10
 
All Euer gefürchtet Wohlgefallen
 
Der Himmel drohte uns mit trübem Morgengrau, als wir Burg Albany erreichten. Die Zugbrücke war oben.
»Wer wandelt dort?«, rief die Wache.
»Hier ist Pocket, des Königs Narr, mit seinem Recken Caius!« Caius war der Name, den die Hexen Kent gegeben hatten, um den Zauber an ihn zu binden. Sie hatten ihn verjüngt: Bart und Haare waren rabenschwarz, wie von Natur aus, nicht vom Ruß, das Gesicht war schmal und wettergegerbt, nur seine Augen – braun und sanft wie die einer Milchkuh – verrieten den wahren Kent. Ich empfahl ihm, die breite Krempe seines Hutes ins Gesicht zu ziehen, falls wir alte Bekannte treffen sollten.
»Wo, zum Teufel, wart Ihr?«, rief der Wachmann. Er gab Zeichen, und die Brücke kam herunter. »Der alte König hat die ganze Grafschaft auf den Kopf gestellt, um Euch aufzutreiben. Hat sogar unsere Herrin beschuldigt, sie hätte Euch mit einem Stein um den Hals in die Nordsee werfen lassen.«
»Das gibt einem doch zu denken. Offenbar bin ich in ihrer Achtung gestiegen. Gestern Abend noch wollte sie mich nur hängen sehen.«
»Gestern Abend? Schluckspecht, elender! Wir suchen Euch seit einem Monat!«
Ich sah Kent an und er mich, dann wir die Wache. »Seit einem Monat
»Verfluchte Hexen …«, raunte Kent mir zu.
»Sobald Ihr auftaucht, sollen wir Euch zu unserer Herrin bringen«, sagte der Wachmann.
»Oh, bitte, seid so gut, edler Wächter! Eure Herrin sieht mich doch besonders gern gleich am frühen Morgen!«
Der Wachmann kratzte sich am Bart und schien zu überlegen. »Hübsch gesprochen, Narr. Vielleicht könntet ihr zwei ein kleines Frühstück und frisches Wasser im Gesicht gebrauchen, bevor ich euch zu meiner Herrin bringe.«
Mit dumpfem Schlag setzte die Zugbrücke auf. Ich führte Kent hinüber, und die Wache nahm uns am Innentor in Empfang.
»Ich bitte um Verzeihung, Sir«, sagte der Wachmann und richtete seine Worte an Kent. »Ihr hättet doch nichts dagegen, bis zum achten Glockenschlag zu warten, um erst dann des Narren Heimkehr zu verkünden, oder?«
»Wenn deine Wache beendet ist, mein Freund?«
»Aye, Sir. Ich weiß nicht, ob ich der Überbringer der freudigen Botschaft sein möchte, dass der vermisste Narr wieder da ist. Des Königs Ritter haben vierzehn Tage aller Welt die Hölle heiß gemacht, und ich hörte, wie unsere Herrin den Schwarzen Narren als einen der Gründe dafür nannte.«
»Beschuldigt, sogar noch in Abwesenheit?«, sagte ich. »Ich hab es Euch gesagt, Caius, sie betet mich an.«
Kent klopfte dem Wachmann auf die Schulter. »Wir eskortieren uns selbst, mein Freund, und sagen deiner Herrin, wir seien am Morgen mit den Händlern hereingekommen. Und nun zurück auf deinen Posten!«
»Danke, Sire. Wärt Ihr nicht so grob gekleidet, hielte ich Euch für einen feinen Herrn.«
»Wäre ich nicht so grob gekleidet, wäre ich auch einer«, sagte Kent breit grinsend mit seinem frisch geschwärzten Bart.
»Meine Fresse! Möchtet ihr euch vielleicht gegenseitig am Pimmel nuckeln? Dann hätten wir es hinter uns«, sagte ich.
Die beiden Soldaten schreckten voreinander zurück, als stünde der andere in Flammen.
»Tut mit leid, war nur ein Spruch«, sagte ich, als ich an ihnen vorbei in die Burg scharwenzelte. »Ihr Schwuchteln seid aber auch empfindlich...«
 
 
»Ich bin keine Schwuchtel«, sagte Kent, als wir uns Gonerils Gemächern näherten.
Vormittag. In der Zwischenzeit hatten wir essen, etwas schreiben und feststellen können, dass wir tatsächlich über einen Monat weg gewesen waren, obwohl es uns nur wie eine Nacht vorkam. Ob das der Lohn der Hexen war? Einen Monat aus unserem Leben herauszulösen, im Tausch gegen Zauberei und Prophezeiungen – der Preis schien mir nicht überhöht, wenn auch scheißschwierig zu erklären.
Oswald saß an einem Sekretär vor der Tür zu den herzoglichen Gemächern. Ich lachte und schwenkte Jones vor seiner Nase.
»Immer noch Türsteher wie ein gewöhnlicher Lakai, Oswald? Ach, die Jahre waren gut zu dir!«
Oswald trug nur einen Dolch im Gürtel, kein Schwert, doch er griff sogleich danach und stand auf.
Kents Hand fuhr zu seinem Schwert, und er schüttelte den Kopf. Oswald sank auf seinen Stuhl.
»Ich darf Euch mitteilen, dass ich sowohl Verwalter und Kastellan als auch Vertrauter und Berater der Herzogin bin.«
»Da hat sie dir aber einen veritablen Köcher voller Titel umgehängt. Sag, hörst du auch noch auf ›Büttel‹ und ›Kriecher‹, oder sind das inzwischen nur noch Ehrentitel?«
»Alles besser als ›gemeiner Narr‹«, spie Oswald aus.
»Stimmt, ich bin ein Narr, und es stimmt wohl auch, dass ich gemein bin, doch bin ich kein gemeiner Narr, Büttel. Ich bin der Schwarze Narr, man hat nach mir gerufen, und man wird mich in die Gemächer deiner Herrin lassen, während du – Narr – vor der Tür sitzt. Melde mich an!«
Ich glaube, da knurrte Oswald. Ein neuer Trick, den er seit damals gelernt hatte. Von jeher hatte er mich mit meinem Titel kränken wollen und geschäumt, weil ich ihn stets als Ehrung sah. Würde er wohl je begreifen, dass Goneril ihm nicht wegen seiner Schleimerei gewogen war, sondern weil man ihn derart problemlos kränken konnte? Gut, vermutlich hatte er das Knurren geübt, hündisch wie er war.
Er schob sich durch die schwere Tür, dann kam er eine Minute später wieder heraus. Er würdigte mich keines Blickes. »Mylady wird Euch nun empfangen«, sagte er. »Aber nur Euch. Dieser Rüpel dort kann in der Küche warten.«
»Warte hier, Rüpel«, sagte ich zu Kent. »Aber tu mir einen Gefallen: Popp den armen Oswald nicht, sosehr er auch drum betteln mag!«
»Ich bin keine Schwuchtel«, sagte Kent.
»Zumindest nicht bei diesem Schurken hier«, sagte ich. »Sein Arsch gehört der Prinzessin.«
»Ich werde dafür sorgen, dass du hängst, Narr«, sagte Oswald.
»Die bloße Vorstellung erregt dich, was, Oswald? Egal, meinen Rüpel kriegst du nicht. Adieu
Damit spazierte ich durch die Tür in Gonerils Gemächer. Sie saß am Ende einer Halle. Ihre Räume nahmen einen ganzen Turm der Burg ein. Drei Etagen: diese für Sitzungen und Geschäftliches, im Stock darüber sicher Kammern für ihre Damen, ihre Garderobe, zum Baden und Bekleiden, und ganz oben befand sich zweifellos die Kemenate für Schlaf und Spaß, falls sie überhaupt noch Spaß hatte.
»Hast du denn noch Spaß, mein Bärchen?«, fragte ich. Ich tanzte einen kleinen Jig und verneigte mich.
Mit knapper Geste schickte Goneril ihre Damen hinaus.
»Pocket, ich lasse dich...!«
»Ja, ja, ich weiß: bei Sonnenaufgang hängen, meinen Kopf auf einen Spieß, die Eingeweide als Strumpfband, gevierteilt, gepfählt, geschlitzt, ausgepeitscht, zu Wurst und Püree verarbeitet – all Eure dunklen Lüste sollen mit grandioser Grausamkeit auf mich herniederkommen. Ganz nach Belieben, Mylady, pflichtschuldig notiert und für wahr befunden. Nun, womit kann Euch ein schlichter Narr dienlich sein, bevor sein letztes Stündlein schlägt?«
Sie verzog den Mund, als wollte sie murren, dann prustete sie los und sah sich eilig um, ob jemand sie gesehen hatte. »Das werde ich auch tun... du schrecklicher, böser, kleiner Mann.«
»Böse? Moi?«, sagte ich in geschliffenem Froschfresserisch.
»Behalt’s für dich«, sagte sie.
So war es schon immer mit Goneril gewesen. Ihr »Behalt’s für dich« galt allerdings nur für mich, nicht für sie, wie ich hatte feststellen müssen.
 
»Pocket«, hatte sie einmal gesagt, während sie ihr rotgoldenes Haar an einem Fenster bürstete und das Sonnenlicht darauf fiel, als leuchtete sie innerlich. Damals war sie etwa siebzehn Jahre alt gewesen und hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, mich mehrmals wöchentlich in ihre Gemächer zu bestellen, um mich gnadenlos auszufragen.
»Pocket, ich soll bald heiraten, und das männliche Ding ist mir ein Rätsel. Ich habe gehört, wie jemand es beschrieb, aber das nützt mir nichts.«
»Fragt Eure Amme! Sollte sie Euch so was nicht erklären?«
»Tantchen ist Nonne, vermählt mit Jesus. Eine Jungfer.«
»Was Ihr nicht sagt. Da war sie wohl im falschen Kloster.«
»Ich muss mit einem Mann sprechen, nur nicht mit einem echten Mann. Du bist wie einer von diesen Burschen, die bei den Sarazenen den Harem bewachen.«
»Ein Eunuch?«
»Siehst du? Du bist welterfahren und weißt von diesen Dingen. Ich muss deinen Lümmel sehen.«
»Bitte? Was? Wie?«
»Denn ich habe noch nie einen gesehen, und ich möchte in meiner Hochzeitsnacht nicht als naiv dastehen, wenn der verkommene Grobian mich schändet.«
»Woher wisst Ihr, dass er ein verkommener Grobian ist?«
»Tantchen hat es mir erzählt. Alle Männer sind so. Also, heraus mit deinem Lümmel, Narr!«
»Warum mein Lümmel? Es gibt doch reichlich Lümmel, die Ihr Euch ansehen könntet. Was ist mit Oswald? Unter Umständen hat er sogar einen, aber im Zweifel weiß er bestimmt, wo man einen bekommen kann.« Oswald war damals schon ihr Lakai.
»Ich weiß, aber es wird mein Erster sein, und deiner ist ganz sicher klein und nicht so beängstigend. Es ist wie damals, als ich reiten lernte und Vater mir erst ein Pony gab, aber dann, als ich älter wurde …«
»Na, meinetwegen. Wenn Ihr dann Ruhe gebt. Hier.«
»Ach, sieh mal einer an!«
»Was?«
»Das war es schon?«
»Ja. Wieso?«
»Dann muss man sich davor ja wohl nicht fürchten, oder? Ich weiß gar nicht, was der ganze Aufstand soll. Er ist doch eher ein wenig Mitleid erregend, wenn du mich fragst.«
»Ist er nicht.«
»Sind alle so klein?«
»Die meisten sind kleiner.«
»Darf ich ihn mal anfassen?«
»Wenn es sein muss …«
»Jetzt sieh sich das mal einer an!«
»Seht Ihr, jetzt habt Ihr ihn erzürnt...«
 
 
»Wo, in Gottes Namen, warst du?«, sagte sie. »Vater hat vor Sorge um dich fast den Verstand verloren. Jeden Tag war er bis in den Abend mit seinem Hauptmann auf Patrouille und ließ seine marodierenden Ritter in der Burg zurück. Der Herzog hat Soldaten bis nach Edinburgh geschickt, um dort nach dir zu suchen. Ich sollte dich ertränken lassen, für den Ärger, den du uns bereitest.«
»Ihr habt mich vermisst, was?« Ich hielt den seidenen Beutel an meinem Gürtel fest und überlegte, wann ich den Zauber wohl am besten losließ. Und wenn sie erst verzaubert war – wie wollte ich meine Macht dann nutzen?
»Eigentlich sollte sich Regan längst um ihn kümmern, aber bis er seine verfluchten hundert Ritter bis ganz nach Cornwall geschafft hat, bin ich schon wieder an der Reihe. Ich kann den Pöbel in meinem Palast nicht mehr ertragen.«
»Was meint Lord Albany dazu?«
»Er meint, was ich ihm sage. Es ist absolut unerträglich.«
»Gloucester«, sagte ich und bot ihr das Paradebeispiel eines Paradoxons, gewandet in ein Rätsel.
»Gloucester?«, fragte die Herzogin.
»Dort lebt des Königs alter Freund. Es liegt auf halbem Wege zwischen hier und Cornwall, und der Graf von Gloucester wird nicht wagen, sich dem Wunsch der Herzöge von Albany und Cornwall zu widersetzen. Ihr würdet den König nicht unversorgt lassen, hättet ihn jedoch auch nicht ständig um Euch.« Da mich die Hexen gewarnt hatten, dass Drool dort in Gefahr sei, war ich wild entschlossen, alles Übel auf Gloucester niederregnen zu lassen. Ich setzte mich ihr zu Füßen auf den Boden, legte Jones quer auf meine Knie und wartete, die Puppe und ich beide fröhlich grinsend.
»Gloucester …«, sagte Goneril, und ein leises Lächeln sickerte hervor. Sie war wirklich süß, wenn sie vergaß, grausam zu sein.
»Gloucester«, sagte Jones, »der Hundehoden aus West-Engelland.«
»Meinst du, Vater lässt sich darauf ein? So hat er sein Erbe doch nicht bestimmt.«
»Er wird sich nicht auf Gloucester einlassen, aber darauf, über Gloucester zu Regan zu gelangen. Der Rest liegt dann an Eurer Schwester.« Hätte ich mich wie ein Verräter fühlen sollen? Nein, der Alte hatte es sich selbst zuzuschreiben.
»Aber wenn er nicht einwilligt, wo er doch all diese Ritter hat?« Jetzt sah sie mir in die Augen. »Zu große Macht in schwachen Händen.«
»Und doch hatte er vor kaum zwei Monaten alle Macht im Königreich.«
»Du hast ihn nicht gesehen, Pocket. Sein Vermächtnis und Cordelias und Kents Verbannung waren erst der Anfang. Nachdem du weg warst, wurde es immer schlimmer. Er sucht nach dir, er geht zur Jagd, eben räsoniert er noch über seine Zeit als Soldat in Gottes Diensten, im nächsten ruft er die Götter der Natur. Mit einer Truppe dieser Größe … Wenn er das Gefühl bekäme, wir wollten ihn hintergehen...«
»Nehmt sie ihm«, sagte ich.
»Wie? Das kann ich nicht.«
»Habt Ihr Drool gesehen, meinen Lehrling? Er isst mit den Händen oder einem Löffel. Wir wagen nicht, ihm Messer oder Gabel zu geben, damit er niemanden gefährdet.«
»Tu nicht so beschränkt, Pocket! Was wird mit Vaters Rittern?«
»Ihr bezahlt sie? Nehmt sie ihm! Zu seinem eigenen Besten. Mit seinen Rittern ist Lear wie ein Kind mit einem Schwert. Seid Ihr grausam, ihn einer tödlichen Waffe zu entledigen, wenn er doch weder stark genug, noch klug genug ist, sie zu führen? Sagt Lear, er müsse fünfzig seiner Ritter und deren Knappen entlassen, und behaltet sie hier! Sagt ihm, sie stünden ihm voll und ganz zur Verfügung, wenn er bei Euch weilt!«
»Fünfzig? Nur fünfzig?«
»Ihr müsst auch Eurer Schwester welche lassen. Schickt Oswald mit Eurem Plan nach Cornwall. Lasst Regan und Cornwall nach Gloucester eilen, damit sie bei Lears Ankunft dort sind. Vielleicht können sie Gloucester ins Gebet nehmen. Wenn Lears Ritter entlassen sind, können die beiden Weißbärte in ihrer glorreichen Vergangenheit schwelgen und gemeinsam in nostalgischer Verklärung dem Grab entgegenkriechen.«
»Ja!« Goneril war atemlos, aufgeregt. Das hatte ich schon erlebt. Es war nicht immer ein gutes Zeichen.
»Schnell!«, sagte ich. »Schickt Oswald zu Regan, solange die Sonne hoch am Himmel steht!«
»Nein!« Abrupt beugte sich Goneril vor, sodass ihre Brüste beinah aus dem Kleid schwappten, was meine Aufmerksamkeit weit mehr gefangen nahm als der Umstand, dass sie mir die Fingernägel in den Arm grub.
»Was?«, sagte ich, während die Glöckchen an meiner Narrenkappe fast ihr Dekolleté26 bebimmelten.
»Lear wird in Gloucester keinen Frieden finden. Hast du nicht gehört? Edgar, der Sohn des Herzogs, ist ein Verräter.«
Ob ich davon gehört hatte? Ob ich davon gehört hatte? Natürlich – des Bastards Plan! »Natürlich, Mylady. Was glaubt Ihr, wo ich war?«
»Du warst ganz in Gloucester?« Inzwischen keuchte sie.
»Aye. Und wieder zurück. Ich habe Euch auch etwas mitgebracht.«
»Ein Geschenk?« Entzückt sah sie mich an, mit diesen großen, graugrünen Augen, die sie schon als kleines Mädchen gehabt hatte. »Vielleicht knüpfe ich dich doch nicht auf, aber deiner Strafe wirst du nicht entgehen, Pocket!«
Dann packte sie mich und zog mich auf ihren Schoß, mit dem Gesicht nach unten. Jones rollte neben mir zu Boden. »Mylady, vielleicht...«
Klatsch! »Da hast du es, Narr! Ich hau dich, hau dich, hau dich! Gib her, gib her, gib her!« Ein Schlag mit jedem Jambus 27.
»Teufel auch, verrücktes Weibsbild!« Ich zappelte. Mein Arsch brannte.
Klatsch! »Oh, mein Gott«, stöhnte Goneril. »Ja!« Schon wand sie sich unter mir.
Klatsch!
»Autsch! Es ist ein Brief! Ein Brief«, sagte ich.
»Ich will deinen kleinen Hintern rot wie eine Rose sehen!«
Klatsch!
Ich strampelte auf ihrem Schoß, drehte mich um, packte ihre Brüste und zog mich hoch, bis ich auf ihren Knien saß. »Hier!« Ich holte ein Stück Pergament aus meinem Wams und hielt es ihr hin.
»Noch nicht!«, sagte sie und versuchte, mich herumzurollen, um mir weiter den Hintern zu versohlen.
Sie piekte meinen Hosenbeutel.
»Ihr habt meinen Hosenbeutel gepiekt.«
»Aye, gib auf, Narr!« Sie versuchte, ihre Hand darunterzuzwängen.
Ich griff in das Seidensäckchen und holte einen der Wolfsfürze hervor, während ich versuchte, meine Männlichkeit von ihr zu retten. Ich hörte eine Tür.
»Heraus mit dem Lümmel«, sagte die Herzogin.
Da hatte sie ihn, und ich konnte nichts dagegen tun. Ich zerdrückte den Wolfsfurz unter ihrer Nase.
»Mit besten Grüßen von Edmund aus Gloucester«, sagte ich.
»Mylady?«, sagte Oswald, der in der Tür stand.
»Lass uns runter, Bärchen!«, sagte ich. »Der Schleimer soll seinen Auftrag bekommen...«
Es roch förmlich nach Geschichte.
 
 
Das Spiel ging weiter, an jenem ersten Tag vor so vielen Jahren, als Oswald uns unterbrach, doch begonnen hatte es wie stets mit einer von Gonerils Fragestunden.
»Pocket«, sagte sie. »Da du in einem Kloster aufgewachsen bist, müsstest du dich mit Strafen auskennen.«
»Aye, Mylady, ich habe meinen Teil bekommen, und das war noch nicht alles. Noch heute leide ich täglich hier in dieser Kemenate unter Eurer Art der Inquisition.«
»Liebster Pocket, du beliebst doch wohl zu scherzen?«
»Das gehört zum Job, Madame.«
Da stand sie auf und schickte die Hofdamen eilig aus ihrem Solar. Als sie fort waren, sagte sie: »Ich wurde noch niemals bestraft.«
»Aye, Mylady. Nun, Ihr seid Christin, da ist noch reichlich Zeit.« Ich war im Zorn aus der Kirche ausgetreten, nachdem man meine Eremitin eingemauert hatte, und damals neigte ich schwer zum Heidentum.
»Niemand darf mich schlagen, also gab es da immer ein Mädchen, das an meiner Stelle bestraft wurde. Dem man an meiner statt den Hintern versohlte.«
»Aye, Ma’am. So sollte es auch sein. Zum Schutze des royalen Widerrists.«
»Aber ich fühle mich damit irgendwie komisch. Erst letzte Woche erwähnte ich während der Messe, dass Regan eine blöde Fotze ist, und meine Prügelmaid wurde dafür ordentlich versohlt.«
»Da hätte man sie auch dafür prügeln können, dass Ihr den Himmel blau nennt, oder? Schläge dafür, dass man die Wahrheit sagt... kein Wunder, dass Ihr Euch komisch fühlt.«
»Nicht insofern komisch, Pocket. Eher komisch wie damals, als du mir den kleinen Mann im Boot gezeigt hast.«
Es war nur eine verbale Lektion gewesen, kurz nachdem sie darauf bestanden hatte, dass ich ihr das männliche Geschlechtsteil erklären sollte. Doch hatte es sie amüsiert, immer wieder, vierzehn Tage lang. »Ach, natürlich«, sagte ich. »Komisch.«
»Ich muss den Hintern versohlt bekommen«, sagte Goneril.
»Keine Frage, da gebe ich Euch recht, Mylady, doch einmal mehr erklären wir den Himmel für blau, nicht wahr?«
»Ich möchte den Hintern versohlt bekommen.«
»Oh«, sagte ich, eloquenter Schlingel, der ich bin. »Das ist etwas anderes.«
»Von dir«, sagte die Prinzessin.
»Schockschwerenot!« Ich fügte mich in mein Verderben.
Nun, als Oswald bei diesem ersten Mal ins Zimmer trat, hatten die Prinzessin und ich rote Hintern wie die Berberäffchen, waren nackt (bis auf meine Kappe, die Goneril sich aufgesetzt hatte) und widmeten uns rhythmisch dem Unterleib des anderen. Oswald gab sich nicht sonderlich diskret in dieser Sache.
»Alarm! Alarm! Mylady wird vom Narren geschändet! Alarm!«, rief Oswald und entfloh, um in der ganzen Burg Alarm zu schlagen.
Ich holte Oswald ein, als er in die Große Halle trat, wo Lear auf seinem Thron saß, auf der einen Seite ihm zu Füßen Regan, die dort klöppelte, auf der anderen Cordelia, die mit einer Puppe spielte.
»Der Narr hat die Prinzessin entehrt!«, verkündete Oswald.
»Pocket!«, rief Cordelia, ließ ihre Puppe sinken und eilte an meine Seite, breit und dämlich grinsend. Da war sie vielleicht acht Jahre alt.
Oswald trat vor mich. »Ich habe den Narren erwischt, als er sich der Prinzessin Goneril brünstig näherte wie ein geiler Ziegenbock, Sire.«
»Das stimmt nicht, Oheim«, sagte ich. »Ich wurde heute früh nur ins Solar bestellt, um ihr den Mundgeruch wegzuscherzen, den man noch immer riechen kann, falls Ihr an mir zweifelt.«
In diesem Moment kam Goneril hereingerannt, wobei sie ihre Röcke noch im Laufen richtete. Sie blieb an meiner Seite stehen und machte vor ihrem Vater einen Knicks. Sie war atemlos und ohne Schuhe, und eine Brust lugte zyklopisch aus dem Mieder ihres Kleides. Ich riss ihr meine bimmelnde Narrenkappe vom Kopf und verbarg sie hinter meinem Rücken.
»Da, frisch wie eine Blume!«, sagte ich.
»Hallo, Schwester«, sagte Cordelia.
»Guten Morgen, Lämmchen«, sagte Goneril, hielt dem Zyklopen schnell das Auge zu und stopfte ihn ins Kleid.
Lear kratzte sich den Bart und musterte seine älteste Tochter zornig.
»Heda! Tochter«, sprach er. »Hast du wahrlich einen Narren gepoppt?«
»Ich möchte meinen, jedwedes Weib, das einen Mann poppt, poppt einen Narren, Vater.«
»Das war ein entschiedenes Nein«, sagte ich.
»Was ist ›gepoppt‹?«, fragte Cordelia.
»Ich hab’s gesehen«, sagte Oswald.
»Ein Mann gepoppt, ein Narr gepoppt, das eine ist wie das andere«, sagte Goneril. »Doch heute Morgen habe ich Euren Narren gepoppt, roh und redlich. Ich habe ihn geritten, bis er Götter und Pferde beschwor, mich von ihm zu zerren.«
Was sollte das? Erhoffte sie sich neuerliche Strafe?
»Das stimmt«, sagte Oswald. »Ich habe den Schrei gehört.«
»Gepoppt, gepoppt, gepoppt!«, sagte Goneril. »Ach, was spüre ich da? Kleine Bastardnarren rühren sich in meinem Schoß. Ich höre schon die kümmerlichen Glöckchen!«
»Verlogen Weibsbild!«, rief ich. »Narren kommen ebenso wenig mit Glöckchen auf die Welt wie Prinzessinnen mit Giftzähnen. Beides muss man sich erwerben.«
Lear sagte: »Wenn das stimmt, Pocket, lasse ich dir eine Hellebarde in den Arsch schieben.«
»Du darfst Pocket nicht töten!«, rief Cordelia. »Ich brauche ihn. Er muss mich aufheitern, wenn mich der rote Fluch heimsucht, wenn die Depressionen kommen.«
»Was redest du da, Kind?«, sagte ich.
»Alle Frauen kriegen es«, sagte Cordelia. »Es ist die Strafe für Evas Verrat im Garten des Bösen. Die Amme sagt, es macht einen furchtbar griesgrämig.«
Ich tätschelte dem Kind den Kopf. »Potztausend, Sire! Ihr solltet den Mädchen mal Lehrer besorgen, die keine Nonnen sind.«
»Ich muss bestraft werden«, sagte Goneril.
»Ich habe den Fluch schon seit Monaten«, sagte Regan, ohne auch nur von ihren Klöppeleien aufzublicken. »Ich habe festgestellt, dass ich mich besser fühle, wenn ich in den Kerker gehe und irgendwelche Gefangenen foltere.«
»Nein, ich will meinen Pocket«, sagte Cordelia und fing an zu jammern.
»Du kriegst ihn nicht«, sagte Goneril. »Auch er muss bestraft werden. Nach allem, was er getan hat.«
Oswald verneigte sich ohne ersichtlichen Grund. »Dürfte ich vorschlagen, seinen aufgespießten Kopf auf der London Bridge auszustellen, um weitere Ausschweifungen zu unterbinden?«
»Schweigt«, sagte Lear und stand auf. Er kam die Stufen herab, ging an Oswald vorbei, der auf die Knie fiel, und blieb vor mir stehen. Er legte seine Hand auf Cordelias Kopf.
Der alte König nahm mich mit seinem Falkenblick ins Visier. »Bevor du kamst, hat sie drei Jahre nicht gesprochen«, sagte er.
»Aye, Sire«, sagte ich und senkte meinen Blick.
Er wandte sich Goneril zu. »Geh in dein Gemach! Eine Amme soll sich um deine Hirngespinste kümmern. Sie wird dafür sorgen, dass daraus kein Problem erwächst.«
»Aber, Vater, der Narr und ich …«
»Unsinn, du bist eine Jungfer«, sagte Lear. »Wir haben zugesagt, dich als solche dem Herzog von Albany zu übergeben, und so wird es sein.«
»Sire, die Lady wurde geschändet«, sagte Oswald, der Verzweiflung nah.
»Wachen! Schafft Oswald in den Zwinger und gebt ihm für seine Lügen zwanzig Peitschenhiebe.«
»Aber Sire!« Oswald wand sich, als zwei Wachen seine Arme packten.
»Zwanzig Hiebe, um dir meine Gnade zu beweisen! Noch ein Wort, und dein Kopf ziert die London Bridge.«
Sprachlos sahen wir, wie die Wachen Oswald mit sich zerrten, den aufgeblasenen Lakaien, heulend und puterrot, weil er sich alle Mühe gab, seine Zunge zu hüten.
»Darf ich zusehen?«, fragte Goneril.
»Geh!«, sagte Lear. »Und dann zu deiner Amme!«
Regan war aufgesprungen und stand neben ihrem Vater. Hoffensvoll sah sie ihn an, auf Zehenspitzen, klatschte vor Freude in die Hände.
»Ja, geh du nur«, sagte der König. »Aber du darfst nur zusehen.«
Regan stürmte aus der Halle, folgte der älteren Schwester, und das Rabenhaar flog in ihrem Rücken wie ein finsterer Kometenschweif.
»Du bist mein Narr, Pocket«, sagte Cordelia und nahm meine Hand. »Komm, hilf mir! Ich bringe Dolly Französisch bei.« Die kleine Prinzessin führte mich hinaus. Ohne ein weiteres Wort sah uns der alte König nach, zog eine weiße Augenbraue hoch, unter der sein Falkenauge funkelte wie ein ferner, kalter Stern.
Fool: Roman
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