Erste
Szene3
6. Juni 3042 a. D.[Erdzeit]
SYSTEM: CHARIOT
Die Zeit im Interim verging nach Kris' Einschätzung wesentlich langsamer.
Während er vor der Schleuse der Krankenstation warten musste, lief er in dem engen Korridor auf und ab, und die Sekunden dehnten sich zu gefühlten Minuten und Stunden und Tagen. Er wollte Faye sehen!
Er machte sich tausend Gedanken gleichzeitig, von der Zukunft seines Vaters bis hin zur Schlacht, von der er durch Group Commander Laroux erfahren hatte. Dorthin waren sie unterwegs: die VHR gegen eine Angriffsflotte der Collectors.
Laroux hatte ihm Fragen zu seinen Erlebnissen auf Ra gestellt. Er konnte darauf nichts antworten. Bis auf die Episode mit Joule, bei der er wach gewesen war, wusste er nichts. Medikamente, Schlaf - er erinnerte sich an keine weitere Begebenheit! Bis er in diesem schrecklichen Raum erwacht war, zusammen mit den anderen Schafen, die zur Schlachtbank geführt werden sollten. Seine Retterin hieß Faye.
Dann war er schon wieder bei seinen Gefühlen für sie. Er sorgte sich unsagbar um sie - und gleichzeitig um Suede. Nicht, weil er für die Professorin noch etwas empfand, sondern wegen des Drivers.
Das Geistwesen kann von mir aus verrecken.
Kris gelang es nicht, dieses allgemeine Gefühlschaos zu ordnen, die Gedankensprünge waren seiner Aufregung geschuldet. In den kommenden Tagen entschied sich so unglaublich vieles: das Schicksal der Menschheit, die Zukunft von ihm und Faye, der Umgang mit dem 20T oder zumindest mit der Regierung von Automaton Prime ...
Ich könnte Nuria ins Interim werfen. Oder aus der Luftschleuse, kurz vor einem Sprung. Dann würde der Driver Faye nicht finden.
Das Schott öffnete sich.
Ein Mann in einem weißen Kittel mit einem durchsichtigen Plastikmantel darüber machte einen Schritt nach vorne und blickte ihn an. »Hypernervös und hektischer Blick. Wenn Sie noch einen Strauß Blumen, eine Zigarre und einen Fresskorb dabeihätten, könnte ich annehmen, dass Sie ein werdender Vater sind.«
Kris trat auf ihn zu. Das muss Ingstrabur sein. »Wie geht es ihr?«
»Sie meinen Miss Durrick?«
»Natürlich!«
»Na ja. Besser als Mister Lyssander«, erwiderte der Arzt mit knarzender Stimme und gab den Eingang frei. Sein Backenbart war altmodisch, aber er passte sehr gut zu ihm. »Kommen Sie rein. Ich führe Sie zu Miss Durrick.« Sie liefen nebeneinander durch die Abteilung. »Sie hat ein paar Splitter abbekommen, nichts Gefährliches. Aber einen Stepptanz sollte sie derzeit noch nicht hinlegen. Ab morgen kann sie es aber wieder. Die enzymatischen Wundkleber von Gardner Pharmaceutical vollbringen Erstaunliches.« Er führte ihn an einen Vorhang und schlug leicht dagegen, dabei machte er Geräusche, als klopfte er auf Holz. »Besuch, Miss Durrick. Ein sehr nervöser junger Mann. Ohne Geschenke. Wollen Sie ihn dennoch sehen?«
Shit. Kris wurde sich des Fauxpas bewusst. Ich Idiot!
Sie hörten sie lachen. »Ja, er kann rein.«
Kris wollte durch den Vorhang treten, da hielt ihn Ingstrabur kurz am Arm fest. »Wenn Sie Ihrem Vater noch was sagen möchten, sollten Sie das heute tun.« Er zeigte auf die kleinere Schleuse, wo sich die Isolierkammer befand. »Sein Hirn zersetzt sich. Bald wird er auch die vegetativen Fähigkeiten verlieren.« Er nickte und schob ihn weiter, auf die andere Seite.
Faye lag in einem Bett, ein Dreifach-Infusionsschlauch führte in ihren Arm. Die Vitalwerte sahen zu Kris' Beruhigung sehr gut aus. An der Brust und der Schulter trug sie kleinere Verbände, die nicht einmal rote Spuren aufwiesen. »Es geht mir bestens«, sagte sie gleich zur Begrüßung. »Ingstrabur besteht darauf, dass ich im Bett bleibe, bis das Fleisch besser verwachsen ist.«
»Ich glaube, er lügt. Er will nur eine hübsche Frau auf seiner Station haben.« Ich würde dich so gern umarmen!
Sie lächelte. »Keine Geschenke?«
»Nein«, sagte er seufzend. »Ich habe es vergessen.« Er kam näher, sein Herz klopfte schnell. Wage es einfach! Unsicher setzte er sich neben sie auf den kleinen Schemel und streckte vorsichtig die Hand nach ihrer aus. Als er die Finger ergriff, zog sie sie nicht zurück. Sie sahen einander in die Augen, in denen die Wahrheit zu lesen stand. Es bedurfte keiner weiteren Worte.
»Du hast mich gerettet«, sagten sie gleichzeitig und mussten lachen.
»Du hast dabei die größere Aufgabe auf dich genommen«, versicherte Kris. »Ich habe nur ein bisschen schneller zugegriffen als einer von den Special Forces. Die hätten dich schon nicht von der Rampe fallen lassen.«
»Uschtrow traue ich das zu«, erwiderte sie grinsend. »Ich bin nur eine Justifierin. Und er steht auf BaIns Gehaltsliste. Wer weiß, was Huntington-Singh oder ein anderer Exec ihm befohlen hatte. Hat Laroux meine diesbezügliche Botschaft bekommen?«
»Ja. Aber sie wusste schon, dass er gute Kontakte zu Bangash hat. Konsequenzen wird es keine für ihn haben. Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen.« Kris drückte ihre Hand liebevoll. »Ich habe Angst um dich«, sagte er und sprach damit aus, was ihn bedrückte. »Wegen des Drivers.«
»Mir geht es genauso. An Bord der Jeton kann ich ihm nicht entgehen. Wir müssen einfach fest hoffen, dass Nuria am Leben bleibt, bis ich weit genug weg von ihr bin.«
Kris fand, dass sie den kommenden Tod ihrer Schwester sehr gut wegsteckte. »Du willst sie nicht retten?«
»Nuria hätte ich gerettet. Die alte Nuria. Aber das Wesen, das nur noch als Schädel mit Gedanken existiert, hat nichts mit der Frau zu tun, mit der ich zusammen aufgewachsen bin.« Fayes Stimme färbte sich ein, klang emotionaler. »Natürlich werde ich traurig sein, doch verloren habe ich sich damals schon. Als der Driver in sie einfuhr.«
Kris hätte sie am liebsten umarmt, aber er wagte es nicht. Bald gab es bessere Gelegenheiten, vor allem, wenn ihre Wunden verheilt waren. »Ich habe von der VHR-Flotte gehört. Die Jeton hat eine große Verantwortung in der kommenden Schlacht«, sagte er, um sie abzulenken. »Ihr Sprungantrieb hat jedoch was abbekommen. Wir werden bald aus dem Interim müssen. Denkst du, wir sollten mit 23 an Bord der Cortés gehen und mit ihr in die Schlacht fliegen oder auf dem Zerstörer bleiben?«
»Das sage ich dir, sobald ich mich besser fühle.« Sie stutzte. »Die Cortés?«
»Ja. Sie ist auf dem Flugdeck der Jeton. Sie haben alle Jäger in eine Ecke geschoben, damit Platz ist. 23 hat sie von der Krankenstation der Hyperiona aus geflogen. Die Collies haben Versuche mit seinem Gehirn veranstaltet. Vermutlich ist er deshalb in der Lage gewesen, das Schiff auf diese Entfernung hin zu steuern.« Kris dachte an den grässlichen Anblick des Chemicals, dem seine neuerliche Verstümmelung nichts ausmachte. »Ingstrabur musste ihm eine Ersatzschädeldecke anfertigen. Aus Panzerglas«, berichtete er und verdrehte die Augen. »Ansonsten hat er die Experimente wohl gut weggesteckt. Ein Chemical ist abgehärtet, meinte er noch.«
Faye musste auflachen. »Das passt zu 23«, sagte sie. »Wo ist er?«
»Laroux hat ihm eine Kabine zugeteilt. Die gleiche wie meine«, antwortete er missmutig. »Die Geräusche, die er von sich gibt, sind unfassbar. Kichern, lachen, aufstöhnen, dann kreischt er und hopst klatschend durch die Kabine, oder er liegt stundenlang in der Koje und zählt. Einfach nur so.«
»Und die 20T?«
»Joule sitzt in der Zelle, unter permanenter Bewachung. Sie wurde schon mehrmals verhört, erzählt immer wieder ihre Geschichte und besteht dabei auf ihrer Unschuld.« Kris sah die 20T vor sich und schüttelte sich. »Ingstrabur hat sie untersucht. Sie ist komplett aus einem Karbonskelett gebaut. Die Innereien sind lange schon ausgetauscht. Sie war die persönliche Assistentin eines Ministers auf Automaton Prime, die eine Nachricht gelesen hatte, die nicht für ihre Augen bestimmt war«, erzählte er. »So wurde sie auf diese Mission geschickt.«
»Klar. Das hat sie dir erzählt«, fügte Faye an. »Ich nehme nicht an, dass man ihr trauen kann.«
»Ich weiß es nicht. Dass sie als Reservoir für Nuria hätte herhalten sollen, traf sie schwer. So schwer, dass sie zur Verräterin geworden ist.« Er streichelte ihre Haut und war unsagbar glücklich. »Es wird viel Wahres in ihrer Geschichte liegen. Das reine Unschuldslamm kaufe ich ihr nicht ab. Dennoch ist sie die wichtigste Zeugin für die Verhandlung gegen den 20T.«
»Die VHR wird sich das hoffentlich trauen. Am Ende knicken sie ein, wetten?«
Kris schüttelte den Kopf. »Sie muss. Es geht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ich habe kein Problem damit, zu Starlook oder einem anderen Nachrichtensender zu gehen.« Er wagte es, sich nach vorn zu beugen und ihrem Handrücken einen Kuss aufzudrücken. Eine andere Sache beschäftigte ihn jedoch. »Faye, ich komme bald wieder. Ingstrabur deutete an, dass es meinem Vater nicht gutgeht. Ich soll mich von ihm verabschieden.«
Sie nickte ihm zu und ließ seine Finger los. »Ich laufe dir nicht weg.«
Er stand auf und verließ ihr Zimmer mit den dünnen Plastikstoffwänden, winkte ihr durch den Vorhang und pries die Götter im Stillen, dass er eine Frau wie sie gefunden hatte. Keine künstlichen Pheromone der Welt würden gegen ihre Wirkung mehr ankommen. Jetzt mussten sie noch die Schlacht gegen die Collectors überstehen und Automaton Prime zur Rechenschaft ziehen. Wir haben uns noch gar nicht geeinigt, ob wir die Cortés nun nehmen oder nicht.
Kris öffnete die Schleuse und betrat die Isolationskammer.
Der Anblick seines Vaters machte ihn tief betroffen. Anatol sickerte das Blut nicht mehr nur aus den Körperöffnungen und Augen, es sammelte sich sogar auf der Haut. Er schwitzte es aus. Bot-Arme umkreisten ihn mit den typischen abrupten Bewegungen und tupften unablässig. Eine ganze Batterie Infusionsbeutel und -behälter hing über ihm, acht Schläuche führten zu ihm hinab. Die Nadeln lagen an den fixierten Armen, am Hals, sogar am Kopf. Die Haut war bleich, grau und faltig. Er sah aus wie ein Greis von achtzig Jahren und mehr; bemerkt hatte er den Besucher nicht. Anatol blickte ins Leere.
Wieder brach ein Wust von Gefühlen über Kris herein. Wut auf die Vergangenheit, weil er seine Familie im Stich gelassen hatte. Hass wegen des Verrats an der Menschheit, weil er den Samaritern, Collectors oder wie auch immer sie hießen, den Weg gezeigt hatte. Und - Mitleid.
Nein, das wirst du nicht von mir bekommen. Kris ballte die Fäuste und versuchte, sein Mitleid zu unterdrücken. Lieber wollte er sich an die seelischen Schmerzen erinnern, die ihm sein Vater zugefügt hatte, und an all das Leid, für das er die Verantwortung trug.
Es gelang ihm nicht.
Er ist schuld an dem Leid von Millionen von Menschen und dem Tod von ebenso vielen.
Kris gab nicht auf und drängte das Mitleid weg von sich, wollte Hass und Wut freien Lauf lassen.
Aber er erinnerte sich auch an die Berichte: Der Order of Technology hatte es letztlich zu verantworten, dass die Collectors abhängig von Menschenfleisch geworden waren. Nicht Anatol Lyssander. Er hatte den Fremden lediglich den schlechtesten Weg gewiesen, den man sich hatte denken können.
Früher oder später wären sie auf die Menschen gestoßen, sagte er sich. Es war ein dummer Zufall, dass er sie nach Hakup gelotst hatte. Doch so sehr Kris dies einsah und seine Wut auf seinen Erzeuger schwand, wollte ein Teil von ihm Anatol nicht verzeihen. Der Verrat an seiner Familie wog zu schwer.
»Ich danke dir«, sagte sein Vater leise und wandte sich zu ihm. »Ich danke dir, dass du zumindest versucht hast, mir zu verzeihen.«
»Du ... kannst meine Gedanken lesen?« Kris war vor Verwunderung zusammengezuckt.
»Nein. Die Wirkung des Neuroleptikums unterbindet es. Aber ich spüre deine Empfindungen.« Anatol lief das Blut über die Lippen, als gäbe es eine kleine Quelle hinter seinen gesprungenen, gelben Zähnen. Sofort surrte ein Bot-Arm heran und tupfte es weg, bevor es das Laken erreichen konnte. »Du kannst nicht ermessen, wie glücklich und erleichtert es mich macht.«
Kris trat näher, die Augen auf die Fesseln gerichtet.
»Die Anfälle wurden zu stark. Ich habe mich dabei verletzt und mir immer die Nadeln rausgerissen.« Er schluckte schwer. »Ich denke, ich werde nicht bis zur Schlacht durchhalten, Sohn.«
Das Mitleid schmolz schlagartig. »Du wirst dich nicht noch einmal vor deiner Verantwortung drücken! Du musst durchhalten!«, rief er. »Hörst du? Das bist du so vielen schuldig! Wir brauchen dich, um uns mit den Collectors zu verständigen! Wie sollen wir sonst mit ihnen verhandeln?«
»Finde deinen eigenen Weg. Denn du hast die Gabe in dir.«
»Keine Chance! Das habe ich nicht!«, gab er trotzig zurück. »So viele Sprünge durch das Interim habe ich nicht gemacht.«
»Deine Tochter, habe ich gehört, leidet an der Gen-Veränderung. Du hast es ihr vererbt, Kris. Das Gleiche, was ich dir vererbt habe«, sagte Anatol. »Du hast es abgeblockt, all die Jahre, schätze ich. Unbewusst. Aber es ist da. Du musst es zum Vorschein bringen.«
Damit ich so ende wie du? »Nein. Halte durch, Vater!«
»Ich kann es dir nicht versprechen.« Er starrte auf die Infusionen. »Was da in mich hineinläuft, sind nur noch Anti-schmerzmittel, um meine Qual einigermaßen erträglich zu halten. Das zerstörte Gehirn gaukelt mir inzwischen Wunden vor, die ich nicht habe, und foltert mich zusätzlich.« Seine Zunge wurde schwerer, er musste sich stark konzentrieren. »Es ist die Strafe der Götter, Kris. Aller Götter, die es gibt. Es ist ihre Strafe, weil ich mein Volk verraten habe. Weil ich mich für einen von denen hielt. Für einen Collector.«
»Das war wegen des Interim-Syndroms!«
Anatol schnaufte mehrmals rasch hintereinander, als wolle er Luft für die kommenden Sätze auf Vorrat in seiner Lunge einlagern. »Aber es gefiel mir, einer von ihnen zu sein«, flüsterte er. »Ein überlegenes Wesen, das sich um die Schwachen kümmert. Ich kam mir unglaublich erhaben vor.« Er hustete, und Blut sprühte empor; wieder wurde er von mechanischen Fingern schnell und gründlich gereinigt.
Ein Bot-Arm fuhr auch auf Kris zu und wischte ihm das Blut von der Jacke. Eine Wolke aus Desinfektionsmitteln hüllte ihn ein, es roch nach eisenhaltiger Zitrone.
Fiepend schlugen zwei Anzeigen Alarm, was zur Folge hatte, dass ein Bot eine neunte Injektionsnadel in den Kranken schob. Dieses Mal in den Unterschenkel. Die Flüssigkeit, die in ihn hineinlief, war braun und ölig.
Nein, er schafft es wirklich nicht mehr.
»Die Erinnerungen sind schlimmer als der Schmerz in mir«, wisperte Anatol. »Die Schuld! Ich war in meiner Verblendung und Verwirrung dabei. Auf so vielen Planeten. Ich habe mich unter die Menschen gemischt und sie ausspioniert, um den Collectors alles zu berichten. Wir haben die Städte für die Domestizierten angelegt und sie mit dem medizinischen Wissen auf den höchsten Grad der Zucht getrieben. Es gibt Menschenklon-Fabriken, die du noch gar nicht gesehen hast. Die Produkte dienten den Soldaten der Collectors als Standardfutter.«
Produkte. Kris fühlte, dass die Wut zurückkehrte, aber das Mitleid nicht erlosch. Geistlichen musste es ebenso ergehen, wenn ein Mehrfachmörder seine Beichte ablegte. Sie konnten nichts anderes tun, als dazusitzen und zuzuhören, obwohl das Grauen sie anwiderte. Er aktivierte die Aufnahmefunktion seines Kom-Geräts.
»Die Domestizierten wurden besonders verwertet. Ihr Fleisch bekamen die Höhergestellten unter den Collectors, oder man konnte es sich kaufen. Für besondere Anlässe. Gelegentlich paarten wir Klone und Domestizierte, um deren Fleischqualität aufzubessern. Hybride sind gar nicht mal schlecht, aber die Wildfänge waren besonders lecker.« Anatol leckte sich über die Lippen und hinterließ darauf eine rote Spur.
Er hat sie auch gegessen! Kris hatte verstanden, was sein Vater alles getan hatte und wie sehr er sich selbst als einen der Collectors angesehen hatte. Dass er nicht zufällig auf den Planeten gewesen war, die kurz nach seinem Abflug an die Ahumanen gefallen waren. Ich hatte also doch Recht.
Er wollte nichts mehr von all dem hören, aber er musste schweigen und es über sich ergehen lassen. Nach dem Tod der Bishopness und angesichts des bevorstehenden Endes seines Vaters war er jetzt der wichtigste Zeuge der Taten, die von den Collectors begangen worden waren.
»Die Wildfänge lebten in primitiven Hütten, außerhalb der Städte und Klonanlagen«, raunte Anatol. »Wir haben sie im Glauben gelassen, sie seien unserer Obhut entkommen. Sie lebten anders als die Domestizierten, ernährten sich anders, lebten bei Wind und Wetter im Freien. Ein unglaublicher Geschmack! Das Kilogramm kostete ...« Er verschluckte sich an seinem eigenen Blut und hustete sekundenlang, während die MedBot-Arme um ihn herumwirbelten. Danach schwieg er lange Zeit mit geschlossenen Augen.
»Siehst du?«, sagte er beschämt. »Siehst du, dass ich mich trotz des Neuroleptikums nicht davon lösen kann?«
»Das haben sie aus dir gemacht, Vater. Du wolltest es nicht. Du bist krank gewesen, und sie haben es ausgenutzt.« Kris konnte es selbst kaum glauben, dass gerade er seinen Vater verteidigte. Warum tue ich das? Mit dem Geständnis auf dem Kom-Gerät würde jedes Gericht eines jeden Planeten die Höchststrafe verhängen.
»Ich habe mitgemacht und anfangs sogar Theresa getäuscht, auf Putin, um sie in eine Falle zu locken. Die gemeinsame Flucht war inszeniert, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Die Schwachstelle an den Rüstungen der Collectors existiert nicht ...« Er schluckte. »Was ich erdulde, ist meine Strafe, an deren Ende der Tod wartet. Das erspart einem Gericht, mich zum Tode zu verurteilen. Daran dachtest du doch eben?« Er sah ihn an und versuchte ein Lächeln. »23 und ich haben einen Plan gefasst.«
»Ihr habt euch doch gar nicht getroffen, seitdem ihr...« Als er das Lächeln auf dem Gesicht seines Vaters bemerkte, wusste er, dass der von den Collectors veränderte Chemical und der Mediator ohne Worte kommunizieren konnten. »Welchen Plan?«
»Dass ihr beide glücklich werdet.«
»Ich verstehe nicht.«
Anatol zeigte mit dem Finger zum Ausgang. »Faye und du. Sie hat alles in die Wege geleitet, um dich zu retten, aber jetzt ist sie in Gefahr. Sie soll nicht...« Seine Stimme wurde schwächer, und er schloss die Lider. Die Vitalwerte wurden langsamer. Auf einem der Bildschirme stand Patient im Schlafmodus.
Was haben die beiden verabredet? Kris wusste nicht, ob er nun beruhigt oder besorgt sein sollte. Wie darf ich das verstehen? Dann fiel ihm Suede als derzeit größte Bedrohung ein. Was haben sie getan? Er hob sein Kom-Gerät und rief Laroux. »Hier spricht Kris... Kris Lyssander«, sagte er langsam, damit sie begriff, wer er war.
»Sie haben Ihren Namen geändert?«, gab sie verwundert zurück.
»Wo befindet sich der Kopf von Professor Nuria Suede?«, fragte er.
»Auf der Krankenstation bei ...« Laroux brach mitten im Satz ab. »Nein, ist er nicht! Ich bekomme keine Werte mehr von dort geliefert. Woher wissen Sie das?«
»Ich bin zu Besuch hier. Mir ist aufgefallen, dass der Behälter verschwunden ist«, log er und sah auf seinen schlafenden Vater. Deine Schuld ist bereits groß genug.
»Warten Sie. Ich lasse die Jeton rasch auf Besonderheiten überprüfen und schicke Ihnen ein paar von meinen Special Forces. Sie sollen die Krankenstation durchsuchen.« Laroux gab gedämpfte Anweisungen, dann bekam sie eine Meldung zugerufen. »Haben Sie es verstanden, Mister ... Lyssander junior?«, fragte sie ihn.
»Nein.«
»Ein kleines Rettungsschiff ist ausgedockt. Im Interim. Der Computer sagt mir, dass es eine Fehlfunktion war.« Sie klang unterschwellig wütend. »Haben Sie eine Erklärung dafür?«
Kris hatte eine, aber er würde sie nicht aussprechen. »Nein. Nicht im Geringsten.« Er sah zu seinem Vater, der im Schlaf lächelte.
Was im Interim verlorenging, kehrte niemals mehr zurück, hieß es. Es gab keine Erfahrungswerte über den grauen, mit ätzender Substanz gefüllten Raum zwischen zwei Punkten im Weltall.
»Dachte ich mir irgendwie«, erwiderte sie verstimmt. »Kommen Sie auf die Brücke, Lyssander junior.« Klick.
Dabei war die Erklärung vollkommen einfach. Laroux würde bald selbst daraufkommen. Da 23 die Cortés über eine Entfernung hinweg steuern konnte, war es ihm bestimmt möglich, auch einfache Kontrollen eines Zerstörers kurzzeitig zu übernehmen. Sie haben den Kopf an Bord des Rettungsschiffs gebracht und ihn damit im Interim ausgesetzt!
Vielleicht hatte der Chemical den Kopf selbst getragen, vielleicht hatte er einen kleinen Multifunktions-Bot dafür missbraucht. Seine Gedankenkraft erlaubte ihm viel mehr als noch zu Beginn ihres Einsatzes.
Letztlich war es gleichgültig. Die Fakten waren geschaffen worden.
Hoffentlich geht das gut! Kris verließ die Isolierstation und spähte vorsichtig durch den Vorhang, hinter dem Faye lag. Sie las auf einem Pad, nippte an einem Glas Saft und hatte die Beine angezogen. Nichts deutete darauf hin, dass der Driver bei ihr eingezogen war.
Als Kris das ankündigende Ziehen im Genick spürte, wusste er, dass die Jeton just in diesem Moment das Interim verließ.
Alles wurde gleißend weiß und dehnte sich bis weit außerhalb seines Gesichtsfelds. Die Geräusche der Überwachungsmonitore schmerzten in den Ohren, und die Übelkeit drosch ihm das Essen aus dem Magen in die Speiseröhre. In letzter Sekunde konnte er das Erbrechen unterdrücken. Rülpsend hielt er sich am Stoff fest.
Da erklang der Alarm: Die Jeton wurde sofort nach ihrem Auftauchen attackiert.