9

Jack erwiderte ihren Blick. Sie stand still und aufrecht da, und der Schal verbarg nur unzureichend die faszinierenden Kurven ihres Körpers. Dieser bei Tag züchtig bedeckte Körper, nunmehr nur unzulänglich in den Schal und den Perlmuttschimmer des Mondlichts gehüllt, lenkte ihn ab, übte einen unwiderstehlichen Zauber auf ihn aus. Es kostete ihn einige Mühe, den Blick zu ihrem Gesicht zu heben und sie anzuschauen. »Sorgen, was meinst du?«

Sie runzelte die Stirn.

»Er scheint mir auf die Bedrohung durch diese Anschuldigungen nicht so zu reagieren, wie es nötig wäre.«

Er dachte über James’ Reaktion nach und wie sehr sie sich von seiner und ihrer unterschied.

»Er scheint nicht zu begreifen«, sie machte eine ausholende Handbewegung, »dass es nicht ausreicht, den Familiennamen zu tragen. Das allein wird ihn nicht schützen.«

Es wunderte ihn, dass sie das so klar erkannte, aber sein Spitzname für sie hatte sich ja bereits mehrmals als erstaunlich passend erwiesen.

»James scheint von Macht nicht viel zu verstehen.« Er richtete sich auf, lehnte sich entspannt gegen das Kopfende des Ruhebettes. »Das hat er noch nie. Er ist in eine mächtige Familie hineingeboren und nimmt an, dass diese Macht ihm zur Verfügung steht, weil er diesen Namen trägt.«

Sie machte einen Laut, der sich verdächtig nach einem Schnauben anhörte. Die Arme vor sich verschränkend, den Schal fester um sich ziehend, lehnte sie sich gegen den Fensterrahmen und betrachtete ihn.

»Du und ich, wir wissen, dass er sich irrt. Macht ist nichts Passives. Sie existiert im Grunde erst, wenn man sie einsetzt.«

Sie sprach wie jemand, der sich auskannte. Er neigte den Kopf. »James wird sich nicht ändern. Er sieht die Notwendigkeit nicht, und ehrlich gesagt bezweifle ich, dass er die Fähigkeit besitzt, die Macht zu nutzen, die der Name Altwood ihm bietet …«

Selbst bevor sie entschlossen nickte, erkannte er, was sie mit diesem Gespräch bezweckte.

»Genau.« Sie ging zurück zum Ruhebett. »Darum muss ich nach London fahren, um an seiner Stelle die Macht der Familie einzusetzen.«

Sie blieb neben dem Bett stehen, und schaute auf ihn hinab, in seine Augen. »Du verstehst es.«

Das war eine Feststellung, keine Frage.

Jack spürte, wie seine Miene sich verhärtete. Er griff nach ihrer Hand.

»Ich begreife, warum du so empfindest.«

Er zog sie zu sich aufs Bett, in seine Arme, zog sie an sich und küsste sie. Wusste anhand der Art und Weise, mit der sie so bereitwillig einen Schlussstrich unter die Diskussion zog und auf ihn einging, leidenschaftlich und voller Eifer, dass sie sich einbildete, sie habe die Diskussion für sich entschieden und damit beendet …

Dem war freilich nicht so, aber momentan wollte er die Diskussion über ihre Absicht, nach London zu gehen, nicht weiterführen. Sie hatte recht; er begriff, was Macht war, wusste, wie man sie nutzte. Deshalb gab es keinen Grund, warum sie in die Hauptstadt reisen sollte, besonders wenn das für sie mit Schwierigkeiten verbunden wäre. Aber… er stellte sich noch eine andere Frage: Würde sie ungeachtet seiner Überredungskünste sich einverstanden erklären, in Avening zu bleiben?

Diese Auseinandersetzung hob er sich für einen anderen Tag auf. Heute Nacht … er ließ sich bereitwillig von ihr führen, schob die Sache beiseite und widmete sich einer Aufgabe, die wesentlich naheliegender war, ihm unendlich viel lieber … dem Kriegerfürsten viel eher lag, der er in Wahrheit tief in seinem Inneren war.

Er zog sie an sich, entledigte sich ihres Schals und widmete sich der Aufgabe, sie zu erobern.

Das wenigstens war seine Absicht, aber als er dieses Mal seine Muskeln anspannte, um sich über sie zu schieben, löste sie ihren Mund von seinem. Sie stemmte die Hände auf seine Brust und richtete sich in der Dunkelheit auf.

Er hatte bereits ihre langen Beine gespreizt, und sie hatte die Knie schon angezogen gehabt, sodass sie, als sie sich von ihm abstieß, rittlings auf ihm saß … er war bereits schmerzlich erregt, sehnte sich danach, sich in sie und ihre willkommen heißende Hitze zu versenken.

Er schnappte nach Luft, biss die Zähne zusammen und hielt den Atem an, musste sich so lange beherrschen, bis er wusste, was sie vorhatte. Bis er entscheiden konnte, ob er es erlauben oder sie in eine andere Richtung lenken sollte.

Aufrecht ließ sie sich auf ihn sinken, ihre geschmeidigen Schenkel umfingen ihn, elfenbeinweiß auf seiner dunklen Haut. Ihr Blick war konzentriert auf seine Brust gerichtet. Sie presste ihre gespreizten Fingern darauf, strich von innen nach außen und fuhr die mächtigen Muskeln nach, dann weiter über seine Schultern und seine langen Arme hinab bis zu seinen Handgelenken, schloss ihre Hände darum.

Sie hob beide Handgelenke an, hob sie höher und beugte sich nach vorn, drückte sie wieder zurück, bis er das geschnitzte Holz unter seinen Händen spürte.

»Lass deine Hände da.« Es war ein Befehl. Sie überprüfte nicht einmal, ob er gehorchte, sondern ließ seine Hände los und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder seiner Brust zu.

Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war konzentriert und gleichzeitig nachdenklich und bewirkte, dass er seine Hände fester um das Holz schloss.

»Beweg dich nicht, es sei denn, ich erlaube es dir.«

Er unterdrückte ein Grinsen angesichts ihres herrischen Tons; er würde seine Hände genau so lange dort lassen, wie er es wollte. Aber er wartete darauf, was sie tun würde, welchen neuen Aspekt der Kriegerkönigin ihm das enthüllen würde.

Wissen war der sicherste Weg zum Sieg, auch bei ihr.

Sie hob den Blick und schaute ihn an. Ihre Entscheidung war gefallen, ihr Plan war gefasst; sie beugte sich vor, wobei sich die Fingerspitzen gegen seine Brust drückten, und küsste ihn. Bedeckte seine Lippen mit ihren. Dann, als er sie öffnete, fuhr sie mit der Zunge in seinen Mund, erkundete ihn … er entspannte sich unter ihr, blieb so weit wie möglich passiv und überließ ihr die Führung.

Ließ sie sich nehmen, was sie wollte, ließ sie im Gegenzug geben, was sie wollte.

Ruhig oder gar reglos unter der hitzigen Süße ihres Kusses, den zunehmend entschieden geäußerten Wünschen ihrer Lippen und ihrer Zunge zu bleiben, überstieg seine Fähigkeiten. Er bewegte sich, aber bemühte sich, sich nicht mitreißen zu lassen, damit er weiter überlegen und sie beobachten konnte.

Sie war nicht beschwichtigt. Der Kuss wurde sinnlicher, nicht nur sirenenhaft, sondern betörend wie ein Hexenspruch, der das Tier in ihm weckte. Sie neckte ihn absichtlich, bis das Urwüchsig-Männliche in ihm die Fesseln abschüttelte, die er sich auferlegt hatte, und sich brüllend erhob, um mit ihr zu kämpfen …

Das war es, was sie wollte.

In dem Augenblick, als er mit seiner Zunge hungrig in ihren Mund drang, fühlte er ihre Befriedigung. Eine Befriedigung, die erblühte, die sie offensichtlich entzückte, als sie sich bewegte und sein Gesicht zwischen ihre Hände nahm, sich über ihn beugte und ihn festhielt, während sie seinen wilden Kuss erwiderte  – voller Hitze, Feuer und Verheißung.

Der Kampf ging weiter, bis sie beide brannten, bis die Flammen zu knistern schienen, die Luft um sie Funken sprühte.

Plötzlich löste sie sich. Sie schaute ihn aus ihren dunklen Augen an, in denen Leidenschaft stand und etwas, das er nur mit weiblichem Wollen beschreiben konnte. Sie waren beide erhitzt, beide voller Verlangen, ihr Atem ging schneller.

Langsam blickte sie auf seine Brust. Dann holte sie Luft  – ihr Busen schwoll  – und sie rutschte zurück, immer noch rittlings auf ihm. Sie hob sein Kinn und lehnte sich vor, küsste ihn auf den Hals. Küsste ihn, leckte ihn … knabberte vorsichtig.

Empfindungen und Lust überfluteten ihn. Er schloss die Augen, legte seine Hände um das Holz über seinem Kopf und erduldete es … ihre Berührung, ihre Zärtlichkeiten, während er sich die ganze Zeit brennend ihres Körpers bewusst war, ganz Seide und Samt, geschmeidig und stark, eine einzigartige Ergänzung für seinen Körper. Sie bewegte sich über ihm, berührte ihn nirgends außer da, wo sie mit ihren Schenkeln seine Hüften umklammerte, sie war nur wenige Zentimeter über ihm, etwas Verlockenderes konnte er sich nicht vorstellen.

Er konnte nur die Zähne zusammenbeißen und hoffen, dass er es irgendwie überlebte.

Sie war gründlich, aber sie trödelte auch nicht, und arbeitete sich Stück für Stück an seinem Hals abwärts, verweilte an der Kuhle an seinem Schlüsselbein. Dann schloss sie den Mund über der Ader, die an seinem Halsansatz pulsierte, und saugte, ehe sie weiter hinabwanderte.

Zu seiner Brust. Mit den Fingern fuhr sie ihm durch das drahtige Haar, zog leicht daran. Er öffnete die Augen einen Spaltbreit, stellte aber fest, dass sie seine Aufmerksamkeit nicht wollte, denn sie war damit beschäftigt, ihn zu betrachten. Dann berührte sie mit dem Mund seine Brustwarze. Ihre Zunge zuckte, sie schloss die Zähne sachte darum, biss ganz leicht zu … er schnappte nach Luft und schloss die Augen wieder. Sein Kinn fühlte sich an, als bräche es jeden Moment.

Aber sie war noch lange nicht fertig.

Mit geschlossenen Augen verfolgte er ihren Weg, versuchte zu erraten, was sie vorhatte, bemühte sich, den Sturm zu zähmen, den ihr unschuldiges, aber kühnes Experimentieren in seinen Sinnen entfesselte, hatte aber nur teilweise Erfolg damit.

Er konnte nur teilweise das Anschwellen des Hungers bremsen, der sich, wenn er erst einmal in aller Macht erwacht war, nicht mehr halten ließe. Er konnte ihn auch in ihr spüren, wie er wuchs, in den immer höher lodernden Flammen durch ihre Berührung, dem Zupacken ihrer Finger auf seiner Haut, durch die immer wilderen Erkundungen ihrer Zunge und ihres Mundes.

Als sie seinen Nabel zu ihrer Zufriedenheit erforscht hatte, ließ sie ihre Lippen tiefer gleiten. Sie folgten der Spur seiner Haare, die zu seinem Glied führte, er stieß den angehaltenen Atem aus. Bald, bald würde sie sich auf ihn setzen. Irgendwann während ihrer Erkundung seines Körpers war sie nach unten gerutscht, saß nun auf seinen Beinen, sodass er sie nicht bewegen konnte.

Er füllte seine Lungen mit Luft und atmete wieder aus; er hatte ihre Folter überlebt. Er begann darüber nachzudenken, wie er sich im Gegenzug mit kleineren Quälereien revanchieren konnte. Er wollte gerade die Augen wieder öffnen, seinen Griff um das Holz lockern und seine Arme senken, als sie ihn in den Mund nahm.

Ein köstlicher Schock erfasste ihn. Jeder Muskel erstarrte, spannte sich so hart, dass es wehtat, und sein Glied in ihrem Mund schwoll weiter an. Alle Gedanken flohen aus seinem Kopf.

Sie schlang ihre Zunge um ihn, leckte und saugte.

Seine Lungen streikten. Er zwang einen Atemzug in seine Brust, dann ließ er ihn mit einem tiefen Stöhnen wieder heraus, als sie sich mit neuem Eifer ihrer Aufgabe widmete. Seine Finger lösten sich…

»Beweg deine Hände nicht.«

Ihre Stimme war vollkommen sinnlich, voller weiblicher Macht. Ihr Mund war direkt über ihm, und ihr Atem sandte eine unerträgliche Hitze über seine empfindliche Haut.

Wieder schloss sie ihre Lippen um ihn, und er war sicher, dass er Sterne auf den Innenseiten seiner Lider sah. Sie war unschuldig, aber sie hatte eine gute Vorstellung von dem, was sie da tat.

Darauf konzentrierte er sich, klammerte sich an den Widerspruch. Woher wusste sie davon?

Eine Erinnerung zuckte auf, ein Bild, wie sie sich unter ihm wand, dann folgten noch andere bildliche Erinnerungen aus der vergangenen Nacht. Er hatte sie viel weiter getrieben, als er es unter anderen Umständen selbst mit einer einigermaßen erfahrenen Dame getan hätte, aber trotz ihrer mangelnden Erfahrung war sie weder entsetzt noch schockiert gewesen …

Ihr theoretisches Wissen ging weiter als bei den meisten. Während er unter ihren Liebkosungen von ungeahnten Gefühlen bestürmt wurde, entrang sich seiner Brust ein weiteres Stöhnen. Und er begann zu begreifen, mit wem er sich hier in Wahrheit eingelassen hatte.

Eine Kriegerkönigin, der dies alles viel zu lange versagt geblieben war. Die sich danach gesehnt hatte, es aber nicht hatte haben können, aber gewusst hatte, was ihr entging.

Sie war jetzt entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen, es zu genießen … und ihn, in vollem Ausmaß.

Er musste darum ringen weiterzuatmen, musste sich anstrengen, ein gewisses Maß an Kontrolle zu behalten, eine Ahnung zu bekommen, wohin sie wollte und wie er ihr das Zepter wieder aus der Hand nehmen konnte. Wenn er das nicht bald tat …

Ihre suchenden Finger wanderten weiter zu seinen Hoden, sie drückte und rollte sie sanft hin und her, während ihre andere Hand sich fest um ihn schloss und sie ihn weiter mit Lippen und Zunge liebkoste.

»Genug!« Er presste das Wort mit Mühe hervor.

Er ließ das Kopfende des Ruhebettes los, öffnete die Augen und schaute nach unten, sah, wie sie ihn losließ und ihn herausfordernd anschaute, eine Braue leicht gehoben.

»Wenn du das wirklich willst.«

Er senkte die Arme, griff nach ihr, aber sie kniete sich hin, fasste seine Hände und verschränkte ihre Finger mit seinen und stützte sich auf ihn, während sie nach oben rutschte, sich über ihn schob und rittlings auf ihn setzte.

»Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das geht …«

Er konnte nicht sprechen. Mit seinen Händen zeigte er es ihr, drückte sie auf sich … er schaute zu, wie die Spitze seines Gliedes sie berührte, in sie glitt … er konnte die Folter einfach nicht mehr ertragen.

Er legte ihr die Hände auf die Hüften, zog sie auf sich, während er sich gleichzeitig in sie stieß. Er schloss die Augen und stöhnte, als sich die sengende Hitze um ihn schloss und ihn umklammerte.

Mit einem zitternden Seufzer öffnete er die Augen und blickte sie an… sie schaute ihn an.

»Ich habe dir doch gesagt, nicht die Hände zu bewegen.«

Sie beschwerte sich nicht, es klang vielmehr wie eine Frage.

»Du brauchst sie jetzt.« Er nutzte seinen Griff um ihre Hüften, um sie anzuheben und ihr zu zeigen, wie sie sich bewegen musste. Binnen Sekunden hatte sie es begriffen und ritt ihn, wie sie es wollte. Er saß halb, da er mit den Schultern am erhöhten Kopfende des Ruhebettes lehnte. Sie stützte sich mit den Händen auf seine Brust; er hatte alles im Blick … und genoss es.

Als sie begann, sich probehalber tiefer auf ihn zu senken, den Winkel zu ändern, stockte ihm der Atem. Verzweifelt versuchte er, an irgendetwas anderes zu denken.

Ihr Busen, üppig, voll und mit zartem Rot überzogene Seide mit festen Spitzen, hob und senkte sich vor seinen Augen. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Er ließ ihre Hüften los, denn er musste ihr nichts mehr zeigen, hob die Hände zu ihren Brüsten und umfing sie, knetete sie zärtlich und hörte, wie sie keuchte.

Er reizte weiter ihre bereits erregten Sinne, wollte sie so verrückt vor Lust machen, wie er es war. Sie hob und senkte sich auf ihn, nahm ihn tief in sich auf und liebkoste ihn hemmungslos. Ihre Beinmuskeln, durch jahrelanges Reiten trainiert, kamen ihr zugute; er war sich immer sicherer, dass sie es länger aushalten würde als er.

Aber das würde er nicht dulden. Er beugte sich vor und nahm eine köstlich feste Brustwarze in den Mund, hörte ihren erstickten Schrei. Erinnerte sich wieder an ihre Schreie letzte Nacht und wollte sie ihr erneut entlocken.

Er liebkoste abwechselnd mit Mund und Fingern ihre Brüste, während sie ihn unaufhaltsam zum Höhepunkt ritt. Als der unweigerliche Gipfel vor ihnen auftauchte, als er spürte, wie sich sein Körper vor dem Unausweichlichen anspannte, strich er mit einer Hand über ihren Rücken zu ihren Pobacken, fuhr mit dem Finger die Spalte dazwischen nach. Dann ließ er sie nach vorn gleiten und zwischen ihre Schenkel, da, wo sie ihn immer tiefer in sich aufnahm.

Er fand die Stelle, die die er gesucht hatte, berührte sie und spürte sofort ihre Reaktion. Er streichelte sie dort, während er den Kopf vorbeugte und sich wieder den Knospen ihrer Brust widmete, fest daran sog, während sie sich immer schneller auf ihm bewegte.

Sie barst und riss ihn mit sich. Den Kopf in den Nacken geworfen, schrie sie auf, während er weiter ihren Busen liebkoste und sie sich um ihn zusammenzog, bis er erschauerte und aufgab.

Sich der Macht ergab, die sie hervorrief, der Macht, mit der er darauf antwortete.

Der Augenblick der Ekstase, unendlicher Lust hielt sie beide gefangen  – ehe sie sie entließ und in die süße Seligkeit des Nichts sandte.

Sie sank auf ihm zusammen, er ließ sich gegen die Lehne am Kopfende sinken und schloss die Arme um sie; sie legte ihren Kopf an seine Brust. So lagen sie beide da, von dem Wunder des eben Erlebten erfüllt, während die Macht langsam verblasste.

Jack drehte den Kopf, sodass seine Wange ihr dunkles Haar berührte, das sich unter seiner von Bartstoppeln rauen Haut ganz seidig anfühlte.

Macht war etwas, das sie beide verstanden. Es war nichts Passives; und sie existierte nur, wenn man sie benutzte.

Jetzt, da sie es getan hatten, würden sie es auch wieder tun. So waren sie nun einmal geschaffen, hatten eine Faszination, die sie teilten. Kriegerfürst und Kriegerkönigin. Sie passten gut zueinander.

Die Schatten wurden langsam länger, während der Mond über den Himmel wanderte. Er verspürte nicht den Drang, sich zu bewegen, und sie anscheinend auch nicht. Keiner von beiden schlief; das, was in ihnen nachwirkte, war keine körperliche Erschöpfung. Was sie wachhielt war vielmehr das Gefühl von Macht, das mit Händen zu greifen schien.

Eine Macht, die trotzdem etwas Rätselhaftes hatte.

Er dachte nach, während er sich ihrer Nähe, ihres weiblichen Körpers überdeutlich bewusst war, der Hitze, die langsam nachließ, dem Verlangen, das für den Augenblick gestillt war. Angesichts seiner Gefühle, nach allem, was er nun wusste, war es schwierig, zu verstehen, weshalb sie noch unberührt gewesen war. Er spürte ihren warmen Körper dicht neben sich, die zarte Haut vom Tau der Leidenschaft benetzt … es war ihm ein Rätsel, weshalb die Männer seines Standes nur so blind hatten sein können.

Für ihn war sie die fleischgewordene Herausforderung, ein Geben und Nehmen …

In Gedanken hielt er inne und musste einräumen, dass das vielleicht genau der Grund war, weshalb bei ihr kein anderer Erfolg gehabt hatte. Sie waren nicht bereit, vielleicht nicht stark genug gewesen, ihr ihren Willen zu lassen. Sie so sein zu lassen, wie sie in Wahrheit war.

Eine überaus zutreffende These, aber sie half ihm nicht, herauszufinden, wie er sie dazu bringen konnte, dass sie sich ihm schenkte, die Seine wurde, nicht nur körperlich, sondern auch mit ihrer Seele. Und nicht nur für eine Nacht, eine Woche oder ein Jahr, sondern für immer.

Der Frieden der Nacht hüllte sie ein, ein innerer Frieden umfing sie. Schließlich regte sie sich. Er rückte zur Seite, damit sie sich neben ihn legen konnte, immer noch halb auf ihm und den Kopf an seiner Brust.

Er legte einen Arm hinter seinen Kopf, mit dem anderen drückte er sie an sich und schaute sie in der Dunkelheit an.

»Wo hast du das alles gelernt?«

Sie blickte ihn kurz an, und ihre Lippen verzogen sich, dann schaute sie wieder weg. Geistesabwesend malte sie mit der Fingerspitze Muster auf seine Brust.

»Die Bibliothek auf Rosewood, dem Familiensitz. Da gibt es eine Sammlung, schon ewig, die über die Jahre und mit jeder Generation erweitert wurde. Manche der Bände dort sind hoch informativ und sehr detailliert.«

»Ich nehme an, du warst eine eifrige Schülerin.« Er musste sich bemühen, angesichts ihrer wandernden Finger still liegen zu bleiben.

»Ich war interessiert… fasziniert. Und ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis, wenigstens für Bilder.« Sie legte sich anders hin, sodass sie den Kopf heben und ihm in die Augen sehen konnte, während ihre Hand weiter abwärtsglitt. »Wenn du es unbedingt wissen willst, ich habe Jahre darauf gewartet, all das in die Praxis umzusetzen, was ich gelernt habe.«

Ihre Stimme klang wie ein Schnurren, ganz leise und tief, wand sich um ihn wie eine Katze, rieb sich an ihm.

Er erwiderte ihren herausfordernden Blick, während seine Gedanken sich überschlugen.

»In dem Fall«, er schluckte, weil seine Stimme so belegt war, »würdest du vielleicht gerne noch etwas ausprobieren …« Er beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Dann lehnte er sich zurück, schaute sie an und zog die Brauen fragend hoch.

Einen langen Moment erwiderte sie seinen Blick, dann lächelte sie träge: »Warum nicht?«

Er grinste und griff nach ihr, während sie sich erhob und sich in seine Arme sinken ließ.

 

Am nächsten Morgen erwachte Jack, von vertrautem Tatendrang erfüllt. Es war dasselbe Gefühl von Zeit, die ungenutzt verstrich, wenn er kurz davor stand, zu einer neuen Mission aufzubrechen. Er musste sich vorbereiten und noch einige Dinge erledigen und Vereinbarungen treffen.

Und von James brauchte er alle wichtigen Informationen, bevor Clarice entschied, allein und überstürzt zu ihrer Rettungsfahrt aufzubrechen.

Er eilte zum Frühstück, in Gedanken bereits mit Planen beschäftigt. Clarice hatte recht, James musste gerettet werden; sie mussten einschreiten und etwas unternehmen. Wie genau allerdings … das musste er erst noch entscheiden.

Im Frühstückssalon saß Percy und widmete sich hingebungsvoll dem Verzehr von Schinken und Eiern. Jack begrüßte ihn mit einer Handbewegung und begab sich geradewegs zur Anrichte. Dank Clarice war sein Appetit gewaltig; mit gehäuftem Teller, von jedem etwas, das die Köchin zubereitet hatte, um ihn in Versuchung zu führen, nahm er seinen Platz am Kopf des Tisches ein.

Nach dem Dinner letzte Nacht hatte er Percy davon unterrichtet, dass er für ein paar Wochen in London sein werde. Doch bevor er aufbrach, würde er Percy mit den Leuten hier bekannt machen und ihm den Besitz zeigen. Damit konnte er Percy und die Unwägbarkeiten der Leitung eines solchen Landgutes getrost Griggs überlassen. Griggs war vielleicht alt, aber er wusste alles, was es über die Gutsverwaltung zu wissen gab.

»So.« Percy schob seinen leeren Teller von sich und beäugte Jack hoffnungsvoll. »Wo fangen wir an?«

Jack kaute und überlegte. Er griff nach seiner Kaffeetasse und nahm einen großen Schluck.

»Es gibt ein paar andere Dinge, um die ich mich zuerst kümmern muss, aber Sie können mir trotzdem helfen.«

Percys Eifer ließ nicht nach. Jack begriff, dass sein junger Verwandter zu den Menschen gehörte, die keinen Sinn für Müßiggang hatten. Clarice würde das gefallen.

»Was soll ich tun?«

»Anthony.« Er hatte die beiden gestern Abend miteinander bekannt gemacht. Sie waren ungefähr im selben Alter. Percy tat Anthony leid, weil er ans Bett gefesselt war, und hatte angeboten, mit ihm den Abend über Schach zu spielen. Ehe er zur Laube und seinem Rendezvous mit Clarice gegangen war, hatte er kurz bei den beiden hereingeschaut und gesehen, dass sie völlig in das Spiel versunken waren. »Ich möchte eine Liste mit seinen Verwandten, die sich vermutlich gerade in London aufhalten oder in weniger als einem Tag dort sein können, und ich will wissen, in welcher Verbindung jeder Einzelne mit James steht und wer James am wahrscheinlichsten helfen würde. Und die Namen und Aufenthaltsorte von den Personen, bei denen Anthony der Meinung ist, sie könnten nützlich sein.«

Percy nickte. Er hatte von James’ Problem gehört.

»Sonst noch etwas?«

Es war für Jack eine angenehme Abwechslung, dass jemand seine Anweisungen befolgte und nicht groß widersprach.

»Nein, das war’s.« Er schob seinen Stuhl zurück. »Ich muss noch einen Brief schreiben, dann gehe ich zum Pfarrhaus und lasse mir von James eine weitere Liste anfertigen. Vor dem Lunch bin ich aber wieder zurück.« Gemeinsam gingen sie in die Eingangshalle. »Wenn Sie noch Zeit haben, bevor ich zurückkomme, versuchen Sie sich die Lage der Felder und Häuser im östlichen Teil der Ländereien einzuprägen. Ich werde Sie heute Nachmittag mit dorthin nehmen und Sie den Pächtern vorstellen, damit Sie ein Gefühl für die Gegend bekommen.«

»Ähm …« Percy schaute ihn aus großen Augen an.

Jack grinste.

»Wir können das Gig nehmen.«

Percy versuchte nicht, seine Erleichterung zu verbergen. »Gut.« Er blickte die Treppe hinauf. »Dann werde ich Anthony befragen.«

Jack nickte ihm zu und ging in die Bibliothek. Dort setzte er sich an seinen Schreibtisch, um einen Brief an einen Mann zu verfassen, von dem er angenommen hatte, dass er ihm nie wieder schreiben musste. Er versiegelte die Nachricht und machte sich auf die Suche nach Howlett, dem er den Brief mit der Order übergab, ihn so schnell wie möglich nach London zu senden. Dann sah er noch bei Griggs vorbei, vergewisserte sich, dass es nichts Dringendes zu erledigen gab. Er redete mit dem alten Gutsverwalter noch kurz über seinen Eindruck von Percy  – der überraschend positiv war. Wie es aussah, hatte Percy einen Kopf für Zahlen. Dann machte er sich auf den Weg zum Pfarrhaus, nahm die Abkürzung durch die Hecke und das dahinter liegende Feld.

Heute stand keine Kriegerkönigin bei der Wäscheleine. Grinsend stieg Jack die Stufen zur Seitentür empor, betrat die Diele und begab sich geradewegs in James’ Arbeitszimmer. Er klopfte an und hörte James »Herein!« rufen; er klang wie immer leicht abgelenkt.

Jack öffnete die Tür und trat ein. James saß hinter seinem Schreibtisch und sah mitgenommen aus. Clarice stand neben ihm.

Die Arme hatte sie vor der Brust verschränkt. Meist, wie er nun wusste, kein gutes Zeichen. Er widerstand allerdings der Versuchung, nachzusehen, ob sie mit der Zehenspitze auf den Boden klopfte.

Er lächelte einnehmend.

»Guten Morgen.« Seine Begrüßung galt beiden. Clarice ließ ihm ein gnädiges Nicken zuteilwerden und schaute wieder zu James.

James sah Jack an, und Erleichterung malte sich auf seine Züge, die aber verschwand, als er ihn etwas genauer gemustert hatte.

»Äh, guten Morgen, mein Junge.« James schaute auf das Blatt Papier vor sich auf der Schreibtischunterlage. »Ich vermute, du bist ebenfalls hier, um Informationen zu verlangen.«

Clarice’ Lippen wurden schmal.

»Ich habe es dir doch erklärte, James. Bevor wir nach London fahren, müssen wir alles wissen, was du uns sagen kannst.«

James blickte zu Jack.

Der die Achseln zuckte.

»Sie hat recht.«

»Aber«, James klang auf einmal mürrisch, »ich kann wirklich nicht die Notwendigkeit erkennen …«

»Die Sache ist ernst, James.«

Jack sah zu Clarice; sie erwiderte seinen Blick. Sie hatten gleichzeitig gesprochen, ihr Ton vielleicht ein wenig ungeduldiger.

Wieder zu James schauend fuhr Jack fort:

»Wir können nicht einfach die Hände in den Schoß legen, James. Das kannst du nicht ernsthaft von uns erwarten.«

James wurde nachdenklich. Dann schnitt er eine Grimasse und zeigte mit der Schreibfeder das Blatt Papier vor sich. »Clarice hat gesagt, ihr bräuchtet so viele Einzelheiten wie möglich, alles, woran ich mich erinnern kann.«

Clarice griff um James herum und zog ein frisches Blatt Papier hervor.

»Ich denke, es wäre am besten, wenn Jack alles aufschreibt, was er braucht.« Sie legte das Blatt auf den Schreibtisch und fischte eine Feder aus der Schale. »Dann kannst du dich besser auf deine Erinnerung konzentrieren.«

Unter ihrem beredten Blick zog sich Jack einen Stuhl heran und setzte sich vor das leere Blatt. Er nahm die Feder und prüfte die Spitze.

»Das kann eine Weile dauern.«

Über den Federkiel hinweg fing er Clarice’ Blick auf. Sie war niemand, der Ruhe ausstrahlte. Als sei sie zum Angriff auf einen bislang noch nicht gesichteten Feind bereit, war die Energie, die sie versprühte, beinahe mit Händen zu greifen. Zwar war das in gewisser Weise beruhigend, andererseits lenkte es aber auch ab. Mit James hatte er Mitleid; er selbst würde keinen klaren Gedanken fassen können, wenn sie in ihrer derzeitigen Verfassung im Zimmer blieb.

Wenn sie im Zimmer blieb.

Sie schaute ihn an und fragte:

»Wie geht es Anthony?«

»Es geht ihm gut, und sein Zustand verbessert sich stetig.« Jack tunkte die Spitze des Federkiels in das Tintenfass und sah sie wieder an. »Er wird rastlos, weil er ans Bett gefesselt ist.«

»Hm.« Sie ließ die Arme sinken und ging um den Schreibtisch herum. »Ich werde ihn heute Nachmittag besuchen.«

»Das ist sicher klug.« Jack beugte sich über das Blatt. »Ich werde heute Nachmittag unterwegs sein und nehme Percy mit. Anthony würde sich sicherlich über die Gesellschaft freuen.«

James schaute auf.

»Ich komme ebenfalls mit. Ich muss alles tun, was ich kann, wegen mir ist er schließlich hergefahren.«

»Am besten kannst du ihm seine Tapferkeit und alles vergelten, was er durchlitten hat, um dir Teddys Nachricht zu überbringen, indem du Jack die notwendigen Informationen gibst.«

Clarice hatte ihre Stimme nicht erhoben, aber es schwang ein Ton darin mit, der keinen Widerspruch duldete. Jack biss sich auf die Zunge, um dem Drang zu widerstehen, ihre Äußerung abzumildern. Natürlich hatte sie völlig recht. Zudem kannte er James gut genug, um zu wissen, dass er jede Gelegenheit nutzen würde, die Sache aufzuschieben.

Es gab verschiedene Formen von Sturheit: Bei James war sie eher schwach ausgeprägt, im Gegensatz zu Clarice’ kampferprobter Härte, die in diesem Fall nötig war.

James seufzte. Mit einem Anflug von Grimmigkeit um den Mund nickte er.

»Nun gut.« Er schaute den Schreibtisch an. »Was braucht ihr?«

Jack sagte es ihm. Sobald James begonnen hatte, eine Liste seiner Reisen in den vergangenen zehn Jahren anzufertigen, machte Jack sich daran, die anderen Fragen zu James’ Arbeit aufzuschreiben.

Clarice ging langsam hinter ihm auf und ab, während sie beide beobachtete. Ab und zu trat sie näher und blickte über seine Schulter.

Als Macimber seinen Kopf durch die Tür steckte und Clarice bat mitzukommen, damit sie sich um eine Haushaltsangelegenheit kümmerte, wartete James, bis die Tür sich geschlossen. Dann legte er seine Schreibfeder hin und blickte Jack bittend an.

»Mein Junge, du musst mir helfen. Ich möchte wirklich nicht, dass Clarice meinetwegen nach London geht.«

Warum? Das war das Erste, was Jack durch den Sinn ging, aber er zögerte. Stattdessen fühlte er sich genötigt, James zu der Einsicht zu bringen, dass er etwas übersah.

»So einfach ist das nicht, James. Erst einmal ist Clarice keinem Mann verpflichtet. Wenn sie beschließt, nach London zu gehen, können weder du noch ich sie davon abhalten,  – ich bezweifle sogar, dass Tod und Teufel da etwas ausrichten könnten.«

James verzog das Gesicht.

»Ich nehme an, sie zu überreden ist die einzige Möglichkeit.«

Jack erwiderte seinen Blick.

»Meine Überredungskünste sind sicher nicht schlecht, aber in dem Fall werden sie nicht ausreichen.«

James runzelte die Stirn.

Jack machte eine Pause, wählte seine Worte mit Sorgfalt. »Ich glaube, in diesem Fall liegt sie richtig. Solange du hier festsitzt, muss jemand von deiner Familie die anderen Mitglieder über die Vorfälle in Kenntnis setzen. Und zwar nicht schriftlich, sondern persönlich, um zu erklären, wie die Lage ist. Gleichgültig, was früher gewesen ist, Clarice ist die Tochter des verstorbenen Marquis und die Schwester des jetzigen. Die Familie wird ihr Gehör schenken.«

»Vielleicht.« James wirkte nicht überzeugt und seltsam unsicher.

Verwundert hob Jack die Brauen.

James seufzte unglücklich.

»Nun gut, ich will zugeben, dass sie ihr höchstwahrscheinlich zuhören werden, weil sie sie dazu zwingt. Sie wird Zuhörer um sich versammeln und das, was sie sagen will, klarmachen, aber zu welchem Preis?«

Jack schaute ihn an.

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Ich weiß.« James schloss kurz die Augen, dann öffnete er sie wieder. »In der Familie wird über Clarice nicht gesprochen. Sie wurde von ihrem Vater verstoßen und enterbt, jedenfalls so weit, wie es seine Söhne zugelassen haben.«

Jack runzelte die Stirn.

»Das hast du bereits angedeutet, aber ich habe nicht geglaubt …«

»Nein, warum auch?« James schüttelte den Kopf, er sah besorgt aus. »Ich habe es nicht so deutlich ausgesprochen, so umfassend erklärt, wie ich es vielleicht hätte tun sollen. Ihr Vater Melton war nicht der Einzige in der Familie, der auf Clarice wütend war und auf, wie man es sah, ihre Uneinsichtigkeit. Ihre Tanten, Meltons Schwestern und sogar Ediths Familie war entsetzt. Indem sie an ihrer Weigerung festhielt, Emsworth zu heiraten, ist Clarice einen unverzeihlichen Schritt zu weit gegangen.«

Jack blickte James in die Augen.

»Willst du damit sagen, dass sie vielleicht sogar von ihrer Familie geschnitten werden wird? Dass sie sie immer noch, nach sieben Jahren, als Verstoßene behandeln werden?«

»Ja.« James nickte entschieden. »Die Altwoods sind nicht dafür bekannt, leicht zu verzeihen. Ich befürchte sehr, dass, egal was sie sich äußerlich anmerken lassen wird, ihre… Zurückweisung Clarice zutiefst schmerzen wird. In den Schoß der Familie zurückzukehren, um sich für mich zu verwenden, wird zweifellos längst vernarbte Wunden neu aufreißen. Schlimmer noch, bestimmte Mitglieder ihrer Familie könnten es ausnutzen, dass sie ihnen ausgeliefert ist, weil sie sich nun in einer Situation befindet, in der sie sie um Hilfe bittet, und sie dafür …«

Der Gedanke, was die Familie Clarice aus Rache am Ende antun könnte, schien James’ Vorstellungskraft zu übersteigen. Er sah verwirrt und bekümmert aus, während er nach Worten suchte. »Nun«, räumte er schließlich ein, »ich weiß nicht, was ihnen am Ende einfallen wird, aber was auch immer …« Er richtete einen Blick, der für seine Verhältnisse richtiggehend streitlustig war, auf Jack. »Ich möchte nicht, dass Clarice sich meinetwegen in eine solche Situation bringt.«

Jack holte Luft.

»Verstehe.«

»Genau.« James beugte sich über den Schreibtisch. »Wirst du mir also helfen, sie davon abzubringen, nach London zu gehen, mein lieber Junge?«

Jack erwiderte James’ Blick, erkannte seine Aufrichtigkeit. Wusste, die Angelegenheit war nicht so einfach, wie James sie dargestellt hatte. Aber… er schnitt eine Grimasse.

»Das Einzige, was ich dir versprechen kann, ist, darüber gründlich nachzudenken, darüber und über andere Möglichkeiten.«

James lächelte.

»Gut, gut.«

Als er sich erkennbar entspannte, musste Jack innerlich lächeln. Nachdem er sein Problem erklärt hatte und es an Jack war, es zu lösen, wandte sich James wieder mit seiner gewohnten Zielstrebigkeit der Liste zu. Er tunkte die Feder in das Tintenfass und betrachtete mit gerunzelter Stirn das Blatt vor sich auf dem Schreibtisch. »Ich sollte mich besser mit diesen Listen sputen, was? Schließlich will ich dich nicht aufhalten, zumal es ohnehin ein paar Tage dauern wird, bis ich fertig bin.«

 

Jack beendete seine Liste und ließ sie bei James zurück, damit er sie ausfüllen konnte. Er verließ das Pfarrhaus, ohne Clarice zu begegnen. Er überlegte kurz, entschied sich aber dann, sie nicht aufzusuchen. Er beschloss, den längeren Weg nach Hause zu nehmen, steckte sich die Hände in die Hosentaschen und schlenderte über die Auffahrt, tat, was er James versprochen hatte.

Er dachte darüber nach, Clarice davon abzubringen, nach London zu gehen.

Anders als James konnte er ein paar entschiedene Vorteile erkennen, aber natürlich nachdem er die ganze Geschichte von Clarice’ Vergangenheit gehört hatte, auch die Nachteile.

Es war nicht zu leugnen, dass sobald sie in London war, die Familie auf sie aufmerksam werden würde. Und sie würden es akzeptieren, dass sie nicht zuließ, dass sie James halfen. Wenn sie sie abweisen würden, würden sie für James in die Bresche springen müssen. Menschen nicht erst von der eigenen Hartnäckigkeit und eisernen Entschlossenheit überzeugen zu müssen, das hatte seine Vorteile, die er durchaus zu schätzen wusste.

Und zudem hatte er nicht den Mann mit dem rundlichen Gesicht vergessen. Wenn er Clarice überredete, hierzubleiben und die Sache ihm zu überlassen, war nicht auszuschließen, dass, wenn er in London Staub aufwirbelte, es am Ende auf James zurückfallen könnte. Dann würde Clarice sich zweifellos vor James stellen.

Das war keine erfreuliche Aussicht. In so einer Situation würde er sich ständig sorgen und mit Fragen quälen, während er weit weg in London war, um James’ Verteidigung zu betreiben.

Dazu kam noch, dass er ernsthaft bezweifelte, dass es ihm gelingen würde, sie zu überreden, in Avening zu bleiben. Wenn er sich weigerte, sie mit sich zu nehmen, würde sie allein nach London reisen. Dann würde sie sich nicht nur einer sehr schwierigen Situation aussetzen, die James ihr ersparen wollte, sondern sie würde auch außerhalb seines Einflussbereichs sein.

Wenn der rundgesichtige Mann, beunruhigt wegen ihres Treibens, auf die Idee kam, sie zum Schweigen zu bringen… London konnte ein gefährliches Pflaster sein, wenn sie ins Visier des Schurken geriet. Er war noch nicht einmal bereit, sich vorzustellen, dass sie hier in einer verschlafenen Ecke auf dem Land von jemandem ins Visier genommen wurde, wo sie von Menschen umgeben war, die sie kannten und schätzten. Wie Anthonys Kutschenunfall bewiesen hatte, war es auch auf dem Lande nicht so sicher.

Jack ging durch das Tor an der Auffahrt zum Pfarrhaus und folgte der Straße, dachte an London und wie der Empfang für Clarice dort ausfallen würde.

Hatte James recht? Hatte sich am Stand der Dinge seit sieben Jahren nichts geändert? Auf jeden Fall sahen Anthony und sein Bruder Clarice nicht als Persona non grata. Als er zur Auffahrt zum Herrenhaus kam, blickte Jack sein Heim an und beschloss, sich heute Abend zu Anthony zu setzen. Vielleicht konnte er etwas herausfinden.

Wie auch immer …

Er schaute nach unten, starrte blicklos auf den Kiesweg, während er die leichte Anhöhe erklomm. Selbst wenn James recht behielt und Clarice ein feindseliger Empfang in London bevorstand, hatten er oder James das Recht, einzuschreiten und die Entscheidung für sie zu treffen?

Im Geiste ließ er noch einmal den Augenblick Revue passieren, als sie erklärt hatte, sie wolle wegen James nach London gehen. Sie hatte den Entschluss nicht leichtfertig gefasst. Denn sie wusste besser als James, was sie in der Stadt erwartete.

James hatte sie nicht darum gebeten; sie hatte darauf bestanden, ein Opfer für ihn zu bringen. War es dann richtig, wenn er das als unwichtig beiseiteschob? Sich als Opfer anzubieten, das lag in der Natur von Kriegern … und sie war eine Kriegerkönigin.

Jack verzog das Gesicht und trat einen größeren Stein vom Weg. Dann blieb er stehen und schaute über die Wiese zum Ufer des breiten Baches. Er wünschte, er würde sie nicht so gut verstehen; in gewisser Hinsicht machte es das Leben schwieriger.

Jemanden beschützen zu wollen, besonders Frauen seines Standes, war ihm zur zweiten Natur geworden, das hatte er mit der Muttermilch aufgesogen. Anders als James wusste er, wie sie wirklich, dass sie eine Kriegerkönigin war, die zu beschützen andere Strategien erforderte.

Clarice zu schützen, in ihrem besten Interesse zu handeln, bedeutete am Ende, sie vielleicht doch mit nach London zu nehmen. Ihr zu erlauben, dass sie sich dem Zorn der Familie entgegenstellte, die Dämonen ihrer Vergangenheit in die Flucht schlug, ihre Zurückweisung parierte oder sie gar niederrang, alles, während er an ihrer Seite war, um ihr beizustehen. Wenn man sie kannte, musste man in Erwägung ziehen, dass sie das Recht hatte, die Schlachten zu schlagen, die sie im Sinne hatte. In seinen Augen hatte er entsprechend das Recht, an ihrer Seite zu sein, allerdings ohne ihr dabei im Weg zu stehen.

Er stand eine Weile da, überdachte die Logik darin, während das Plätschern des Wassers seine Sinne besänftigte. Er konnte keinen Fehler in seiner Analyse finden. Schließlich drehte er sich um und ging weiter zum Haus.

Darüber hinaus, wenn Clarice ihn begleitete, hätte das noch andere, für ihn überaus wünschenswerte Folgen. Er unterschätzte beileibe nicht die logistischen Probleme, aber der Chance, dass sie beide dadurch in eine Situation gerieten, in der er sie dazu bewegen konnte, ihn genauer in Augenschein zu nehmen, ihn als ihren Gefährten anzuerkennen, war schwer zu widerstehen. In London bei ihrer Mission würde sie Seiten an ihm zu sehen bekommen, die nur wenige kannten, und all das vor dem gebührenden Hintergrund, der guten Gesellschaft.

Irgendwann musste er sie überzeugen, dass er nicht nur eine kurze Affäre war, sondern ein Liebhaber für die Ewigkeit. Sie würden Zeit allein miteinander verbringen, nicht notwendigerweise ungestört, aber ohne ständig von anderen umgeben zu sein, die sich auf sie verließen und ihre Aufmerksamkeit forderten. Die Gelegenheit, Zeit zusammen in London zu verbringen, schien ihm wie ein Geschenk des Himmels.

Wenn er Erfolg bei ihr haben, sie überzeugen wollte, eine Ehe in Erwägung zu ziehen, musste er erst die Geister ihrer Vergangenheit vertreiben. Um solche Geister loszuwerden, musste er wissen, mit wem er es zu tun hatte, und sie hielten sich in London versteckt.

Die Eingangstür tauchte vor ihm auf. Er blieb vor den Stufen stehen und starrte auf die Tür, dachte an den letzten entscheidenden Punkt.

An sich selbst.

Wenn er Clarice mit nach London nahm, war sie in Sicherheit. Um effizient arbeiten zu können, sich zu konzentrieren und erfolgreich die Mission abzuschließen, brauchte er diese Gewissheit.

Er holte tief Luft, nahm seine Hände aus den Taschen und stieg die Stufen zur Haustür hoch. James würde mit seinen Ängsten leben müssen. Er hatte nicht vor, einen falschen Schritt bei der Eroberung seiner Kriegerkönigin zu machen.