ih­nen Wich­ti­ges mit­tei­len.«

Er brach ab und be­gann auf der De­cke zu fin­gern. Sein Ge­sicht ver­fiel rasch und die Na­se wur­de spit­zig.

Das hip­po­kra­ti­sche Ge­sicht – dach­te der Arzt und dann fiel ihm ein, daß es in die­sem Fal­le wohl gleich­gül­tig und ganz und gar sei­ne Sa­che sei, wenn die Po­li­zei die Mel­dung um zehn Mi­nu­ten spä­ter er­hielt.

Er be­schloß, den Wil­len des Ster­ben­den zu er­fül­len, wies den Die­ner an, sich in sei­nem Zim­mer be­reit zu hal­ten und setz­te sich dicht ne­ben den Kran­ken, der dank­bar lä­chelnd die Ober­lip­pe em­por­zog. Es wi­der­streb­te ihm, den Ar­men noch mit der Un­ter­su­chung durch die Son­de zu quä­len. Sei­ner Schät­zung nach steck­te das Blei im un­te­ren Teil des Herz­beu­tels. Wie durch ein Wun­der ver­moch­te das Or­gan noch aus­zu­hal­ten. Müh­sam pump­te es noch ei­ni­ge Zeit das Blut durch den Kör­per – mit im­mer schwe­re­ren Schlä­gen.

»Grei­fen Sie un­ter mein Kopf­kis­sen«, mur­mel­te Ker­dac. Der Arzt er­füll­te sei­nen Wunsch und zog ein schma­les Käst­chen aus rot­brau­nem Ma­ro­quin­le­der her­vor. Auf dem durch die Zeit glän­zend po­lier­tem De­ckel war ein Wap­pen in Re­li­ef­pres­sung: ei­ne ge­flü­gel­te Schlan­ge mit ei­nem Frau­en­kopf. Dar­un­ter stand in la­tei­ni­schen Buch­sta­ben A Tor­men­to.

»Se­hen Sie al­les ge­nau an«, sag­te Ker­dac. »Ich st­er­be noch nicht. Mir ist ganz wohl.« Sei­ne Li­der klapp­ten her­un­ter, so daß der Arzt sich er­schro­cken vor­beug­te. Ker­dac lag be­we­gungs­los und at­me­te re­gel­mä­ßig, wenn auch sehr schwach.

Dr. Klaar öff­ne­te das Käst­chen. Es war mit ehe­mals weißem, längst gelb­lich ge­wor­de­nem Samt ge­füt­tert. In zwölf halb­run­den Ver­tie­fun­gen la­gen dün­ne Stein­schliffe, glatt und durch­sich­tig, dar­über, wie ein Schutz­deck­chen, ei­ne Halb­mas­ke, aus brü­chi­ger, schwar­zer Sei­de. Die Mas­ke hat­te nur ei­ne ein­zi­ge run­de Öff­nung an der Stel­le des rech­ten Au­ges, und die­se war mit ei­ner Art von vor­ste­hen­dem Rand ver­se­hen, als soll­te ein klei­nes Au­gen­glas ein­ge­scho­ben wer­den. Ein schma­ler Per­ga­ment­strei­fen, der in der Mas­ke lag, war eben­falls mit la­tei­ni­schen Buch­sta­ben be­druckt oder sehr ge­schickt be­schrie­ben.

Der Dok­tor blick­te fra­gend auf den Kran­ken und sah dann wie­der den Zet­tel an, als je­ner die Au­gen be­harr­lich ge­schlos­sen hielt. Der In­halt war ihm voll­kom­men un­ver­ständ­lich, so­wohl die Über­schrift als al­les an­de­re:

 

Die wah­ren Klein­odi­en des Tor­men­to.

Ja­nua­ri­us. – Hya­cinth. – Eva.

Fe­brua­ri­us. – Ame­thyst. – Poppäa.

Mar­ti­us. – He­lio­trop. – Sa­lo­me.

Apri­lis. – Sa­phir. – Se­le­ne.

Ma­jus. – Sma­ragd. – Dia­na.

† Ju­ni­us. – Chal­ce­don. – Na­he­ma. †

Ju­li­us. – Car­neol. – Astar­te.

Au­gus­tus. – Onyx. – Se­mi­ra­mis.

Sep­tem­ber. – Chry­so­lith. – Li­lith.

Ok­to­ber. – Aqua­ma­rin. – Un­di­ne.

No­vem­ber. – To­pas. – Rox­a­ne.

De­zem­ber. – Chry­so­pras. – He­le­na.

Ru­fe al­le, nur Na­he­ma nicht!

 

Dr. Klaar hat laut ge­le­sen. Wie ein ver­weh­tes Echo klang es von den Lip­pen des Ver­wun­de­ten: »– – – nur Na­he­ma nicht –!«

Und dann sah Ker­dac mit er­staun­ten Bli­cken, wie aus tie­fem Schlaf er­wacht, den Frem­den an, der da an sei­nem La­ger saß, und be­trach­te­te die wohl­be­kann­ten Ge­gen­stän­de in sei­nem Zim­mer.

»Ich war be­wußt­los?« frag­te er mit schwa­cher Stim­me. »Ich fühl­te, wie ich ver­sank – – im­mer wei­ter ins Schwar­ze – – –«

Ein hef­ti­ger Schau­er über­lief sei­nen Leib. Sei­ne Hand hasch­te nach der des Arz­tes.

»Sa­gen Sie, – Herr Dok­tor –, es – ist al­so kei­ne Ret­tung –? Wenn man ei­ne Ope­ra­ti­on vornäh­me?«

Dr. Klaar sah un­will­kür­lich weg und ver­such­te, den Kran­ken mit den üb­li­chen, nichts­sa­gen­den Phra­sen zu trös­ten und ihm Mut ein­zu­re­den. Es war nicht das ers­te­mal, daß er bei ei­nem Selbst­mör­der die­ses ent­setz­li­che Er­wa­chen mit­an­sah, die jä­he Er­kennt­nis ei­ner un­sin­ni­gen, jäm­mer­li­chen Tat, die nicht mehr gutz­u­ma­chen war. – Er dach­te an je­ne ar­me Nä­he­rin, die vor drei Wo­chen in sei­nem Spi­tal an Phos­phor­ver­gif­tung ge­stor­ben war, – bis zum Schluß trotz ih­res bit­te­ren Le­bens, das sie un­ge­schickt und qual­voll be­en­di­gen woll­te, mit al­len Ge­dan­ken auf Ge­ne­sung hof­fend. Und doch hät­te dies Ge­sund­wer­den nichts an­de­res für sie be­deu­tet, als ein Weiter­schrei­ten auf ih­rem Lei­dens­we­ge, dop­pelt schwer zu er­tra­gen um des klei­nen, krüp­pel­haf­ten und na­men­lo­sen Ge­schöp­fes wil­len, das sie, ver­las­sen wie ein Tier auf der Hei­de, in ih­rer fros­ti­gen Dach­kam­mer zur Welt ge­bracht hat­te. – Glück­lich die, die sich schnell zu tö­ten wuß­ten, die hin­über­schlie­fen oder die das En­de blitz­ar­tig traf, mit­ten im blü­hen­den Le­ben, so schnell, daß sie kei­nen Ge­dan­ken mehr den­ken konn­ten.

Ker­dac hat­te Trä­nen in den Au­gen, als er die Mie­ne des Arz­tes sah. Aber er war tap­fer ge­nug, sich ab­zu­fin­den.

»Dann will ich Ih­nen al­les er­zäh­len«, sag­te er lei­se, »Sie al­lein sol­len es wis­sen.«

»Sie soll­ten nicht viel spre­chen«, er­wi­der­te Dr. Klaar und sah un­schlüs­sig auf die Uhr. Er wun­der­te sich, daß er hier saß, an­statt die vor­ge­schrie­be­ne An­zei­ge zu er­stat­ten.

»Bit­te – blei­ben Sie da – – –«

Ein tie­fes Stöh­nen, dem ein schluch­zen­der Laut folg­te, zeig­te die krampf­ar­ti­gen Schmer­zen Ker­dacs an. Er hielt die Hand des Arz­tes mit hilflo­sen, schwa­chen Fin­gern so fest als mög­lich um­spannt, als fürch­te­te er, al­lein und ein­sam ster­ben zu müs­sen, und kön­ne ihn so hal­ten. Als er sich ein we­nig er­holt hat­te, be­gann er has­tig zu spre­chen; all­mäh­lich wur­de sei­ne Stim­me ru­hi­ger und ver­nehm­li­cher, wenn auch so lei­se, daß der Dok­tor sein Ohr dem Mun­de des Schwer­ver­letz­ten nä­hern muß­te, um ihn vor ge­fähr­li­cher An­stren­gung zu be­wah­ren. Wäh­rend der gan­zen Er­zäh­lung hielt Dr. Klaar das selt­sa­me Käst­chen in der Hand.

»Nie­mand wird um mich trau­ern«, sag­te Ker­dac, »ich ha­be nie­man­den, der mich liebt. Ich bin seit mei­nem zehn­ten Jahr im­mer al­lein ge­we­sen, ganz al­lein. Ver­ste­hen Sie, wie trau­rig das ist? Wis­sen Sie, was so ein ar­mer, ver­schüch­ter­ter und freud­lo­ser Bub lei­det? Pah –! Das kann nie­mand wis­sen! – Es ist ja so lan­ge her. – Spä­ter, als ich aus dem In­sti­tut, in dem ich mei­ne gan­ze son­nen­lo­se Ju­gend ver­bracht hat­te, her­aus­kam, schick­te man mich auf die Uni­ver­si­tät. Als ich vier­und­zwan­zig Jah­re alt wur­de, er­hielt ich ein Schrei­ben der Vor­mund­schafts­be­hör­de; man gab mir mein Ver­mö­gen her­aus, das ein al­ter, gries­grä­mi­ger No­tar, der sich sonst um sein Mün­del nicht ge­küm­mert hat­te, ver­wal­te­te. Ich nahm die­se Tat­sa­che mit je­ner stump­fen Gleich­gül­tig­keit, mit ei­ner Pas­si­vi­tät auf, die mir zur zwei­ten Na­tur ge­wor­den war. Ich leb­te nun bes­ser als frü­her, hat­te ei­ne große, von ei­nem kunst­sin­ni­gen Ta­pe­zie­rer aus­ge­stat­te­te Woh­nung und ver­grub mich in mei­ne Bü­cher. Bü­cher kau­fen war üb­ri­gens der ein­zi­ge Lu­xus ge­we­sen, den ich mir bis­her ge­stat­tet hat­te.

Ich in­ter­es­sier­te mich, wohl in­fol­ge mei­nes ein­sa­men, ver­in­ner­lich­ten Le­bens, au­ßer­or­dent­lich für sel­te­ne, ok­kul­tis­ti­sche Wer­ke. Mit der Zeit sam­mel­te ich ei­ne ziem­lich große An­zahl sol­cher Bü­cher, vom Agrip­pa von Net­tes­heim bis zu mo­dern-spi­ri­tis­ti­schen Schrif­ten. – Ich be­faß­te mich voll lei­den­schaft­li­chen Ei­fers mit der Ent­zif­fe­rung und Aus­le­gung un­be­kann­ter, ori­en­ta­li­scher Ma­nu­skrip­te. Ne­ben­bei ver­such­te ich, prak­ti­sche Ma­gie zu be­trei­ben. Aber ab­ge­se­hen von flüch­ti­gen Hal­lu­zi­na­tio­nen und vi­sio­nären Traum­bil­dern, die wohl nur in­fol­ge der da­bei vor­ge­schrie­be­nen Räu­che­run­gen mit aro­ma­ti­schen, zum Teil gif­ti­gen Stof­fen ent­stan­den, er­leb­te ich nichts, was mich den Ge­heim­nis­sen, die ich er­grün­den woll­te, nä­her­brach­te. Ei­ni­ge Men­schen, die ich im Lauf der Jah­re ken­nen­lern­te und die sich im Ver­bor­ge­nen mit ähn­li­chen Din­gen ab­ga­ben, be­haup­te­ten zwar, mehr als ich er­kannt zu ha­ben. Sie glaub­ten es viel­leicht wirk­lich. Ein­mal wur­de ich mit ei­nem Men­schen be­kannt ge­macht, der im Be­sit­ze un­er­hör­ter Zau­ber­kräf­te sein soll­te und sich für einen Ori­en­ta­len aus­gab. Mit un­er­schüt­ter­li­cher Ge­duld lausch­ten sei­ne Jün­ger den Fan­tasi­en die­ses Men­schen, der im Grun­de nur ein harm­lo­ser Schwind­ler war und sich auf sei­ne Wei­se klei­ne An­nehm­lich­kei­ten er­gat­ter­te. Sei­ne ma­gne­ti­schen Ku­ren ver­an­lag­ten die Be­hör­de, ihn in sein Hei­mat­dorf in Bay­ern ab­zu­schie­ben. Und so war auch das nichts ge­we­sen. – Bit­te, trock­nen Sie mir die Stir­ne, Dok­tor!«

Der an­de­re be­tupf­te mit ei­nem Tuch vor­sich­tig die Stir­ne Ker­dacs, die mit großen Schweiß­per­len be­deckt war. Viel­leicht ließ sich dies ar­me Le­ben doch noch et­was ver­län­gern; die Na­del der be­reit­ge­hal­te­nen Pra­vaz-Sprit­ze drang leicht durch die schlaf­fe Haut des Un­ter­ar­mes. Die In­jek­ti­on schi­en Ker­dac wohl zu tun, er at­me­te tief auf und fuhr et­was leb­haf­ter fort:

»Das ha­be ich Ih­nen er­zählt als ei­ne der vie­len Ent­täuschun­gen, die ich er­litt. Es war im­mer das­sel­be. In In­dien, in Darb­han­gah, zeig­te mir ein Fa­kir für zehn Ru­pi­en das be­rühm­te Wach­sen des Man­go­bau­mes. Un­ter fort­ge­setz­ten Be­schwö­run­gen ent­sproß­te dem ein­ge­pflanz­ten Sa­men­kern ei­ne hell­grü­ne, jun­ge Pflan­ze, die im­mer hö­her wuchs, nach­dem sie je­des­mal mit ei­nem Tuch be­deckt wor­den war. Schließ­lich ent­riß ich dem schrei­en­den Kerl Topf und Pflan­ze – der Sa­men­kern war ge­spal­ten und mit großer Ge­schick­lich­keit ein ab­ge­schnit­te­ner Man­gospröß­ling hin­ein­ge­klemmt. Im Tuch wa­ren noch vier Stämm­chen, eins im­mer grö­ßer als das an­de­re.

Warum ich das er­zäh­le? Um Ih­nen zu be­wei­sen, daß ich kein Neu­ling bin in die­sen Din­gen und Trug von Wirk­lich­keit wohl zu un­ter­schei­den ver­mag. Um Ih­nen be­greif­lich zu ma­chen, daß das, was mich zu je­nem un­glück­se­li­gen Re­vol­ver­schuß trieb, mehr war, als die Träu­me ei­nes er­reg­ten Ge­hirns. Es war Wirk­lich­keit – ach, so schö­ne Wirk­lich­keit, und wie­der so ent­setz­lich, daß kein Le­ben­der sich das Maß von Grau­en vor­stel­len kann, das ich durch­lebt ha­be.

Nach den vor­hin ge­schil­der­ten Er­leb­nis­sen ver­bann­te ich mei­ne Zau­ber­bü­cher in die Tie­fe ei­nes großen, ver­schlos­se­nen Schran­kes und ging oh­ne al­len Ge­hirn­bal­last auf Rei­sen. Es half mir nichts. Mein me­lan­cho­li­sches Ge­müt wur­de nicht hei­te­rer durch den ra­schen Wech­sel der Ein­drücke. Es lag ja in mir selbst, daß die Son­ne am Mit­tel­meer an­de­ren fröh­li­cher und hel­ler strahl­te als mir, daß mir die Ro­sen in Fie­so­le gars­tig und be­klem­mend duf­te­ten, daß das blaue Meer nach Fi­schen und fau­lem Tang roch. In mei­nem Au­ge muß­te ein Feh­ler sein, mein Ge­hör hat­te ge­wiß ei­ne häß­lich mit­klin­gen­de Sai­te. Wie wä­re es sonst zu er­klä­ren, daß ich an ei­ner schö­nen Frau nichts an­de­res sah als ein Flöck­chen Ruß, das der Wind an ih­re Wan­ge ge­weht und der Schlei­er ver­wischt hat­te? Daß ich in ei­nem Beetho­ven-Kon­zert die im­mer wie­derkeh­ren­den An­fang­stak­te ei­nes Gas­sen­hau­ers her­aus­hörte? Warum sah ich in ei­nem Stück, das an­de­re Men­schen in ih­ren See­len­tie­fen er­schüt­ter­te, nur schmut­zi­ge So­fit­ten und die Run­zeln des Schau­spie­lers, der den ju­gend­li­chen Lieb­ha­ber gab? Ich war es! Ich litt an mir selbst!

Ein­mal war ich ver­liebt. Ra­send, un­sin­nig – ich konn­te nur in ih­rer Nä­he le­ben. Mag die­ser Aus­druck ba­nal klin­gen – er ist trotz­dem gut. Dies­mal sah ich kei­ne kör­per­li­chen Feh­ler. Aber ich wur­de von ei­ner höl­li­schen Ei­fer­sucht ge­pei­nigt. Ich wuß­te, daß ich be­tro­gen wür­de. Ich wuß­te zu­gleich, daß es nicht so war. Ver­ste­hen Sie mich? Ich konn­te nicht an­ders – es stieß mich et­was, von der Ge­lieb­ten schlecht zu den­ken und ich quäl­te die ein­zi­ge Frau, die für mich auf der Welt war, mit mei­nem be­lei­di­gen­den Miß­trau­en, mit mei­ner höh­ni­schen Re­si­gna­ti­on, bis sie, ge­kränkt und in ih­ren zar­tes­ten Ge­füh­len roh ver­letzt, wei­nend von mir ging. Und da­mit war für mich ei­gent­lich al­les aus, dar­an bin ich auch zu­grun­de ge­gan­gen. Ganz ge­wiß.«

Ker­dac seufz­te tief auf. Ei­ne große Schwä­che und ein Mus­kel­zit­tern, das der Vor­bo­te des na­hen En­des zu sein schi­en, kam plötz­lich über ihn. Aber dies­mal ging es noch vor­über, und er er­zähl­te wei­ter:

»Ich kann mich an nichts er­in­nern, das mir wirk­li­che Freu­de ge­macht hät­te. Ich ha­be al­les ver­sucht und al­les hat mich ent­täuscht; ich war un­zu­läng­lich, der Freu­de un­fä­hig. Ich gab auch schließ­lich je­den Ver­such, mein Le­ben zu ver­schö­nern, als nutz­los auf und ge­riet wie­der in den al­ten Zu­stand voll­kom­me­ner Le­thar­gie. Ich stand auf, wenn ich ge­nug ge­schla­fen hat­te, aß, trank und trieb mich zweck­los und gleich­gül­tig auf den Stra­ßen her­um.

Ei­nes Abends – ich leb­te da­mals in Pa­ris – saß ich in ei­nem Bou­le­vard­ca­fe und trank ein Glas Bier. Es war ein war­mer Re­gen­tag im Früh­jahr. Die Lich­ter spie­gel­ten sich in den nas­sen Trot­toirs. Strö­me von Men­schen ka­men vor­über. Ein­zel­ne lös­ten sich aus der Mas­se, ka­men ins Ca­fe, an­de­re, die her­aus­gin­gen, ver­schwan­den so­fort in dem le­ben­den Strom. Mich un­ter­hielt es fast, die­se klei­nen Vor­gän­ge, die ei­ner Sym­bo­lik des Le­bens gli­chen, zu be­ob­ach­ten.

Auf ein­mal be­merk­te ich, daß sich je­mand an mei­nen Tisch ge­setzt hat­te, was mich sehr ner­vös mach­te. Ich sah den Men­schen un­freund­lich an. Es war ein arm­se­li­ger, schlecht ge­klei­de­ter Ju­de, mit röt­li­chem, zer­zaus­tem Bart und un­ru­hig-ängst­li­chen Au­gen. Er trank in klei­nen Schlu­cken einen sü­ßen Li­kör und nahm so we­nig Platz ein, als nur mög­lich. Als er sah, daß ich ihn be­merkt hat­te, mach­te er ei­ne er­schro­cke­ne, has­ti­ge Ver­beu­gung. Nach ei­ni­ger Zeit re­de­te er mich in schlech­tem Fran­zö­sisch an, mit dem sin­gen­den Ton sei­ner Ras­se. Er sprach sehr ver­le­gen und sto­ckend und ich merk­te bald, wo er hin­aus woll­te. Erst heu­te war er, wie er sag­te, in Pa­ris an­ge­kom­men, mit sei­ner Frau und drei klei­nen Kin­dern, von de­nen ei­nes sehr krank sei. Er wol­le sich hier ei­ne Exis­tenz grün­den, sei aber heu­te den gan­zen Tag ver­geb­lich her­um­ge­lau­fen und kön­ne vor Hun­ger und Mü­dig­keit nicht mehr ste­hen. Sei­ne Frau war­te­te auf ihn, ir­gend­wo weit drau­ßen. Und er ha­be kei­nen Sou in der Ta­sche, um den Kin­dern Brot zu kau­fen. Ich sah ihn är­ger­lich an, zu­erst an einen je­ner zahl­lo­sen, un­ver­schäm­ten Bett­ler den­kend, die von ir­gend­ei­ner trüb­se­li­gen, ein­ge­lern­ten Phra­se viel bes­ser le­ben als man­cher bra­ve Ar­bei­ter. Aber sei­ne Au­gen wa­ren mit so hei­ßer, ver­zwei­fel­ter Bit­te auf mich ge­rich­tet und haf­te­ten mit so ban­ger Er­war­tung an mei­nem Ge­sicht, daß ich ihm, mei­ner Ab­sicht ent­ge­gen, ein Fünf­fran­ken­stück zu­schob. Er brach in ei­ne Flut von Dank­sa­gun­gen und in nai­ve Se­gens­wün­sche aus, so daß er mir im höchs­ten Gra­de läs­tig er­schi­en. Als er mich gar noch frag­te, ob ich ihm nicht et­was ab­kau­fen wol­le, sag­te ich in bar­schem To­ne, er sol­le sich fort­ma­chen. Aber er blieb ganz ru­hig sit­zen und nahm das Käst­chen, das Sie, Herr Dok­tor, in Ih­rer Hand hal­ten, aus der Ta­sche und reich­te es mir. Es sei von ei­nem vor­neh­men Herrn aus Wi­en, der sich er­schos­sen und aus des­sen Nach­laß er es er­stan­den ha­be. Ei­ne große Ra­ri­tät müs­se es sein und sehr alt. Er ha­be sei­nen Rab­bi ge­fragt, was es sei, der ha­be ihm aber sehr streng be­foh­len, das al­les zu ver­bren­nen und es un­ter kei­nen Um­stän­den zu ver­kau­fen. Das wä­re aber doch scha­de und er sei ein ar­mer Mensch. Ob ich zwan­zig Fran­ken ge­ben wür­de?

Wi­der­wil­lig öff­ne­te ich das Etui, sah den rät­sel­haf­ten In­halt an und kauf­te es so­fort. Seit lan­ger Zeit hat­te mich nichts mehr er­regt oder in­ter­es­siert – die­ses Käst­chen mit der Mas­ke und dem Per­ga­ment­strei­fen wirk­te auf mich wie ein küh­ler Trunk auf den Ver­schmach­ten­den. Ich steck­te es so­fort zu mir.

Der Ju­de nick­te mir noch dank­bar zu und sag­te Se­gens­wün­sche vor sich hin. Er ver­schwand eben­so, wie er ge­kom­men war. Ich sah einen Mo­ment fort, und als ich mich wie­der dem Tisch zu­kehr­te, war er ver­schwun­den; das Gold­stück hat­te er im letz­ten Au­gen­blick nicht zu neh­men ge­wagt; es lag dicht bei mei­nem Arm. Er hat­te of­fen­bar einen kur­z­en, schwe­ren Kampf mit sich selbst ge­kämpft. Das tat mir recht leid. Ich hät­te dem ar­men Kerl das Geld ger­ne ge­schenkt. Ich ha­be ihn nie mehr in mei­nem Le­ben ge­se­hen.

So ei­lig als mög­lich fuhr ich nach Hau­se. Ich hat­te ei­ne sehr hüb­sche Woh­nung in der Nä­he der Ma­de­lei­ne.

Durch den Die­ner ließ ich mir ein kal­tes Sou­per ho­len und blieb zu Hau­se. Nach dem Es­sen be­trach­te­te ich das Käst­chen und sei­nen In­halt aufs ge­naues­te. Ver­ge­bens aber such­te ich in mei­nen Bü­chern nach ei­nem be­kann­teren Ma­gier na­mens Tor­men­to, des­sen ›wah­re Klein­odi­en‹ vor mir la­gen.«

Ein neu­er­li­cher An­fall ließ Ker­dac ver­stum­men. Erst nach lan­gen Mi­nu­ten, die der Arzt in be­stän­di­ger Er­war­tung des En­des, in ei­ner ihm un­be­greif­li­chen Er­regt­heit durch­leb­te, öff­ne­te je­ner wie­der die farb­lo­sen Lip­pen, um zu spre­chen.

»Ich muß mich ei­len«, stam­mel­te er. »Es geht jetzt rasch ab­wärts. – Ich sprach von dem ers­ten Abend? – Nun – ich ha­be das Ge­heim­nis erst nach Wo­chen, nach ei­ner Zeit ner­vö­sen Su­chens und Grü­belns ge­fun­den. – Es war an ei­nem Sep­tem­be­r­abend, als ich wie­der ein­mal die Mas­ke vor­nahm und den Mo­nats­stein, al­so den Chry­so­lith, in die run­de Öff­nung schob. Ich hat­te den Ver­such schon hun­dert­mal ge­macht. – Wie sonst, so starr­te ich auch heu­te durch das Plätt­chen ge­gen das Licht. Im Ge­gen­satz zu an­de­ren Ver­su­chen be­schloß ich dies­mal zu war­ten, bis ir­gend et­was sich zei­gen wür­de, und war be­reit, die gan­ze Nacht aus­zu­har­ren. – – – Wie lan­ge es dau­er­te, weiß ich nicht mehr. Sehr lan­ge je­den­falls. Spä­ter ging es viel ra­scher. – Ich sah al­so stun­den­lang durch den gel­ben Stein – wie ge­bannt. Und plötz­lich, ganz von selbst, möch­te ich sa­gen, rief ich den Na­men Li­lith un­zäh­li­ge Ma­le aus.

Auf ein­mal war es mir, als bil­de sich im Mit­tel­punkt des durch­sich­ti­gen Scheib­chens et­was wie ei­ne klei­ne Wol­ke. Doch nein – jetzt schi­en es au­ßer­halb zu lie­gen, in der Ecke des Zim­mers. Mein Denk­ver­mö­gen be­gann ein­zu­schla­fen – ich sah nur un­ver­wandt die gel­be Wol­ke an, wie sie wuchs und wuchs und wie es sich in ihr reg­te. Ich saß wie ge­lähmt. – Im­mer deut­li­cher sah ich die Ge­stalt ei­ner Frau – ei­ner nack­ten Frau mit lan­gen Haa­ren. Dann ver­lor ich wohl die Be­sin­nung, denn als ich mit dem Ge­fühl des Er­wa­chens die Hän­de wie­der be­weg­te, war die Er­schei­nung ver­schwun­den.

Ich dach­te zu­erst an ei­ne leb­haf­te Hal­lu­zi­na­ti­on, die durch Au­to­hyp­no­se, durch die sys­te­ma­ti­sche Über­rei­zung der Seh­ner­ven nur zu er­klär­lich schi­en. Ich ging dann aus; den gan­zen Abend, selbst im Thea­ter – in ei­nem blöd­sin­ni­gen Vau­de­ville tauch­te im­mer wie­der das Wort, der Na­me Li­lith in mir auf. Ich er­in­ne­re mich, daß ich ver­schie­de­nes dar­über ge­le­sen hat­te. – Ei­ne Teu­fe­lin – Adams ers­te Frau – – – der Suc­cu­bus des Mit­tel­al­ters.

Ich war schreck­lich mü­de und ging früh nach Hau­se. Als ich im Bett lag, schlief ich fast au­gen­blick­lich ein. Und ich er­wach­te fast eben­so schnell – durch die Be­rüh­rung ei­nes Kör­pers, der mir na­he war. Ei­ne Frau war in mei­nem Zim­mer – – – schön wie ein Traum­bild – in lan­ges, gol­de­nes Haar gehüllt, das knis­ternd über ih­re Schul­tern floß.

Blaue Fünk­chen spran­gen durch das Gold­ge­spinst.

Und das Selt­sa­me war, daß ich we­der Stau­nen noch Schreck fühl­te. Ich fand es selbst­ver­ständ­lich, daß sie ge­kom­men war. Ich wuß­te, daß die­ser schlan­ke, bieg­sa­me Leib der mei­ner Ge­lieb­ten, der Teu­fe­lin Li­lith, war. Ach – ich hat­te sie ja schon ge­kannt! Ich sah sie ge­wiß nicht zum ers­ten Ma­le. Ich kann­te die sü­ßen Lip­pen, die­se hell­blau­en Au­gen mit den win­zi­gen Pu­pil­len, die ge­schlitzt wa­ren wie die der Kat­zen. Und ich such­te nach dem Blut­ströpf­chen, daß sie wie einen Ru­bin auf der Un­ter­lip­pe trug. Ich wuß­te, daß es im­mer auf ih­rem blaß­ro­ten Mun­de zit­ter­te. – Auch die­ses gelb­li­che, däm­mern­de Licht, das mich mein Zim­mer er­ken­nen ließ, er­schi­en mir als et­was längst Ge­wohn­tes.

Ich dach­te aber das al­les nicht – ich fühl­te nur – ich fühl­te al­les – un­aus­sprech­lich deut­lich und doch mit Wor­ten nicht aus­zu­drücken. So wie man Mu­sik denkt – oder Far­ben – ich weiß es nicht zu sa­gen. Nur Wort­ge­dan­ken, Be­grif­fe wa­ren mir in die­ser und an­de­ren Näch­ten et­was Frem­des, Plump­kör­per­li­ches, das mich so­fort aus ih­ren Ar­men ge­ris­sen hät­te.

Stel­len Sie sich vor, Sie könn­ten Tö­ne, Har­mo­ni­en mit al­len Sin­nen wahr­neh­men, – füh­len, – rie­chen, se­hen – Doch nein! Ich kann Ih­nen das nicht sa­gen –. Es war die Se­lig­keit. Ich lös­te mich in ei­ne pur­pur­dunkle Flam­me auf – ich ver­ging in Won­nen, die kei­ner ahnt –. Ich dreh­te mich in be­tö­ren­den Licht­wir­beln, – kör­per­los und doch mit den Sin­nen füh­lend –. Ich wur­de eins mit der Frau –, ein ein­zi­ges göt­ter­glei­ches We­sen –.

– – – Als mich mein Die­ner mit sanf­tem Rüt­teln weckte, war es ho­her Mit­tag. Ich stand tau­melnd auf –, be­täubt, mü­de und ver­nich­tet. An mei­nem Hal­se war ein dunkles Mal – das zer­drück­te Kis­sen trug einen leuch­ten­den Fle­cken. Es war Blut – Li­liths Ab­schieds­kuß –!

An dem Tag ging ich nicht un­ter Men­schen. Ich woll­te nie­man­den se­hen. Das Licht ver­ging wie­der, – der Abend kam. Ich lag wie­der im Bett und er­war­te­te die Ge­lieb­te, als sich mei­ne bren­nen­den Li­der senk­ten. Aber ich schlief die gan­ze Nacht, traum­los und fest. Sie kam nicht zu mir, – weil ich sie nicht ge­ru­fen hat­te.

Von nun an leb­te ich des Nachts und trug den Tag mit sei­nem Lärm und al­len sei­nen hell­be­leuch­te­ten Häß­lich­kei­ten wie einen Alp. Nachts war ich ein Kö­nig, – nichts auf Er­den glich mei­ner Herr­lich­keit und ich ach­te­te we­nig auf den elen­den Leib, der fie­bernd und blut­arm den Flug des Geis­tes büß­te. Ich be­trach­te­te mei­nen Kör­per als ei­ne wert­lo­se Ma­schi­ne, die eben­so lang in Gang blei­ben muß­te, als es mög­lich war. Kaum, daß ich das Nö­tigs­te an Nah­rung zu mir nahm.

Oh, die­se Näch­te, mein Freund! Al­le ka­men sie in ih­ren Mo­na­ten, von mir ge­ru­fen. Eva, die Mut­ter der Mensch­heit, in Ju­gend­schö­ne, die schlan­ken Glie­der mit sei­den­wei­chem Flaum be­deckt, ein Kin­der­lä­cheln um den un­schul­di­gen Mund. Astar­te, die dun­kel­brau­ne Göt­tin mit den glü­hen­den Au­gen, im Gold­ge­wand und schwe­rem, küh­lem Schmuck. Se­le­ne, blaß und süß in blau-sil­ber­ner Tu­ni­ca, Rox­a­ne mit dem Duft nach Am­bra und gel­ben Ro­sen. Mit der blon­den Poppäa wan­del­te ich durch schim­mern­de Säu­len­gän­ge. Ihr vio­let­ter Man­tel ra­schel­te lei­se, und ich küß­te ihr wei­ßes Ge­sicht. Dia­na, ge­schmei­dig und sonn­ver­brannt, er­war­te­te mich un­ter den Korkei­chen der Py­re­nä­en, und mit der sil­ber­be­helm­ten Se­mi­ra­mis stand ich in der be­täu­ben­den Blü­ten­pracht ih­rer Gär­ten. Un­di­ne um­schlang mich mit dün­nen Mäd­chen­ar­men und schüt­tel­te la­chend blit­zen­de Trop­fen aus den grü­nen Haa­ren. Zum dump­fen Dröh­nen der Hand­pau­ken, bei gel­len­dem Pfei­fen­klang und Har­fen­rau­schen tanz­te Sa­lo­me je­nen Tanz, der einst He­ro­des be­rück­te; ih­re dun­kel­grü­nen Schlei­er wa­ren mit dem Blut des Täufers be­sprengt. O – noch hö­re ich He­len­as lei­ses, be­rücken­des La­chen und se­he den brei­ten Erz­gür­tel, der klir­rend von den schma­len Hüf­ten fällt – – –.

Ach – über mei­ne ver­lo­re­ne Se­lig­keit! – End­lich tat ich das, was ver­bo­ten war. Es setz­te sich in mir fest und wur­de zur quä­len­den Idee. Na­he­ma! – Ich kämpf­te und litt. Und ich un­ter­lag. Am ers­ten Ta­ge des Ju­ni –.

Ich rief sie –. Sie war die Schöns­te von al­len und trug einen wei­ten Man­tel, grau und fein, wie die Flü­gel der Fle­der­maus. – Ne­ben ihr er­schi­en al­les we­sen­los, – Schmerz und Won­ne ver­lo­ren ih­re Gren­zen – – – je­der Nerv schi­en für sich zu le­ben, al­les Fühl­ba­re zu un­ge­heu­rer In­ten­si­tät an­zu­wach­sen. Ich wein­te vor Glück und war­te­te auf die Nacht, ich leb­te erst, wenn die Däm­me­rung kam, die die Far­be ih­res Man­tels trug. Und sie kam Nacht für Nacht. Die an­de­ren Stei­ne hat­ten für mich ih­re Kraft ver­lo­ren – – –.

Dann kam das Grau­en. Sie trug es in ih­rem Man­tel –. Ihr hol­der Leib be­gann sich zu ver­än­dern – je­de Nacht er­schi­en sie mir äl­ter. Fal­ten zeig­ten sich auf ih­rer Stirn – ih­re Au­gen um­ga­ben miß­far­bi­ge Schat­ten –. Ei­ne Nacht schi­en von der an­dern durch Jah­re ge­trennt zu sein –.

Zu­letzt – war sie ei­ne Le­mu­re mit schlaf­fer, per­ga­ment­ner Haut und zahn­lo­sem Mun­de –. Sie pei­nig­te mich mit ab­scheu­li­chen Lieb­ko­sun­gen – sie kam je­de Nacht – und sie sag­te mir, – daß ich ster­ben müs­se, da­mit sie sich ver­jün­ge –. Ich müs­se mich tö­ten. Sie sag­te es fort­wäh­rend. Sie flüs­terte es mir auch bei Tag in die Oh­ren. Auch der in Wi­en muß­te ge­hor­chen –. – Und Tor­men­to, – das heißt: – Die – Qual –«

Der Kran­ke stieß plötz­lich einen schril­len Schrei aus und öff­ne­te weit die Au­gen. Sein Un­ter­kie­fer fiel auf die Brust – –.

Dr. Klaar beug­te sich er­schro­cken zu ihm. – Je­ro­me Ker­dac war tot. – Aus der Schuß­wun­de si­cker­te ein we­nig schwar­zes Blut –. Der Arzt rief den Die­ner und ging mit un­si­che­ren Schrit­ten die Trep­pe hin­un­ter. Das Käst­chen trug er bei sich.

 

Nun saß er schon über vier Stun­den und schau­te durch die Mas­ke. Grün­bläu­lich leuch­te­te vor sei­nem schmer­zen­den Au­ge der dün­ne Aqua­ma­rin­schliff –. Es war to­ten­still im Zim­mer. Den Na­men hat­te er ge­spro­chen, auch die Bil­dung ei­nes Wölk­chens ge­se­hen – – –, aber im­mer wie­der hat­te ihn sein be­ob­ach­ten­der Ver­stand ge­weckt.

Lie­ber Gott, das war ja Blöd­sinn! Är­ger­lich riß er die Mas­ke ab und rieb das ge­reiz­te Au­ge.

Es war über­haupt ei­ner von je­nen Aben­den, an de­nen ei­ne wil­de Schwer­mut, ein blei­er­nes Ge­fühl ver­lo­re­ner Zeit das Herz des Ein­sa­men be­fällt. Ei­ner je­ner Ta­ge, da die tot­ge­glaub­ten Wün­sche und ver­dorr­ten Hoff­nun­gen Macht über uns ge­win­nen. Und in be­trü­ben­der Rei­hen­fol­ge tau­chen Ge­dan­ken und Vor­stel­lun­gen auf, die wir längst über­wun­den glaub­ten.

 – Dr. Klaar ging ver­dros­sen aus dem schlech­ten Re­stau­rant, in dem die jun­gen Ärz­te speis­ten, nach Hau­se. Sein Zim­mer mit der schwe­len­den Lam­pe, den rips­be­zo­ge­nen Mö­beln und dem häß­li­chen, längst er­kal­te­ten Ofen brach­te ihn fast zum Wei­nen. Dann faß­te er sich so weit, daß er sei­ne Ver­stim­mung auf die ner­ve­n­er­schüt­tern­den Vor­gän­ge des Nach­mit­tags zu­rück­füh­ren konn­te. Und da­durch wur­de er et­was ru­hi­ger.

 

Schon zum zwei­ten Ma­le war er auf­ge­fah­ren. Et­was Nas­ses oder Kal­tes hat­te sein Ge­sicht be­rührt, und es war ihm, als schwin­de ein zar­ter Schat­ten von sei­nem Bett, in das Dun­kel der Ecken sich auf­lö­send. – Er rieb sich die Au­gen und be­trach­te­te blin­zelnd die ru­hig bren­nen­de Flam­me des Nacht­lich­tes.

– Dann schlief er wie­der ein.

Nach we­ni­gen Mi­nu­ten er­schrak er so hef­tig, daß er noch im Halb­schlaf aus dem Bett sprang. Et­was husch­te vor ihm her – ei­ne fast durch­sich­ti­ge Mäd­chen­ge­stalt – und war auch schon ver­schwun­den. – Auf dem Läu­fer vor dem Bett wa­ren zwei nas­se, läng­li­che Fle­cken – – – auf dem Par­kett die feuch­ten Spu­ren klei­ner, schma­le Fü­ße. – – –

 – – – Dr. Klaar schrie auf, wie ein er­schreck­tes Tier – – –. Das Was­ser ver­duns­te­te schnell – – – der Bo­den sah aus wie vor­her. Und der Arzt stand noch im­mer an sei­nem Bett und lall­te vor sich hin – – –.

Und dann schrie er wie­der auf: »Un­di­ne –! – Das ist ja Wahn­sinn –! Ich wer­de wahn­sin­nig –!«

Be­bend riß er das Fens­ter auf. Ei­si­ge Herbst­luft weh­te ihm ent­ge­gen –. Er schau­er­te zu­sam­men –. Jäh griff er sich mit bei­den Hän­den an den Kopf –. Dann sprang er aus sei­ner kau­ern­den Stel­lung auf, riß wie ein Ra­sen­der das Käst­chen an sich und warf die Stei­ne her­aus; einen nach dem an­dern schleu­der­te er in die Fins­ter­nis – tief un­ten auf dem Pflas­ter zer­split­ter­ten die sprö­den Plätt­chen –. Per­ga­ment und Mas­ke hielt er über das fla­ckern­de Licht, – er fühl­te es nicht, als die Flam­me bis zu sei­nen Fin­gern lo­der­te.

Und frös­telnd saß er auf ei­nem har­ten Holz­stuhl in­mit­ten des Zim­mers, in To­des­angst den Mor­gen er­war­tend, der mit sei­nem klar­grau­en Licht lang­sam, lang­sam über die Dä­cher her­auf­kroch.