Kapitel VII
Frankfurt am Main, 2.12.2049, 18.56 CoTi
Friedemann und Coco standen gegenüber dem Working Class Diner, das am Rand des Recyclinghofs lag, im strömenden Regen und starrten durch die Scheibe ins Innere. Aus einer Baracke hatten sie sich zwei gelbe Schutzhelme sowie orangefarbene Jacken mit der Aufschrift DelEv gestohlen, womit sie nun zu einem Logistik-Unternehmen gehörten. Bislang waren sie mit ihrer rudimentären Tarnung durchgekommen.
»Sehen Sie das Gleiche wie ich, Professor?« Coco hielt ihr Pendel in der Hand, das seinen Dienst tadellos verrichtete. Das schwere Ende zeigte auf den Innenraum. Sie hatten ihr Ziel gefunden, das offenbar nicht gefunden werden wollte.
»Wundert Sie das?«, gab er schnarrend zurück und schob die tropfnasse Brille auf dem Nasenrücken zurecht. Wenigstens hatte er sein Büchlein wiederbekommen, nachdem er versprochen hatte, die Suche nach dem verloren gegangenen Mann fortzusetzen.
»Nein.« Coco hätte gerne etwas anderes gesagt.
Unter den Jacken waren sie klitschnass. Der Sturzregen hatte sie überrascht und vollständig durchweicht, nachdem sie stundenlang suchend über den Schrottplatz geschlichen waren. Dabei mussten sie mehrmals den aufgetauchten Polizeikräften ausweichen, die den Tod der Percutoren untersuchten.
Die Nachrichten, die hausgroß über die Fassaden liefen, sprachen von einem feigen Hinterhalt gegen eine Percutor-Einheit. Sie habe kurz davorgestanden, ein Versteck der FreedomLovers auszuheben. Coco und der Professor kannten die Wahrheit – oder zumindest Teile davon, verstanden jedoch nicht alles. Mit den Gegebenheiten im Jahr 2049 waren sie zu wenig vertraut.
Durch die großen vergitterten Scheiben des Diners beobachteten der Professor und das Medium Spanger, der eine Flasche Bier vor sich stehen hatte und eine Batterie Schnapsgläser. Leerer Schnapsgläser.
Zwar war das Working Class Diner gut besucht, aber die Gäste hielten sich von ihm fern, er saß alleine an einem Tisch. Deutlich sichtbar lag das erbeutete Dig-Y vor ihm auf dem Tisch. Gelegentlich beugte er sich wankend darüber und sprach ins Gerät.
»So ein Idiot«, knurrte Friedemann. Er hatte nicht übel Lust, dem dicken Mann eine Abreibung zu verpassen. Auf die altmodische Weise. »Es ist ein Wunder, dass sie ihn noch nicht geschnappt haben.«
Coco hielt es weniger für ein Wunder. »Das sind keine Selbstgespräche, die er da führt. Er verhandelt.«
»Um in dieser Welt zu bleiben? Von mir aus. Ich werde Herrn van Dam leider sagen müssen, dass er eine echte Niete engagiert hat.« Friedemann sah zu ihr. »Sie sind meine Zeugin, Werteste. Ich betrete diese Kaschemme und unternehme genau einen Versuch, diesen Mann zur Vernunft zu bringen. Wie ich es Ihnen versprochen habe. Danach verschwinden wir durch unsere Tür.« Erneut schob er die Brille zurück. »Ich gehe gewiss nicht in dieser Zeit verloren.«
»Ist gut.« Coco verfolgte die Nachrichten auf der Fassade, ohne die eingeblendeten verschiedenen Abstimmungsergebnisse im Detail zu verstehen. Was sie inzwischen begriffen hatte, war, dass in dieser Zeit sehr viel über Volksentscheide entschieden wurde, von kleinen bis großen Angelegenheiten. Jeder Wahlberechtigte ab sechzehn Jahren durfte seine Stimme zu allem Möglichen abgeben. Elektronisch. Eine direktere Mitbestimmung gab es nicht. Das machte ein illegales Dig-Y mit 4,2 Millionen Stimmen sehr wertvoll. Tödlich wertvoll.
Am Himmel zogen Schwärme von Rotorflugmaschinen ihre Bahnen. Kleine Drohnen stellten Lieferungen zu, in den größeren flogen Menschen, die sich nicht durch den täglichen Bodenverkehr in Frankfurt City quälen wollten. Die Antriebe liefen elektrisch, die Luft war erstaunlich gut für eine Metropole, auch für den Industriebereich, in dem sich Coco und Friedemann befanden.
Automatisch gesteuerte Schwertransporter rumpelten mit Containern über die Straße, an der die zwei standen. Kameraaugen, Radar und weitere Sensoren hielten die rollende Tonnenfracht in der Spur, besser, als jeder Mensch es hätte tun können.
»Wollen Sie lieber draußen warten oder mit mir kommen?« Der hagere Professor wirkte in seiner Montur und dem Klettergeschirr unter dem signalfarbenen Mantel wie ein überalterter Wartungsarbeiter. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wo es gefährlicher ist: draußen oder drinnen.«
»Ich komme mit.« Coco hakte sich bei ihm ein. »Sie werden meine Kräfte brauchen.«
»Denken Sie?«
»Ich weiß es.«
Gemeinsam überquerten sie die Straße, als sich eine Lücke im Verkehr auftat, und betraten das Working Class Diner.
Fast sämtliche Plätze waren besetzt. Die 18-Uhr-Schicht nutzte die Gelegenheit für einen Plausch bei Kaffee und Bier, Burger und Fritten, wobei sie alle einen deutlichen Abstand zu Spanger hielten. Niemand scherte sich um sein Outfit und die P99, die er im Halfter trug.
Friedemann und Coco gingen durch das Diner und setzten sich Spanger gegenüber, der sie mit verklärtem Blick betrachtete und eine Weile benötigte, um sie zu erkennen. Dann grinste er, und der Bart unter seiner Nase zuckte in die Höhe. Sein Zustand war nicht gespielt wie vor wenigen Stunden auf dem Schrottplatz.
»Sie sind komplett besoffen«, zischte Friedemann ihn an und nahm die nasse Brille ab, um sie mit einer Serviette vom Nachbartisch zu reinigen. »Was haben Sie sich dabei gedacht?«
»Nicht besoffen. Nicht nur.« Spanger zog behäbig die Eesha aus der Tasche und wackelte damit. »Das Zeug ist sooo geil!«
»Sie lassen dieses Diggi –«
»Dig-Y. Digital You«, verbesserte Spanger mit schwerer Zunge und imitierte den Anpreiser in einer Verkaufssendung. »Ausweis, Geldbeutel, soziale Medien und Sonstiges in einem Gerät. Entsperrt durch Retinascan und DNS-Erkennung.« Er tippte darauf. »Außer dem hier. Das ist gehackt. Und abstimmen tut man damit tun.«
»Ihr Deutsch lässt nach.« Coco sah auf das Display, auf dem das Gesicht der Indio-Frau zu sehen war. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie und drehte das Gerät zu sich um. »Unser Freund ist sehr außer sich.«
»Ich weiß. Er erzählt fantasievolle Geschichten«, erwiderte die Unbekannte. »Keine Sorge, wir haben neue Kuriere geschickt, die das Dig-Y abholen. Unsere Hacker haben Ihnen das Leben gerettet, als wir die Containerdrohnen manipulierten. Sie schulden uns was.«
»Sie selbst wollten Spanger umbringen lassen. Ich hörte Ihre Anweisung an den Kurier. Wir schulden Ihnen gar nichts. Sie gehören zu den Freiheitsliebhabern«, sagte Friedemann ihr auf den Kopf zu. »Sie brauchen diese 4,2 Millionen Stimmen, um die kommenden Abstimmungen zu manipulieren.«
»Wir manipulieren nicht!«, fauchte sie. »Wir wehren uns! Gegen den Betrug der Konzerne und der Regierungen, die uns verarschen.«
»Reden Sie um Himmels willen leise«, mahnte Coco den Professor und die Indio-Frau an. »Sonst stehen am Ende Polizisten neben uns.«
»Sie können das Dig-Y nicht mehr orten. Unsere Leute haben die Registrierungsabstrahlung eingedämmt. Es nutzt das WLAN des Diners, um seine Signale zu senden«, beruhigte die Unbekannte.
»Haben wir einen Deal oder nicht?«, brabbelte Spanger und griff ein leeres Glas, um es an die Lippen zu setzen und zu trinken. »Sonst stehe ich auf und trample dieses Diggy-Dingsi zu Schrott, Schätzchen.« Hart stellt er das Gefäß ab und fingerte auf der elektronischen Bestellkarte herum, um Nachschub zu ordern. »Scheiße, bin ich hacke.«
»Wir gehen. Und der Apparat bleibt hier«, fuhr ihn Friedemann an. »Sie wissen, dass wir andere Dinge tun sollen, Spanger.«
»Diese Rothaarige retten«, warf die Freiheitsliebhaberin ein. »Schöne Geschichte. Ich habe nur nicht verstanden, wo das Labyrinth mit den Türen sein soll. Es klingt, als könnte man einen netten Film daraus machen. Oder eine Serie.«
Coco lachte verkrampft. »Ja, Carsten ist … unterhaltsam.«
»Ich will mein Gold.« Wie ein bockiges Kind kreuzte der kräftige Mann die Arme vor der Brust und verhedderte sich dabei. »Wie abgemacht. Ein Kilogramm. Und noch mal eins, weil Sie mich umlegen wollten.«
»Das bringt der Kurier mit. Bleiben Sie noch …« – die Indio-Frau sah nach rechts –, »noch zehn Minuten. Dann sind wir alle glücklich.«
Coco bezweifelte das beim Anblick von Friedemanns Gesicht.
»Nicht eine Sekunde bleibe ich und warte auf diese Leute.« Der Professor packte Spanger unter der Achsel. »Hoch mit Ihnen. Die Eesha muss Ihnen Lohn genug sein.«
»Nein, bitte!«, flehte die Indio-Frau. »Wir brauchen die Stimmen!«
»Weswegen?«, fragte Coco.
»Schöne Hellseherin sind Sie mir. Weiß wieder nix«, gluckste Spanger. »Sie sind eine Hochstaplerin, was?« Er hob den Finger, der Unterarm schwankte. »Sie hatten doch was mit dem Doktor. Hat der Ihnen Ihr Zeugnis für Knickknack-Sie-wissen-schon ausgestellt?« Er kicherte und machte anzügliche Bewegungen.
Cocos Kopf wurde heiß. Die Attacke saß.
»Ich entschuldige mich aufrichtig für die Absicht, Ihren Freund töten zu wollen. Da wussten wir nicht, mit wem wir es zu tun haben.« Die Indio-Frau faltete bittend die Hände. »Warten Sie! PrimeCon will bei der anstehenden Bundesabstimmung seine eigenen Rechte stärken. Es geht um weitreichende Befugnisse.« Ihr Blick wurde eindringlich. »Damit erhalten sie eine Monopolstellung innerhalb der Online-Instant-Lieferanten und natürlich Wissen, das für jedweden anderen Zweck bei PrimeCon nutzbar ist. Das verstehen die Menschen aber nicht.«
»Wenn sie es nicht verstehen, sind sie selbst schuld«, gab Friedemann sein Statement dazu ab. »Der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit ging vor langer Zeit verloren.«
»Was wollten die Percutoren mit dem Dig-Y?«, setzte Coco nach, um von Spangers Anschuldigung abzulenken. Sie fühlte, dass ihr Gesicht noch rot war.
»Wir dachten zuerst, PrimeCon hätte sie angeheuert«, berichtete die Indio freimütig, um Zeit zu schinden. »Die Direktorin arbeitet vermutlich für Hardliner innerhalb der Regierung, die an den Hinrichtungen mehrerer sogenannter Terroristen interessiert sein dürften. Oder von korrupten Politikern. Einige standen in letzter Zeit auf der Liste der Staatsanwaltschaft. Aus welchen Gründen auch immer.«
»Todesstrafe.« Die Erkenntnis machte Coco fertig. Sie sah zu Friedemann. »Seit wann hat Deutschland die Todesstrafe wieder?«, raunte sie.
»Es ist ein wenig makaber, dass die Deutschen darüber abstimmen dürfen, ob jemand dazu verurteilt wird oder nicht«, gab er leise zurück. »Das Grundgesetz scheint nicht mehr zu gelten.« Es wurde dringend Zeit, diese Zukunft zu verlassen.
Vor dem Working Class Diner senkte sich ein dunkelgrün-weiß lackierter Polizeiwagen herab, der von vier seitlichen Rotoren zum Schweben gebracht wurde. Die Antriebe klappten nach oben, das Auto landete auf herkömmlichen Rädern.
Vier Uniformierte, deren leichte, weiß-grüne Panzerung an die der Percutoren angelehnt war, stiegen aus und setzten ihre schwarzen Barette auf. An den Seiten trugen sie Pistolen, einer hielt ein Schrotgewehr in den behandschuhten Fingern.
»Abmarsch«, befahl Friedemann und zerrte Spanger auf die Beine. Als der sich nach dem Dig-Y streckte, zerrte er ihn zur Seite. »Das Ding bleibt.«
»Aber mein Gold!«, beschwerte sich Spanger im Griff des erstaunlich kräftigen Professors, der ihn unbarmherzig Richtung Toiletten schleppte, um den Ordnungshütern auszuweichen. »Mein Gold!«
Coco sah auf das Display. »Tut mir leid.«
»Nehmen Sie es mit!«, bat die Indio-Frau aufgeregt. »Ich bitte Sie!«
»Die Polizei …«
»Ich habe keine Sirene gehört. Die machen nur Pause von der Streife«, unterbrach sie hektisch. »Überlassen Sie den Feinden der Freiheit keine 4,2 Millionen Stimmen! Stecken Sie es ein, und warten Sie auf der anderen Straßenseite auf die Kuriere.«
Coco sah zu den Beamten, die in das Diner kamen, leise lachten und scherzten und sich am Tresen niederließen. Die Anspannung unter den Arbeitern stieg durch die Anwesenheit der vier Polizisten nicht. Sie schienen öfter im Laden zu sein; einige grüßten die Uniformierten sogar.
»Die werden das Dig-Y finden und es wegen Illegalität vernichten«, sagte Coco. »Das ist doch besser als –«
»Nein, ist es nicht! Wir brauchen die Stimmen!« Die Frau reckte die gefalteten Hände. »Unsere Kuriere sind keine zwei Minuten mehr entfernt. Bitte!«
»Fendi«, rief Friedemann durch das Stimmengewirr und die leise Musik.
»Leben Sie wohl.« Coco nickte der Unbekannten zu. »Ich wünsche Ihnen das Beste.« Sie erhob sich und durchquerte den Gastraum Richtung zweitem Ausgang neben den Toiletten.
»Hey! Hey, DelEv-Dame!« Der Jüngste der Polizisten hatte sie mit Blicken verfolgt und rutschte vor ihr vom Hocker. »Sie haben Ihr Dig-Y liegen lassen.« Er lächelte sie an. »Stellen Sie sich vor, ich müsste Sie kontrollieren, und Sie könnten sich nicht ausweisen.«
»Das ist nicht meins. Aber danke«, erwiderte Coco nonchalant und schenkte ihm einen freundlichen Augenaufschlag. Ihr Puls stieg.
»Das stimmt«, sagte die Kellnerin. »Das gehört dem Dickerchen.«
»Nein, auch nicht. Er hat es nur gefunden.« Coco nickte dem Polizisten zu. »Schönen Tag.«
Sie drückte sich an ihm vorbei und zwang sich, langsam zum Professor zu gehen, der Spanger ins Freie schob, ungeachtet des strömenden Regens. Draußen angekommen, zog sie sich die Kapuze über die blonden Haare.
»Nicht rennen, Mme. Fendi«, schärfte ihr Friedemann ein, als sie an der Scheibe des hell erleuchteten Diners vorbeigingen. Er hatte Spangers rechten Arm um seinen Nacken geschlungen, was aufgrund der Größenverhältnisse abenteuerlich wirkte, und schleifte den ermatteten Mann mehr, als dass er ihn stützte. Die kalten Tropfen schafften es nicht, Spangers Lebensgeister zurückkehren zu lassen. »Denken Sie dran: Wir sind Arbeiter und gehen nach einem langen Arbeitstag nach Hause. Mit unserem sehr, sehr besoffenen Kumpel.« Am liebsten hätte er Spanger in der nächsten Pfütze ertränkt.
Cocos Puls senkte sich mit jedem Schritt. Sie sah den jungen Polizisten, der sie nochmals durch das Glas grüßte, indem er sich gegen das Barett tippte, während seine Kollegin zum Tisch ging, um das herrenlose Dig-Y zu inspizieren; die anderen zwei Beamten verschwanden in den Toiletten.
Ein schäbiger dunkelroter Dodge Ram hielt vor dem Working Class Diner, ein Mann und eine Frau sprangen heraus. Sie sahen Coco, Friedemann und Spanger nach, als würden sie sie erkennen. Die Kuriere der Friedensliebhaber hatten den Laden zu spät erreicht.
Sie gingen dennoch hinein, mutig und übermütig. Sie steuerten sofort auf die Polizistin zu und verlangten das Dig-Y. Keiner von beiden wusste, dass es nicht zwei gegen zwei, sondern zwei gegen vier stand, sollte es zum Gefecht kommen.
Dann waren Coco und Friedemann an der Scheibe vorbei.
»Haben wir das Richtige getan, Professor?« Sie ging schneller und half ihm, Spanger zu stützen.
»Das fragen Sie mich?« Er bedachte sie mit einem rätselhaften Blick durch die erneut von Tropfen bedeckten Gläser seiner Designerbrille. »Oder hatte Spanger recht, Mme. Fendi?«
»Mit dem Abwarten?«
»Mit dem Vorwurf, Sie seien eine Hochstaplerin.« Der Professor beschleunigte seine Schritte, als hinter ihnen erste Schüsse erklangen. Die Tür des Diners flog auf, die Gäste flohen vor der Schießerei zwischen Staatsmacht und Terroristen.
Dann barst die Scheibe in einem gewaltigen Splitterregen, und die Polizistin fiel rücklings gegen den dünnen Draht und riss ihn nieder. Regungslos landete sie mit ausgebreiteten Armen auf dem Asphalt, blutete aus einem faustgroßen Loch in ihrem Hals.
»Weg von hier!« Friedemann verlor die Geduld mit dem Besoffenen. Er zog sein Messer und stach Spanger leicht die Spitze in die Pobacken, um ihn zu wecken und anzustacheln.
Tatsächlich rannte Spanger unvermittelt los und jammerte. Professor und Coco steuerten ihn quer über den Recyclinghof hinweg.
Die Lastdrohnen zogen über sie dahin, gleichmütig wie schon vor einigen Stunden. Keiner hielt sie auf, niemand verlangte von ihnen, sich auszuweisen. Die Jacken mit dem DelEv-Emblem bewahrten vor Schwierigkeiten.
Coco überlegte, wie die Sache im Diner ausgegangen sein könnte. Sie hatten Verantwortung für 4,2 Millionen Stimmen gehabt und sich dann für Nichtstun entschieden. »Hätten wir nicht …«, setzte sie an.
»Sie fragen sich, ob wir den Geschichtsverlauf durch unser Tun verfälscht haben«, erriet Friedemann ihre Gedanken. »Wenn Sie meine Meinung haben wollen: Ich weiß es nicht. Keiner kann sagen, ob der erste Kurier mit dem Dig-Y entkommen wäre. Ob die Percutoren ihn erledigt hätten. Ob die Hinrichtungen geschehen wären. Ob PrimeCon in den Abstimmungen die Gesetzesänderungen durchgebracht hätte.« Er zerrte den allmählich ermüdenden Spanger am Kragen durch den Regen. »Wir wissen es nicht, Mme. Fendi. Daher sollten wir uns keine Gedanken machen. Es ist, wie es ist.« Er deutete zu dem Stützpfeiler. »Los. Frau van Dam muss gerettet werden. Daran hat sich nichts geändert. Hoffen wir, dass die Tür uns nicht im Stich lässt und wir in diesem Kämmerchen rauskommen, von dem wir aufgebrochen sind.«
Coco nickte. Überzeugt war sie nicht.
Auf einem großen Werbebildschirm, der über den Fahrbahnen hing, wurden die Breaking News eingeblendet. In einem Diner habe es einen Schusswechsel zwischen Terroristen und einer Streifenwagenbesatzung gegeben, bei dem sämtliche Beteiligte sowie zehn Gäste ums Leben gekommen seien. Weitere Sympathisanten der Verbrecher befänden sich noch auf der Flucht. Die Leute wurden aufgefordert, das Areal weiträumig zu umfahren. Eine Percutor-Einheit sei im Einsatz, um die Gesuchten zu fassen.
Coco machte Friedemann nicht auf die Einblendungen aufmerksam. Er lief einige Meter vor ihr und verschwand zusammen mit dem torkelnden Spanger in dem offenen Durchgang, der zum ausgebrannten Generatorraum führte.
Ihre Kondition war nicht die beste. Sie brauchte dringend eine Pause. Sie würde sich im Kämmerchen einfach einige Minuten hinlegen, etwas trinken und sich ausruhen. Das Gerenne und die Anspannung zehrten an ihren Kräften.
Keuchend trat Coco durch die Wartungstür ins Dunkel – und bekam einen Schlag in den Nacken, der sie zu Boden schickte.
Das Letzte, was sie hörte, war ein entsetztes: »Spanger, Sie besoffener Trottel! Was haben Sie getan?«
Viktor ließ sich fallen und hielt das leer geschossene G36 schützend vor sich.
Die Bestie sprang über ihn hinweg, klackend schnappten die Kiefer zu, und die langen Zähne bissen in Luft anstatt in seine Kehle. Gleichzeitig dröhnten die Schüsse aus Danas P99. Flüssigkeiten sprühten aus dem Leib des Scheusals.
Viktor beeilte sich, das Magazin zu wechseln. Durchladen, und das Sturmgewehr war einsatzbereit. Er rollte sich auf den Bauch und visierte das Mischwesen aus Hund und Krokodil an, das sich überschlug und an der Wand zum Liegen kam. Grünliches Blut sickerte aus den Löchern, und wo es auf den Boden traf, kräuselte sich beißender Rauch in die Höhe.
Viktor senkte die Waffe nicht, behielt das Vieh im Visier. »Alles in Ordnung bei Ihnen?«
»So weit, ja.« Dana hob das verlorene G36 auf und prüfte es rasch, um ebenfalls auf die regungslose Bestie anzulegen. Sie gab vier, fünf weitere Schüsse auf die Kreatur ab. Erst, als sie den Kopftreffer setzte, war sie sich gewiss, dass keine Gefahr mehr von ihm ausging. »Feind bekämpft.«
»Sichern Sie in den Gang.« Viktor erhob sich und kam an ihre Seite. »Es kann mehr als nur eins davon geben.«
Sie betrachteten das Wesen, dessen Umrisse unscharf wurden, als verlöre es im Tod seine Konturen. Eine Mischung aus Schuppenpanzer und Fell bedeckte den Leib; zwischen den langen, scharfen Zähnen hingen Kunststofffetzen, die wohl zu den Kevlarwesten der ersten Truppe gehörten.
»Was immer das ist: Von der Erde stammt es nicht.« Dana wich den ätzenden Qualmfäden aus, die beim Einatmen Übelkeit verursachten.
»Aus einem Versuchslabor?« Viktor ließ den Lichtstrahl des Gewehrs über den grünlich weiß blutenden Körper wandern. »Wer weiß, was die in diesen Gewölben getrieben haben?«
Dana sah aufmerksam in den Gang und lauschte. Es blieb ruhig. »Ich weiß nicht, wie Ihre Haustiere so drauf sind, aber mein Retriever kann das nicht.«
Viktor musste lachen. Mit dem Lauf zog er die Lefzen in die Höhe und drückte gegen die Pfoten, sodass lange Krallen zum Vorschein kamen.
»Wie Sie schon sagten: Es könnte mehr als nur eins geben.« Dana deutete auf die Türen. »In der alten Geheimdienstzentrale stand auch etwas über die.« Sie nahm ihr Smartphone hervor und zeigte ihm die Fotos.
Er überflog die Aufnahmen. Es waren zu viele Infos, um ad hoc vernünftige Schlüsse zu ziehen.
»Ich hoffe, dass unser Doktor was damit anfangen kann.« Sie senkte die Stimme und hielt das Mikro zu; Viktor tat es ihr gleich. »Das ist alles große Scheiße, Troneg. Es ging nie um eine harmlose Rettungsmission. Van Dam will uns für dumm verkaufen. Er wusste, was vor sich geht.«
»Glaube ich nicht.«
»Weil?«
»Er sonst andere Leute als uns geschickt hätte.«
Danas Blick wurde hart. »Er hat andere Leute geschickt. Und die Typen scheiterten, weil sie nicht vorbereitet waren.« Sie räumte innerlich ein, dass wohl niemand auf eine derartige Bestie vorbereitet sein konnte. Mit dem G36 zeigte sie auf die Türen. »Nicht auf das.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Da sie alleine waren, konnte sie es wagen, das Geheimnis zu lüften. »Wir beide waren in Al-Fashir. Ich als Söldnerin, Sie auf einer illegalen Mission des Kommandos Spezialkräfte, habe ich recht?«
Viktor erstarrte. »Ich wusste es doch!«
»Wir hätten beide nicht dort sein dürfen.« Dana ging zur Türenallee. »Erinnern Sie sich?«
»An was? Den Auftrag?« Viktor konnte sich an die Ereignisse von damals genau erinnern.
»Die Ruinen nahe der Stadt. Und die Tür dort.« Sie zeigte auf die Reste der zerbrochenen Klopfvorrichtung. »Ich könnte schwören, dass es eine gab, die –«
Rumpelnd flog die Tür mit dem Kastenschloss und dem Ausrufezeichen am Ende der Halle auf.
Dana und Viktor schwenkten die Mündungen sofort auf den Durchgang, der sich im roten Fackellicht öffnete.
Friedemann eilte heraus, die regungslose Coco in den Armen. Blut sickerte aus einer kleinen Wunde in ihrem Arm. »Kann einer von Ihnen nach der Verletzung schauen? Sie ist nicht tief, denke ich. Die Erstversorgung hatte ich übernommen, aber der Verband löste sich mittlerweile.«
Spanger folgte taumelnd, eine Hand an den Kopf gelegt. Er schwitzte wie nach einem Marathon, der Blick glitt verunsichert umher. Seine Kleidung war total durchnässt, um seine Schuhe bildeten sich kleine Pfützen. »Wenigstens sind wir wieder in der realen Welt.«
Dana schwenkte die Mündung erneut in den Gang, um sie gegen neuerliche Attacken abzusichern. »Da wäre ich mir nicht so sicher.« Sie zeigte in die Ecke zur toten Bestie.
Spanger fluchte laut.
»Es ist tot.« Viktor stellte das G36 ab und nahm ein Verbandspäckchen aus dem Rucksack, den Spanger ihnen vor seinem Aufbruch dagelassen hatte. »Wie ist das passiert?«
»Und wo ist der Doktor?«, fügte Dana vom Eingang hinzu.
»Er ist nicht bei Ihnen?« Friedemann setzte die erwachende Coco auf den Boden. Sie biss die Zähne zusammen, während sie den Streifschuss gereinigt und einen frischen Verband angelegt bekam. Dann blickte er zu Spanger, der sich das Gesicht mit dem Dreieckstuch aus dem Verbandskasten abrieb. »Sie kamen als Letzter. Haben Sie ihn da drin gesehen?«
»Nein, in der Kammer war nichts. Glaube ich. Ich dachte, er untersuchte die Tür von innen und wäre danach zu unserer GSG9 gestoßen.«
Friedemann atmete tief durch. »Der Raum war leer, wir saßen fest.« Kurz berichtete er Viktor und Dana, was die Gruppe in der Zukunft erlebt hatte, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. »Herr Spanger hat in seinem abklingenden Delirium nach Mme. Fendi geschlagen, aber es war nichts Gravierendes.« Er hatte große Lust, den Mann für seinen Unsinn nochmals mit dem Messer in den Hintern zu stechen. »Zu guter Letzt: Frau van Dam war nicht dort. Nicht einen Hinweis auf sie.«
»Tut mir leid«, sagte Spanger kleinlaut. »Diese Eesha hat es in sich. Ist wie eine E-Zigarette, nur besser.« Er wollte sie herausziehen, fand sie jedoch nicht. Hektisch tastete er sich ab. »Scheiße! Ich habe sie verloren!«
Coco betrachtete die verletzte Stelle, die unter der Wundauflage und der Binde verschwand. Es brannte, doch es ließ sich aushalten. Sie war unendlich erschöpft. Dass Ingo abhandengekommen war, bereitete ihr Magenschmerzen. »Wie wäre es mit Infos zu den Türen, Professor?«, regte sie an.
»Was meint sie damit?« Viktor prüfte den Verband auf seinen Sitz.
Er hatte den Schilderungen gelauscht, ohne sich anmerken zu lassen, was er davon hielt. Er und Dana hatten ein Wesen erlegt, das es nicht gab. Dann waren da das Aussetzen der Schwerkraft sowie das Rückwärtssprechen von einer Sekunde auf die nächste. Alles in allem waren wohl auch Zeitreisen möglich. Doch noch war Viktor nicht bereit, dem Bericht über das Jahr 2049 Glauben zu schenken.
Coco deutete auf den Professor. »Er hat ein Büchlein mit Notizen. Damit hat er die Tür in der Zukunft dazu gebracht, sich zu aktivieren und uns zurückzubringen. Nehme ich an. Ich sah es ja nicht, weil mich Herr Spanger niedergeschlagen hat.«
»Ja, nochmals sorry«, rief Spanger und stellte sein Suchen nach der Eesha ein. »Vielleicht ist mir die Pfeife in der Kammer rausgefallen?« Er hielt sich den Kopf. »Shit, mir ist so unfassbar schlecht.«
»Was es mit dem Büchlein auf sich hat, werde ich zu gegebener Zeit erläutern.« Friedemann richtete sich auf. Nicht ein Wort würde er verraten, nur weil man es von ihm verlangte. Dass sie von seinen Aufzeichnungen wussten, war schlimm genug. Es würden sich Wege finden, dieses Manko zu beheben. Bei passender Gelegenheit und wenn er hatte, was er wollte. »Und jetzt suchen wir nach der vermissten Frau van Dam.« Er korrigierte den Sitz seines Headsets. »Van Dam, hören Sie mich wieder?«
»Er ist gerade off, glaube ich. Stellt Nachforschungen über die Türen an«, erklärte Viktor. Das Büchlein hatte er auch schon gesehen, und er fragte sich seit geraumer Zeit, was darin über die Portale geschrieben stand. Ein kleiner Kreis von Eingeweihten wusste offenbar mehr darüber. Wie kam ein Geologe daran?
»Wieso habe ich das Gefühl, dass alle Bescheid wissen, nur ich nicht?«, meldete sich Dana schlecht gelaunt. »Was denn für ein Büchlein?«
»Trösten Sie sich: Ich bin so planlos wie Sie«, steuerte Spanger bei. »Wir haben uns die Reise nicht eingebildet. Aber ich wusste ja, dass uns das keiner glauben wird. Ohne ein Andenken.«
»Hören Sie auf zu jammern, Spanger, holen Sie Doktor Theobald da raus.«
Spanger verdrehte die Augen, ging zur Tür mit dem Kastenschloss und öffnete sie. »Kommen Sie raus, Doktor«, rief er hinein. »Sie werden schon erwartet. Und bringen Sie den Tyrannosaurus mit, den Sie gefunden haben.«
Abrupt stürzte Ingo heraus und stellte den Messgeräteblock auf den Boden. Er packte den korpulenten Mann am Kragen. »Fanden Sie das witzig, Sie Idiot?«, brüllte er. »Mich da drin schmoren zu lassen?«
Spanger versuchte, die Hände abzustreifen. Aber der Parapsychologe erwies sich als kräftig, und er war noch zu angeschlagen von Eesha und Alkohol. »Hey! Ruhig! Wir waren selbst weg. Und Sie haben nicht mal geklopft. Sonst hätte unsere GSG9 Sie schon rausgeholt.«
»Acht Stunden«, schrie Ingo und stieß ihn von sich, warf wütend seinen Helm hinterher. »Ich dachte, ich ersticke! Was sollte diese Scheiße? Ich habe geklopft wie ein Wahnsinniger! Alle fünf Minuten, bis ich vor Erschöpfung eingeschlafen bin, und als ich erwachte, riefen Sie nach mir.«
»Echt? Sie klopften?« Dana schaute verwirrt in die Runde. »Das hätten wir doch mitbekommen müssen.«
Viktor kam eine Idee. »Uhrenvergleich.« Er hielt seine Armbanduhr hin. »Bei mir ist es 21.31 Uhr.«
Friedemann erbleichte. »5.31 Uhr.« Coco und Spanger blickten auf ihre Zifferblätter und bestätigten. »Doktor, was sagt Ihre Uhr?«
Ingo starrte auf die Uhr an seinem Handgelenk, danach auf seine Messgeräte und gab keine Antwort. Er wurde hektisch, drückte auf den Knöpfen der Apparate herum.
»Was sagen die Anzeigen, Doktor?«, hakte Viktor nach.
Ingo hob den Kopf. »Meine Uhr sagt 13.31, aber meine Geräte 22.38 Uhr. Das sind gleich mehrere Zeitparadoxen! Oder, halt! Die Türen sind … sie bauen … Kraftfelder auf, welche die Uhrmechaniken beeinflussten«, versuchte er sich an einer halbwegs rationalen Erklärung. »Ich brauche größere Geräte! Bessere!« Für ihn stand felsenfest: Sobald sie Anna-Lena van Dam gefunden hatten, musste er zurück, um intensivere Untersuchungen vorzunehmen. Er fuhr sich mehrmals vor Begeisterung durch die nackenlangen, gelbblonden Haare. »Großartig! Großartig!«
»Das klang eben noch anders«, kommentierte Spanger.
»Acht Stunden, die in Sekunden vergingen.« Ingo sah in die Runde. »Halten Sie mich nicht für verrückt. Sie haben es selbst gesehen.«
»Wir waren in der Zukunft. 2049«, sagte Friedemann ruhig. »Leider haben wir keine Beweise.«
Spanger räusperte sich. Die Wirkung der Eesha war verflogen, die der Schnäpse noch nicht. Außerdem stiegen Vorwürfe in ihm auf. Es erschütterte ihn, im Rausch die Hellseherin niedergeschlagen zu haben. Er war außer Kontrolle. Wie im Discounter. Wie bei Tilo. Das durfte nicht wieder geschehen. Heldenhaftigkeit funktionierte anders. Er gelobte Besserung. Sofort. »Abgesehen von unseren Ausflügen: Wir waren in einem Raum, in dem die Zeit schneller läuft, habe ich das richtig verstanden? Messbar schneller läuft?«
»Mit großer Wahrscheinlichkeit, ja. Und das ist das erste Mal, dass es wissenschaftlich erfasst ist.« Ingo sah begeistert auf seinen Messblock.
»Was bedeutet das für Anna-Lena?«, warf Coco ein. »Wenn sie hinter den Türen unterwegs ist, könnte sie seit Jahren in einer fremden Welt feststecken!«
»Oder für sie sind erst wenige Stunden vergangen, obgleich sie seit einer Woche verschwunden ist«, ergänzte Viktor.
»Wie gesagt, ich muss das genauer überprüfen«, haspelte Ingo. »Unter besseren Bedingungen und unter …«
»Ich weiß, für Sie ist das faszinierend. Ich finde es beängstigend. Und überzeugt bin ich immer noch nicht.« Dana zeigte den Gang entlang. »Diese Wundertüren sind mir egal. Und mir ist egal, wie sie hierherkommen oder wie das … Kraftfeld funktioniert. Abgesehen davon, ist eine feindliche Truppe in diesem Irrgarten unterwegs, auf die ich nicht stoßen will. Ach ja, und die aufgegebene Zentrale, die aussieht, als wäre es das Hauptquartier einer Einheit gewesen, die sich mit den instabil werdenden Türen beschäftigte.« Sie sah in die Runde. »Also: Finden wir jetzt endlich das Mädchen und verschwinden!«
»Sie waren in einer Zentrale? Haben Sie Fotos gemacht?« Ingo kam näher zu ihr. »Nazis?«
Dana grinste. »Nein, es sah nicht nach Nazis aus.« Sie hielt ihr Handy so, dass alle die Aufnahmen sehen konnten.
Spanger hob die Hand wie bei einer Abstimmung. »Dafür. Ich will zurück und mein Geld. Und es ausgeben. Wenn ich schon keine Eesha mehr habe.« Der Geschmack in seinem Mund war schrecklich, er rang gegen das Übergeben. Das hatte er verdient. Schuldbewusst sah er zum Medium.
»Einverstanden.« Viktor zeigte auf Ingo, Coco und Friedemann. »Da Sie die Spezialisten für Paranormales und Naturwissenschaftliches sind, schlage ich vor, dass Sie sich die übrigen Türen vornehmen. Und keine Alleingänge mehr.«
»Friedemanns Büchlein«, erinnerte Coco.
»Ach ja, richtig.« Viktor hob eine Braue. »Also, Professor?«
»In einer ruhigen Minute erzähle ich Ihnen die Geschichte, Herr Troneg«, lenkte Friedemann zum Schein ein und ging zusammen mit Coco und Ingo zu den Türen. Nichts würde er verraten. Nichts. Und wenn sie sich auf den Kopf stellten. »Ich versichere, dass ich das Wissen zu unseren Gunsten einsetzen werde. Der Rest fällt unter Datenschutz und geht Sie alle nichts an. An die Arbeit!«
Coco sparte sich Widerspruch und nahm sich vor, von nun an dem Professor weniger zu vertrauen. Sie pendelte vor jeder Tür, und es dauerte erneut einige Zeit, bis sich ihre Kräfte in dieser Umgebung zeigten. Aber es hatte sich nichts an dem Ergebnis geändert: Die goldene Spitze wies wieder auf den Durchgang mit dem roten Lippenstift-X.
Ingo untersuchte die Türen mit den Messgeräten, führte sie dicht über die Oberfläche von Rahmen und Flügel. Zu seiner Enttäuschung blieben die Energiefelder passiv.
Friedemann blätterte in den Notizen und suchte nach Hinweisen. Er tat es langsam, behutsam, um die Seiten nicht zu beschädigen. Das Papier fühlte sich trockener, spröder an als zuvor. Die Reise durch die Zeit war dem Material nicht gut bekommen.
Viktor, Spanger und Dana hingegen behielten den hallenhohen Raum, die Türen und den Gang im Blick.
»Dieses Mal nehmen wir meine Tür«, beharrte Coco. »Ich sagte schon beim ersten Mal, dass die Kleine dahinter ist.«
»Aber sie ließ sich beim letzten Mal nicht öffnen«, warf Ingo ein.
»Lassen Sie es uns doch wissenschaftlich versuchen«, schlug Friedemann vor.
»Daran arbeite ich. Doch momentan ist nichts zu messen«, erklärte Ingo bedauernd.
Coco hatte es satt, dass sie ignoriert wurde. »Ich bin mir sicher!« Sie blickte auf den angelaufenen Silberring, der im Wolfsmaul aus kunstvoll geschnitztem Ebenholz steckte. Am unteren Ende des Rings war eine Verdickung, die auf einer Metallplatte an der dunkelgrauen Steintür mit den schwarzen Maserungen, Intarsien aus weißem Marmor und Onyx auflag. »Es ist diese mit dem X.« Sie streckte eine Hand danach aus.
»Halt!« Aufgeregt packte Ingo ihr Gelenk und verhinderte, dass sie das Metall berührte. »Da ist Blut am Türklopfer.«
Friedemann beugte sich nach vorne und inspizierte den Fleck durch die eckige Brille. »Nein. Lippenstift. Der gleiche, mit dem die Markierungen gemalt sind.«
Ingo ließ Coco los. »Spanger schoss auf die Tür, und das Kraftfeld wurde aufgebaut.«
»Richtig. Kinetische Energie als Auslöser. In diesem Fall.« Friedemann schaute über die drei Türklopfer, dann blickte er skeptisch auf die zerstörten Ringüberbleibsel am Boden vor der zweiten Tür. »Jemand hat diese … funktionsunfähig gemacht.«
»Oder er zerbrach durch häufige Nutzung.« Dana erinnerte sich an die Warnung in der Zentrale. Irgendetwas mit Katastrophe und Vergangenheit. »Vergessen wir nicht, dass diese Türen nicht mehr so funktionieren wie einst. Sie könnten uns um die Ohren fliegen.«
Coco packte den Klopfer. Sie hob ihn an und beobachtete das Goldpendel in ihrer anderen Hand. Es bebte leicht, ankündigend und warnend zugleich. »Da! Sehen Sie? Es ist die richtige Tür!«
»Gut. Mach weiter. Wir kommen sonst nicht voran.« Ingo behielt seine Geräte im Auge. »Tatsächlich! Es gibt einen Anstieg. Ganz wenig, aber –«
Coco ließ den Klopfer niedersausen.
Es krachte so laut, metallisch und hohl, dass die sechs zusammenfuhren und sich reflexhaft die Hände auf die Ohren legten. Ein Flirren huschte über die Tür.
Ingo betrachtete die Displays. »Mein Gott! Das ist … da ist es!«
Hastig zog Friedemann den Eingang auf, durch den sanft silbernes Licht fiel. Nachtwind wehte heraus, und durch das Rauschen von Laub und Blättern erklang ein Käuzchenruf. »Sie haben recht, Mme. Fendi!«, stieß er begeistert aus. »Ich hätte gleich auf Sie hören sollen. Vergeben Sie mir. Suchen wir die Kleine auf der anderen Seite.«
Coco sah in das kühle Licht und atmete die kühle Luft tief ein. Es roch nach Wald, nach Blüten und Tau. Frisch und rein, ohne ein Anzeichen von Gefahr lag der Durchgang vor ihr. Aber sie empfing Schwingungen. Verwirrende Schwingungen. »Anna-Lena ist dort. Und darin lauert die Angst! Todesangst!«
Ingo warf ihr einen knappen Blick zu. »Bei mir brauchst du die Show nicht«, raunte er ihr zu.
Coco zitterte am ganzen Leib, ohne auch nur ein My zu schauspielern. »So empfinde ich es. Da drin … wohnt die Angst und erwartet uns. Ich werde nicht hineingehen.« Sie machte einen Schritt zurück. »Niemals! Nicht für alles Geld!«
»Troneg, nur Sie und Theobald können mich hören«, vernahm Viktor plötzlich van Dam in seinem Ohrstecker. »Lassen Sie sich nichts anmerken. Die anderen habe ich ausgeblendet. Geben Sie mir keine Antwort, sondern hören Sie zu. Legen Sie eine Hand an den Helm, Troneg. Einmal tippen heißt ja, zweimal nein.«
Viktor legte die Hand beiläufig an den Helm und tat, als würde er den Sitz korrigieren und die Kamera prüfen.
»Gut. Ich bekam einen Anruf«, erklärte van Dam. »Wenn ich Sie und das Team nicht sofort zurückpfeife, würde meine Tochter sterben. Ich halte es für einen Bluff. Die Götter mögen mir beistehen, dass es so ist.«
Viktor versuchte, sich nichts ansehen zu lassen, und klopfte einmal. Sein Blick huschte zu Ingo, der betont beiläufig seinen Helm aufhob und aufsetzte.
Unvermittelt legte Dana ihr G36 an. »War da eben was im Gang?«
Spanger nahm eine bengalische Fackel vom Gürtel, zündete sie und warf. Zu spät fiel ihm ein, dass es wieder rauchen und qualmen würde. Er räusperte sich verlegen. Aber dieses Mal wies ihn niemand zurecht. Er hatte das Richtige getan. Zusammen mit Dana sicherte er in den Korridor.
Der Korridor zeigte sich im roten Licht leer und schattenlos.
»Schicken Sie Doktor Theobald zu mir hoch«, hörte Viktor ihren Auftraggeber. »Ich brauche ihn hier oben. Er muss mir beim Entziffern von Aufzeichnungen helfen.«
Viktor klopfte zweimal gegen den Helm.
»Danke. Ich erkläre Ihnen …«
»Da!«, rief Spanger aufgeregt. »Da kommen doch welche!«
Es gab keinerlei Zweifel. Schatten pirschten sich durch den geisterhaft rötlich beleuchteten Gang voran, den Umrissen nach Menschen mit Panzerung und Gewehren. Die Gegner hatten sie aufgestöbert und setzten zum Angriff an.
Dana zielte, schoss zweimal, um klarzumachen, dass es keine leichte Aufgabe werden würde. Ein unterdrückter Schrei erklang aus dem Korridor. »Gut, dass die Tür offen ist«, sagte sie, ohne den Blick vom Visier zu nehmen. »Ich sichere, ihr –«
»Nein«, unterbrach Viktor sie. »Ich sichere.« Dann funkte er leise: »Daraus wird nichts, van Dam. Wir bekommen Besuch.« Er ging an der Kante des Eingangs in Deckung, spähte in den Gang und prüfte den Sitz des Magazins.
Dana und Spanger liefen an ihm vorbei zur geöffneten Tür mit dem X.
Daraus fiel silbriges Mondlicht – und dann erklang durchdringendes Geheul wie von einer wilden Bestie.
Ansatzlos klappte Friedemann sein Büchlein zu und spurtete über die Schwelle in das unbekannte Terrain. »Mir nach. Sonst wird es zu spät sein.«
Ihm folgten Spanger und Coco, gleich dahinter Dana.
»Halt! Professor!«, rief ihm Ingo hinterher. »Hey, warten Sie!«
Friedemann übernahm unterdessen die Führung durch den Farnwald. Er wusste genau, was er wollte. »Da! Da ist Anna-Lenas Spur im Farn!«, verkündete er und rannte los.
Dana blieb ihm auf den Fersen, um ihn gegebenenfalls verteidigen zu können. »Friedemann, verdammt! Machen Sie langsam! Wir sollten auf die anderen warten.« Sie wollte sich nicht wieder in kleine Grüppchen aufteilen.
Ein lautes Heulen ertönte, und ein durchdringender Frauenschrei erklang aus weiter Ferne.
»Oh, scheiße!« Spanger blieb nach zwei Schritten stehen und zog seine Pistole. Er hob den Blick. »Ist das … der Vollmond? Wir sind an der Oberfläche!« Friedemann hatte recht behalten. Die Tür hatte sie in irgendeinen Wald transportiert, in dem es blöderweise Wölfe gab. Irgendwo in Osteuropa?
Todesfurcht durchflutete Coco aus dem Nichts. Eine düstere Welle der Vorahnung brandete gegen sie, die Angst ließ ihre Beine streiken. »Ich gehe keinen Schritt weiter«, flüsterte sie und wich neben Spanger zurück.
»Ich passe auf Sie auf«, versprach er ihr aufrichtig. »Ich habe noch was gutzumachen bei Ihnen.« Er schob sich leicht vor sie. Niemals mehr wollte er die Kontrolle über sich verlieren. Dass er sie geschlagen hatte, niedergeschlagen, verzieh er sich nicht. »Wenn da was ist, was an Sie ranwill, muss es erst an mir vorbei.«
»Das Sterben lauert. Auf uns alle.« Erneut verfiel Coco in heftiges Zittern, ohne dass sie sich dagegen zu wehren vermochte. Das Pendel zeigte artig in die Richtung, in der sie Anna-Lena finden würden. Es war ihr gleich.
Dana blieb stehen und blickte sich zu dem Medium und dem Personenschützer um, die dicht am Ausgang vor einem Bunker standen. Es schmeckte ihr nicht, dass sich die Truppe erneut aufteilte, aber der dürre Professor rannte wie der Gevatter persönlich auf der Jagd nach einer armen Seele. »Spanger, Sie bleiben mit Fendi, wo Sie sind, und stoßen zu uns, sobald die anderen da sind«, funkte sie und hetzte weiter durch den Farn, immer dem Anführer hinterher. »Ich passe auf den Professor auf, bevor er unter Wölfe gerät.«
»Ist okay.« Spanger senkte die P99 und sah zur offenen Tür zurück in die Halle, aus der sie gekommen waren. Nichts und niemand, der Böses wollte, würde in die Nähe von Coco gelangen. »Troneg! Theobald! Wo bleiben Sie? Friedemann hat die Spur der Kleinen!«
Viktor feuerte zweimal in den Gang. Im rötlichen Licht war eine gegnerische Gestalt zu sehen, die sich hinkauerte und nicht daran dachte, den Rückzug anzutreten. »Gleich. Ich muss die Angreifer ausschalten, damit sie uns nicht von hinten aufrollen.« Leise verfluchte er den Professor, der mit seiner Eile Durcheinander in die Gruppe brachte und sie zum Aufteilen nötigte. Fast konnte man meinen, es sei seine volle Absicht, die Truppe zu schwächen.
Ingo trat an seine Seite. »Ich würde gern versuchen, nach oben zu gelangen.« Er hob andeutungsweise ein Bündel Speicherkarten. »Die Daten nehme ich mit hoch, die Instrumente zeichnen weiterhin auf. Sollte van Dam Aufzeichnungen besitzen, wissenschaftliche Aufzeichnungen und Pläne und weitere Informationen, kann ich von dort tatsächlich mehr ausrichten. Ich muss verstehen, wann die Türen dieses Kraftfeld aufbauen und wohin sie uns führen. Friedemann macht mir ein zu großes Geheimnis darum, warum auch immer.«
»Sie haben recht.« Viktor blickte aufmerksam in den Gang. Er war es ebenso leid, darauf zu warten, wann sich der Professor erbarmte, ihnen mehr von seinen Erfahrungen zu offenbaren. »Wie schnell sind Sie?«
Ingo lachte auf. »Nicht schnell genug, fürchte ich. Ein bisschen außer Form.«
»Halten Sie sich rechts und an der Wand, den Kopf einziehen. Ich gebe Ihnen Deckung. Sie müssten bis zur Kreuzung kommen und sofort links rein.«
»Ich weiß.«
»Finden Sie denn wieder raus? Ohne Ihr Medium?«
Ingo grinste schwach. »Es war ein Wunder, dass wir hierherfanden. Mit dem Medium.« Er lief los.
Viktor legte an und visierte über ihn hinweg.
»Was tun Sie denn da?«, erklang Spangers verwunderte Stimme. »Wo läuft der Ghostbuster hin?« Er hatte zusammen mit Coco einige Schritte über die Schwelle und zurück in die Halle gemacht. Sie wich ihm nicht von der Seite. »Haut Theobald ab?«
Durch das anhaltende Wolfsheulen gesellte sich eine Sirene, die laut und lauter wurde und die Raubtierstimme übertönte. Spanger wirbelte herum und sah suchend in die Nachtwelt jenseits des Durchgangs. »Oh, prima. Jetzt auch noch Sirenen. Ist das Schichtwechsel, oder was bedeutet das?«
Coco hielt die silberne Pendelkette bebend in der Faust, als wäre sie ein Rettungsseil, an dem sie aus dem Albtraum entkommen konnte. »Fliegeralarm«, wisperte sie kaum verständlich.
»Woher wissen Sie denn, was Fliegeralarm ist?«
»Ich habe als Kind einen Film gesehen. Über den Zweiten Weltkrieg und den Bombenangriff auf Dresden. Ich fand das so schrecklich!« Ihre blauen Augen richteten sich furchtsam an den Himmel. Jede Sekunde rechnete sie mit gleißenden Kegeln von Flakscheinwerfern, mit dem Dröhnen weit entfernter Motoren und den Silhouetten großer Flugzeuge. Ihr Herz pochte schneller, das Blut rauschte in ihren Ohren. Explosionen, zerfetzte Leiber, Rauch, Schreie und nichts als Flammen, Asche und Tod.
Spanger blickte ebenfalls misstrauisch zum klaren, friedlichen Firmament, von dem der Mond strahlte. »Eine Übung, vielleicht?« Dann schaute er wieder in die Halle. »Troneg! Machen Sie schon. Knallen Sie diese Wichser ab, und kommen Sie zu uns. Rentski und der Professor sind alleine.« Er trommelte mit den Fingern gegen den Griff der P99. Ihm wäre wohler, wenn sich das G36 in seiner Nähe befände, da er seine Maschinenpistole in der Zukunft eingebüßt hatte.
Viktor verfolgte, wie Ingo den Gang entlanghetzte, ohne dass sich Angreifer zeigten; dann bog der Parapsychologe ab.
»Sehr gut. Danke, Herr Troneg. Besser hätte es kaum laufen können«, funkte van Dam erleichtert. »Er wird mir hier oben hilfreicher sein als da unten bei Ihnen.«
»Er muss noch bei Ihnen ankommen.« Viktor stand auf und zog sich langsam zur Tür zurück, wo Spanger und Coco unmittelbar an der Schwelle auf ihn warteten. »Ich hoffe, er begegnet keinem von den anderen, die uns erledigen sollen.«
»Ich bin sicher, dass er es schafft. Belassen wir es bei der Zuversicht, bevor ich zusammenbreche, Herr Troneg.« Van Dam trank hörbar einen Schluck. »Suchen Sie meine Tochter. Rasch, bitte.«
»Wo ist Theobald hin?«, verlangte Spanger zu wissen.
»Er will noch ein Gerät holen«, log Viktor. Die Wahrheit fiel ins Ressort des Auftraggebers. »Das wird uns mehr helfen als das, was er bislang dabeihat.« Er legte die Hand auf Cocos zitternde Schulter. »Du meine Güte. Sie sind ja vollkommen durch den Wind.«
»Ich gehe da nicht rein«, raunte sie kreidebleich und zog einen Fuß nach hinten, weg von der Schwelle. »Angst. Tod. Wir sterben in diesem Wald aus Farn und Bestien!« Sie zerrte das Pendel an der Kette zu sich und versuchte, es in die Tasche zu stopfen, aber es weigerte sich wie ein störrischer Hund. »Ich … ich werde dem Doktor folgen«, verkündete sie. »Sie brauchen mich nicht mehr. Friedemann hat eine Spur von unserer Vermissten.« Wenn Ingo es nach oben schaffte, gelang es ihr auch.
»Aber … wie soll ich denn so auf Sie aufpassen?« Spanger war ratlos. »Bleiben Sie bei uns. Ich schwöre …«
Bevor Coco sich zwischen den verdutzten Männern hindurchschieben konnte, sprangen die vier verbliebenen Türen gleichzeitig auf.
Ein grollendes Dröhnen wie von einem verzerrten Didgeridoo hallte parallel aus den Ecken des Raumes wider. Zugleich erklang ein schrilles Kreischen wie von einer Million Schwalben, denen schlimmstes Leid angetan wurde.
In den vier Öffnungen lauerte tiefste, bedrohliche Schwärze, die langsam heraussickerte. Behutsam, erkundend und unaufhaltsam.
Die glänzende Dunkelheit vereinnahmte die Wände. In dünnen Geflechten und schlanken schwarzen Linien kroch sie in die rot beleuchtete Halle, um sie einzunehmen und zu erobern, löschte die Schriften und eingekratzten Botschaften aus. Die Fugen im Mauerwerk füllten sich rasend schnell.
»Fuck«, rutschte es Viktor heraus, der das Spektakel ungläubig verfolgte. »Was … was ist das?«
»Rennen Sie!«, hörte er van Dam in seinem Ohr. »Gehen Sie in die andere Welt! Bringen Sie sich in Sicherheit!«
Viktor schubste den entsetzten Spanger zusammen mit der sich wehrenden, kreischenden Coco hindurch. Dann langte er nach dem Griff und zog.
Aber die Tür verweigerte sich. Als wollte sie die Schwärze hereinlassen und die Menschen opfern.
Viktor riss wie besessen an der Klinke, doch das Blatt rührte sich nicht. Er kämpfte gegen den Drang an, zu fliehen – da legte sich eine weitere Hand auf seine und half ihm.
Zusammen zogen Spanger und Viktor die Tür unter größter Anstrengung Zentimeter um Zentimeter zu, keuchten und ächzten. Endlich rastete der Schließmechanismus ein. Ein scharfes Klicken ertönte, gefolgt von einem Knistern. Das Kraftfeld erlosch und sperrte die Dunkelheit in der Halle ein. Auf diesem Weg gab es keine Rückkehr an die Oberfläche.
»Mme. Fendi, was fühlen Sie?«, fragte Viktor außer Atem und wandte sich um. »Wohin ist Frau van Dam gegangen?«
»Genau. Finden wir das Mädchen.« Spanger drehte sich ebenfalls nach dem blonden Medium um. Ein erstes Mal hatte er sie beschützt.
Doch nun war Coco verschwunden.
Eiskalter Nebel stieg unvermittelt aus dem Farn. Und die Sirenen tönten immer noch.