Der Geist
von
Frederic Boutet

 

 

In Nach­schla­ge­wer­ken und Li­te­ra­tur­ge­schich­ten sucht man sei­nen Na­men meist ver­geb­lich, ob­wohl vie­le sei­ner fan­tas­tisch-ok­kul­ten Er­zäh­lun­gen in Zeit­schrif­ten und Ma­ga­zi­nen häu­fig ab­ge­druckt wur­den. Per­sön­li­che Da­ten, die Auf­schluß über sei­ne Bio­gra­phie ge­ben könn­ten, feh­len weit­ge­hend. Ei­ne Aus­wahl aus sei­nen un­heim­li­chen Ge­schich­ten in deut­scher Über­set­zung (›Die Da­me in Grün‹, 1971) ist in­zwi­schen wie­der ver­grif­fen. Den­noch wird man sich sei­nes Na­mens als Au­tor be­klem­men­der ma­ka­b­rer Fan­tasi­en auch heu­te noch gern er­in­nern.

 

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Es war zehn Uhr abends, als Ana­to­le vor dem ver­ru­fe­nen Hau­se an­kam, in dem es spu­ken soll­te. Er war ein tap­fe­rer jun­ger Mann und ganz dar­auf vor­be­rei­tet, den größ­ten Ge­fah­ren zu be­geg­nen und das au­ßer­or­dent­lichs­te Aben­teu­er zu be­ste­hen.

Dank der ihm ge­mach­ten Be­schrei­bun­gen er­kann­te er das Haus oh­ne Mü­he; es lag in ei­ner klei­nen ver­öde­ten Stra­ße und war von ei­nem Gar­ten um­ge­ben, des­sen ho­he Mau­ern es von den Nach­bar­häu­sern iso­lier­ten. Vor der Tü­re war ei­ne Ta­fel an­ge­bracht, auf der mit großen Buch­sta­ben die Wor­te: ›Zu ver­mie­ten‹ ge­schrie­ben stan­den. Es schi­en je­doch, als ob kei­ner ge­neigt wä­re, von die­ser Mit­tei­lung Ge­brauch zu ma­chen.

»Hier ist es«, sag­te Ana­to­le, der ein we­nig auf­ge­regt zu sein schi­en und al­les mit schar­fem Blick prüf­te. »Hier ist es! Ich wer­de mir nichts vor­schwin­deln las­sen.«

Er hat­te einen Schlüs­sel zu der über der Frei­trep­pe be­find­li­chen Tü­re. Er öff­ne­te und be­trat den großen Haus­flur, auf dem er sich beim Lich­te ei­nes Wachss­treichhölz­chens be­hut­sam zu ei­ner Stein­trep­pe vor­wärts tas­te­te.

»Es soll in dem großen, rechts ge­le­ge­nen Räu­me der ers­ten Eta­ge sein«, mur­mel­te er, wäh­rend er be­hut­sam die Trep­pen hin­auf­schritt. »Dort ist, wie es scheint, der Ort ih­res Stell­dich­eins. Ge­hen wir al­so dort­hin. Sie ir­ren ge­wal­tig, wenn sie den­ken, uns mit ih­ren Ta­schen­spie­ler- und Gauk­ler­stücken Angst ma­chen zu kön­nen.«

Er hat­te die ers­te Eta­ge er­reicht und be­müh­te sich, beim letz­ten ver­glim­men­den Schei­ne sei­nes Wachs­licht­chens die kup­fer­ne Klin­ke ei­ner rechts be­find­li­chen Tü­re nie­der­zu­drücken.

»Her­ein«, rief ihm da plötz­lich aus dem In­nern des Zim­mers ei­ne freund­li­che Stim­me ent­ge­gen.

»Halt, da ist je­mand«, mur­mel­te Ana­to­le ganz er­staunt und öff­ne­te die Tür. Das große, höchst be­hag­lich ein­ge­rich­te­te Zim­mer wur­de durch den hel­len Schein ei­nes in ei­nem großen Ka­min bren­nen­den Feu­ers, so­wie durch das Licht zwei­er auf dem Tisch ste­hen­der Arm­leuch­ter freund­lich er­hellt. Auf dem mit­ten im Zim­mer ste­hen­den Ti­sche wa­ren Li­kör­fla­schen und Glä­ser auf­ge­stellt, wäh­rend ein al­ter, sehr gut ge­klei­de­ter Herr mit kah­lem Kopfe be­quem in ei­nem grü­nen Ses­sel ruh­te und sich die Fü­ße am Feu­er wärm­te. Er hielt ein aus­ein­an­der ge­fal­te­tes Zei­tungs­blatt in den Hän­den und blick­te über sei­ne Bril­le weg­se­hend, Ana­to­le freund­lich ent­ge­gen. Ne­ben ihm auf ei­nem Stuh­le stand ein ho­her Hut, in dem ein Sei­den­tuch und Hand­schu­he steck­ten; da­ne­ben lag ein Stock mit sil­ber­nem Knop­fe. Sein Über­zie­her hing über der Leh­ne des Stuh­les. Der al­te Herr rauch­te ei­ne Zi­gar­re und blickte den et­was ver­le­gen ein­tre­ten­den jun­gen Mann lä­chelnd an.

»So kom­men Sie doch nä­her, mein lie­ber Herr Do­nore«, sag­te er zu Ana­to­le.

Halt, er kennt mich, wer mag das wohl sein? dach­te die­ser, ein we­nig ver­wirrt nä­her­tre­tend.

»Set­zen Sie sich doch, bit­te«, sag­te der al­te Herr.

»Dan­ke«, und Ana­to­le nahm auf dem an­de­ren vor dem Ti­sche ste­hen­den Ses­sel Platz, der sei­ner zu har­ren schi­en.

»Ent­schul­di­gen Sie, wenn ich Sie stö­re«, fuhr er fort, »ich wuß­te nicht … In der Tat, man er­zählt sich, und Sie ha­ben doch auch ganz ge­wiß da­von ge­hört, daß es in die­sem Hau­se spukt, und da es mei­nem Freun­de Pont ge­hört – Sie ken­nen Herrn Pont?«

»Sehr gut«, sag­te der al­te Herr, »sehr gut, aber neh­men Sie doch ein Gläs­chen Co­gnac?«

»Dann«, sag­te Ana­to­le, »wun­dert es mich nur, daß ich Sie nie­mals dort ge­trof­fen ha­be. Nein, dan­ke, ich neh­me kei­nen Zu­cker in den Co­gnac. – Und wie kom­men Sie hier­hin?«

»Ei­ne Zi­gar­re?« bot der al­te Herr freund­lich an und schob Ana­to­le das Kist­chen zu.

»Sehr gern. Nicht wahr, ich sag­te Ih­nen schon, daß ich hier­her ge­kom­men bin, weil man mir er­zählt hat, es spuke in die­sem Hau­se? … Pont hat es mir üb­ri­gens nicht mit­ge­teilt, daß wir die Nacht zu zwei­en ver­brin­gen wür­den … Ich bin üb­ri­gens sehr er­freut dar­über«, füg­te er hin­zu, sein Glas lee­rend und so­gleich wie­der fül­lend, denn der Co­gnac war vor­züg­lich und Ana­to­le war geis­ti­gen Ge­trän­ken durch­aus nicht ab­hold. »Ha­ben Sie mich viel­leicht hier er­war­tet?«

»Ja«, sag­te der an­de­re.

»Nun, ich fin­de, daß Pont mich da­von hät­te be­nach­richti­gen kön­nen«, mein­te Ana­to­le, ei­ne Zi­gar­re an­ste­ckend, »wirk­lich, das fin­de ich.«

»Aber er hat es doch ge­tan«, sag­te der al­te Herr ru­hig.

»So? Nun, je­den­falls ha­be ich kei­ne Bot­schaft von ihm er­hal­ten – – und, das ist ei­gent­lich et­was pein­lich für mich, denn ich kom­me mir hier bei­na­he wie ein Ein­dring­ling vor …«

»Aber kei­nes­wegs, ganz ge­wiß nicht.«

Und der al­te Herr lä­chel­te noch lie­bens­wür­di­ger wie vor­her.

»Doch, ganz ge­wiß«, er­klär­te Ana­to­le wür­de­voll, »es ist pein­lich – wenn man ein­an­der nicht kennt –« Er mach­te ei­ne Pau­se in der Hoff­nung, daß der an­de­re sich nun vor­stel­len wür­de. Dies ge­sch­ah je­doch nicht und Ana­to­le leer­te, um sei­ne Ver­le­gen­heit zu ver­ste­cken, sein Glas und füll­te es wie­der.

»Aus­ge­zeich­net«, sag­te er, »ganz aus­ge­zeich­net – aber da wir uns bei­de zum Zwe­cke ei­ner wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­su­chung hier zu­sam­men­ge­fun­den ha­ben, er­lau­be ich mir, Sie zu fra­gen, was Sie denn über die Ge­spens­ter­ge­schich­ten den­ken, die man über die­ses Haus er­zählt? Man hat mir be­son­ders von dem spuk­haf­ten Er­schei­nen ei­nes al­ten Dumm­kop­fes, ei­nes frü­he­ren Mie­ters zu be­rich­ten ge­wußt. Ganz ge­wiß ist, daß dies Haus sehr im Ver­ru­fe steht und sich da­her nicht ver­mie­ten läßt. Eben­so steht fest, daß al­le, die es ver­sucht ha­ben, ei­ne Nacht dar­in zu ver­brin­gen, wie das jetzt un­ser Vor­ha­ben ist, es nicht zum zwei­ten Ma­le ge­wagt ha­ben. Aber was ist der Grund all die­ses Ge­re­des? Wes­halb spukt es in die­sem Hau­se und was für ein Geist geht dar­in um?«

»Ich«, sag­te ru­hig der al­te Herr, Ana­to­le über sei­ne Bril­lenglä­ser weg an­se­hend.

»Sie«, rief Ana­to­le be­stürzt, »Sie scher­zen wohl?«

»Nein«, sag­te der al­te Herr, »das ist kein Scherz. Es ist Wahr­heit. Ich bin es, den Sie eben erst den Geist ei­nes al­ten Dumm­kop­fes und frü­he­ren Mie­ters ge­nannt ha­ben.«

»Teu­fel … Teu­fel auch«, mur­mel­te Ana­to­le, in sein Glas se­hend.

»Nein«, sag­te der al­te Herr.

»Wie­so, nein?« frag­te Ana­to­le.

»Nein, ich bin nicht der Teu­fel; ich bin ein Ge­spenst, wenn Sie so wol­len, ein Phan­tom, ein Schat­ten, ein Geist – al­les, wie es Ih­nen ge­fällt – aber ich bin nicht der Teu­fel.«

»Das … das ge­fällt mir nicht«, ge­stand Ana­to­le be­un­ru­higt. »Au­ßer­dem ver­ste­he ich nicht – – –«

Er nahm aber­mals sei­ne Zu­flucht zu ei­nem Gläs­chen Co­gnac.

»Sie wer­den bald ge­nug ver­ste­hen«, sag­te das Ge­spenst her­ab­las­send. »Ich ha­be vor et­wa fünf­zehn Jah­ren, als ich noch sehr le­ben­dig war, dies klei­ne Haus ge­mie­tet und elf Jah­re dar­in ge­wohnt. Vor vier Jah­ren bin ich ge­stor­ben. Da bin ich na­tür­lich in ei­ne an­de­re Welt ein­ge­tre­ten, in der ich je­doch aus per­sön­li­chen Grün­den nicht dau­ernd blei­ben konn­te. Ich bin des­halb hier­hin zu­rück­ge­kehrt; um aber hier in Ru­he blei­ben zu kön­nen, bin ich ge­zwun­gen ge­we­sen, den Leu­ten, die es sich ein­fal­len lie­ßen, hier woh­nen zu wol­len, Angst ein­zu­ja­gen.«

»Ich … ver­ste­he«, sag­te Ana­to­le.

»Das wun­dert mich nicht«, sag­te der Geist, »da Sie wirk­lich sehr in­tel­li­gent sind und das ist auch der Grund, wes­halb ich ge­glaubt ha­be, Sie freund­schaft­lich und oh­ne Um­stän­de emp­fan­gen zu kön­nen und daß ich es mir Ih­nen ge­gen­über spa­ren könn­te, mit Ket­ten zu klir­ren und Feu­er­zau­ber wir­ken zu las­sen, mit dem man al­te Wei­ber in Schre­cken ver­setzt. Sie trin­ken aber gar nicht.«

»Doch, doch«, sag­te Ana­to­le, sein Glas mit ei­ner Mi­schung von Kirsch und Char­treu­se fül­lend. »Aber ver­zei­hen Sie die Fra­ge: Sie sag­ten, Sie hät­ten in der an­de­ren Welt nicht blei­ben kön­nen – aber wes­halb konn­ten Sie dies nicht?«

»Ich glau­be schon be­merkt zu ha­ben, daß dies ei­ne per­sön­li­che An­ge­le­gen­heit ge­we­sen«, be­merk­te der Geist zu­rück­hal­tend. »Den­noch will ich Ih­nen als Eh­ren­mann un­ter dem Sie­gel der Ver­schwie­gen­heit mit­tei­len, was es da­mit für ei­ne Be­wandt­nis hat. Ich starb al­so, nicht wahr, und man gab mir da na­tür­lich ei­ne Ein­tritts­kar­te für das Pa­ra­dies, denn ich bin mein gan­zes Le­ben lang ein ge­rech­ter und tu­gend­haf­ter Mann von rei­nen Sit­ten ge­we­sen, der sich treu­lich der Wit­wen und Wai­sen an­ge­nom­men hat. So kam ich al­so in das Pa­ra­dies … Und …«

»Und?« frag­te Ana­to­le, sein Ge­gen­über mit Au­gen an­star­rend, die in­fol­ge des reich­lich ge­nos­se­nen Al­ko­hols sich mit Trä­nen zu fül­len be­gan­nen.

»Und«, sag­te der lie­bens­wür­di­ge Geist lä­chelnd, »ich fand sehr bald, daß ich es im Pa­ra­dies ein­fach nicht aus­hal­ten konn­te. Es wur­de da im­mer­fort mu­si­ziert, ver­ste­hen Sie wohl, es gab Mu­sik vom Mor­gen bis Abend und vom Abend bis Mor­gen, Mu­sik bei Tag und bei Nacht und al­le­zeit, oh­ne Gna­de und Barm­her­zig­keit. Da­bei im­mer nur klas­si­sche Mu­sik! Wenn man we­nigs­tens mal ei­ne Oper ge­hört hät­te, ach, die schlech­tes­te Oper mit den min­der­wer­tigs­ten Sän­gern, die mei­net­we­gen auch noch falsch ge­sun­gen hät­ten! Es wä­re doch mal ei­ne Ab­wechs­lung ge­we­sen. Da­zu dann erst dies Pu­bli­kum! Es gab nur streng tu­gend­haf­te Leu­te da, de­ren Ehr­bar­keit so in­takt war, daß man da­vor hät­te flie­hen mö­gen – gleich­viel wo­hin. Ich ha­be mich da mei­nes ei­ge­nen tu­gend­haf­ten Le­bens­wan­dels schä­men ge­lernt. Ich ha­be es er­tra­gen, so gut ich konn­te, vier Mo­na­te und acht Ta­ge lang, da ging es nicht mehr und ich ha­be Fer­sen­geld ge­ge­ben. Als St. Pe­trus mir die Him­mels­pfor­te auf­ge­schlos­sen, da ha­be ich ihm wohl an­ge­se­hen, wie gern er mei­nem Bei­spie­le ge­folgt wä­re, und als ich her­aus­ging, sag­te er in trau­ri­gem, neid­er­füll­ten To­ne:

›Sie ha­ben ge­nug da­von, was? … Sie ma­chen sich da­von. Ich woll­te nur, daß ich das auch tun könn­te. Die­se ver­damm­te hei­li­ge Mu­sik! Vol­le acht­zehn­hun­dert Jah­re ha­be ich das Ge­du­del nun schon an­hö­ren müs­sen.‹

Na, und ich bin dann zur Höl­le her­ab­ge­stie­gen.«

Ana­to­le, der sich ge­ra­de einen in Eis ge­kühl­ten Küm­mel zu Ge­mü­te ge­führt hat­te, spitz­te die Oh­ren. »Nun und ist es in der Höl­le amüsant?«

»Das will ich mei­nen«, sag­te das Ge­spenst bit­ter, so­gar sehr amüsant. Aber – na­tür­lich – es ist da auch nicht ein Platz mehr frei. Al­les über­füllt. Ich hat­te ei­ne sehr gu­te Emp­feh­lung und ha­be mich be­müht, ei­ne Stel­le als Un­ter­teu­fel zu be­kom­men, aber der Chef des Per­so­nals hat mir ganz of­fen ge­sagt, daß ich nicht dar­auf rech­nen kön­ne. Es ha­ben sich 11 780 212 Kan­di­da­ten vor mir da­zu ge­mel­det, oh­ne von de­nen zu spre­chen, die die ers­ten be­rech­tigts­ten An­sprü­che auf An­stel­lung ha­ben. Es war­ten noch drei Päps­te und sieb­zehn Kö­ni­ge, wo­von zwei Ne­ger sind, dar­auf. Da­mit ist al­les ge­sagt.«

»Da hast du recht«, sag­te bei­fäl­lig Ana­to­le, der im­mer eif­ri­ger dem Küm­mel zu­sprach und an­fing zärt­lich zu wer­den.

»Ja«, fuhr der ar­me Geist fort, »da ich al­so durch die Mu­sik aus dem Pa­ra­die­se ver­trie­ben wor­den und in der Höl­le kei­nen Platz fin­den konn­te –«

»Aber das Fe­ge­feu­er?« warf Ana­to­le ein.

»Das ist seit lan­ger Zeit ge­schlos­sen«, sag­te der an­dere. »Es ha­ben sich da ganz un­mög­li­che Din­ge zu­ge­tra­gen. – Se­hen Sie, mir blieb wirk­lich nichts an­de­res üb­rig, als auf die Er­de zu­rück­zu­keh­ren und da bin ich eben in mei­ne al­te Be­hau­sung ein­ge­kehrt, die ich nun schon ge­gen so vie­le Idio­ten, die durch­aus dar­in woh­nen woll­ten, tap­fer ver­tei­digt ha­be.

Ich bin ge­zwun­gen ge­we­sen, die al­ler­al­b­erns­ten Far­cen auf­zu­füh­ren, nur um mir ein we­nig Ru­he zu ver­schaf­fen. Ich bin ei­ner al­ten Da­me, die hier ein­ge­zo­gen ist, als Ske­lett mit ei­nem von schwar­zen Schlei­ern um­wall­ten To­ten­schä­del er­schie­nen und ha­be sie so in Furcht ge­jagt, daß sie selbst ge­stor­ben ist. Einen prak­ti­schen Arzt, der sich als Frei­geist auf­spiel­te, ha­be ich durch Ket­ten­ge­ras­sel und durch feu­ri­ge Schrift­zei­chen, die ich auf der Wand er­schei­nen ließ, zu ver­ja­gen ge­wußt. Man hat ihn schwer er­krankt von hier fort­ge­bracht. Es ist wahr, daß das, was ich auf die Wand ge­schrie­ben, da­zu an­ge­tan war, ihn mit Schre­cken zu er­fül­len. Dann ist ein phleg­ma­ti­scher Eng­län­der hier ein­ge­zo­gen, der der Sa­che auf den Grund ge­hen woll­te und mich über­all hin, so­gar bis auf den Spei­cher ver­folg­te. Ich ha­be hart­nä­ckig sei­ne Ker­ze aus­ge­bla­sen und al­le Tü­ren vor ihm laut­los weit auf­ge­ris­sen. Da ver­ließ ihn sein Phleg­ma bald und er mach­te sich aus dem Stau­be. Dar­auf zog ein al­ter Oberst mit sei­ner mu­si­ka­li­schen Toch­ter hier ein. Ich flüs­ter­te dem jun­gen Mäd­chen, so­bald es sich an das Kla­vier setzte, die tolls­ten Din­ge in das Ohr und riß den Va­ter, wenn er sich zu Bett leg­te, an den Fü­ßen her­aus. Sie ha­ben sich eben­falls sehr bald fort­ge­macht. – Sie wer­den ein­wer­fen, daß das ba­na­le ab­ge­dro­sche­ne Far­cen sei­en, aber sie stren­gen wei­ter nicht an und zie­hen im­mer noch. Auf die­se Wei­se ist es mir denn ge­lun­gen, mir wirk­lich nach und nach ein we­nig Ru­he zu ver­schaf­fen und wenn ich Ih­nen dies al­les heu­te abend er­zäh­le, so ge­schieht es, weil ich Sie für sehr in­tel­li­gent hal­te – ob­gleich Sie ja jetzt ein we­nig an­ge­trun­ken sind.«

»Ich ha­be nichts ge­trun­ken«, sag­te Ana­to­le be­lei­digt.

»In­tel­li­gent, ob­wohl au­gen­blick­lich et­was be­trun­ken«, fuhr das Ge­spenst fort, »mein Zweck da­bei ist, Sie zu ver­an­las­sen, Herrn Pont da­von zu über­zeu­gen, daß sein Haus wirk­lich un­be­wohn­bar ist, we­gen der Geis­ter, die dar­in um­ge­hen.«

»Es ist nicht wahr«, sag­te Ana­to­le ver­trau­lich wer­dend, »du bist kein Geist.«

»Wie­so?« frag­te das Ge­spenst.

»Nein«, er­klär­te Ana­to­le, der so be­trun­ken war, daß er kaum noch re­den konn­te, »nein … Ge­spens­ter … die sind nicht wie du … Die ma­chen Angst … du aber … du machst mir kei­ne Angst.«

»Ich ma­che dir kei­ne Angst«, sag­te das Ge­spenst är­ger­lich, »du dum­mer Ben­gel –«

»Nein«, stot­ter­te Ana­to­le, »nicht die ge­rings­te Angst … Aber … du darfst mir kei­ne Grob­hei­ten sa­gen … nein … das … das tut mir weh. Du bist ein we­nig be­trun­ken, sonst aber wirk­lich ganz nett.«

»Welch ein Dumm­kopf«, mur­mel­te das Ge­spenst. »Es ist ein eben­sol­cher Idi­ot, wie die an­de­ren auch. Es bleibt mir nichts an­de­res üb­rig, als ihm die ge­wohn­ten Hans­wurs­te­rei­en vorzu­ma­chen.«

Und plötz­lich ver­lösch­ten die Ker­zen der Arm­leuch­ter und das Feu­er im Ka­min. Je­des, auch das kleins­te Ge­räusch ver­stumm­te und To­ten­stil­le herrsch­te rings­um­her. Vor Ana­to­le aber er­hob sich dro­hend die Ge­stalt des alten Herrn, der rie­sen­haf­te Ver­hält­nis­se an­ge­nom­men hat­te und mit dem Kopf bis zu der De­cke des Zim­mers rag­te; die­ser Kopf aber hat­te kein mensch­li­ches Aus­se­hen mehr, es war das ei­nes Un­ge­tüms mit weit vor­ste­hen­den furcht­ba­ren Zäh­nen und mit feu­ri­gen Au­gen, die wie Irr­lich­ter durch den un­heim­li­chen, das Ge­mach er­fül­len­den Ne­bel leuch­te­ten.

Ana­to­le, der plötz­lich nüch­tern ge­wor­den, stand einen Au­gen­blick stumm, mit ge­sträub­tem Haar und von Ent­set­zen über­wäl­tigt da.

Der Geist aber streck­te sei­ne lei­chen­far­be­nen, mit lan­gen Fühl­fä­den ver­se­he­nen Hän­de dro­hend nach ihm aus.

Ana­to­le, der sich von ei­nem na­men­lo­sen Grau­en er­füllt fühl­te, schrie laut auf vor Furcht und ver­such­te so schnell wie mög­lich den Aus­gang zu ge­win­nen.

Er prall­te ge­gen den Ka­min, ver­letz­te dann sei­ne Schul­ter an der Ecke des Bü­fetts und sprang, da er die Tü­re nicht fin­den konn­te, end­lich durch das Fens­ter. Auf die­se Wei­se ge­lang es ihm ja ziem­lich schnell, die Stra­ße zu er­rei­chen, wo er je­doch ohn­mäch­tig lie­gen blieb. Er kam mit ei­nem Schen­kel­bruch und ver­schie­de­nen erns­ten Kon­tu­sio­nen da­von.

»Wenn ich be­den­ke«, mur­mel­te der Geist des al­ten Herrn, der wie­der sei­ne ur­sprüng­li­che Ge­stalt an­ge­nom­men hat­te, »wenn ich be­den­ke, daß man doch im­mer wie­der zu die­sen ab­ge­dro­sche­nen al­ten Far­cen zu­rück­grei­fen muß! Da­bei wird be­haup­tet, die Men­schen sei­en skep­tisch ge­wor­den!«