Zweite Szene
24. April 3042 a. D. [Erdzeit]

SYSTEM: UNBEKANNT

ORT: STELLARE FORSCHUNGSSTATION

SHIVA'S FORTRESS (IM BESITZ UOH EASTERN STARS,

GELEITET DURCH BANGASH INDUSTRIES)

 

Kris joggte nach dem Aufstehen durch die Cortés und klapperte ein Deck nach dem anderen ab. Den Lageplan hatte er sich auf DIN-A5 ausgedruckt und gegen den Schweiß in eine Plastikfolie gepackt. Er hatte keine Lust, das Computer-Pad mitzunehmen.

Eintausend Meter war das Schiff lang, drei gleich große Ebenen lagen übereinander, danach fächerte es im hinteren Drittel senkrecht auf. Von außen betrachtet erinnerte es grob an einen Keil.

Atmosphärenflugtauglich war es nicht, deswegen gab es drei Gleiter in verschiedenen Größen an Bord, mit denen die Crew auf Planetenoberflächen landen konnte. Kris hatte sie bereits inspiziert. Sie entsprachen den verschiedenen Simulationsmodellen, in denen er erfolgreich Flüge absolviert hatte. Auffällig fand er die überdimensionale Bewaffnung und die jeweils drei computergesteuerten Kampfdrohnen.

Gegen die Collies wird es nur bedingt helfen. Er kannte die Dossiers, die man über die gegnerischen Jäger geschrieben hatte und die einzig auf Beobachtung und der Auswertung von aufgezeichneten Gefechtsdaten stammten. Eine intakte Collie-Maschine hatte noch niemand erbeutet.

Momentan lief er auf der zweiten Ebene, in der sich die Triebwerke, Aggregaträume und Reaktoren befanden. Noch war es still. Über ihm waren heute die Gardeure und Betas eingezogen, wie er gesagt bekommen hatte; gesehen hatte er bisher keinen von ihnen.

Aus dem Seitengang tauchte plötzlich Durrick auf. Sie trug eine kurze Hose, ein Top und Turnschuhe, alles in Oliv. Zum ersten Mal sah er ihre Figur außerhalb eines Raumanzugs: sportlich, trainiert und genau richtig für eine Leibwächterin. Sie lief an ihm vorbei, nickte ihm zu.

Die Gelegenheit! »Na? Auch an Bord geschlafen?«, fragte er sie und spurtete, um auf gleiche Höhe zu gelangen.

»Nein.«

»Ah, Sie haben Ihre Schwester beschützt.« Kris hoffte, dass sie darauf einstieg. Als sie aber nichts erwiderte, redete er weiter: »Hatten Sie das ernst gemeint? Im Fahrstuhl?«

»Sicherlich.« Sie blieb stehen. Die unbedeckte Haut glänzte, Schweißflecken hatten sich auf der Kleidung ausgebreitet. »Ich weiß nicht, warum Sie bei der Unternehmung mitmachen und wie viel Tois man Ihnen im Gegensatz zu mir bezahlt, aber mich hat man verarscht. Allen voran meine Schwester«, antwortete sie genervt. »Also habe ich keinen Grund, Ihnen gegenüber freundlich zu sein. Nehmen Sie es nicht persönlich.«

Kris grinste sie an. »Wie lustig! Dann haben wir schon mal eine Gemeinsamkeit: Ich wollte auch nicht auf das Schiff.«

Jetzt wurde ihr Gesicht etwas freundlicher. »Ach?«

»Und wenn ich ehrlich bin: Ich hasse das All und das Interim. Eigentlich war ich Containerkutscher im Hort ... auf der Erde.«

»Das ist ja mal eine tolle neue Masche! BaIn rekrutiert Leute, die keine Lust haben. Und dann auch noch einen Piloten, der seinen Beruf hasst!« Sie musste lachen. »Nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Mission.«

»Wenn Sie wollen, Miss Durrick, erzähle ich Ihnen meine Geschichte. Und dann höre ich Ihre. Wie wär's?«

Sie dachte kurz nach. »Warum nicht? Wenn wir schon ein ähnliches Schicksal haben und die nächsten Wochen zusammen auf dem Schiff verbringen. Ich bin gespannt.« Sie streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Faye. Lassen wir das Miss und Mister, einverstanden?«

Kris hatte das sichere Gefühl, das Eis gebrochen zu haben, und war erleichtert. Er fand Faye nett, und wenn sie schlecht gelaunt war, wirkte sie noch hübscher. Die meisten Menschen sahen besser aus, wenn sie lachten. Nicht Faye Durrick. Die perfekte Leibwächterin. Er schlug ein. »Ich bin Kris.«

»Sehr schön!« Sie lachte und hielt die Hand fest. »Wettlauf?«

»Bis zum Lift.«

Sie lösten die Finger und rannten los.

Auch wenn sich Kris wirklich Mühe gab, sie zu überholen, die junge Frau hängte ihn bald ab. Nicht nur das: Faye stieg einfach in die Kabine und grüßte grinsend, ließ ihn im Gang stehen. »Looser«, hörte er sie noch rufen.

»Heute Abend, achtzehn Uhr Standardzeit, meine Kabine«, rief er zurück und hoffte, dass sie ihn gehört hatte. Fünf Minuten darauf war er in seiner Unterkunft mit geräumigen fünfundzwanzig Quadratmetern und einer für ein Raumschiff luxuriösen Einrichtung.

Er sprang unter die Dusche und ging im Kopf den Aufbau der Cortés durch. Das wird noch eine Woche dauern, bis ich mir alles gemerkt habe, dachte er deprimiert. Die verschiedenen Schächte und Wartungstunnel nicht mitgezählt. Kris fand es wichtig, die kleinsten Gänge und Löcher zu kennen. Man wusste nie, wozu man sie einmal brauchen konnte. 23 kennt bestimmt alles, ohne sie mühsam abzulaufen.

Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, wie genau die Gabe des Chemicals funktionierte. Ein Raumschiff hatte keine Gedanken, die man lesen konnte, was er noch halbwegs nachvollziehbar gefunden hätte. Eine gesteigerte Form von Intuition?

Dass 23 seinen Verstand schon lange verloren hatte, betrachtete er als erwiesen. Für Kris war es deswegen noch mehr Ansporn, die Cortés auf herkömmlichem Weg zu lenken. Durchs All. Das unendliche All... Agoraphobie nannte man die Angst vor leeren, freien Plätzen - gab es auch eine Bezeichnung für die Furcht vor der Weite des Universums? Bestimmt. Universumphobie? Stellaphobie?

Mach dich nicht verrückt. Er schauderte und verließ die Dusche, das Wasser schaltete sich automatisch aus. Es ist ein gutes Schiff. Du bist darin sicher. Er trocknete sich ab und setzte sich im weißen Bademantel auf das Ledersofa vor den Monitor.

In seiner rechten oberen Ecke leuchtete das Signal für einen hereinkommenden interstellaren Anruf auf, und die Ziffernkombination kannte er.

Umaia! Er nahm das Gespräch auf dem Hauptmonitor an und aktivierte die Kamera im Rahmen. Woher weiß sie, wie sie mich erreichen kann? Die Angst, dass seiner Tochter Soraya etwas zugestoßen sein könnte, sprang ihn an. Sein Magen schien Zentner zu wiegen und faustklein zu sein.

Das Bild baute sich auf, und seine Ex sah ihn an. Umaia war das, was man den Inbegriff femininer Schönheit nannte. Weiche Züge, lange Wimpern und große blaue Augen. Die blonden Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengefasst, und sie wirkte müde. »Da bist du ja«, sagte sie, ohne ihn zu grüßen.

»Wie hast du mich gefunden?«

Sie zog die Nase hoch. »Wie meinst du das? Bist du nicht zu Hause?«

Kris nickte schnell. BaIn hatte anscheinend festgestellt, wer ihn zu erreichen versuchte, und eine Umleitungsverbindung für seine ehemalige Gattin geschaltet. Abhörsicher, wie ihm die kleine Einblendung am unteren Rand sagte. »Doch, bin ich. Ist was mit der Kleinen?«

»Es...« Umaia presste die Lippen zusammen und sammelte sich, wischte sich über die Augen.

Kris wurde eiskalt. »Sag, was los ist!«, rief er aufgeregt.

»Es geht ihr gut«, schluchzte sie. Wieder musste sie sich unterbrechen.

Ich raste gleich aus! Er sah auf das Foto, das er von Soraya an der Wand hängen hatte.

Umaia räusperte sich, schnauzte sich die Nase. »Ich war mit der Kleinen beim Arzt, weil sie ständig erkältet war, und... beim Niesen ... hatte sie immer Nasenbluten.«

Kris stand kurz davor zu explodieren. »Umaia, reiß dich zusammen und sag endlich ...«

»Ihre DNA ist verändert«, rief sie wütend. Wütend auf ihn, wie ihre Augen verrieten. »Die Ärzte haben sie untersucht und die üblichen Analysen gemacht, und dabei stellte sich heraus, dass Sorayas Erbgut mutiert!«

Kris hörte den Vorwurf in ihrer Stimme und verstand ihn sogar. Der Verdacht, dass er die Verantwortung dafür trug, lag nahe: Die Langstreckensprünge, das Interim... »Ich habe mich damals testen lassen«, sagte er langsam und nahm die Schärfe aus seiner Stimme. »Meine DNA war nicht beeinträchtigt.«

»Und woher soll das Kind sonst diese Scheiße haben?«, schrie Umaia los. Sie gehörte im Gegensatz zu Faye zu den Menschen, die hässlich wurden, wenn sie sich aufregten, und Kris mochte den Anblick überhaupt nicht. Er erregte seine Abscheu.

»Wie geht es ihr?«

»Gut. Noch.«

»Haben die Ärzte gesagt, welche Auswirkungen es später auf die Kleine haben wird?« Er wollte nicht näher auf ihre Vorwürfe eingehen und sich schon gar nicht die Schuld zuschieben lassen.

Umaias Blicke feuerten pausenlose Salven der Anklage gegen ihn. »Sie können es nicht sagen. Wir müssen abwarten, sagen sie. Sie liegt im Krankenhaus, auf Zokal II.« Ihre Stimme zitterte. »Kris, wir haben damals gesagt, dass wir kein behindertes Kind haben wollen.«

»Soraya wird nicht behindert sein«, erwiderte er schwach.

Umaia sah weg. »Ich kann das nicht, Kris. Ich würde es nicht ertragen, wenn aus meiner lebendigen, süßen Tochter ein ... keine Ahnung. Ein Mutant wird. Oder wenn sie Krebs bekommt oder...« Sie weinte wieder.

Eine Sache hatte sie geschafft: Kris fühlte sich dennoch schuldig. Und er konnte sie nicht einmal besuchen, weil die Mission begann. »Ich bin bald wieder zurück, und dann reden wir.«

»Zurück?« Sie schaute ihn wieder an. »Wie meinst du das?«

»Neuer Job auf Speichereinheit III«, log er. »Ich muss ein bisschen reisen.« Sie konnte vor ihm nicht verbergen, dass die schlechten Nachrichten noch nicht beendet waren. »Sollte ich noch was wissen?«

»Die Versicherung bezahlt nur die Hälfte der Kosten, weil sie glauben, die Wahrscheinlichkeit sei sehr groß, dass du der Auslöser für Sorayas Mutation bist«, sagte sie und klang wieder erbost. »Ich kann es mir nicht leisten, in Vorlage zu treten. Sie sagten, wenn das Geld nicht bald überwiesen wird, müssen sie die Kleine nach Hause schicken.« Sie atmete schnell, hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Sie wollen zwanzigtausend Terracoins.«

Kris hatte schon lange beschlossen, seine Kosten auf BaIn abzuwälzen, auch wenn es bedeutete, dass er seinen Vertrag verlängern musste. Er brauchte das Geld. Soraya brauchte es. »Hör mal, Umaia. Ich habe gute Kontakte zu einem Unternehmen, das DNA-Cleanings vornehmen kann«, sagte er betont, um ihr die Angst zu nehmen. »Ich kann mit ihnen sprechen und einen Termin für die Kleine vereinbaren.«

Jetzt sah Umaia ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Spinnst du? Weißt du, was das kostet? Hast du eine Fuhre Gold bei deinem Job auf die Seite geschafft, oder wie willst du an das Geld kommen?«

Die Gier in ihrer Stimme gefiel ihm nicht. »Ich überweise dem Krankenhaus das Geld, damit sie Soraya behalten, bis ich mehr von dem Unternehmen weiß«, sagte er. »Schick mir die genaue Anschrift und die Rechnung sowie den Ansprechpartner. Ich will mit ihm sprechen.«

»Es wäre einfacher, wenn du es mir überweist.«

Damit du es ausgeben kannst? Kris schüttelte den Kopf. »Schick mir die Infos«, wiederholte er.

Ihr Gesicht wurde wieder hässlich, dann wurde die Verbindung unterbrochen.

Er starrte auf den Bildschirm, auf dem nun das normale TV-Programm erschien. Starlook strahlte die Action-Serie Dam'n Collie die! über den Kampf gegen die Collectors aus: Ein Justifier-Veteran wurde darin zum Helden stilisiert, der sich einen Kleinkrieg mit den Collies auf seinem Heimatplaneten lieferte.

Kris wusste, dass alles, was er sah, frei erfunden war.

Niemand war von einem Planeten entkommen, der den Fremden gehörte, weder mit einem Raumschiff noch durch ein TransMatt-Portal. Niemand hatte jemals einen Blick auf die Welten werfen können, die unter die Obhut gefallen waren. Keinerlei Kommunikation nach außen. Der Schutz war umfassend.

Eben erschoss der Held einen Collie. In der geknackten Rüstung kam ein Wesen zum Vorschein, das an einen Beta erinnerte, in dessen Aussehen man aber noch etliche andere Wesen eingearbeitet hatte.

Auch das war frei erfunden.

Die Realität: Wenn es gelungen war, einen Collector zu erwischen, dann brannten die Rüstungen von selbst aus und zerstörten sich komplett, samt Inhalt, und wurden zu einem brodelnden Klumpen Metall.

Tja. Kris schaltete auf Auto-Zapping, nahm das Computer-Pad zur Hand und schrieb Professor Huntington-Singh eine Nachricht. Er bat um die Übernahme der Behandlungskosten für seine Tochter und fragte nach einem Weg, wie die Mutation zum Stoppen gebracht werden konnte. Kris wusste, dass er eine Hydra weckte. Mutation, ein junges Mädchen mit beginnendem Interim-Syndrom, daraus würde ein Unternehmen größtmöglichen Nutzen ziehen. Eine Alternative dazu sah er nicht.

Die Programme rauschten im Zehn-Sekunden-Takt vorbei, die Geräusche, Töne, Musik und Stimmen der verschiedenen Sendungen mischten sich zu einem absurden Hörspiel. Kris hob nur einmal den Kopf, als ein unbekannter Reporter von FreePress einen Mann vom Erzabbauplaneten Dynamo interviewte, der begrüßte, was die Collectors taten. »Sollen sie zu uns kommen! Uns würde es auf dem Drecksloch allen besser gehen, wenn sich jemand um uns kümmert!«, polterte er los.

»Obhut wäre das Beste, was uns...« Zapp, und eine Verkaufsshow für Landparzellen auf Green Freya erschien.

Wie viele Menschen wie ihn gibt es wohl?Die Verlierer einer Gesellschaft waren am ehesten bereit, Veränderungen zu folgen, weil sie sich eine Verbesserung des eigenen Lebens versprachen. Kris fragte sich, wie verzweifelt man sein musste, um die Obhut herbeizuwünschen. Doch die Collectors suchten ihre Planeten selbst aus und erfüllten keine Hoffnungen.

Er sandte die Nachricht an Huntington-Singh ab und las gerade die Mail seiner Ex auf dem Monitor, die ihm kommentarlos die Informationen zum Krankenhaus gesandt hatte, als sich ohne seine Bestätigung eine Verbindung öffnete, das TV-Programm schaltete sich aus.

Die Leiterin der Forschungsstation erschien auf dem Bildschirm. »Hallo, Mister Schmidt-Kneen. Danke für Ihre Nachricht«, sagte sie freundlich. »BaIn wird sich gern um das Wohl Ihrer Tochter kümmern. Geben Sie uns eine Vollmacht, und wir nehmen Kontakt zu der behandelnden Einrichtung auf.«

»Ich spreche mit der Mutter«, antwortete er. »Sie wird einwilligen, wenn sie hört, dass es sie nichts kostet. Sie können meiner Tochter helfen?«

»Sicher. Und das verspreche ich Ihnen, noch bevor ich die Akte und Befunde gelesen habe.« Huntington-Singh lehnte sich in ihren Sessel. »Eines unserer Tochterunternehmen hat zahlreiche Erfolge vorzuweisen, gerade wenn die Mutationen Kinder betreffen. Sie sind robuster als man annimmt. Die Natur hat sie dazu erschaffen, viel einstecken zu können.«

Kris hatte die schreckliche Vision seiner Tochter, die mit Schläuchen, Sonden und neuronalen Interfaces vollgestopft in einem Quarantänekasten lag, während Wissenschaftler sich um sie scharten und gafften, sie als Besonderheit feierten.

Die Professorin schien die Sorge in seinem Gesicht zu lesen. »Halten Sie uns nicht für Monster«, sagte sie. »Wir wissen, dass wir es mit einem unschuldigen Leben zu tun haben. Ich gebe Ihnen schriftlich, dass wir Ihre Tochter nicht für Experimente missbrauchen. Durch die Behandlung fallen genügend Erkenntnisse für die Forschungsabteilung ab. Sie können sich voll und ganz auf die Mission konzentrieren.«

Er kniff den Mund zusammen. »Gut.« Er leitete Umaias Mail an sie weiter. »Danke.«

Sie zeigte ein Haifischlächeln. »Wir sind nicht selbstlos, Mister Schmidt-Kneen. Das kostet Sie einige Jahre im Dienst von BaIn. Die Modalitäten gehen Ihnen heute noch zu.« Sie hob die Hand zum Gruß und schaltete ab.

Pinhead wäre ein guter Spitzname für sie. Kris erhob sich und trat zu dem kleinen Vorratsschrank, wählte eine Flasche Rotwein und öffnete sie. Das hatte er sich verdient, auch wenn es noch früh am Tag war und er etliche Runden durch die Cortés vor sich hatte.

Nach einer weiteren Nachricht an seine Ex, in der er um die Vollmacht bat, und einem Glas Wein machte er sich wieder auf den Weg. Gang um Gang, Schacht um Schacht, Raum für Raum ging und kroch er durch das Schiff.

Doch seine Gedanken waren bei Soraya; richtig merken konnte er sich keine der gelaufenen Routen.

Erschöpft kehrte er in seine Kabine zurück und fühlte sich nicht in der Lage, ein guter Unterhalter zu sein. Er sagte Faye für den Abend ab. Nur er und die Couch.

Nach anderthalb geleerten Flaschen Wein brachte Starlook eine neue Meldung über den neuesten Schlag der Collectors.

Kris richtete sich unbeholfen auf und erhöhte die Lautstärke.

Was er sah, hielt er zunächst für eine Simulation: Die Kamera zeigte einen schwarz verkrusteten Planeten mit wenigen hellen Flecken darauf.

Es folgte ein Schnitt, und dann befand man sich auf der Oberfläche der Welt, die in einen Feuersturm geraten schien.

Ein Mann in einem knallroten Raumanzug schritt durch die Szenerie, wirbelte Asche auf und ließ eine Handvoll davon theatralisch zu Boden rieseln. Um ihn herum gab es nichts, kein Hindernis verbaute den Blick zum Horizont. Eingeblendet wurde Salvador »Vador« M. Ransom, Sternenreporter.

»Das sind erschütternde Bilder von Betterday, einst ein deutscher FEC-Planet, der die Gen-Optimierung und Aufzucht von Beta-Humanoiden verfolgte«, drang Vadors betroffene Stimme aus dem Off. »Hier arbeiteten zehntausend Wissenschaftler im Dienst des Unternehmens KrEArtifical, eines Tochterunternehmens des Konzerns SternenReich. Einem Unternehmenssprecher nach lebten hier um die vierhundert Millionen Beta-Humanoide der unterschiedlichsten Gattungen, die teils in wilder Zucht entstanden, teils unter Laboraufsicht in Tanks entworfen wurden.«

Nun wurden Gebäudetrümmer gezeigt. Alles war verbrannt, mit Ruß überzogen, und mittendrin hopste der rote Vador umher.

»Diese Ruinen und Asche sind alles, was von der Natur, den Menschen und Beta-Humanoiden sowie den Einrichtungen übrig geblieben ist, nachdem Betterday vor zwei Standardtagen Besuch von den Collectors erhielt.« Das Bild zoomte heran und zeigte Vadors ernst-seriöses Gesicht. »Satelliten zeichneten auf, was sich ereignete. Wir senden dies ohne Kommentar und ohne Musik.«

Wieder ein Schnitt, zurück in den Weltraum.

Die Kamera war auf die Oberfläche der Welt gerichtet. Kris sah dünne Wolken, darunter konnte er die Umrisse eines Kontinents ausmachen. Es musste zur Zeit der Aufzeichnung schönes Wetter auf diesem Teil des Planeten geherrscht haben.

Plötzlich schob sich der Teil eines Raumschiffs der Hough-Klasse ins Bild. Die Kamera schwenkte darüber, so gut es ging, und zeigte die charakteristische Torpedo-Keil-Form. Vordere Luken öffneten sich, und ein schier endloser Schwärm aus Raketen und satellitenähnlichen Gebilden ergoss sich daraus: kleine, große, vollkommen verschiedene Typen. Sie tauchten als ein dicker Strahl in die Atmosphäre ein.

Kris hatte zuerst angenommen, sie würden im Boden einschlagen, doch sie schwärmten aus, und der Pulk löste sich auf. Tausende Abgasstrahlen legten ein weitmaschiges Netz über Betterday.

»Zu diesem Zeitpunkt«, kommentierte Vadors Off-Stimme, »erreichte die Bodenkontrolle der knappe Funkspruch, dass Menschen, und zwar ausschließlich Menschen, dreißig Minuten Zeit hätten, den Planeten zu verlassen und sich in die Obhut zu begeben.«

Die Zeit lief unten eingeblendet mit.

Nach elf Minuten kamen die ersten Gleiter von der Oberfläche angeflogen und hielten auf die Hough-Klasse zu. Sie verschwanden aus dem Blickwinkel der Kamera, dann wurde die Aufzeichnung in schnellem Vorwärtslauf gezeigt. Kris zählte trotz seines benebelten Verstands nicht mehr als fünf kleinere Raumer. Aufgrund der knappen Evakuierungsvorgabe schätzte er, dass sich höchstens eintausend Wissenschaftler gerettet hatten.

Gerettet kann man so nicht sagen. Wer weiß, was die Collies mit ihnen anstellen.

Bei Minute 29.55 lief die Geschwindigkeit wieder normal. »Wir senden dies ohne Kommentar und ohne Musik.«

Pünktlich bei 30 entstanden viele kleine rotgelbe Punkte in unregelmäßigen Abständen in der Atmosphäre, die mehr und mehr wurden und sich ausbreiteten, bis der Kontinent und die Wolken verschwunden waren. Die Kamera zoomte näher.

»Flammen«, murmelte Kris gebannt. »Odin und Osiris!«

Ohne Experte zu sein, hatten ihm die Aufnahmen gezeigt, was die Collectors mit Betterday angerichtet hatten: Mit irgendeiner Substanz hatten sie den Sauerstoff in der Atmosphäre entzündet. Wenn er sich nicht sehr täuschte, hörte er vielstimmiges Tierjaulen und -geheul aus der Schiffsebene über ihm. Die Beta-Humanoiden ihrer Justifier-Einheit sahen offenbar das gleiche Programm.

Nach einer Minute wurde erneut vorgespult.

Das Feuer tobte unglaublich lange.

Kris musste absurderweise an eine Schneekugel denken. Diese antiken kitschigen Halbkugeln, die damals aus Plastik gemacht waren, in deren Inneren sich Flüssigkeit und Flitter oder weiße Plastikschnipsel befanden, um Schnee vorzutäuschen. Genau daran erinnerte es: eine Schneekugel, in die man brennendes Plasma gefüllt hatte.

Nach vier Stunden, sagte die Zeitangabe, verloschen die Flammen. Zurück blieb schwarzgrauer Rauch, der gefangen in der Atmosphäre umherwaberte.

Gott, da unten will ich nicht gewesen sein. Die Collectors hatten klargemacht, was in ihren Augen keine schützenswerte Rasse war. In ihren Botschaften war immer die Rede davon, dass sie die Menschen vor der Veränderung ihrer DNA schützen wollten. Beta-Humanoide mussten nach ihrem Verständnis das Schlimmste sein, was es gab.

Aber die Collectors waren noch nicht am Ende.

Aus den Luken flog ein stadiongroßer Kubus, der rotierend in den Qualm eintauchte. Es dauerte im Vorlaufmodus weitere vier Stunden, und der Rauch verließ den Planeten! Erste Schlieren streckten sich zögernd in den Weltraum hinaus.

»Experten gehen davon aus, dass die Collectors über Methoden verfügen, die die herkömmlichen Atmosphärenschichten auflösen können«, ertönte Vadors Off-Stimme. »Nach Vorlage der Satellitenbilder durch die FEC haben sich die Vereinten Humanen Raumfahrtnationen zu einem dringlichen Sicherheitstreffen noch in dieser Standardwoche verabredet.« Vador wurde wieder in seinem roten Raumanzug sichtbar. Die Kamera hielt unvermittelt auf seine Züge, und noch immer zeigte der Reporter Erschütterung. »Der Aufbau der Verteidigungsflotte wird vorangetrieben, wie ein Sprecher der VHR mitteilte. Unseren Informationen zufolge werden an einem geheimen Ort bereits erste Schiffe zusammengezogen. Gleichzeitig hat die Evakuierung von den Forschungsplaneten begonnen, die sich mit Aufzucht und Ausbildung von Beta-Humanoiden in großem Stil beschäftigen. Das war Salvador M. Ransom, Sternenreporter.« Der Bericht endete.

Kris atmete durch. Unvermittelt war die Obhut nicht mehr eine Bedrohung, sondern eine Drohung.

Jeder, der diese Bilder auf Starlook gesehen hatte, wusste, was Atmosphärenwelten geschehen konnte, wenn sie nicht den Ansprüchen der Fremden genügten oder sich gar der Obhut widersetzten.

Und natürlich dachte Kris sofort an seine kleine, süße Tochter. Mit ihrer mutierenden Erbsubstanz ...

Ausschuss für die Collies! Ihm wurde schlecht, und das lag nicht nur am Rotwein.

 

Collector
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