11.

Am nächsten Morgen frühstückten wir wieder bei Molle.

»Musst du zur ersten Stunde in die Schule?«, fragte ich Danner, während ich ein Croissant mit Erdbeermarmelade bestrich.

Er schüttelte den Kopf: »Ich mach erst den Bericht fertig.«

Ich biss ab. »Ich kann tippen«, erwähnte ich kauend.

Danner musterte mich kurz.

»Meine Semesterarbeit hatte fünfundzwanzig Seiten. Ehrlich!«

»Mit dem letzten Wort wäre ich an deiner Stelle vorsichtig!«, warnte Danner. »Das fehlt mir noch, dass du deine Nase in meine Unterlagen steckst!«

Schade.

Ich musste zugeben, das Schmökern in seinen Akten machte mir Spaß.

So lauschte ich dem Klickern der Computertastatur, während ich auf dem Badewannenrand saß und meine Zähne putzte.

Es klingelte an der Tür.

Das Klickern hörte auf.

Es war noch nicht mal halb neun, wer konnte das sein?

»Ben? Raus aus den Federn!«

Oha! Die Telefonsex-Stimme. M. – Irrtum ausgeschlossen.

»Tu nicht so, als wärst du nicht da, du Langschläfer! Dein Auto steht vor dem Haus«, flötete die Frau, als Danner sich nicht rührte.

Langschläfer?

Na ja, man konnte für alles eine Erklärung finden, wenn man lange genug suchte.

Mit einem Satz war ich auf den Beinen und schob die Badezimmertür einen Spalt weit auf. Ich sah, wie Danner der Zimmerdecke einen wütenden Blick zuwarf.

Noch bevor er die Tür öffnete, war mir klar, dass die Sache nicht einfach für ihn werden würde. Dafür saß sein schwarzer Rollkragenpulli zu eng.

»Hallo, Liebling«, schnurrte da M. auch schon zufrieden. Die scharfkantigen Absätze ihrer Schuhe klackerten kurz auf der Türschwelle, bevor sie sich in den Teppich bohrten.

»Seit drei Tagen versuche ich, dich zu erreichen«, schmollte sie.

»Ich weiß«, antwortete Danner unmissverständlich schroff.

»Nun komm schon, mach einen Schritt vorwärts!«, beschwor ich die fremde Frau flüsternd und presste meine Nase in den Türspalt.

Als hätte sie es gehört, ging M. durch den Raum auf den Schreibtisch zu.

Ich konnte sie nur von hinten sehen, aber ihre Figur war der Hammer! Die Stiefel hatten, grob geschätzt, neun Zentimeter Absatz und ihren schmalen Rücken wallte eine hennafarbene Löwenmähne herab, wie ein feuerrotes Fick-mich-Schild. Mir kamen Zweifel am Verstand des Finanzbeamten mit der spitzmausgesichtigen Bettgeschichte.

»Ich wollte dir sagen, dass ich für Samstag Theaterkarten organisiert habe.«

Danner ballte hinter M. die Fäuste. »Da kannst du allein hingehen, Marie«, erklärte er ungeduldig.

»Aber natürlich kommst du mit! Samstagsabends muss die Welt nicht gerettet werden, das kannst du auch noch nächste Woche erledigen.«

»Ich hab nicht vor, die Welt zu retten. Ich will nur lieber mit Molle ’n Bier trinken.«

»Ach, so eine Männersache, hm?«

Alle Achtung, wie sie es fertigbrachte, ihn zu ignorieren.

»Nein, einfach ein Bier.«

Sie wirbelte herum und ihre rote Mähne wehte wie in einer miserablen Liebesschnulze durch die Luft.

Hölle, sah die gut aus!

Klimperwimpern, Schmollmund, hennafarbenes Make-up zum hennafarbenen Haar. Und für ihren Busen hätte so mancher Mann mit Freude über einen etwas langweiligen Charakter hinweggesehen.

»Hinterher habe ich uns einen Tisch beim Mexikaner reserviert.« Sie trat zu dicht an ihn heran. »Kerzenlicht, ein guter Wein und anschließend gehen wir zu mir«, hauchte sie und schlang langsam die Arme um Danners Hals.

Ihre Rolle gefiel ihr offensichtlich ausgesprochen gut: Hilfloses Frauchen wird vom bösen Ehemann hintergangen und vom schnodderigen Schnüffler gerettet – und selbstverständlich auch gevögelt.

»Lass sie nicht so nah ran!«, murmelte ich, als sie mit ihren hennafarbenen Fingernägeln über seine Glatze fuhr.

Danner nahm bestimmt ihre Arme von seinem Hals und schob sie ein Stück von sich.

Ging doch!

»Das ist mein Ernst, Marie! Ich habe dich drei Tage nicht zurückgerufen, ich will nicht ins Theater, nicht zum Essen und schon gar nicht mit zu dir!«

»Dann eben nicht«, schmollte sie beleidigt. »Wollen wir Sonntag ins Konzert gehen?«

Das war genug!

Offensichtlich kapierte die mit Absicht nicht. Kurz entschlossen zog ich T-Shirt und Hose aus und wickelte mich in ein Handtuch.

Dann öffnete ich die Badezimmertür.

»Ben, Liebling, wo bleibst du?«, flötete ich samtweich, auch wenn Telefonsex wirklich nicht mein Ding war. »Das Wasser wird kalt –«

Ich tat, als würde ich M. erst in dem Moment bemerken. »Was geht denn hier vor?!«

M. schnappte empört nach Luft: »Ben, was hat dieses – dieses kleine Flittchen hier zu suchen? Würdest du mir das bitte erklären?!«

Ich stemmte die Hände in die Seiten und funkelte Danner wütend an: »Die Erklärung würde ich auch gern hören! Bist du noch zu retten, hier rumzuknutschen, während ich in der Badewanne verschrumpele?«

Er verzog keine Miene, doch seine Augen glitzerten.

»Was tun Sie hier?«, fauchte M. mich an.

»Ich arbeite hier!«, fauchte ich zurück. »Meinen Sie, ich kriege mein Geld nur fürs Tippen?«

»Die Sekretärin!« Sie wirbelte zu Danner herum: »Du bist kein Stück besser als mein Mann! Im Gegenteil, der hat wenigstens so viel Anstand, eine zu bumsen, die schon Auto fahren darf!«

Sie stürmte hinaus und schlug knallend die Tür zu.

»Die ruft nicht mehr an«, weissagte ich.

»Ich sag Molle, bei wem er sich bedanken muss.«

Ich drehte mich zur Badezimmertür, als er mich plötzlich erneut am Arm festhielt.

Ich erstarrte.

Dann spürte ich seine Hand heiß auf meinem nackten Rücken. Die Berührung zuckte wie ein Stromstoß bis in meine Arme hinab und hinterließ ein elektrisiertes Kribbeln.

»Was ist das denn?« Sacht fuhren seine Fingern zwischen meinen Schulterblättern entlang.

»Was?« Ich versuchte, über meine Schulter auf meinen Rücken zu sehen. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass meine ganze linke Schulter noch immer blassgelb verfärbt war.

Danners Augen wurden schmal: »Wer war das?«

Ich schwieg.

»Dein Freund?«

Ich lächelte.

Er musterte mich kurz und ließ mich wieder los. Dann nahm er seine Jacke vom Haken und steckte eine Digitalkamera in die Tasche. »Ich krieg’s raus, verlass dich drauf.«

Damit ging er hinaus.